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"Wirf ab, was dich krank macht" bedeutet: "Verstehe, was dich krank macht", damit du wieder innerlich frei und körperlich gesund werden kannst. Deine Krankheit geht dich persönlich etwas an. Was sie für dich bedeutet, hängt weitgehend davon ab, wie du sie siehst und verstehst. Du kannst sie an niemanden delegieren, sondern musst dich ihr, da sie - genauso wie alles Erfreuliche - keine Panne, sondern Ausdruck deines Lebens und Schicksals ist, persönlich stellen und etwas daraus machen: seelische und körperliche Gesundheit. Dieses Buch ist jenen Menschen gewidmet, die nicht das hilflose Opfer ihrer Krankheit werden, sondern sie besser verstehen, richtig mit ihr umgehen und sie sinnvoll in ihr Lebensverständnis integrieren wollen.
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Seitenzahl: 315
Veröffentlichungsjahr: 2017
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Du hast im Zittern deiner Seele so oft die Grenzen deines Ichs verspürt, wenn auf der Suche nach dem Sinn des Seins du letztlich doch nur dich berührt.
Liebe Leserin, lieber Leser,
„Wirf ab, was dich krank macht“ wurde erstmalig 1988 veröffentlicht und war seinerzeit ein „Longseller“. Nach dem Konkurs des damaligen Verlages war es seit Jahren vergriffen. Bei erneuter Lektüre schien es mir aber weiterhin so aktuell, dass ich es hier – nach gründlicher Überarbeitung und Erweiterung – erneut jenen Lesern anbieten möchte, die nicht das hilflose Opfer ihrer Krankheit werden, sondern sie besser verstehen, richtig mit ihr umgehen und sie sinnvoll in ihr Lebensverständnis integrieren wollen
„Wirf ab, was dich krank macht" bedeutet: "Verstehe, was dich krank macht", damit du wieder innerlich frei und körperlich gesund werden kannst. Deine Krankheit geht dich persönlich etwas an. Was sie für dich bedeutet, hängt weitgehend davon ab, wie du sie siehst und verstehst. Du kannst sie an niemanden delegieren, sondern musst dich ihr, da sie - genauso wie alles Erfreuliche - keine Panne, sondern Ausdruck deines Lebens und Schicksals ist, persönlich stellen und etwas daraus machen: seelische und körperliche Gesundheit.
Dr. med. Götz Blome
Vorwort von 1988
Dieses Buch soll dich, liebe Leserin und lieber Leser, persönlich ansprechen. Es ist aus dem Dialog mit Menschen, die - wie du - nach Erkenntnis und innerem Frieden suchen, entstanden und stellt die Frucht täglicher Lebenserfahrung und jahrelangen Beobachtens dar. Ihm liegt die Erkenntnis zugrunde, dass nicht das Leid, sondern die Freude der Sinn unseres Lebens ist und dass wir, obwohl wir unserem Schicksal ausgeliefert sind, in unserer Bewusstwerdung, unserer Suche nach Wahrheit und Klarheit doch eine gewisse Chance haben, sie zu finden. Dazu müssen wir alles, was der Lebensfreude und einer positiven Lebenshaltung im Wege steht und uns also leiden lässt, entweder aus unserem Leben entfernen oder anders, nämlich positiver und freudvoller, zu sehen lernen.
Dass die hier gemachten Aussagen keine absolute Wahrheit darstellen, versteht sich von selbst. Du solltest sie auch nicht immer wörtlich nehmen, sondern versuchen, die Grundidee, die in ihnen liegt, in deine persönliche Denkweise und auf deine eigene Lebenssituation zu übertragen. Denn jeder von uns sieht die Welt mit anderen Augen, muss seinen Weg gehen, seine Wahrheit finden. Hierzu soll dieses Buch, indem es dich zum Nachdenken anregt oder auch zum Widerspruch reizt, beitragen.
Leid entsteht immer aus einem Verstoß gegen das Richtige, das Wahre. Die Religionen identifizieren dieses mit dem Guten, mit „Gott“ - das Falsche, das Unwahre aber mit dem Bösen, dem „Teufel“. So müssen wir leiden, wenn der „Teufel“ der zerstörerischen und verlogenen Emotionen, der verneinenden Lebenshaltungen, des Selbstbetruges über uns kommt, wenn wir uns selbst verraten und jene Gesetze, die die Grundlage dieser Schöpfung bilden, missachten. Wer sich selbst verurteilt, wer mit seinem Schicksal hadert, wer sich wirklichkeitsfremden Vorstellungen, Wünschen, Idealen, Vorurteilen oder Moralzwängen hingibt, weicht von der Wahrheit, die nichts anderes ist, als die Wirklichkeit seines Lebens, ab und vertreibt sich selbst aus dem Paradies. Sein Leiden zeigt ihm dann, dass es nicht der Apfel der wahren Erkenntnis war, von dem er gegessen hat.
Wie aber finden wir zurück? Das Orakel von Delphi hat schon vor Jahrtausenden die Antwort gegeben: Erkenne dich selbst! Erkenne, dass du selbst die Ursache deiner Leiden bist, und dass du nur, indem du konsequent und unbestechlich nach der Wahrheit über dich und dein Leben suchst, zur Freude und deinem inneren Frieden (denn dieser ist ja das Paradies) zurückfinden kannst.
Natürlich sind von den unzähligen Aspekten, die auf diesem Weg bedeutsam sind, hier nicht alle dargestellt, sondern hauptsächlich jene, die sich im Dialog mit Patienten, Lesern und Freunden (denen ich - besonders den Schreibern der in diesem Buch zitierten Briefe - an dieser Stelle herzlich für die wertvollen Anregungen danke) als besonders wichtig herausgestellt haben.
Vorwort
Wirf ab, was dich krank macht
Außen wie innen
Illusion oder Wirklichkeit?
Ganzheitliches Heilen
Gesund werden durch Krankheit
Die Heilreaktionen
Die richtige Medizin
Krankheit in höherer Sicht
Schöne Worte
Der innere Friede
Kranksein macht heil
Frosch oder Adler?
Heilung
Das Leben - ein Mysterium
Bewusst leiden
Die größere Wirklichkeit
Krankheitserreger
Schlaf dich gesund
Eselsbrücken
Selbstverantwortung
Menetekel
Ein anderer Aspekt von AIDS
Die Botschaft
Helfen
Wer wirft den ersten Stein?
Selbstanklagen
Vertrauen wagen
Selbstverwirklichung
Der Weg aus der Krankheit
Willens sein
“Schön wär's, wenn das möglich wäre!“ wird manche/r Leser/in vielleicht resigniert bei diesen Worten denken. Denn angesichts der vielen erfolglosen Versuche, ihre quälenden Konflikte zu lösen oder ihre Krankheit zu überwinden, ist es nicht verwunderlich, wenn manche Menschen in Trübsinn oder Verzweiflung fallen und am liebsten diese Welt wieder verlassen würden. Und doch lässt uns eine geheimnisvolle Kraft immer wieder weitergehen, wie mühsam oder schmerzlich unser Lebensweg auch sein mag: Es ist die Hoffnung, dass eines Tages doch noch alles gut – oder zumindest besser - werde. Sie hat den Menschen durch die Jahrtausende seiner oft schrecklichen Geschichte geführt, sie ist die Wurzel der Religionen und der Grund zu diesem Buch, das sie in dir, liebe Leserin oder lieber Leser, lebendig erhalten und dich daran erinnern soll, dass nicht das Leid, sondern die Freude der Sinn unseres Lebens ist.
Je genauer wir der Frage nachgehen, ob der Mensch, wie oft behauptet, wirklich nur aus dem Leid heraus zum Sinn seines Lebens finden kann, desto widersprüchlicher sind die Antworten, die wir darauf finden. Einerseits „nein“, wenn wir die ewig leidende und doch nie geläuterte Menschheit betrachten; andererseits „ja“, wenn wir uns daran erinnern, wie sehr eine bewusst durchlittene Situation uns bereichern und unseren Lebenshorizont erweitern kann.
Was aber ist daran das Entscheidende? Sind es wirklich die Leiden und die Schmerzen? Oder ist es nicht vielmehr unsere Sehnsucht nach der Freude, nach dem kleinen Licht am Ende des dunklen Tunnels, in der verborgensten Tiefe unserer Seele, und die unbedingte Bereitschaft, alles, was uns davon trennt, in ehrlichem Ringen zu überwinden? Allein die Freude ist es ja, die uns leben lässt. Nur sie erhält uns jene Liebenswürdigkeit und Offenheit, mit der wir als Kinder in diese Welt kamen und ohne die, wie es heißt, niemand zurück ins Himmelreich gelangen kann.
Wenn wir nur nicht immer wieder vergäßen, dass die Freude stets um und in uns ist und es nur an uns liegt, sie zu sehen und zu fühlen! Sie ist die gewaltige Kraft, die alles bewirkt, die die Sonne aufgehen und die Farben leuchten, die Vögel singen und die Wolken ziehen, die Bäche murmeln, die Blumen blühen und unser Herz schlagen lässt. Sie ist das Feuer, das uns in den Augenblicken der Seligkeit durchglüht, wenn wir wissen, dass alles richtig ist und der Friede in uns einkehrt.
Klingt das zu poetisch? Dann versuchen wir es etwas nüchterner: Freude ist das Gefühl, das entsteht, wenn ein Bedürfnis befriedigt oder ein Wunsch erfüllt wird. Das heißt: wenn wir etwas, was wir wünschen oder brauchen, bekommen, freuen wir uns. Damit Freude aufkommen kann, muss also vorher ein Mangel bestehen, der mit einem Leidensgefühl einhergeht, das sich, wenn er ausgeglichen wird, in ein Freudegefühl verwandelt. Die Erfüllung großer Wünsche erzeugt intensive Freude; bei kleinen Wünschen ist sie nicht so intensiv, sondern besteht eher in einem Gefühl der Zufriedenheit.
In einem zufriedenen Leben herrscht dauernde Freude vor, die uns allerdings nicht immer bewusst ist, weil wir sie als normal empfinden. Denn eigentlich ist es richtig, dass unser Leben erfreulich ist und dass wir alles bekommen, was wir brauchen: unser Körper Nahrung, Wärme und Bewegung, unser Geist Anregung und erfreuliche Erkenntnisse, unsere Seele Kontakt mit dem Ewigen. Die Freude, die zeigt und dadurch entsteht, dass alles so ist, wie es sein soll, erhält die Welt und uns Menschen am Leben. Sie ist die Schönheit, die Sonne, die Liebe, das Wohlbefinden, die Zufriedenheit, die Gesundheit, der Erfolg. Es ist ein „Prozess“, der ständig mit Leben erfüllt, ständig mit positiven Impulsen aufrecht erhalten werden muss.
Wie aber sollen wir die Freude fühlen, wenn wir enttäuscht, verbittert, von Selbstmitleid vergiftet, von Hass, Neid oder Eifersucht verdorben, von Habgier und Ehrgeiz verblendet oder von sinnlosem Tun entkräftet sind?
Zum Glück zeigen uns dann Schmerz und Leid unsere Fehler, erinnern uns daran, dass wir die Wahrheit und die Freude verraten haben, und machen uns klar, wo wir uns wandeln und bessern müssen. Sie erscheinen in unserem Leben, damit wir sie überwinden, nicht aber uns in dummen Klageliedern oder selbstgefälligem Kokettieren mit unserem ach so großen Unglück verlieren. Leid und Freude sind wie zwei Seiten einer Medaille. Wenn du leidest, wirst du die Freude nur dann wieder erleben, wenn du entschlossen zugreifst und eine Wendung herbeiführst, nicht aber, wenn du so tust, als seist du daran unschuldig, und es beim Jammern belässt.
Die Freuden des Lebens erwarten uns. Lass sie wieder in uns lebendig werden! Es ist ganz „einfach“. Wir brauchen nur wirklich ehrlich zu uns zu sein und uns von all jenen Einstellungen, Gewohnheiten und Selbstlügen zu trennen, die es uns unmöglich machen, einen schönen und erhabenen Gedanken zu denken, ein frohes Gefühl zu empfinden oder für die Wunder, die sich uns fortwährend offenbaren, dankbar zu sein.
Und doch ist dies so schwer für uns, dass die folgende Skizze, so traurig sie ist, nur eine Alltäglichkeit beschreibt:
Immer, wenn ich an seinem Haus vorüberging, zog sich mein Herz zusammen. Denn dort lag seine dreifach gefesselte Seele in der Gestalt von drei alten, struppigen Hunden. Seit Jahren mussten sie dort an kurzen Ketten ihr erbärmliches Leben fristen. Niemals durften sie wie die anderen Hunde über die Felder streifen, niemals übermütig mit ihresgleichen umhertollen. Für sie gab es weder das saftige, aromatische Grün der Waldwege noch den erregenden Duft einer frischen Fährte, weder die wohlige Müdigkeit nach einem ausgedehnten Streifzug noch die freundschaftlichen Besuche bei den Nachbarn. So lagen sie apathisch vor ihren engen Hütten, machten einige kettenklirrende Schritte nach links oder rechts, winselten den Vorübergehenden nach oder bellten sie böse an.
Oft fragte ich mich, wie ein Mensch sich neben diesen traurigen Kreaturen seines Lebens erfreuen könne, bis ich ihn eines Tages herauskommen sah, mit schlurfendem Schritt und eckigen Bewegungen, gerötetem Kopf und starrem, unfreundlichem Ausdruck in seinem aufgedunsenen Gesicht, in der Hand ein halb gerupftes Huhn. Da wurde mir klar, dass es gar nicht anders sein konnte. Wie sollte er, der in seinem düsteren Zimmer bei Alkohol, Zigaretten und Fernsehen selbst ein freudloses Leben fristete, der nie in die schöne, freie Natur hinauswanderte, keine bunte Blume im Garten und kein Lächeln im Gesicht hatte, es ertragen können, dass etwas in seiner Umgebung Lebensfreude empfände?
Fröhlich umherspringende Hunde, lachende Blumen oder die Sonne in seinem Zimmer hätten seine ganze Existenz in Frage gestellt und ihn an das erinnert, was er verloren hatte. So aber war seine Welt in Ordnung. Er wich dem Schmerz, den er in sich trug, aus, indem er ihn seiner Umgebung zufügte und sich Lebensumstände schuf, die seinem inneren Zustand entsprachen. Er war genauso bedauernswert wie seine Hunde.
Hast du deinen Nachbarn oder einen Bekannten in dieser Beschreibung erkannt - natürlich mit gewissen Variationen? Dann hast du möglicherweise wieder einmal den Kopf in den Sand gesteckt und dich nicht selbst darin entdeckt. Vielleicht sieht es bei dir nicht ganz so brutal aus, und vielleicht hast du alles besser übertüncht, aber frage dich einmal ehrlich, ob es in deiner Umgebung nicht auch so ein paar arme Seelen gibt, die du aus „Liebe“ an die Kette legst oder denen du die Lebensfreude missgönnst - dein Lebenspartner zum Beispiel, den du zu besitzen versuchst, deine Kinder, die du nicht ihre eigenen Wege ziehen lässt, oder deine Untergebenen, von denen du die Perfektion von Robotern verlangst - und dies alles wahrscheinlich deshalb, weil in deinem Leben Freude und Freiheit durch Pflicht, Verzicht und Unzufriedenheit ersetzt sind. Dein äußeres, sichtbares Leben ist der Spiegel deines unsichtbaren Inneren. In ihm kannst du dich erkennen. Wenn du immer griesgrämiger, depressiver oder kränker wirst, zeigt es dir in unmissverständlicher Weise, dass irgendetwas in dir nicht stimmt.
(Vielleicht sollte ich dich überhaupt an dieser Stelle davor warnen weiterzulesen, denn falls du meinst, die oberflächlichen Vergnügungen, mit denen du dir deine kostbare Lebenszeit vertreibst, oder die Erleichterung, die du empfindest, wenn du dich erfolgreich vor einer Bewährungsprobe gedrückt hast, hätten etwas mit jener Freude zu tun, von der hier die Rede ist, wirst du enttäuscht werden. Hältst du die Grimasse, mit der der normale Mensch Freude und Freundlichkeit vorzutäuschen versucht, für erfreulich und bist du schon zufrieden, wenn du nach Feierabend deine Frustrationen mit einem Bier, einem Roman, einem Film oder einer Tablette betäuben kannst? Dann ärgere dich nicht über dieses Buch, das dir statt amüsanter Unterhaltung nur Anregungen zu ernsthafter Arbeit bietet. Betrachte es einfach als das Selbstgespräch eines seltsamen Weltverbesserers und Träumers, der entgegen jeder Vernunft und Erfahrung immer noch nicht resigniert hat. Gib es jemandem, der bereit ist, den Blick in sein Spiegelbild in Selbsterkenntnis und seine Betroffenheit in Selbstbefreiung umzusetzen. Oder stelle es in deinen Bücherschrank. Vielleicht kommt der Tag, an dem auch in dir der Wunsch hierzu erwacht).
Eines Tages stand das Haus des bedauernswerten Alten leer, doch seine Hunde lagen immer noch davor. Er war in eine Klinik geschafft worden, weil sein ruinöses Leben ihm eine schwere Krankheit eingebracht hatte. Er starb dort nach langem Siechtum. Die Hunde aber mussten auf seinen ausdrücklichen Wunsch monatelang verwaist an ihren Ketten liegen, weil er immer noch zurückzukommen hoffte, und weil, wie die Nachbarin meinte, er sie so sehr liebte.
Ja, es scheint fast so, als gäbe es eine Liebe zum Leid... Vielleicht „liebst“ du das deine auch so sehr, dass du nicht von ihm lassen kannst?
Oder brennt dir endlich der Wunsch nach Freude so sehr im Herzen, dass du bereit bist, alles, was ihr im Wege steht, aufzugeben? Nicht nur, falls sich dies als nötig erweisen sollte, deine Bequemlichkeit, deinen Besitz oder deinen Ruhm, sondern vor allem deine Überzeugungen, deine Vorurteile, deine Gewohnheiten, deine Moral oder das Bild von dir, das dir so sehr gefällt und hinter dem du dich versteckst?
Den Hebel der Veränderung müssen wir ja immer bei uns selbst ansetzen, müssen herausfinden, was für uns persönlich richtig ist und wozu wir berufen sind - selbst wenn es Jahre dauert. Niemand kann es uns sagen, kein Moralkodex, keine Heilslehre und kein Guru. Aber unsere innere Stimme raunt es uns ständig zu in unseren Gefühlen, Eingebungen und Ahnungen. Denn sie ist unsere Verbindung zu jener Wesenheit, die uns dieses Leben gegeben hat und unser Bestes will. Sie spricht zu uns in einer Sprache, die aus zwei Worten besteht: Freude und Leid. Jeder versteht sie. Denn die Freude empfinden wir als richtig und suchen nach ihr, das Leid aber als falsch und weichen ihm aus. Dieses einfache Prinzip leitet uns dorthin, wo unser „Heil“ liegt. Es ist ganz selbstverständlich: Wenn wir das vermeiden, was uns Schmerz und Unlust bereitet, und dem folgen, was uns erfreut, kommen wir von selbst dorthin, wo es uns gut geht, und bereits der Weg dahin ist schon eine Freude.
Man sollte meinen, mit so sicheren Wegweisern könnten wir den Weg ins Paradies nicht verfehlen. Tatsächlich aber gibt es für jede/n von uns kaum etwas Schwereres, als kompromisslos der Freude zu folgen. Denn unsere an Macht und Vorteil, Pflicht und Verzicht orientierte Kultur hat unsere Instinkte und Gefühle so verkrüppelt und pervertiert, dass wir uns mit oberflächlicher Vergnügung und Ablenkung zufriedengeben und unsere paradiesische Lebensfreude in einem verlogenen System aus Schuld und Sünde ersticken. Kein Wunder, wenn wir unter diesen Umständen nur noch die raue Sprache des Schmerzes und Leides, nicht aber die Poesie der Freude, verstehen und unbewusst die Krankheit der Gesundheit vorziehen. So werden wir, obwohl wir uns so lebensbejahend geben und behaupten, nichts gehe uns über Gesundheit und Freude, doch immer trübsinniger und kränker.
Die äußeren Umstände sind stets die Folge der inneren Zustände. Solange wir das Kranke in unserem Inneren dulden, können wir auch äußerlich nicht gesunden; solange wir die Freude nicht aus vollem Herzen suchen, wird sie in unserem Leben fehlen.
Wenn es uns schlecht geht, ist die Zeit gekommen, unser Selbstverständnis zu revidieren. Wir müssen uns von unseren Befürchtungen oder Erwartungen, unserem Hass oder unserem Selbstmitleid, unseren Enttäuschungen oder Schuldgefühlen, unserer Eifersucht oder unserer Gier, unseren schlechten Gewohnheiten oder Selbstlügen lossagen, obwohl sie weitgehend die Basis unseres Denkens sind und wir oft meinen, ohne sie keine Menschen mehr zu sein. Sie machen uns krank und hässlich, heuchlerisch und verlogen, menschenunwürdig und unmenschlich. Sie trüben unsere Sinne, so dass wir die Schönheit dieser Welt nicht mehr wahrnehmen können, und sie vergiften unser Herz, so dass wir uns unseres Lebens nicht mehr erfreuen können. Daher heißt die Devise: „Wirf ab, was dich krank macht“. Dazu gehören auch jene gedankenlosen und wohlfeilen Vergnügungen, mit denen wir so oft unsere innere Leere füllen, die uns dafür aber unfähig für das Erlebnis wirklich großer Freude machen.
Eines Morgens lag ich wie immer in der Badewanne und lauschte genussvoll der aus dem Radio klingenden Kammermusik. Es war mir zur lieben Gewohnheit geworden, auf diese Weise den Tag zu beginnen, wohlig in das warme Wasser gestreckt und eingehüllt von erlesener Musik. Plötzlich gab es eine Pause zwischen den Stücken, und in diesem Augenblick der Stille geschah etwas Außerordentliches und Wunderbares: Ich hörte das helle Klingen des gläsernen Windspieles vor dem Fenster. Es spielte, von einer leichten Brise bewegt, eine solch klare und anmutige Melodie, dass mir die gleich darauf wieder einsetzende Radiomusik schal und leer erschien. Ich musste den Apparat abstellen. Da klang und klingelte es wieder, in unendlich bunten und lieblichen Tontänzen, da raschelte und sang der Wind eine Begleitung in den Bäumen dazu, da mischte sich mit einem Male auch der Duft der frischen Morgenluft, das tönende Tropfen des Wasserhahns, das Rosa des heraufsteigenden Morgens, die schmeichelnde Wärme des Badewassers und der zarte Gesang eines Vogels hinein und fügte sich zusammen zu einer einzigartigen, beglückenden Symphonie.
Manchmal (leider zu selten!), wenn ich eine Musikkonserve höre – im Radio, von einer CD oder vom IPod - erinnere ich mich an dieses Erlebnis der unmittelbaren Wirklichkeit, und mir wird wieder klar, wie oberflächlich ich oft lebe und wie wenig lebendig eine solche Musik ist. Ihr fehlt ja die Unmittelbarkeit jener Situation, in und aus der sie entstand: die gute Laune oder die mitreißende Leidenschaft der Musiker, das Vibrieren ihrer Instrumente, das deinen Körper erfasst, die Ausstrahlung der Umgebung, in der musiziert wird und die ebenfalls in der Musik mitschwingt, die Stimmung dieses besonderen Augenblicks, der die Musik Wirklichkeit werden lässt. Und der Wunsch nach dem Echten, Authentischen, dem unmittelbaren Leben wird dann wieder lebendig, lässt mich die „falsche“ Musik abschalten und statt dessen auf die mich umgebende, echte Symphonie aus Tönen, Geräuschen und Stimmen lauschen.
Solche kleinen Episoden haben oft ungeahnte und umwälzende Folgen. Denn die großen Entscheidungen unseres Lebens fallen in Form unscheinbarer Kleinigkeiten. Sie sind gewissermaßen der letzte Tropfen, der das Gefäß zum Überlaufen bringt, das sich - meist unbemerkt - schon lange gefüllt hat. Scheinbare Nebensächlichkeiten sind es, die die Weichen unserer Biographie stellen. Du denkst einen Gedanken, sagst ein Wort, machst einen Schritt - und schon ergeben sich daraus tausend unbeabsichtigte Folgen, im Guten wie im Schlechten. Eine kleine Nachlässigkeit, eine Handlung, hinter der du nicht wirklich stehst, bringt dich in eine Situation, die du eigentlich gar nicht willst, und aus dieser ergeben sich dann zwanghaft neue Konsequenzen, die du noch weniger willst.
Eine kleine Höflichkeitslüge zum Beispiel lässt dich in den Augen deiner Mitmenschen anders erscheinen, als du wirklich bist, und so behandeln sie dich fortan in einer Weise, die dir nicht entspricht. (Vergiss aber nicht, wenn du dich darüber beschwerst, dass du selbst die Schuld daran trägst.) Du nimmst die angebotene Zigarette, das Glas Alkohol, das Stück Torte, obwohl du sie nicht magst, und wirst hinfort als Raucher, Trinker oder Kuchenliebhaber eingeschätzt. Du bedankst dich für ein scheußliches Geschenk, und schon wirst du in die Kategorie jener Menschen eingeordnet, die so etwas mögen. Das wäre vielleicht noch nicht einmal schlimm, denn man kann ja vieles verkraften. Doch da du nun falsch klassifiziert bist, wird man dich auch bei jenen Gelegenheiten, die tatsächlich zu dir passen würden, übergehen und dich weiterhin in jene, aus der Unwahrheit entsprungene Rolle drängen.
Der Beruf, in den du aus Gedankenlosigkeit geraten bist, vergällt dir das ganze Leben. Aus der Bekanntschaft mit einem Menschen, den du eigentlich gar nicht magst, wird, wenn du sie gegen dein Gefühl duldest, eine Partnerschaft oder gar eine Ehe, unter der du dein Leben lang zu leiden hast. Die aus Opportunismus gepflegte gesellschaftliche Beziehung zu Menschen, die nicht zu deinen Überzeugungen und Idealen passen, zwingt dich zur Heuchelei und bringt dich in viele Schwierigkeiten.
All dies ist das Ergebnis eines ersten falschen Schrittes, einer Unachtsamkeit oder Unwahrhaftigkeit. So haben letztlich auch die kleinen Betäubungen und Fahrlässigkeiten unseres Alltags, die Bequemlichkeiten und gedankenlosen Vergnügungen, so winzig sie anfangs sein mögen, Folgen von ungeahntem Ausmaß.
Wenn wir unsere persönliche Wahrheit verraten, wenn wir unserer Bestimmung untreu werden oder - einfacher gesagt - wenn wir etwas tun oder dulden, was uns „nicht liegt“, dann geraten wir auf einen Weg, der uns letztlich ins Unglück führt. Andererseits aber löst sich die Klammer unseres selbstverschuldeten Leidens, sobald wir beginnen, wieder zum - für uns selbst! - Richtigen zurückzufinden.
Jede ehrliche Selbsterkenntnis trägt dazu bei, die inneren Konflikte zu lösen, die die Ursache unserer Leiden sind. Nur wenn wir uns klar machen, wie beharrlich und feige wir uns oft davor drücken, eine notwendige Änderung in unserem Leben vorzunehmen, wie verlogen wir unsere eigenen Fehler jemand anderem in die Schuhe zu schieben versuchen, wie furchtsam wir die Augen vor der Wirklichkeit verschließen, wie töricht wir mit unserem Schicksal hadern, können wir den Weg zum „Glück“ finden.
Selbst der so harmlos erscheinende Genuss von CDs, Fotos oder Filmen behindert uns - unmerklich und subtil - dabei. Sie sind Illusionen, Imitationen, Ersatz und bestärken uns in unserer Gewohnheit, ein unwahres und frustrierendes Leben aus zweiter Hand der wunderbaren, gewaltigen und lebendigen Wirklichkeit vorzuziehen. Fehlt zum Beispiel dem Konzert aus der Konserve nicht die gesamte übrige Situation, aus der es entstanden ist, die Stimmungen, die Menschen, die Düfte, die Geräusche, die Farben, ja selbst die Tageszeit und Wetterlage? Und ist es nicht eigentlich abstrus, etwas, das aus der Einmaligkeit und Unwiederholbarkeit eines bestimmten Augenblickes entstand, unter völlig anderen und unpassenden Bedingungen unzählige Male herunterzuleiern?
Bei unbelebten Gegenständen mögen solch seelenlose Vervielfältigungen vielleicht noch angehen, das Lebendige aber wird davon zerstört. In all den Konserven, mit denen wir uns das Vergängliche zur beliebigen Verfügung halten wollen, steckt ein, wenn auch gut verschleierter, Betrug. Sie sind eine bloße Hülle, eine Mumie, der der lebendige Geist fehlt. Denn dieser ist in jenem Augenblick daraus verschwunden, als das Lied verklang, das Bild verging oder die Situation sich änderte. So wenig, wie du zur Puppe in einem Wachsfigurenkabinett - und täusche sie noch so große Echtheit vor - einen menschlichen Kontakt aufnehmen kannst, so wenig wirst du in einer CD oder DVD, einem Foto, einem Film oder sonst einer Imitation jenes wahre Leben finden können, das wir alle so dringend brauchen.
Setze dich, wenn dir diese Aussage übertrieben oder unwahr erscheint, nur einmal in den Wald. Du hörst das silberne, melodische Plätschern des Bächleins neben dir, das geschäftige Summen der Insekten, die fröhlichen Gesänge der Vögel, das geheimnisvolle Rauschen der Wipfel; du spürst die schmeichelnde Wärme der Sonne, riechst den süßen Duft der Blüten und die Frische des Harzes; du siehst saftiges Grün und schattiges Blau und hoch über den Wipfeln weiße Wolken über die Unendlichkeit des Himmels ziehen. Auf einmal wird dir dein Leben zu einer geheimnisvollen, erquickenden Quelle, die dir Kraft, Freude und Frieden spendet. Hast du so etwas schon einmal vor deinem Fernseher erlebt?
Zugegeben: eine solche Aussagen erscheinen ziemlich radikal und unrealistisch - aber nur, wenn uns nicht bewusst ist, wie weitgehend wir ein Leben „aus zweiter Hand“ leben. Nur selten gelingt es uns, einen Blick hinter die Kulissen unseres „wohlgeordneten“ Alltags zu werfen, und solange wir wie betäubt in unserer oberflächlichen und gedankenlosen Welt leben, sind wir froh über die angenehmen Ablenkungen, die oberflächlichen Vergnügungen und beruhigenden Illusionen, die uns davor bewahren, einen Blick in die Tiefe unserer vernachlässigten Seele zu werfen. Aber - da alles, was existiert, seine Existenzberechtigung besitzt, haben auch die Illusionen und Halbwahrheiten unter bestimmen Umständen ihren Wert. Manchmal, wenn wir der Wucht der Wirklichkeit nicht gewachsen sind, kann eine Konserve, wie eine Art Schonkost, besser sein als nichts.
Es war ein so unbedeutendes Ereignis - die Pause im Radio und das gläserne Windspiel -, und doch hat dieses unerwartete Erlebnis sich als Geschenk des Himmels erwiesen. Es hatte weitreichende Folgen, es weckte mich auf, machte mich für vieles sensibler und für manch wichtige Erkenntnis reif. Es half mir, eine sehr schwierige Lebenssituation mit innerer Bereicherung zu durchstehen, statt ganz im Unglück zu versinken, weil ich zur Quelle des Lebens zurückgefunden hatte.
So seltsam dies auch klingen mag: es war ein Beitrag zu der Gewissheit, dass hinter der Welt des Scheins und der Lügen eine Welt der Wahrheit und der Freude existiert, in der unsere kleinlichen Wünsche und Ängste bedeutungslos sind.
Gespräch mit Dr. Helmut Hark (1988)
In Ihrem Buch „Bewährung in der Krankheit“, das ich mit großem Interesse und reichem Gewinn gelesen habe, verbinden Sie Ihre Erfahrung mit Krankheit und Heilung auch mit dem „Heil“ und dem Glauben. Vielen Medizinern erscheint diese Verbindung nahezu undenkbar. Darf ich Sie fragen, wie Sie zu dieser Auffassung und Sichtweise gelangt sind?
Das Schlüsselwort ist bereits in Ihrer Frage enthalten, in der Sie von „Medizinern“ statt von Ärzten sprechen. Ich persönlich konnte mich nie mit ihnen identifizieren. Der moderne „Mediziner“ entspricht dem heutigen Zeitgeist. Er ist ein rational und materialistisch ausgerichteter, nüchterner Spezialist, der im Patienten einen wissenschaftlich definierbaren Fall sieht und ihn - etwas krass formuliert - wie ein Roboter nach bestimmten Programmen und Regeln behandelt, die ihm von der jeweils herrschenden Schulmedizin vorgeschrieben werden. Eine persönliche Beziehung zum Kranken als einem subjektiv empfindenden Menschen und zur Krankheit als bedeutungsvollem Lebensphänomen ist dabei natürlich unmöglich und unerwünscht.
Der Arzt dagegen (von dem glücklicherweise meist auch im „Mediziner“ etwas steckt) nimmt an der Krankheit seines Patienten persönlichen Anteil. Er erkennt sich selbst darin und versucht, ihn auf einen Weg zu führen, auf dem seine Krankheit ihren Sinn entwickeln kann. Denn nur so kann sie wirklich geheilt oder, besser gesagt, zum „Heil“ werden. Krankheiten sind ja keine Pannen oder Entgleisungen, sondern ein sinnvoller Ausdruck des Lebens. Ein Arzt, wenn er kein „Mediziner“ und Wissenschaftler, sondern ein fühlender und suchender Mensch ist, kann sich nicht mit dem gesenkten Blutdruck, dem normalisierten Blutzucker, dem unterdrückten Asthma, der amputierten Brust oder dem weggeschnittenen Darm zufriedengeben, obwohl auch er selbstverständlich die körperlichen Leiden zu lindern versucht. Er weiß aus seinem eigenen Erleben, dass sich hinter jeder Krankheit grundsätzliche und schwerwiegende Lebensprobleme verbergen und dass ohne den Versuch, sie zu lösen, sein Einsatz nur oberflächliche Effekthascherei bleibt.
Dagegen besteht das übliche Vorgehen des „Mediziners“ darin, die Ganzheit, mit der der kranke Mensch vor ihm erscheint und die nicht nur seinen körperlichen, sondern auch seinen seelischen Zustand umfasst, durch den Scheuklappenblick seines angelernten Bücherwissens so weit zu reduzieren, bis am Ende tatsächlich nur noch ein „objektives“ Krankheitsbild übrigbleibt, nicht aber ein einmaliger, subjektiv empfindender, an Leib, Seele und Sinn leidender Mensch. Dass daraus nur eine „unheilvolle“ Therapie resultieren kann, auch wenn sie vorübergehend Beschwerden lindert, liegt auf der Hand.
Sie fragen nach meinem persönlichen Werdegang: Als ich noch getreu meiner schulmedizinischen Ausbildung allopathisch behandelte, trat mir immer zwingender die Erkenntnis ins Bewusstsein, dass diese Art der Therapie, da sie nur äußerliche Symptome gewaltsam beseitigt, die Patienten immer kränker statt gesünder macht. Sie bekommen blockierende und betäubende Medikamente oder werden operiert - natürlich mit momentanen Besserungseffekten. Nach einiger Zeit aber bricht die vertuschte und unterdrückte Krankheit wieder - meist stärker - hervor oder erzeugt eine noch schwerere. Aber nicht nur das: obendrein verliert der Patient dabei auch weitgehend seine eigentlichen menschlichen Werte, seine Lebensfreude, seinen Lebenssinn, seinen Seelenreichtum - Kriterien, die in wissenschaftlichen Statistiken keinen Platz haben. So bleibt oft nur ein trauriger Rest jenes Menschen übrig, der sich eigentlich hätte entwickeln sollen. (Manche/r wird diese Feststellung bezweifeln, dies aber nur, wenn er sich damit begnügt, einen Menschen lediglich nach seiner Maske, seinen angelernten Automatismen und sozialen Funktionen zu beurteilen, und den Blick für seine weit über dieses Leben hinausreichende Bestimmung verloren hat.)
So beschloss ich, die Medizin aufzugeben. Damals sagte ich zu den Patienten: „Wenn Sie zum Arzt gehen, sind Sie selber schuld! Bleiben Sie lieber weg, als in diese Mühle zu geraten.“ „Zufällig“ bin ich dann auf die natürliche Medizin gestoßen, deren Behandlungsweise ich nicht nur als menschlicher, sondern auch als wesentlich effektiver kennenlernte.
Meine Tätigkeit war immer schon von der ja niemals endenden Suche nach dem tieferen Sinn in den Erscheinungen des Lebens, und damit auch der Krankheit, geprägt. Das hat mich in eine immer größere Distanz zur modernen, wissenschaftlichen Medizin geführt, die den Menschen in Körper und in Seele trennt und obendrein seine Beziehung zum Transzendenten und sein Schicksal als Nebensächlichkeiten abtut. Zugleich aber wurde mir die Bedeutung jener Dimension, die wir mit dem Wort „Gott“ umschreiben und die unsere ganze Existenz durchzieht, immer bewusster. So vertrete ich heute die Meinung, dass eine Medizin, die den Kranken auf der Basis einer nur naturwissenschaftlich-materialistischen Betrachtungsweise behandelt, weder menschenwürdig ist noch ihm wirklich dienen kann.
Jahrelange Arbeit mit Kranken zeigte mir, dass die oberflächliche Wiederherstellung eines früheren Zustandes und die schnelle Beseitigung von Beschwerden - so angenehm sie zugegebenermaßen sind - mit Heilung im tieferen Sinn nur wenig zu tun haben. Wirkliche Heilung ist viel mehr: der längst fällige Schritt in der inneren Entwicklung eines Menschen. Sie erfasst ihn in allen seinen Schichten, verändert ihn von Grund auf, bringt ihn seinem „Heil“ näher und führt dazu, dass es ihm wirklich besser geht.
Sie fragen nach dem Sinn der Krankheit und sind nicht darauf bedacht, mit den raffiniertesten Mitteln der Medizin möglichst schnell den Störfaktor und die Krankheitssymptome zu beseitigen. Was versprechen Sie sich von dieser Sichtweise? Sie haben ja schon auf diese Zusammenhänge aufmerksam gemacht, und ich möchte Sie bitten, mir noch etwas genauer zu erläutern, wie der Sinn der Krankheit zu erfassen ist und wie man einem Menschen helfen kann, diesen Sinn für sich persönlich zu erkennen und damit einen sinnvolleren und ganzheitlicheren Lebensbezug zu finden.
Die Krankheit ist ein Katalysator im Heilungsvorgang, der sich ja nicht nur auf die körperliche Verfassung, sondern auf den ganzen, beseelten Menschen und sein Leben bezieht. Wer das Gefühl für sich verloren hat, erlebt sie als schmerzliche Korrekturmaßnahme, die ihn daran hindert, seinen falschen Weg weiterzuverfolgen, und zur Änderung seiner Haltung zwingt. Dieser Prozess kann sich, wenn der Betroffene sich dagegen sträubt, über viele Jahre, ja bis zum Tode hinziehen. Wer aber nicht ganz verstockt ist, erkennt darin ein Signal, das ihn darauf hinweist, dass bei ihm etwas nicht in Ordnung ist. Wenn er sich dann zu fragen beginnt, was es ihm mitteilen will, kommt er, angefangen bei den vordergründigen, körperlichen Symptomen, über seinen psychischen Zustand schließlich bis in den Kern seines Selbstverständnisses und Lebenssinnes.
Letztlich ist einer der wesentlichen Gründe für unsere Krankheiten die Sinnlosigkeit in unserem Leben, genauer gesagt: unser ihr entspringender Konflikt mit unserer Lebenswirklichkeit. Wir verstehen unser Leben, unser Schicksal nicht und sträuben uns dagegen. Das führt zur Zerstörung der inneren Harmonie, des Seelenfriedens. Daraus entstehen dann zunächst Frustration und Unzufriedenheit, die sich, wenn wir nicht in bewusster Auseinandersetzung mit unserem Problem zu einer anderen Einstellung finden, zu Depressionen oder anderen psychischen Störungen entwickeln. Diese wiederum werden nach einiger Zeit in den Körper abgeleitet: einerseits, um einen Teil des krankhaften Potentials loszuwerden oder zu neutralisieren, und andererseits, um uns durch verstärkte Schmerzen und körperliche Defekte endlich zur Umkehr zu zwingen.
Es ist doch so: Wenn wir nicht leiden, bewegen wir uns nicht von der Stelle. Dann klären wir nicht unsere schlechte Ehe, bleiben in unserem gehassten Beruf, beharren in einer unerträglichen oder verlogenen Situation. Manchmal wacht ein Mensch endlich auf, wenn er seinen Herzinfarkt, sein Magengeschwür oder seinen Krebs bekommt - meistens jedoch leider nicht. Dann werden die Körpersignale allopathisch vertuscht, unterdrückt oder wegoperiert. So nimmt meist das Unheil (um doch noch zum „Heil“ zu führen) seinen Lauf: Das krankhafte Potential schlägt vom Körper wieder in die Seele zurück und veranlasst sie, da keine Hoffnung auf Besserung besteht, die Selbstzerstörung in Form von schweren Geisteskrankheiten, Unfällen oder tödlichen Krankheiten in Gang zu setzen. Denn dann ist Heilung, das heißt Erlösung, nur noch durch den Tod möglich. Wenn es einem Menschen aber - unter dem Druck seines Leidens - gelingt, sich seiner Situation bewusst zu werden, seinen inneren Konflikt zu lösen, sich mit der Lebenswirklichkeit oder „Gott“ wieder auszusöhnen und nur das zu wollen, was ihm bestimmt ist, dann kehrt der innere Friede in seine Seele ein, und dann können sich auch seine körperlichen Funktionen normalisieren, soweit nicht bereits irreparable Defekte eingetreten sind. Das Wichtigste aber ist, dass dabei wieder sein inneres Wachstum, das ihn zum „Heil“ führt, stattfindet.
Viele Menschen beginnen wieder, mit den Selbstheilungskräften in sich, in ihrem Körper, der Seele und dem Geist zu rechnen. Wie sehen und bewerten Sie diese Fähigkeiten zur Selbstheilung als Mediziner? Was Sie zuletzt ausgeführt haben, geht schon in diese Richtung. Ich möchte Sie bitten, auf diese Erweckung von Selbstheilungskräften in einem kranken Menschen noch näher einzugehen.
Ich meine, dass Heilung - egal, in welcher Form sie erfolgt - immer Selbstheilung ist. Auch die Medikamente sprechen, wenn sie Heilung (nicht allopathische Unterdrückung) bewirken, immer nur die Tendenz und Kraft zur Selbstheilung an. Wenn es diese nicht gäbe, gäbe es auch keine Heilung. Das bedeutet: Je intensiver und direkter man diese Kraft anregen kann, desto effektiver und schneller kann Gesundung erfolgen. Dies kann auf vielen Ebenen geschehen: zum Beispiel durch das philosophische Gespräch, die religiöse Meditation, die Psychotherapie, durch künstlerische, körperbezogene und energetische Therapien und natürlich auch die Behandlung mit Medikamenten im weitesten Sinne. Die Homöopathie ist hierfür das klassische Beispiel; sie funktioniert nur, weil der Körper immer und unter allen Bedingungen auf Selbstheilung eingestellt ist. Immer will die Kraft, die ihn geschaffen hat und leben lässt, sich verwirklichen, das heißt wachsen, aufbauen, reparieren, heilen. Daher sind alle Krankheiten, die unser Körper entwickelt, Versuche zur Selbstheilung: Entzündungen, Ausflüsse, Fieber, Eiter, Durchfall und selbst Tumore. Grundsätzlich wählt er dafür immer den besten unter den noch verbliebenen Wegen. Wenn man ihm aber einen besseren, nämlich den inneren Weg öffnet, zum Beispiel in Form einer Bewusstwerdung, dann braucht er den äußeren, nämlich die körperliche Krankheit, nicht mehr; dann kann der betreffende Mensch, statt zum Beispiel mit körperlichen Symptomen auf eine bestimmte Lebensproblematik zu reagieren, sich mit dieser auseinandersetzen und sie zu seiner Zufriedenheit lösen.
Was würden Sie als Arzt jemandem raten, der als Kranker zu Ihnen kommt und in seiner Hilflosigkeit auch den Wunsch hat sich eine neue Einstellung zu seiner Krankheit zu erarbeiten oder vielleicht sogar seine Krankheit zu akzeptieren?
Ich meine, dass dieses Akzeptieren der erste und wichtigste Schritt bei der Heilung einer Krankheit ist. Meiner Meinung nach entsteht, wie schon vorher angedeutet, jede Krankheit aus einem Konflikt mit der Realität, dass wir uns also gegen nicht rückgängig zu machende Tatsachen sträuben und damit den Kontakt zu unserem wirklichen Leben verlieren. Aber auch indem wir die uns bedingenden Naturgesetze missachten. Hass, Neid, Eifersucht, Verbitterung, Enttäuschung, Schuldgefühle, Selbstmitleid, Depression, Verzweiflung - um nur einige Beispiele aus dem psychischen Bereich zu nennen - entspringen dieser Haltung, und wie krank sie machen können, weiß jeder aus eigener Erfahrung. Wer dann auch seine Krankheit (die ja ebenfalls Lebenswirklichkeit ist), ablehnt, gerät in einen zusätzlichen Konflikt; dadurch wird sein Leiden noch schlimmer, und die Heilung rückt in noch weitere Ferne.
Jeder Heilungsversuch sollte damit beginnen, beim Kranken die Bereitschaft - wenigstens die Bereitschaft - zu wecken, seine nun einmal in diesem Augenblick bestehende Situation als gegeben und sinnvoll anzunehmen. Nichts kann ja anders sein als es tatsächlich ist - es kann höchstens anders werden. Erst, wenn wir unsere Angst und unser Selbstmitleid aufgegeben haben, besitzen wir die Ruhe und Gelassenheit, um nach Wegen aus der Krankheit zu suchen. Solange aber diese Hochrechnungen in die Zukunft laufen, solange wir uns ausmalen, was noch alles kommen könnte oder darüber jammern, dass wir etwas verloren haben, wird alles nur noch schlimmer.
Sie haben davon gesprochen und geschrieben, dass die Krankheit die andere Seite unserer Existenz und unserer Gesundheit sei. In diesem Zusammenhang vertreten Sie die Auffassung, dass in der Krankheit auch die Möglichkeit liegt, mit der unbekannten Ewigkeit und dem unendlichen kosmischen Raum um uns und in uns in Berührung zu kommen. Können Sie diese Erfahrung und die dahinterstehende Lebensphilosophie noch etwas näher beschreiben?
Wenn wir von einer schweren Krankheit überfallen oder einem Schicksalsschlag (also einer Krankheit des Lebens) getroffen werden, können wir erleben, dass unser ganzes vordergründiges Weltbild mit einem Schlag zusammenbricht. Alles, was uns bis dahin wichtig erschien - Besitz, Ehre, Erfolg oder Ideale - verliert seinen Wert. In diesem Augenblick aber, in dem anscheinend nichts mehr gilt, beginnen wir, nach etwas Unzerstörbarem, Verlässlichem, Ewigem zu suchen, das uns wieder Halt und Hoffnung gibt.
Indem wir unsere kleine Dimension verlieren, bekommen wir die Chance, dafür eine größere zu finden - falls wir nicht gleich in Schicksalshader oder Selbstmitleid versinken. Wenn ein Mensch sich der großen „Leere“, die ihn dann plötzlich umgibt, bewusst hingibt, entsteht aus seiner Selbstheil- oder Seelenkraft die Gewissheit, dass dies noch nicht das Ende ist, dass unser irdisches Leben nicht alles ist, sondern dass es noch etwas Bedeutenderes und Größeres gibt, dem wir uns anvertrauen können.
Dies lässt sich jedoch nicht durch Worte vermitteln, sondern man muss es selbst erlebt haben. Die Gelegenheit dazu haben wir fast täglich; denn bei jedem Verlust, jeder unerwarteten Schick