Wie viel Gewissen darf's denn sein? - Thomas Wilhelm - E-Book

Wie viel Gewissen darf's denn sein? E-Book

Thomas Wilhelm

0,0
19,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Warum ist die eine Entscheidung sinnvoll, die andere aber nicht? Hier werden konkrete ethische Fragen des (beruflichen) Alltags einfach und verständlich erläutert, ohne dogmatisch zu sein. Finden Sie heraus, was Sie ethisch vertreten können und wollen. Und lernen Sie, Ihr Leben wieder in die Hand zu nehmen und Entscheidungen eigenständig zu treffen.   Inhalte: - Praktische Entscheidungshilfe am Beispiel von 50 Alltagssituationen. - Unterstützung für eine sinnvolle Lebensführung. - Was common sense-Ethik bedeutet. - Spannende Lektüre und Denkanstöße für Menschen, die selbst entscheiden wollen.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 334

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhaltsverzeichnis

3 Antworten, die das Buch gibtMit Moral durchs Leben – geht das?Ein moralisches DilemmaFolge deinem GewissenFolge der goldenen RegelTu, was dir am meisten nützt: ethischer EgoismusTu, was den meisten Nutzen für die Allgemeinheit hat: FolgenethikTu, was deine Pflicht ist: PflichtenethikDie Common-Sense-EthikAllgemein MenschlichesHandlungsnormen als Kern menschlicher EthikThomas Hobbes und der MoralvertragAnti-Schadens- und KooperationsregelnWas moralische Grundregeln leisten müssenMoralische Grundregeln (die wichtigsten Kandidaten)Ist Moral nicht relativ?AntischadensregelnWenn es richtig weh tutDer moralische StresstestMuss ich eingreifen?EntscheidungsfragenWie viel Freiheit brauchen wir?GruppendruckZum Glück gezwungenZustimmung erforderlichPrivat – kein Zutritt für Unbefugte!Talente entwickelnHaben wir einen freien Willen?Haben wir ein Recht auf Spaß?Hedonismus oder der Wert eines freudvollen LebensDas Glück der anderen schützenWas Verantwortung bedeutetDer Begriff der VerantwortungDie Konsequenzen tragenDie Macht der EntschuldigungKooperationsregelnWie bindend sind Versprechen?Und wenn etwas dazwischenkommt?Die Logik des VertrauensHaben Lügen kurze Beine?Hinters Licht geführtMoralisches Klima im UnternehmenGängiges GeschäftsgebarenHauptsache fairSich an die Regeln haltenEinem jeden, was ihm zustehtSo gelingen FeedbackgesprächeWarum überhaupt moralisch handeln?Pflichten – und kein Ende?InteressenkonflikteLoyalität und DankbarkeitDer Fall Petersen reloadedEthische IdealeMut und ZivilcourageEinsatz ohne moralische PflichtWhistleblowingSolidarität und RespektDie Gesellschaft menschlicher machenSoziale Verantwortung von UnternehmenLiteraturImpressum

3 Antworten, die das Buch gibt

1 Was heißt es, ethisch zu handeln?

Ethisch handeln bedeutet, gewissen moralischen Grundregeln zu folgen, die den Kern einer Common-Sense-Ethik bilden. Die Regeln haben im Wesentlichen eine Schutzfunktion. Sie helfen dabei, uns gegenseitig keinen Schaden zuzufügen und menschliche Kooperation zu ermöglichen. Die Grundregeln bilden den moralischen Rahmen für alle unsere Handlungen – ob im Beruf oder im Alltag.

2 Wie kommt man zu moralisch gut begründeten Entscheidungen?

Moralische Entscheidungen erfordern einen – mitunter schwierigen – Abwägungsprozess. Für jeden Fall gilt zu überlegen: Welche moralische Handlungsnorm muss beachtet werden und welche moralischen Fakten sind relevant? In moralischen Entscheidungssituationen gibt es dabei nicht nur eine mögliche Antwort. Vernünftige Personen können zu unterschiedlichen Lösungen kommen.

3 Welchen Nutzen hat es, sich mit ethischen Fragen zu beschäftigen?

Die Beschäftigung mit ethischen Fragen sensibilisiert uns für die kleinen und großen moralischen Alltagsprobleme, die uns immer wieder begegnen und oft unvorbereitet treffen. Ethische Probleme zu durchdenken unterstützt uns dabei, unsere Urteilskraft zu stärken und Klarheit in unserem eigenen Denken zu gewinnen. Das macht uns fit, für unsere eigenen moralischen Fragen robuste und präzise Antworten zu finden.

Mit Moral durchs Leben – geht das?

Sind Notlügen manchmal erlaubt?

Wie loyal muss ich meinem Arbeitgeber gegenüber sein?

Darf ich petzen?

Soll ich mich um die Pflege meiner Eltern kümmern, auch wenn dies meine Karriere gefährdet?

Ich stelle fest, dass ich ein Versprechen nicht halten kann, was soll ich tun?

In welche Dinge sollte ich mich einmischen, wenn ich merke, dass etwas falsch läuft?

Was tue ich, wenn mich jemand ausnutzt?

Unter welchen Umständen darf ich ein Geheimnis verraten?

Gibt es spezielle Freundschaftspflichten?

Wie weit geht meine Fürsorgepflicht als Vorgesetzter?

Hat man Verwandten gegenüber mehr Pflichten als gegenüber Fremden?

Soll ich eingreifen, wenn ich sehe, dass ein Kollege gemobbt wird?

Ist es in Ordnung, im Bewerbungsgespräch zu flunkern, wenn man keinen geraden und lückenlosen Lebenslauf hat?

Was tue ich, wenn ich das Gefühl habe, ungerecht behandelt zu werden?

Ist es richtig, immer seine ehrliche Meinung zu sagen, auch wenn man dadurch jemanden verletzt?

Soll man unangenehme Nachrichten manchmal besser zurückhalten?

Was tue ich, wenn zwei Pflichten miteinander kollidieren?

Ist Ethik nicht immer relativ?

Warum sollte ich überhaupt moralisch handeln?

Welche Dinge sind wichtig im Leben?

Was bedeutet für mich ein glückliches, gelingendes Leben?

Solche und ähnliche Fragen führen uns mitten hinein in die Ethik. Es sind Fragen, die uns im Alltag immer wieder begegnen, die uns beschäftigen und manchmal auf der Seele liegen, weil wir vielleicht zu keiner befriedigenden Antwort kommen. Was den Fragen gemeinsam ist: Sie berühren die Interessen und Anliegen anderer Personen, aber auch meine eigenen. Mit anderen Worten, es sind moralische Probleme, die uns da umtreiben.

Mein Anliegen in diesem Buch ist, sich mit all diesen Fragen einmal bewusst auseinanderzusetzen, nach Wegen zu suchen, wie wir zu befriedigenden Lösungen gelangen können. Dabei ist es nicht Ziel dieses Buches, besserwisserisch und mit dem moralischen Zeigefinger Tipps und gute Ratschläge zu geben, wie man sich richtig moralisch zu verhalten hat. Die konkreten Situationen, die beteiligten Parteien und deren Interessen sind zu unterschiedlich, als dass sie durch Patentrezepte gelöst werden könnten.

Ich möchte aufzeigen, wie man in moralisch schwierigen Situationen zu Entscheidungen kommen kann, welche Einflussfaktoren man berücksichtigen sollte und wie man, wenn man eine Entscheidung getroffen hat, konsequent handeln kann. Dazu stelle ich ein moralisches Modell vor, das Sie dabei unterstützen kann, zu differenzierteren moralischen Entscheidungen zu kommen. Ich nenne es Common-Sense-Ethik. Es handelt sich letzten Endes um eine Rekonstruktion der moralischen Intuitionen unserer Alltagsmoral.

Warum lohnt es sich für Sie, sich mit ethischen Fragestellungen zu beschäftigen?

Sie können Ihre Entscheidungen auf eine solidere Begründungsbasis stellen und finden geeignetere Handlungsoptionen in ethisch anspruchsvollen Situationen.

Sie werden sicherer in der Bewertung der ethischen Qualität einer Handlung.

Sie gewinnen einen Rahmen für Ihre persönlichen ethischen Ideale, für Ihren persönlichen ethischen Code.

Sie können Ihr eigenes Handeln leichter überprüfen.

Sie schärfen Ihre ethischen und moralischen Intuitionen.

Sie gewinnen begriffliche Klarheit und bewegen sich dadurch sicherer innerhalb Ihrer moralischen Bewertungen. Sie werden Begriffe präziser unterscheiden und steigern damit Ihre Urteilskraft. Das hilft Ihnen dabei, ethisch relevante Situationen angemessener zu interpretieren und damit robuster in Ihren Entscheidungen zu werden.

Man muss dabei akzeptieren, dass es nicht nur eine Antwort auf eine moralische Frage gibt. Vernünftige Menschen können zu unterschiedlichen Antworten kommen, die gleichermaßen gerechtfertigt sind. Ethik ist nicht wie Mathematik, sie ist auch nicht wie eine Wissenschaft. Unsere moralischen Urteile lassen sich nicht auf ein einfaches Erklärungsschema reduzieren. Es erfordert immer einen Blick auf die ganz konkrete Situation, wenn man zu moralisch robusten Entscheidungen gelangen möchte. Die Entwicklung der eigenen Urteilskraft ist deshalb ein wichtiger Schritt.

Um sichere Urteile bilden zu können, spielen sowohl Vernunftüberlegungen als auch Emotionen eine wichtige Rolle. In den letzten Jahren wurden so viele sozialpsychologische Experimente mit dem Ergebnis veröffentlicht, dass Gefühle die Bewertung von Handlungen stark beeinflussen. Das hat dazu geführt, dass viele glauben, moralische Fragen sind letztlich nur durch den Zugang zu unseren Emotionen zu lösen. Die Vernunft hat dabei maximal die Funktion, uns Handlungsoptionen vor Augen zu führen. Die moralische Bewertung ist dann unseren Emotionen zu überlassen. Ich halte es für falsch, Vernunft und Emotion voneinander trennen zu wollen. Ich glaube, dass beide Aspekte wichtig sind und man sie nicht künstlich trennen kann. Ohne kühle Überlegungen und eine rationale Analyse wird man in vielen Situationen eine falsche Entscheidung treffen und ohne Emotionen wird man möglicherweise gar keine Entscheidung treffen oder Situationen falsch bewerten. Das Ideal wäre, beide Aspekte im Blick zu halten: seine rationale Urteilskraft zu stärken, aber auch die Fähigkeit weiterzuentwickeln, angemessene emotionale Reaktionen zu haben. Das heißt letzten Endes, einen Charakter auszubilden, der eine Balance zwischen Ratio und Emotio widerspiegelt.

Das ist auch der Grund, warum ich Ihnen in diesem Buch viele kleine Geschichten und Fälle schildere. Mit moralischen Fragen beschäftigt man sich am besten, indem man sich in konkrete Situationen hineinzudenken versucht. Ethische Fragen sind immer in komplexen Lebenssituationen verankert. Es handelt sich in der Regel nicht um eindimensionale Entscheidungssituationen. Vielmehr spielen viele Faktoren, auch emotionaler Art, mit hinein. Konkrete Geschichten helfen uns dabei, diese Faktoren besser berücksichtigen zu können und die moralischen Probleme und deren Lösungen leichter zu verstehen. In vielen Fällen ist klar, wie die moralisch richtige Entscheidung aussehen sollte.

Was die Situation jedoch vermeintlich unlösbar macht, ist, dass man keine Idee hat, was man nun konkret tun kann. Deshalb werde ich in diesem Buch auch immer wieder Hilfestellung bei der Frage anbieten, wie man es umsetzen kann, wenn man erkannt hat, welche Lösung moralisch die richtige ist. Den Stein der Weisen habe ich dabei gewiss nicht gefunden, ich bin auch kein Moralist, der anderen Menschen erklären könnte, welches die beste Entscheidung ist. Ich möchte Sie jedoch dabei unterstützen, für sich selbst mehr Klarheit in moralischen Fragen zu finden. Was ich auch demonstrieren möchte, ist, dass es bereichernd und lehrreich sein kann, sich mit ethischen Fragen zu beschäftigen und in seinem Leben eine ethische Perspektive zu entwickeln.

Eine ethische Perspektive einzunehmen bedeutet, ethische Überlegungen in seine Handlungen einfließen zu lassen und sich im Alltagshandeln von ihnen leiten zu lassen. Es bedeutet, beständig die Interessen anderer Menschen zu berücksichtigen, sich aktiv mit all den kleinen moralischen Fragen auseinanderzusetzen, die uns im Alltag auf Schritt und Tritt begegnen. Das führt natürlich zu Spannungen mit unserer Ich-Perspektive. Wir stecken in unserer ganz subjektiven Welterfahrung mit all den Wünschen, Sorgen, Ängsten, Hoffnungen und Freuden, die wir haben. Wir sind zwangsläufig parteiisch, was uns und unser Leben betrifft. Denn natürlich möchte ich, dass es mir gut geht, dass ich ein erfolgreiches Leben führe. Da funkt uns nun diese ethische Perspektive dazwischen, die von uns verlangt einen Schritt zurückzutreten und einen unparteiischen Blick auf die Welt zu werfen, um das moralisch Richtige zu tun. Der moralische Standpunkt fordert von uns, die Sicht des neutralen Beobachters einzunehmen, der mit kühlem Kopf entscheidet, was die moralisch beste Handlung ist. Lohnt das überhaupt? Und wenn ja wozu?

Die Frage „Was soll ich tun?“ ist daher im Grunde immer ambig. Sie kann bedeuten: Was ist für mich das Klügste und Vernünftigste angesichts meiner Interessen und Anliegen? Oder sie bedeutet: Was soll ich in einem moralischen Sinn – eben als Ausdruck einer ethischen Perspektive – tun? Was ist das moralisch Richtige? Die ethische Perspektive in unser Leben zu integrieren, fällt also nicht immer leicht. Hinzu kommt, dass derjenige, der versucht das moralisch Richtige zu tun, oft belächelt und für etwas naiv gehalten wird. Im Businessleben kann einem schon einmal entgegengehalten werden: „Ethik kam man sich nur leisten, wenn man Profit macht. Alles andere ist naiv und unprofessionell.“ Dabei wird so getan, als seien nur Kosten-Nutzen-Analysen Instrumente rationalen Denkens.

Aber das ist falsch. Moral und Ethik hat einen sehr rationalen Kern. Moralische Gründe können gute rationale Gründe dafür sein, dass man bestimmte Handlungen durchführt oder auch nicht. Schaden verhindern oder mindern, ein lebenswerteres Miteinander erzielen, gegenseitiges Vertrauen aufbauen, Verlässlichkeit schaffen, Freude gewinnen aus der Freude anderer – all dies können gute und durchaus vernünftige Motive für moralisches Handeln sein. Das Anliegen dieses Buches ist daher auch zu zeigen, inwiefern unsere Alltagsmoral uns rationale Gründe für unsere Entscheidungen liefert.

Eine perfekte Integration der ethischen Perspektive wird nicht immer zu leisten sein. Es bringt jedoch schon viel, wenn man sich bewusst mit moralischen Fragen auseinandersetzt, da dies Möglichkeiten aufzeigt, wie die ethische Perspektive ins eigene Leben mit aufgenommen werden kann. Vielleicht werden Sie in der einen oder anderen Lage in Zukunft ein wenig anders entscheiden, vielleicht kommen Sie der Person, die Sie sein möchten, ein Stückchen näher, vielleicht werden Sie manches Mal etwas weniger Unbehagen empfinden, wenn Sie sich für diese oder jene Handlung entschieden haben – ich persönlich bin der festen Überzeugung, dass es uns bereichert, eine ethische Perspektive einzunehmen.

Zwei Bemerkungen möchte ich zum Schluss dieser Einleitung noch loswerden:

Erstens: Ich verwende die Begriffe Moral, Ethik, moralisch, ethisch weitgehend gleichbedeutend. Umgangssprachlich wird zwischen diesen Begriffen häufig nicht unterschieden und deswegen möchte ich auch in diesem Buch so verfahren.

Zweitens: Es ist eine offene Frage, was alles Gegenstand ethischer Überlegungen sein kann. Ich klammere hier ganz bewusst ethische Fragen zu Themen wie Tierschutz, Umweltschutz, Umgang mit unserer Biosphäre, Umgang mit zukünftigen Generationen aus.

Ein moralisches Dilemma

Beispiel

Klaus Petersen war überrascht, dass er noch so spät zum Geschäftsführer, Herrn Bornheim, gerufen wurde. Immerhin war es schon nach 18 Uhr. Es musste um eine dringende Angelegenheit gehen. Als Klaus ins Büro des Geschäftsführers eintrat, stand dieser am Fenster. Mit nachdenklicher Miene drehte Bornheim sich um.

„Bitte, nehmen Sie doch Platz.“

Petersen setzte sich und blickte gespannt in das Gesicht Bornheims. Bornheim sah müde und überarbeitet aus. Kein Wunder, die letzten Wochen waren ziemlich ereignisreich. Erst der verlorene Großauftrag in Dubai und dann das Gerücht, dass ein chinesischer Konkurrent das Unternehmen übernehmen wolle. Aber keiner wusste – zumindest ab Abteilungsleiterebene abwärts –, was an der Geschichte dran war.

„Ich möchte Ihnen etwas Wichtiges mitteilen“, sagte Bornheim geheimnisvoll. „Aber was ich Ihnen sage, muss unter uns bleiben. Kann ich mich darauf verlassen?“

„Natürlich, Herr Bornheim“, erwiderte Petersen.

„Gut, es ist sehr wichtig, dass nichts nach außen dringt.“

„Sie können sicher sein, dass ich alles für mich behalten werde.“

Bornheim holte tief Luft. „Wir werden demnächst von Wang Ltd. übernommen. Die Verhandlungen sind so gut wie abgeschlossen.“

„Also doch …“, murmelte Petersen.

„Wie bitte?“, fragte Bornheim.

„Na ja, es gab schon seit einiger Zeit Gerüchte.“

„Die gab es wohl … Nun gut. Ich habe Sie heute hergerufen, weil diese Übernahme natürlich mit einigen drastischen Veränderungen verbunden sein wird. Einige Abteilungen werden wir vollkommen aufgeben, so zum Beispiel die IT-Abteilung. Andere werden so weitermachen können wie bisher. So auch die Marketingabteilung, für die ja Sie zuständig sind.“

„Warum erzählen Sie mir das alles, Herr Bornheim?“

„Nun ja, in der Vorbereitung der Übernahme müssen einige Transition-Workshops durchgeführt werden. Dazu benötigen wir Unterstützung und da habe ich unter anderem an Sie gedacht.“

„Ach so, … was passiert dann mit der Abteilung IT von Ralf Müller?“

„Die Abteilung wird – wie gesagt – dicht gemacht und von den Mitarbeitern werden wir uns trennen. In einem Monat, wenn die Verhandlungen ganz abgeschlossen sein werden, werden wir dann Trennungsgespräche mit den beteiligten Mitarbeitern führen.“

Bornheim erklärte Petersen, wie die nächsten Schritte der Verhandlung ablaufen würden und in welchen Phasen er die Hilfe von Petersen brauchte. Dann verabschiedete er ihn.

Als Petersen draußen vor der Tür des Geschäftsführers stand, konnte er zunächst keinen klaren Gedanken fassen. Er hatte mit Vielem gerechnet, aber nicht mit dieser Nachricht. Da fiel ihm ein, dass er schleunigst los musste, denn heute war ja Donnerstag und donnerstags spielte er immer in einer Freizeitgruppe Volleyball. Von der Firma waren außer ihm noch Sonja Köhler und Ralf Müller dabei. Bei dem Gedanken gleich Ralf Müller zu treffen, mit dem er in den letzten zwei Jahren eine gute Freundschaft aufgebaut hatte, wurde ihm ganz flau im Magen. Bornheim war nicht bekannt, dass Petersen und Müller gute Freunde waren.

Petersen fragte sich, was er jetzt tun sollte. Sollte er seinen Freund in die Angelegenheit einweihen? Aber andererseits hatte er doch versprochen, nichts über das Gespräch zu erzählen. Er konnte nicht einfach seine Zusage brechen. Außerdem wäre es wahrscheinlich unklug, die Geschichte Müller zu erzählen. Es käme dann bestimmt heraus, dass er geplaudert hatte, was mit Sicherheit auch für seine Karriere nicht förderlich wäre. Er hätte ja dann das Vertrauen von Bornheim missbraucht. Andererseits, seinen Freund nicht einzuweihen, ist das nicht auch ein Vertrauensbruch? Setzt Petersen dadurch nicht vielleicht seine Freundschaft mit Müller aufs Spiel? Er brauchte sich nur in die Lage von Müller zu versetzen, um zu verstehen, wie er selbst reagieren würde, falls ein Freund ihm etwas Wichtiges verheimlichte.

In dieser Lage wäre es für Petersen hilfreich, wenn es ein klares, einfaches Prinzip oder eine Regel gäbe, der er in dieser moralischen Dilemmasituation folgen könnte. Eine einfache Regel, die es einem leicht machen würde, die richtige Entscheidung zu treffen. Gibt es in der Ethik eine solche Regel? Oder gibt es eine präzise, alltagstaugliche Theorie, die uns in der Praxis helfen kann, die moralisch richtige Entscheidung zu treffen? Und wenn ja, welcher ethischen Theorie, welchem moralischen Modell sollte man folgen?

Was soll ich tun? Wie soll ich handeln? Woran soll ich mich orientieren? Gibt es Maßstäbe oder Prinzipien, von denen ich mich leiten lassen kann? Gibt es eine allgemeine Antwort auf diese Fragen, eine Antwort, die mir als Richtschnur dienen kann, um in allen Situationen die moralisch richtige Entscheidung zu treffen?

Auf dieses Fragenbündel hätten viele Menschen gern eine klare und präzise Antwort. Und tatsächlich: Antworten gibt es. Die Antworten aber, denen man begegnet, sind so vielfältig und verschieden, dass man sehr schnell die Orientierung verlieren kann. Ich möchte daher zunächst ein bisschen Ordnung in diese Vielzahl von Antworten bringen und habe die gängigsten klassischen Kandidaten zusammengestellt.

Sie lauten:

Folge deinem Gewissen.

Folge der goldenen Regel.

Tu, was dir am besten nützt.

Tu, was den meisten Nutzen für die Allgemeinheit hat.

Tu, was deine Pflicht ist.

Folge deinem Gewissen

Eine nahe liegende Antwort auf die Frage, wie man handeln soll, besteht in dem Verweis auf das Gewissen. Wenn du herausfinden möchtest, was das moralisch Richtige ist, dann höre einfach auf deine innere Stimme. Sie wird dir sagen – wenn du nur richtig zuhörst –, was du zu tun hast. Unser Gewissen, eine Art innerer, mentaler Behälter, birgt alle unsere akzeptierten Handlungsnormen und unsere Vorstellungen davon, was richtig oder falsch ist. Unser Gewissen ist daher die erste und uns nächste moralische Instanz, die wir in schwierigen moralischen Situationen befragen können. Gewissermaßen der kostengünstigste ethische Berater.

Petersen aus unserem Beispiel könnte also einfach auf sein Gewissen hören, um zur richtigen Entscheidung zu gelangen. Das Gewissen wird ihm die richtige Antwort liefern.

Die Lösung, das eigene Gewissen zu befragen und auf dessen Antwort zu hören, klingt vernünftig. Denn in der Tat drückt uns ein schlechtes Gewissen, wenn wir etwas tun, was moralisch nicht richtig ist. Ein schlechtes Gewissen oder Gewissensbisse sind ein gutes Signal, dass wir etwas getan haben, was wir nicht hätten tun sollen. Wir haben vielleicht zu einer Ausrede gegriffen, um ein Versprechen nicht halten zu müssen; wir hätten vielleicht jemandem helfen sollen, haben uns aber mehr um unsere eigenen Interessen gekümmert. Andererseits: Ein gutes Gewissen zu haben, bedeutet, das moralisch Richtige getan zu haben und mit seiner Handlungsweise zufrieden zu sein.

Leider sind jedoch die Ratschläge des Gewissens mit Vorsicht zu genießen. Das Hauptproblem liegt darin, dass das Gewissen uns täuschen kann. Unsere innere Stimme kann uns falsche Dinge einflüstern und uns in eine verkehrte Richtung oder sogar in die Irre führen. Die Grundfrage an das Gewissen lautet nämlich: Wie können wir sicher sein, dass das, was uns unser Gewissen sagt, wirklich richtig ist? Nur die Tatsache, dass die moralische Handlungsempfehlung aus unserem Gewissen stammt, bürgt noch nicht für Qualität. Wir brauchen eine zusätzliche unabhängige Qualitätskontrolle. Doch wie könnte die aussehen?

Sich auf das Gewissen zu verlassen, ist, als ob man ungeprüft den Inhalt einer Kiste kaufen würde, auf der „Made in Germany“ steht. „Made in Germany“ mag zwar ein Qualitätssiegel sein, es garantiert aber nicht in jedem Fall ein einwandfreies Produkt. Mit dem „Handeln by Gewissen“ verhält es sich ähnlich. Die Bezugnahme auf das Gewissen kann zwar zum moralisch Richtigen führen, muss aber nicht. Beispiele aus der Geschichte, in denen Personen mit Berufung auf ihr Gewissen Gräueltaten begingen, sind schnell aufgezählt. Von Erich Kästner stammt das Zitat: „Das Gewissen ist fähig, Unrecht für Recht zu halten, Inquisition für Gott wohlgefällig und Mord für politisch wertvoll. Das Gewissen ist um 180 Grad drehbar.“

Meistens erhält man auf diesen Einwand zur Antwort, dass diese Personen nicht dem wahren Gewissen gefolgt sind. Denn das wahre und gute Gewissen wird uns nie etwas Falsches eingeben. Wenn es also gewissermaßen gute und schlechte Gewissen gibt – so wie es gute und schlechte Äpfel gibt –, wie unterscheidet man sie voneinander?

Versucht man diese Frage zu beantworten, landet man letzten Endes bei der inhaltlichen Auseinandersetzung mit den Gewissensinhalten. Das heißt die Qualität der Gewissensinhalte ist es, die ausmacht, ob eine Handlung oder Entscheidung moralisch zulässig ist. Die Berufung auf das Gewissen als Quelle für moralisch richtiges Handeln bringt uns keinen Schritt weiter. Das Gewissen, als Summe unserer Wertvorstellungen, ist bereits durch unsere Erziehung und Weltanschauungen geprägt, es enthält nicht einfach moralisch korrekte Lehrsätze, die wir mit genügend innerer Konzentration zu Tage fördern könnten.

Und tatsächlich ist Petersen aus unserem Beispiel durch sein Gewissen hin und her gerissen. Denn zum einen rät ihm sein Gewissen, dass er seinem Freund nichts verheimlichen darf, vor allem nicht solch eine wichtige Sache, die einen massiven Einfluss auf das Leben seines Freundes haben wird. Zum anderen rät es ihm davon ab, ein Versprechen zu brechen. Denn ein gegebenes Versprechen bricht man nicht so einfach, vor allem in so einer wichtigen Sache, die einen massiven Einfluss auf die Geschicke des Unternehmens haben kann. Wie es Petersen auch dreht und wendet, mit Rekurs auf sein Gewissen ist dem Dilemma nicht zu entkommen. Vielmehr wird der Konflikt innerhalb seines Gewissens ausgetragen.

Ein weiteres Problem bei der Berufung auf das Gewissen besteht darin, dass dieses Verfahren leicht zu einem Diskussionsstopper werden kann. In einer moralischen Streitfrage kann es passieren, dass ich mich darauf beziehe, was mir mein Gewissen sagt. Doch auch mein Gesprächspartner verweist auf seine Gewissensentscheidung. Gewissen steht gegen Gewissen. Raum für Diskussionen und den Austausch von Argumenten kann es dann nicht mehr geben. Das Einzige, was wir tun können, ist, uns gegenseitig mitzuteilen, was uns unsere jeweiligen Gewissen vorschreiben. Das ist eine unbefriedigende Situation.

Folge der goldenen Regel

Vielleicht ist die Alternative leichter zu finden als gedacht. Wenn es auf die inhaltliche Qualität der Handlungsnormen ankommt, dann steht uns eine mächtige Regel zur Verfügung, die sogenannte goldene Regel. Diese Regel tritt in verschiedenen Varianten auf:

Achtung

Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem anderen zu.

Behandle die anderen so, wie du selbst behandelt werden möchtest

Die goldene Regel spielt eine wichtige Rolle in vielen Religionen und Weisheitslehren der Menschheit:

um 500 v. Chr.: „Was du selbst nicht wünschest, das tue nicht den Menschen an.“– Analekten des Konfuzius XII, 2[8], XV, 23[9] Konfuzianismus

5. Jahrhundert v. Chr.: „Tue anderen nicht an, was dich ärgern würde, wenn andere es dir täten.“– Sokrates, griechischer Philosoph

4. Jahrhundert v. Chr.: „Man soll sich nicht auf eine Weise gegen andere betragen, die einem selbst zuwider ist. Dies ist der Kern allerMoral. Alles andere entspringt selbstsüchtiger Begierde.“– Mahabharata, Anusasana Parva 113, 8; Mencius Vii, A, 4, Hinduismus

1. Jahrhundert: „Alles nun, was ihr wollt, daß die Menschen euch tun, das tut ihnen ebenso.“– Bibel, Matthäus 7, 12; Lukas 6, 31, Christentum[11]

2. Jahrhundert: „Was dir selbst verhasst ist, das tue nicht deinem Nächsten an. Dies ist das Gesetz, alles andere ist Kommentar.“– Talmud, Shabbat 31a, Judentum

7. Jahrhundert: „Der vorzügliche Glaube ist, das, was du für dich wünschst, auch den anderen zu wünschen, und das, was du dir nicht wünschst, den anderen auch nicht zu wünschen.“– Hadithsammlung des Ahmad Ibni Hanbal, Islam

Die goldene Regel baut auf einer wichtigen Einsicht der Ethik auf: Um die Interessen anderer Menschen angemessen zu berücksichtigen, sollte man versuchen, sich in die anderen Personen hineinzuversetzen, um dann aus deren Perspektive zu beurteilen, welche Handlungen man sich selbst wünschen würde. Die goldene Regel ist eine Einladung, die eigene parteiische Perspektive zu verlassen und einen übergeordneten Standpunkt einzunehmen. Insofern verkörpert die goldene Regel ein ganz entscheidendes Prinzip der ethischen Haltung.

Der Ratschlag ist nun folgender: Vernünftige Menschen brauchen nur der goldenen Regel zu folgen und man wird in jeder nur möglichen moralischen Situation wissen, was zu tun ist.

Diese Regel ist einfach und offenbar leicht zu befolgen. Und sie scheint uns die richtigen Ergebnisse hinsichtlich unserer moralischen Intuitionen zu liefern:

Ich möchte nicht bestohlen werden, also sollte ich auch andere nicht bestehlen.

Ich möchte nicht belogen werden, also sollte ich auch andere nicht belügen.

Ich möchte nicht, dass man mir gegenüber Gewalt anwendet, also sollte auch ich keine Gewalt anwenden.

Ich möchte nicht, dass mein Freund etwas vor mir verheimlicht, also sollte ich auch nichts vor ihm verheimlichen. In unserem obigen Beispiel folgt somit, dass Petersen seinem Freund von dem Gespräch mit seinem Chef erzählen sollte. Doch halt. Auf der anderen Seite möchte ich auch nicht, dass etwas, das ich jemandem im Vertrauen gesagt habe, weitererzählt wird. Das bedeutet aber, nach der goldenen Regel dürfte ich meinem Freund nichts von dem Gespräch erzählen. Die Regel hilft mir nicht dabei, eine Entscheidung zu treffen.

Bei einigem Nachdenken über diese ethische Superregel findet man noch ein paar andere Probleme und Haken. Stellen Sie sich vor, Peter hat einen Freund, der in Not geraten ist und der sich daher von ihm Geld leihen möchte. Peter selbst ist ein sehr stolzer Mensch, er würde nie einen seiner Freunde um Geld bitten, wenn er finanzielle Hilfe bräuchte. Er würde also nicht wollen, dass ihm einer seiner Freunde aus der Patsche hilft. Wenn Peter nun unserer Superregel folgt, hieße das, dass er auch seinem Freund nicht helfen sollte.

Ein anderes Beispiel: Max ist völlig egal, wie andere Menschen ihn behandeln, heißt das nun nach der goldenen Regel, dass es ihm egal sein kann, wie er andere behandelt? Das deckt sich nicht mit unseren moralischen Intuitionen. Oder betrachten wir Sonja: Sie möchte gern in ihrem Job speziell protegiert werden. Bedeutet das für sie, dass auch sie andere Personen protegieren sollte. Auch hier würden wir wahrscheinlich nicht zustimmen.

All diese Gegenbeispiele zeigen, dass unsere goldene Regel offensichtlich nicht ganz zuverlässig ist. Das Hauptproblem liegt darin, dass das moralische Handeln von den subjektiven Präferenzen der Menschen abhängig gemacht wird. Und diese Präferenzen mögen in vielen Fällen vernünftig oder harmlos sein, aber manchmal eben nicht. Die goldene Regel trifft einen wichtigen Kern vieler unserer moralischen Bewertungen, deshalb ist sie nützlich. Aber sie kann eben auch in die Irre führen. Und deshalb kann man sich nicht ganz auf sie verlassen.

Tu, was dir am meisten nützt: ethischer Egoismus

Die goldene Regel war für Petersen keine entscheidende Hilfe und auch das Gewissen hat sich nicht als Ausweg herausgestellt. Da stellt sich die Frage: Suchen wir möglicherweise in die falsche Richtung?

Wir sollten vielleicht eher von der wahren Natur des Menschen ausgehen. So wie sie Thomas Hobbes gesehen hat. Nach seiner Theorie ist der Mensch von Natur aus Egoist, das heißt, er stellt stets seinen Eigennutz in den Vordergrund. Ethik und Moral sind nichts anderes als dekoratives Beiwerk für die angeblichen Gutmenschen, die letztendlich auch nur aus egoistischen Motiven so handeln.

Dass Menschen moralisch handeln, liegt nur daran, dass sie Angst vor Sanktionen haben. Wer keine Strafe befürchten muss, der wird sich auch nicht aufgefordert fühlen, besonders moralisch zu sein. Schon der griechische Philosoph Plato hat das erkannt, als er die Geschichte des Schafhirten Gyges erzählte.

Der Schäfer Gyges

Gyges war ein Schäfer, der dem Herrscher von Lydia diente. Eines Tages gab es einen furchtbaren Sturm und ein Erdbeben spaltete die Erde und bildete einen Krater in der Gegend, wo Gyges normalerweise seine Herde hütete. Als er das große Loch sah, war Gyges sehr erstaunt und stieg hinein. Und zusätzlich zu anderen Wundern, von denen nichts berichtet wird, sah er ein hohles, bronzenes Pferd. Dieses Pferd war mit Fenstern versehen und als er durch diese hineinschaute, sah er eine Leiche, die größer als ein gewöhnlicher Mensch zu sein schien und nichts außer einem goldenen Ring an ihrem Finger trug. Gyges zog den Ring ab und stieg damit aus dem Krater heraus.

Gyges trug den Ring zu dem monatlichen Treffen, das stattfand, um dem König den Stand der Schafherde mitzuteilen. Als er mit den anderen zusammensaß, traf es sich, dass er die Fassung des Rings nach der Innenseite der Hand hin umdrehte. Als er dies tat, wurde er plötzlich unsichtbar für alle, die um ihn saßen, und sie sprachen so miteinander, als wäre er weggegangen. Er war darüber verwundert und fasste den Ring wieder an, um die Fassung wieder nach außen zu drehen, und so wurde er wieder sichtbar. Er experimentierte mit dem Ring, um zu testen, ob er wirklich diese Kraft besaß – und dem war so. Sobald er die Fassung nach innen drehte, wurde er unsichtbar; wenn er sie nach außen drehte, wurde er wieder sichtbar. Als er das erkannte, ließ er sich sofort zum Boten wählen, der den König über den Stand der Herde in Kenntnis zu setzen hatte. Als er am Königshof ankam, verführte er dann aber die Frau des Königs, tötete den König und setzte sich selbst die Königskrone auf das Haupt.

Nehmen wir einmal an, es gäbe zwei von diesen Ringen, einen, der von einer moralisch guten Person, und einen anderen, der von einer moralisch schlechten Person getragen wird. Dann wären beide Personen unsichtbar und niemand könnte die moralisch gute Person von der moralisch schlechten Person unterscheiden. Dann würde keiner so gut sein und auf dem moralischen Pfad bleiben und vom Hab und Gut anderer Leute ablassen. Wenn er stehlen könnte, ohne sich der Gefahr auszusetzen, erwischt zu werden, würde er doch nicht auf dem moralischen Pfad bleiben. Ebenso wenig, wenn er in Häuser anderer Leute einbrechen könnte, ohne dass es irgendjemand bemerken würde, und alle möglichen andere Dinge tun könnte, die eine Person zu einem Gott unter Menschen macht. Die Handlungen der ehemals guten Person wären doch nicht anders als die der moralisch schlechten Person; beide würden denselben Weg gehen. Dies ist ein Beweis dafür, dass niemand wirklich moralisch gut sein will; diejenigen unter uns, die moralisch gute Dinge tun, handeln nur so, um von anderen gepriesen zu werden und um sich keine Sorgen machen zu müssen, von anderen auf frischer Tat ertappt zu werden. (Plato, Staat II, 359c–360c)

Diesem pessimistischen Menschenbild möchte man entgegenhalten: Aber schau dich doch nur um, viele Menschen handeln völlig uneigennützig. Sie sind nicht engherzig nur auf ihren eigenen Vorteil bedacht, sondern sie handeln oftmals altruistisch. Hätte sonst Politiker X seinen Rücktritt von allen seinen Ämtern erklärt? Würden sonst so viele Geld spenden für vollkommen fremde Menschen, die in Not geraten?

Hierauf erwidert der Egoist: Der Rücktritt des Politikers ist ganz klar mit eigennützigen Motiven zu erklären. Er hat erkannt, dass jeder weitere Verbleib in seinem Amt nur noch Schaden vor allem im Ansehen für ihn bedeutet hätte. Und dass Menschen spenden, liegt darin begründet, dass sie sich dadurch ein gutes Gefühl verschaffen. Dieses Gefühl zu haben, ist der eigentliche Grund ihrer Handlungen.

An dieser Stelle jedoch macht der psychologische Egoist einen gedanklichen Fehler. Er verwechselt den Inhalt eines Motivs mit seinen Begleiterscheinungen. Wenn ich möchte, dass den Erdbebenopfern geholfen wird, und glaube, dass meine Spende einen Beitrag dazu liefern kann, so ist dies mein altruistisches Motiv und der entscheidende Beweggrund für meine Handlung. Dass ich mich danach gut fühle, ist eine angenehme Begleiterscheinung, aber diese Begleiterscheinung war nicht das Ziel meiner Handlung. Außerdem ignoriert der Egoist einfach die empirische Tatsache, dass es altruistische Handlungen gibt, dass Menschen dabei helfen wollen, nicht nur die eigenen, sondern auch fremde Interessen zu verwirklichen.

Der psychologische Egoismus erscheint wenig plausibel und widerspricht unseren Erfahrungen. Das heißt jedoch nicht, dass die Position des Egoisten erledigt ist. Der Egoist kann nämlich einräumen: Okay, vielleicht war mein Menschenbild zu pessimistisch und vielleicht gibt es Menschen, die altruistisch handeln. Das heißt aber nicht, dass man so handeln sollte. Der kluge und rationale Mensch wird sich folgende Maxime als Leitlinie setzen: Handle stets so, dass du deinen persönlichen Nutzen maximierst. Das ist die Position des ethischen Egoismus – und übrigens auch die Philosophie der Ferengi aus Star Trek. Wobei der Nutzen, den man zu maximieren versucht, auf unterschiedliche Weise verstanden werden kann:

was ich mit gutem Grund glaube, das mir nutzt,

was in meinem (auch langfristigen) Interesse liegt,

was mir Vergnügen bereitet,

was ich am meisten möchte.

Der ethische Egoismus geht davon aus, dass seine Position am besten zu den Menschen passt, die wir nun einmal sind. Und in erster Linie denken wir an unser eigenes Interesse, wenn auch vielleicht nicht immer. Mit dieser Strategie der persönlichen Nutzenmaximierung fährt man im Leben am besten. In unserem Beispiel von oben sollte Petersen also überlegen, welche der ihm zur Verfügung stehenden Handlungsalternativen den meisten Nutzen bietet. Und da kommt er vielleicht zu dem Schluss, dass er seinem Freund von dem Gespräch mit seinem Chef nichts erzählen sollte, denn es könnte seiner Karriere im Unternehmen schaden, wenn am Ende vielleicht herauskäme, dass er den Inhalt des Gesprächs ausgeplaudert hat. Ein schlechtes Gewissen muss er dabei nicht haben, da jeder in seiner Position genauso handeln sollte.

Aber bedeutet das nicht, dass, wenn jeder nur noch an sich selbst denkt, wir in einem Zustand ständiger Konflikte leben würden, in dem sich die Menschen am Ende selbst zerstören? Ganz nach dem Motto von Thomas Hobbes: Homo Homini Lupus (Ein Wolf ist der Mensch dem Menschen)? Darauf wird der ethische Egoist antworten: „Dieses Schreckensszenario folgt keineswegs. Wir Egoisten sind ja klug. Natürlich sind wir an einer vernünftigen, friedlichen Kooperation mit anderen Menschen interessiert. Das nützt uns letzten Endes mehr, als wenn wir uns permanent anfeinden würden. Der Spieltheoretiker Axelrod hat schon in einem interessanten Experiment herausgearbeitet, dass Kooperation – unter der Annahme, dass man längerfristig miteinander zu tun hat – die erfolgreichste Strategie darstellt. Deswegen haben wir auch ein Interesse daran, dass Konflikte, sofern sie auftauchen, so friedlich wie möglich gelöst werden.“

Die Antwort zeigt, dass der ethische Egoist durchaus vernünftig handeln und eher Dinge unternehmen wird, die auf lange Sicht in seinem Interesse liegen.

Das Hauptproblem des ethischen Egoismus wird durch eine ganz andere Frage aufgedeckt, nämlich: Warum sollte ich in meinen Handlungen nicht auch fremde Interessen berücksichtigen? Anders ausgedrückt: Warum sollte ich eigentlich nicht altruistisch handeln? Warum sollte ich in erster Linie meinen eigenen Interessen Vorrang einräumen und nicht fremden Interessen? Wenn meine Interessen befriedigt werden sollten, warum nicht auch die anderer Menschen? Anders gefragt: Gibt es einen Grund, warum man egoistisch handeln sollte?

Der ethische Egoist übersieht, dass wir gute Gründe haben können, fremde Interessen verwirklichen zu helfen. Stellen wir uns beispielsweise vor, ich bin gerade mit dem Auto auf dem Weg in die Berge, um an meinem freien Tag eine kleine Wanderung zu unternehmen. Plötzlich winkt jemand aufgeregt am Straßenrand. Ich bleibe stehen und stelle fest, dass ein Paar eine Panne hat und mit seinem Auto liegen geblieben ist. Die Frau ist hochschwanger und will ins Krankenhaus, weil die Wehen eingesetzt haben. In dieser Situation habe ich durchaus einen guten, rationalen Grund (hier: ein Mensch braucht Hilfe), meine Fahrt zu unterbrechen und die Frau ins Krankenhaus zu fahren.

Der Egoist in dieser Variante ist an keiner Ethik, so wie wir sie verstehen, interessiert, einer Ethik, die die Interessen anderer berücksichtigt. Deshalb wird es auch Situationen geben, die für uns moralisch wichtig sind, in denen sich der ethische Egoist aber moralisch unverantwortlich verhalten würde. Denken wir nur – wie gerade eben – an die moralische Pflicht, jemandem, der in Not geraten ist, zu helfen, wenn wir erstens in der Lage sind zu helfen und zweitens die Hilfe für uns kein unzumutbares Risiko darstellt. Diese Fälle stellen für den ethischen Egoisten ein Problem dar, da durch die Hilfe zumindest kein primärer Nutzen für ihn entsteht.

Genau das, was die oben beschriebene goldene Regel zu erfassen versucht, die Perspektive der anderen, ignoriert der ethische Egoist. Die anderen spielen für ihn nur insofern eine Rolle, als er einen persönlichen Nutzen aus ihnen ziehen kann. Ihn interessieren nur die Folgen, die für ihn selbst entstehen. Richtig an der Position des ethischen Egoisten ist, dass wir natürlich tatsächlich häufig Entscheidungen treffen, die wir an unseren Eigeninteressen ausrichten, was ja auch völlig legitim ist.

Tu, was den meisten Nutzen für die Allgemeinheit hat: Folgenethik

Für jede Ethik, außer eben die des ethischen Egoismus, ist es ein zentrales Merkmal, anderen Menschen Gutes zu tun, ihre Interessen und Wünsche einzubeziehen und auf sie Rücksicht zu nehmen. Ganz radikal nimmt die Folgen, die aus dem eigenen Handeln für andere entstehen, die sogenannte Folgenethik in den Blick.

Auf die Fragen „Was soll ich tun? Welchen moralischen Normen soll ich folgen?“, wird der Folgenethiker antworten: „Handle stets so, dass durch deine Handlungen für dich und deine Mitmenschen immer das Maximum an positiven Folgen entsteht.“

Die moralische Qualität einer Handlung bemisst sich gemäß der Folgenethik nach der Menge des erzeugten Glücks beziehungsweise der Menge der bewirkten positiven Folgen. Um die moralisch richtige Handlung zu wählen, muss man überlegen, bei welcher Handlung die besten Folgen herausspringen. Es gilt also, einen Blick in die Zukunft zu werfen und die Konsequenzen abzuschätzen. Ziel ist es, konkretes Glück zu erreichen und Unglück zu verhindern. Die klassische Theorie der Folgenethik schlechthin ist der sogenannte Utilitarismus. Der Gründer dieser Theorie war Jeremy Bentham. Die Grundidee ist, dass ich bei der Antwort auf die Frage, was ich tun soll, eine Rechenaufgabe zu lösen habe, nämlich die Berechnung der Glücksfolgen

für mich,

für meine Familie,

für meine Freunde und Bekannten,

für alle anderen Menschen.

Dabei sind anders als im Egoismus alle Personen als gleichwertig zu behandeln. Niemand ist vorzuziehen. „Jeder zählt gleich viel.“ Nach dem Verständnis der Folgenethiker ist das Wesen der Ethik ihre Unparteilichkeit. Niemand wird bevorzugt. Alle in Frage stehenden Handlungen und Entscheidungen haben aus der Perspektive eines unbeteiligten Beobachters ausgeführt zu werden. Ausschlaggebendes Kriterium ist dabei allein die Gesamtmenge an Glück (Zufriedenheit, Wohlbefinden), die man erzeugt, gewissermaßen das Netto-Glücks-Produkt (NGP). Wenn man zwischen zwei Handlungen wählen kann, ist stets jene vorzuziehen, die am Ende im Saldo die höchste Glückssumme aufweist. In der folgenden kleinen Rechnung müsste man sich somit für Handlung B entscheiden, obwohl Handlung A für mich persönlich die positiveren Folgen hätte.

FolgenHandlung AHandlung Bfür mich+5+3für meinen Kollegen-30gesamt+2+3

Bei der Betrachtung und Berechnung der Glücksfolgen ist wichtig, dass sowohl die kurzfristigen als auch die langfristigen Folgen berücksichtigt werden. Die Folgenethik steht in einer Linie mit allen Theorien einer Verantwortungsethik, die besagt, dass man stets für seine Taten oder auch Nicht-Taten die Verantwortung übernehmen muss. Wenn ich mich der Maxime der Folgenethik anschließen möchte, muss ich mir bei allen anstehenden Entscheidungen die Fragen stellen:

Wer ist von meiner Handlung betroffen?

Wie wirkt sich meine Handlung auf die Betroffenen und deren Interessen aus?

Wie sieht die Gesamtfolgen-Situation für alle Betroffenen aus?

Sehen wir uns das an folgendem Beispiel an.

Rache

Max und Claudia haben sich ineinander verliebt. Sie schwören sich ewige Treue. Da taucht aus heiterem Himmel Hans auf. Claudia verliebt sich Hals über Kopf in Hans. Sie verlässt Max und lebt fortan sehr glücklich mit Hans. Max ist zutiefst unglücklich und so sehr verletzt, dass er Claudia und Hans zu hassen beginnt. Da verschafft ihm das Schicksal die Gelegenheit, sich an beiden zu rächen und sie auch ins Unglück zu stürzen.

Welche Empfehlung würde ein Folgenethiker Max geben?

„Ja, du kannst die beiden ins Unglück stürzen und dich rächen; es steht dir aber auch frei nichts zu unternehmen. Wenn du dich rächst, werden die beiden unglücklich sein, du wirst möglicherweise Zufriedenheit daraus ziehen. Wenn du andererseits nichts unternimmst, dann bleiben die beiden glücklich und du natürlich unglücklich. Aber zwei Glückliche und ein Unglücklicher ist besser als zwei Unglückliche und ein Gücklicher. Wenn du wirklich moralisch handeln möchtest, solltest du dich für das Nichtstun entscheiden und beide in Frieden lassen.“

Diese Art von Überlegungen ist es, die ein Folgenethiker in aller Eile anstellen würde. Sehen wir uns noch ein weiteres Beispiel an, das die Stärken der Folgenethik gut aufzeigt.

Kindsentführung

Ein Kind wurde entführt. Der Kidnapper konnte bei der Geldübergabe geschnappt werden. Allerdings ist er nicht bereit, den Aufenthaltsort des entführten Kindes zu verraten. Der Kommissar steht vor der Frage, ob er den Täter auch durch die Anwendung von Gewalt dazu bringen darf, den Ort preiszugeben.

Anders ausgedrückt: Darf er den Entführer foltern, wenn er dadurch das Leben des Kindes retten kann? Im Hinblick auf die Befreiung des Kindes scheint die Zufügung von Schmerzen mehr als akzeptabel zu sein. Der Folgenethiker würde daher die Meinung vertreten, dass in diesem Fall die Anwendung von Folter moralisch geboten ist, ein Ergebnis, das den meisten Bauchschmerzen bereiten dürfte.

Die Stärken der Folgenethik lassen sich folgendermaßen zusammenfassen:

Die Folgenethik kann immer angewendet werden, weil Handlungen immer Folgen haben. Es scheint also keine unentscheidbaren Fälle zu geben. Sie liefert für alle unsere Handlungen eine Entscheidungsgrundlage.