Wie die Bürokratie die Macht eroberte - George Collins - E-Book

Wie die Bürokratie die Macht eroberte E-Book

George Collins

0,0
6,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

»Wie die Bürokratie die Macht eroberte« ist eine Einführung in die Ereignisse in Russland von der erfolgreichen Revolution 1917 bis zur Machtkonsolidierung Stalins, die erstmalig in deutscher Sprache veröffentlicht wird. Das vorliegende Buch wurde 1987 von George Collins verfasst. Er war damals Mitglied der südafrikanischen Sektion des Komitees für eine Arbeiter*inneninternationale (CWI), die sich Marxist Workers Tendency of the African National Congress/ANC nannte (dt. Marxistische Arbeiter*innentendenz des Afrikanischen Nationalkongress/ANC). Ihre Hauptpublikation war »Inqaba ya Basebenzi« (dt. »Arbeiterfestung«). Das Buch wurde zu einer Zeit geschrieben, als das repressive Apartheid-Regime in Südafrika noch existierte. Wie der Text im Anhang von Peter Taaffe über die Folgen des Zusammenbruchs des Stalinismus erklärt, leitete die kapitalistische Restauration jedoch keine neue Blüteperiode des Kapitalismus ein und sind die Ideen des Marxismus heute aktueller und bedeutender denn je.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2021

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhaltsverzeichnis

Einleitung

Impressum

Autor: George Collins, Peter Taaffe

Manifest Verlag (Arnsburg, Koschitzki, Sol e.V.)

Littenstr. 106/107, 10179 Berlin

[email protected]

www.manifest-buecher.de

Vorbemerkung des Verlags

„Russland: Wie die Bürokratie die Macht eroberte“ ist eine Einführung in die Ereignisse in Russland von der erfolgreichen Revolution 1917 bis zur Machtkonsolidierung Stalins.

Die vorliegende Broschüre wurde 1987 von George Collins verfasst. Er war damals Mitglied der südafrikanischen Sektion des Komitees für eine Arbeiter*inneninternationale (CWI), die sich Marxist Workers Tendency of the African National Congress/ANC nannte (dt. Marxistische Arbeiter*innentendenz des Afrikanischen Nationalkongress/ANC). Ihre Hauptpublikation war „Inqaba ya Basebenzi“ (dt. „Arbeiterfestung“).

Die Broschüre wurde für die Mitglieder der südafrikanischen Sektion geschrieben zu einer Zeit, als das repressive Apartheid-Regime in Südafrika noch existierte. Die Apartheid war ein brutales System der Diskriminierung der schwarzen Mehrheitsbevölkerung in Südafrika.

Wie die einleitenden Bemerkungen deutlich machen, wurde der schwarzen Mehrheit vom Apartheidregime der Zugang zu einer ordentlichen Bildung verweigert. Stattdessen erhielten sie die sogenannte „Bantu-Bildung“, die völlig unzureichend war. Auf der Suche nach erfolgsversprechenden Ideen in ihrem Kampf gegen Apartheid und Kapitalismus beschäftigten sich in den 1980ern dennoch immer mehr Arbeiter*innen und Jugendliche vor allem aus der schwarzen Bevölkerung mit der Geschichte der Russischen Revolution. Aus diesen Gründen war eine Darstellung der damaligen Ereignisse und eine Analyse dessen, was in der Sowjetunion falsch lief, dringend notwendig.

Das Apartheid-Regime kollabierte schließlich 1994 nach Wellen des revolutionären Kampfes, dessen Ursprünge im Soweto-Schüler*innen-Aufstand 1976 (der als Kampf für bessere Bildung begann) und in der Gründung und dem Aufbau unabhängiger multiethnischer Gewerkschaften liegen. Die südafrikanische CWI-Sektion spielte eine Rolle bei diesen Entwicklungen.

Nicht lange nachdem die Broschüre verfasst wurde, kam es im CWI zu Diskussionen über die sich entwickelnde Krise in den stalinistischen Staaten und die daraus resultierenden Folgen. Auf einem CWI-Kongress im Dezember 1988 in Belgien sprachen diejenigen, die bald die Mehrheit im CWI werden sollten, die Möglichkeit einer „bürgerlichen Konterrevolution“ an – die Wiederherstellung des Kapitalismus in der UdSSR. (Siehe zum Beispiel Peter Taaffes „The Rise of Militant“, S. 328) Ted Grant, einer der Mitbegründer von Militant (der Vorläuferorganisation der heutigen Socialist Party in England und Wales, der dortigen Sektion des CWI) , und seine Unterstützer*innen akzeptierten diese Analyse nicht. Doch die berühmte Berliner Mauer, die das stalinistische Ostberlin vom kapitalistischen Westberlin trennte, fiel im November 1989, der Stalinismus in der Sowjetunion brach 1991 zusammen und der Kapitalismus wurde wiederhergestellt.

Leider hatten Ted Grant und seine Unterstützer*innen nicht begriffen, wie sehr sich die Weltsituation im Zeichen des drohenden Zusammenbruchs des Stalinismus verändert hatte. In Südafrika öffnete dies die Tür für einen sicheren Transfer des Kapitalismus vom wankenden Apartheid-Regime zu der zunehmend pro-kapitalistischen Führung der Massenbewegung der schwarzen Arbeiter*innenklasse. Die Revolution wurde vorläufig zum Scheitern gebracht – eine Aussicht, die auch von Vertreter*innen der späteren Mehrheit auf einer CWI-Tagung in Belgien im Dezember 1988 in Betracht gezogen wurde. Ted Grant weigerte sich jedoch, diese Perspektive zu akzeptieren und konnte eine Zeit lang einige der Führer der südafrikanischen CWI-Sektion von seiner Haltung überzeugen. Infolgedessen führten die Ereignisse nach Mandelas Freilassung im Jahr 1990 zu einer Desorientierung der südafrikanischen CWI-Führung, von der Teile erwarteten, dass die Restauration des Kapitalismus in den vormals stalinistischen Staaten eine neue Aufschwungperiode für den Kapitalismus auslösen würde.

Wie der Text im Anhang von Peter Taaffe über die Folgen des Zusammenbruchs des Stalinismus erklärt, leitete die kapitalistische Restauration jedoch keine neue Blüteperiode des Kapitalismus ein und sind die Ideen des Marxismus heute aktueller und bedeutender denn je.

Wir veröffentlichen dieses Büchlein von George Collins über die Entstehung des Stalinismus in der jungen Sowjetunion, um einer neuen Generation von jungen Sozialistinnen und Sozialisten das theoretische Rüstzeug zu vermitteln, um die Geschichte der Arbeiter*innenbewegung zu verstehen und daraus die nötigen Schlussfolgerungen für die zukünftigen Kämpfe für eine sozialistische Veränderung zu ziehen. Es ist eine hervorragende Einführung in das Thema und bietet gleichzeitig am Ende von jedem Kapitel Fragestellungen und Lesetipps zur weiteren Beschäftigung mit dem Thema. Letztere wurden durch den Verlag aktualisiert.

Einleitung

Die Aussagen des 20-jährigen Genossen Bongani, ein junger südafrikanischer Aktivist aus der Untergrundbewegug in dem Township Tumahole1, machen deutlich, wie wichtig die Beschäftigung mit der sozialistischen Theorie für ernsthafte Kämpfer*innen auf der ganzen Welt ist. Auf die Frage eines Journalisten, was unter People’s Education (dt. „Bildung für das Volk“)2 zu verstehen ist, wird er zitiert:

B: „Ich meine eine Art von Bildung, mit der alle Menschen zufrieden sind, weil sie der Entscheidungsfindung zum Wohle aller dient.

Wenn man sich zum Beispiel mit der Russischen Revolution von 1917 beschäftigt, weil Russland ein kommunistisches Land ist, wird dir die Bantu-Bildung3 dieses und jenes über den Kommunismus erzählen und wie schlecht er ist.

Sie werden einem nicht die wahren Fakten darüber erzählen, was während dieser Zeit in Russland geschah…“

J: „Würden sie gerne den Sozialismus in diesem Land sehen?“

B: „Ja, denn er wird den Kapitalismus abschaffen.“

J: „Was verstehen sie unter Kapitalismus?“

B: „Es ist ein System des Privateigentums einiger Personen, die die Produktionsmittel besitzen. Meine Eltern können von Montag bis Freitag Waren im Wert von R1,0004 produzieren, aber sie werden, sagen wir, nur R50 bekommen. Unsere Eltern werden also ausgebeutet damit bestimmte Individuen reich werden können.

Deshalb bevorzuge ich den Sozialismus, weil die Arbeiter*innenklasse die Produktion kontrollieren wird.“ (Financial Mail, Johannesburg, 31. Oktober 1986)

Es ist kein Zufall, dass dieser Genosse das Beispiel der Russischen Revolution heranzieht, um seinen Punkt zu veranschaulichen. Als erste (und bisher einzige) bewusste sozialistische Revolution bewies sie unwiderlegbar die Möglichkeit, die Herrschaft der reaktionären Klassen zu stürzen und die Herrschaft der Arbeiter*innenklasse zu etablieren.

Trotz der systematischen Verfälschung durch die kapitalistischen Medien und das kapitalistische Bildungssystem sind sich die Arbeiter*innen, die Jugend und die Bauern und Bäuerinnen (vor allem in den unterentwickelten Ländern) der erstaunlichen Umwandlung Russlands von einem rückständigen Bauernland in eine Supermacht bewusst.

Aus diesen Gründen gibt die Russische Revolution weiterhin Millionen unterdrückter Menschen Vertrauen in die Möglichkeit ihres Siegs über den Kapitalismus. Deshalb gibt es kein anderes geschichtliches Ereignis, das wichtigere Lehren für die heutige Arbeiterbewegung enthält.

Was sind die wahren Fakten? Was geschah wirklich während dieser Zeit in Russland? Mit welchem Programm eroberte die russische Arbeiter*innenklasse die Macht? Sind die grundlegenden Ziele dieses Programms noch immer für unseren heutigen Kampf gültig?

Genosse Bongani bezeichnet Russland als ein kommunistisches Land. Inwieweit wurde das Programm von 1917 in die Praxis umgesetzt? Inwieweit hat sich Russland in Richtung Kommunismus entwickelt?

Politisch bewusste Arbeiter*innen sind nicht blind gegenüber den ernsthaften Problemen, die in der Sowjetunion existieren. 1956 verurteilte der sowjetische Führer Chruschtschow5 die monströse Korruption und Repression, die die Herrschaft seines Vorgängers Stalin seit den 1920ern bis zu seinem Tod 1953 kennzeichneten. Dreißig Jahre später prangerte Michail Gorbatschow6 den anhaltenden bürokratischen Missbrauch an.

Genosse Joe Slovo, Vorsitzender der südafrikanischen Kommunistischen Partei, drückt heute seine „Wut und Abscheu“ darüber aus, dass er früher Stalins Regime verteidigte. (Interview mit dem Observer, London, 1. März 1987)

Aber Verurteilungen, Wut und Ekel helfen nicht bei der Beantwortung der eigentlichen Frage: Wie konnte in den Jahren nach 1917 in der Sowjetunion ein Regime der Massenunterdrückung entstehen? Was ist siebzig Jahre später vom ursprünglichen System der Arbeiter*innendemokratie, das unter der Führung von Lenin und Trotzki errichtet wurde, übrig?

Für Sozialist*innen ist es ausschlaggebend, diese Fragen vorbehaltlos und offen zu beantworten. Unsere kritische Betrachtung der Russischen Revolution und ihrer anschließenden Degeneration hat nichts mit dem Klassenhass der Kapitalisten auf die UdSSR gemein. Aber wir müssen „die wahren Fakten“ kennen, um die Lehren aus den Geschehnissen zu ziehen und um korrekt auf die Politik der heutigen sowjetischen Führung reagieren zu können.

Genoss*innen sollten Diskussionen organisieren, in denen diese Ereignisse und die Vorstellungen, auf denen sie basieren, analysiert werden können, in denen Fragen gestellt und Ideen debattiert werden können. Diese Broschüre ist als Beitrag zur Diskussion und als Einführung in die weitere Lektüre gedacht.

Jeder ihrer vier Teile könnte beispielsweise die Grundlage für eine Gruppendiskussion bilden. Einzelne Genoss*innen könnten Beiträge zu den Themen (Abschnitten) vorbereiten, in die jeder Teil unterteilt ist. Die am Ende aufgeführten Bücher und Broschüren sollten von den Genoss*innen studiert werden, die die Themen im Detail verstehen wollen.

Die Umsetzung dieses Studiums und das Begreifen der Lehren ist die beste Art und Weise, den Jahrestag der Russischen Revolution zu feiern.

George Collins, Oktober 1987

I. Die russische Arbeiter*innenklasse ergreift die Macht

1. Die Oktoberrevolution

Petrograd7, Hauptstadt Russlands, in der Nacht zum 25. Oktober 1917. Während der Erste Weltkrieg auf den Schlachtfeldern Europas wütet, hat die Russische Revolution ihren entscheidenden Moment erreicht. Bewaffnete Abteilungen aus Arbeiter*innen und Soldaten, organisiert durch die bolschewistische Partei, haben die Kontrolle über die Stadt übernommen. Die pro-kapitalistische Provisorische Regierung, diskreditiert und isoliert, hat aufgehört zu existieren.

Im Smolny-Institut, einer ehemaligen Mädchenschule, tagt der Rätekongress der Arbeiter*innen- und Soldatendeputierten.

Einige Delegierte sind Berufspolitiker*innen, linke Intellektuelle oder radikalisierte Armeeoffiziere. Die große Mehrheit jedoch sind Vertreter*innen der einfachen arbeitenden Bevölkerung: „große Massen von schäbigen Soldaten, schmutzigen Arbeitern, Bauern – arme Männer, gebeugt und vernarbt im brutalen Kampf um ihre Existenz.“ (John Reed, Zehn Tage die die Welt erschütterten) Was sie antreibt ist eine revolutionäre Vision von der Zukunft und eine leidenschaftliche Entschlossenheit, ihrer Unterdrückung ein für alle Mal ein Ende zu bereiten.

Bürgerliche Reformist*innen prangern die Bolschewiki an und fordern die Auflösung des Kongresses. Aber ein Delegierter der Arbeiter*innen, Bauern/Bäuerinnen und Soldaten nach dem anderen weist sie zurück im festen Willen und mit der Begeisterung der Massen, die sich zu ihren Füßen erheben.

Ein Soldat fängt die Stimmung ein: „Ich sage Ihnen, die lettischen Soldaten haben schon oft gesagt: ‚Keine Resolutionen mehr! Kein Gerede mehr! Wir wollen Taten – die Macht muss in unseren Händen liegen!‘“

Der Saal, berichtet John Reed, „bricht in Jubel aus...“

Unter stürmischem Beifall verkünden die Bolschewiki die Übertragung der Staatsmacht an die Arbeiter*innenräte. Eine „Proklamation an die Arbeiter, Soldaten und Bauern“, die von den Bolschewiki vorgelegt wurde, wird mit überwältigender Mehrheit angenommen. Sie fasst die unmittelbaren Aufgaben zusammen:

„Die Sowjetmacht wird sofort allen Völkern einen demokratischen Frieden und den sofortigen Waffenstillstand an allen Fronten anbieten. Sie wird die entschädigungslose Übergabe der Gutsbesitzer-, Kron- und Klosterländereien in die Verfügungsgewalt der Bauernkomitees sichern, sie wird die Rechte der Soldaten schützen, indem sie die volle Demokratisierung der Armee durchführt, sie wird die Arbeiterkontrolle über die Produktion einführen, … sie wird dafür sorgen, dass die Städte mit Brot und die Dörfer mit Gegenständen des dringendsten Bedarf beliefert werden, sie wird allen in Russland lebenden Völkern das wirkliche Recht auf Selbstbestimmung sichern.

Der Kongress beschließt: Die ganze Macht geht allerorts an die Sowjets der Arbeiter-, Soldaten- und Bauerdeputierten über, die eine wirkliche revolutionäre Ordnung zu gewährleisten haben.“ (Zitiert aus: John Reed, 10 Tage, die die Welt erschütterten)

Angeführt von der revolutionären Arbeiter*innenpartei, unterstützt von der Masse der armen Bauern und Bäuerinnen befreite sich das russische Volk aus der jahrhundertelangen Versklavung. Damit zerstörte es die Voraussetzungen für die Existenz des kapitalistischen Systems.

Lenin sprach am folgenden Abend vor dem Kongress. Als er sich schließlich über den tosenden Applaus hinaus Gehör verschaffen konnte, waren seine ersten Worte die Bestätigung der Aufgabe, die die demokratische Revolution auf die Tagesordnung gesetzt hatte:

„Wir gehen jetzt zum Aufbau der sozialistischen Ordnung über.“

Während der langen, harten Jahre des Kampfes, die zu dieser Nacht führten, hatten die Marxist*innen theoretisch dargelegt, was diese Aufgabe beinhalten würde. Nun mussten die bolschewistischen Führer*innen es in praktischen Begriffen erklären.

Leo Trotzki, neben Lenin der maßgebliche Führer der Russischen Revolution, sprach später am selben Abend:

„Unsere ganze Hoffnung jedoch setzen wir darauf, dass unsere Revolution die europäische Revolution entfesseln wird. Werden die aufständischen Völker Europas den Imperialismus nicht erwürgen, dann werden wir erwürgt werden – das ist unbestreitbar. Entweder wird die russische Revolution einen Kampfwirbel im Westen hervorrufen oder die Kapitalisten aller Länder werden unsere Revolution erdrosseln.“ (Zitiert aus: Leo Trotzki, Geschichte der Russischen Revolution)

Die Delegierten, berichtet ein Beobachter, begrüßten diese Worte „mit einem immensen kämpferischen Beifall“. Offensichtlich hatten Lenin und Trotzki die Gedanken und Gefühle der großen Mehrheit der an diesem Abend im Smolny anwesenden revolutionären Kämpfer*innen zum Ausdruck gebracht.

So bekräftigte das neue proletarische Regime in seinen allerersten Stunden zwei grundlegende Aussagen des Marxismus – nicht als theoretische Konzepte, sondern als Grundlagen der staatlichen Politik:

(a) Demokratie und die Lösung der Landfrage ist in einem unterentwickelten Land wie Russland nur unter der Herrschaft der Arbeiter*innenklasse möglich, was den Sturz des Kapitalismus und den Übergang zum Sozialismus mit sich bringt.

(b) Die sozialistische Revolution kann nicht auf die Grenzen eines Landes beschränkt werden; sie kann nur durch den Kampf zum Sturz des Kapitalismus im Weltmaßstab voranschreiten.

Der Rest dieser Broschüre befasst sich mit dem Schicksal der Russischen Revolution in den folgenden zehn bis zwanzig Jahren und mit der Verdrängung der Arbeiter*innendemokratie durch eine monströse bürokratische Diktatur. Aus der sorgfältigen Untersuchung dieser Entwicklungen können Lehren gezogen werden, die heute für den Kampf zum Sturz des Kapitalismus und in der nächsten Periode für den Aufbau gesunder Regime der Arbeiter*innendemokratie von entscheidender Bedeutung sein werden.

2. Die Konterrevolution

Marx und Engels hatten es für sehr wahrscheinlich gehalten, dass der Kapitalismus zuerst in den entwickelten Ländern besiegt werden würde, wo die Arbeiter*innenklasse am mächtigsten war und bereits eine industrielle Basis für den Übergang zum Sozialismus existierte.

Stattdessen zerbrach im Oktober 1917 die Kette des Weltkapitalismus an ihrem schwächsten Glied.

Die bolschewistische Regierung erbte eine rückständige Gesellschaft in einem Zustand des Zerfalls, erschöpft durch drei Jahre Krieg und eine Reihe vernichtender Niederlagen gegen Deutschland.

Die Imperialisten konnten die Herausforderung ihrer Autorität und die Bedrohung ihrer Interessen in Russland durch die Bolschewiki nicht tolerieren. Wie ein prokapitalistischer Historiker offen zugab: „Sie [die imperialistischen Führer wie Churchill und Foch] warnten davor, dass der Bolschewismus eine gefährliche Bedrohung für die Weltgesellschaft darstellt und zerschlagen werden sollte, solange er noch schwach ist.“ (J. N. Westwood, Russia 1917 to 1964)

Innerhalb Russlands bekämpften die privilegierten und reaktionären Klassen sowie die Reformist*innen in der Arbeiter*innenbewegung die Revolution mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln – Boykott, Wirtschaftssabotage und sogar der Androhung eines Generalstreiks.

Um die Aktivitäten der Kapitalisten bis zu einem gewissen Grad zu kontrollieren, wurde die Kontrolle der Arbeiter*innen über die Produktion durch ein System von Fabrik-, Regional- und Nationalkomitees proklamiert. Trotzdem erwies es sich als unmöglich, den Ausbruch des durch die Revolution entfesselten Klassenkampfes friedlich beizulegen.

Auf der einen Seite weigerten sich die Kapitalisten, sich der Kontrolle der Arbeiter*innen zu unterwerfen. Auf der anderen Seite gaben sich die Arbeiter*innen dort, wo sie ihre Macht geltend machten, nicht damit zufrieden, die Kapitalisten nur zu „kontrollieren“. Sie übernahmen die Fabriken mit allem Drum und Dran, noch bevor ihre Regierung in der Lage war, ihnen Rückendeckung und Ressourcen zu geben.

Diese Kämpfe in der Industrie bestätigten eindeutig die Perspektive, die Trotzki in seiner Theorie der „Permanenten Revolution“ (siehe Kapitel III, Abschnitt 1) erläutert. Sobald die Arbeiter*innenklasse die Macht ergreift, wird es selbst in einem rückständigen Land unmöglich, ihr Programm auf die Grenzen des Kapitalismus zu beschränken. Die Arbeiter*innen werden unweigerlich zur Enteignung der Kapitalisten und zum Programm der sozialistischen Transformation getrieben werden.

Ein bürgerlicher Historiker beschreibt die sich vertiefende Lähmung der russischen Gesellschaft, während sich der Kampf zwischen den Klassen verschärfte:

„Im Frühjahr 1918 näherte sich die russische Wirtschaft dem Punkt des vollständigen Zusammenbruchs. Das Geld verlor jeglichen Wert, die hergestellten Waren verschwanden aus den Geschäften, die Geschäfte selbst schlossen, da die normalen Handelskanäle nicht mehr funktionierten; Spekulation und Korruption waren weit verbreitet.“ (Theodore H. von Laue, Why Lenin? Why Stalin?)

Als die Lebensmittelversorgung fast zum Erliegen kam, verschlimmerte sich der Hunger in den Städten: Warum sollten die Bauern und Bäuerinnen Lebensmittel für den städtischen Markt beschaffen, wenn man selbst im Tauschhandel keine Fertigwaren erhalten konnte?

Revolutionäre Gegenmaßnahmen wurden ergriffen. Die Banken wurden angesichts ihrer anhaltenden Sabotage im Dezember 1917 besetzt und verstaatlicht. Die Arbeiter*innen übernahmen spontan immer mehr Fabriken bis zum Erlass vom Juni 1918, mit dem alle wichtigen Industriezweige in Staatsbesitz überführt wurden.

Komitees der armen Bauern/Bäuerinnen und bewaffnete Arbeiter*innenkommandos wurden organisiert, um die von den reichen Bauern (Kulaken) gehorteten Getreidevorräte zu beschlagnahmen.

Der unversöhnliche Kampf zwischen den Klassen eskalierte zu einem umfassenden Kräftemessen. Auf der Grundlage eines Bündnisses der imperialistischen Mächte mit den Kulaken, den Kapitalisten und den Resten der zaristischen Kräfte begann sich eine bewaffnete Konterrevolution herauszubilden. Der russische Bürgerkrieg wütete mit Höhepunkten und Unterbrechungen von Mai 1918 bis zum Frühjahr 1921.

Wie die Revolution zwingt der Bürgerkrieg jede*n dazu, Partei zu ergreifen – für oder gegen die Regierung. Rechte „Sozialist*innen“, Ex-Revolutionär*innen und Reformist*innen, deren Hass auf den Marxismus (wie immer) stärker war als ihre Angst vor der Reaktion, schlossen sich in großer Zahl dem Angriff auf den Arbeiter*innenstaat an.

Im März 1918 besetzten britische Truppen den Nordhafen von Murmansk und im August eroberten sie Archangelsk und schnitten Russlands Zugang zum Meer ab. Im April landeten japanische Truppen bei Wladiwostok in Ostsibirien.

„Ermutigt durch die Aussicht auf eine alliierte Intervention“, schreibt der führende bürgerliche Historiker E. H. Carr, „befürwortete der rechte Flügel der SR [der rechte Flügel der sogenannten Partei der Sozialrevolutionäre (SR), basierend auf den reicheren Bauern] auf dem Parteitag in Moskau im Mai 1918 offen eine Politik, die darauf abzielte, die bolschewistische Diktatur zu stürzen und eine Regierung zu errichten, die auf dem allgemeinen Wahlrecht beruht und bereit ist, die Hilfe der Alliierten im Krieg gegen Deutschland anzunehmen‘“ (E.

---ENDE DER LESEPROBE---