Wie man sich der Liebe öffnet und sie bedingungslos verschenkt - David Richo - E-Book

Wie man sich der Liebe öffnet und sie bedingungslos verschenkt E-Book

David Richo

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Beschreibung

Die Pandemie im Jahr 2020 verändert alles – sie wird die Liebe zum Vorschein bringen. Die stärkste Kraft im Universum! Bestsellerautor David Richo erklärt die mystische Verbindung zwischen zwei Menschen und wie Ego-Blockaden aufgelöst sowie Intimität in Partnerschaften oder Freundschaften gelebt werden können. Glückliche Beziehungen führen diejenigen, die erwachsen mit dem Geben und Annehmen von Liebe umgehen, die transparent in Ihren Gedanken sind, achtsam mit ihrem Partner umgehen und bedingungslos lieben können. Liebeskummer und Macht-Spiele in Beziehungen haben keine Chance, wenn Mitgefühl, liebende Güte und positive Gedanken gepflegt werden. Weisheiten aus der Psychologie und spiritueller Traditionen wie Hinduismus und Buddhismus verbindet Richo mit einer Fülle von Meditations-Praktiken, um Partnerschaften zu heilen oder in die Selbstliebe zu finden. So tragen wir doch alle die Sehnsucht nach einer liebevollen Welt in unseren Herzen. "Wahre Liebe ist kein Gefühl – sie schließt Gefühle mit ein, dauert aber über den Moment des Ausdrucks hinaus an."

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David Richo

Wie man sichder Liebe öffnet

und sie bedingungslos verschenkt

Aus dem amerikanischen Englisch übersetzt vonMaike & Stephan Schuhmacher

Titel der Originalausgabe HOW TO BE AN ADULT IN LOVEErschienen bei Shambhala Publications, Inc., P. O. Box 308, Boston, MA02117© 2014 by David Richo

Aus dem amerikanischen Englisch übersetzt vonMaike und Stephan Schuhmacher

1. Auflage 2020© 2019 Windpferd Verlagsgesellschaft mbH, AitrangAlle Rechte vorbehaltenLektorat: Sylvia LuetjohannLayout: Marx Grafik & ArtWork

eISBN 978-3-86410-251-6www.windpferd.de

Für all jene,

die mich geliebt haben,

komme was da wolle.

Sie haben mir gezeigt,

wie man mich und sie und alle liebt.

Möge ich all die Liebe, die ich habe,

auf jede erdenkliche Weise zeigen,

hier, jetzt und zu jeder Zeit,

für alles und alle, mich selbst eingeschlossen,

denn Liebe ist das, was wir sind – und warum wir sind.

Für mich gibt es nun nichts mehr, das wichtiger wäre

oder mir größere Freude bereitet.

INHALT

Vorwort

Einleitung

1Was ist Liebe?

Liebe als natürliche Begabung

Liebe als Eigenschaft

Liebe als Verbindlichkeit

Liebe als Aufgabe

Liebe als Gnade

Liebe als Übung

Die Arten von Liebe

Mitgefühl

Jemanden mögen und andere Verbindungen

Im Herzen zentrierte Gefühle

Was es braucht, um zu lieben

Was es an Praxis braucht

Übungen

Unserer Fähigkeit vertrauen, achtsam zu lieben

Unseren Kreis an Liebender Güte ausweiten

Mit unserer Angst vor der Liebe arbeiten

2Wie wir uns selbst lieben können

Wie ich dich lieben und auch ich selbst bleiben kann

Übung

Uns selbst aufbauen, wenn wir schlechtgemacht werden

Sich mit der eigenen Schattenseite anfreunden

Wie unser Gehirn hilft

Unsere chemische Konditionierung

Übungen

Uns selbst geben, was wir denen geben, die wir lieben

Unsere Geschichte durch einen Zusatz ergänzen

Die Fünf Aspekte bekräftigen

3Unser Bedürfnis, geliebt zu werden

Wie wir erkennen, dass wir geliebt werden

Übungen

Wie wurde ich geliebt?

Der Einfluss der Kindheit

Sie liebt mich, sie liebt mich nicht

Wenn der Mensch stirbt, der uns geliebt hat

Liebt jemand, der uns misshandelt, uns wirklich?

Übung

Was wir tolerieren

4Von Bedürftigkeit angetriebene Dramatik oder gleichmütige erfüllte Liebe

Eine frustrierende Suche

Festhalten, wenn wir jemanden finden

Übung

Drama oder Liebe?

Was für Veränderung notwendig ist

Dafür offen sein, etwas zu finden

Wenn wir nicht genug bekommen können

5Gesunde Sexualität

Lust ohne Schuld

Lust und Verlangen

Übung

Unsere Sexualität achten

Unser Fantasieleben

Übung

Wie unsere Fantasien uns Aufschluss über unser Ich geben können

6Anderen Liebe zeigen

Übung

Unsere Arten zu lieben ausdehnen

Drei Arten der Verbindung

Höfliche Liebe: Jede Art von positiver Verbindung

Intime Liebe: Persönliche fürsorgliche Verbindung

Universelle Liebe: Sich um alle Wesen kümmern

Der dreistufige Weg

Wie Lieben und Geliebtwerden uns von Angst befreien

Übung

Andere lieben, auch wenn sie uns nicht mögen

7Liebe in einer Beziehung zeigen

ÜbungenWie Partner Ungeschickte Muster durchbrechen können

Herausfinden, wo wir stehen

Was eine Beziehung von uns verlangt

Sichere Gesprächsthemen

Klärung der Vergangenheit

Unsere emotionalen Reaktionen, insbesondere Zorn, durch ein Upgrade aktualisieren

Die Dinge bearbeiten

Weshalb wir die verletzen, die wir lieben

Übung

Auf der Hut sein

8Unsere Liebe überall zeigen

Über Gebühr lieben

Liebe macht uns zu Außenseitern

Übung

Wege zur Liebe

Unsere Welt lieben

Wir sind hier von Bedeutung

Übung

Kosmisches Bewusstsein

9Worauf man achten sollte

Was ist das Ego?

Wie das Ego von Angst zur Freiheit gelangt

Übung

Die Hindernisse des Egos ausräumen

Wenn Narzissmus auftritt

Macht und Kontrolle

Übung

Unseren Kontrollzwang aufgeben

Der Drang zur Vergeltung

Vergeltung in früher Kindheit

Vergeltung in Beziehungen

Übung

Aufgeben, mit jemandem quitt zu werden

Wie es zu Hass kommt

Übung

Radikale Affirmationen

Nachwort

In unseren Beschränkungen liegt Hoffnung

Anhang 1

Selbstverpflichtungen zu Liebender Güte sich selbst und anderen gegenüber

Anhang 2

Eine Checkliste fürs Wohlbefinden

Über den Autor

VORWORT

Schreiben ist ein Teil meiner spirituellen Praxis. Ich konzentriere mich intensiv auf das Thema, über das ich schreibe. Die Übungen, die ich entwerfe, werden zur Arbeit an mir selbst.

Als ich beschloss, das Thema anzugehen, wie man auf reife Weise liebt, stand ich vor der größten Herausforderung meines Lebens als Schriftsteller. Ich wusste, es würde bedeuten herauszufinden, wie ich Liebe zeige, wie ich geliebt wurde und ob ich vielleicht nicht genug liebe.

Dieses Buch zu schreiben hat sich tatsächlich als eine wundervoll aufschlussreiche und befreiende Erfahrung erwiesen. Es ist dabei nicht selten zu ganz spezifischen Synchronizitäten, Momenten bedeutsamer Zufälle, gekommen. So habe ich mich aus heiterem Himmel an Menschen erinnert, die mich im Laufe der Jahre geliebt und die für mich gesorgt haben. Ich sah mich dann plötzlich in ihrer Gegenwart und mir wurde bewusst, auf welch vielfältige Weisen sie mir gezeigt haben, wie sehr sie mich liebten. Es war, als würden meine Familie und Freunde zurückkehren, um mir dabei zu helfen zu erkennen, was Liebe ist. Manche dieser Menschen sind vor langer Zeit verstorben, aber ich fühle, dass sie mich noch immer lieben.

Heute verstehe ich, dass all diese Menschen, die ich gekannt habe, in mein Leben gekommen sind, um mich in der Liebe zu unterweisen. Ich vertraue nun darauf, dass jeder Augenblick der Zuneigung, den ich erhalten habe, getreulich in mir aufgezeichnet und bereit dazu ist, erneut aufzutauchen. Die Liebe, die ich von anderen empfangen habe, weist mir den Weg, wie ich jenen Liebe entgegenbringen kann, die sie von mir brauchen. In diesem Sinne haben die Menschen, die mich geliebt haben, mir geholfen, dieses Buch zu schreiben.

Es stiegen auch besondere Momente der Erinnerung daran auf, was Menschen von mir ertragen mussten. Was haben sie in mir gesehen, dass sie dennoch zu mir hielten, obwohl ich solche Angst hatte, ihre Liebe zu erwidern? Vielleicht erkannten sie etwas Liebenswertes in mir, das ich in mir selbst erst noch erkennen muss. Ihre ununterbrochene Liebe hilft mir auch, darauf zu vertrauen, dass ich wohl mehr Liebe gezeigt habe, als ich selbst vermutet habe.

Ich erinnerte mich an Zeiten meiner Kindheit, als die Familienmitglieder Liebe füreinander zeigten. Tatsächlich erinnerte ich mich erst heute Morgen daran, wie gern ich im Alter von acht oder neun Jahren die Sonntage bei meiner Großtante und meinem Großonkel verbrachte. Sie hatten keine Kinder und verhätschelten mich wie den Sohn, den sie niemals hatten. Meine Besuche machten sie sehr glücklich. Dann erkenne ich heute zum ersten Mal, dass meine Mutter von alledem wusste und es ihre Liebe zu ihnen war, die sie dazu motivierte, mich zu ihnen ins Haus zu schicken. Nun frage ich mich, bei wie vielen Gelegenheiten meine Mutter wohl von Liebe motiviert war, ohne dass ich etwas davon mitbekommen habe.

All diese Dinge wurden mir nie bewusst, bevor ich begann, dieses Buch zu schreiben. Mir ist, als würde jeder vergessene Augenblick der Liebe, jede unbemerkte liebende Motivation sich eine nach der anderen offenbaren. Geschieht all dies, damit ich schließlich begreife, dass Liebe das ist, was mit dem Begriff „Staunenswerte Gnade“1 gemeint ist?

Ich empfinde Dankbarkeit gegenüber allen Personen in meiner Lebensgeschichte, die mich zu lieben gelehrt haben. Es tut mir leid, dass ich sie nicht gänzlich gewürdigt habe. Um das erste Gedicht von Emily Dickinson, das ich auf dem Gymnasium auswendig gelernt habe, zu paraphrasieren, kann ich nur sagen: Geschuldet ist’s dem bisschen Liebe, das damals ich zu geben fähig war.

Alles, was ich tun kann, um auszugleichen, woran es mir gemangelt hat, ist im Hier und Heute bewusster liebevoll zu sein. Dies ist definitiv meine gegenwärtige Praxis, und auch wenn sie nicht immer erfolgreich ist, so ist sie doch freudvoll. Es ist eine Praxis, die ich nie mehr aufgeben möchte.

All dies geschah, während ich das schrieb, was Sie im Folgenden lesen werden. Ich hoffe, dass die Lektüre dieses Buches Sie daran erinnern wird, wie viel Liebe Sie empfangen haben. Dies wird Sie dazu ermuntern, stärker darauf zu vertrauen, wie viel Liebe Sie zu geben haben.

1„Amazing Grace“ ist das wohl bekannteste und beliebteste Kirchenlied in den Vereinigten Staaten. (Anm. d. Übers.)

Liebe ist so mächtig, dass sie alles andere gewöhnlich werden lässt.

—Anonymus, Die Wolke des Nichtwissens

EINLEITUNG

Ich weiß kaum, wo ich beginnen soll,aber Liebe ist immer ein sicherer Ort.

— Emily Dickinson

Dieses unser kleines Leben spielt sich ab zwischen der Sehnsucht, geliebt zu werden, und der Berufung, Liebe zu zeigen. Diese beiden atemberaubenden Möglichkeiten, so zart, so flüchtig, bilden das Thema der folgenden Seiten.

Ich muss jedoch gestehen, dass dieses Buch größtenteils aus Annahmen besteht – so wie es bei jedem Buch über Liebe der Fall sein muss. Meine Annahme ist, dass Liebe der Grund unseres Daseins ist, dass Liebe etwas ist, das jeder von uns zu empfangen verdient, und das zu geben für jeden von uns der Zweck unseres Hierseins ist, dass allein die Liebe diese Erde zu dem Himmel machen kann, der sie sein sollte. Diese Annahme wird zu einem Rätsel, wenn wir realisieren, dass so viele von uns das, was auf den Himmel hinweist, dem Himmel selbst vorziehen. Wir sehnen uns nach der Liebe, die wir uns wünschen, und sprechen von ihr. Wir beklagen die Liebe, an der es uns gemangelt hat. Doch manchmal unterlassen wir es, die notwendigen Schritte zu unternehmen, die helfen könnten, sie Wirklichkeit werden zu lassen.

Das Puzzle wird sogar noch verwirrender, wenn wir manchmal die Hölle des völligen Nichtvorhandenseins von Liebe vorziehen – eine Hölle, die wir durch unsere ungeeigneten Entscheidungen oder durch das Ertragen von Missbrauch oder Verrat, insbesondere von denen, die vorgeben, uns zu lieben, selbst hervorbringen. Dieses Buch geht davon aus, dass Liebe verwirklicht wird, wenn wir es wagen, uns selbst und anderen gegenüber so liebevoll zu sein, wie wir es vermögen, und so sorgfältig wie möglich darauf achten, nicht die Affäre, die wir mit jemandem haben, oder eine Beziehungskiste, die für uns nicht funktioniert, mit wahrer Liebe zu verwechseln.

Die Biologie lehrt uns, dass das Universum ein riesiges Netzwerk wechselseitiger Abhängigkeit ist, von der zellulären Ebene angefangen bis hin zur planetarischen. Es gibt nichts, was aus sich selbst existiert. Es gibt kein Für-sich-selbst-Sein, nur ein In-Beziehung-Sein. Zu sein bedeutet daher, verbunden zu sein. Folglich ist Verbundenheit oder In-Beziehung-Sein die Essenz unseres Daseins und aller Wesen. Wirklichkeit heißt Verbundenheit. John Muir muss diese mystische Tatsache begriffen haben, als er schrieb: „Wenn wir versuchen, etwas für sich allein zu betrachten, entdecken wir, dass es mit allem anderen im Universum verwoben ist.“2

Muirs Kommentar bezieht sich sowohl auf die Natur, denn bei Ökologie geht es um die wechselseitige Verbundenheit aller Dinge im Universum, als auch auf die menschliche Psyche, bei der es ebenfalls um Verbundenheit geht. Unser gegenwärtiges Verhalten ist mit dem verbunden, was uns in der Kindheit widerfahren ist. Im Grunde ist unser ganzes Leben ein Gewebe aus Beziehungen. Wir sind mit unserer Vergangenheit verbunden, verwoben mit jedem Menschen, den wir kennen, und sogar mit jenen, die uns unbekannt sind.

Sein heißt für uns Menschen, verbunden zu sein, und aufzuhören, verbunden zu sein heißt, nicht mehr zu sein. Unser Leben begann aufgrund einer Verbindung zwischen unseren Eltern; Wir überlebten dank einer Nabelschnur, die uns mit unserer Mutter verband; wir entwickelten uns dank der Verbindungen mit denen, die für uns sorgten. Aufgrund unserer andauernden Verbindungen zur natürlichen Welt und den Menschen darin sind wir noch immer hier. Verbundenheit ist in der Tat die Essenz emotionalen Wohlbefindens. Eine gesunde Entwicklung vollzieht sich am besten und fröhlichsten, wenn wir mit wenigstens einem Menschen, der für uns sorgte, eine schützende, sichere und andauernde Erfahrung gemacht haben. Aufgrund dieser ursprünglichen Verbundenheit wissen wir von da an für immer, wie man andere liebt und trägt, so wie wir geliebt und getragen worden sind. Wir wissen auch, wie wir uns selbst lieben und stützen können, damit wir mit all dem, was uns geschieht, umgehen können, ohne mattgesetzt zu werden.

Liebe ist eine besondere Art von Verbindung; es ist eine fürsorgliche Verbindung. Das englische Wort caring (Fürsorge tragen) leitet sich von dem lateinischen Wort für „lieb“ oder „teuer“ ab. Wir sorgen für jemanden, der uns lieb ist. Teuer bedeutet auch, dass Liebe eine Selbstlosigkeit erfordert, die manchmal herausfordernd und anstrengend sein kann.

Wenn wir für jemanden sorgen, bedeutet er oder sie wirklich etwas für uns. Sorge tragen heißt auch, dass wir die Bekundung der Interessen anderer wahrnehmen und auf ihre besonderen Bedürfnisse reagieren. Es beinhaltet echtes Interesse an dem, was jemandem geschieht, und die Hoffnung auf einen guten Ausgang.

Liebe ereignet sich zwischen uns und anderen, wenn wir es begrüßen, dass sie sich mit uns verbinden, und wir uns mit ihnen verbinden. Um zu entscheiden, ob eine Handlung liebevoll ist, können wir uns fragen: „Dient dies dazu, uns auf eine fürsorgliche Weise zu verbinden?“ In der Grundschule lernten wir, Bruchzahlen umzuwandeln, indem wir den kleinsten gemeinsamen Nenner fanden. Eine fürsorgliche Verbindung ist der kleinste – und feinste – gemeinsame Nenner von Liebe in dieser Welt voller Bruchzahlen mit so vielen unterschiedlichen Nennern.

Damit gelangen wir zu einem zentralen Punkt dieses Buches: Geben und Empfangen von Liebe kann zu dem wesentlichen Fokus im Leben werden. Sich auf diese Verknüpfung zu konzentrieren ist eine Art und Weise, gänzlich Mensch zu werden, uns auf der seelischen Ebene zu verwirklichen. Wenn Liebe des Weges kommt, ist sie willkommen und bereichernd. Doch in der spirituellen Praxis liegt unsere Ausrichtung eher darauf, Liebe zu geben, als jemanden zu finden, von dem wir Liebe empfangen können. Wir fühlen uns spirituell erfüllt, wenn wir all die Liebe, die wir haben, zeigen können, ganz gleich, wie andere sich uns gegenüber verhalten oder auf uns reagieren. Dies ist eine radikale Alternative dazu, Liebe zu zeigen, um im Gegenzug wieder welche zu empfangen, oder sie nur jenen zu zeigen, die uns lieben.

Wahrscheinlich werden wir beinahe jeden Tag an dieser spirituellen Art und Weise des Liebens scheitern. Solange wir jedoch die reine Absicht aufrechterhalten, so liebevoll wie möglich zu sein, und uns immer wieder redlich darum bemühen, sind wir bereits auf dem Weg zum spirituellen Erwachen. Wahrhaftig auf erleuchtete Weise zu leben heißt zu wissen, dass Liebe alles ist, was wir je wollten, und sie zu allem zu machen, was auch immer wir geben.

Liebe wird leichter, wenn wir uns ihr als unserem inneren psychischen und spirituellen Code öffnen, dem Äquivalent zu unserem genetischen Code. Ein Code bestimmt, wie wir uns selbst als Individuen verwirklichen und wie wir unseren Beitrag zu der Welt der anderen leisten. Er versorgt uns mit einer Matrize. Der Code der Liebe erzählt die gesamte Geschichte dessen, was es bedeutet, Mensch zu sein, und was die Welt, die wir bewohnen, in ihrer bloßen Existenz bedeutet. Liebe ist der springende Punkt. Was wir sein können ist dasselbe, was Liebe sein kann: unendlich in ihrer Dauer und unermesslich in ihrer Weite. Ja, wir Menschen verfügen über so viel Zeit in unserer Geschichte (so unendlich wie die Ewigkeit), so viel Raum in unserem Herzen (so grenzenlos wie der Weltraum).

Die Liebe in uns stammt aus einer uns innewohnenden Güte, die jenseits von Ursachen, Bedingungen, misslichen Lagen oder Geschichten ist. Sie ist von Natur aus und unauslöschlich in uns, ob wir nun ihre Präsenz wahrnehmen oder nicht. Zu manchen Zeiten mag unsere Güte uns völlig verlassen oder anscheinend nicht mehr vorhanden oder verlorengegangen sein. Denn tatsächlich tragen wir von frühesten Tagen an ganz deutlich auch Aggression in uns; auch sie ist uns angeboren. Die gute Nachricht ist, dass wir an die andauernde Wirklichkeit und das Überwiegen unserer Fähigkeit zur Güte glauben können, ganz gleich, was wir getan oder wie wir zuvor gelebt haben. Vielleicht müssen wir lernen, Liebe zu zeigen, aber der Umstand, dass das Lernen leichtfällt, scheint darauf hinzuweisen, dass Liebe ein natürlicher Teil von uns ist. Liebe ruht achtsam und unbeweglich in uns, unser ganzes Leben lang, und wartet darauf, dass wir sie offenbaren.

Was hält uns davon ab, die uns angeborene Güte zu erkennen, daran zu glauben, dass wir gute Menschen sind? Unser Selbstwertgefühl mag während unserer Kindheit durch harsche Kritik und dadurch, dass uns Beschränkungen auferlegt wurden, verletzt worden sein. Wir gewinnen unser Selbstwertgefühl zurück, wenn wir die uns vererbten falschen Vorstellungen von uns selbst auflösen. Deshalb arbeiten wir an unserer Vergangenheit. Indem wir daran arbeiten, können wir Mittel finden, die uns helfen, die Schatztruhe der Liebe in unserem Inneren zu öffnen. Denn im Grunde dienen alle aus den Selbsthilfebewegungen der vergangenen Jahre gewonnenen psychologischen Mittel genau dieser einen Sache: Liebende zu werden, die mit Blumen in der Hand erwartungsvoll an jeder Tür stehen.

Wenn wir auf unser Leben und alles, was wir bis jetzt gelernt haben, zurückblicken, mögen wir hocherfreut realisieren, dass alles eine Unterweisung darin gewesen ist, wie man ohne Grenzen und Einschränkungen lieben kann. Was wäre, wenn wir durch alles, was uns widerfährt, darin geschult werden, wie wir uns im Laufe des Lebens in der Liebe weiterentwickeln können? Genau das ist die Definition von Synchronizität (bedeutungsvolles Zusammentreffen): Genau die richtigen Ereignisse und Menschen begegnen uns, damit wir die Liebe zum Ausdruck bringen können, die in uns ist. Sie alle sind Gesandte irgendeiner Nuance von Licht, die wir benötigen, um das ganze Spektrum an Farben unserer Liebe in all ihrem Strahlen hervortreten zu lassen.

Wir lernen, unser Potenzial, Liebe zu zeigen, auf die gleiche Weise zu aktivieren, wie wir den Gebrauch einer Sprache lernen – indem wir andere imitieren und uns selbst anstrengen, unser Vokabular zu erweitern. Unser Sprechvermögen gründete nicht darauf, wie unsere Eltern uns behandelt haben, sondern darauf, auf welche Weise unsere Leichtigkeit im Sprachgebrauch beeinträchtigt wurde, wenn man uns lächerlich machte oder zum Schweigen verdonnerte. Das Gleiche gilt für die Liebe. Unsere Fähigkeit zu lieben hält an, auch wenn sie durch die Art und Weise, wie wir behandelt worden sind, angeschlagen sein mag. Doch genauso, wie wir zu jeder Zeit unseres Lebens lernen können, gut zu sprechen, können wir immer lernen, unsere Liebe gänzlich und geschickt zutage treten zu lassen. Wir können unsere Liebesfähigkeit auffrischen, wenn sie verletzt worden ist, sie wiederbeleben, wenn sie unterdrückt wurde, sie wieder zurückholen, wenn sie auf der Strecke geblieben ist. Dies zu lernen ist psychologische Arbeit und spirituelle Übung im besten Sinne. Denn es ist tatsächlich der Grund, weshalb wir eine Psyche, einen Körper, eine Spiritualität und eine Lebensspanne haben.

Wenn wir verstehen, dass uns Liebe angeboren ist, dürfen wir annehmen, dass es auch etwas gibt, das uns hilft, sie zum Ausdruck zu bringen. Ein verlässlicher und mächtiger Verbündeter ist unser instinktiver innerer Drang, uns selbst zu verwirklichen. Wir müssen uns nicht allein auf unsere eigenen Bemühungen verlassen; wir können darauf vertrauen, dass uns etwas in uns dabei helfen wird. Wir besitzen ein instinktives Bedürfnis, ohne Vorbehalte zu lieben. Dieses Bedürfnis ist die archetypische helfende Kraft, der verlässliche Verbündete, die unerwartete Ressource, unser eigenes inneres Selbst, der innere Geliebte, von dem die Mystiker sprechen. Es steht uns frei, in jedem Augenblick in Übereinstimmung mit dieser unantastbaren und unerschütterlichen Energie zu agieren.

Zwei Ahnungen helfen uns, an unsere innere Güte zu glauben: Erstens können wir intuitiv spüren, wie die liebevolle Wahl in jeder Situation auszusehen hat. Zweitens vermögen wir uns bewusst zu machen, dass uns alles, was uns widerfährt, eine Gelegenheit eröffnet, stärker oder besser zu lieben. Dies geschieht, weil alles, was geschieht, ein evolutionärer Antrieb ist, ein Vorstoß zu mehr Bewusstsein und mehr Verbundenheit, der schließlich zur reifen Frucht der Liebe führt.

Aus der Art und Weise, auf die wir zuerst geliebt wurden, und den Arten, wie wir seither geliebt worden sind, ergibt sich die Definition dessen, was Liebe für uns bedeutet. Manche Menschen fühlen sich wirklich geliebt, wenn ihnen jemand etwas schenkt. Andere erfahren Liebe, wenn Menschen sich für sie einsetzen. Wieder andere fühlen sich geliebt, wenn jemand sich größte Mühe gibt, ihnen zu helfen. Wenn unsere Mutter uns Liebe gezeigt hat, indem sie uns in unserm Schmerz oder unserer Freude gehalten hat, ohne uns zu erdrücken oder zu kontrollieren, dann wird sich ein solches Verhalten für uns immer wie Liebe anfühlen. Wir empfinden Liebe heute so, wie wir sie das erste Mal erfahren haben; wir geben Liebe auf jene Weise, auf die wir sie empfangen haben. Da Liebe für jeden Menschen einzigartig ist, lesen und schreiben wir sie, empfangen und geben wir sie also genau so, wie wir sie in der Vergangenheit erfahren haben. Ebenso wie bei einer guten Handschrift vermögen andere darin unsere einzigartige Signatur zu lesen.

Gleichzeitig haben wir die Möglichkeit, unsere Definition von Liebe auszuweiten. Alle unsere Beziehungen schenken uns die Gelegenheit, uns immer wieder neuen Formen aufrichtiger Liebe, die andere uns entgegenbringen und die wir anderen entgegenbringen, zu öffnen. Auf diese Weise fordert Intimität uns heraus, Gelegenheiten zu ergreifen.

Nach christlicher Überlieferung kamen die Weisen aus dem Morgenland, um den neugeborenen Jesus mit kostbaren Geschenken willkommen zu heißen. Wir können darauf vertrauen, dass viele Engel und Buddhas an unserer Krippe erschienen, um den spannenden und bedeutsamen Augenblick der Geburt – die Ankunft einer neuen Version von Liebe – zu feiern. Die Geschenke, die sie uns brachten, waren nicht Gold, Weihrauch und Myrrhe. Sie segneten uns vielmehr mit dem Vermögen, grenzenlos zu lieben und geliebt zu werden, einer Fähigkeit, Liebe auf sinnreiche Weise zu zeigen und zu empfangen, einem Verlangen, sich ihr unendlich zu öffnen.

Sobald wir begreifen, dass Liebe unsere wahre Identität ist, erkennen wir, dass die Fertigkeit, Lieben zu lernen, größtenteils darin besteht, die Ego-Blockaden aufzulösen, die unsere natürliche Neigung zum Lieben allmählich überlagert haben. Dies bedeutet, unsere Ansprüche und die Aufgeblasenheit unseres Egos loszulassen. Dann halten wir Ausschau nach all den Übungen, die uns dazu verhelfen können, insbesondere solchen, die uns aus dem Griff der Hauptwidersacher unseres Glücks befreien: unserer Selbstbezogenheit und Aggressivität. Im gleichen Moment, in dem wir diesen Griff lockern, wird auch die Angst die Flucht ergreifen, und alles, was von uns übrig bleibt, ist das, was sich noch liebevoll öffnen kann.

Als Erwachsener zu lieben bedeutet, erwachsen mit Liebe und dem Lieben umzugehen. Psychologisches Erwachsensein – Reife – bedeutet, Liebe vorsichtig hereinzulassen und sie verantwortungsvoll zu zeigen. Spirituelles Erwachsensein besteht darin, unsere Liebe so weit auszudehnen, dass sie grenzenlos wird – eine Praxis, die Wagemut erfordert. Da Liebe irgendwo zwischen Vertrauen und Angst in uns wohnt, erfordert sie den Mut, sowohl zu vertrauen als auch unsere Angst zu ignorieren, wenn wir uns der Liebe verpflichten. Beide Risiken nehmen wir in Kauf, wenn wir jemanden lieben. Lieben macht häufig Angst. Deshalb müssen wir bei der Praxis der Liebe wagemutig sein. Wagemut wird definiert als ein Loslassen von Besorgnis über für uns gefährliche Konsequenzen. Wir sind wagemutig, wenn wir in unserer Absicht so fest ausgerichtet sind, dass wir uns nicht mehr aus Angst vor dem, was uns bedrohlich erscheint, zurückhalten lassen. Dies hilft uns, bedingungslos zu lieben. (So etwas wie bedingte Liebe gibt es nicht – das ist keine Liebe, lediglich eine Art der Bestätigung, dass wir dem anderen gefallen.)

Manchmal sind wir wählerisch dabei, die uns innewohnende Liebe zu zeigen, und hier erkennen wir einen Widerspruch in uns selbst. Es fällt uns nicht schwer, uns der Ehrlichkeit anderen gegenüber zu verschreiben, bedingungslos und einseitig, ganz gleich wie unehrlich andere uns gegenüber sein mögen. Doch wir halten Liebe für etwas, das behutsam zu bemessen ist und nur sehr besonderen Menschen in unserem Leben zugute kommt. Wir glauben, dass jeder Mensch Ehrlichkeit verdient, aber wir stellen uns vor, dass nur bestimmte Menschen unsere Liebe verdienen. Wären wir in der Lage, die gleiche Verpflichtung einzugehen, wenn wir Ehrlichkeit durch Liebe ersetzten? Das würde dann folgendermaßen aussehen: Es fällt uns nicht schwer, gegenüber jedem Menschen liebevoll zu sein, bedingungslos und einseitig, ganz gleich wie lieblos der andere sein mag.

Es ist natürlich richtig, dass Unterscheidungsvermögen beim Vertrauen auf andere notwendig ist, wenn wir qualitativ gute Beziehungen haben wollen. Auswählen ist wichtig für unsere Sicherheit und unseren Schutz, denn es bedeutet, nur jenen zu vertrauen, die sich als zuverlässig erwiesen haben. Dies ist jedoch nur sinnvoll in Hinsicht darauf, wie wir lieben, nicht aber darauf, dass wir lieben. Infolgedessen sind unsere Formen, Liebe zu zeigen, unterschiedlich, der Verpflichtung entsprechend, die wir gegenüber den unterschiedlichen Individuen in unserem Leben eingegangen sind. Wir können sorgfältig auf unsere Grenzen achten, wenn uns andere nahekommen, aber grenzenlos darin sein, wie weit wir unsere Liebe ausdehnen. Es gibt in der Topographie der Liebe Grenzen, aber keine Schranken.

Wir können beispielsweise unseren alkoholsüchtigen Ehemann lieben, aber solange er uns missbraucht und sich weigert, Hilfe zu suchen, können wir nicht mit ihm leben. Unsere Selbstliebe gestattet es nicht, die Sicherheit, Gesundheit und das Glück von uns selbst und unserer Kinder aufs Spiel zu setzen. Unsere schwierige Liebe für unseren Partner erlaubt uns nicht, es ihm zu ermöglichen, sich und andere weiter zu zerstören. So kann unsere Liebe stark wie immer sein, aber unsere Art und Weise, sie zu zeigen, verändert sich. Dazu könnte gehören, dass wir das Ehebett nicht mehr mit ihm teilen, aber es würde beinhalten, dass wir seine Heilung unterstützen, sobald er dazu bereit ist. Wir wahren unsere Grenzen, errichten jedoch keine Schranken, weil wir offen für die vollkommene Wiederverbindung bei seiner völligen Heilung sind. Wir zeigen unsere Liebe, die ganz und gar auf dem Wesentlichen gründet: Schutz, Sicherheit, Gesundheit und Glück für uns und jene, die sich verpflichtet haben, für uns zu sorgen. Und doch können wir unter allen Umständen weiter lieben.

In einer Welt, in der wir vor wagemutiger Liebe Angst haben, verdienen nur jene unsere Liebe, die uns gefallen oder es wert zu sein scheinen. In einer Welt, in der wir bereit sind zu erwachen, verdient jeder Liebe, weil diese nicht von Verdienst, guten Taten oder der Bereitschaft zur Gegenleistung abhängig ist, sondern nur davon, lebendig zu sein. Diese Art von grenzenloser Liebe meinen wir, wenn wir von der Erfüllung unserer menschlichen Mission sprechen, dem bestmöglichen Gebrauch unseres menschlichen Vermächtnisses, der vollkommen Erfüllung unseres Lebenszwecks.

Unsere liebevolle Reaktion beruht meistens auf persönlicher Attraktivität. Doch wir können dahin gelangen zu glauben, dass eine Person umso mehr Liebe benötigt – und Liebe verdient –, je weniger liebenswert sie ist. Wir können lernen, Liebenswürdigkeit in jedem Menschen zu sehen. Liebenswürdigkeit verdient man sich nicht. Wir machen es zu unserer Praxis, jeden in unserer sich ständig ausweitenden Art und Weise fürsorglicher Verbindung willkommen zu heißen. Auch dies ist ein subversiver Akt, denn wir kehren die übliche Abfolge um: Normalerweise gehen wir auf jene zu, die attraktiv und liebenswürdig sind, und wenden uns von jenen ab, die unserer Meinung nach unattraktiv und nicht liebenswert sind. Es fällt nicht leicht, jemanden nicht nur wegen seines einnehmenden Wesens zu lieben, sondern einfach deshalb, weil er oder sie existiert. Aber echte Liebe macht jeden unwiderstehlich.

Uns zu verpflichten, jeden zu lieben, ist ganz gewiss ein subversiver Akt, weil es ein Akt bedingungsloser und egalitärer Verbindung ist. Sie geschieht und funktioniert ungeachtet der Eigenschaften oder Handlungen der anderen. Dies ist eine Liebe, die Vielfalt anerkennt und niemanden aus ihrer weiträumigen Umarmung ausschließt. Es ist eine Liebe, die jeglicher Form von Apartheid, Entfremdung, Rang und Spaltung ein Ende macht. Es ist jene Liebe, die einseitig sein kann, wenn es nötig ist. Sie gründet nicht auf Liebenswürdigkeit oder darauf, wie andere sich uns gegenüber verhalten, sondern darauf, wer wir sind.

Diese Herausforderung wird von Lex Hixon in seinem Buch Mother of the Buddhas: Meditations on the Prajnaparamita Sutra besonders eindrucksvoll zum Ausdruck gebracht: „Bodhisattvas werden weder vom Leben befreit noch streben sie nach irgendeiner Form von getrennter Selbstverwirklichung. Sie richten einen ekstatischen Fluss der Liebe und Freundlichkeit auf alle und verbinden ihre Geistesströme so intim mit allen Wesen wie mit ihren liebsten Familienmitgliedern und geliebten Freunden. Diese erstaunliche spirituelle Leistung befreit die Bodhisattvas von jeglicher unreinen Absicht, anderen zu schaden, sie zu verunglimpfen, zu verlassen oder sie auch nur zu ignorieren.“ Dieses Buch gründet auf einem festen Vertrauen darauf, dass wir alle diese Leistung zu vollbringen vermögen oder uns zumindest in diese radikale spirituelle Richtung bewegen können, und es zeigt uns, wie wir dies tun können, ohne unsere Grenzen aufzugeben.

Wir haben in unserem Leben einen Platz für intime Beziehungen, in denen wir unsere Liebe auf ganz besondere Weise zeigen. Wir mögen auch einen Platz für eine umfassendere Form der Liebe haben. Wenn wir ohne Bevorzugung „alle Wesen lieben“, wenn wir unsere Liebe als Fürsorge und Mitgefühl auch auf jene ausdehnen, die unserem Ego am wenigsten attraktiv erscheinen, finden wir zu einer neuen Ebene der Menschlichkeit in uns selbst. Wir realisieren dann nämlich bald, dass jene, denen wir uns auf diese bedingungslose und grenzenlose Weise zuwenden, uns transformieren, indem sie unsere Liebesfähigkeit vergrößern.

Im Grunde kann man jeden verletzten Menschen als die lebendige Inkarnation eines Bodhisattva ansehen, eine erleuchtete Person, die uns begegnet, um uns den Dharma zu lehren, die erleuchtete Lehre der Liebe. Wenn wir das erkennen, braucht es nicht lange, bis wir die Sternenspur sehen, die seinem gebrechlichen und entstellten Körper, dem nun lichterfüllten strahlenden Körper Buddhas, folgt.

Wir könnten sagen, dass alles, was wir Menschen tun, dazu bestimmt ist, entweder Liebe zu zeigen oder darum zu bitten – häufig beides zugleich. Das Bitten kann vielerlei Formen annehmen, sowohl bezaubernd angenehme als auch unbeholfene und unangenehme. Wenn wir eine tiefe Verpflichtung zur Liebe aufrechterhalten, hat der Anschein, jemand sei nicht liebenswert, nicht zur Folge, dass wir ihn verachten oder hassen, sondern ist ein Ansporn dafür, nur noch fürsorglicher zu sein. Wenn wir auf diese befreite Weise lieben, dann glauben wir, dass Menschen umso mehr unserer Liebe bedürfen, je weniger liebenswert sie erscheinen, und desto mehr geben wir ihnen. Auf diese Weise dehnen wir unsere Liebe grenzenlos aus, unbeeindruckt von Anziehung oder Abneigung, und sind in der Lage, unser Herz für neue Möglichkeiten der Fürsorge zu öffnen. Tatsächlich kann eine fürsorgliche Verbindung nur entstehen, wenn unser Herz sich immer weiter öffnet. So wie John Donne in seinem Liebesgedicht Der Morgen beschreibt:

Denn Liebe lenkt die Lieb‘ zu allem andern,

Und macht zur Welt sich einen kleinen Raum.

Buddhistische Lehren raten uns, auf der Hut vor Anziehung und Abneigung zu sein. Diese führen zu Leiden, wenn sie uns ein Bein stellen oder wir uns in sie verstricken. Wir können dem, was wir besitzen, so verhaftet sein, dass wir uns daran festklammern, und Klammern ist eine schmerzhafte Angelegenheit. Wir können so sehr in Wünschen nach dem festgefahren sein, was wir nicht haben, dass wir danach hungern – ein weiterer schmerzhafter Akt. Diese beiden Formen von Leiden beeinträchtigen fürsorgliche Verbindungen.

Unsere Praxis universeller Liebe hebt unsere engen Bindungen, wie etwa Beziehungen zu einzelnen Menschen, nicht auf. Im Gegenteil, sie schenkt uns die wundervolle Alternative, die Reichweite, die Art und die Ausrichtung unserer Liebe auszuweiten. Die Liebe, die wir zu einem besonderen Partner empfinden, wird nur noch reicher, wenn wir uns der universellen Art zu lieben verschreiben. Widmen wir uns der bedingungslosen Liebe, lehrt uns dies, die Einengungen durch das Ego zu transzendieren, was einen Segen beim Umgang mit Beziehungskonflikten darstellt. Universell zu lieben ist das mutigste und für unsere materialistische Gesellschaft wohl das närrischste Gelübde, das man ablegen kann. Aber das „Ja, ich will“ vor dem Altar wirkt mit Sicherheit tiefer, wenn es bereits für all unsere Mitmenschen auf der Welt ebenso ausgesprochen wurde.

Die Liebe, die wir sind, ist uns letztlich ein Mysterium. Ich stelle fest, dass ich als Therapeut und Autor auf der Basis eines strukturierten Bezugsrahmens des Verständnisses der Psyche und der Welt arbeite. Ich schätze die Nützlichkeit und den gesunden Menschenverstand einer kohärenten Sichtweise des Lebens. Diese Sichtweise habe ich durch Erfahrung mit Klienten und Studenten, aus meiner eigenen Geschichte, durch die Beziehung zu meinen spirituellen Lehrern und Übungen gewonnen. Aber ich ermahne mich oft selbst, nicht zu glauben, dass alles und jedes bereits wohlbekannt, definitiv, bis ins Detail erklärt und in eine Schublade einzuordnen ist.

Ich möchte meinem Gefühl für das Mysterium menschlicher Liebe, menschlicher Konflikte und menschlicher Leiden und besonders des Hier und Jetzt, des größten Mysteriums von allen, treu bleiben. Nur wenn wir frei sind von vorgefassten Meinungen, endgültigen Definitionen und perfekten Lösungen können wir voll und ganz in es eintreten. Dies spiegelt die Lehren Buddhas über die Leere wider, die Leerheit von Definierbarkeit all dessen, was ist. Wir realisieren, dass alles, was wir sagen, eine Analogie ist, aber keine Fakten darstellt.

Mir ist klar, dass mein Bezugsrahmen und die verschiedenen Übungen in diesem und allen anderen meiner Bücher lediglich eine Annäherung darstellen, eine tastende, vorläufige Antwort auf die Rätsel des Lebens und keine endgültige Aussage zu diesem Thema. Ich möchte meinen Respekt für die immer offensichtlicher werdende Großartigkeit der menschlichen Geschichte aufrechterhalten. Diese Geschichte macht jeden Autor oder Denker ratlos, der versucht, sie festzunageln. (Die Nägel würden schließlich nur Sargnägel sein.)

Nun verstehe ich, weshalb Laotse gesagt hat, die Essenz aller Lebendigkeit lasse sich nicht adäquat in Worten beschreiben. Ich bin dankbar dafür, dass ich mir meine Verehrung für das Mysterium, den letzten Atemzug in jeder Diskussion, die endgültige Wirklichkeit hinter all unseren Annahmen, das ephemere Lächeln der „Grinsekatze“ aus Alice im Wunderland angesichts all unserer Formeln bewahrt habe. Ich will mich im restlichen Teil dieses Buches vor diesem höchsten Glanz verneigen und in ihm ruhen.

Die Tiefen an sich bleiben unbegreiflich…

Dies ist die dunkle Stille, in die alle Liebenden verloren sind.

— Jan van Ruysbroeck

2John Muir, My First Summer in the Sierra, Boston (Houghton Mifflin) 1911

1WAS IST LIEBE?

Du neigst so sehr zur Liebe wie die Sonne zum Strahlen; sie ist die beglückendste und natürlichste Tätigkeit der Seele.

— Thomas Traherne, Centuries of Meditations

Liebe ist zu schwer fassbar und zu individuell, um eine Definition zuzulassen. Doch wir können fragen: „Was kann Liebe sein?“ Dies ist keine Definition, sondern eine Aufforderung zu einer immer wieder erneuerten Einladung, etwas, das zu betreten wir immer wieder wagen, wie Alice, die im Wunderland von einem Abenteuer zum nächsten fortschreitet

Wir haben Liebe beschrieben, indem wir ihren wesentlichsten Bestandteil benannt haben: Verbindung. Das englische Wort für Verbindung, connection, basiert auf zwei lateinischen Wörtern: con, was „zusammen“ bedeutet, und nectere, das „binden“ oder „knüpfen“ bedeutet. Ursprünglich wurde das Wort anders geschrieben: connexion, um die Vergangenheitsform des Verbs nectere widerzuspiegeln, die nexus lautet. Liebe ist ein Nexus, eine Verknüpfung, die ein breites Spektrum abdecken kann. Sie kann vielfältige Formen annehmen, vom Verschicken eines freundlichen Briefes über sexuelle Intimität bis hin zur mystischer Einheit.

Wir sind soziale Wesen, deshalb ist Verbindung für unser Überleben wichtig. Wir stellen uns vor, dass Verbindung über unser physisches Leben hinausgehen kann, und daher findet sie sich auch in unserer Vorstellung von einem Leben nach dem Tode im Himmel wieder. Wir sehen den Himmel als einen Ort an, an dem wir mit den von uns Geliebten vereint sein werden. Das macht die Hölle zu einem Ort des Getrenntseins, des Ausschlusses und der Exkommunikation. Wir erinnern uns an die Worte des Starez Sossima in Fjodor Dostojewskis Die Brüder Karamasow: „Hölle ist das Leiden daran, dass man nicht mehr lieben kann.“ Dies macht uns die Metapher der Hölle verständlicher: Es geht mehr um eine Trauer um unseren Mangel an Liebe als um eine Bestrafung dafür, dass wir nicht liebevoll sind.

Liebe ist eine Verbindung, die fürsorglich ist, gute Absichten hegt, Freiheit respektiert und wirklich empfindsam für die Bedürfnisse anderer ist, diese sogar ebenso wichtig nimmt wie die eigenen. Diese Verlagerung der Aufmerksamkeit auf die Bedürfnisse anderer reduziert unser eigenes Gefühl der Wichtigkeit. Liebe hat wirklich unglaubliche Macht, uns zu helfen, das Ego loszulassen!

Wenn Liebe wechselseitig ist, dann begrüßen wir ein positives Entgegenkommen von anderen und weiten positive Verbindungen zu anderen aus. Eine Liebesbeziehung muss nicht unbedingt reziprok oder symmetrisch sein. Sie kann gleichwertig zwischen zwei Menschen sein oder intensiver bei dem einen als bei dem anderen. Die Bereitschaft, jemanden zu lieben, der einen nicht gleichermaßen wiederliebt, ist ein Beispiel für die Großzügigkeit der Liebe. Sie ist tatsächlich ein spirituelles Voranschreiten zu einer Verpflichtung, wie ich sie in den folgenden Zeilen als persönliche Affirmation formuliert habe:

Kann die Liebe zwischen uns nicht gleichgewichtig sein,so sei die Position der größeren von beiden Lieben mein.

Das Lieben wird sich dann nicht wie ein Geben anfühlen, wie es in der Welt des Egos von quid pro quo [„dies für das“] der Fall ist. Ich bin dann mein wahres Ich, Liebe, die einfach nur ist.

Eine fürsorgliche Verbindung schließt Altruismus, Zuneigung zu einem Menschen, Interesse an dem, was ihm widerfährt, Wohlwollen, Verfügbarkeit für ihn in Zeiten der Not und das Gefühl und das Mitteilen von Herzensgüte ein. All dies erfordert eine Offenheit für die Möglichkeit, dass wir etwas von unserer eigenen Bequemlichkeit für das Wohlbefinden des anderen opfern.

Wir bitten unseren Partner oder einen anderen für uns bedeutsamen Menschen um vier Versprechen der Liebe. Die Antwort „Ja“ auf jede dieser Bitten gibt uns den Beweis für eine fürsorgliche Verbindung. Jedes Ja kann zu einer Verpflichtung zum Aufbau von wahrem Vertrauen und angstfreier Liebe werden:

Bist du für mich da und wie zeigt sich das?

Sorgst du dich um mich und wie zeigt sich das?

Bedeute ich dir etwas und wie zeigt sich das?

Interessierst du dich für mich und wie zeigt sich das?

Lieben bedeutet auch, uns in eine verletzliche Position zu begeben; wir zeigen unsere Liebe und hoffen, sie wird angenommen. Wir legen unser Herz bloß und hoffen darauf, dass es nicht misshandelt wird.

Wenn die Liebe sich ausweitet, konzentriert sie sich über unsere Beziehung hinaus auf Eintracht und Versöhnung. Unser Bestreben mag sich von dem Interesse an der Verbundenheit anderer mit uns zur Sorge für die harmonische Verbundenheit zwischen all unseren Freunden oder sogar der ganzen Menschheit ausweiten. Diese altruistische Anteilnahme kann uns ein Gefühl von Zufriedenheit schenken, wie wir es von Edward IV. in Shakespeares Richard III. ausgedrückt finden:

Die Seele scheidet friedlich nun zum Himmel,Da ich den Freunden Frieden gab auf Erden.3

Weitet sich die Liebe in unserem Leben aus, so wird sie zudem zu einer Kraft des Wandels. Wenn wir von Liebe dazu angespornt werden, ein Ziel zu verfolgen, so ist es wahrscheinlicher, dass wir ein erfolgreiches Ergebnis erzielen. Das liegt daran, dass Situationen und Menschen am besten auf Liebe reagieren, eine sanfte, aber mächtige Energie. Wir sehen dies in unseren persönlichen Beziehungen. Geduldige und andauernde Liebe zu zeigen hilft jemandem mehr, sich zu ändern, als es Nörgeln und Forderungen jemals tun können.

Genau das Gleiche gilt in einem politischen Forum. Eine Antikriegsbewegung hat mehr Erfolg, wenn jene, die leidenschaftlich den Frieden vertreten, zeigen, dass sie von einer echten liebenden Sorge um die Menschheit motiviert sind und nicht einfach nur davon, gegen die Politik eines Staates zu protestieren. Dennoch verwenden wir weder in persönlichen Beziehungen noch in politischen Angelegenheiten Liebe als eine Strategie. Das wäre eine Form der Manipulation. Wir nehmen einfach zur Kenntnis, dass Liebe eine ihr eigene Kraft besitzt. Sie wirkt erlösend, weil sie vergibt und dadurch rehabilitiert. Sie transformiert die Herzen und die Art und Weise, wie die Welt funktioniert. Sie verändert die Dinge.

Liebe ist eine Kraft, aber manchmal wird sie als Gefühl bezeichnet. Wenn wir uns Liebe als ein Gefühl vorstellen, dann mögen wir enttäuscht sein, weil wir feststellen müssen, dass wir ein solches Gefühl nicht ständig aufrechterhalten können. Ein Gefühl ist eine intensive, unmittelbare, sinnlich-körperliche Erfahrung. Gefühle haben einen Anfang, eine Mitte und ein Ende; Liebe ist hingegen dauerhaft. Gefühle sind Reaktionen auf bestimmte Stimuli; Liebe ist gleichzeitig der Stimulus und die Reaktion. Liebe kann ein Seinszustand, eine zärtliche Empfindung, eine beständige Verbundenheit sein. All diese besitzen eine dauerhafte Qualität. Insofern schließt Liebe eher Gefühle mit ein und geschieht mit ihnen, als dass sie selbst eines ist, da sie über die Momente des Ausdrucks hinaus andauert.

Liebe kann auf viele Arten verstanden werden, doch sechs Begriffe ragen heraus: Liebe als natürliche Begabung, als Eigenschaft, als Verbindlichkeit, als Aufgabe, als Gnade und als Übung.

LIEBE ALS NATÜRLICHE BEGABUNG

Die natürliche Begabung zur Liebe ist unser Potenzial, Verbindungen zu knüpfen und uns ihnen zu verpflichten. Jeder von uns besitzt die Fähigkeit, vollkommen zu lieben, und kann jederzeit damit beginnen, insbesondere jetzt und heute. Wir verlieren niemals unsere Kraft und unsere Fähigkeit, Liebe in unser Leben hineinzulassen und uns liebevoll zu verhalten. Das Vermögen zu lieben kann nicht durch unsere Vergangenheit annulliert oder ausgelöscht werden, ganz gleich welchen Schaden unsere Erfahrungen angerichtet haben mögen. Was geschädigt werden kann, ist unsere Art und Weise, Liebe zu zeigen, und unsere Vorstellungen davon, wie sie aussehen sollte. Wie wenig wir bislang geliebt haben, ist nicht maßgebend dafür, wie viel wir heute oder in Zukunft lieben können.

LIEBE ALS EIGENSCHAFT

Als Eigenschaft ist Liebe eine Art und Weise, sich gegenüber anderen zu verhalten. Es ist kein Nennwort, das sich auf eine Einheit oder Abstraktion bezieht. Wir können Liebe oder eine andere Eigenschaft nicht vergegenständlichen. Es ist wie bei einem Adverb in der Grammatik. Es zeigt, wie etwas getan wird. So zeigt zum Beispiel „Ich habe sie liebevoll berührt“, wie ich sie berührt habe.

Die Qualität unserer Liebe nimmt zu, wenn wir sie in unserem Verhalten tiefer und großzügiger zeigen. Die Quantität oder das Ausmaß unserer Liebe wächst in dem Maße, in dem wir sie mehr Menschen gegenüber empfinden und zeigen – von Nahestehenden und Geliebten bis hin zu allen Wesen in der Welt.

Es gibt kein Mitgefühl, keine Liebe oder Frieden auf eine für sich allein stehende oder abstrakte Weise. Sie sind menschliche Eigenschaften, und wir sind wahrhaftig Menschen, wenn sie unsere natürliche Art und Weise sind, in dieser Welt zu sein. Unsere Menschlichkeit ist vollkommen, wenn wir Mitgefühl sind, Liebe sind, Frieden sind. Dann zeigen wir sie überall und gegenüber jedem. Der mystische Dichter William Blake fasst dies wunderbar zusammen:

Aus Menschenherz die Gnade fließt,Mitleid zeigt menschliches Gesicht,Den Menschen Liebe göttlich zeigt,Und Frieden ist sein schönstes Kleid.4

LIEBE ALS VERBINDLICHKEIT

Als Verbindlichkeit ist Liebe wie ein Verb. Sie zeigt fortwährende Hingabe daran, in aufrichtiger Weise und in bester Absicht für das Wohl anderer zu handeln. Wir verpflichten uns, bedingungslos zu lieben. Infolgedessen wollen wir das Beste für andere, ungeachtet dessen, wie sie uns behandeln, wobei allerdings unsere Verpflichtung, uns selbst zu lieben, es nicht zulässt, uns missbrauchen zu lassen. Unsere Verpflichtung, in einer Beziehung zu lieben, bedeutet, Vereinbarungen einzuhalten, das Beste für den anderen zu wollen und die Dinge zu klären, wenn Konflikte auftauchen.

LIEBE ALS AUFGABE

Liebe ist auch eine Lebensaufgabe, da sie bestimmt, weshalb wir hier sind und wie wir Erfüllung finden können. Unsere Lebensaufgabe kann darin bestehen, all die Liebe zu zeigen, die wir in jedem Lebensbereich besitzen – uns selbst gegenüber, all unseren Bekannten gegenüber, allen auf dem Planeten und dem Planeten selbst gegenüber. Da jeder von uns eine einzigartige Art zu lieben hat, besteht unsere Lebensaufgabe darin, unsere Liebe auf eine uns eigene Weise zu manifestieren. In diesem Zusammenhang kann Liebe als eine Berufung empfunden werden, als ein Impuls aus dem Inneren und jenseits von uns, der uns auffordert, unseren persönlichen Beitrag zur Welt zu leisten.

LIEBE ALS GNADE

Wir vollbringen ein solch großartiges Meisterstück nicht gänzlich allein. Insofern ist Liebe auch eine Gnade, die wir bei der Geburt als Teil unserer menschlichen Ausstattung mitbekommen haben, ein Geschenk, das unser ganzes Leben lang immer wieder aufs Neue geöffnet werden kann.

Gnade ist die besondere Hilfe, die uns aus dem Bereich jenseits unseres Ichs zuteil wird. Sie stammt aus einer Quelle, die sich unserer Kontrolle entzieht. Wir können nichts tun, damit sie eintritt, aber es kann hilfreich sein, wenn wir uns für sie öffnen. Im Sonett 87 spielt Shakespeare auf die Gnade an: „Aus mir ist nicht dein Schenken zu erklären …“.5 Gnade gründet sich nicht auf unsere Bemühungen oder Leistungen; sie kommt aus freien Stücken. Sie ist eine unverdiente Ressource, die uns mehr Weisheit und Mut schenkt, als wir in unserem normalen Ego-Werkzeugkasten zur Verfügung haben. Gnade lässt sich als eine Energie verstehen, die uns hilft, uns selbst zu erfüllen. In der antiken Mythologie war Plutos der Gott des Reichtums. Zeus blendete ihn, sodass er die Reichtümer wahllos, ohne auf irgendwelche Verdienste zu achten, verteilen konnte. Dieser Mythos zeigt, dass Gnade ein vollkommen freies Geschenk ist sowie auch eines, das aus einer transzendenten Quelle stammt.

Was sich über Gnade sagen lässt, ist auch in Hinsicht auf unsere eigene Verpflichtung, universelle Liebe zu zeigen, gültig. Sie ist ein freies Geschenk von uns an andere, unabhängig von deren Verdiensten. Sie ist transzendent, weil ihr Ursprung jenseits des Egos liegt und alle Vorlieben, Voreingenommenheiten und Beschränkungen des Egos aufhebt. In diesem positiven Sinne ist Liebe blind.

LIEBE ALS ÜBUNG

Es liegt immer an uns, die Energie aufzuwenden, die es braucht, um mit Liebe und im Einklang mit der uns verliehenen Gnade zu handeln. Insofern ist Liebe eine Übung. Wir müssen nicht nach Liebe streben, sie ist bereits in uns; aber es bedarf der Übung, um sie zu zeigen. Es gibt einige Formen, Liebe zu praktizieren, indem wir das zeigen, was ich die Fünf Aspekte nenne: Aufmerksamkeit, Annehmen, Wertschätzung, Zuneigung und Zulassen. Dies sind die Komponenten der Liebe, die eine Beziehung zu einer wirklich fürsorglichen Verbindung werden lassen. Sie können auf uns selbst oder auf andere ausgerichtet sein.

Wir sind aufmerksam mit einer aktiven und kontinuierlichen Wachheit für die Bedürfnisse und Gefühle von uns selbst und anderen, indem wir sowohl zuhören als auch achtsam für nonverbale Hinweise sind. Wir haben ein echtes Interesse an dem, wer wir und andere tatsächlich sind und was wir oder sie empfinden.

Wir nehmen uns und andere so an, wie wir oder sie sind, ohne zu urteilen oder zu zensieren. Gleichzeitig zeigen wir Unterscheidungsvermögen. Wir erkennen die anziehende Seite in uns und anderen ganz und gar an, ebenso aber auch die unattraktive Seite in uns und anderen, während die Liebe ungehindert und unvermindert weiter fließt.

Wir würdigen oder wertschätzen uns und andere. Menschen wertzuschätzen heißt, ihren Wert zu achten. Dies ist ein bedingungsloser Wert, denn er kann nicht beschädigt oder ausgelöscht werden. Er gründet sich nicht auf Verhalten, Geschichte, Erfolg oder Versagen. Wertschätzung beinhaltet auch, dass wir würdigen, was andere an Gutem tun, und ihnen dafür danken, und dass wir die Güte, die sie sind, wertschätzen und sie preisen.

Wir empfinden und zeigen Zuneigung, indem wir für unseren eigenen Körper sorgen sowie für im Rahmen der jeweiligen Beziehung angemessene respektvolle körperliche Berührung und Intimität.

Zulassen bedeutet nicht, anderen die Erlaubnis zu erteilen zu tun, was ihnen gefällt. Es bedeutet, den vollständigen Ausdruck der tiefsten Bedürfnisse und Wünsche von jemandem willkommen zu heißen. Wir können dies auch für uns selbst tun, indem wir mit unerschrockener Bereitwilligkeit unsere eigene Wahl treffen. Wir versuchen nicht, uns in eine Persona – oder in eine spirituelle Praxis – zu quetschen oder uns zu einem Verhalten zu zwingen, das andere vielleicht anziehend finden, das jedoch nicht zu uns passt. Unsere Praxis besteht darin, uns dafür zu öffnen, wer wir sind und wofür wir bereit sind.

Wir mögen uns fragen, was der Unterschied zwischen Zulassen und Annehmen ist. Vergleichen wir deren Gegensätze, so hilft uns das, den Unterschied zu verstehen: Der Gegensatz von Zulassen ist Kontrollieren; der Gegensatz von Annehmen ist Ablehnung und Verurteilung.

Zulassen heißt, jemanden in seiner Entscheidung zu unterstützen, auch wenn wir nicht damit einverstanden sind. Zulassen bedeutet nicht immer Annehmen, aber Annehmen schließt Zulassen immer mit ein. Zum Beispiel mag ein Vater vielleicht nicht immer die exzentrische künstlerische Persönlichkeit seiner Tochter annehmen, aber er kritisiert sie nicht dafür oder hält sie davon ab, diesen Weg weiter zu verfolgen. Er unterstützt die Entscheidung seines Kindes, auf die Kunsthochschule zu gehen, indem er ihr die Studiengebühren bezahlt, obwohl es ihm lieber gewesen wäre, wenn sie eine konventionellere Karriere gewählt hätte.

Beim Annehmen geht es darum, persönliche Charakterzüge willkommen zu heißen, beim Zulassen darum, die Entscheidungen und den Lebensstil, die sich daraus ergeben, zu unterstützen. Zulassen beinhaltet außerdem das Annehmen der ganzen Manifestation dessen, was jemand wirklich ist. Wird der volle Ausdruck dieses Potenzials unterbunden, so ist das Ergebnis mehr als ein persönlicher Verlust. Es ist ein Schlag gegen die Ziele der Evolution an sich, die alles von uns verlangt, was jeder zu geben vermag, damit es Fortschritt geben kann.

Mitgefühl, Fürsorge, Respekt und alle anderen Formen von Liebe werden bei unserer Beschreibung nicht außer Acht gelassen. Sie können mit denselben Fünf Aspekten beschrieben werden, die auf bestimmte Bedürfnisse ausgerichtet sind. Mitgefühl ist beispielsweise die Reaktion der Fünf Aspekte auf Schmerz. Fürsorge ist der Ausdruck von Betroffenheit. Respekt ist die Art und Weise, auf die wir Individuen und deren Grenzen anerkennen. Vertrauen ist Ausdruck von Verlässlichkeit.

Wir können eine Analogie anführen, um die Fünf Aspekte zu verstehen. Um einen gesunden Körper zu haben, benötigen wir Nahrung der folgenden Lebensmittelgruppen: Vollkorn, Gemüse, Milchprodukte und Protein aus Fleisch, Fisch oder anderen Quellen. Jede dieser Gruppen zielt auf verschiedene Systeme im Körper ab, wie etwa Muskeln, Haut, Knochen und so weiter. Jedes von ihnen bildet einen notwendigen Baustein für einen gesunden Körper. Fehlt eines, so herrscht ein Mangel, der zu Krankheit führen kann.

Auf gleiche Weise benötigen wir spezifische Formen der Liebe, die die Systeme in unserer Psyche aufbauen. Die Fünf Aspekte sind, wie auch die Lebensmittelgruppen, nicht willkürlich. Jeder von ihnen ist ein spezifischer und notwendiger Baustein unseres psychischen Aufbaus. Fehlt einer, so spüren wir den Mangel und ein Teil von uns leidet. Auf folgende Weise trägt jeder dieser Aspekte zu unserer geistig-seelischen Gesundheit bei:

Aufmerksamkeit ist notwendig, damit wir erkannt werden. Dies macht es uns möglich, unsere Bedürfnisse auszudrücken, sodass sie von anderen verstanden werden – in unseren frühen Lebensjahren von den Menschen, die für uns Sorge tragen, und später von unseren Partnern oder Geliebten. Hätten Menschen uns keine Aufmerksamkeit geschenkt, dann hätten wir uns isoliert gefühlt und wir würden nicht darauf vertrauen, dass wir anderen zeigen können, was wir brauchen, und eine angemessene Reaktion bekommen. Aufmerksamkeit von anderen unterstützt unser Gefühl, anerkannt zu werden und Kraft zu besitzen.

Annehmen ist notwendig, damit unseren einzigartigen Eigenschaften, sowohl den positiven als auch den negativen, Gastrecht gewährt werden kann. Ohne Annehmen muss sich unser wahres Ich verstecken. Wir zweifeln an unseren Talenten und einzigartigen Gaben. Wir zweifeln auch daran, dass unsere Schattenseite befriedet und zu einer schöpferischen Quelle werden kann. Unser Selbstwertgefühl kann sich nicht entwickeln, solange unser gesamtes Ich nicht bestätigt wird. Angenommenwerden durch andere unterstützt das Vertrauen in uns selbst, dass wir der Welt eine Menge zu bieten haben.

Wertschätzung ist notwendig, damit unser Beitrag anerkannt und mit Dankbarkeit angenommen werden kann. Ohne Wertschätzung haben wir das Gefühl, als etwas Selbstverständliches hingenommen zu werden. Unsere Taten und Worte verpuffen und haben keine Wirkung. Dies schädigt unser Gefühl von Handlungsmacht und Selbstvertrauen in der Welt, die uns umgibt. Wertschätzung durch andere unterstützt unser Selbstwertgefühl.

Zuneigung ist notwendig, damit unser Körper sich getragen, geachtet und geliebt fühlt. Wir wissen, dass körperliches Getragenwerden in der frühen Kindheit für die Entwicklung des Gehirns förderlich ist. Wir wissen außerdem, dass Berührung uns das ganze Leben hindurch Lust und Behagen bereitet. Ohne Umarmung und zärtliche Berührung leidet unser körperliches Selbstwertgefühl. Zuneigung von anderen unterstützt den Stolz auf unseren Körper, Streicheleinheit für Streicheleinheit.

Zulassen ist notwendig, damit wir uns frei fühlen, im Einklang mit unseren tiefsten Bedürfnissen, Werten und Wünschen zu leben. Zulassen zeigt uns außerdem, dass wir allein in die Welt hinausziehen können, wenn der richtige Zeitpunkt gekommen ist. Für einen Erwachsenen bedeutet Zulassen, dass er in der Lage ist, seinen Träumen nachzugehen und sich seinen Wünschen entsprechend in der Welt zu bewegen, ohne von anderen beurteilt, kontrolliert oder gehemmt zu werden. Zulassen durch andere ist das, was den Archetypus der Reise unterstützt. Ein Archetyp ist ein allgemein bekanntes und universelles Thema im kollektiven Bewusstsein der Menschheit, das in Geschichten und Mythen zum Ausdruck kommt, welche die Energie, das Potenzial und die Aufgabe des Menschen beschreiben.

Interessant in diesem Zusammenhang ist, dass der Plot von Märchen häufig um Mängel bei den Fünf Aspekten in einer Beziehung kreist. So gründet sich zum Beispiel die Geschichte von Dornröschen auf einen Mangel an Aufmerksamkeit gegenüber einer der Patinnen der Prinzessin. Hänsel und Gretel mangelt es am Angenommensein von Seiten der Stiefmutter. Dem Biest in Die Schöne und das Biest mangelt es an Zuneigung. Aschenputtel mangelt es an Wertschätzung. Schneewittchen darf nicht so schön sein, wie sie ist, und weiterleben. In jedem Beispiel hat die Geschichte ein Happy End, weil es jemanden gibt, der den Mangel wieder wettmacht. Als Erwachsene verstehen wir, dass wir es in erster Linie sind, die diesem Zweck dienen müssen. Wir können nicht erwarten, gerettet zu werden, aber es gibt wundervolle Menschen, die uns lieben, indem sie uns die Fünf Aspekte entgegenbringen, die uns vor Isolation und Verzweiflung retten. Woran wir uns erinnern müssen ist, dass jene, die uns das geben, woran es in unserer Vergangenheit gemangelt hat, uns auch zeigen, woran es uns gemangelt hat. Diese Kombination aus Erfüllung und Kummer kann schwer zu ertragen sein; daher sollten wir Geduld mit uns selbst haben.

DIE ARTEN VON LIEBE

Die altgriechischen Philosophen skizzierten vier Hauptarten von Liebe: Storge, Eros, Philia und Agape. Storge ist die familiäre Liebe, besonders zwischen Eltern und Kindern. Diese Liebe kann fortbestehen, selbst wenn es zu Vernachlässigung oder Missbrauch kommt. Wir wissen zum Beispiel, dass wir unsere Verwandten lieben, auch wenn wir nicht immer darauf vertrauen können, von ihnen die Fünf Aspekte zu erhalten. Familienbande können Sicherheit und Geborgenheit bieten, aber zu dem Preis, dass wir Anteile von dem, was wir sind, verschleiern müssen. Insofern transzendiert unsere liebende Verbindung innerhalb unserer Familie manchmal sogar die Bedeutung, unser Ich hervortreten zu lassen. Zeichen von Liebe mögen im Verhalten unserer Verwandten vielleicht nicht deutlich sein, aber wir wissen dennoch, dass sie uns lieben und wir sie lieben; unsere gegenseitige Loyalität bleibt bestehen. In unserer Zuneigung zu unserer Familie lernen wir sicherlich, wie bedingungslose Liebe praktiziert wird.

Eros ist leidenschaftliche Liebe, die wir am stärksten spüren, wenn wir verliebt sind. Eros schließt sexuelle Leidenschaft mit ein, ist jedoch nicht auf diese begrenzt. Oft wird sie ausgelöst oder genährt durch die Attraktivität von körperlichen Eigenschaften. Die erotische Liebe, die wir für einen bestimmten Menschen in unserem Leben empfinden, kann Teil einer verbindlichen intimen Beziehung sein. Sie kann auch eine Wohlfühl-Anhaftung in einem bestimmten Augenblick sein, die nicht weiter genährt wird. Eros kann sowohl eine Sehnsucht nach einem geliebten Menschen als auch eine Vereinigung mit diesem sein. Das liegt daran, dass Eros Lust aufgrund der Erfüllung unserer Sehnsüchte wie auch unsere Sehnsucht nach Erfüllung umfasst.

Eros bezieht sich ebenfalls auf die sinnliche, leidenschaftliche, lebendige und kreative Dimension des menschlichen Lebens im Allgemeinen. Er kann daher zwischen Freunden oder in jeglicher Beziehung aktivsein, ohne sich sexuell zu manifestieren. C. G. Jung sagt in seinen Schriften zur Traumdeutung, die Menschen dächten, dass Eros Sex ist, aber dem sei nicht so; Eros ist Bezogenheit.

Wir können intime Liebe nicht nur als erotische Liebe wertschätzen. Philia ist Freundschaft, die Zuneigung und Bewunderung miteinander verbindet. Sie wird auch als platonische Liebe bezeichnet. Wie alle Formen der Liebe kann auch sie ein erotisches Element besitzen, aber sie ist gewöhnlich nicht sexueller Natur. Authentische Freundschaftsliebe ist bedingungslos. Sie stellt die Interessen des anderen mit den unseren auf eine Stufe, führt kein Register der Verfehlungen des anderen, übt keine Vergeltung, steht nicht im Wettstreit mit dem anderen, ist nicht rücksichtslos, umfasst sowohl Zuneigung als auch Liebe, erholt sich nach Konflikten leicht und ist auf transparente Weise verletzlich. Diese Eigenschaften sind schwierige Herausforderungen für ein Ego, das alles ausgeglichen und quitt haben muss.

Freundschaft gedeiht durch Kameradschaft, die nicht unbedingt eine Form der Nähe sein muss. Wenn man beispielsweise gemeinsam Computerspiele spielt, schließt dies Kameradschaft mit ein, aber es geschieht ohne Augenkontakt. Team-Sportarten sind Formen von Beziehungen, die zu Kameradschaft führen, aber den Austausch auf persönlicher Ebene nicht unbedingt einschließen. In vollkommener Kameradschaft teilen Freunde Ereignisse im Leben miteinander und tauschen sich darüber aus. Sie freuen sich über den Erfolg des anderen und helfen einander, schwere Zeiten sowie Leiden und Verluste durchzustehen. Freundschaftliche Beziehungen scheinen oftmals nachhaltiger zu sein als Bindungen, die auf romantischer Liebe beruhen.

Der griechische Philosoph Aristoteles sprach von drei Grundlagen der Freundschaft. Eine Freundschaft kann sich auf Nützlichkeit