Wie man Dinge richtig macht - Ole Thorstensen - E-Book

Wie man Dinge richtig macht E-Book

Ole Thorstensen

0,0
9,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Dies ist die Geschichte eines Dachbodens. Eines noch kalten, tristen Dachbodens in einem Osloer Mehrfamilienhaus, der einmal ein gemütlicher Wohnraum werden soll. Zimmermann Ole Thorstensen erzählt liebevoll und handfest von der abenteuerlichen Entstehung eines Gesamtkunstwerks: vom ersten Kostenvoranschlag, von der Utopie der ersten Pläne und Skizzen, vom Kaffee aus Thermoskannen und dem Teufel im Detail, von Blut, Schweiß und Tränen und dem erlösenden finalen Nagel. Es ist ein Buch über den Wert der genauen und eigenhändigen Arbeit - wie sie uns miteinander verbindet, wie sie bestimmt, wer wir sind.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Zum Buch

Dies ist die Geschichte eines Dachbodens. Eines noch kalten, tristen Dachbodens in einem Osloer Mehrfamilienhaus, der einmal ein gemütlicher Wohnraum werden soll. Zimmermann Ole Thorstensen erzählt liebevoll und handfest von der abenteuerlichen Entstehung eines Gesamtkunstwerks: vom ersten Kostenvoranschlag, von der Utopie der ersten Pläne und Skizzen, vom Kaffee aus Thermoskannen und dem Teufel im Detail, von Blut, Schweiß und Tränen und dem erlösenden finalen Nagel. Es ist ein Buch über den Wert der genauen und eigenhändigen Arbeit – wie sie uns miteinander verbindet, wie sie bestimmt, wer wir sind.

Zum Autor

OLE THORSTENSEN, geboren 1965, ist ausgebildeter Zimmermann und arbeitet seit über 25 Jahren im Baugewerbe. Sein Debüt »Tagebuch eines Zimmermanns« ist in Norwegen im Pelikanen Forlag erschienen, der von Karl Ove Knausgård gegründet wurde.

Die Originalausgabe erschien 2015 unter dem Titel »En snekkers dagbok« bei Pelikanen Forlag, Stavanger.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Der Verlag weist ausdrücklich darauf hin, dass im Text enthaltene externe Links vom Verlag nur bis zum Zeitpunkt der Buchveröffentlichung eingesehen werden konnten. Auf spätere Veränderungen hat der Verlag keinerlei Einfluss. Eine Haftung des Verlags ist daher ausgeschlossen.

Genehmigte Ausgabe Januar 2019

Copyright der Originalausgabe © 2015 Pelikanen Forlag

Published by agreement with Copenhagen Literary Agency ApS, Copenhagen

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2017 by btb

in der Verlagsgruppe Random House GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

Umschlaggestaltung: semper smile, München

Umschlagmotiv: © Shutterstock/ D Line; dwph

Illustrationen: © Jon Thorstensen und Ole Thorstensen

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN 978-3-641-24683-9V001

www.btb-verlag.de

www.facebook.com/btbverlag

Ole Thorstensen

Wie man Dinge richtig macht

Betrachtungen eines norwegischen Zimmermanns

Aus dem Norwegischenvon Gabriele Haefs und Andreas Brunstermann

Ich könnte vielen Menschen danken, möchte dabei aber niemanden vergessen. Torunn Borge ist nicht mehr da, stellvertretend für alle geht mein Dank an sie.

1

Ich bin Zimmermann mit Gesellenbrief und Meisterbrief, also das, was die meisten Menschen einen Schreiner nennen.

Als Geselle habe ich mein Fach gelernt, und als Meister habe ich gelernt, einen Betrieb zu führen. Mein Fach, also das Handwerk, hat für mich größere Bedeutung als die Betriebsführung, und daher ist mir der Gesellenbrief am wichtigsten.

Die manuelle fachliche Arbeit ist kein Mysterium. Mein Job wird auf Bestellung ausgeführt und ist gänzlich abhängig von der entsprechenden Nachfrage – dass also jemand eine bestimmte Arbeit ausgeführt haben möchte.

Ich arbeite in der Baubranche als Unternehmer, Handwerksmeister, Geschäftsmann. Alles gängige Bezeichnungen für das, womit ich mich beschäftige. Wenn man mich fragt, bin ich Zimmermann und führe einen kleinen Zimmereibetrieb.

Die kleinen Firmen führen in der Regel die kleineren Aufträge in der Baubranche aus. Große Unternehmen sind an dieser Art von Aufträgen eher weniger interessiert. Sie bauen neue Stadtteile, Siedlungen, Krankenhäuser, Schulen und ab und zu einen Kindergarten oder ein kleineres Geschäftshaus.

Die Kleinunternehmen dagegen kümmern sich um neue Bäder, tauschen Fenster aus oder errichten Garagen. Viele neue Einfamilienhäuser werden ebenfalls von Kleinbetrieben gebaut, und manchmal errichten sie auch ganz kleine Dinge wie Briefkastenstative. Ein Großteil der Instandhaltungs- und Modernisierungsarbeiten in den nahezu zweieinhalb Millionen Wohneinheiten, die es in meiner Heimat Norwegen gibt, werden von Kleinunternehmen ausgeführt.

Wir sind viele und es gibt uns überall, daher versteht es sich von selbst, dass wir eine bunt gemischte Gruppe bilden. Dabei wissen wir selbst am besten, dass wir unsere Arbeit auf sehr verschiedene Art und Weise verrichten. Wir sind schnell, langsam, tüchtig, faul, griesgrämig, fröhlich, billig, teuer, ehrlich und manche sind unehrlich. All diese Beschreibungen drehen sich um unser Fach, um unser Handwerk sowie darum, wie wir es ausführen.

Ich wohne im Osloer Stadtteil Tøyen und arbeite überwiegend auch in der Stadt selbst, meistens im östlichen Teil. Gelegentlich arbeite ich auch im Westen, und ich hatte schon Aufträge außerhalb der Stadt wie etwa in Ski, Ås oder Asker. Als Zugezogener bin ich mit Oslo durch meine Arbeit bekannt geworden. Wenn ich mit anderen Menschen durch die Stadt gehe, passiert es manchmal, dass ich stehen bleibe, auf etwas zeige und sage, dass ich dort eine Tür eingesetzt, da vorn einen Dachboden ausgebaut oder gleich da drüben ein Bad eingebaut habe. Für einen Mann mit schlechtem Orientierungssinn ist das eine schöne Möglichkeit, die Stadt kennenzulernen, denn einen Bauauftrag vergesse ich niemals.

Ich habe keine Angestellten, kein Büro und kein Lager. Das Werkzeug bewahre ich in einer Kammer in meiner Wohnung auf. Dort liegt es neben der Ausrüstung und dem Material, das keinen Frost verträgt, wie zum Beispiel Leim. Schrauben, Nägel und alles andere lagere ich auf dem Dachboden. Mein Werkzeug ist sozusagen die Verlängerung meiner selbst, und dass ich damit pfleglich umgehe, verlangt der Respekt meinem Fach, meiner Arbeit und mir selbst gegenüber.

Mein Auto, ein etwas in die Jahre gekommener Lieferwagen, wird immer dort abgestellt, wo ich eine Parklücke in den nahe gelegenen Straßen finde. Jeden Tag trage ich nach der Arbeit die gesamte Ausrüstung hinauf in meine Wohnung. Es ist etwas riskant, Werkzeug im Auto liegen zu lassen. Die Fenster bieten Einblick. Und wenn der Wagen leer ist, wird sofort klar, dass es sich nicht lohnt, ihn aufzubrechen.

Meine Wohnung liegt in der zweiten Etage, was bedeutet, dass ich viel hin und her tragen muss. Inzwischen kann ich meine Aufträge ganz gut vorausplanen und weiß genau, was ich benötige, wenn ich den Wagen belade. Das spart Zeit und Mühe.

Mein Wohnzimmer ist auch mein Büro. Die Wohnung ist nicht groß, deshalb habe ich Aktenordner und Papiere in einem Schrank untergebracht, damit ich sie nicht länger als unbedingt nötig sehen muss. Die Büroarbeit muss natürlich erledigt werden, nur finde ich es etwas anstrengend, dass ich das zu Hause machen muss. Manchmal kommt mir das Ganze wie ein schwerer Rucksack vor, der immer wieder gestemmt werden muss, obwohl die Wanderung doch eigentlich schon längst vorüber ist. Ich komme nie dazu, mich wirklich auszuruhen, komme nie an einen Ort, wo ich mich umdrehen, eine Pause machen und einen Blick auf die Landschaft werfen könnte, die ich durchschritten habe. Wenn ich fertig bin, wenn die Bauarbeiten beendet sind, muss ich die Schranktüren öffnen und die Akten hervorholen, den Computer anwerfen und die Umsatzsteuer ans Finanzamt abführen, Mails schreiben, Dokumente archivieren, Formulare ausfüllen oder Angebote erstellen. Für diese Arbeiten benötige ich sehr viel Zeit. Ich sitze oft länger daran, als ich mich mit Werkzeug und Baumaterial befasse.

Meine Firma ist ein Einpersonenbetrieb mit fließendem Übergang zwischen Arbeit und Privatleben. Ich stehe in physischem Kontakt zu Material und Werkzeug, die ich benutze, und daneben bin ich untrennbar an meine Finanzen und das Ergebnis meiner Arbeit gebunden. Die Verbindung zwischen mir und meinem Bohrer, meinem Auto, dem Fußboden, den ich verlege, dem Haus, das ich baue, und schließlich der Buchführung ist stets sehr eng.

Phasenweise erlebe ich diese Verbindung als beinahe zu intensiv, wobei das nicht ausschließlich negativ gemeint ist. Es ist ein aufregendes Erlebnis, wenn mir bewusst wird, dass meine Arbeit nicht nur Bedeutung für die Kunden hat, die mich mit dem Bau oder Umbau ihres Zuhauses beauftragen, sondern auch für mich selbst. Sowohl in fachlicher als auch in finanzieller Hinsicht stehe ich allein da, ohne den Schutz, den die meisten Arbeitnehmer in ihrem Alltag für selbstverständlich erachten.

Ich lebe davon, vergängliche Dinge zu erschaffen, die ausgetauscht oder wieder abgerissen werden können. Die Dinge, mit denen wir uns umgeben, sind für unser Leben ganz entscheidend, doch andererseits auch unwichtig. Somit könnte man sagen: Solange kein Menschenleben verloren geht, ist es nicht weiter tragisch, wenn etwas abgebaut, eingerissen oder durch ein Feuer zerstört wird.

Der Auftrag, den ich gerade in Kjelsås ausführe, neigt sich dem Ende zu. Noch drei Wochen Arbeit, danach steht erst einmal nichts mehr in meinem Terminkalender. Aber so ist es immer: Ich bin mit einem Job beschäftigt und mache meine Arbeit, und gleichzeitig bin ich auf der Jagd nach dem nächsten Auftrag.

2

Ich sitze zu Hause in meinem Wohnzimmer. Aus der Stereoanlage ertönt Captain Beefheart, der Novemberabend draußen ist kalt und nass. Gestern Abend ist es spät geworden, insofern passt es gut, wenn der Kapitän singt: I went around all day with the moon sticking in my eye. Die Musik ist wie geschaffen für den Abwasch, mit dem ich mich gerade beschäftige. Aber ich werde von einem Anruf unterbrochen. Eine mir unbekannte Nummer.

»Hallo?«

»Hallo, mein Name ist Jon Petersen. Sie sind mir von Helene Karlsen empfohlen worden.«

»Helene und die Jungs, in Torshov, ja. Dann geht es wohl um eine Baumaßnahme?«

»Helene und die Jungs« sind eine Familie im Stadtteil Torshov, bei denen ich vor zwei Jahren den Dachboden ausbauen sollte. Es war ein angenehmer Job für eine nette Familie. Neben Helene gab es ihren Mann und ihre beiden Söhne, daher also »Helene und die Jungs«, wie in der französischen TV-Serie, die in Norwegen ausgestrahlt wurde. So hatte ich sie genannt, und sie fanden es lustig, glaube ich, aber gleichzeitig wird mir klar, dass Jon Petersen nichts darüber wissen kann.

»Ja, also, wir wohnen in Torshov und wollen ebenfalls unseren Dachboden ausbauen, und jetzt suche ich nach jemandem, der den Job ordentlich machen kann. Man hört ja so viele komische Sachen«, fügt er hinzu.

»Wir wollen gute Handwerker, und da Helene und ihre Familie so zufrieden waren und Sie empfohlen haben …«

Jon erzählt, dass Helene und ihre Familie mit dem Umbau zufrieden sind und dass er etwas Ähnliches mit seinem Dachboden machen möchte. Die Wohnungsbaugenossenschaft des Hauses, in dem sie wohnen, habe endlich zugestimmt, dass der Dachboden zu Wohnzwecken umgebaut werden könne. Mitunter sei es nämlich durchaus schwierig, solche Dinge in Genossenschaftshäusern umzusetzen; die Veränderung könnte zu massiv sein oder unnötig wirken. Doch nun hätten sie den Dachboden kaufen können und die Erlaubnis zum Ausbau erhalten.

»Darf ich Ihnen kurz ein paar Fragen stellen? Handelt es sich um einen Dachboden, der mit Ihrer jetzigen Wohnung verbunden werden kann?«

»Ja, wir brauchten dann eine Treppe vom Wohnzimmer zum Dachboden hinauf. Das heißt, wir haben eine Wand entfernt und nutzen jetzt ein Wohnzimmer mit einer offenen Küche.«

»Haben Sie schon Bauplan und Baugenehmigung? Haben Sie Berechnungen von einem Bauingenieur anfertigen lassen?«

Wir unterhalten uns, und Herr Petersen berichtet, dass die Planung bereits stehe und die statischen Berechnungen durchgeführt seien. Das ganze Projekt liege dem Planungs- und Baurechtsamt schon vor und werde in Kürze genehmigt. Ich erkläre ihm, dass ich die Zimmererarbeiten selbst durchführen werde, sofern ich den Auftrag erhalte. Viele Jahre habe ich mit Zulieferern zusammengearbeitet. Doch ist es ein großer Unterschied, ob man als Bauunternehmer eigene Leute einsetzt oder ob diese Arbeiten an Drittanbieter delegiert werden.

Wie sich herausstellt, ist Herr Petersen dabei, noch zwei andere Angebote einzuholen. Das ist völlig in Ordnung. Wären es jedoch fünf Konkurrenten, würde ich mich gar nicht mehr um den Auftrag bemühen. Die Chancen, ihn zu bekommen, stünden dann einfach zu schlecht.

Für Herrn Petersen hätte dies im Übrigen bedeutet, dass die besten Firmen aus dem Wettkampf ausgestiegen wären. Ich bin nämlich nicht der Einzige, der so denkt, unabhängig davon, ob ich zu den Besten gehöre oder nicht. Die guten Baufirmen nehmen die Anzahl der von den Kunden eingeholten Angebote zur Grundlage, um den Kunden einschätzen zu können. Kunden, die sich auf drei Baufirmen beschränken, haben bessere Aussichten auf hochqualitative Arbeitsergebnisse als solche, die mehrere Angebote einholen und somit die besten Handwerker von vornherein abschrecken.

Natürlich können sich Kunden zehn verschiedene Firmen heraussuchen. Sie können die Referenzen, die finanzielle Lage der Firma oder was auch immer prüfen, bevor sie die Unternehmen ihrer Wahl um ein Angebot bitten. Eine Liste über bisher ausgeführte Aufträge herauszuschicken ist für einen Betrieb nicht viel Arbeit. Wesentlich zeitraubender ist es jedoch, ein konkretes Angebot zu erstellen und Preise auszurechnen.

Sofern ich nun eine der drei Firmen bin, die unter dieser Maßgabe miteinander konkurrieren, bin ich zufrieden. Dann besteht jedenfalls eine realistische Chance, den Job zu bekommen.

Die Arbeiten, die ich für Helene und die Jungs ausgeführt habe, sind eine gute Referenz. Nicht zuletzt auch deswegen, weil die Familie seinerzeit nicht mehr als drei Angebote eingeholt hatte.

Im Laufe des Gesprächs stellt sich heraus, dass Jon Petersen bei der NSB, der norwegischen Eisenbahn, arbeitet. In der Verwaltung, wie er sagt. Seine Frau Kari ist bei der Osloer Kommunalverwaltung im Kultursektor angestellt. Er führt diese Angaben nicht weiter aus, betont aber, dass auch seine Frau sich mit Dachausbau nicht sonderlich gut auskenne. Er erwähnt das alles, um zu verdeutlichen, wie wenig sie beide über den praktischen Teil eines solchen Bauprojekts wissen und wie sehr sie auf die Person angewiesen sein werden, die den Auftrag bekommt.

Sie haben zwei Söhne und benötigen mehr Platz. Sie hatten schon angefangen, sich nach einer anderen Wohnung umzusehen, dann aber die Möglichkeit bekommen, den Dachboden auszubauen. Das Wohnhaus und der Stadtteil gefallen ihnen recht gut, und somit haben sie sich für den Dachausbau entschieden.

Bis jetzt haben beide mit der Wohnungsbaugenossenschaft und dem Architekten zu tun gehabt. Über den Architekten sind sie in Kontakt mit dem Bauingenieur und dem Planungs- und Baurechtsamt getreten.

Der theoretische Teil des Projekts ähnelt dem, womit sie selbst täglich arbeiten, und ist für sie daher verständlicher als das, was jetzt anliegt: die konkrete Baumaßnahme. Schon über ein Jahr hat Herr Petersen sich mit dem theoretischen Bauprozess beschäftigt. Es ist nicht zu überhören, dass er endlich weiterkommen will. Für mich bedeutet das, dass ich ihm nicht zu viele Steine in den Weg legen darf, oder in diesem Fall: zu viele Kanthölzer.

Die Arbeitsschritte auf dem Papier, also Bauzeichnungen und Bauplan, haben den Vorteil, dass sie veränderbar sind. Solange noch nichts davon in die Praxis umgesetzt wird, haben sie wenig Bedeutung. Gleichwohl muss ich die Papierarbeit als Teil der Wirklichkeit anerkennen und mich dazu entsprechend verhalten. Ich kann nicht einfach etwas bauen, nur um zu sehen, ob es funktioniert, und es dann abreißen und etwas Neues bauen. Zwar könnte ich das, solange der Kunde mich dafür bezahlt, aber das wird wohl kaum je der Fall sein.

Theorie ist für mich etwas, das ich in Bilder von fertigen Arbeiten übersetze. Ich zähle Schrauben, Nägel, so und so viel Meter an Material, rechne Stunden aus. In meinem Kopf entsteht ein Film darüber, wie ich dieses oder jenes bauen werde; ein Film, bei dem der Bauplan das Manuskript darstellt. Die Kunden interessieren sich in erster Linie für das Ergebnis, also für das, was sie sehen, wenn der Handwerker sagt, dass nun alles fertig ist. Doch in gewisser Weise verstehen sie einen Bauplan manchmal besser.

Ist der Job erst einmal getan, wird der Plan vergessen. Die Zeichnungen sind die Verbindung zwischen dem Dachboden im Urzustand und dem zum Wohnraum ausgebauten Dachboden.

Die Bestimmung dessen, was getan werden muss, nimmt mich am meisten in Anspruch, wohingegen Kunde, Architekt und Bauingenieur diesen Prozess häufig schon als erledigt betrachten. Diese verschiedenen Blickwinkel schaffen oftmals einen Abstand zwischen dem Architekten und dem Bauingenieur auf der einen und mir als Handwerker auf der anderen Seite.

Ich glaube, den meisten Handwerkern ergeht es wie mir: Wir vermissen den Architekten auf der Baustelle. Wir vermissen, dass Architekt und Handwerker in einen Dialog treten, um die besten Lösungen für das zu finden, was der Kunde gebaut haben möchte.

In den meisten Fällen ist auf der Baustelle kaum ein Architekt anzutreffen, und oft sind die Bauingenieure nicht einmal für Berechnungen vor Ort. Doch manchmal schaffe ich es, sie aus ihren Büros herauszulocken. Die Baulösungen werden unter diesen Umständen dann oft besser, als sie sonst geworden wären. Sowohl in finanzieller als auch in praktischer Hinsicht. Und beim Umbau eines Dachbodens wird es dann ein schöneres Zuhause.

Der Kontakt zwischen dem akademischen Teil der Baubranche und den Handwerkern hat sich im Laufe meiner 25-jährigen Erfahrung als Handwerker verschlechtert. Einerseits ist die Baubranche akademischer geworden, und andererseits sind die Handwerker immer weniger in der Lage, ihr Fachwissen einzusetzen, um auf den Bauprozess einzuwirken. In früheren Zeiten war das ein natürlicher Teil der Fachpraxis. Doch je weniger Meinungen angehört werden, desto weniger wird nachgedacht.

Ich glaube, dass viele Architekten und Ingenieure sich eine andere Kultur der Zusammenarbeit wünschen sollten, zumal alle davon profitieren würden. Lernt man keine Form der Zusammenarbeit kennen, weiß man nicht, was einem entgeht. Dies gilt für alle Beteiligten in der Branche. Leider haben wir uns so sehr an diese sektiererische Arbeitsweise gewöhnt, dass wir sie als unveränderbar hinnehmen.

Diese Spielregeln sind nicht nach den Standards eines Handwerkers aufgestellt, was bedeutet, dass der Handwerker im Umgang mit allen anderen geschickt sein muss. Denn im wahrsten Sinne des Wortes kann man hier von zwei Seiten derselben Sache reden.

3

Ich baue gern Dachböden aus.

Raumklima, Tragkonstruktionen, Brandschutz, Finish, Materialien, Kundenkontakte – all diese Dinge spielen hierbei die ganze Zeit eine Rolle. Die Wahlmöglichkeiten hinsichtlich der Qualität wirken sich sowohl unmittelbar als auch langfristig aus. Es ist eine Arbeit, bei der man die Ergebnisse sehen kann. Man beginnt mit etwas Altem, in dem viel Geschichte steckt, und am Ende kommt etwas ganz anderes und Neues dabei heraus.

Bei solchen Aufträgen kommt es mir vor, als übernähme ich die Arbeit von jemandem, der sie vor vielleicht 130 Jahren begonnen hat, um sie zu Ende führen. Als ob sich die Bauphasen zwar in langen Abständen vollziehen, aber doch eigentlich zusammenhängen. Vor langer Zeit mag der Trockenboden einmal sehr wichtig gewesen sein, heute hat er aber keine Funktion mehr. Dafür sind Dachböden in heutiger Zeit als Lagerräume wichtiger denn je, denn es gibt einfach so vieles zu verstauen. Auf einem alten Dachboden stoße ich auf Spuren, die bis zu 130 Jahre alt sein können. Und wenn ich erst einmal mit der Arbeit angefangen habe, komme ich der Geschichte des Hauses recht nahe, inklusive Wasserschäden, Wäscheleinen, alten Leitungen, Luftkanälen und vielleicht sogar Asbest.

Das Wohnhaus, in dem Herr Petersen lebt, befindet sich in der Hegermanns gate und wurde um 1890 errichtet. Elektrische Anlagen wurden in solchen Gebäuden zu Beginn des 20. Jahrhunderts üblich. Manchmal finde ich Überreste der allerersten elektrischen Anlage, die zwar nicht mehr angeschlossen ist, aber auch nie demontiert wurde. Wie etwa schwarze Stromleitungen, die von einem Porzellanisolator zum nächsten führen. Der um die Luftkanäle verbaute Asbest stammt vielleicht aus dem Jahr 1930.

Die Zeitungen, die in den Wänden und oben auf den Dachböden auftauchen, erzählen etwas über die ehemaligen Bewohner. 1930 hingen die politische Gesinnung und die Auswahl der gelesenen Zeitungen noch eng zusammen. Aftenposten und Handels og Sjøfartstidene. Wer früher diesen Dachboden nutzte, hat sicher nicht die Arbeiterpartei gewählt. Nationen wurde vermutlich von Zugezogenen aus einer ländlichen Region gelesen. Arbeiderbladet findet man am häufigsten in den östlichen Stadtteilen.

Zu Hause habe ich eine Ausgabe von Fritt Folk, der Zeitung der nationalsozialistischen norwegischen Partei, Nasjonal Samling. Sie stammt aus dem Jahr 1945 und berichtet von einem deutschen Verteidigungssieg auf breiter Front. Ich habe die Zeitung auf einem Dachboden in der Vogts gate gefunden und mich immer gefragt, wer sie aufbewahrt hat. Geschah dies aus ähnlichen Beweggründen wie den meinen, weil es sich um ein besonderes historisches Dokument handelt, oder hatte es etwas mit politischen Sympathien zu tun?

Die Dachkonstruktionen solcher Böden sind beeindruckend, schlank und präzise konstruiert. Alle Teile haben eine klare Funktion, nichts ist Zierrat, sondern beruht auf reiner logischer Physik, und es finden sich schöne, einfache handwerkliche Details. Die angewandte Bautechnik mit schwerem Fachwerk ist typisch für die Zimmerarbeiten in solchen Wohnhäusern. Oftmals wurden Buchstaben und römische Zahlen, sogenannte Abbundzeichen, als Nummerierung einer Baueinheit in die Konstruktion eingemeißelt. Eine frühe Form des Fertigbaus, die zeigt, dass der Baumeister keine Zeit verschwenden wollte, was stets einen wesentlichen Teil guten Handwerks ausmacht.

Die Baumeister jener Zeit fertigten Zeichnungen der Konstruktion an, stellten die Bauteile an Orten her, wo sie effektiv arbeiten konnten, und setzten sie auf der Baustelle schnell zusammen. So weit wie möglich vermieden sie Zufälle im Rahmen des Arbeitsprozesses. Dabei handelt es sich um eine einfache Konstruktion, aber gleichermaßen auch um eine handwerklich aufwändige Bauweise, die heute kaum noch jemand beherrscht. Ich baue im Stil unserer Zeit, mit meinem Wissen und zugeschnitten auf die Bedürfnisse von heute.

4

Jon Petersen schickt mir die Entwürfe des Architekten, die Zeichnungen des Bauingenieurs sowie eine einfache schriftliche Auftragsbeschreibung. Auf dieser Grundlage erstelle ich ein Angebot zu einem Preis von gut einer Million Kronen. Wenn der Dachboden fertig ist und Familie Petersen dort wohnt, soll alles wie auf der Zeichnung aussehen, nur hundertmal größer. Ein bisschen ist das wie mit dem Modellflugzeug, das ich als Kind zusammenbaute, abgesehen davon, dass hier das Modell des Dachbodens im Mittelpunkt steht und die Einzelteile weder vorgefertigt noch nummeriert sind.

Ich sehe mir die Zeichnungen an und weiß, dass es eine gewisse Zeit dauern wird, bis ich sie vor meinem inneren Auge sehen kann. Ich muss mich erst mal auf dem Dachboden umsehen, muss mit den Kunden reden, um zu verstehen, woran sie denken und was sie sich eigentlich wünschen. Alle baulichen Lösungen haben einen Grund. Manche sind durch die Beschaffenheit des Hauses vorgegeben, andere sind das Resultat der Vorstellungen des Kunden. Ich sage ganz bewusst Vorstellungen. Denn zwischen den Wünschen eines Kunden und dem, was der Bauplan zeigt, kann es große Unterschiede geben. Noch größer wird die Diskrepanz, wenn man die Wünsche mit dem vergleicht, was am Ende gebaut wird. Das ist ein Problem, für das ich großes Verständnis habe, denn ich brauche selbst einige Zeit, um die Zeichnungen und die zugrundeliegenden Ideen verstehen zu können. Für mich ist es leichter, einen Dachboden auszubauen, wenn ich weiß, warum er so gebaut werden soll, wie es beschrieben ist.

Den Zeichnungen ist zu entnehmen, dass der Teil des Dachbodens, der ausgebaut werden soll, eine Wohnfläche von etwas über 60 Quadratmetern hat. Am Ende soll das Dachgeschoss ein Schlafzimmer, ein Wohnzimmer und ein Bad beinhalten. Der existierende Treppenzugang zum Dachboden soll in den Raum integriert und obenauf mit einem Hängeboden versehen werden. Die Tür zum Treppenhaus markiert gleichzeitig den von dieser Etage wegführenden Fluchtweg. Der Dachboden soll über eine Halbwendeltreppe mit der darunterliegenden Wohnung verbunden werden. Der Kunde möchte einen Dielenboden aus Massivholz haben, kein Parkett. Etwas mehr Geld für den Boden auszugeben ist eine gute Idee. Dielen aus Massivholz halten länger als Parkett und sind außerdem hübscher, zumindest meiner Meinung nach. Außerdem macht es Spaß, ab und zu mal einen echten Dielenboden verlegen zu dürfen.

Ich versuche, mich in die Zeichnungen einzuleben, als ob alles schon so wie beschrieben realisiert wurde. Als stünde ich acht Monate später und um eine gute Million Kronen reicher in dem fertig ausgebauten Dachboden. Es dauert eine Weile, bis ich mich in die Vorstellung hineinfinde. Ich benötige Zeit. Und solange mir bewusst ist, dass ich mich ein wenig anstrengen muss, um den Bauplan zu verstehen, ist das alles kein Problem.

Manchmal muss ich die Kunden auch ein wenig provozieren, sie mit ein paar Extrafragen aus der Reserve locken. Sie wollen das da haben? Ja, aber wieso? Ich will sie dazu bringen, mir genau zu erklären, was sie meinen. Dann kann ich die Fragen eine Woche reifen lassen und sie erneut stellen. Meistens ist die Antwort dann klarer. Ich frage nicht nur, weil ich es selbst verstehen möchte, sondern auch, damit der Kunde begreift, wie das Ergebnis ausfällt, wenn wir so oder so bauen. Wichtig ist, dass unser Verständnis von der Baumaßnahme letztlich übereinstimmt.

Nicht zu unterschätzen ist die Tatsache, dass es der Kunde ist, der am Ende die Rechnung bezahlen soll. Auch die Persönlichkeit des Kunden muss berücksichtigt werden, ebenso wie meine eigene.

Einige Kunden haben ein starkes Bedürfnis nach Kontrolle. Bei denen muss ich geschickt agieren, um meine Meinungen und Ansichten einfließen zu lassen. Manche Kunden hingegen möchten die meisten Entscheidungen anderen überlassen.

Tun Sie, was Sie für das Beste halten, sagen sie. Damit beweisen sie zwar großes Vertrauen, können aber auch die schwierigsten Kunden sein, weil es ihnen oft schwerfällt, Entscheidungen zu treffen.

Ich muss ihnen dann begreiflich machen, dass ich für sie baue und dass die Entscheidung bei ihnen liegt. Missverstehen wir einander, sind – unabhängig vom Kundentypus – am Ende alle unzufrieden. Das zu vermeiden liegt in meiner Verantwortung.

Geld ist ein wichtiges Thema. Die Kosten dürfen nicht höher werden als das, was der Kunde bezahlen kann oder will. Dabei macht es preismäßig oftmals kaum einen Unterschied, ob Arbeiten auf diese oder jene Weise ausgeführt werden. Vielmehr geht es darum, die richtige Wahl zu treffen.

Ungeachtet dessen denken die meisten Kunden beim Bau noch an einen weiteren Aspekt, nämlich daran, was ein Immobilienmakler dazu sagen würde. Auch wenn sie eigentlich noch jahrelang in ihrem Zuhause bleiben wollen, bauen sie so, wie es ihnen im Hinblick auf einen späteren Verkauf ihrer Immobilie am vorteilhaftesten erscheint. Zusammen mit der ausgiebigen Lektüre von Einrichtungsmagazinen führt dieser Aspekt dazu, dass die meisten Wohnungen gleich aussehen. Die derzeit vorherrschende Mode, dass die Außenwände der Häuser überwiegend graue, weiße oder helle blaugraue Schattierungen aufweisen, ist ein Beispiel dafür. Gesetze und Vorschriften führen dazu, dass Bäder im Großen und Ganzen den gefliesten Räumen einer Schlachterei ähnlich sehen, in immer neuen Varianten. Küchen werden so gebaut, wie sie von Einrichtungsberatern bei IKEA, Norema oder anderen Lieferanten entworfen werden können. Wobei ein Berater in diesem Zusammenhang nicht das Gleiche ist wie ein Fachmann, also ein Innenarchitekt oder ein guter Handwerker. Ein Berater ist ein Verkäufer in einem Geschäft.

Der mir vorliegende Bauplan ist so allgemein verfasst, dass ich noch ein paar Fragen an den Architekten habe. Ich möchte wissen, ob er noch detailliertere Pläne anzufertigen beabsichtigt. Ich brauche auch noch eine Beschreibung der Tragkonstruktion. Was soll mit den Mauerwänden passieren? Die Fliesen für das Bad sind ebenfalls nicht näher definiert.

Der von Herrn Petersen engagierte Architekt, Christian Herlovsen, ist nicht sonderlich entgegenkommend, als ich ihn anrufe. Ich muss mich mit dem Material begnügen, das ich erhalten habe.

5

Am Donnerstagabend stehe ich in Torshov vor dem Haus der Petersens in der Hegermanns gate. Ich gehe auf die andere Straßenseite und sehe mir das Haus aus diesem Blickwinkel an. Die nüchterne, schnörkellose Fassade gefällt mir. Die Wände sind einfach verputzt und grau gestrichen. Viele mögen aufwändigen Stuck an den Außenwänden oder Ornamente im Zuckerbäckerstil um die Fenster, aber ich finde schlichte Fassaden schöner. Das Wohnhaus hatte vermutlich einmal dasselbe, etwas überladene Erscheinungsbild wie die meisten Wohnhäuser aus der Zeit um 1890. Die Schmuckornamente wurden als Meterware eingekauft und ungefähr so montiert, wie ich heute Boden- oder Zierleisten anbringe. Die derzeitige Fassade ist wohl das Resultat einer Renovierung in den Fünfzigerjahren und somit ein Teil der Geschichte des Hauses.

Der Gehsteig vor dem Haus ist recht breit, und in der Straße gibt es Parkmöglichkeiten. Das bedeutet, dass ich genügend Platz für Container und einen Kranwagen habe. Die Haustür ist direkt vom Gehsteig aus zu erreichen und liegt nicht in einer Toreinfahrt, wie es häufig der Fall ist. Die Toreinfahrt hier führt zu einem Hinterhof, der aber nicht befahrbar ist. Das kann sich als nützlich herausstellen, falls irgendetwas auf Straßenniveau zwischengelagert werden muss.

ENDE DER LESEPROBE