Wie viel Mathematik braucht die Bildung? - Georg von Wallwitz - E-Book

Wie viel Mathematik braucht die Bildung? E-Book

Georg von Wallwitz

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Beschreibung

Es sei zwar möglich, ein gebildeter Mensch zu sein, ohne etwas von Mathematik zu verstehen, meint Georg von Wallwitz in seinem Beitrag zum Kursbuch 193, aber spätestens die künstliche Intelligenz mache klar, welchen Verzicht auf Verstehen und Erkenntnis das impliziere. Dabei erfülle die Mathematik die einem bildungsbeflissenen Menschen wichtigen Kriterien exakt: Sie ist nützliches Instrument, sich die Welt erklärbar zu machen, ebenso ist sie jedoch geeignet, die Seele zu veredeln und den Geist zu erhöhen. Dass sie dennoch so wenig geschätzt wird – vor allem außerhalb der Geisteswissenschaften –, liege zum einen daran, dass sie sich vielen nur mühsam erschließe, mehr aber noch, dass in ihr eine Strenge der Logik walte, der zu unterwerfen eben nur wenige bereit seien. Dass sich dies allerdings genau um des eigenen Vorteils willen lohnt, zeigt der Autor in seinem Beitrag auf überzeugende Weise.

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Inhalt

Georg von Wallwitz Wie viel Mathematik braucht die Bildung?Ein Versöhnungsversuch

Der Autor

Impressum

Georg von WallwitzWie viel Mathematik braucht die Bildung?Ein Versöhnungsversuch

Die Enigma, so der Name der Verschlüsselungsmaschine der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg, galt in ihrer Zeit als ein unüberwindliches System. Ihre variabel konfigurierbare Tastatur und die dahinterliegenden Rotoren erlaubten, wie sich auf einem Bierdeckel nachrechnen ließ, 15 354 393 600 mögliche Verschlüsselungen, die täglich geändert wurden. Ihr vertraute das Oberkommando in Berlin alle kriegswichtigen Informationen an. Wer konnte und wollte sich schon durch eine solche Menge an Varianten arbeiten, bloß um am nächsten Tag aufs Neue zu beginnen? Nach menschlichem Ermessen war es unmöglich, diesen Code zu knacken.

Der Ausgang der Geschichte ist bekannt: Die Engländer versammel­ten die begabtesten Mathematiker des Vereinigten Königreichs auf dem Landgut Bletchley Park, wo sie (mithilfe der Polen) jahrelang daran arbeiteten, das komplexeste Rätsel, das bis dahin einem Menschen gestellt worden war, zu lösen. Als die Schwachstellen gefunden und ausgenutzt waren, hatten die Engländer die entscheidende Waffe in der Hand, um den Ausgang eines Krieges, der schon fast verloren war, noch zu wenden. Die Schwachstellen waren einerseits gewisse Abweichungen vom reinen Zufallsprinzip, die der Bauweise der Enigma geschuldet waren, und andererseits die unerschütterliche Angewohnheit der deutschen Soldaten, Ränge bei der Anrede (»Herr Oberst!«) zu nennen oder Formeln bei der Unterschrift zu benutzen (»Oberkommando der Wehrmacht, Berlin«). Aus diesen ließ sich mithilfe einer maßgeblich vom legendären Alan Turing entworfenen Rechenmaschine der ur­sprüng­liche Text rekonstruieren.

Was einige der brillantesten Köpfe des 20. Jahrhunderts all ihre ­Aufmerksamkeit über viele Jahre gekostet hatte, hat im Jahr 2017 ein Algo­rith­mus in 13 Minuten gelöst. Diesem hat man zunächst das Wörterbuch der Gebrüder Grimm zu lesen gegeben. Daran hat die künstliche Intelligenz sich geübt und herausgefunden, dass deutsche Worte meist zwei oder drei Silben lang sind, dass auf ein »c« oft ein »h« folgt und auf ein »s« oft ein »t« und so weiter. Diese Muster wurden dann mit dem verschlüsselten Text abgeglichen, wobei 41 Millionen Kombinationen pro Sekunde durchprobiert wurden. Der Algorithmus geht da­bei gar nicht darauf aus, Wörter oder einen zusammenhängenden Text zu produzieren, sondern gleicht allein Muster in Buchstabenkombinationen ab und wirft einen Text aus, den er für den wahrscheinlichsten hält – ohne ihn in irgendeiner Weise zu verstehen oder in sonstiger Hinsicht auf die Kategorie »Sinn« angewiesen zu sein. Das System ist dafür nicht einmal auf die Schwäche der Deutschen für Ränge und For­meln angewiesen.

Die mathematischen Verfahren, die hinter der künstlichen Intelligenz von heute stehen, sind nicht sonderlich kompliziert. Es werden Minima auf (mehrdimensionalen) Kurven gesucht mit einem Verfahren, welches auf Newtons Arbeiten aus der Zeit um 1700 zurückgeht. Dazu kom­men noch Grundkenntnisse der linearen Algebra, aber auch diese sind nichts, was man unzumutbar nennen müsste. Sie werden im letzten Jahr an der Schule oder spätestens im ersten Mathematiksemester an der Universität unterrichtet. Der Rest sind fleißige Fingerübungen für Programmierer: Sie lassen den Algorithmus vor- und zurücklaufen (in der Geek-Sprache: forward beziehungsweise backward propagation), um Parameter zu modifizieren, und sehen dabei zu, wie sich ein Netzwerk an Neuronen bildet, welches dann im Handumdrehen das Problem löst.