Widerworte: Gedanken über Deutschland - Alice Weidel - E-Book

Widerworte: Gedanken über Deutschland E-Book

Alice Weidel

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Beschreibung

Widerworte – das klingt nach Auflehnung gegen das Bestehende. Und genau diese Absicht verfolgt Alice Weidel mit "Widerworte". Sie lehnt sich auf gegen gesellschaftliche und politische Fehlentwicklungen der vergangenen Jahre und Jahrzehnte. Gegen den übermäßigen Einfluss von Ideen vom äußersten Rand des grün-linken Spektrums. Gegen eine zu unkritische Nähe von Journalismus und Politik. Gegen Denkverbote, die von vermeintlich überlegenen Moralisten gegen alle Andersdenkenden verhängt werden. Und sie macht sich Gedanken über das Deutschland, wie es ihr vorschwebt. Sie analysiert, weshalb der Euro eine Fehlkonstruktion ohne Überlebenschance ist und die Zukunft Deutschlands gefährdet. Sie fordert, dass die Mittelschicht wieder in den Fokus der Politik rücken muss. Und nicht zuletzt wartet sie mit zahlreichen Vorschlägen für ein Zusammenleben unter bürgerlichen Vorzeichen auf. Ein konservatives Manifest, das provoziert – und zum Nachdenken anregen will.

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Copyright 2019:

© Börsenmedien AG, Kulmbach

Druck: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 978-3-86470-631-8

eISBN 978-3-86470-632-5

Alle Rechte der Verbreitung, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Verwertung durch Datenbanken oder ähnliche Einrichtungen vorbehalten.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar.

Postfach 1449 • 95305 Kulmbach

Tel: +49 9221 9051-0 • Fax: +49 9221 9051-4444

E-Mail: [email protected]

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www.facebook.com/plassenverlag

ALICE WEIDEL

WIDERWORTE

Gedanken über Deutschland

INHALT

1. Warum Politik?

2. Unser Verhältnis zu Freiheit, Eigentum und Recht

Auf die Bürger kommt es an

Die Deutschen und die Freiheit

Zerbrechliches Vertrauen

Lastesel Mittelschicht

Rechtsbruch und Staatskrise

Das Ende der Geduld

3. Republik aus den Fugen

Das „Zeitalter der Hypermoral“

Politische Romantik und grüne Ideologie

Der „antifaschistische“ Totalitarismus

Sozialismus funktioniert nicht – nie und nirgends

Flucht aus der Nation

4. Land der Widersprüche

Europäische Sackgassen

Der Euro – das gescheiterte Experiment

Euro-Legenden und Papiergeld-Schwindel

Was ist „sozial“, was ist „gerecht“?

Sozialpolitik und die Ordnung der Wirtschaft

Die Herrschaft des Rechts wiederherstellen

Kriminalität und Staatsversagen

Freiheit oder Islamisierung

Migration, Integration und die Republik

5. Mehr Republik wagen – Wie wir Deutschland wieder nach vorne bringen

1.

Warum Politik?

Wollen Sie sich das einfach so gefallen lassen? Ich nicht. Deshalb bin ich in die Politik gegangen und habe dieses Buch geschrieben. Denn Freiheit ist für mich nicht nur ein Wort oder ein subjektives Lebensgefühl, sondern ein Gut, das verteidigt werden muss – gegen die Regierungen Europas, die in meinen Augen offensichtlich jedes Maß und Ziel verloren haben. Als Volkswirtin kann ich nicht achselzuckend zusehen, wie seit Jahren in Europa mit dem geltenden Recht umgegangen wird. Hätte ich in meinem Examen der Volkswirtschaftslehre so argumentiert, wie die europäischen Regierungen und die Europäische Zentralbank in der Aushebelung geltenden Rechts später gehandelt haben, wäre ich wohl glatt durch meine Prüfungen gefallen.

Exekutiven, die sich über die Gesetze hinwegsetzen, unsere Grenzen wie Scheunentore öffnen, Notenbanken, die gegen ihre Statuten verstoßen und Staats- sowie Unternehmensfinanzierung betreiben, das alles sind für mich Geschichten aus dem Gruselkabinett. Als Bürgerin bewegt mich die Sorge vor diesen Entwicklungen, die ich als gefährliche Störungen der Rechtsstaatlichkeit wahrnehme. Jeder Deutsche sollte allein schon aus der Geschichte sensibilisiert genug sein, um zu wissen, wohin es führt, wenn Regierende geltendes Recht aushebeln und zu ihren Gunsten verbiegen und es im letzten Schritt gegen die eigene Bevölkerung richten können.

Schimpfe nicht nur, tu etwas für eine bessere Politik und Gesellschaft: Dazu riet mir auch meine Lebensgefährtin, die mein beständiges Kritisieren der herrschenden Politik schließlich nicht mehr hören konnte. Also wendete ich mein Unbehagen in positive Energie und engagierte mich: zunächst für die Wahlalternative 2013, der auch mein viel zu früh verstorbener Doktorvater Professor Peter Oberender angehörte, später dann für die Alternative für Deutschland. In die AfD trat ich im Oktober 2013 ein, nachdem sie im ersten Anlauf den Sprung in den Bundestag nicht geschafft hatte. Mein Ziel war, mich in die Programmarbeit einzubringen und so meinen gesellschaftspolitischen Beitrag zu leisten.

Hätte mir damals jemand erzählt, dass ich vier Jahre später den zweiten Bundestagswahlkampf der Partei als Spitzenkandidatin zusammen mit Alexander Gauland bestreiten würde, ich hätte ihn ausgelacht. Als ich auf dem Höhepunkt des Bundestagswahlkampfs von Veranstaltung zu Veranstaltung eilte, erinnerte mich meine Partnerin manchmal daran. Aus vier Jahren intensivem ehrenamtlichen Engagement für die Partei ist eine noch größere Aufgabe geworden: Im Herbst 2017 wurde ich Fraktionsvorsitzende der ersten AfD-Bundestagsfraktion, der ich meine ganze politische Leidenschaft widme. Die Alternative für Deutschland stellt für mich das wichtigste und vielleicht auch das letzte gesellschaftspolitische Projekt für unser Land dar. Sie ist wahrscheinlich die letzte Chance, die wir überhaupt noch haben.

Dieses Buch ist dennoch kein Parteiprogramm. Es ist meine persönliche Vorstellung davon, wie Deutschland in Zukunft aussehen soll und wie es im 21. Jahrhundert bestehen und dabei Deutschland bleiben kann. Ich bin überzeugt, dass viele in diesem Land genauso denken wie ich. Niemand kann so tun, als ginge ihn Politik nichts an, denn Politik betrifft jeden Einzelnen von uns. Es kann uns nicht egal sein, was aus diesem Land wird, denn es ist unser Land, das uns geprägt hat. Wer es zerstört, zerstört unsere Identität. Höchste Zeit also, dass wir Bürger wieder auf die Barrikaden gehen.

2.

Unser Verhältnis zu Freiheit, Eigentum und Recht

Auf die Bürger kommt es an

Bürger – ein stolzes Wort. Denn der bürgerliche Mensch ist Rückgrat und Bollwerk der Republik: Er übernimmt Verantwortung für sich selbst und für andere, ohne die Zuständigkeit auf anonyme Instanzen abzuwälzen. Er fragt zuerst, was er für das Gemeinwesen tun kann, statt darauf zu warten, dass die Allgemeinheit etwas für ihn tun soll. Er hält die Familie hoch, als kleinste Zelle des Gemeinwesens und als Ort der Unabhängigkeit und der freien Rede, und verbittet sich jede übergriffige Einmischung von oben. Er ist kein Befehlsempfänger und kein Mitläufer; Autorität, die er anerkennt, überzeugt durch Vorbild und Leistung. Freiheit ist für den Bürger nicht die Lizenz zum ungehemmten, rücksichtslosen Egoismus, sondern der notwendige Freiraum, um seine Verantwortung wahrzunehmen und eigene Entscheidungen zu treffen. In diesem Sinne bin ich ein bürgerlicher Mensch und ich bin stolz darauf. In linksgrünen Kreisen ist es Mode geworden, sich selbst für „bürgerlich“ zu halten, nachdem man sich in der einst verachteten „bürgerlichen Gesellschaft“ inzwischen behaglich eingerichtet hat. Was für ein Etikettenschwindel! „Links“ und „bürgerlich“ gehen nämlich nicht zusammen. Entweder man ist links und kollektivistisch eingestellt, oder man ist Bürger und liebt die Freiheit, die republikanische Freiheit vor der Übergriffigkeit eines sich in sämtliche private Lebensbereiche einmischenden Staates.

Die Freiheit ist der große Gedanke, der den bürgerlichen Menschen antreibt. Freiheit ist der Motor der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen, der geistigen und kulturellen Weiterentwicklung. Seine Grenzen findet der Freiheitsdrang des Einzelnen in der Freiheit der anderen. Der Staat ist daher der natürliche und ewige Widerpart der Freiheit. Denn ohne gesellschaftliche und staatliche Ordnung und Organisation kann der Mensch, das soziale Wesen, das „Zoon politikon“ des Aristoteles, nicht auskommen. Er braucht die Gesellschaft anderer, um sich geistig, kulturell und wirtschaftlich zu entfalten, und diese Gesellschaft will organisiert sein. Denn der Mensch ist zugleich Mängelwesen. Gerade weil die Evolution ihn nicht auf eine bestimmte, eng umgrenzte ökologische Nische festgelegt hat und er sich auch an den widrigsten Lebensraum anpassen kann, bedarf er der Institutionen, die seine äußeren Lebensumstände ordnen und stabilisieren und ihm den Austausch mit anderen, den „Markt“, erst ermöglichen.

John Locke, einer der Gründerväter des neuzeitlichen Liberalismus, definiert Leben, Freiheit und Eigentum als die unveräußerlichen Grundrechte des Menschen. Das Ringen um die Ordnung des Zusammenlebens, die dem Wesen des Menschen am besten gerecht wird, ist das Ringen um einen Staat, der diese unveräußerlichen Grundrechte gewährleistet. Und zwar nicht als huldvoll von oben herab gewährte Gnadenrechte, sondern als unumstößliche Grundlagen und Bedingungen, unter denen die Bürger bereit sind, staatlichen Institutionen Macht und Gewalt auf Zeit zu übertragen.

Der freiheitliche Staat ist deshalb der Staat, dem die Bürger zugleich einen Vertrauensvorschuss einräumen und ihm jederzeit wachsam misstrauen. Ein Staat, über dessen Handeln die Bürger maximale Mitsprache und Kontrolle ausüben können. Die wirksamste Kontrolle ist die Kontrolle durch Wahlen und Abstimmungen – am effektivsten durch Volksabstimmungen –, durch die Ämter und Befugnisse samt den Mitteln zu ihrer Erfüllung übertragen und auch wieder zurückgenommen werden. Deshalb ist der freiheitliche Staat zugleich ein Staat, in dem die Macht bei Gewählten liegt, die sie auf Zeit ausüben, und nicht bei Bürokratien. Diese haben nämlich zu allen Zeiten die Tendenz, sich zu verselbstständigen, ihre indirekte Macht auf Kosten des Souveräns und Steuerzahlers zu erweitern und seiner Kontrolle zu entziehen und damit Lobbyismus und Korruption Tür und Tor zu öffnen.

Die Deutschen und die Freiheit

Uns Deutschen wird oft ein gestörtes Verhältnis zur Freiheit und mangelhaft ausgeprägte Freiheitsliebe nachgesagt. Der Vorwurf besteht zu Unrecht – und zu Recht. Zu Unrecht, weil die deutsche Nation eine lange und eindrucksvolle Freiheitsgeschichte hat, die sich vor denen anderer Nationen nicht zu verstecken braucht. In der modernen Geschichte beginnt die deutsche Freiheitserzählung mit den Denkern und Vorkämpfern der Aufklärung und des Idealismus, mit Immanuel Kant und Friedrich Schiller, um nur zwei von ihnen zu nennen. Sie hatte ihre große Stunde in den Befreiungskriegen gegen die napoleonische Fremdherrschaft, der Geburtsstunde der deutschen Einheits- und Freiheitsbewegung. Ihre Farben Schwarz-Rot-Gold, die Farben des Freikorps Lützow und der Burschenschaft, sind bis heute die Farben des demokratischen Deutschland.

Das Hambacher Fest von 1832, der Vormärz, die deutsche Revolution von 1848 und das Paulskirchen-Parlament sind eindrucksvolle Zeugnisse des deutschen Freiheitswillens, die bis heute fortwirken und den Geist der Weimarer Verfassung und des Grundgesetzes geprägt haben. Die Weimarer Republik und die Gründung der Bundesrepublik Deutschland setzten unter schwierigsten Bedingungen diese Freiheitsgeschichte fort. Zu ihr gehört auch der Widerstand gegen die totalitären Diktaturen des 20. Jahrhunderts, das Heldentum der „Weißen Rose“ und der Attentäter des 20. Juli 1944, der Volksaufstand gegen die kommunistische Diktatur in der „DDR“ am 17. Juni 1953 und schließlich die friedliche Revolution von 1989 und der Fall von Mauer und Stacheldraht am 9. November.

Das macht die dunklen Kapitel unserer Vergangenheit, die NS-Diktatur und ihre furchtbaren Verbrechen, vor allem den millionenfachen Massenmord an den deutschen und europäischen Juden, nicht ungeschehen und löscht sie auch nicht aus. Aber es ist eine Tradition, auf die die Deutschen mit Stolz zurückblicken können, ohne ihre Verantwortung für im deutschen Namen begangene Untaten vergessen zu müssen. Im Bewusstsein dieser positiven Traditionen könnte sich die deutsche Nation mit Mut und Freiheitsliebe den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts stellen, um ihren wiedergewonnenen staatlichen Rahmen, die deutsche Republik, im Geist der Freiheit zu gestalten.

Doch das Verhältnis der Deutschen zur Freiheit hat zwei Seiten. Auf der Kehrseite steht die unselige Neigung, der herrschenden Obrigkeit länger zu vertrauen, als es guttut; die Augen viel zu lange vor Fehlentwicklungen zu verschließen in der trügerischen Hoffnung, „die da oben“ wüssten schon, was sie tun, statt gegen die fortschreitende Entmündigung aufzubegehren.

Dabei haben gerade die Deutschen, als die gebrannten Kinder des 20. Jahrhunderts, allen Grund, ihren Regierungen mit dem steten und gesunden Misstrauen zu begegnen, das den seiner Freiheit bewussten und sein Eigentum verteidigenden Bürger auszeichnet. In den beiden großen Katastrophen des letzten Jahrhunderts sind die Deutschen gleich zweimal durch ihre Obrigkeiten, die Disziplin und Opferbereitschaft bis jenseits der Schmerzgrenze missbrauchten, um die ererbten und mühsam geschaffenen Früchte ihrer Arbeit und ihres Fleißes gebracht worden. Die bürgerliche Mittelschicht hat das besonders schwer getroffen – mit gravierenden Folgen, die bis heute nachwirken.

Die Kosten des verlorenen Ersten Weltkriegs, die vom eigenen Land verursachten wie die von den Siegern auferlegten, bezahlten die Deutschen über die Massenenteignung durch Hyperinflation. Reihenweise wechselten Privathäuser, die ihre Eigentümer nicht mehr halten konnten, mit der Spätfolge in öffentliches Eigentum, dass die Deutschen bis heute ein Volk von Mietern sind, deren Wohneigentumsquote und durchschnittliches Privatvermögen weit unter dem europäischen Standard liegen. Noch gründlicher hat der Nationalsozialismus, der unsägliches Leid und Elend über Europa gebracht hat, auch das eigene Volk ruiniert: Erst durch sozialistische Defizitfinanzierung, Wirtschaftslenkung und Enteignung, welche die Staatsfinanzen noch in Friedenszeiten völlig zerrüttet hatten, dann durch den verbrecherisch vom Zaun gebrochenen Krieg, der Millionen Überlebende ausgebombt, verelendet, vertrieben und entwurzelt in einem zerstörten und zerrissenen Land zurückgelassen hat.

Zerbrechliches Vertrauen

Dass der Wiederaufbau des verbliebenen Territoriums und der Wiederaufstieg der zunächst in den westlichen Landesteilen gegründeten Bundesrepublik Deutschland zu einer der führenden Industrienationen der Welt dennoch gelungen ist, ist fraglos eines der größten Friedenswerke, das die Deutschen vollbracht haben. Sie haben das übrigens im Wesentlichen aus eigener Kraft geschafft. Die Einbeziehung Deutschlands in das „Europäische Wiederaufbauprogramm“ (ERP) der USA hatte in erster Linie signalpolitische Bedeutung, weil damit die Phase der totalen Stigmatisierung und der harten Reparations-Demontagen endete. Die an Deutschland vor allem als indirekte Kredite für Warenlieferungen ausgereichten Hilfen aus dem „Marshallplan“ wurden rasch und verzinst zurückgezahlt. Die beschlagnahmten deutschen Auslandsvermögen und Patente verblieben dagegen in US-Hand. Allein ihr Wert überstieg die deutschen Verbindlichkeiten gegenüber den USA bei Weitem, wie der Spiegel schon 1951 festhielt.

Die Anwerbung ausländischer Arbeitskräfte wiederum begann auf dem Höhepunkt des „Wirtschaftswunders“ auf Wunsch der Entsendestaaten, die ihre Zahlungsbilanz verbessern wollten. Türkische „Gastarbeiter“ wurden sogar erst in den 1960er-Jahren und auf massives Drängen aus Ankara und den USA angeworben, als der Wiederaufbau längst abgeschlossen war und das Wirtschaftswunder schon seinen Zenit überschritten hatte. Dass in geschichtsklitternder Weise von etablierten Politikern immer öfter unwidersprochen behauptet wird, „die Türken“ hätten Deutschland wieder aufgebaut, ist nur eine der Zumutungen, die sich die Bürger von jenen, die in ihrem Auftrag regieren, wieder viel zu gutmütig bieten lassen.

Wirtschaftswunder und Wiederaufbau, Ludwig Erhards Versprechen von „Wohlstand für alle“, das durch besonnene und ordnungspolitisch solide Wirtschaftspolitik eingelöst wurde und einen Aufschwung begründete, an dem breite Schichten teilhaben konnten, hat den bürgerlichen Mittelstand – zu dem längst auch die aufstiegswillige und qualifizierte Arbeiterschaft zählt – wieder gestärkt und neues Vertrauen in die wiedererrichtete Republik der Deutschen und ihre demokratischen Institutionen geschaffen.

Dieses Vertrauen ist ein anfälliges Kapital, und es wird bereits seit geraumer Zeit dreist und massiv missbraucht und ausgenutzt. Hier liegt der tiefere Kern der fundamentalen Krise, in der sich unser Land und unsere Republik befinden. Überdeckt wurde diese Krise lange Zeit durch den Fleiß, die Leistungsbereitschaft und die Gutgläubigkeit ebenjener Mittelschicht, die sich trotz immer drückenderer Lasten weiter redlich abmüht, über die Runden zu kommen. Sie verwendet ihre ganze Kraft darauf, den eigenen Lebensstandard zu halten und an die nachfolgende Generation weiterzugeben, und hat sich dabei viel zu lange und zu bereitwillig auf die Beschwichtigungen der etablierten Wortführer in Politik und Medien verlassen, dass schon alles zu ihrem Besten geschehe.

Lastesel Mittelschicht

„Leute in Dreizimmerwohnungen erhalten den Staat“, hat Gottfried Benn einmal sarkastisch festgestellt und meinte, „die drunter und drüber“ nutzten ihn aus. Der Wohnraum, über den eine durchschnittliche Mittelstandsfamilie verfügt, mag seit Benns Zeiten größer geworden sein. Die Diagnose aber trifft zu: Es sind die Angehörigen der Mittelschicht, die Tag für Tag aufstehen, arbeiten, Steuern und Abgaben entrichten, Familien gründen, Kinder haben, sie erziehen und ihnen eine Ausbildung ermöglichen, sparen und Vorsorge treiben, die das Gemeinwesen am Laufen halten.

In Sonntagsreden wird diese Mittelschicht gern gepriesen. In der Praxis von Regierung und Verwaltung ist sie Melkkuh und Lastesel, auf deren Rücken die Politik ihr Tagesgeschäft betreibt und sich selbst und ihrer Klientel Vorteile verschafft, während sie die Grundlagen von Wohlstand und Wirtschaftskraft aushöhlt, die äußeren und inneren Institutionen schleichend zerstört, auf denen Bestand und Zusammenhalt der Gesellschaft beruhen, und das Vertrauen der Bürger in deren Funktionieren missbraucht und hintergeht.

Die katastrophalen Fehlentscheidungen der Regierungsjahre von Bundeskanzlerin Angela Merkel verbinden sich mit Fehlentwicklungen, die sich über Jahrzehnte aufgebaut haben, bis sie zu fataler Dimension aufgelaufen sind. Das hat eine explosive Dynamik in Gang gesetzt, die das Deutschland, das wir kennen, in den Grundfesten erschüttert und in die Luft zu sprengen droht.

Zu den langfristigen Hypotheken gehört zweifellos der tief sitzende Irrglaube, der Staat sei letzten Endes irgendwie für alles zuständig. Das hat die Wohlfahrtsbürokratie in den letzten Jahrzehnten kontinuierlich wuchern lassen, und mit ihr den Steuer- und Abgabenhunger der öffentlichen Hand. Klaglos ertragen zu viele Deutsche noch immer, dass der Staat ihnen mehr als die Hälfte ihres Einkommens auf diesem Wege entzieht.

Bei einer Staatsquote von rund 50 Prozent fällt es schwer, noch von Marktwirtschaft zu sprechen. „Halbsozialismus“ nennt Ludwig von Mises das treffend in den „Untersuchungen über den Sozialismus“, die er in seinem Werk „Gemeinwirtschaft“ unternommen hat. Der Mythos der „sozialen Gerechtigkeit“, die angeblich nur durch Umverteilung herzustellen sei, weil der Staat besser zu wissen glaubt als die Bürger, wie deren Geld auszugeben sei, hat die Deutschen lange hilflos gemacht gegenüber immer dreisteren staatlichen Eingriffen in Vermögen und Privateigentum. Hier tritt die dunkle Seite ihres ambivalenten Verhältnisses zur Freiheit unheilvoll zutage.

Die Vordenker der „Achtundsechziger“-Bewegung waren Marxisten. Die Schattenseite des gesellschaftlichen Siegeszugs der „Achtundsechziger“ ist der von ihnen propagierte Kulturmarxismus, der unter dem Schlagwort der „Befreiung“ einer Vielzahl freiheitsfeindlicher Ideologien den Weg vom exotischen Randphänomen in den politisch-gesellschaftlichen Mainstream bereitet hat. Die Ideologie des „Gender Mainstreaming“ und des Multikulturalismus hat hier ebenso ihre Wurzeln wie die Diskreditierung des Leistungsgedankens in Schule und Bildung und eine weithin akzeptierte Technik- und Industriefeindlichkeit im Namen von Ökologie und „Klimaschutz“.

Rechtsbruch und Staatskrise

Dass die etablierten Parteien sich den Staat zur „Beute“ machen und dabei Verfassung, Gewaltenteilung und demokratische Institutionen bis zur bloßen Fassade entkernen, haben Kritiker wie Hans-Herbert von Arnim früh angeprangert. Wichtiger Teil der „Beute“ ist der aus Zwangsgebühren üppig finanzierte öffentlich-rechtliche Rundfunk, der sich in einer Art Symbiose zum beiderseitigen Vorteil immer ungenierter in den Dienst von Partikularinteressen der von Arnim ausgemachten „politischen Klasse“ stellt.

Bundeskanzlerin Angela Merkel – Thilo Sarrazin hat sie anlässlich der Vorstellung seines jüngsten Buches so knapp wie vernichtend als „Inbegriff des Unheils für Deutschland“ bezeichnet – hat durch historische Fehlentscheidungen diese Entwicklungen zur umfassenden Staatskrise beschleunigt. Die drei großen Rechtsbrüche, die sie zu verantworten hat – von den vielen kleineren zu schweigen –, greifen so tief und schmerzhaft in die Grundrechte der Bürger ein, dass sich das Ausmaß der Krise nicht länger verheimlichen lässt.

Die Euro-„Rettung“ hat die Tür zum europäischen „Superstaat“ weit aufgestoßen – zulasten der Nationalstaaten und ihrer Staatsvölker, der eigentlichen demokratischen Souveräne auf dem Kontinent, deren Entmündigung Brüssels zentralistisch eingestellte Eurokraten beharrlich betreiben. Die Nullzins- und Billiggeld-Politik der Europäischen Zentralbank ist ein direkter Angriff auf das deutsche Volksvermögen und Motor einer „Transferunion“ zur kontinuierlichen Umverteilung von Nord nach Süd, von Bürgern zu Finanzindustrie und Staatshaushalten. Die Wohlstandsverluste für Deutschland belaufen sich nach Schätzungen schon jetzt auf einen dreistelligen Milliardenbetrag, die Haftungsrisiken haben die Billionengrenze erreicht. Die deutschen Privatvermögen schrumpfen inzwischen auch real.

Die „Energiewende“ hat den Deutschen die höchsten Energiepreise Europas bei schwindender Versorgungssicherheit beschert, knöpft Bürgern und Unternehmen jährlich zweistellige Milliardenbeträge für die Förderung unsinniger Doppelstrukturen ab und treibt energieintensive Industrien samt wertvollen produktiven Arbeitsplätzen aus dem Land.

Und schließlich die unkontrollierte illegale Einwanderung von Millionen Menschen aus außereuropäischen Kulturkreisen, die das Land stärker und radikaler verändert als jede Fehlentscheidung zuvor, und das nicht zum Guten. Nur ein verschwindend geringer Prozentsatz der als „Asylbewerber“ Eingereisten ist tatsächlich verfolgt und damit asylberechtigt, nur ein Bruchteil wird je in Arbeitsmarkt und Gesellschaft integrierbar sein. Abschiebungen und Zurückweisungen finden faktisch nicht statt. Geltendes Recht ist seit Jahren willkürlich außer Kraft gesetzt und wird vorsätzlich nicht mehr angewandt.

Schlimmer noch: Es scheint zunehmend zweierlei Recht zu gelten. Wer die Regeln anerkennt, wird streng gemessen und bestraft. Neuankömmlinge, die den Rechtsstaat und seine Werte schon vom Zeitpunkt ihrer Ankunft an offen missachten, werden nicht selten mit Samthandschuhen angefasst. „Hassverbrechen“ gegen Migranten werden hart geahndet; bei Übergriffen von Zuwanderern auf Einheimische ergehen immer wieder unbegreiflich milde Urteile und Straftäter müssen mitunter selbst bei ellenlangem Deliktregister weder Haft noch Abschiebung fürchten.

Das untergräbt den inneren Zusammenhalt der Gesellschaft und zerstört die Rechtssicherheit. Steigende Kriminalität, Terrorgefahr und Unsicherheit im öffentlichen Raum und vorauseilende Islamisierung, die durch den anhaltenden ungeregelten Zustrom muslimischer Migranten mit archaischen Kultur- und Wertvorstellungen noch beschleunigt wird, bedeuten für rechtstreue Einheimische und integrierte Einwanderer, und besonders für die Frauen, einen täglich spürbaren Verlust an Freiheit, Bedrohung des Eigentums und selbst Gefahr für Leben und körperliche Unversehrtheit. Mit anderen Worten: eine Bedrohung ebenjener unveräußerlichen Grundrechte, auf denen eine freiheitliche, bürgerliche Gesellschaft beruht.

Jahre nach dem verhängnisvollen „Wir schaffen das!“ von Bundeskanzlerin Angela Merkel ist das einst wohlgeordnete Deutschland ein zutiefst zerrüttetes und gespaltenes Land. Die Bonner Republik ist Geschichte, die „Berliner Republik“, wenn es sie denn je gab, verwandelt sich in der Spätphase der Regierung Merkel in einen gescheiterten Staat. Auf Kritik und spontanen bürgerlichen Protest gegen den Kontroll- und Sicherheitsverlust antworten etablierte Politik und regierungstreue Medien mit Belehrungen, Zurechtweisungen und politisch korrekter Stigmatisierung. Es geht zweifellos zu weit, hier bereits eine „DDR 2.0“ heraufziehen zu sehen. Gleichwohl muss daran erinnert werden, dass das Demonstrationsrecht im klassischen liberalen Verständnis ein Freiheitsrecht der Bürger gegen Übergriffigkeiten der Obrigkeit ist. Wenn auf der einen Seite Bürger bei der Wahrnehmung dieses Rechts mit Verwaltungsschikanen und durch geduldete linksextreme Schlägertrupps eingeschränkt werden, während andererseits Politiker und Staatskünstler zu Massenkundgebungen zur Bekräftigung der Regierungslinie mobilisieren, stimmt die Balance der Freiheit zwischen Bürger und Staat nicht mehr.

Das Ende der Geduld

„Ein besonderer psychologischer Essay wird eines Tages über die fatalistische herdenmäßige Dulderfähigkeit und Geduldausdehnbarkeit im deutschen Volk zu schreiben sein“, notierte Erich Kästner im Juni 1945 in seinem „Kriegstagebuch“. Der Satz könnte, leider, aktueller nicht sein. Doch jede Geduld hat ein Ende.

Die Deutungshegemonie grün-linker Volkspädagogen, die widersprechende Meinungen aus dem politischen Diskurs auszugrenzen, zu diffamieren oder gar zu kriminalisieren trachten, zerbröckelt unter den harten Realitäten der Staatskrise. Die „Faschismus“-Keule, mit der ihre Gralshüter immer wahlloser und panischer um sich schlagen, um ihre schwindende Interpretationsmacht zu verteidigen, wird morsch. Und das Misstrauen gegenüber den Regierenden wächst. Es kommt aus der Mitte der bürgerlichen Gesellschaft, aus ebenjener Mittelschicht, die von der herrschenden Politik der alten und neuen Sozialisten und Halbsozialisten in ihren Grundlagen bedroht wird. Es wächst dort schneller, wo die Erfahrung mit der letzten sozialistischen Diktatur und ihren Propagandaritualen frischer ist. Und das ist grundsätzlich ein positives Zeichen, ein Zeichen des wiedererstarkenden Freiheitswillens.

Dieses Freiheitsbewusstsein und die Prägung durch die bürgerliche Mittelschicht, der ich entstamme, ist auch mein politischer Antrieb. Aus der Überzeugung, dass die Achtung von Freiheit und Eigentum, Ordnung und die unbedingte Herrschaft des Rechts unabdingbare Voraussetzungen für Wohlstand und eine gerechte Gesellschaft sind, bin ich in die Politik gegangen. Missstände aufzudecken und beim Namen zu nennen ist dabei nur der erste Schritt. Das Ziel ist, dieses Land zu reformieren und wieder auf jene Grundlagen zu stellen, auf denen Deutschland sich nach den Katastrophen des vergangenen Jahrhunderts erneut die Achtung und den Respekt der Welt erworben hat.

3.

Republik aus den Fugen

Die Bundesrepublik Deutschland ist gründlich aus den Fugen geraten. Regeln und Gewissheiten, die jahrzehntelang verlässlich und unhinterfragt das Funktionieren des Gemeinwesens sicherstellten, sollen auf einmal nicht mehr gelten, werden über Nacht einseitig außer Kraft gesetzt oder willkürlich nur noch nach Stimmungslage angewandt. Kontrollmechanismen, die für die Balance der republikanischen Institutionen und die demokratische Gewaltenteilung unabdingbar sind, scheinen lahmgelegt.