Wie alles begann - Michael H. F. Brock - E-Book

Wie alles begann E-Book

Michael H. F. Brock

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Beschreibung

Die Bibel ist ein Buch voller Geschichten. Dieser narrativen Tradition folgend lässt Michael H. F. Brock Maria und Elisabet zu Wort kommen. Sie begleiten ihre Söhne Jesus und Johannes - ihre Geburt, ihr eigenes Leben, ihre Suche nach Gott. Zwischen der Tradition und dem, was er mit den Menschen seiner Zeit erlebt, ringt Jesus mit seinem Vater um einen neuen Weg, den er im Elend der Menschen entdeckt. Anschaulich und engagiert nimmt der Autor teil an Jesu Lebensweg, am Beginn seines Wirkens und begleitet die ersten Kapitel des Lukasevangeliums mit Fragen, die sich heutigen Leserinnen und Lesern der Bibel stellen. So werden sie zu Zeitzeugen eines Menschen, der um Menschlichkeit ringt.

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Cover

Haupttitel

Inhalt

Über den Autor

Über das Buch

Impressum

Hinweise des Verlags

Michael H. F. Brock

Wie alles begann

Begegnungen mit Jesus

Patmos Verlag

Inhalt

Ein Wort voraus

Die Verheißung – Erster Teil

Lk 1,5–25

Die Verheißung – Zweiter Teil

Lk 1,26–38

Der Besuch

Lk 1,39–56

Die Geburt – Erster Teil

Lk 1,57–65

Der Lobgesang des Zacharias

Lk 1,66–80

Die Geburt – Zweiter Teil

Lk 2,1–20

Das Zeugnis

Lk 2,21–40

Im zwölften Jahr

Lk 2,41–52

Der Täufer

Lk 3,1–22

Die Versuchung

Lk 4,1–13

Erste Begegnung

Lk 4,14–15

Abgelehnt

Lk 4,16–30

Der Tag in Kafarnaum

Lk 4,31–39

Der Abend in Kafarnaum

Lk 4,40–44

Die ersten Jünger

Lk 5,1–11

Aussätzig

Lk 5,12–16

Gelähmt

Lk 5,17–26

Das Mahl der Sünder

Lk 5,27–32

Die Frage nach dem Fasten

Lk 5,33–39

Am Sabbat – Erster Teil

Lk 6,1–5

Am Sabbat – Zweiter Teil

Lk 6,6–11

Die Wahl

Lk 6,12–16

Der Andrang des Volkes

Lk 6,17–19

Und es geschah: An einem Tag lehrte er. Da saßen Pharisäer und Gesetzesgelehrte, die aus jedem Dorf Galiläas und Judäas und aus Jerusalem gekommen waren. Und Kraft des Herrn zum Heilen war für ihn da. Und da! Männer brachten auf einer Liege einen Menschen, der gelähmt war, und suchten ihn hineinzubringen und vor ihn hinzulegen. Und als sie wegen der Leute nicht fanden, auf ­welchem Weg sie ihn hineinbringen könnten, stiegen sie auf das Dach und schafften ihn samt der kleinen Liege durch die Ziegel hinunter, in die Runde, vor Jesus hin. Als er aber ihren Glauben sah, sprach er: Mensch, jetzt sind dir deine Sünden nachgelassen. Da begannen die Schriftgelehrten und Pharisäer, sich Gedanken zu machen und zu sagen: Was ist das für einer, dass er Lästerungen ausspricht? Wer kann Sünden nachlassen außer Gott allein? Aber Jesus erkannte ihre Gedanken, hob an und sprach zu ihnen: Was denkt ihr in euren Herzen? Was ist leichter, zu sprechen: Nachgelassen sind dir deine Sünden, oder zu sprechen: Auf, und geh einher. Damit ihr aber wisst, dass der Menschensohn Vollmacht hat, auf Erden Sünden nachzulassen – sagte er zum Gelähmten: Dir sage ich, auf, und nimm deine kleine Liege und geh nach Haus.

Lukas 5,17–24 – übersetzt von Fridolin Stier

Ein Wort voraus

Schon viele haben sich darangemacht, über die an uns vollbrachten Taten Bericht zu erstatten, wie sie uns die überliefert haben, die von Anfang an Augenzeugen und Diener des Wortes geworden sind. Und auch mir – der ich allem von vorn an genau nachgegangen bin – ward der Entschluss: Es für dich, hochgeehrter Theo­philus, der Reihe nach niederzuschreiben, damit du die Sicherheit der Worte erkennst, über die du unterrichtet wurdest.

Mit diesen Worten beginnt das Evangelium des Lukas. Treue zur Botschaft. Rechenschaft über den Glauben. Vor allem aber Glaubenszeugnis gegenüber seinen Zuhörern und Zeitgenossen. Den Evangelien gibt es nichts hinzuzufügen. Auch dem des Lukas nicht. In ihnen steckt alles, was wir für unseren Glauben heute brauchen.

Und doch brauche ich Geschichten. Ich muss mir den Glauben an Jesus Christus persönlich vorstellen können und also auch ihn als Person. In meiner Gedankenwelt, von der ich hier berichte, sind die Geschichten um Jesus herum, die die Bibel nicht erzählt, selbstverständlich frei erfunden. Und doch helfen mir die erzählten Gedanken, näher an ihn »heranzukommen«. Ihn, der ganz Mensch wurde, muss ich mir auch menschlich vorstellen. Darum habe ich meine Gedanken aufgeschrieben.

Selbstverständlich sind meine Gedanken nicht absolut zu sehen. Wie gesagt, die Geschichten sind frei erfunden. Und doch versuche ich an den Kern der Botschaft Jesu heranzukommen. Ihn zu verstehen auch für uns Heutige. Die Art meiner Betrachtung ist keine umfängliche Theologie des Lebens und Wirkens Jesu. Eher sind es gefühlte Momente. Kleine Fenster, die sich in meinem Herzen öffnen, um ihn, Jesus, ein wenig besser zu verstehen.

In diesem Buch erzähle ich die ersten Kapitel des Lukasevangeliums. Wie alles begann. Begegnungen mit Jesus. Sie werden immer wieder – kursiv gesetzt – unterbrochen durch Gedanken von heute. Fragen, Kritik, Öffnungen. Einfach Gedanken, Sorgen, auch Missverständnisse und Widerstände, denen ich mich oft stellen musste im Laufe meiner Beschäftigung mit der Bibel: als Seelsorger, als Prediger, als Mensch.

Meine Gedanken hier sind nicht abschließend zu verstehen. Aber sie sind an einem Punkt angelangt, da ich sie gerne teile.

Immer wieder zitiere ich die Bibel. Ich tue es unauffällig, verwoben in meine Geschichten. Die Übersetzung der Bibelzitate stammt von Fridolin Stier.

Mir ist wichtig zu sagen, dass mein Zugang zur Bibel keinen Anspruch erhebt, dogmatisch zu sein. Ich bin »Praktischer Theologe« und ein Erzählender. Wenn es mit diesem Buch gelingt, Menschen wieder Freude zu machen, dem Original nachzugehen, den vier Evangelien der Bibel, und ihn, Jesus, neu zu entdecken, dann war es mir eine Freude, von ihm erzählt zu haben, wie ich ihn empfinde und entdeckt habe als einen Freund der Menschen.

Michael H. F. Brock

Die Verheißung – Erster Teil

Lk 1,5–25

Maria, die Mutter Jesu, ging hinaus in die Wüste. So wie alle es taten in jenen Tagen. Aus ganz Jerusalem und aus den umliegenden Gebieten waren sie ihm gefolgt, hinunter zum Jordan. Seine Stimme kannte das Schweigen seines Vaters nicht mehr. Johannes war längst erwachsen geworden, in jenen Tagen. Maria schwieg. Sie kannte das Schweigen noch.

Es war das Schweigen, das am Anfang stand. Das Schweigen des Zacharias. Und die Geburt Johannes, des Täufers, wie ihn alle nannten. Nur für Elisabet, seine Mutter, blieb er Johannes, einfach Johannes. Der kleine Junge, der sich nicht mehr anders zu helfen wusste, als zu reden mit lauter Stimme. Dabei war seiner Geburt ein Schweigen vorausgegangen, das gehört wurde.

Zacharias konnte reden. Im Tempel zählte seine Stimme. Er verkörperte die Stimme der Schrift, wie es hieß. Aus seinem Mund klangen die Lieder Davids, als wären sie eben geschrieben worden aus der Hand des Söldners, der einst König war. Der größte, den die Schrift kannte. Aber wer kannte schon die Schrift?

Zacharias kannte sie. Er war der letzte Sohn einer großen Priesterdynastie. Und sie würde mit ihm untergehen. Denn er vermochte keine Kinder zu zeugen. Oder konnte Elisabet keine Kinder empfangen. Dieser Makel lag zwischen ihnen. War es Fluch oder Versagen? Sie sprachen nicht mehr darüber. Das war der erste Teil seines langen Schweigens.

Straft Gott, indem er Geburt verhindert? Oder straft Gott durch die Geburt der Kinder, deren Tod wir erleiden, noch bevor wir Antwort bekommen durch unser eigenes Sterben. Zacharias vergrub sich in den Schriftrollen der Alten, wenn ihm solche Gedanken kamen und er die Tränen vor Elisabet zu verbergen versuchte, was ihm nie gelang.

Sie versuchte seinem Schweigen mit Zärtlichkeit zu begegnen oder doch mindestens mit einer Berührung, was in ihrem hohen Alter schon an Zärtlichkeit grenzte, jedenfalls eine Erinnerung davon. Sie beugte sich zu ihm, legte ihre Arme um seine Schultern, berührte sanft seine Wangen und flüsterte ihm ins Ohr: Wer weiß, zu was es gut ist, Zacharias.

Nahm seine Hand, legte sie auf die ihre, streichelte sie sanft, so sanft es eben ging in seinem Alter, eigentlich war es eher ein Tätscheln, seufzte tief und sprach: Ja, wer weiß.

Als der Engel ihm erschien, sollte ein Erschrecken sein Schweigen begleiten. Wie oft hat sich die Schrift bemüht, wir sollten uns nicht fürchten. Immer an den entscheidenden Stellen steht Furcht. Immer in Blick auf Zukünftiges. Angst und Furcht. Es ist der Grund, warum ich Menschen, die sich nicht fürchten, oder Menschen ohne Angst immer mit großer Distanz begegne. Weil sie keine Veränderung mehr erwarten oder machtvoll am Dagewesenen festhalten.

Ich kann die Furcht spüren, die Zacharias überkam. War seine kinderlose Ehe ein lang ersonnener Plan Gottes. Wie musste ihn erschaudern bei dem Gedanken. Nicht, dass er Teil eines Planes war, eines göttlichen. Nein, dass er so viel Leid mit sich brachte, so viele Jahre des Zweifels, des Vorwurfs, auch an Elisabet. Und nun war er Teil einer göttlichen Offenbarung. Er hatte Angst. Es stand Schweiß auf seiner Stirn. Er wusste nicht, was schwerer wog in diesem Augenblick, da der Engel zu ihm sprach. Die Angst vor der Zukunft oder der Zorn, der ihn überkam, da es doch wohl schon seit Jahrzehnten beschlossen war. Sein Schweigen war nun auch ein zorniges Schweigen über Gottes Pläne, die sich oft ein ganzes Leben verbergen, und müssen doch gelebt werden, damit sich offenbaren kann, was vor langer Zeit sich eine Macht ersonnen hat, die oft ein Leben lang schweigt, jedenfalls in unserem Empfinden.

Mein Schweigen ist auch immer wieder innere Rebellion gegen ­einen Gott, der uns alle in der Hand zu haben scheint. Denn alles ist durch ihn geworden, was geworden ist. So steht es in der Schrift. Und wenn es seine Schrift ist, dann hat er alles gut gemacht. Aus seiner Perspektive mag das stimmen. Nicht aus meiner. Darum schweige ich manchmal. Ihm zum Trotz und verweigere ihm die Angst. Auch die Furcht vor einem Engel, der ich selber bin, jedenfalls in meinem Namen. Auf den ich stolz bin.

Ja, da haben wir es wieder, ich bin stolz, nicht ängstlich. Und werde doch sagen und immer wieder, auch das ist gottgewollt. Ich bin es, gottgewollt, auch wenn das andere ängstigt. So ist das mit den Plänen Gottes. Irgendwen ängstigen sie immer.

Wie tragisch ist mir die Ankündigung der Geburt des Johannes, auch im Herzen, dachte Zacharias. Warum konnte er nicht geboren werden zu einer Zeit, da ich ihm das Leben noch selbst als junger Mann beibringen konnte. So kann ich ihm nur die Reinheit der Lehre und die Bitterkeit meiner Seele lehren und die zärtliche Hand der Elisabet wird es wieder einmal richten müssen. Im besten Sinne. Wir sind alt geworden. Und keiner durfte mehr rechnen mit Gottes Hand über uns. Oder war die lange Zeit des Wartens unsere Bestimmung, die auch durch Freiheit nicht erworben und nicht verhindert werden konnte. Ich werde schweigen. Heute nicht bitter und nicht aus Angst, und doch begleitet Furcht mein Schweigen, weil ich es nicht weiß und mein Gehirn zu klein ist für solche Gedanken. Nur das Schweigen nehmt wahr!

Es hat immer etwas zu bedeuten, wenn die Priester beginnen zu schweigen. Und selten hat es mit Gott zu tun. Sie schweigen, wenn sie sich neue Gesetze ausdenken und törichte Strafen für unsere Menschlichkeit. Zacharias war anders, das spürten alle. Wenn Zacharias schwieg, musste er nachdenken.

Schweigen ist eine Form des Redens, die zumindest nicht sofort verletzt. Und kann mich erinnern an so viele Worte, von denen ich heute froh bin, ja dankbar, dass ich sie nie gesagt habe. Und die gesagten wären oft besser Schweigen gewesen.

Er hat es nicht ausdrücklich gesagt, dachte Zacharias. Aber konnte es mit seiner Gottesfurcht zusammenhängen. Oder waren das eitle Gedanken. Vielleicht die ersten in seinem ganzen Leben. Und er schämte sich. Und doch, das würden alle sagen über ihn, und er schwieg jetzt eisern. Untadlig waren beide, Zacharias und Elisabet, in allen Geboten und Satzungen des Herrn. Bei vielen würden wir es für einen Fluch gehalten haben, dass sie kinderlos waren. Nicht bei Zacharias und Elisabet. Sie waren gesegnet. Jetzt durfte es offenbar werden, nach allen Entsagungen.

Warum der Engel seine heiligen Handlungen unterbrach, ausgerechnet zur Rechten des Räucheraltares? Er konnte nur ahnen, dass es vor Gott Wichtigeres gab. Unterbrechenswert, das was wir heilige Ordnung nennen. Schon allein das ist Botschaft und keine geringe. Als Zacharias dem Engel widersprach, begann sein längstes Schweigen. Es war ihm auferlegt, zum schweigenden Zeichen zu werden für die allzu Beredten. Ob es auch eine Strafe war? Zacharias glaubte an Strafen und sein Sohn wird es auch tun. Er wird von der größten Strafe in Worten sprechen, die ganz Jerusalem zum Zittern bringen werden. Weder Wein noch starkes Getränk wird er trinken und schon von Mutterleib an mit Heiligem Geist erfüllt sein. Aber es wird auch sein der Geist des Gerichtes und der Strafe Gottes für alle, die hinabzogen, sich taufen zu lassen von ihm, dem spät Geborenen. Johannes wird sein Name sein, dachte Zacharias und wusste doch, sein Schweigen würde seinen Sohn überdauern. Tränen standen in seinen Augen, als er Elisabet umarmte. Er spürte ihre Freude um das neue Leben, das sie in sich spürte. Er spürte bereits den Schmerz seiner verzweifelten Rede.

Konnte Gott Gericht wollen, fragte sich Maria, die am Rande saß, dort wo der Sand der Wüste sich mit dem Erdreich mischte. So mächtige Worte, ein so einsames Schicksal für die beiden, die sie so sehr liebte, Zacharias und Elisabet. Und sie weinte bitterlich. Wollte nicht glauben an einen so grausamen Gott, der ein so grausames Schicksal für sie bereithielt. Es muss ein Ende finden. Und stand doch am Rande, als sich das Volk aufmachte, wieder der Angst zu folgen.

Zacharias schwieg, als er Maria sitzen sah, und das Volk tobend vor Angst. Eine neue Zeit begann, das spürten beide. Nur wie es enden würde. Das stand noch offen. Gott offenbarte beide. Johannes und Jesus. Aber das ist eine andere Geschichte.

Sind Gottes Offenbarungen zweideutig, gar mehrdeutig? Folgen sie einem Plan oder ist er unberechenbar in nur einer Generation. Oder beschließt er neue Zeiten inmitten einer Familiengeschichte, befiehlt er Gericht und Erbarmen. Oder war es bereits ein Akt des Erbarmens, die Geburt des Johannes, gegenüber zwei alten Menschen, die doch Zeit ihres Lebens an die Geburt geglaubt haben, ja sie erfleht in jedem Atemzug. Oder hat Gott mit dem Gericht nichts zu tun und ist es unsere Freiheit, die die Fügung hinein interpretieren will in allein den Akt der Barmherzigkeit, die Geburt heißt. Ist alles andere fern von Gottes Willen. Dann haben die Räucherwerkzeuge dies alles verursacht und die Strenge, die der Milde nicht weichen konnte, auch nicht im Alter. Und schwieg, Zacharias, vielleicht auch deshalb. Weil seine Sprache die Barmherzigkeit Gottes nicht mehr erreichen konnte, und sie doch herbeisehnte unter Tränen.

Ist das dein Schicksal, Zacharias? Dass du dein ganzes Leben gewartet hast auf die Geburt, aber es war nicht die Geburt deines Sohnes. Nicht Johannes. Er war nur vorläufig. Konnte nur vorläufig sein. Denn er sprach Gericht. Und das ist nie endgültig, darf es nicht sein, sprach Maria, die Mutter Jesu, noch vor seiner Geburt.

Die Verheißung – Zweiter Teil

Lk 1,26–38

War nicht sein Name Jo-channan, Gott ist barmherzig, Johannes, dachte Maria, während sie ihm zuhörte, damals in der Wüste. So viele Jahre waren vergangen. Sie konnte das Schweigen des Zacharias nicht vergessen, all die Jahre nicht. Ja, die Begegnung mit Gott, und sei es nur mit einem seiner Engel, verändert. Aber warum Schweigen. Und warum jetzt eine Rede in dieser Lautstärke. Es passt noch nicht zusammen, flüsterte sie leise dem Sand. Dem Sand, denn kein anderer war da, ihr zuzuhören.

Es sei eine Strafe gewesen, sein Schweigen, für den Mut, den Worten des Engels zu misstrauen. War es das wirklich? War es nicht viel eher die Sprachlosigkeit Gottes, die ihren Widerhall fand im Schweigen des Zacharias? Sein Name sollte ausdrücklich Barmherzigkeit sein. Aber lehren würde er Strenge und Gericht. Und nur das Einhalten der Gesetze, nicht einmal ihre Erfüllung, würde Freispruch bedeuten. Bedurfte es eines Freispruchs Gottes für diese Welt, für uns Menschen, dann standen wir unter Klage. Nicht nur eine beklagenswerte Schöpfung hatte Gott zustande gebracht in all den Generationen, sondern wusste sich gegen seine eigene Schöpfung nicht mehr anders Herr zu werden, als sie unter Anklage zu stellen durch das Wort des Johannes. War Gott verzweifelt? Konnte Gott Zweifel haben an seiner Schöpfung?

Meinst du, Johannes wusste, was es bedeutet, einen so großen Namen zu tragen, fragte Maria, als Elisabet sich zu ihr setzte, damals am Rande der Wüste, als die großen Reden begannen und das Volk sich aus Angst taufen ließ, unten am Jordan. Ist das die Barmherzigkeit Gottes. Also steht seine Barmherzigkeit doch in den Gesetzen, wie alle es denken. Auch Zacharias dachte so und dachte, Gott denke so. Denn das war sein Name, Zacharias: Gott hat sich erinnert.

Woher nahm er nur diese Strenge, fragte Maria. Elisabet weinte. Strenger als ein Pharisäer, sprach sie, fast wie ein Essener aus der Wüste. Nur lauter. Diese Welt sei am Ende? Stimmt das, Maria? Und nur mit der peinlichen Einhaltung der Gesetze wäre Gnade möglich? Das hat er nicht von mir, Maria, sprach Elisabet. Und nicht von Zacharias, sprach Maria, lächelte mild und hielt die Hand der Elisabet.

Manchmal habe ich die Hoffnung, dass ich zu gering bin, um Gottes Plan zu verstehen, sprach Maria, und legte ihre Hand auf ihren Bauch wie damals, als Gottes Geschichte begann, auch mit ihr. Es war derselbe Engel gewesen. Auch ihr wurde Geburt verheißen und auch sie empfand Furcht, als er vom Leben sprach.

Elisabet fühlte sich von einer Schande befreit, als sie schwanger wurde. Für Maria hätte es die größte Schande ihres noch jungen Lebens werden können, wäre Josef nicht gewesen. Der Engel jedenfalls wäre hilflos neben ihr gestanden, wenn sie gesteinigt worden wäre, und das wäre sie, wäre Josef nicht gewesen. Wie hilflos sind doch die Engel gegen die Freiheit der Menschen, sie zu missbrauchen. Und erst recht Gott. Der die Freiheit nie selbst akzeptieren wollte. So oft wollte er eingreifen in die Geschichte geschenkter Freiheit, so oft. Das hast du nun davon, Gott. Deine Barmherzigkeit heißt fortan Gesetz. Und der Weg zu einer neuen Welt geht nur auf Kosten der Alten, die es zu beenden gilt, und sei es durch Gerichtsbeschluss oder Taufe. Ich wusste immer, warum auch Maria schwieg, nachdem sie der Engel verlassen hatte, in jenen Tagen, da Elisabet schwanger war und sich zurückgezogen hatte für fünf ­Monate.

Dass bei Gott nichts unmöglich wäre, das war nicht die Neuigkeit, die der Engel bringen konnte. Das sagt zu allen Zeiten der gesunde Menschenverstand, falls es so etwas überhaupt je gegeben hat. Kriege gab es. Die Verzweiflung der Menschen, ihre Angst und die Ausbeutung der Verängstigten. Ja, wer mag je leugnen. Für Gott ist nichts unmöglich.

Ich habe es stets auf einen ganz einfachen Nenner gebracht, den einer meiner Lehrer mich lehrte: Stellen Sie sich darauf ein, meine Herren, hatte er einst gesagt, stellen Sie sich darauf ein: alles was möglich ist, kommt auch vor.

Warum Maria allerdings milder behandelt wurde damals von jenem Engel, der den Zacharias mit Stummheit strafte, während sie lediglich vom Heiligen Geist gesegnet wurde, hat sich mir nie erschlossen. Denn auch sie hat gezweifelt wie vorher schon Zacharias. Aber eines wusste ich immer; Gott ist undurchschaubar. Er war es immer. Einmal schlägt er, das andere Mal segnet er. Immer schenkt er Geburt. So als könne er einfach nicht ablassen von uns.