Wir Bauernkinder - Roswitha Gruber - E-Book

Wir Bauernkinder E-Book

Roswitha Gruber

0,0
16,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Aus heiterem Himmel werden die zehn- und elfjährigen Schwestern Erna und Liesl auf den Hof ihres Onkels geschickt, um dort als Mägde zu arbeiten. Die beiden Mädchen begreifen schnell, dass sich ihr geordnetes Leben nun verändern wird. Innerhalb von wenigen Tagen lernen sie, was ihnen bis dahin völlig fremd war: den richtigen Umgang mit dem Vieh, einen Haushalt zu führen und die Feldarbeit. Sie werden richtige Bauernkinder. Besonders Erna geht immer mehr in der Rolle als Bäuerin auf. Doch ihr Vater hat andere Pläne mit seinen Töchtern … Roswitha Gruber widmet sich der Schilderung starker Frauen mit außergewöhnlichen Lebensgeschichten. Für jeden ihrer Romane nähert sie sich in intensiven Gesprächen dem Schicksal ihrer Protagonistinnen an. Roswitha Gruber lebt und arbeitet in Reit im Winkl.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



LESEPROBE zu

Vollständige E-Book-Ausgabe der im Rosenheimer Verlagshaus erschienenen Originalausgabe 2016

© 2016 Rosenheimer Verlagshaus GmbH & Co. KG, Rosenheim

www.rosenheimer.com

Titelbild: © Bundesarchiv, Bild 183-2011-0505-501

Lektorat und Bearbeitung: Christine Weber, Dresden

Worum geht es im Buch?

Roswitha Gruber

Wir Bauernkinder

Aus heiterem Himmel werden die zehn- und elfjährigen Schwestern Erna und Liesl auf den Hof ihres Onkels geschickt, um dort als Mägde zu arbeiten. Die beiden Mädchen begreifen schnell, dass sich ihr geordnetes Leben nun verändern wird. Innerhalb von wenigen Tagen lernen sie, was ihnen bis dahin völlig fremd war: den richtigen Umgang mit dem Vieh, einen Haushalt zu führen und die Feldarbeit. Sie werden richtige Bauernkinder. Besonders Erna geht immer mehr in der Rolle als Bäuerin auf. Doch ihr Vater hat andere Pläne mit seinen Töchtern …

Roswitha Gruber widmet sich der Schilderung starker Frauen mit außergewöhnlichen Lebensgeschichten. Für jeden ihrer Romane nähert sie sich in intensiven Gesprächen dem Schicksal ihrer Protagonistinnen an. Roswitha Gruber lebt und arbeitet in Reit im Winkl.

Inhalt

Die Vorgeschichte

Johann Beutler, mein tüchtiger Großvater

Anna Karolina Beutler, meine gütige Großmutter

Zachl Beutler, mein vielseitiger Vater

Alles doppelt: Meine Mutter Antonia

Kindheit im Bauernhaus

Lausbuben

Johannisfeuer

Das Quarkbrot

Die Fischreuse

Karfreitag

Osterwasser

Die gebratenen Tauben

Die Wegelagerer

Krieg

Kinder als Bauernmägde

Schön ist die Jugendzeit

Machen wir’s den Schwalben nach

Veränderungen

Schrecken ohne Ende

Das Eisentor

Der verschwundene Herbert

Der Hundeknochen

Der fliegende Ball

Das rollende Fass

Der spitze Stein

Zweimal Amann

Die unsichtbaren Buben

Auf dem Sprungbrett

Der Partykeller

Hindernisse für Herbert

Das erste Auto

Der Abschleppdienst

Meisterprüfung mit Hürden

Der Testurlaub

Liebe auf den zweiten Blick

Jung gefreit …

Diagnosen

Ein neues Glück

Hochzeitsreise mit Turbulenzen

Der siebzigste Geburtstag

Zehn Jahre später

Die Vorgeschichte

Vor zwei Jahren im Juli erhielt ich einen Anruf aus Altenstadt in der Oberpfalz. Eine Erna Amann fragte an, ob sie im September mal bei mir vorbeikommen dürfe. Sie habe da etwas aufgeschrieben, woraus sich vielleicht ein Buch machen lasse.

Als sie in jenem Herbst bei mir in der Küche saß, wollte ich wissen, wie sie denn auf mich gekommen sei.

Sie holte etwas weiter aus: »Vor zehn Jahren etwa bat mich meine damals achtjährige Enkelin Alena immer wieder mal, ich solle ihr etwas von früher berichten, von meiner Kindheit, von meinen Großeltern, also ihren Urgroßeltern. Zunächst musste ich mich besinnen, denn meine eigene Kindheit hatte ich völlig verdrängt. Alles, was ich über die Kinderzeit meiner Eltern und über das Leben meiner Großeltern erfahren hatte, war mir in diesem Moment auch nicht gegenwärtig. Beim Erzählen fielen mir immer mehr Erlebnisse ein, die ich längst vergessen geglaubt hatte. Gleichzeitig wurde mir bewusst, wie interessant die Lebensgeschichte meiner Vorfahren eigentlich gewesen ist. Damit das alles nicht verloren ging, begann ich, alles aufzuschreiben, was mir noch einfiel. Einige Zeit später berichtete ich meiner Tochter Andrea, Alenas Mutter, davon. Seufzend fügte ich hinzu, wie schön es doch wäre, aus diesen Aufzeichnungen ein Buch zu machen. Ich konnte mir gut vorstellen, dass diese Geschichten auch für andere interessant sein würden, weil sie Zeugnisse aus einer Zeit darstellten, über die kaum noch jemand etwas wusste. Spontan schlug Andrea mir vor, den Wunsch in die Tat umzusetzen.

Doch entschieden wehrte ich ab. Das, was ich aufgeschrieben hatte, würde wohl gerade für den Hausgebrauch reichen. Einige Begabungen mochte ich zwar haben, aber das Talent des Bücherschreibens fand sich gewiss nicht darunter, war ich sicher.

Meine Tochter dachte eine Weile nach. Dann berichtete sie mir, kürzlich hätte sie ein Buch mit dem Titel Großmütter erzählen gelesen, verfasst von einer gewissen Roswitha Gruber. ›Ihr Schreibstil hat mir ausnehmend gut gefallen‹, schwärmte Andrea. ›Sie wäre die richtige Person, um aus deinen Geschichten ein Buch zu machen.‹

›Und wie komme ich an diese Frau Gruber?‹, zeigte ich mich interessiert.

›Nichts leichter als das‹, bekam ich zur Antwort. ›Wozu hat man Internet?‹

So kommt es, dass ich heute bei Ihnen sitze.«

Beim flüchtigen Durchblättern sprachen mich Ernas Aufzeichnungen spontan an. Schon beim ersten ausführlichen Lesen kamen viele Fragen auf – wie immer, wenn ich an einem Buch arbeite. Diese beantwortete Erna mir weitgehend telefonisch. Zweimal besuchte ich sie sogar, um noch detaillierter nachzuhaken, um das Umfeld zu studieren, um Fotos anzuschauen.

Das alles genügte mir allerdings noch nicht. Auf meine Frage, wer mir die noch fehlenden Daten und Informationen vermitteln könne, verwies sie mich an ihren Neffen Norbert Beutler. Dieser half mir bei meinen Recherchen entscheidend weiter. Vor Jahren hatte er sich schon die Mühe gemacht, alles schriftlich festzuhalten, was seine damals noch lebenden Großtanten zu berichten wussten.

Deshalb möchte ich Norbert Beutler auf diesem Wege ganz herzlich für die Bereitstellung seiner Aufzeichnungen, für seine Mühe und Kooperationsbereitschaft danken.

Nun bleibt mir nur noch, Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, viel Freude bei der Lektüre dieses Buches zu wünschen.

Roswitha Gruber

Nun lasse ich Erna zu Wort kommen:

Johann Beutler, mein tüchtiger Großvater

Im Dezember 1835, als die erste deutsche, mit Dampf betriebene Eisenbahn von Nürnberg nach Fürth fuhr, war das eine aufsehenerregende Neuerung, welche die ganze Welt verändern sollte. Drei Jahre später, im Februar 1838, wurde mein Urgroßvater Zacharias Beutler in Altenstadt in der Oberpfalz geboren. Damals herrschte große Armut im Lande Bayern, weil sich die Bevölkerung explosionsartig vermehrt hatte, weshalb viele junge Leute ihre einzige Chance darin sahen, nach Amerika auszuwandern. Sie hofften, sich dort eine neue Existenz aufbauen zu können.

Unter den Auswanderern befanden sich viele Verwandte meines Urgroßvaters. Ja, in jungen Jahren hatte er selbst mit dem Gedanken gespielt, auszuwandern, war aber dann doch dem heimatlichen Boden treu geblieben. Sich gewissermaßen für seine Heimattreue entschuldigend, pflegte er immer wieder zu betonen: »Wir haben zwar ein knappes Auskommen, aber das ist uns sicher. Was uns in Amerika erwartet, wissen wir nicht.«

Dieser Urgroßvater heiratete 1861 im Alter von dreiundzwanzig Jahren eine Frau, die fünfzehn Jahre älter war als er: Katharina, eine geborene Lindner. Als Witwe des Gütlers Felix Herrmann brachte sie zwei Kinder mit in die Ehe, Joseph zählte sechs, Katharina zwei Lenze.

Für den jungen Mann war es gewiss nicht einfach, sein Eheleben gleich mit einer kompletten Familie zu beginnen. Doch als ihm Katharina am 6. Juli 1863 einen leiblichen Sohn schenkte, meinen Großvater Johann, machte dies Zacharias stolz und überglücklich.

Knapp dreißig Jahre waren vergangen, seitdem die erste Dampflok ihre Fahrt von Nürnberg nach Fürth auf einer Strecke von gerade mal sechs Kilometern zurückgelegt hatte. Inzwischen war das Schienennetz in ganz Deutschland auf eine Gesamtlänge von über zehntausend Kilometer ausgebaut worden, der Gleisabschnitt zwischen Weiden und Bayreuth befand sich gerade im Bau.

Ein gutes Jahr später, am 15. August 1864, wurde diese Strecke feierlich eröffnet. Niemand konnte zu diesem Zeitpunkt ahnen, dass die Eisenbahn, und speziell diese Verbindung, für den kleinen Johann beruflich einmal von großer Bedeutung werden sollte. Die Vorfahren meines Großvaters waren nämlich ausnahmslos Bauern gewesen – Bauern, deren winzige Hofbetriebe nur mit Mühe die meist stattliche Kinderschar ernährten.

Doch noch ehe die Eisenbahnstrecke zwischen Weiden und Bayreuth eingeweiht worden war, brach das Unglück über meinen Urgroßvater und damit auch über seinen kleinen Sohn herein. Der kleine Johann war gerade ein Jahr alt, da kam seine Mutter ein weiteres Mal nieder. Sie starb noch am selben Tag, dem 30. Juli 1864, im Kindbett, und das Neugeborene gleich mit ihr.

Der sechsundzwanzigjährige Zacharias stand nun allein da mit seinem einjährigen Sohn und den neun bzw. fünf Jahre alten Stiefkindern. Was wollte er machen? Auf dem Hof wurde dringend eine Bäuerin gebraucht, und die drei Kinder vermissten eine Mutter. Ihm blieb also nicht viel Zeit zum Suchen. Vorübergehend kam eine seiner ledigen Schwestern auf den Hof, um die Kinder zu versorgen und den Betrieb notdürftig am Laufen zu halten.

In seiner familiären Situation konnte er nicht wählerisch sein. Am 9. Mai 1865 führte er die Erste, die gewillt war, bei ihm einzuheiraten, zum Traualtar: die um drei Jahre ältere Anna Klara Rath. Im Dezember desselben Jahres kam sie bereits in die Wochen und gebar ihm einen nach ihm benannten Sohn. Der kleine Zacharias, ein schwächliches Kind, verstarb zwei Monate nach der Geburt. Knapp drei Jahre nach ihm erblickte Tochter Anna das Licht der Welt, und 1869 wurde Sohn Felix geboren.

Da mit dem Heranwachsen der Kinder der Wohnraum zu eng wurde, sah sich Vater Zacharias genötigt, im Jahre 1871 sein Haus zu erweitern. Da es an einem Hang stand, kam mein Urgroßvater auf die Idee, einen Teil der Rückwand herauszubrechen und dort ein Zimmer anzubauen. Ob er sich nun verrechnet hatte, oder ob es das Gelände nicht anders zuließ, weiß ich nicht – jedenfalls führte vom ersten Stock des Hauses zu diesem Zimmer eine schiefe Ebene. Da diese schwierig zu bewältigen war, verwandelte der Hausherr die Steigung schon bald in drei Stufen. Weil man also drei Stufen hinaufsteigen musste, wenn man in diesen neu angebauten Raum gelangen wollte – ähnlich, wie der Papst in Rom einige Stufen zu nehmen hatte, um »seinen« Stuhl zu erreichen –, wurde der zusätzliche Raum fortan nur noch der »Päpstliche Stuhl« genannt.

Anna Klara hatte zwei weitere Entbindungen. Im August 1874 brachte sie Katharina zur Welt, die bereits nach drei Tagen starb. Im Februar 1876 wurde Margaretha geboren, sie durfte nur drei Monate leben.

Schauen wir uns diese Familie, die man heute als »Patchwork-Familie« bezeichnen würde – immerhin lebten Kinder mit drei verschiedenen Abstammungen mit den Eltern Johann und Anna Klara hier zusammen – mal im Jahre 1873 an. Von dem bescheidenen Anwesen, das nur zehn Tagwerk umfasste, waren folgende Personen zu ernähren:

Vater Zacharias Beutler: 35 Jahre alt,

Mutter Anna Klara: 38 Jahre alt, Zacharias’ zweite Frau,

Joseph Herrmann: 18 Jahre alt – ohne leibliche Eltern,

Katharina Herrmann: 14 Jahre alt – ohne leibliche Eltern,

Johann Beutler: 10 Jahre alt – ohne leibliche Mutter,

Anna Beutler: 5 Jahre alt – mit leiblichen Eltern,

Felix Beutler: 4 Jahre alt – mit leiblichen Eltern.

Bei dieser sozialen und wirtschaftlichen Situation waren Konflikte gewissermaßen vorprogrammiert. So sprach der Familienvater, also mein Urgroßvater, immer dann, wenn ihm die Probleme über den Kopf zu wachsen drohten, im Wirtshaus recht eifrig dem Bier zu. Das vergrößerte jedoch seine Probleme, statt sie zu lösen, denn das Geld, das er vertrank, fehlte der Familie.

Anna Klara, mit der Situation und den Kindern offensichtlich überfordert, behandelte ihre Stiefkinder im wahrsten Sinne des Wortes stiefmütterlich. So erzählte mein Großvater Johann, dass er als Kleinkind einst an Typhus erkrankte. Anstatt sich um den Ziehsohn zu kümmern oder gar den Arzt zu rufen, ließ Anna Klara ihn jedoch einfach auf der Bank in der »guten Stube« liegen. Es ist wohl seiner robusten Natur zu danken, dass er diese Krankheit überlebte.

Wenn die Stiefmutter ausgebuttert hatte – so ist es durch meinen Großvater Johann überliefert –, gab sie ihren Kindern Anna und Felix Butterbrote, die großzügig über den ganzen Leib geschnitten waren. Johann bekam höchstens eine halbe Scheibe, und wenn er um Butter dafür bat, wurde er mit den Worten abgewiesen: »Für dich hab ich nicht ausgebuttert.«

Wenn es ihm schon so erging, da doch sein leiblicher Vater mit im Hause lebte, wie mag es da erst den Herrmann-Kindern ergangen sein? Sie hatten ja weder Vater noch Mutter und waren der Gnade der Stiefmutter völlig ausgeliefert. Damals schon hatte sich der kleine Johann vorgenommen, dass es gerechter zugehen sollte, wenn er erst eine eigene Familie haben würde. Damit auch die notwendigen finanziellen Mittel zur Verfügung stünden, wollte er sein Geld nicht ins Wirtshaus tragen und stattdessen durch zusätzliche Arbeit so viel verdienen, dass seine Familie nicht zu darben brauchte.

Immer wenn es die Herrmann-Kinder bei der Stiefmutter gar nicht mehr aushielten, nahmen sie den kleinen Halbbruder Johann mit nach Hammer-Harlesberg zum gemeinsamen Großvater Nikolaus Lindner. Mit diesen Besuchen verband er später nur angenehme Erinnerungen.

Nach Beendigung seiner Schulzeit – im Jahre 1877 – fand mein Großvater Johann gleich eine Anstellung bei der Bahn. Da er sehr fleißig und geschickt war, machte er bei der Bahn Karriere, wie man das heute nennen würde. Von seinem Lohn sparte er jede Mark, die er erübrigen konnte. Er hatte ja das Negativ-Beispiel seines Vaters, der das Bier gar so liebte, vor Augen und sah, wie weit der Alte sich damit verschuldet hatte.

1881 muss die finanzielle Situation in seinem Vaterhaus derart angespannt gewesen sein, dass der achtzehnjährige Johann seinen Eltern auf deren Drängen 800 Mark in bar als Darlehen gab. Wenn man bedenkt, dass er damals nur etwa siebenhundert Mark im ganzen Jahr verdiente, so ist dies eine fast unglaubliche Summe. Immerhin war Johann schlau genug gewesen, sich dieses Geldgeschäft notariell beurkunden zu lassen. In dieser Urkunde gaben die Eltern das verschuldete Anwesen als Sicherheit.

Kaum dreizehn Jahre später hatte sich die finanzielle Lage im Hause Zacharias Beutler so zugespitzt, dass man Sohn Johann das Anwesen aufnötigte. Außer seinem bis dahin erneut hart ersparten Geld steckte er ein Darlehen ins Anwesen, bevor der Hof ihm überschrieben wurde. Dadurch hatte er für die nächsten Jahre eine Schuldenlast von knapp 3.400 Mark abzuzahlen. Doch ehe er mit der Tilgung beginnen konnte, wurde er 1882 zur Bayerischen Armee einberufen. In deren »Speerspitze«, also bei den Jägern, absolvierte Johann in Aschaffenburg zwei Jahre Wehrpflicht.

Aus welchem Holz mein Großvater geschnitzt war, verdeutlicht ein Zitat aus dem Schreiben eines Generalmajors a. D. aus dem Jahre 1920, in dem es hieß: Da für die Jäger nur besonders gesunde, anspruchslose, zähe und widerstandsfähige Rekruten ausgesucht wurden, befanden sich viele Oberpfälzer in ihren Reihen.

Das nächste große Ereignis in Großvaters Leben war die Heirat mit Katharina Beer, die ebenfalls aus Altenstadt stammte. Die Hochzeitsfeier fand im November 1890 im Hause seiner Eltern statt. In Ermangelung einer Wohnung zog das junge Paar in den »Päpstlichen Stuhl«. Bereits sieben Monate nach der Hochzeit starb die junge Frau, eines Nachts im Frühsommer 1891, vermutlich infolge einer Tot- oder Fehlgeburt.

Der junge Ehemann musste nicht nur die Arztkosten zahlen, auch die Begräbnisausgaben blieben an ihm hängen, was ihn sehr schmerzte. Von dem ausgehandelten Vatergut von 900 Mark, das die junge Frau hätte bekommen sollen, sah er keinen Pfennig. Da man versäumt hatte, rechtzeitig einen Ehevertrag aufzusetzen, fiel dieses Geld an die Mutter und beide Geschwister der so jung Verstorbenen.

Neunzehn Monate nach dem Tod seiner ersten Frau ehelichte mein Großvater am 17. Januar 1893 Anna Karolina Schieder aus Schörnstein. Zunächst bewohnte das junge Paar auch den »Päpstlichen Stuhl« im Haus Nr. 47, das den schönen Namen »Ritterhof« trug. Dort kamen 1894 und 1896 die beiden ersten Kinder des Paares zur Welt: Josef, genannt Sepp, und Johann, genannt Hans.

1898 bezog die junge Familie eine bahneigene Zweiraumwohnung in Weiden – endlich, eine enorme Verbesserung, denn im Januar erst war Andreas, der dritte Sohn, im »Päpstlichem Stuhl« zur Welt gekommen. In Weiden wurden schon bald zwei Töchter geboren, Maria 1899 und im Jahr darauf Margaretha, die aber wenige Stunden nach ihrer Geburt starb.

In dieser Zeit kam Johanns Vater aus Altenstadt die Familie ab und zu besuchen. Sein Vorwand lautete stets, die Enkelkinder sehen zu wollen. In Wahrheit beschäftigte ihn jedoch nur ein Thema: Mit allen Mitteln versuchte er, seinen Sohn dazu zu bewegen, wieder ins Vaterhaus zurückzukehren, was ja eigentlich sein eigenes Haus war. Denn wie wir wissen, hatte man ihm dieses bereits 1894 überschrieben.

Johann lehnte das Angebot des Vaters jedoch jedes Mal dankbar aber bestimmt ab, trotz der verlockenden Worte, die der Ältere fand. Warum sollte er in die Enge und Bedrückung des Vaterhauses zurückkehren? Er war doch heilfroh, mittlerweile eine größere Wohnung zu haben, vor allem aber war er recht glücklich darüber, endlich einen ausreichenden Abstand zwischen sich und die Stiefmutter gebracht zu haben.

Eines Tages weilte mein Urgroßvater Zacharias wieder mal in Weiden, um seinen Sohn zu überreden, nach Altenstadt zu ziehen. Doch so schöne Worte er auch fand, Johann lehnte dieses Angebot rundweg ab. Er vermutete nämlich, dass seinem Vater erneut »das Wasser bis zum Halse« stand und der sich finanzielle Unterstützung erhoffte, sobald der Sohn wieder im Elternhaus wohnte. Da der alte Mann erkannte, dass alles Reden nichts half, ließ er sich – offensichtlich in einem Anfall von Verzweiflung – vor den Augen seiner Enkel vor Johann auf die Knie fallen und flehte ihn an, doch nach Hause zu kommen.

Bei einer solchen Geste der Selbsterniedrigung kann selbst der Hartgesottenste nicht ungerührt bleiben. Der gutherzige Johann zog den Vater vom Boden hoch und versprach ihm spontan, er werde nach Altenstadt zurückkehren. Allerdings knüpfte er eine Bedingung daran. So, wie das Haus jetzt sei, könne er nicht darin wohnen. Um für seine wachsende Familie genug Raum zu haben, müsse aufgestockt werden. Eine diesbezügliche Zusage konnte der Vater dem Sohn leicht machen, denn ihm war klar, dass der die Kosten für die Erweiterung tragen würde.

Diese Ausgabe konnte sich Johann tatsächlich leisten, denn inzwischen war er zum Weichenwärter aufgestiegen und bekam ein entsprechend ansehnliches Gehalt. Weil ihm seine Neigung zur Sparsamkeit erhalten geblieben war, hatte er bis zu diesem Zeitpunkt bereits eine ansehnliche Summe zusammen und konnte den Erweiterungsbau in Angriff nehmen.

Der Vater hegte, so vermutete Johann, einen weiteren Hintergedanken, als er ihn im wahrsten Sinne des Wortes »bekniet« hatte, zurückzukommen. Wahrscheinlich war ihm und seiner Frau die Arbeit in der Landwirtschaft zu viel geworden, und die beiden hofften nun, dass die jungen Leute, wenn sie erst einmal wieder im ehemaligen Vaterhaus wohnten, ihnen diese Last teilweise, wenn nicht gar ganz abnehmen würden.

Als Johanns siebenköpfige Familie im April 1901 nach Altenstadt übersiedelte – da man die Mietwohnung rechtzeitig gekündigt hatte, musste man sie räumen, obwohl die Umbauarbeiten noch nicht abgeschlossen waren – biwakierte man zwangsweise noch einige Nächte im Stadl.

Während das Elternpaar davon nicht so erbaut schien, fand die Bubenschar das offenbar ganz lustig. Sie waren geradezu enttäuscht, als man schon nach wenigen Tagen ins Wohnhaus umzog, wo das zivilisierte Leben sie wieder fest im Griff hatte.

Für Johanns junge Frau Anna Karolina bedeutete der Umzug eine große Umstellung. Zwar stammte sie aus der Landwirtschaft, doch da ihr Mann Bahnangestellter war und sie beide in Weiden in einer bahneigenen Mietwohnung gelebt hatten, hatte sie es zu schätzen gewusst, dass ihr die harte bäuerliche Arbeit erspart geblieben war. Nun stürmte plötzlich – wie ihr Mann schon vermutet hatte – auf sie, die sich bisher nur auf den Haushalt und die Kinder hatte konzentrieren müssen, eine Menge an landwirtschaftlichen Tätigkeiten ein. Die Stiefmutter machte nur noch das Allernotwendigste; sah sie doch nicht ein, dass sie jetzt, da junge, rüstige Leute mit auf dem Anwesen lebten, sich weiterhin abrackern sollte.

Anna Karolina Beutler, meine gütige Großmutter

Am 18. Oktober 1868 erblickte meine Großmutter Anna Karolina Schieder in Störnstein auf dem »Mauerhof« das Licht der Welt. Sie war das dritte von vier Kindern der Eheleute Johann Baptist Schieder und seiner Frau Maria Sybilla, geborene Näger. Bei Anna Karolinas Geburt waren ihr Vater zweiunddreißig und die Mutter vierzig Jahre alt. Die sechsköpfige Familie lebte von dem bescheidenen Hof, der lediglich sechzehn Tagwerk Land umfasste.

Damit man der Erde überhaupt so viel an Ertrag abringen konnte, wie die Familie zum Überleben brauchte, mussten alle Kinder schon sehr früh fest mit anpacken. Noch schwieriger wurde es für die Mutter und ihre Kinder, als Johann Baptist 1881 im blühenden Alter von fünfundvierzig Jahren ganz plötzlich verstarb. Mitten bei der Stallarbeit waren bei ihm rasende Bauchschmerzen aufgetreten, sodass seine Frau sofort den Arzt holen ließ. Der diagnostizierte eine Blinddarmentzündung. Da die Schmerzen so unvermittelt und so heftig aufgetreten waren, befürchtete der Doktor, der Mann werde den Transport zum Krankenhaus nicht überleben. Deshalb griff er selbst zum Skalpell. Mit Sybillas Hilfe richtete er den Küchentisch zum Operationstisch her, und bei der Operation assistierte sie ihm. Während sie die Narkose überwachte, schnitt der Arzt dem Patienten den Bauch auf, allerdings war es bereits zu spät. Der Blinddarm war schon durchgebrochen und der Bauchraum infiziert. Einzig tröstlich schien in diesem Moment für die Familie zu sein, dass der Arme von alledem wohl nichts mehr mitbekam, denn er wachte aus der Narkose nicht mehr auf.

Für Witwe Maria Sybilla begann eine schlimme Zeit. Abgesehen von der menschlichen Lücke, die ihr Mann hinterlassen hatte, plagten sie existenzielle Sorgen. Von der Verwandtschaft war auch keine finanzielle Unterstützung zu erwarten. So wirtschaftete sie mit den Kindern auf dem verschuldeten Hof ein paar Jahre weiter, bis Alois, ihr Ältester, alt genug war, das Anwesen zu übernehmen, allerdings mit einer gehörigen Portion Schulden, was ihr sehr leidtat.

Wie und wo sich mein Großvater und Anna Karolina begegnet sind, ist nicht überliefert. Fest steht nur, dass sie den jungen Witwer sympathisch fand und ihm recht bald vor dem Altar das Ja-Wort gab. Obwohl ihr Bruder Alois den Hof mit erheblichen Schulden von der Mutter übernommen hatte, zahlte er ihr das übliche Heiratsgut von tausend Mark aus – ein guter Start für die junge Familie, in der es Schlag auf Schlag Nachwuchs gab. Wie wir uns erinnern, waren im Abstand von jeweils zwei Jahren drei Söhne im Hause Beutler angekommen. Das Glück war perfekt, als am 25. März 1899 endlich ein Mädchen in der Wiege lag. Man gab ihr den Namen Maria.

In einer Tochter zog man sich als Mutter zur damaligen Zeit eine Haushaltshilfe groß, in den Buben dagegen sah man die zukünftigen Helfer für den Vater. Zu Anna Karolinas großer Freude brachte sie im Jahr darauf erneut eine Tochter zur Welt, Margaretha. Leider schwächelte dieses Kind so sehr, dass es noch am selben Tag starb. Natürlich war die Mutter darüber traurig, aber nicht besonders unglücklich, denn ihr blieb ja noch Maria, ein Mädel von gesunder und kräftiger Natur. Außerdem fand man sich in jener Zeit damit ab, dass nicht alle Babys überlebten. Man tröstete sich mit der Redewendung: »Einen Teil der Kinder nimmt sich der Herrgott wieder zurück.«

Am 12. Dezember 1901 wurde dem Paar ein weiterer Sohn geboren, der Zacharias, genannt Zachl, der mein Vater werden sollte. Knapp zwei Jahre nach meinem Vater wurde ihnen Tochter Anna geschenkt, wie wunderbar! Anna, ein kräftiges Kind, schien einen starken Überlebenswillen zu haben.

Es waren erst zehneinhalb Monate vergangen, da erblickte Regina das Licht der Welt, eine Frühgeburt mit wenigen Überlebenschancen. Bereits einen Monat später musste man sie zu Grabe tragen. Im November 1905 wurde der Familie der Sohn Alois geboren, und Sohn Felix drei Jahre später. Nachdem Tochter Karolina zum Jahresanfang 1911 zur Welt gekommen war, soll Hans, der Zweitgeborene, zu der Zeit fünfzehn, den Ausspruch getan haben: »Das Fetzl hätt’s nimma ’braucht!« Das trug ihm von Vater Johann eine saftige Watschn ein, verständlicherweise. Denn erstens war Johann ein Familienmensch und liebte jedes seiner Kinder von ganzem Herzen, und zweitens machte es ihn froh, dass seine Frau in der energischen und gesunden Karolina eine zusätzliche Tochter hatte.

Als im März 1913 noch Sohn Ludwig die Familie komplettierte, war die Freude bei beiden Elternteilen groß, und Hans enthielt sich jeder dummen Bemerkung.

Ob meine Großeltern schon so etwas wie »Familienplanung« praktizierten, weiß ich nicht. Beim Vergleich der Geburtsdaten ihrer Kinder fiel mir allerdings auf, dass alle entweder in den Monaten zur Welt gekommen sind, in denen die Feldarbeit bereits erledigt war, oder in jenen Wochen, in denen man noch nicht damit begonnen hatte.

Doch so froh Anna Karolina auch war, als sie im Jahre 1901 von der engen Wohnung in Weiden in das aufgestockte Haus in Altenstadt ziehen konnte, so begriff sie sehr bald, warum ihr Mann so lange gezögert hatte, in sein Vaterhaus zurückzukehren, und sie erinnerte sich daran, warum sie wenige Jahre zuvor mit fliegenden Fahnen nach Weiden gezogen war: Die Schwiegermutter war alles andere als herzlich zu ihr und half kein bisschen beim Aufziehen der Kinder, wie man das wohl von einer Großmutter – wenn es auch eine Stief-Großmutter war – erwartet hätte. Im Gegenteil, von Anfang an bürdete Anna Klara der jungen Frau all ihre bisherigen Pflichten auf. Sie war offenbar der Meinung, sie hätte in ihrem Leben genug gearbeitet.

Anna Karolinas Schwiegervater Zacharias, der zu dieser Zeit noch rüstig genug gewesen wäre, in der Landwirtschaft mitzuhelfen, trieb sich schon ab dem frühen Nachmittag im Wirtshaus herum. Kaum eine Nacht verging, in der er nicht mit einem Mordsrausch nach Hause torkelte. Den folgenden Vormittag musste er stets im Bett verbringen und seinen Rausch ausschlafen, damit er fit war für das nächste Besäufnis.

Außerdem gab es bei Anna Karolinas Einzug in diese »Wohngemeinschaft« ja noch Anna, die gemeinsame Tochter von Anna Klara und Zacharias, gleichzeitig also Halbschwester meines Großvaters, die zu diesem Zeitpunkt dreiunddreißig Lenze zählte. Statt tatkräftig in diesem großen Haushalt mitzuhelfen, ließ sie sich lieber von ihrer Schwägerin bedienen. Für die junge Familie war es ein Glück, als Anna endlich in Johann Baptist Greiner einen Hochzeiter fand und das Elternhaus verließ.

Johanns Halbbruder Felix, geboren 1869, lebte zu dieser Zeit schon lange nicht mehr zu Hause. Von klein auf war er ein »Tunichtgut« gewesen und, nachdem er zwei uneheliche Kinder in die Welt gesetzt hatte, nach Amerika ausgewandert, um sich den Zahlungsverpflichtungen zu entziehen. Dort hatte er jedoch schon bald bei einem Brandunglück das Leben gelassen.

Von den beiden Stiefkindern Joseph und Katharina gibt es noch einiges zu berichten. Nach seiner Schulentlassung arbeitete Joseph bei einem Fuhrunternehmer, wurde Kutscher und Postillion und blieb bis zur Vollendung seines einundzwanzigsten Lebensjahres im »Elternhaus« wohnen, wo er jeden Pfennig abgeben musste. Dann lebte er einige Jahre in einer kleinen Pension, kehrte aber, als er krank wurde, ins Haus seiner Stiefeltern zurück. Dort starb er im Jahre 1890, ledig und gerade einmal fünfunddreißig Jahre alt. Seine Schwester Katharina fristete noch einige Jahre im Haus als »Magd« ihr Dasein. Mit einundzwanzig aber ging sie nach München, wo sie in einem vornehmen Haushalt als Dienstmädchen arbeitete. Irgendwo begegnete ihr dann der Bankdiener Andreas Förg, der sie 1890 heiratete. Sie bekamen drei Kinder, doch ihr Ältester, Jahrgang 1891, fiel im Ersten Weltkrieg.

Zu Beginn des Jahres 1904, nachdem Johann Beutler mit seiner Familie bereits seit drei Jahren wieder im Elternhaus lebte, legte sich seine Stiefmutter Anna Klara aufs Krankenlager. Nun kam zu Anna Karolinas vieler Arbeit noch die schwierige Pflege hinzu, die sich jedoch nicht über einen allzu langen Zeitraum hinzog. Im Oktober desselben Jahres, Anna Karolinas Jüngste, Klein Anna, war gerade ein Jahr alt, tat Anna Klara im Alter von neunundsechzig Jahren ihren letzten Atemzug. Damit hatte die Jungbäuerin nicht nur eine Sorge, sondern auch viel Arbeit weniger.

Seit dem Umzug von Weiden nach Altenstadt führten Anna Karolina und Johann eine für die damalige Zeit sehr moderne Ehe – mit getrennten Schlafzimmern. Umso mehr erstaunt es mich deshalb, dass in der Folgezeit noch so viele Kinder zur Welt gekommen sind. Der Grund für die getrennten Schlafkammern war der Schichtdienst des Ehemannes. Beide Eheleute hatten sich so an die getrennten Schlafzimmer gewöhnt, dass sie diese auch nach der Pensionierung des Familienvaters beibehielten.

Damit er sie bei seiner Heimkehr nicht im Schlaf störe, hatte Anna Karolina ihr Bett im Mädchenzimmer aufgeschlagen, während Johanns Bett im Bubenzimmer stand. Diese Lösung hatte zudem den Vorteil, dass man das Elternzimmer einsparte. Dieses konnte man vermieten, ebenso wie den »Päpstlichen Stuhl«, was zusätzliche Einnahmen einbrachte.

Ja, Johann und Anna Karolina wussten, wie man zu Geld kam. Immer wenn sie eine gewisse Summe zusammengespart hatten, kauften sie Grundbesitz, mal einen Wald, mal eine Wiese, mal einen Acker.

Anna Karolina, die seit der Kindheit an das harte Arbeiten gewöhnt war und sich mit den bäuerlichen Arbeiten sowie allen Haushaltstätigkeiten auskannte, hatte sich allein um alles zu kümmern, was in Haus und Stall anfiel. Neben Putzen, Waschen und Kochen galt es auch, die Tiere zu versorgen: Kühe, Schweine, Gänse, Hühner und Schafe. Zeitweilig gehörte auch eine »Goaß« mit zur Menagerie. Für die immer größer werdende Kinderschar war Anna Karolina anfangs auch allein verantwortlich. Die Jungen und Mädchen mussten nicht nur betreut werden, sondern gewaschen und angezogen, oder es galt, ihnen die Kleidung zu flicken.

Das Wäschewaschen ging längst nicht so einfach vonstatten wie heutzutage. Statt einer Waschmaschine benutzte man einen großen Kessel, der sich in einer Ecke zwischen Wohnzimmer und Küche im Hausgang befand. Nachdem die Wäsche darin gekocht war, wurde sie außerhalb des Hauses mit Kernseife und Bürste auf einem Tisch geschrubbt – eine äußerst anstrengende und zeitaufwendige Tätigkeit. Im nächsten Schritt musste die Wäsche mehrmals in kaltem Wasser gespült werden, das man mit einer Schwengelpumpe aus dem Brunnen förderte. Zu guter Letzt wurde die gesamte Weißwäsche auf der Wiese zum Bleichen ausgelegt. Damit die frischen Sachen schön weiß wurden, mussten sie mehrmals am Tag mit Wasser besprengt werden.

Was das tägliche Brot anging, so wurde dieses nicht beim Bäcker gekauft, sondern für die ganze Familie von der Bäuerin Anna Karolina selbst gebacken. Allein das Kneten des Teiges erforderte enorme Kraft. Danach musste sie die Brotlaibe zum alten Schulhaus schleppen, wo sie in einem gemeindeeigenen Backofen gebacken wurden. Es versteht sich von selbst, dass sie die fertigen Brote wieder nach Hause trug.

Im Herbst fiel mehr Arbeit an als sonst. Gemüse und Obst von den Feldern und aus dem Garten mussten so bearbeitet werden, dass sie für den Winter haltbar waren.

Erst als Tochter Maria etwas herangewachsen war, bekam Anna Karolina eine echte Hilfe. Mit dem Mädel hatte sie ausgesprochenes Glück: Es stellte sich nicht nur sehr geschickt an, sondern war auch – ganz wie die Mama – ungeheuer fleißig, sehr gutmütig und anstellig.

Nun darf man nicht annehmen, dass Johann, Anna Karolinas Ehemann, gefaulenzt hätte. In der Landwirtschaft half er seiner Frau, wo er nur konnte. Vor allem verrichtete er die schwere Feld- und Waldarbeit – neben seinem Beruf als Bahnangestellter. Solange ihm seine Söhne noch nicht zur Hand gehen konnten, musste er das alles allein bewerkstelligen.

Dennoch blieb viel Feldarbeit an Anna Karolina hängen, sie hatte das Heu zu wenden und einzufahren oder sich um die Aussaat oder den Flachs zu kümmern, der im »Ritterhof« noch bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges selbst angebaut und bis zu fertigem Leinen verarbeitet wurde. Zusätzlich fand die Bäuerin die Zeit, Schurzbänder aus Leinen zu nähen, die sie verkaufte, um eine kleine zusätzliche Einnahme zu haben. Maria wurde, sobald sie verständig genug war, von der Mutter hauptsächlich im Haushalt und in der Kinderbetreuung eingesetzt.

Da Anna Karolina auf dem Anwesen ihrer Eltern von klein auf hatte hart arbeiten müssen, schien sie doch froh darüber, dass ihren Buben und Mädchen – als Kinder eines Bahnbediensteten – ein solches Leben erspart bleiben würde. Nun aber waren die Kleinen durch den Umzug auf den »Ritterhof« zu Bauernkindern geworden, und dieses Los traf sie in voller Härte. Bereits im Kleinkindalter mussten sie schwere Arbeiten übernehmen, wie das seinerzeit auf allen kleinen Höfen an der Tagesordnung war. Ohne Mithilfe der Kinder wäre man nicht über die Runden gekommen.

War Anna Karolinas Mann schon sparsam, so übertraf sie ihn in dieser Tugend noch. Für Johann erstand sie beim Metzger hin und wieder etwas Blut- oder Leberwurst, damit er bei Kräften bliebe, für sich selbst aber kaufte sie niemals ein Stück Wurst. Sobald von dem Schwein, das sie einmal im Jahr schlachteten, nichts mehr übrig war, begnügte sie sich mit Butterbrot.

So sparsam und fleißig sie sich auch gab, trotz der vielen Arbeit, und obwohl sie ihren Kindern auch viel abverlangen musste, bemühte sie sich stets, eine liebevolle und gütige Mutter zu sein. Das ist mir von jedem ihrer Nachkommen bestätigt worden. Sie liebte all ihre Kinder gleichermaßen, hatte für jedes ein offenes Ohr und ein offenes Herz, egal ob es mit einem seelischen oder einem körperlichen Schmerz zu ihr kam.

Im Januar 1907 hatten die Wirtshausbesuche des Altbauern Zacharias von heute auf morgen ein Ende. Er fühlte sich so schlecht, dass er sich von seinem Krankenlager nicht mehr erhob. Jeder glaubte, es sei seine Leber, die streike, weil er ihr zu viel zugemutet habe. Es war aber der Magen, wie sich nach seinem Tod am 28. Februar herausstellte. Er starb im Alter von neunundsechzig Jahren an Magenkrebs.

Mit dem Jahr 1914 sollte für viele Familien eine leidvolle Zeit beginnen. Unter den jungen Männern allerdings brach nach Kriegsbeginn am 1. August geradezu Kriegsbegeisterung aus. Parolen wie »Serbien muss sterbien«, »Jeder Stoß ein Franzos’« oder »Jeder Schuss ein Russ’« wurden von Mund zu Mund weitergegeben. Zusätzlich »zierten« diese Sprüche auch die Eisenbahnwaggons, in denen im August die deutschen Truppen zu den Fronten im Osten und Westen gebracht wurden.

Die ältere Generation jedoch, die ihre gesunden, arbeitsfähigen Söhne in den Krieg schicken musste, beobachtete diese Entwicklung mit größter Sorge. Auch Familie Beutler erwischte es, und das nicht zu knapp: Die beiden ältesten Söhne, Josef und Hans, wurden schon bald eingezogen, und für die Eltern begann die Zeit des Bangens, ob die beiden versehrt oder gar überhaupt nicht mehr heimkehren würden.

Anna Karolina war einigermaßen erleichtert, dass Andreas, der von allen nur »Reis« genannt wurde, mit seinen sechzehneinhalb Jahren noch zu jung war, um zu den Waffen gerufen zu werden. Sie hegte die stille Hoffnung, dass der Krieg, der so überraschend begonnen hatte, ebenso plötzlich wieder beendet sein würde, bis ihr dritter Sohn alt genug war, um Kriegsdienst leisten zu müssen.

Was aber tat Reis, seit einigen Jahren das Sorgenkind der Mutter? In der Schule hatte er schon nicht so recht lernen mögen, und endlich aus dieser entlassen, lehnte er es ab, wie seine älteren Brüder einen Beruf zu erlernen.

Zunächst war das den Eltern sogar recht gewesen, denn sie erwarteten sich von ihm tatkräftige Mithilfe im Hofbetrieb. Da der Vater dem Burschen für dessen Arbeit jedoch nichts zahlen konnte oder mochte, der junge Mann aber ein bisschen Geld in Händen haben wollte, ließ er die heimische Landwirtschaft links liegen und arbeitete gelegentlich bei einem entfernten Verwandten, der in Weiden eine kleine Schusterei betrieb. Sobald der Krieg aber ausgebrochen war, meldete Reis sich freiwillig beim Heereskommando.

Nach einer Grundausbildung von wenigen Monaten entsandte man ihn nach Frankreich an die Westfront. Bereits im Spätherbst 1914 war die gesamte Front, von der Kanalküste bis zur schweizerischen Grenze, im zermürbenden Stellungskrieg erstarrt. Anderthalb Jahre später nahm Reis – im Alter von nunmehr achtzehn Jahren – an der bis dahin schrecklichsten Materialschlacht teil, welche man bis zu diesem Zeitpunkt im Kriegsgeschehen erlebt hatte. Als »Hölle von Verdun« ist dieses Gemetzel, das vom 21. Februar bis zum 9. September 1916 um das französische Fort mehr als eine halbe Million Menschenleben forderte, bekannt geworden.

Reis wurde in dieser Zeit während eines Giftgasangriffs der Franzosen verwundet, ein für ihn gewiss ganz furchtbares Erlebnis. Noch viele Jahre nach Ende des Krieges hatte er am Jahrestag seiner Verwundung immer wieder schwere Albträume. Er schrie und schlug im Schlaf um sich. Wenn ihn seine Frau dann weckte, erzählte er ihr in heller Aufregung, er hätte den Gasangriff wieder erlebt.

Sie wollen wissen, wie es weitergeht?

Dann laden Sie sich noch heute das komplette E-Book herunter!

Weitere E-Books von Roswitha Gruber

Der Duft nach Heu

eISBN 978-3-475-54507-8 (epub)

Wie war eigentlich das Leben früher, als unsere Großmütter noch jung waren? ­Roswitha Gruber ist dieser Frage auf den Grund gegangen. Wir erfahren, wie das Leben auf dem Land, die Schulzeit und das Erwachsenwerden in einer Großfamilie zur damaligen Zeit waren. In ihrem vierten Buch aus der Reihe »Großmütter erzählen« gewährt uns die Autorin einen Einblick von unschätzbarem Wert.

Ein Bauernleben

eISBN 978-3-475-54441-5 (epub)

Für die Familie Edelhofer steht der Hof über allem. Die Menschen, die auf ihm wohnen, erleben persönliche Tragödien, aber auch viel Freude und Liebe. So erzählt Roswitha Gruber von einem Leben voll Arbeit und Pflicht. Auf faszinierende Weise berichtet sie von schweren Aufgaben und Entscheidungen genauso wie von den schönen Erlebnissen.

Rosenkohl im Trabi

eISBN 978-3-475-54230-5 (epub)

Nach der Vertreibung aus der Tschechoslowakei muss sich Martl in der DDR ein neues Leben aufbauen. Sie heiratet den Bauern Karl. Das Paar bekommt drei Kinder und verlebt glückliche, arbeitsreiche Jahre. Doch dann verliert Martl ihren Mann. Dieser Situation tritt sie mit Entschlossenheit und Tatkraft entgegen. Sie putzt jahrelang Rosenkohl, um ihre Kinder zu ernähren.

Besuchen Sie uns im Internet:www.rosenheimer.com