Wie ich mich selbst kennenlernte - Lisa S. - E-Book

Wie ich mich selbst kennenlernte E-Book

Lisa S.

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Beschreibung

"Die Vergangenheit war gemein zu mir", sagte sie immer und immer wieder. Mit dem Buch "Wie ich mich selbst kennenlernte" verschafft die Autorin persönliche Einblicke in die Gedanken und Gefühlswelt eines psychisch kranken Menschen. Dadurch gibt sie Betroffenen eine Stimme und Angehörigen einen Ratgeber mit an die Hand, eine kaputte Psyche besser zu verstehen. Einmal den perfekten Körper zu besitzen, das wollte sie, denn es gab Menschen in der Vergangenheit, dir ihr das Gefühl gaben, nicht gut genug und eine Belastung zu sein. Daraufhin fängt sie an zu hungern bis ins gefährliche Untergewicht, doch zu der Zeit sprach niemand von einer Essstörung geschweige denn von Magersucht. Auch die Angststörung und die Gemütskrankheit Depression machen ihr das Loslassen zu einer enormen Herausforderung. Sie ruft sich deshalb immer wieder in Erinnerung, dass Heilung Zeit braucht und Genesung nie geradlinig verläuft. "Es ist vollkommen okay, nicht okay zu sein!"

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 213

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Ich will leben ohne Diagnosen

F32.1 Mittelgradige depressive Episode

F50.- Essstörung

F50.0- Anorexie Nervosa (Magersucht)

F41.1 Generalisierte Angststörung

F40.1 Soziale Phobie

F43.2 Anpassungsstörung

F60.6 Ängstlich-Vermeidende Persönlichkeitsstörung

R00.0 Herzrhythmusstörung

Der Weg daraus ist der Weg dadurch!

Inhaltsverzeichnis

ALLER ANFANG IST SCHWER …

Wer bin ich?

MEINE GESCHICHT

- Die andere Art von Schmerz

DEPRESSION

- Mein Stimmungszerstörer

Emotionale Vernachlässigung

Was man besser umgehen sollte

Was bedeutet depressiv zu sein für mich

Gefühle

Nur Dir gewidmet

Selbstverletzung

Suizidalität

Alltag mit Depression

ESSSTÖRUNG (ES)

– Ich wollte verschwinden

Auf den Spuren der Magersucht

Glaubenssätze und Affirmationen

Ich versuche mich bei meinem Körper zu entschuldigen

Gastbeiträge – Wie äußert sich die ES bei Euch?

Die Stimme der Anorexie im Alltag

GENERALISIERTE ANGSTSTÖRUNG (GAS)

Die Soziale Phobie - Die Angst vor Menschen

Panikattacken

Traumata

Der Grund meiner GAS

Gastbeitrag

Wie sich die Angst im Alltag äußert

ANPASSUNGSSTÖRUNG

Ich habe eine

PERSÖNLICHKEITSSTÖRUNG

Die ängstlich-vermeidende PS. (ÄVPS)

ZWANGSSTÖRUNG

Gastbeitrag

BORDERLINE

Die emotional instabile Persönlichkeitsstörung (BPS)

Gastbeitrag

Favorite Person

PSYCHIATRIE - Meine letzte Rettung

Alltag als Patient auf der offenen Station

Psychopharmaka

Briefe an mich

Kliniktagebuch

Therapie

Nur ein paar Gedanken

Kleine Reminder für Dich

Herzrhythmusstörungen

Betablocker

Gedankenexperiment

Gedankenanstöße

45 gute Grunde gesund zu werden

Fluch oder Segen

Die Sache mit Social Media

Psychische Krankheiten in der Pandemie

Tipps für Angehörige

Wie Freunde meine Krankheiten wahrnahmen

Danksagungen

Quellenangaben

TRIGGERWARNUNG

Vielleicht habe ich mit diesem Buch dein Interesse geweckt. Vielleicht haben sich Leser gefunden, die sich in genau der gleichen Situation befinden und sich einfach Einblicke in meine Geschichte verschaffen wollen. Vielleicht aber auch hast du dir das Buch zugelegt, weil du jemanden kennst, dessen Leben gerade nicht einfach zu sein scheint und welcher bestenfalls eine Veränderung durchmacht. Vielleicht erkennst du dich aber auch wieder oder du bist selbst von diesen Krankheiten betroffen und weißt wie sich das Leben mit solchen Diagnosen anfühlt. Vielleicht kennst du mich aber auch und möchtest mehr über meine Gedanken und Gefühlswelt erfahren. Ich möchte keinesfalls jemanden dazu zwingen das Buch zu lesen.

Ich möchte der Endstigmatisierung ein Stückchen entgegenkommen. Dieses Buch soll in erster Linie aufklären, dabei ist es ganz egal, ob du psychisch erkrankt oder ein Angehöriger bist, denn wie ich finde, ist mentale Gesundheit ein sehr wichtiges aber leider auch ziemlich tabuisiertes Thema in unserer Gesellschaft. Wir sollten mehr über psychische Krankheiten sprechen und uns stark machen. Wir sollten offener damit umgehen, sowie auch Menschen die Chance geben, sich anerkannt und zugehörig zu fühlen. Wir sollten ihnen das Gefühl geben, dass es okay ist nicht okay zu sein und es sich lohnt zu kämpfen. Wir müssen laut werden und uns zeigen. Auch wenn sich das Meiste im Kopf abspielt, ist es immer noch eine Krankheit, die ernst zu nehmen ist. Mentale Gesundheit geht uns alle etwas an, denn auch, wenn dir in deinem Umfeld keine Person bekannt ist, die betroffen ist, gibt es genug unter uns, die still und heimlich leiden.

Ich möchte deshalb ganz unverhüllt und lebensnah über meine Vergangenheit schreiben, weil ich Menschen damit helfen möchte psychische Krankheiten besser zu verstehen und darüber hinaus Hoffnung und Mut mit auf den Weg geben. Seid für Menschen da, sie werden für eure Unterstützung sehr dankbar sein. Das Buch wird sicher Stellen erhalten, die dich als Betroffener an traumatisierende oder belastende Zeiten aus deinem Leben erinnern und gegebenenfalls triggernd sein können. Es könnten ungewollte Flashbacks auftreten. Ich möchte deshalb hier ausdrücklich auf Triggerwarnung hinweisen, da ich mich dafür entschieden habe, ein Buch zu schreiben, indem Leser hautnah in meine Geschichte eintauchen können ohne Verschleierungen. Ich möchte euch in diesem Buch offen und ehrlich gegenübertreten, denn was würde mir eine Lüge bringen.

Ich bin keine Therapeutin und habe auch nicht Psychologie oder ähnliches studiert, deshalb beruhen die Texte, sowie jegliche Gedichte und Tagebucheinträge, auf eigenem Wissen und Erleben dieser Störungsbilder. Dazu wäre erwähnenswert, dass dies lediglich meine eigenen Erfahrungen und Symptome sind und deshalb bei jedem Menschen stärker oder schwächer auftreten können beziehungsweise sich auch andere Symptome zeigen. Ich bedanke mich hierbei schon einmal, dass du dich für mein Buch interessierst oder es sogar schon einen Platz in deinem Bücherregal gefunden hat. Ich hoffe, ich kann jemandem helfen sich selbst besser zu verstehen und möchte dir sagen, dass du nicht alleine bist, denn das bist du niemals. Du bist stark und kannst es daraus schaffen, denn du verdienst es glücklich und geheilt zu sein!

1.ALLER ANFANG IST SCHWER

Ehrlich gesagt kommt es mir immer noch in meinem Kopf wie ein Traum vor. Ich hegte und pflegte ihn lange Zeit, bevor ich erst über dieses Vorhaben sprach. Ich wusste, dass ich später mal ein Buch schreiben wollte, ein eigenes Buch, über meine Vergangenheit. Aber mir fehlte stets der Mut und die Motivation. Manchmal dachte ich sogar darüber nach, einfach drauf loszuschreiben, doch ich verwarf ganz schnell diese Idee wieder. Ich war schon immer ein Mensch, der nach kurzer Zeit, nachdem ich etwas Neues angefangen hatte, aufgab. Ich überlegte mir doch einst wie ich dieses Buch beginnen sollte. Es war einmal, klang mir zu sehr nach einem Märchen. Ich fand einfach nicht die richtigen Worte und es fühlte sich in dem Moment auch ziemlich falsch an, meine Vergangenheit auf Papier zu bringen.

Ich schrieb liebend gerne Gedichte und emotionale Texte, nicht nur für mich. Kurzfassen konnte ich mich dabei selten, denn auch Geburtstagsgedichte und Abschiedsreden erstreckten sich oftmals über mehrere Seiten. Ich wusste, dass ich Talente besaß und das kreative Schreiben unteranderem war definitiv eines davon.

Den Wunsch, ein eigenes Buch zu schreiben, hatte ich über die Jahre hinweg nicht vergessen. Ganz im Gegenteil, der Traum verfestigte sich immer mehr und ließ mich schlichtweg nicht los. Aber, wenn ich mir etwas in den Kopf setze, dann tue ich alles dafür, um Träume nicht nur Träume bleiben zu lassen. Ich lasse sie zur Wirklichkeit werden. Ich hätte mir gewünscht, dass es mehr Bücher gegeben hätte, ich mich mehr mit diesen Themen hätte auseinandersetzen können und ich mehr Klarheit über mentale Gesundheit bekommen hätte. Eigene Biografien machen komplexe Themen sehr viel verständlicher und setzen da an, wo Belastung im Alltag anfängt, nämlich mitten im Lebensgeschehen. Vereinzelt gibt es schon wirklich tolle Bücher von Autoren und Autorinnen, die selbst betroffen sind. Aber nun sitze ich hier vor meinem Laptop und fange an meine eigene Geschichte abzutippen. Weil ich den Mut zusammengefasst habe und ich dazu bereit bin sie mit Euch zu teilen. „Mach es, wenn es dir guttut“, sagte die Therapeutin. Dennoch bin ich ganz aufgeregt, euch an meinem vergangenen Leben teilhaben zu lassen.

Aller Anfang ist mühselig und schwer, aber wir alle fangen klein an und entwickeln uns weiter zu etwas ganz Großem. Warum ich dieses Buch schreibe, na, ganz einfach, weil ich mich nicht verstecken will, nur, weil ich psychisch krank bin. Ich weiß, ihr werdet die Geschichte vielleicht nicht für wahr halten, aber ich tue das alles für mich und meine Seele. Ich will ein freier Mensch sein und das kann ich nur, wenn ich endlich anfange auf mein Herz zu hören und aufhöre auf meine Familie zu hören. Ich will damit niemandem weder zu nahe treten noch angreifen, aber was passiert ist, ist nun mal passiert. Und das möchte ich loslassen. Aber lasst uns abtauchen in die Geschichte der Vergangenheit eines Mädchens. Ich freue mich, dass du dich dafür interessierst und wünsche dir eine angenehme Zeit zum Lesen. Fühl dich gedrückt von mir.

BEVOR DU WIRKLICH ABTAUCHST IN DIE GESCHICHTE

Eines möchte ich Dich jetzt noch fragen, wenn du diese Frage mit Ja beantworten kannst, dann darfst du anfangen zu lesen.

Fühlst du dich bereit dazu Trigger auszusetzen und bist psychisch stabil genug, dieses Buch zu lesen?

Solltest du verneint haben, dann ist das vollkommen okay für mich, denn ich möchte auf keinen Fall jemanden dazu zwingen dies zu lesen und möchte auch ungern, dass es dir dabei nicht gutgeht. Also frage dich gegebenenfalls erneut, ob du das wirklich willst und kannst. Wenn nicht, bedanke ich mich dafür, dass du es versuchen wolltest. Passt auf euch, eurer Herz und eure Seele auf, ihr seid wertvoll!

IT IS OKAY TO NOT BE OKAY!

1.1 WER BIN ICH?

Ich heiße Lisa, aber eigentlich werde ich lieber Lieschen genannt. In meiner Kindheit wurden mir viele verschiedene Spitznamen gegeben, mit denen ich mich nicht wirklich anfreunden konnte. Doch „Lieschen“ schien nicht nur meiner Familie zu gefallen, der Spitzname hatte sich auch bei Freunden schon nach kurzer Zeit eingebürgert und erfreute sich stetiger Verwendung. Auch bei meinem Fahrlehrer fand er in meiner Ausbildungszeit über Verwendung. Ich bin nicht besonders groß, so wie es die Gene wollten, zählte man mich oft zu den Kleinen der Herde. Lisa wurde mir nach und nach zu einem ungewollten Fremdwort meines Wortschatzes. Doch auch ich fand meinen Namen nicht besonders schön und einzigartig genug. Jahre gingen ins Land und auch bis heute trage ich stolz meinen Spitznamen, weil ich selten mit meinem eigentlichen Namen Lisa angesprochen wurde.

Viele werden mich von Social Media kennen, denn dort lassen sich einige Ausschnitte aus meinem Leben finden. Auf Instagram findet ihr mich unter dem Namen @lisastraumagedanken. Wer mag, kann bei Gelegenheit vorbeischauen und mir dort gerne folgen, ich freue mich immer über neuen Zuwachs. Inzwischen sind wir schon eine Community von 700 Menschen. Das sind für mich unglaublich viele Menschen, die sich auf meinem Profil verirrt und auf „abonnieren“ gedrückt haben und es kommen täglich neue Anfragen hinzu. Ich bin jedem Einzelnen sehr dankbar für den tatkräftigen Support.

Hier habe ich vor einiger Zeit angefangen mein Leid in Worte zu fassen. Ich suchte nach Menschen, die mit genau den gleichen Problemen belastet waren und mir zuhörten. Die meine Texte lasen und mich verstanden in all dem Trubel in mir und um mich herum. Ich fing an auf meine Vergangenheit aufmerksam zu machen und schon bald fanden sich Menschen, die auch Negatives hatten erleben müssen. Ich hatte mir Raum und Platz geschaffen, von dem zu erzählen, was passiert war, mit mir und meinem Leben. Die Vergangenheit hat mich verändert, sie hat mich so vieles durchmachen lassen müssen und dann war sie auch noch ziemlich gemein zu mir. Sie formte mein heutiges, ängstliches Ich. Meine wahre Identität hatte ich nie gefunden. Ich war mir dessen lange Zeit nicht bewusst, wer ich war, weiß immer noch nicht, wer ich eigentlich bin, was mich ausmacht und wer ich in der Zukunft sein möchte. Ich habe nie erfahren dürfen, wer ich hätte sein können, denn dafür waren die Umstände und das soziale Umfeld nicht gegeben. Es stellt sich als eine mir endlose Suche nach dem wahren Sein dar. Das Buch trägt deshalb den Titel „Ein Mädchen auf der Suche nach ihrem wahren Sein“. Vielleicht finde ich durch Zufall mein wahres Ich, durch den Prozess des Schreibens meiner Geschichte. Vielleicht verstehe ich dann was mich geprägt hat und finde zu mir selbst. Eines muss ich jedoch noch zu verstehen lernen: „Ich bin nicht diese Diagnosen“.

2. MEINE GESCHICHTE DIE ANDERE ART VON SCHMERZ

Ich erblickte das Licht der Welt am 19.06 im Jahre 2001. Seit diesem Tag war mein Leben ein wahres Auf und Ab. Worauf ich mich aber immer verlassen konnte war mein Teddybär, denn den hatte ich immer bei mir. Es war mein heimlicher Freund, mein Seelentröster und ein Retter in Not. Ich war ein Kind, das viel schrie und oft in den Arm genommen werden wollte. Wenn man mich selbst auf diese Weise nicht trösten konnte, dann betrachteten ich und mein Vater den Sternenhimmel, auch mitten in der Nacht. Das konnte mich für einen Moment beruhigen. Ich konnte schlecht mit Verlust umgehen, jedes meiner Haustiere war ein totaler Einsturz meiner kleinen Welt. Ich hatte nur schwer Abschied nehmen können, weil sie das waren, worauf ich mich verlassen konnte, ihre unendliche Treue und Liebe. Doch manchmal waren meine Eltern überfordert mit mir, weil ich so viel schrie.

Eigentlich versuchte ich stets ein fröhliches Mädchen zu sein zumindest extern. Doch zeigte sich sehr oft nur die schüchterne, eher zurückhaltende Lisa. Das haben meine Lehrer damals auch schon so über mich gesagt und in meinem ersten Zeugnis niedergeschrieben. Dafür war ich ein sehr ordentliches und zuverlässiges kleines Mädchen, das meistens brav ihre Aufgaben erledigte. Meine Cousine und ich gingen in der Grundschule vier Jahre zusammen in eine Klasse und ein paar Freunde hatte ich auch an meiner Seite. Allerdings hatte ich schon immer das Gefühl, und das ist heute gewiss auch noch so, anders zu sein. Ich war nicht wie meine Mitschüler, makellos und schön. Ich war schon sehr früh mit Mobbing konfrontiert worden und diesem war ich immer nur alleine hilflos ausgesetzt. Meine Augen waren nicht so, wie andere sie gehabt haben, meine waren im Verhältnis „klein“ durch die genetische Veranlagung. Ich trug zeitweise eine Brille und war nicht die Dünnste, aber auch nicht die Dickste. Meine Eltern hatten mich gut genährt, aber das wurde mir in meinen jungen Jahren immer mehr zum Verhängnis. Ich konnte mich kaum damit abfinden, dass nur ich so kleine Augen hatte und andere schöner aussahen, als die kleine Lisa. Mich beschimpfte man mit den Worten „Reisfresserin“, „Japsenauge“ und immer wieder musste ich „Schlitzauge“ hinnehmen, ohne Widerworte. Wenn sie mir ins Gesicht sahen, machten sie sich lustig über meine Augen und imitierten eben genau diese kleinen Augen eines Asiaten. Ich wurde daher auch oft gefragt, ob ich aus China komme oder meine Eltern Asiaten wären. Doch ich konnte diese Frage immer wieder dankend verneinen, auch wenn sie diesen Zusammenhang nicht verstanden, warum ich solche Augen hatte. Ich fühlte mich selbst damit schrecklich und wünschte mir schon damals, dass die Gene es anders mit mir hätte meinen sollen. Aber mein jüngeres Ich war zu ängstlich und zu scheu, um ihren Standpunkt der Dinge selbstbewusst in Worte zu fassen. Ich kann mich noch genau daran erinnern, dass ich oft nachmittags Tränen vergossen habe, weil mir die ganzen Anschuldigungen ziemlich nahegingen, aufgrund meines Aussehens. Das Mobbing verstärkte sich in den weiteren Jahren der weiterführenden Schule. Ich hatte stets nie den Mut dazu gefunden, mich Lehrern anzuvertrauen. Ich dachte, das wird schon irgendwann wieder vorbeigehen, wenn ich nicht weiter darauf eingehe. Aber die heimlichen Tränen zuhause, davon konnten sie nicht Notiz nehmen und sahen auch nicht, dass mir das wehtat. Schließlich suchte ich dann das Gespräch bei meiner Klassenlehrerin, die mir zuhörte und neue Hoffnung gab. Das Mobbing flachte weitgehend ab, darüber war ich froh und dankbar. Doch das änderte nichts an meinen Augen.

Als mein Bruder auf die Welt kam und Teil unserer Familie wurde, lernte ich zu teilen und ein liebevolles Miteinander. Mein Bruder ist das Wertvollste, was Gott mir jemals geschenkt und an die Seite gestellt hat. Ich machte mich mit der neuen Aufgabe vertraut, nun große Schwester zu sein und meine Eltern nicht mehr alleine für mich zu haben. Das passte mir nicht so wirklich, denn ich war sehr anhänglich und suchte stets Schutz bei meinen Eltern. Es war nebensächliches von dessen, was intern in der Familie seinen Weg ging. Ich fühlte mich als Kind wie ein Zwischenpol von meinen Eltern, die aus jeder Fliege einen Elefanten machten. Gestritten wurde alltäglich, das war so üblich.

Achtung Triggerwarnung es folgt Beschreibung des Traumas. In diesem einen Moment, als sie mit einem Messer vor mir stand, und sich das Leben nehmen wollte, bekam ich Angst, sie zu verlieren. Es waren Sekunden, die mir zeigten, wie überfordert ein Mensch wirklich sein kann, um zu lebensbedrohlichen Mitteln zu greifen. Was ich allerdings in diesen Sekunden hatte ansehen müssen, traumatisierte das junge Mädchen namens Lisa. Ich kann nicht genau sagen, wie alt ich zu diesem Zeitpunkt gewesen bin. „Ich springe jetzt vom Balkon“ oder „Ich bring mich um“, sagte sie immer und immer wieder in meiner Gegenwart, doch niemand nahm mich vor solchen schlimmen Aussagen in Schutz. Wir konnten sie Gott sei Dank jedes Mal beruhigen und aufhalten, dies nicht zu tun. Mir fehlen die Erinnerungen an das alltägliche Leben, nur Situationen, die den Kern des Traumas gebildet haben, sind hängengeblieben und aus meinem Kopf abrufbar. Wir verbrachten als Kinder viel Zeit bei den Großeltern, damit wir nicht allzu viel von den Auseinandersetzungen mitbekamen. Ich mochte es nicht, von meinen Eltern wieder abgeholt zu werden und rannte deshalb ein paar Runden ums Auto, bis sie entweder ohne mich fuhren, mich eingefangen hatten oder wütend wurden.

Doch was wirklich Liebe für meinen „Vater“ bedeutete, war schneller Partnerwechsel, damit der Herzschmerz nicht zu groß ist. Er ist geflohen, weil die Ehe in eine mächtige Krise geraten ist und suchte nach einem Ruhepol. Er traf sich mit einer neuen Dame, mit der er schnell eine Beziehung mit Kinderwunsch einging. Zuhause war es still und damit laut zugleich. An dem Tag, an dem er seine Koffer packte und auszog, dachte ich, dass ich ihn nie wiedersehen werde. „Schau mal Lisa, dein Papa zieht aus“, sagte meine Mutter. Das Leben zog ihn in die Straße nicht weit von uns entfernt. Wenn er uns besuchen kam, war die Stimmung zumeist sehr angespannt. Nur, dass er mit seiner Freundin ein Kind erwartete, konnte keiner wissen. Als er uns die Nachricht freudig überbrachte, dass wir ein Halbbruder bekommen haben, blieben uns die Herzen stehen. Das Glück konnte ich kaum in Worte fassen, denn wir waren seine großen Geschwister.

Triggerwarnung zum Thema Gewalt. Eines Tages, daran kann ich mich noch sehr gut erinnern, als er nach uns schaue wollte, schlug er die Wohnungstür mit dem Ellenbogen auf, weil man ihm den Eintritt verweigerte. Zuhause wurde das sicherheitshalber das Haustürschloss gewechselt. Es begann die Zeit, in der meine Eltern getrennte Wege gingen, für meinen Bruder und mich auf schmerzhafte Weise. Wir mussten raus, raus aus unserem Geburtshaus und raus aus unserer Heimat. In eine Unterkunft, die uns ein neues Zuhause bot. Wir wollten alle neu anfangen, das Alte hinter uns lassen, so stellten wir uns das im Großen und Ganzen vor. Doch darauf folgten viele Gerichtsverhandlungen und in diesem ganzen Trubel blieb ganz wenig Zeit für die Bedürfnisse der Kinder. Ich und mein Bruder steckten inzwischen mittendrin zwischen gehen und bleiben, Hass und Liebe, Wahrheit und Lüge zwischen Lachen und Weinen. Und ich glaube ich hatte einfach nur Angst aufgrund der hasserfüllten Stimmung und der unmenschlichen Anschuldigungen. Ich wollte ausbrechen, doch es ging nicht, weil ihr mich festgehalten habt. Dieses dauernde Hin und Her machte weder mir noch meinem Bruder Spaß, aber nichts konnte uns beide voneinander trennen. Wir wuchsen zusammen, auch wenn sie versuchten uns auseinanderzureißen. Ihr habt uns belogen, weil ihr nicht die Schuldigen sein wolltet, dass es nicht mehr mit euch beiden geklappt hat. Ich hatte das Gefühl, mich schuldig fühlen zu müssen, weil ich nicht artig genug war und ihr euch deswegen gestritten und schließlich getrennt habt. Ich habe gedacht, ich bin schuld, dass die Ehe ein Ende gefunden hatte. Eure Worten waren ein Ausdruck von unendlichem Hass und Wut. Auch, wenn eine Seite die Schuld nicht hatte annehmen wollen, gibt es immer zwei Seiten der Geschichte. „Ein Hund alleine beißt sich nicht“, wie es so schön heißt, aber davon war eurer Meinung nach, nicht die Rede.

Ich mochte Eines nicht und das waren Gespräche, die ihr vor uns heimlich abgehalten habt, aber meine Ohren waren zum Glück nicht taub. Ich habe verstanden was ihr im Schilde geführt habt, welche Menschen ihr am Liebsten wortwörtlich ans Kreuz nageln wolltet und von wem ihr glaubtet ein Kinderschänder zu sein. Eure Worte waren nicht human, nicht fair und nicht in Ordnung. In unserer Gegenwart habt ihr die liebevollen, guten und barmherzigen Menschen gespielt, doch was ihr nicht wusstet, war, dass ich eure Pläne als kleines Mädchen durchschaut hatte. Was ich an Worten mitbekommen hatte, konnte ich nicht aussprechen, weil ich Angst hatte, eine Verräterin und ein böses Kind zu sein. Ich schluckte all eure Anschuldigungen und Beleidigungen, die ihr mit Taten untermalt habt. Das Leben als Kind war ein Leben unter permanenter Kontrolle. Bevor ich meinen „Vater“ anrufen konnte, tüftelte ich mir einen Plan zusammen, legte mir Lügen zurecht und begab mich auf die Suche nach einem Versteck, wo mich keiner sah, hörte oder rausholen konnte. Kontakt zum „Vater“ war so gut wie untersagt, wurde deshalb streng überwacht, aber es gab Momente, da konnte ich es heimlich wagen. Aber ich musste mich hüten vor den Fragen, wenn ich erwischt werden würde, was hätte ich sagen sollen und wie hätte ich mich wehren können? Ich fühlte mich wie in einem Gefängnis sitzend und nur unter Aufsicht Kontakt nach außen haben zu dürfen. Wir durften nirgendwo alleine hin, ohne vorher gesagt zu haben, wo wir genau hingehen. Und das war Kontrolle, manchmal hatte ich das Gefühl, ihr habt uns nach chinesischem System unter bestmöglicher 24 Stunden Kontrolle erzogen. Da gab es keine Kinderrechte, die uns erlaubt hätten, freie und selbstbewusste Menschen zu werden. Ich bin sauer auf Personen, die diese Zeiten, zu ganz grausamen Jahren gemacht haben. Ich hasste diesen gerichtlichen Zeitplan, wer, wann und wo sein darf. Ausnahmen waren strengstens untersagt. Ich wollte das alles nicht, hin und hergetrieben zu werden. Ich wollte ganz sehr, dass sich meine Eltern wieder vertragen würden, aber es gab kein Zurück mehr, was mich unglaublich sehr belastete. Als Kind war ich davon überzeugt, dass sie irgendwann wieder zusammenfinden und alles gut werden würde, doch das sah in der Realität leider anders aus, als ich es mir wünschte. Ihr wurdet so sehr von Hass getrieben und habt immer nur den „Vater“ als den Schuldigen hingestellt. Immer wenn wir sonntags abends nach Hause zur Mutter gefahren wurden, mussten wir uns auf allerlei Fragen einstellen, die unsere Mutter brennend interessierten, wodurch es ihr möglich war Nachforschungen zu betreiben. Wo konnte sie das besser, als die eigenen Kinder als Quelle zu nutzen? Ich mochte das Ausfragen nicht besonders gerne, aber wir mussten brav Antworten geben, anderenfalls waren wir böse Kinder. Ich fing an Lügen zu erzählen, weil ich nicht wollte, dass sie die Wahrheit erfuhren und sie sich über die Familie lustig machten. Ich wollte daraus ein Geheimnis machen, weil mir die Fragen im höchsten Grade unangenehm waren.

Die frisch gebackene Mutter und Freundin meines „Vaters“, mochte ich nicht. Sie war von ihrer Art her, sehr impulsiv, kaltherzig und handelte sehr eigennützig. Ihr aggressives und angstmachendes Verhalten half ihr mit Frustrationen und Problemen im Alltag klarzukommen. Wir waren eine Patchworkfamilie aus 6 Personen, doch ich wollte nie Teil einer Patchworkfamilie und gewiss auch nicht dieser Familie sein. Da gab es so manch einmal ziemliches Durcheinander und viele Streitereien. Ich war nicht nur große Schwester, sondern ich war das einzige Mädchen neben drei Jungen. Ich war meistens diejenige, die sich alleine im Zimmer einschloss und ins Bett verkrümelte. Ausschau hielt nach mir selten jemand, denn die drei Jungen sorgten für genug Aufmerksamkeit und Auslastung. Sie strapazierten die Nerven eines Jeden, der sich im Haus befand. Ich war machtlos gegen drei Jungen, die sich wie Verbündete zusammenschlossen. Aber die Frau wusste, wie man Ruhe in Streitsituationen bringt, indem sie selbst herumschrie, sodass man ihre Stimme schon aus der Ferne wahrnehmen konnte. Bei ihr musste man detaillierte Erklärungen für ungünstiges Verhalten abgeben, aber auch das konnte ich nicht ausstehen. Die Frau verbreitete ganz viel Angst und Gründe, lieber abhauen zu wollen.

Nebenbei versuchte ich meine Leistungen in der Schule aufrecht zu erhalten und mir von all dem, was in der Familie schieflief, nichts anmerken zu lassen. Ich fühlte mich einfach nirgends wohl, außer bei den Großeltern väterlicherseits. Sie versprachen immer einen Rückzugsort, viel zu essen und mehr als eine Handvoll Liebe. Ich wollte irgendwann ein paar Jahre später ausziehen, mich für ein Leben in meinem Heimatort entscheiden. Ich war dieses ganze Chaos mit dem Zeitplan total leid und entschied mich darum, zu meinem „Vater“ zu ziehen. Das war echt mit außerordentlich viel Stress und Schuldgefühlen verbunden. Damals dachte ich, das wäre leicht in die Tat umzusetzen, aber ich hatte mich Gesprächen mit Rechtsanwältinnen stellen müssen, hatte ihnen mutig mein Standpunkt und den Stand der Dinge erklären müssen, wieso, weshalb und warum ich mich so entschied. Ich glaube, ich kannte fast die Räume des Gerichts auswendig, aber als ich einst, selbst vor dem Richter hatte aussagen müssen, fehlte mir die Kraft. Ich hatte panische Angst und klammerte mich an meinen „Vater“, der versuchte für seine Tochter einzustehen und da zu sein. Ich fürchtete mich die Wahrheit über meine Familie vor einem Richter zu sagen, Personen, die mir Leid zugefügt haben anzuklagen und die Erlaubnis für den Umzug zu erlangen. Ich wollte endlich frei, kein Sklave meiner Eltern mehr sein, doch ich konnte nicht. Im Nachhinein hätte ich es doch tun sollen, für meine Rechte zu kämpfen. Ich wollte meiner Mutter mit dieser Entscheidung nicht wehtun, weil sie mir leidtat, was sie schon alles hatte durchmachen müssen. Wir erhielten die Bestätigung, dass ich nun das Recht besaß einen Neuanfang zu starten. Heute plagen mich von jeher starke Schuldgefühle, diese Entscheidung getroffen zu haben, auf der anderen Seite blieben mir die Fragen größtenteils erspart.