Wirtschaft formen - Wolfgang Barth - E-Book

Wirtschaft formen E-Book

Wolfgang Barth

0,0

Beschreibung

Im vorliegenden Sammelband macht der Autor die wichtigsten, die Zeit überdauernden Vorträge und Ausarbeitungen, die er als Mitarbeiter der Abteilung Volkswirtschaft einer großen bayerischen Regionalbank erstellt hat, einer interessierten Leserschaft zugänglich.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 620

Veröffentlichungsjahr: 2018

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhalt

Welt der Wirtschaft

Markt und Moral – Chancen verantwortlichen Handelns Oktober 2003

Alterssicherung – Notwendigkeit der eigenen Vermögensvorsorge Oktober 2002

Auf dem Weg zur Weltgemeinschaft Oktober 2001

Globalisierung – aus wirtschaftlicher und aus christlicher Sicht Oktober 2001

Arbeitswelt im Umbruch Juni 2000

Changes – Die Welt verändert sich April 2000

Zukunftschancen des Standorts Deutschland November 1996

Wirtschaftsentwicklung in Ostdeutschland Februar 1991

Probleme der deutsch-deutschen Vereinigung September 1990

Arbeitslosigkeit Januar 1986

35-Stunden-Woche – Ausweg oder Irrweg Februar 1984

Folgen eines verminderten Wirtschaftswachstums April 1983

Ausufernde Staatsverschuldung Juni 1981

Perspektiven für die 80er Jahre Dezember 1980

Inflationsbekämpfung in der Bundesrepublik Deutschland September 1980

Deutsche Wirtschaft am Beginn eines schwierigen Jahrzehnts Juni 1980

Marktwirtschaft am Pranger Mai 1977

Aushöhlung der freien Marktwirtschaft November 1978

Die These von den Grenzen des Wachstums Oktober 1975

Mahnende Worte und Worte, die Mut machen Dezember 1975 bis März 2008

Welt der Banken

Banken im Umbruch Juli 2003

Bereitstellung von Risikokapital Januar 1997

Strategien für eine erfolgreiche Geldanlage Mai 1987

Bundesbank und Bundesbankpolitik Mai 1985

Innovationen an den Finanzmärkten Mai 1985

Gang an die Börse November 1984

Bundesbankpolitik in der Bewährung Dezember 1981

Inflationsbekämpfung - der Sparer wegen September 1981

Strukturveränderungen im Bankgeschäft Juli 1980

Verhältnis der Banken zu den privaten Haushaltungen Mai 1979

Aufgaben, Bedeutung und Probleme der Banken Dezember 1978

Vision vom guten Geld September 1977

Publikationen

Vorwort

Das vorliegende Buch enthält ein breites Themenspektrum von Vorträgen und Ausarbeitungen, die in rund dreißig Jahren meiner beruflichen Tätigkeit in der Abteilung Volkswirtschaft der Bayerischen Vereinsbank AG und später der HypoVereinsbank AG entstanden sind. Diese Zeit war vor allem durch drei historische Entwicklungen geprägt:

die fortschreitende Einbindung Deutschlands in die Weltwirtschaft (Globalisierung),

den europäischen Einigungsprozess mit der Einführung der gemeinsamen europäischen Währung

und die deutsch-deutsche Vereinigung, die das Leben so vieler Menschen in Deutschland und Europa grundlegend verändert haben.

Gegliedert ist das Buch in zwei Teilbereiche: in die Welt der Wirtschaft (Wirtschaftsordnung und Wirtschaftsentwicklung, Arbeitsmarkt und Altersversorgung, Staatsverschuldung und Inflationsbekämpfung) und in die Welt der Banken (Geschäftsbanken, Finanzmärkte und Zentralbank), mit denen der Verfasser gleichermaßen vertraut war. In dem Kapitel „Mahnende Worte und Worte, die Mut machen“ wird ein bunter Strauß volkswirtschaftlicher Themen präsentiert, die die wirtschaftspolitische Diskussion der damaligen Zeit bestimmt haben. Die Beschäftigung mit diesen, über den Tag hinaus bedeutsamen Themen, lohnt heute ebenso wie damals. Die Texte lassen sich wie spannende Zeitdokumente unabhängig voneinander lesen. Ausgespart bleiben Vorträge zum Prozess der Europäischen Einigung (zum Europäischen Binnenmarkt, zur Osterweiterung und zum Euro), die einem anderen Buch (siehe Publikationen) vorbehalten bleiben. Die vom Verfasser unter eigenem Namen in Zeitungs- und Zeitschriftenbeiträgen oder (auch anonym) in Publikationen der Bank veröffentlichten Artikel kann der interessierte Leser der Literaturliste im Anhang dieses Buches entnehmen.

Danken möchte ich meinem langjährigen Chef und Leiter der Abteilung Volkswirtschaft der Bayerischen Vereinsbank AG, Herrn Dr. Peter Lang. Er war nicht nur ein guter Beobachter des Wirtschaftsgeschehens mit sicherem Urteil über die wirtschaftlichen Zeitläufte, sondern vor allem auch ein hilfsbereiter Kollege mit exzellenter Formulierungsgabe und akribischem Arbeitsverständnis, der mir viele nützliche Hinweise bei der Bearbeitung der Vortragstexte gab. Ohne seine Unterstützung hätten die in diesem Buch versammelten Texte, die ich in der heute gültigen Rechtschreibung präsentiere, nicht vorgelegt werden können.

Danken möchte ich außerdem besonders meiner Frau Therese. Sie hat mich - trotz eines eigenen anspruchsvollen Berufslebens mit beachtlichem Erfolg - von vielen familiären Pflichten entlastet und so die Fertigstellung des Buches erst ermöglicht. Bei der Handhabung der modernen Technik, ohne die die Erfassung und Zusammenstellung der in diesem Sammelband enthaltenen Texte nicht möglich gewesen wäre, war Sie mir eine unentbehrliche Helferin. Die möglicherweise dennoch enthaltenen Fehler und Unstimmigkeiten gehen indes allein zu Lasten des Verfassers.

Wolfgang Barth

München, im Oktober 2017

Welt der Wirtschaft

Oktober 2003

Markt und Moral - Chancen verantwortlichen Handelns

Markt und Moral (Ethik und Ökonomie) scheint auf den ersten Blick wenig zu verbinden. Mehr noch. Oft genug scheinen sie sich gegenseitig auszuschließen. Dabei war es gerade dies, was die liberale Wirtschaftstheorie an ihren Ursprüngen leisten wollte: die Versöhnung von Eigennutz und Gemeinwohl. Nach Adam Smith löst die Marktwirtschaft beide Fragen am Markt durch die „unsichtbare Hand“ des Wettbewerbs. Indem jeder einzelne Anbieter dem egoistischen (erwerbswirtschaftlichen) Prinzip folgt, aber mit Anderen konkurrieren muss, stellt er zusammen mit den Anderen jenes Güterangebot bereit, das - nach Kosten, Preisen, Qualität und Sortiment - am besten dem Verbraucher (und damit dem Gemeinwohl) dient. Gerechtigkeit ist hier Leistungsgerechtigkeit, das heißt jeder erhält als Gegenwert einen Anspruch an das Sozialprodukt, dem sein Beitrag zum Sozialprodukt entspricht. (Über die „invisible hand“ des Marktes werden alle egoistisch motivierten Handlungen gesteuert und eingebracht in das Gemeinwohl, den Wohlstand und das Wohlergehen aller.) Dieses Vertrauen in die Selbstregulierungskräfte des Marktes beherrscht auch noch die neoliberalen Denker des 20. (und des beginnenden 21.) Jahrhunderts. „The social responsibility of business is to increase its profits“, heißt es bei Milton Friedman klipp und klar, also etwas salopp gesagt: das Gewinnprinzip wird es schon steuern und regeln. Externe Wirtschaftsethik wäre damit überflüssig: „The business of business is business.“

Ist Moral dem Markt also immanent? Schaut man sich die Realität des Wirtschaftslebens an, so ist dies gewiss nicht immer der Fall, wie viele Beispiele zeigen. Selbst die wachsamste Öffentlichkeit scheint in Zeiten hochkomplexer ökonomischer Prozesse und international verflochtener Transaktionen offensichtlich als moralische Kontrollinstanz immer wieder zu versagen. Und auch der Gesetzgeber kann nicht in allen Fällen eine ausreichende Gewährleistung. der wirtschaftlichen Ehrbarkeit bieten. (Ein Verantwortungsbewusstsein jenseits von Soll und Haben ist also gefragt - und zwar auch über die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben hinaus.) Dies muss allerdings keineswegs bedeuten, dass Ethik und Gewinnprinzip zwangsläufig im Konflikt stehen. Wenn etwa der amerikanische Industrielle Howard Hughes behauptet: „Es versteht sich von selbst, dass man nicht zugleich hohe Prinzipien und hohe Gewinne haben kann“, so äußert sich hier ein Denken, das höchstens den kurzfristigen Gewinn im Blick hat. Mit rücksichtslos-aggressiven Geschäftspraktiken, die sich um das gesellschaftliche Umfeld nicht kümmern, lässt sich sicher schnelles Geld machen. Langfristig gedacht, sieht das schon wesentlich anders aus: da sind ethisch fundierte Geschäftspraktiken dem Unternehmensziel Gewinn oft gar nicht so fern.

Von Führungskräften in Wirtschaft (Politik und Gesellschaft) wird die Orientierung an Werten verlangt. In einem von der fortschreitenden Globalisierung der Wirtschaftslandschaft erzeugten immer größeren Konkurrenzdruck werden sie indes immer wieder in existenzielle Dilemmasituationen gestellt. Sie haben es mit Ansprüchen von Kunden, Aktionären, Mitarbeitern, des Staates und der Öffentlichkeit - nicht zu vergessen dem persönlichen Ehrgeiz - zu tun, die in sich und untereinander fast unvereinbar sind. Es gibt aber nicht nur dieses Parallelogramm widersprüchlicher Kräfte und Interessen, sondern auch moralisch fragwürdige Erwartungen an die Unternehmen. Moral und Heuchelei liegen häufig sehr eng beieinander. (In der Ethik gilt das Wort, dass man über den Splitter im Auge des Anderen den Balken im eigenen Auge nicht übersehen soll. Mit anderen Worten: Man muss bei sich selbst anfangen.) Ethische Werte stehen überdies in dynamischen Prozessen, zumal sich nicht nur die Wirtschaft im Laufe der Zeit ändert, sondern auch die Koordinaten (Relevanz und Schärfe) von Ethik und Moral.

Die Arbeit der Führungskräfte steht damit in einem großen Spannungsfeld: Moralische Integrität, Partizipation und Sozialverträglichkeit auf der einen Seite; Kostendruck, Produktivitätssteigerung und Zwang zur Zielerreichung auf der anderen. Mit der Zurückweisung ungerechtfertigter Kritik ist es dabei nicht getan. Die Führungskräfte müssen diese Dilemmata in ihrer täglichen Arbeit aushalten und glaubwürdig bleiben; in Kauf nehmen, dass sie sich im Wettbewerb durch moralisches Handeln gewisse Nachteile einhandeln; mit Kreativität und Einsatz ethischen Prinzipien Geltung verschaffen; geduldig ihr Handeln transparent machen und aufklären. Nur dann werden sie letztlich vor Kunden, Aktionären, Staat und Öffentlichkeit bestehen können.

Wichtiger als Regelungsperfektionismus ist dabei eine gelebte Führungsverantwortung nach den Regeln einer christlichen Moral. Wir brauchen in einer offenen Gesellschaft die alten Sekundärtugenden: Ordnung, Fleiß, Pünktlichkeit; wir brauchen aber mehr noch die Primärtugenden: Unternehmergeist und Kreativität, Zivilcourage, kommunikative Kompetenz und Konfliktfähigkeit. Diese Tugenden erfüllen beides: Sie helfen den Unternehmen, am Markt zu bestehen. Sie helfen ihnen aber auch, angemessen auf die moralischen Forderungen zu reagieren. Die Entscheidung für oder wider ein bestimmtes Unternehmen oder ein bestimmtes Produkt wird immer mehr auch davon abhängen, wie sich die Unternehmen zu ethisch-moralischen Fragen stellen.

Wir brauchen in den Unternehmen Führungskräfte und Mitarbeiter, die beides verbinden: die betriebswirtschaftliche Kompetenz mit ethischer Kompetenz, das heißt den verantwortlich handelnden Unternehmer, der die Auswirkungen ökonomischer Rationalität auf Mitmenschen und Umwelt in Rechnung stellt. Das heißt praktisch: Nicht alles was erlaubt ist, darf man im Tagesgeschäft auch tun. Erforderlich ist die Konsistenz zwischen dem moralischen Anspruch und dem tatsächlichen Verhalten, sonst gibt es ein massives Unglaubwürdigkeitsproblem. Die Selbstheilungskräfte des Marktes, Grundlage der Marktwirtschaft, stärkt man nicht durch den vorschnellen Ruf nach dem Gesetzgeber. Gesetzliche Regelungen zur Sicherung von ethischem Verhalten sind nur (notwendige) Hilfskrücken für Anstand und Moral. Sie sollten klug und zurückhaltend eingesetzt werden. Was wir brauchen ist also kein Gesetzesperfektionismus, sondern ein Kategorischer Imperativ für Führungskräfte und Mitarbeiter in der Wirtschaft. In Ansätzen liegt er bereits vor in den Unternehmensleitlinien und Führungsgrundsätzen, die sich die Unternehmen gegeben haben. Dieser kategorische Imperativ muss folgenden Kriterien genügen:

Erstens: Moral hat die höchste Stufe der Rationalität zu sein. Sie darf die fachliche Diskussion nicht ersetzen oder abschneiden, sie muss sie beleuchten und ergänzen.

Zweitens: Normen müssen gelebt werden im Unternehmen, in der Politik und in der Gesellschaft.

Drittens: Ethik hat mit Folgeeinschätzung zu tun und hält dann auch Sachzwängen stand. Anders ausgedrückt: Nicht das schnelle Geschäft zählt, sondern der nachhaltige Erfolg.

Eine Unternehmenskultur, die sich neben den eigennützigen und ökonomischen auch den gemeinnützigen und gesellschaftlichen Werten verpflichtet, ist gewinnbringend. Denn Ethik heißt ja auch Verantwortung. Und diese Verantwortung wird immer mehr nicht nur auf das Ökonomische allein bezogen. Gerade die außerordentlichen politischen und wirtschaftlichen Umwälzungen der letzten Zeit haben in einem kaum gekannten Ausmaß Probleme aufgeworfen, die nach übergreifenden Lösungsansätzen verlangen. Der Blick muss über die Grenzen des eigenen Gebiets hinausgehen. Damit wird auch für die wirtschaftlich Verantwortlichen der Ruf nach einem generellen gesellschaftlichen Verantwortungsbewusstsein immer lauter. Ethische Fundierung des Wirtschaftens wird eingefordert. Diese Forderung impliziert, dass das marktwirtschaftliche Handeln, das sich in erster Linie am Gewinn orientiert, allein die Erfüllung ethischer Standards nicht gewährleisten kann.

Ein Weiteres: Ethisches Handeln in der Wirtschaft wird häufig nur aus der Defensive heraus verstanden. Die Unternehmen sehen sich einem Druck der Öffentlichkeit oder der Politik ausgesetzt, dem sie nolens volens nachgeben. Oft muss erst ein Krisenfall eintreten, bis das Unternehmen aktiv wird. Dies ist zu wenig. Gefragt ist bei einem ethisch fundierten Wirtschaften nicht nur das Reagieren, sondern das Agieren mit Phantasie und Innovationsgeist, das aktive Bemühen um innovative Lösungen für ethische Herausforderungen. So können Konzepte entstehen, die auch die Märkte und den Kunden mitzuprägen versuchen. Ethik kann sich so als ein Wechselspiel verwirklichen: Zum einen stehen die Unternehmen unter dem Erwartungsdruck einer zunehmend kritischer und anspruchsvoller werdenden Öffentlichkeit und nehmen so gesellschaftliche Entwicklungen auf. Zum anderen geben sie selbst Impulse an die Gesellschaft zurück, indem sie sich für die Herausforderungen unserer Zeit um innovative und zugleich marktfähige Lösungskonzepte bemühen. Wirtschaftsethik wird damit zur Forderung an das Unternehmen und die wirtschaftlich Verantwortlichen, genauso aber zur Herausforderung an den mündigen Bürger. Ein System gegenseitiger checks und balances also, in dem alle Wirtschaftssubjekte gefragt sind. So kann auf einen Zustand hingearbeitet werden, in dem ethisches Verhalten mehr ist als mit halber Überzeugung betriebene Beruhigung des schlechten Gewissens, in dem es vielmehr zum Wettbewerbsfaktor wird.

Anders formuliert: Beim Handeln in wirtschaftlichen Unternehmungen konkurrieren - wie bei den meisten menschlichen Aktivitäten - mehrere Ziele miteinander. So vor allem das notwendige Streben nach optimaler wirtschaftlicher Effizienz und Gewinnerzielung mit der Verantwortung für die betroffenen und beteiligten Menschen. Darin liegt die zentrale wirtschaftsethische Herausforderung unserer Zeit: in der aktiven Suche nach Feldern, wo sich Ethik und Gewinn verbinden lassen, ohne dass Ethik nur zum Instrument der Gewinnerzielung wird. Wo Ethik also fundiert ist in einem Bewusstsein der gesellschaftlichen Verantwortung des Wirtschaftens, wo sie aber auch die Chance hat, mehr zu sein als nur vage gute Absichten. Diesen Mittelweg zwischen machtloser Moral und instrumentalisierter Moral zu finden, wird sicher nicht immer einfach sein. Ethische Investitionen verlangen heute immer noch Mut bei den Verantwortlichen, denn ihre „Rentabilität“ ist schwer abzuschätzen. Wollen die Unternehmen das Vertrauen der Öffentlichkeit in ihre Tätigkeit sichern, so werden sie diesen Mut heute aufbringen müssen. Überall wo Ethik und Gewinnprinzip in einem direkten Zusammenhang stehen, bieten sich also ebenso große Chancen wie Risiken. Chancen deshalb, weil Ethik im praktischen Wirtschaftsleben wohl nur dann auf Dauer sich wird durchsetzen können, wenn Wege gesucht und gefunden werden, das wohlgemeinte ethisch-moralische Handeln mit den Geschäftszielen zu verbinden. Mit reiner Wohltätigkeit ist kaum jemand geholfen.

Ein Geschäft, ein wirtschaftliches Verhalten darf nicht nur ökonomisch und juristisch vertretbar oder politisch opportun sein, es muss vor allem auch ethisch verantwortbar sein. Soweit sind die Wechselwirkungen zwischen Wirtschaft und Ethik gut nachvollziehbar: Nur wenn die Wirtschaft stark ist, kann sich eine auf Menschenwürde zielende Gesellschaft die Solidarität eines Sozialstaates leisten. Wirtschaftliche Effizienz wird so zu einer Voraussetzung institutionell gesicherter Solidarität. Diese aber wiederum kann nur erhalten werden, wenn soziale Verantwortung der Entscheidungsträger ebenso besteht, wie die Bereitschaft, das Sozialsystem neuen Herausforderungen anzupassen.

Daraus lässt sich eine weitere Grunderkenntnisse destillieren: Ethische Werte sind zeit- und ortsabhängig und eignen sich nicht für platten Populismus. Ethische Prinzipien können keine allgemeingültigen Antworten auf die Frage liefern, was ein Unternehmen letztlich machen darf und was nicht. Ethik - daran sollen wir uns erinnern - ist historisch und kulturell gewachsen auf auch religiös verschiedenen Nährböden. Letztlich sind jedoch allen großen Weltreligionen die g1eichen Grundwerte gemein. Sie in den großen und kleinen Entscheidungen des Lebens und Wirtschaftens zu realisieren, ist tägliche Aufgabe und große Herausforderung zugleich. Sie kann nur aus dem Innersten der Menschen und Unternehmen geleistet und entwickelt werden.

Solche Persönlichkeiten haben Grundwerte oder müssen sie entwickeln. Die Grundwerte sind dabei nicht, wie viel Gewinn wir erzielen wollen oder wie der Umsatz steigen soll. Das Unternehmen, die Persönlichkeit muss wissen, wer sie ist, was sie will, warum es sie gibt, was ihre Aufgabe und Verantwortung ist, was sie mit ihrem Handeln oder auch ihrem Unterlassen bewirkt. Sie muss ein Gewissen haben, eine Ethik entwickeln, die nirgendwo festgeschrieben sein muss, weil es schlichtweg nicht möglich ist, auf alle Fragen die Antworten parat zu haben. Die Unternehmung muss einen Grundwertekatalog haben, der sie sicher macht ethisch zu handeln - gleichgültig, ob es eine europäisch-westlich denkende, eine asiatisch sozialisierte oder ein Unternehmen aus dem moslemischen Raum ist. Und sie muss die Fähigkeit haben, im Zweifelsfall - sowie das jeder Mensch auch mit sich selber ausmacht -.über richtiges oder falsches Handeln nachzudenken und zu diskutieren.

Eine solide ethische Grundlage ist übrigens kein hehrer Selbstzweck. Denn dauerhafte Erfolge sind nicht ohne moralisches Handeln denkbar, nicht ohne ein solches Verständnis im Unternehmen und ohne eine entsprechende Reputation im Markt. Und vor allem verfügen nur Unternehmen, die sich ihrer Ethik sicher sein können, über die nötigen Handlungsmaximen, das Richtige zum angestrebten Erfolg, auch das ethisch Richtige zu tun. Viele Unternehmen sind gescheitert, weil sie keine gemeinsame ethische Grundlage entwickelt oder sie verloren hatten. Vielfach nennen wir das dann „Kultur-Probleme“. Nennen wir es, wie wir wollen: Es geht letztlich immer um die ethische Grundlage einer Gemeinschaft.

Oktober 2002

Alterssicherung Notwendigkeit der privaten Vermögensvorsorge

Nach zweijährigem Tauziehen wurde im Frühsommer letzten Jahres das vom damaligen Bundesarbeitsminister Walter Riester angestoßene neue Altersvermögensgesetz von Bundestag und Bundesrat verabschiedet. Am 1. Januar 2002 trat seine erste Stufe in Kraft. Was das aber bedeutet – darüber herrscht nach wie vor noch viel Unklarheit.

Was also steckt in der Reform? Was bedeutet sie für die künftigen Rentnerinnen und Rentner? Lassen Sie mich (zunächst) versuchen, die Fakten (kurz und bündig) zusammenzufassen und eine volkswirtschaftliche Bewertung der „neuen Rente“ vorzunehmen. Danach will ich (anhand einiger Beispiele) die staatlichen Fördermöglichkeiten aufzeigen. Es wird dabei, so denke ich, sehr schnell deutlich werden, dass wir alle - ausgenommen diejenigen, die bereits in Rente sind oder kurz vor der Pensionierung stehen - was die Rente betrifft nicht in Ruhe abwarten dürfen, sondern dass wir selbst aktiv werden müssen, wenn im Alter der gewohnte Lebensstandard sichergestellt sein soll.

Versorgungslücken in der Alterssicherung

Das System der Alterssicherung in Deutschland setzt sich bekanntlich aus drei Bausteinen zusammen: den öffentlich-rechtlichen Pflichtsystemen, (vor allem die gesetzliche Rentenversicherung (gRV), die Beamtenversorgung, die Alterssicherung der Landwirte sowie die berufsständischen Versorgungswerke), der betrieblichen Altersversorgung, der wichtigsten freiwilligen Sozialleistung der Unternehmen, sowie der Zusatzversorgung der Arbeiter und Angestellten des öffentlichen Dienstes und der privaten Altersvorsorge, zu der alle Formen der privaten Vermögensbildung gezählt werden, die der Vorsorge für das Alter dienen können (insbesondere die Risikolebensversicherung, die kapitalbildende Lebensversicherung und die private Rentenversicherung). Man spricht hier vom sogenannten Drei-Säulen-Modell. Die größte Last ruht auf der Säule der gesetzlichen Rentenversicherung: Die aus ihr gezahlten Sozialrenten machen fast 80% aller Alterseinkommen aus. Auf Betriebsrenten und die öffentliche Zusatzversorgung entfallen gut 7%, auf die private Vorsorge (nur) etwa 14%. (In den USA beträgt die freiwillige Vorsorge dagegen 42% und in der Schweiz 26% der Alterseinkommen.)

Das Bewusstsein der Notwendigkeit einer zusätzlichen Vorsorge für das Alter nimmt zwar auch in der deutschen Bevölkerung zu. Bei den Angehörigen der jungen Generation sind es jedoch nur 44% (bei den Deutschen insgesamt nur rund 60%), die Geld für ihren Ruhestand zurücklegen. Im Alter besteht daher eine erhebliche Versorgungslücke, das heißt eine Differenz zwischen den Renteneinkommen bei einem Durchschnittsverdiener mit 45 Beitragsjahren und seinem jetzigen Netto-Einkommen, die auch durch die Rentenreform nicht geschlossen wird. (Die Riester-Rente schließt nämlich nur die wegen der Senkung des Rentenniveaus von derzeit 70% auf 67% bis 2030 neu entstehende Lücke von 3%. Es verbleiben weiterhin mindestens 30% Rentenlücke zum letzten Netto-Gehalt.)

Heute verlassen sich aber immer noch 80% der Rentner auf die Leistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung. Ein Drittel der Erwerbstätigen sorgt nach wie vor nicht privat für das Alter vor. Wenn doch, so sind private Vorsorgeleistungen höchstens eine willkommene Ergänzung. Die meisten Versicherten überschätzen ihren gesetzlichen Rentenanspruch – Frauen übrigens noch sehr viel stärker als Männer. Die Folge: Bei drei Viertel der 30- bis 59-jährigen Frauen in Deutschland werden die Einkommen im Alter nicht ausreichen, um den Lebensunterhalt zu decken – insbesondere nicht bei Frauen, die neben der gesetzlichen Rentenversicherung über keine weiteren Einkommensquellen verfügen.

Alterung der Bevölkerung erzwingt Reformen

Dabei ist die (gesetzliche) Rente, wie wir alle wissen, keineswegs sicher. Die größten Gefahren für die Finanzierung der Rentenversicherung im Wege des Umlageverfahrens liegen in den Veränderungen der Altersstruktur. Bereits seit den sechziger Jahren sinken die Geburtenzahlen. Gleichzeitig steigt die Lebenserwartung. Dies wird dazu führen, dass der Anteil der Rentner im Vergleich zu den Erwerbstätigen in den nächsten Jahrzehnten überproportional wachsen wird. Die Bevölkerung in Deutschland wird (bei konstantem Geburtenniveau und steigender Lebenserwartung) von derzeit 82 Millionen bis zum Jahr 2050 auf unter 70 Millionen abnehmen, und es ist mit einer deutlichen Alterung zu rechnen. Es wird mit anderen Worten immer mehr alte und immer weniger junge Menschen geben.

Kamen im Jahr 1950 auf hundert Personen im Alter zwischen 20 und 60 Jahren rund 25 Personen im Alter von über 60 Jahren, so waren es 1999 bereits fast 40 Prozent über 60-Jährige. Das heißt, derzeit müssen rechnerisch 2,5 Arbeitnehmer für einen Rentner aufkommen. Nicht zuletzt diese Entwicklung führte bereits zu einem Anstieg der Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung von 14% im Jahr 1960 auf derzeit 19,1%. Für die Zukunft wird eine drastische Verschlechterung prognostiziert. Nach Berechnungen des Statistischen Bundesamtes werden im Jahr 2040 1,3 Arbeitnehmer für einen Rentner aufkommen müssen. Der sogenannte Altersquotient, das Verhältnis der über 60-Jährigen zu den 20-59-Jährigen, wird sich mithin nahezu verdoppeln. (Auch eine stärkere Zuwanderung und ein neuerlicher Baby-Boom könnte den Alterungsprozess nicht aufhalten.)

Gemessen an Ausmaß und Tempo hat Deutschland die am schnellsten alternde Bevölkerung der Welt. In dreißig Jahren werden wir das älteste Volk dieser Erde sein. Die Konsequenz dieser Entwicklung im Umlageverfahren wäre eine drastische Erhöhung des Beitragssatzes zur Rentenversicherung oder eine massive Kürzung der Renten. Bleiben die gegenwärtigen Strukturen des Alterssicherungssystems bestehen, so würde die demographische Entwicklung nach Angaben des Bundesministeriums für Arbeit zu einem Anstieg des Beitragssatzes auf 24 bis 26% (oder - wenn die Bevölkerungsprognose des Statistischen Bundesamtes zugrunde gelegt wird - auf 28% oder gar 31%) bis zum Jahr 2030 führen. Würde man die Beitragssätze bei 20% einfrieren, so sänke das Rentenniveau im selben Zeitraum von rund 70% auf 57%. Es drohte mit anderen Worten die Gefahr, dass entweder die Beitragssätze das für die Wirtschaft erträgliche Maß übersteigen oder dass die Renten massiv gekürzt werden. Beides ist untragbar.

Weitere Belastungen der gesetzlichen Rentenversicherung haben sich aus der Entwicklung der Erwerbstätigkeit ergeben. Zu nennen ist hier vor allem die hohe Arbeitslosigkeit (in den alten und insbesondere in den neuen Bundesländern, die zu einer Verminderung der Beitragszahlungen führt. Ein zweites Problem, das der Rentenversicherung zu schaffen macht, ist die Tendenz zur Auflösung des Normalarbeitsverhältnisses, die mehr und mehr zu beobachten ist und die Beitragsbasis erodiert. Weitere Belastungen für die Rentenversicherung entstanden durch die deutsche Vereinigung und die Zahlung von Renten an Personen, die keine Beiträge entrichtet haben (die sogenannte Belastung mit versicherungsfremden Leistungen).

Auch eine Umkehrung dieser Trends wird das demographische Problem nicht lösen können. Gleiches gilt für eine verstärkte Einwanderung von Arbeitnehmern aus dem Ausland. Das Problem ist nach einhelliger Auffassung der Ökonomen (und inzwischen auch der Politiker über alle Parteigrenzen hinweg) nur dadurch zu bewältigen, dass die bisherige Rentenversicherung grundlegend reformiert wird.

Stärkung der kapitalgedeckten Altersvorsorge

Grundsätzlich waren zwei Wege zur Problemlösung denkbar: die Verbesserung des Umlagesystems der staatlichen Rente und/oder der Übergang auf Kapitaldeckung. (Was nicht ging war die unter Sozialpolitikern beliebte Praxis, zu Notbehelfen Zuflucht zu nehmen und neue Finanzierungsquellen zu erschließen und es im Übrigen bei punktuellen Eingriffen bzw. Änderungen an der Rentenformel zu belassen, wie es jahrelang Praxis war. Ebenso war der Übergang zu einem ausschließlich kapitalgedeckten System – insbesondere wegen der Doppelbelastung in der Übergangsphase – nicht praktikabel.)

Das Umlageverfahren basiert auf dem Konzept des sogenannten Generationenvertrages, wonach die erwerbsfähigen für die nicht mehr erwerbsfähigen Mitglieder einer Gesellschaft zu sorgen haben. Dabei werden die laufenden (Beitrags- bzw. Steuer-)Einnahmen unmittelbar zur Deckung der laufenden (Renten-)Ausgaben verwendet. Die Ansprüche der heutigen Beitragszahler basieren im Wesentlichen auf dem Vertrauen, dass die nachkommende Generation ihrerseits in der Lage sein wird, die in drei oder vier Jahrzehnten fälligen Renten durch entsprechende (eigene) Beiträge zu finanzieren, (wobei der Beitragssatz gegenwärtig 19,1% des Arbeitsentgelts bis zur Beitragsbemessungsgrenze beträgt und die Beiträge je zur Hälfte vom Arbeitnehmer und seinem Arbeitgeber getragen werden.)

Im Kapitaldeckungsverfahren werden dagegen die Beiträge der Erwerbstätigen (nicht umgehend wieder als Renten ausgezahlt, sondern) für die eigenen Rentenleistungen angespart. Dieses Vermögen wird angelegt; es existiert mithin ein realer Kapitalstock, der Erträge abwirft, und (das ist gesamtwirtschaftlich das Wichtigste) das angesammelte Kapital mehr Investitionen und damit größeres Wachstum sowie stabilere Kapitalmärkte ermöglicht. (In Deutschland werden heute rund 70 bis 80% der Leistungen des Alterssicherungssystems im Umlage- und 20 bis 30% im Kapitaldeckungsverfahren finanziert.)

Kombination der Systeme

Die beiden konkurrierenden Rentenversicherungssysteme – das (lohnzentrierte) Umlage- und das Kapitaldeckungsverfahren – haben je spezifische Vor- und Nachteile: So schützt das Umlageverfahren vor Inflationsrisiken, es ist anpassungsfähig und politisch instrumentalisierbar (was sich insbesondere bei der deutsch-deutschen Vereinigung als unschätzbarer Vorteil erwies) – allerdings auch manipulierbar. Seine Nachteile liegen in der Empfindlichkeit hinsichtlich der demographischen Entwicklung und in der Lohnabhängigkeit (mit Konsequenzen für die Lohnnebenkosten). Beim Kapitaldeckungsverfahren wird demgegenüber auf eine Reihe anderer Risiken hingewiesen, nämlich darauf, dass

die Renditen von Anlagen unsicher sind (Anlagerisiko),

eine Inflation zu einer Entwertung von Finanzanlagen führt (Inflationsrisiko) und

Anlagen im Ausland besondere Risiken mit sich bringen (Länderrisiko, Wechselkursrisiko).

Diese Risiken können durch eine Diversifizierung des Portfolios, durch eine funktionierende Versicherungsaufsicht (Zertifizierung) und durch eine effiziente Wettbewerbsordnung verringert, allerdings nicht vollständig beseitigt werden. Das ist der Preis für die in der Regel höhere Rendite gegenüber dem Umlageverfahren.

Man kann (wegen ihrer spezifischen Vor- und Nachteile) daher nicht von einer grundsätzlichen oder sicheren Überlegenheit eines dieser Verfahren sprechen. Vielmehr geht es darum, die Vorteile einer stärkeren Kapitaldeckung zu nutzen, ohne auf die Stärken der Umlagefinanzierung ganz zu verzichten. Ein gutes Alterssicherungssystem sollte deshalb eine Mischung zwischen dem Umlage- und dem Kapitaldeckungsverfahren sein. (Denn durch die Mischung verschiedener Finanzierungsverfahren ist die Alterssicherung sowohl vom Wachstum der Lohnsumme als auch von der Kapitalmarktrendite abhängig. Ein mischfinanziertes Alterssicherungssystem, eine Kombination aus Umlage und Kapitaldeckung, gewährleistet also eine bessere Verteilung der ökonomischen und demographischen Risiken im Vergleich zu einem nur auf einem einzigen Finanzierungsprinzip aufbauenden System.)

Kernpunkte der Rentenreform

Vor diesem Hintergrund ist die Rentenreform der Bundesregierung, die auf ein Mischsystem aus gesetzlicher und kapitalgedeckter privater Eigenvorsorge zielt, (nämlich die Leistungen der umlagefinanzierten Rente moderat und generationengerecht zu senken und über einen Aufbau der kapitalgedeckten Privatvorsorge und der betrieblichen Altersvorsorge ein mischfinanziertes System einzurichten,) sehr zu begrüßen. Die Riester-Rente greift eine Reihe notwendiger Reformansätze auf (die Begrenzung des Beitragssatzes, der Einstieg in Kapitaldeckung und die Stärkung der eigenständigen Alterssicherung von Frauen) und stellt deshalb einen beachtlichen und wichtigen Schritt (hin zu einem zukunftsfähigen mischfinanzierten Alterssicherungssystem) in die richtige Richtung dar.

Im Altersvermögensergänzungsgesetz (AVmEG) hat der Gesetzgeber beschlossen, dass das Rentenniveau der gesetzlichen Rentenversicherung in den kommenden Jahren durch niedrigere jährliche Rentenerhöhungen schrittweise gesenkt wird. Damit soll der Beitragssatz der gesetzlichen RV bis 2030 auf höchstens 22% begrenzt werden. Um im Alter dennoch das bisherige Versorgungsniveau (aber wohlgemerkt nicht mehr) zu erreichen, ist eine zusätzliche Altersvorsorge im Rahmen einer betrieblichen Altersversorgung oder durch private Vorsorge für das Alter erforderlich. Diese Zusatzvorsorge ist freiwillig. Mit dem Altersvermögensgesetz (AVmG) wurde aber festgelegt, dass Aufwendungen der Versicherten für die zusätzliche Altersvorsorge – bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen – künftig (erstmals für das Jahr 2002) durch Zulagen und/oder Steuervorteile (Sonderausgabenabzug) erheblich gefördert werden.

Gefördert wird der stufenweise Aufbau einer kapitalgedeckten Altersvorsorge, beginnend mit 1% des rentenversicherungspflichtigen Entgelts bis zur Beitragsbemessungsgrenze im Jahr 2002, 2% ab 2004, 3% ab 2006 und schließlich 4% ab 2008. (Dies entspricht in 2008 einer geförderten Gesamtsparleistung von voraussichtlich bis zu 2.480 Euro pro Jahr für Ledige und 3.000 Euro für Verheiratete.) Jeder hat natürlich die Freiheit, auch mehr als die vom Gesetzgeber festgesetzte Obergrenze zu investieren, dies erhöht aber nicht die staatliche Zulage.)

Die in der gesetzlichen Rentenversicherung Pflichtversicherten erhalten ab 2002 eine staatliche Zulage, die in der Endstufe ab dem Jahr 2008 jährlich 154 Euro für Alleinstehende und 308 Euro für Verheiratete beträgt, (wenn Vorsorgeaufwendungen in Höhe von 4% des rentenversicherungspflichtigen Entgelts bis zur Beitragsbemessungsgrenze, mindestens jedoch 1% der Einkünfte des vorletzten Veranlagungszeitraums getätigt werden.) Hinzu kommt eine Zulage von 185 Euro pro Kind. In der Endstufe des Jahres 2008 sollen staatliche Mittel – entweder über Zuschüsse oder Steuervergünstigungen - von schätzungsweise rund 7,3 Milliarden Euro pro Jahr bereitgestellt werden. Es handelt sich damit um das größte staatliche Förderpaket, das es für die private Altersvorsorge je gab. (Die Förderung erfolgt am Ende des Jahres bei der Veranlagung durch Abzug der Zulage von der Steuerschuld oder, wenn dies günstiger ist, durch Abzug der Vorsorgeaufwendungen vom zu versteuernden Einkommen.)

Ebenso werden die Herstellung oder der Erwerb von selbstgenutztem inländischem Wohneigentum sowie unterschiedliche Formen der betrieblichen Altersversorgung wie etwa Direktversicherungen, Pensionskassen oder Pensionsfonds gefördert. (Zur Eigenheimfinanzierung dürfen die Anleger künftig (sofern der Anleger vorher ein Mindestkapital von 10.000 Euro angesammelt hat, was im Schnitt mindestens acht Jahre dauert) angespartes Kapital bis zu 50.000 Euro aus dem Altersvorsorgevertrag entnehmen, wenn die entnommene Summe in monatlichen gleich bleibenden Raten bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres wieder in den Vertrag zurückgezahlt wird. (Falls das Wohneigentum vorzeitig verkauft wird, muss innerhalb eines Jahres entweder eine neue selbstgenutzte Wohnung erworben werden oder durch den Verkaufserlös der noch offene Betrag zurückgezahlt werden. Erfolgt dies nicht, liegt eine „schädliche Verwendung“ vor und ist die bis dahin erhaltene Förderung zurückzuerstatten.)

Voraussetzungen für die Sparförderung

Was sind nun die Voraussetzungen für die Sparförderung? Prinzipiell gilt: Jeder entscheidet selbst, welche Form der zusätzlichen Altersvorsorge die individuell passende ist. Der Staat fördert den gewählten Vertrag, solange die Förderkriterien (die sog. Zertifizierungs-Voraussetzungen) erfüllt sind. Sichtbar wird das durch ein Zertifikat, welches das Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen (BAV) an geeignete private Rentenversicherungen, Investmentfonds und Banksparpläne vergibt. Im sog. Altersvorsorgeverträge-Zertifizierungsgesetz (AltZertG, so heißt das wirklich) sind verschiedene Ansprüche an Altersvorsorge-Sparprodukte formuliert, die erfüllt sein müssen, um in den Genuss der staatlichen Förderung zu kommen:

So müssen in der Ansparphase laufend (das heißt monatlich, vierteljährlich oder jährlich) Eigenbeiträge geleistet und dürfen Leistungen nicht vor Beginn des 60. Lebensjahres oder der gesetzlichen Altersrente erbracht werden. Voraussetzung der Förderung ist außerdem, dass zu Beginn der Auszahlungsphase zumindest die eingezahlten Beträge zur Verfügung stehen. Die Auszahlung darf nur als lebenslange Rente oder im Rahmen eines mindestens über zehn Jahre laufenden Auszahlungsplans mit gleich bleibenden oder steigenden monatlichen Raten möglich sein. (Wird der Auszahlungsplan gewählt, so müssen 10% des zu Beginn der Auszahlungsphase angesammelten Kapitals mit Vollendung des 85. Lebensjahres des Steuerpflichtigen noch vorhanden sein und spätesten zu diesem Zeitpunkt verrentet werden.)

Vor einer Fehleinschätzung über Inhalt und Zweck des Zertifizierungsverfahrens sei allerdings gewarnt: Das Zertifizierungsverfahren dient vor allem der Entlastung der Steuerverwaltung. Es wird geprüft, ob das vorgelegte Produkt formal den Kriterien des Altersvermögensgesetzes genügt. Über die Qualität des Produkts (bezüglich Rentabilität, Sicherheit und Erfüllbarkeit der Zusage) oder des Anbieters sagt eine Zertifizierung wenig aus: So wird nicht geprüft, ob der Vertrag wirtschaftlich tragfähig und ob die Zusage des Anbieters erfüllbar ist. Das Zertifikat ist mit anderen Worten kein Gütesiegel. Es sagt nichts über die Güte des Vorsorgevertrages aus; es besagt lediglich, dass die gewählte Anlageform den Riester-Kriterien entspricht und damit ein Anspruch auf die staatlichen Zulagen besteht. Umso wichtiger ist die individuelle, qualifizierte Beratung über Versorgungslücken, Fördermöglichkeiten und passende Vorsorgeprodukte.

Regierungsprognose zu optimistisch

Die Bundesregierung hat zugesichert, dass der Beitragssatz der gesetzlichen Rentenversicherung bis 2020 unter 20% und anschließend bis 2030 nicht über 22% steigen und das Niveau der gesetzlichen Rente von derzeit rund 70% nicht unter 67%. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass die Berechnung des Rentenniveaus künftig wieder nach den Grundsätzen der (modifizierten) Nettolohnanpassung erfolgen soll. Die Bezugsgröße, der Nettolohn, wird dabei um die Beträge gemindert, die als Aufwendungen zur privaten Altersvorsorge gefördert werden sollen. Damit wird zusätzlich der Anstieg der in Zukunft auszuzahlenden Renten gedämpft, und zwar nach Experten-Rechnungen auf ca. 64%, was in 30 Jahren ein um 6 Prozentpunkte niedrigeres Rentenniveau bedeutet.

Experten halten das allerdings für illusorisch. Die dafür herangezogenen Prognosen etwa zur künftigen Bevölkerungs- und Wirtschaftsentwicklung seien viel zu optimistisch. Vor allem der vorzeitige Ruhestand würde die Rentenfinanzen aushöhlen. Im Durchschnitt werde die Rente von Männern bei 50 Prozent und die der Frauen sogar darunter liegen. Denn kaum einer hat Erwerbsverläufe wie Riesters Eckrentner, also eines Versicherten mit einem durchschnittlichen Einkommen, der 45 Jahre lang Beiträge in die gesetzliche Rentenversicherung eingezahlt hat. Nur dann aber wird das sog. Standard-Rentenniveau von derzeit noch rund 70% auch tatsächlich erreicht. Davon zu unterscheiden ist der Durchschnittsrentner, der keine 45 Versicherungsjahre aufweist und daher keine hohe staatliche Rente erwarten kann. (31 Beitragsjahre entsprechen übrigens dem derzeitigen Sozialhilfeniveau. Die verbleibende Lücke muss über die betriebliche Altersversorgung und privat geschlossen werden.)

Kurzum: Wer zum Abwarten rät, verharmlost die Dringlichkeit der Altersvorsorge und handelt letztlich gegen die Interessen der Bürger, zumal es mit der staatlich geförderten Privatvorsorge, wie ich sagte, keineswegs getan ist. Diese schließt allein die Lücken, die durch die Einschnitte bei der gesetzlichen Rente neu entstehen. Um den gewohnten Lebensstandard zu halten, ist darüber hinausgehende private Altersvorsorge wichtiger denn je.

Betriebliche Altersvorsorge auf dem Vormarsch

Jetzt zur betrieblichen Altersvorsorge, die in Deutschland derzeit noch ein Schattendasein führt: Lediglich fünf Prozent der deutschen Rentnereinkommen stammen derzeit aus der sog. „zweiten Säule“ des Rentensystems. In den Genuss einer Betriebsrente kommen in Deutschland nur etwa die Hälfte (etwa 55% der westdeutschen und 30% der ostdeutschen) Arbeitnehmer. Durch das neue Gesetz wird die betriebliche Altersvorsorge einen deutlichen Schub erfahren und - neben gesetzlicher Rente und privater Vorsorge – als Standbein bei der Alterssicherung gestärkt. Deutschland, so sagen Experten, steht vor einer Renaissance der betrieblichen Altersvorsorge. Arbeitsminister Riester schätzte, dass bis 2008 bereits 70% aller Arbeitnehmer von der betrieblichen Altersversorgung Gebrauch machen werden.

Gegenüber den bisherigen Regelungen gibt es im Bereich der betrieblichen Altersversorgung zwei wichtige Änderungen: Insbesondere wurde dem Arbeitnehmer ein Anspruch gegenüber dem Arbeitgeber auf betriebliche Altersversorgung durch Entgeltumwandlung (von maximal 4% der Beitragsbemessungsgrenze in der gRV) eingeräumt. Mit anderen Worten: Was bisher eine freiwillige Leistung des Arbeitgebers war, wird nun seine Pflicht. Außerdem wird die sog. Unverfallbarkeitsfrist von bisher zehn Jahren auf fünf Jahre gesenkt. (In Zeiten sog. Patchwork-Karrieren sollen die erworbenen Pensionsansprüche von einem zum nächsten Arbeitsgeber mitgenommen werden können.) Bietet das Unternehmen nicht von sich aus Pensionsfonds oder –kasse an, muss es den Abschluss einer Direktversicherung seines Arbeitnehmers zulassen.

Jeder Arbeitnehmer kann bis zu vier Prozent der Beitragsbemessungsgrenze zur gesetzlichen Rentenversicherung für seinen Ruhestand zurücklegen lassen (sogenannte Eichelförderung). In welcher Form der Arbeitsgeber das tut und wie viel er selbst dazu beisteuert, bleibt grundsätzlich ihm überlassen. (Allerdings ist damit zu rechnen, dass sich die Arbeitgeber mit Gewerkschaften und Betriebsräten in Form von Tarifverträgen oder Betriebsvereinbarungen auf Eckpunkte einigen. die für viele Arbeitnehmer interessanter sein werden als vieles von dem, was bisher im privaten Bereich nach dem klassischen Riester-Rentenmodell angeboten wird.)

Denn die betriebliche Alterssicherung hat manche Vorteile:

die Beteiligung am eigenen Unternehmen, (wobei es einen Insolvenzschutz geben wird und der Arbeitnehmer seine Anteile bei einem Betriebswechsel mitnehmen kann),

der Wegfall von Abschlussgebühren und die vermutlich besseren Konditionen wegen des größeren Volumens

und die Tatsache, dass die staatliche Förderung schon ab dem Jahr 2002 mit 4% des (versicherungspflichtigen) Einkommens voll einsetzen wird.

Außerdem ist die betriebliche Altersvorsorge für viele Arbeitnehmer bequem. Sie sind meistens heilfroh, wenn ihnen der Arbeitsgeber die Wahl des Vorsorgeproduktes abnimmt und sich um die Durchführung kümmert.

Mehr denn je wird die betriebliche Altersversorgung zu einem wichtigen Instrument der Mitarbeiterbindung werden. Sie schafft zufriedene und motivierte Mitarbeiter, die sich dem Unternehmen verbunden fühlen. Für viele Arbeitnehmer ist sie außerdem lukrativer als ein privater Vorsorgevertrag. Und auch die Arbeitgeber profitieren: Betriebliche Altersvorsorge ist eine Möglichkeit, qualifizierte Mitarbeiter zu finden und an sich zu binden. Und, last but not least, können sowohl Arbeitnehmer als auch Arbeitgeber von Steuervorteilen profitieren. Mitarbeitermotivation und Vermögensbildung gehen so Hand in Hand.

Hinsichtlich der konkreten Gestaltung der betrieblichen Altersversorgung konnte man bisher zwischen vier Durchführungswegen unterscheiden: Direktzusage, Pensionskasse, Unterstützungskasse und Direktversicherung. Ab 2002 sind als fünfter Durchführungsweg auch Pensionsfonds zugelassen. (Allerdings ist dabei nur die betriebliche Altersversorgung in Form der Pensionskassen, Direktversicherung und Pensionsfonds förderfähig.)

Formen der betrieblichen Altersversorgung

Auf die Direktzusage entfallen in Deutschland 57% der Deckungsmittel. Sie ist damit die mit Abstand am weitesten verbreitete Form der betrieblichen Altersversorgung. Bei der Direktzusage verpflichtet sich der Arbeitgeber, dem Arbeitnehmer (oder dessen Angehörigen) nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses Versorgungsleistungen zu zahlen. Die Höhe der Rente ist dabei in Form eines Prozentsatzes des früheren Einkommens festgelegt. Vom Zeitpunkt der Zusage an bildet das Unternehmen für die eingegangenen Verpflichtungen Pensionsrückstellungen. Die so angesammelten Mittel stehen dem Unternehmen als Kapital voll zur Verfügung.Betriebliche Altersversorgung kann auch von Pensionskassen durchgeführt werden. Der versicherte Arbeitnehmer kann hierbei selbst Beiträge zu seiner betrieblichen Altersversorgung leisten und hat einen Rechtsanspruch gegen die Pensionskasse, (die von einem oder mehreren Unternehmen getragen und in der Rechtsform eines Versicherungsvereins auf Gegenseitigkeit betrieben wird.) Die Pensionskasse unterliegt den Bestimmungen des Versicherungsaufsichtsgesetzes, das auch die Formen der zulässigen Kapitalanlage beschränkt. Pensionskassen legen ihre Mittel in relativ hohem Umfang am Kapitalmarkt an.Ein weiterer Durchführungsweg der betrieblichen Altersversorgung ist die Direktversicherung.– eine besondere Form der Lebensversicherung, bei der der Arbeitgeber als Versicherungsnehmer zugunsten des Arbeitnehmers bei einer Lebensversicherung einen Einzel- oder Gruppenvertrag abschließt. Bezugsberechtigt sind der Beschäftigte oder seine Hinterbliebenen.Unterstützungskassen haben derzeit bei der betrieblichen Altersvorsorge die geringste Bedeutung. Sie sind eine rechtlich selbständige Versorgungseinrichtung, die von einem oder mehreren Unternehmen getragen wird. Die Zahlungen an diese Kasse werden allein vom Arbeitgeber geleistet. In ihrer Anlagepolitik sind Unterstützungskassen im Prinzip keinen Beschränkungen unterworfen. Meistens reichen sie die angesammelten Mittel den Trägerunternehmen als Darlehen zurück.

Durch das Altersvermögensgesetz wurden bei der betrieblichen Altersversorgung die Weichen für ein neues Versorgungsprodukt gestellt: den Pensionsfonds. Pensionsfonds sind vom Unternehmen unabhängige Einrichtungen, die z.B. von Banken und Versicherungen verwaltet werden. Die Beiträge werden direkt vom Arbeitgeber an den Pensionsfonds überwiesen. Im Gegenzug erhält der Arbeitnehmer die Zusage einer lebenslangen Altersrente. Der Vorteil der Pensionsfonds besteht in ihrer größeren Anlagefreiheit: Im Vergleich zu Pensionskassen können Pensionsfonds nämlich einen deutlich höheren Prozentsatz des angesammelten Kapitals in Aktien investieren. Zwar wächst dadurch die Abhängigkeit von den Kapitalmärkten, jedoch steigen auch die Renditechancen deutlich. (Eine Renditegarantie gibt es nicht, allerdings kann der Arbeitnehmer bei einer Betragszusage mit Mindestleistung sicher sein, dass er zumindest die eingezahlten Beträge wieder zurückerhält. Zudem sorgt die Versicherungsaufsicht dafür, dass sich die Verwalter der Pensionsfonds bei ihren Aktiengeschäften an strikte Anlegergrundsätze halten.)

(Neben der Direktversicherung und der Pensionskasse gehört der Pensionsfonds zu den drei Durchführungswegen der betrieblichen Altersvorsorge (bAV), die „Riester-förderfähig“ sind.) Gerade für kleine und mittlere Unternehmen ist der (Betriebs-)Pensionsfonds (daher) der ideale Weg, die Altersversorgung ihrer Mitarbeiter zu unterstützen. Experten rechnen daher gerade in diesem Bereich mit verstärkter Nachfrage. Jeder Durchführungsweg hat im Übrigen seine Besonderheiten (Vor- und Nachteile). Nicht jedes betriebliche Altersvorsorgeprodukt ist für jedes Unternehmen in gleichem Maße geeignet. Der Schwerpunkt der Beratungstätigkeit liegt daher in der Erstellung von maßgeschneiderten, auf die Bedürfnisse des einzelnen Unternehmens abgestimmten Konzepten. Beratung – insbesondere der Klein- und Mittelunternehmen – ist deshalb auch hier besonders wichtig.

Insgesamt positive Bewertung

Wie ist die Reform der Altersvorsorge insgesamt zu bewerten? Als Ökonom komme ich zu folgendem Urteil: Das vorliegende Konzept der Bundesregierung greift eine Reihe notwendiger Reformansätze auf und fügt sie zu einem insgesamt schlüssigen Gebilde zusammen. Erstmals seit Jahren dürfte es gelingen, verlässliche Rahmendaten für die Rentenversicherung zu schaffen. Zu begrüßen ist vor allem, dass der für die mittelfristige Finanzierbarkeit der Alterssicherungssysteme unbedingt erforderliche Einstieg in die Kapitaldeckung nun vollzogen (gleichwohl aber die beitragsbezogene Sozialrente beibehalten und nicht einer Grundsicherung geopfert) wird. Damit wird das deutsche Alterssicherungssystem, das durch eine im internationalen Vergleich hohe Bedeutung der Umlagesäule gekennzeichnet ist, stärker in Richtung eines modernen Drei-Säulen-Systems bewegt.

Kritisch zu bewerten ist aus meiner Sicht hingegen der restriktive Förderkatalog, der mit einer geringeren Rendite sowie einem erheblichen bürokratischen Aufwand erkauft werden muss und die Wahlmöglichkeit der Bevölkerung unnötig einschränkt. Zweifel sind zudem an der Dauerhaftigkeit des jetzt vorliegenden Reformvorhabens angebracht. Das Thema Rentenreform ist daher noch lange nicht „in trockenen Tüchern“. Schon heute ist absehbar, dass im Laufe der Zeit weitere, gravierende Einschnitte in das Rentensystem nötig sein werden. Die nächste Rentenreform (mit neuerlichen Leistungskürzungen) kommt daher bestimmt.

Notwendigkeit der privaten Vorsorge

Vorsorge tut also mehr denn je Not. Für die künftigen Rentnerinnen und Rentner der gesetzlichen Rentenversicherung kann die Botschaft nur lauten, dass sie auf Dauer ihren Lebensstandard nur dann vollständig sichern können, wenn sie in ihrer erwerbstätigen Lebensphase mehr als bisher auch privat für ihr Alter vorsorgen. Die Altersvorsorge wird in Zukunft eine sehr persönliche Sache sein. Klar ist jedenfalls, dass jeder Normalverdiener wesentlich mehr anlegen muss, wenn er seinen Lebensunterhalt im Alter nicht drastisch einschränken will. Wir alle müssen daher mehr Eigenvorsorge (bei Banken, Versicherungen und Pensionsfonds) betreiben.

Ich hoffe, das ist durch meinen Vortrag deutlich geworden. Der Vortrag ist jedoch kein Ersatz für eine fundierte, fachliche Beratung bei der konkreten Gestaltung der individuellen Altersvorsorge. Eine seriöse Beratung muss sich dabei an den Bedingungen des jeweiligen Einzelfalls ausrichten, z.B. an den Wünschen und finanziellen Möglichkeiten der Betroffenen, deren familiärer, gesundheitlicher und beruflicher Situation usw. Man sollte dabei durchaus auch mit mehreren Anbietern privater Altersvorsorgeprodukte – z.B. Versicherungen oder Kreditinstituten – Kontakt aufnehmen und entsprechende Angebote einholen, bevor man einen (Riester-)Vertrag abschließt oder sich für ein anderes Altersvorsorgeprodukt entscheidet. (Wer sich für einen bestimmten Produkttyp entschieden hat, muss außerdem den richtigen Anbieter finden. Das ist nicht einfach. Selbst bei gleichen Startbedingungen wie Alter und Beitragshöhe gibt es im Endergebnis – nach einer Anlagedauer von 25 oder 30 Jahren – erhebliche Unterschiede. Deshalb sollten Sie unbedingt Produktvergleiche anstellen, die die Orientierung erleichtern.)

Kurzum: Die Botschaft des Vortrages lautet nicht, unter allen Umständen einen Riester-Vertrag abzuschließen. Sie lautet: Finanziell rechtzeitig für das Alter vorzusorgen, wenn sie nach dem Ausscheiden aus dem Beruf ihren gewohnten Lebensstandard aufrechterhalten wollen.

Oktober 2001

Auf dem Weg zur Weltgemeinschaft

Die Diskussion über die Globalisierung ist in eine neue Dimension eingetreten. Früher ein Thema von wirtschaftlichen Experten, verlagerte sie sich in letzter Zeit zunehmend auf die Straße. Zum ersten Mal haben wir das in größerem Ausmaß in Seattle, dann in Prag, in Davos und zuletzt in Genua erlebt. Hier handelt es sich nicht nur um Krawallmacherei, um gegen die weltweite Kapitalisierung aller Lebensbereiche zu demonstrieren. Dahinter stehen Ängste der Menschen vor Veränderungen, Ängste vor übermächtigen Kräften, die man nicht versteht, für die keiner verantwortlich zu sein scheint, die unser Leben aus den Angeln zu heben drohen und die viele deshalb als existenzielle Bedrohung begreifen.

Im Zusammenhang mit den schrecklichen Ereignissen vom 11. September in New York und Washington, aber auch schon zuvor infolge des weltweiten Konjunkturabschwungs, insbesondere in der New Economy, und der dramatischen Kursstürze an den Aktienmärkten ist der Globalisierungsprozess in eine tiefe Krise geraten. Es ist daher wichtig, sich mit den Vor- und Nachteilen der Globalisierung auseinander zu setzen, zu erklären, dass die Globalisierung, ein von vielen verteufeltes und sicher auch verschiedentlich missbrauchtes Wort, kein Moloch ist. Bitte erwarten Sie von mir jedoch keine philosophischen oder theologischen Auslegungen. Ich möchte Ihnen in den nächsten zwanzig Minuten (in Ergänzung zum Stand der kirchlichen und der politischen Diskussion) anhand von fünf Fallbeispielen darlegen, wie die Globalisierung in der Wirtschaft beurteilt wird und wie wir damit umgehen sollten.

Erstens: Wir haben heute

globale Finanzmärkte

. Sie können in Sekundenbruchteilen riesige Kapitalbeträge um die Welt schicken. Wenn Anleger heute das Vertrauen in ein Land verlieren, also das Vertrauen in die Stabilität der dortigen Politik und der Währung, dann können sie dieses Land massiv durch Entzug von Kapital bestrafen. Insofern üben die Finanzmärkte – und das sind millionen- oder milliardenfache Einzelentscheidungen – Kontrolle aus. Man mag diese Kontrolle für problematisch halten. Aber sie kann sehr wohl nützlich sein. Denn sie erhöht den Anreiz für die Länder, eine disziplinierte, stabilitätsorientierte Politik zu betreiben. Davon wiederum profitieren letztlich alle Bürger.

Zweitens: Deutsche Unternehmen tätigen relativ hohe

Direktinvestitionen

in anderen Ländern. Daraus schließen viele, die Globalisierung koste uns Arbeitsplätze. Das ist aber nur teilweise der Fall. Denn das Motiv für Direktinvestitionen ist oft, ausländische Märkte zu erschließen, um Marktpositionen zu verbessern. Solche Direktinvestitionen zerstören bei uns keine Arbeitsplätze, sondern sichern Exportchancen. Auch ist gegen deutsche Investitionen im Ausland nichts zu sagen, wenn sie dort bessere und günstigere Standortbedingungen wie niedrigere Arbeitskosten und Steuern nutzen, eben zum Vorteil der dort lebenden Menschen. Ethische Kriterien müssen jedoch greifen, wenn es beispielsweise um die Arbeitsbedingungen für die Menschen geht. Wenn also z.B. mit Kinderarbeit produziert wird, wenn die Menschen unwürdigen Belastungen oder gesundheitlichen Gefahren bei der Produktion ausgesetzt sind, oder sinnvolle Auflagen zum Schutz der Umwelt leichter umgangen werden können als zu Hause (oder solche gar in einem anderen Land überhaupt nicht existierten).

Drittens

Entwicklungshilfe

: Hier möchte ich vorausschicken, dass mir angesichts von Hunger und Not in den Ländern der Dritten Welt Entwicklungshilfe als ein Gebot der Menschlichkeit und der christlichen Nächstenliebe erscheint. Umstritten dagegen sind die Form und die Konzeption der Entwicklungshilfe. Kapitaltransfers öffentlicher oder kirchlicher Institutionen führen nur dann zu mehr Wachstum und mehr Wohlfahrt in den Empfängerländern, wenn sie „Hilfe zur Selbsthilfe“ sind. Der Erfolg der Entwicklungshilfe hängt nicht von der Höhe der Kapitalleistungen, sondern entscheidend vom entwicklungsfähigen Umfeld, das heißt davon ab, ob und inwieweit die Entwicklungsländer selbst in der Lage sind, die notwendigen internen Voraussetzungen – zum Beispiel durch die Weckung von Eigeninitiative und Unternehmergeist, die Schaffung einer effizienten Verwaltung, die Eindämmung von Korruption, gleichmäßigere Verteilung des Einkommens und vor allem durch Maßnahmen zur Drosselung der Bevölkerungsexplosion und der Entwicklung der Landwirtschaft – für eine wirtschaftliche Besserung zu schaffen.

Spätestens an dieser Stelle taucht – viertens - die Frage nach der

Verschuldung von Entwicklungs- und Schwellenländern

auf. Die beiden großen christlichen Kirchen in Deutschland haben mehrfach, zuletzt anlässlich des sog. Erlassjahres 2000 für den teilweisen oder gar vollständigen Erlass der Schulden der am wenigsten entwickelten Länder plädiert. U. E. hilft die Forderung nach einem globalen (und generellen) Schuldenerlass - so verständlich und im konkreten Einzelfall gerade bei den ärmsten hochverschuldeten Ländern möglicherweise unterstützenswert dieser Vorschlag ist - jedoch nicht weiter. Das Hauptziel aller Bemühungen muss die Wiederherstellung der Kreditwürdigkeit der Schuldnerländer sein, damit sie auch in Zukunft das für ihre Entwicklung notwendige Geld erhalten. Dazu müssen sie lernen, finanzielle Hilfe und Kredite nutzbringend einzusetzen und ebenso müssen sie durch eine vernünftige Wirtschaftspolitik nicht nur das Vertrauen der Gläubiger, sondern auch das ihrer eigenen Bürger wiedergewinnen, damit diese ihre Ersparnisse nicht ins Ausland schaffen.

Ein letztes Konfliktfeld, das ich ansprechen möchte, ist die

internationale Wirtschaftsordnung

:

Was die Lage der Entwicklungsländer betrifft, so stelle ich zunächst infrage, dass sie sich insgesamt so verschlechtert hat, wie viele behaupten. Mir scheinen gerade in diesem Punkt differenziertere Urteile angebrachter zu sein als pauschale Negativbilanzen. Zwar ist nicht zu leugnen, dass in einigen Entwicklungsländern das Pro-Kopf-Einkommen während der letzten Jahre und Jahrzehnte stagnierte oder sogar zurückging. Daneben gibt es jedoch eine beachtlich große Gruppe von Entwicklungsländern, die eine bemerkenswerte wirtschaftliche Entwicklung und einen kräftigen Anstieg des Pro-Kopf-Einkommens ausweisen können. Dazu gehören vor allem Länder in Südostasien, aber auch einzelne Staaten in Afrika und in Südamerika.

Die Frage ist, worauf diese Unterschiede zurückzuführen sind. Die Untersuchungsergebnisse sind hier ziemlich eindeutig: Die mehr marktwirtschaftlich orientierten Länder haben ein deutlich höheres Wirtschaftswachstum als die planwirtschaftlich ausgerichteten Länder. Die verschiedene Ausgangslage, unterschiedliche Standortgunst, die Mentalität der Bevölkerung, verschiedenartige religiöse Vorstellungen und, nicht zuletzt, die in den einzelnen Regionen der Welt völlig unterschiedliche Bevölkerungsentwicklung haben auf den Entwicklungsprozess einen nicht zu vernachlässigenden Einfluss. Unzweifelhaft kommt aber auch der Wirtschaftspolitik der einzelnen Länder ganz erhebliche Bedeutung zu, wie sich insbesondere zeigt, wenn man benachbarte Länder mit unterschiedlichen Wirtschaftssystemen aber mit ansonsten vergleichbarer Ausgangssituation einander gegenüber stellt.

Diese Erkenntnis spricht nicht dafür, dass Armut und Not in der Dritten Welt ausschließlich oder ganz überwiegend auf die bestehende internationale Wirtschaftsordnung zurückzuführen sind. Allerdings erscheint eine Verbesserung derselben, in der auch die besonderen Belange der Entwicklungsländer Berücksichtigung finden, dringend notwendig und möglich. Es kann nämlich nicht geleugnet werden, dass bestimmte wirtschaftspolitische Maßnahmen, so etwa die Agrarpolitik in der Europäischen Union und zahlreiche Handelsbarrieren, den Entwicklungsländern den Zugang zu den Märkten der Industrieländer versperren und damit das Gegenteil von Solidarität sind. Die Märkte der Industrieländer müssen also für die Produkte der Entwicklungsländer offen sein, (wobei die nachteiligen Folgen für einen Teil unserer Bevölkerung, die damit verbunden sind, nicht Einzelnen zur Last gelegt werden dürfen, sondern von der Allgemeinheit getragen werden müssen). Es unterliegt keinem Zweifel, dass es auf diese Weise möglich sein wird, die Existenzbedingungen einiger Entwicklungsländer wenigstens so weit zu bessern, dass sie Schritt für Schritt mehr in die Lage kommen, sich selbst zu helfen.

Schlussfolgerungen

Aus den genannten Beispielen lassen sich meines Erachtens drei Grunderkenntnisse destillieren:

Ethische Werte eignen sich nicht für platten Populismus. Sie können keine allgemeingültigen Antworten auf die Frage liefern, was Unternehmen tun dürfen und was nicht. Letztlich werden sie sich im praktischen Wirtschaftsleben nur dann auf Dauer durchsetzen können, wenn Wege gesucht und gefunden werden, das wohlgemeinte ethisch-moralische Handeln mit den Geschäftszielen zu verbinden. Darin liegt, so meine ich, die zentrale wirtschaftsethische Herausforderung unserer Zeit: in der aktiven Suche nach Feldern, wo sich Ethik und Gewinn (also das notwendige Streben nach optimaler wirtschaftlicher Effizienz mit der Verantwortung für die betroffenen und beteiligten Menschen) verbinden lassen.

Trotz der Tatsache, dass die Güter der Welt ursprünglich für alle bestimmt waren und dass trotz ihrer Verschiedenheit allen Menschen die gleiche Würde zukommt, wie der Papst unter anderem in seiner Enzyklika „Sollicitudo Rei Socialis“ ausgeführt hat, reicht es nicht aus, das „gute Herz“ sprechen zu lassen. Wie die Sozialethik nach dem Menschengerechten im Sachgemäßen fragt, muss die Wirtschaft darauf beharren, dass nicht wirklich menschengerecht sein kann, was nicht sachgemäß ist. Die Wirtschaft dient der Beschaffung, Herstellung und Verteilung von Gütern und Dienstleistungen und kann dem nur unter Wahrung ökonomischer Gesetzlichkeiten gerecht werden.

Ein Abbau des Nord-Süd Wohlstandsgefälles wird nur möglich sein, wenn die Regeln einer freien (aber geregelten) Marktwirtschaft auch im Verhältnis zwischen Industrie- und Entwicklungsländern Beachtung finden. Und wenn insbesondere auf dem Wege einer intensivierten internationalen Arbeitsteilung und dem Abbau bestehender Handelsschranken eine stärkere Integration der Entwicklungsländer in die Weltwirtschaft gelingt.

Das Wichtigste und Schwierigste ist es, den Entwicklungsprozess in den Ländern der Dritten Welt selbst in Gang zu halten und den Menschen dort zu einem Leben frei von Not zu verhelfen. Tatsächlich sind auf diesem Felde Erfolge bisher nur zu verzeichnen gewesen, wenn es gleichzeitig gelang, die schöpferische Aktivität der Menschen zu wecken. Erst wenn sich diese Menschen aus der Apathie befreit haben, die sich bei ihnen nach vielen enttäuschten Hoffnungen und einem Leben in Elend und Not ausgebreitet hat, erst wenn sie bewussteres Vertrauen in ihre Zukunft erfüllt und sie zu erkennen vermögen, dass es in ihrer eigenen Macht steht, ihre Lebensumstände zu verbessern und solcherart ihr Schicksal zu meistern, ist der Grundstein für eine gedeihliche Entwicklung dieser Länder gelegt.

Mein Fazit lautet daher: Globalisierung ist eine gute Sache. Sie bewährt sich vor allem darin, dass die wirtschaftliche Produktivität steigt. Der Globalisierungsprozess wird daher in der Zukunft immer noch weitere Tätigkeiten ergreifen. Die Globalisierung hat aber auch Schattenseiten. Es gibt eine Gruppe von Menschen und von Staaten, die sich an den Rand gedrängt fühlen. Diese Probleme lassen sich freilich nicht dadurch bewältigen, dass man die alten Strukturen mit Zähnen und Klauen verteidigt. Man muss die Herausforderung annehmen und vor allem die Chancen erkennen, die darin stecken.

Für

Unternehmer

bedeuten größere Absatz- und Beschaffungsmärkte eine bessere Ausnutzung von Fixkosten. Das ist der Vorteil. Gleichzeitig aber werden Markteintrittsbarrieren durch sinkende Informations- und Transaktionskosten verringert. Es wird immer schwieriger Wettbewerbsvorteile zu konservieren; Produktlebenszyklen verkürzen sich, die Wettbewerbsintensität erhöht sich.

Der Anpassungsbedarf bei

Arbeitnehmern

ist ähnlich groß: Die Umwälzungen im Arbeitsumfeld erfordern ein hohes Maß an Flexibilität und Anpassungsbereitschaft. Zwar eröffnet dies Chancen, indem neue und interessante Arbeitsfelder erschlossen werden sowie neue Formen der Arbeitsorganisation hervorgebracht werden. Und natürlich, was oft übersehen wird, die Chance und die Realität von mehr Einkommen. Auf der anderen Seite werden der Zwang zum lebenslangen Lernen, der Verlust von Besitzständen sowie das weltweite Überangebot vor allem an billiger Arbeit immer stärker als Bedrohung empfunden.

Für die

Wirtschaftspolitik

kann es wegen der multinationalen Unternehmen und der Vernetzung der internationalen Finanzmärkte keine nationale Politik mehr geben. Notwendig und erfolgreich ist (in diesem Sinne) ein umfassender Rückzug des Staates von den Märkten und aus der Daseinsvorsorge für die Menschen und eine Konzentration auf seine eigentliche Aufgabe, die Ordnungspolitik.

Eine solche Ordnungsfunktion hat der Staat zusammen mit anderen auch in einer globalisierten Marktwirtschaft. Globalisierung ist letztlich nichts anderes als freie Marktwirtschaft in der Welt. Diese ist aber, im Gegensatz zu den Marktwirtschaften in den großen Industrieländern, weitgehend unreguliert. Ohne einen international akzeptierten Ordnungsrahmen kann eine Marktwirtschaft aber nicht funktionieren. Für die internationale Wirtschaftspolitik heißt das, die fehlende Architektur des globalen Ordnungsrahmens zu ergänzen (und zu erneuern). Letztlich wird es Aufgabe der (viel gescholtenen) WTO (und der tonangebenden Industrieländer im Rahmen der G8) sein, einen fairen Ordnungsrahmen für die globale Marktwirtschaft zu schaffen.

Wir müssen über das hinaus, was ich Ihnen über Entwicklungshilfe, zum Schuldenerlass und offene Märkte gesagt habe, nicht nur die Wirtschaft, sondern, wie es Andrea Riccardi ausgedrückt hat, „die Solidarität globalisieren“. Der globale Markt mit seinen Vorteilen und Chancen, Risiken und Ungerechtigkeiten, braucht ein globales Gegenüber, ein weltweites humanitäres, soziales und religiöses Gewissen. (Die Globalisierung der Märkte muss, mit anderen Worten, einhergehen mit der Globalisierung der Verantwortung.)

Hier ist die individuelle Verantwortung angesprochen, in der wir alle als Staatsbürger stehen. Unserem persönlichen sozialen Engagement als Einzelpersonen sind bekanntlich keine Grenzen gesetzt. Und es ist die Wirtschaftspolitik angesprochen, die den Ländern der sog. Dritten Welt konkrete Entwicklungsperspektiven geben muss.

Aber auch die Kirchen müssen in Zukunft, wie sie es in der Vergangenheit waren, Anwälte dieses Anliegens sein, um die negativen (Verteilungs-)Wirkungen der Globalisierung (zwischen den Industriestaaten und vielen Entwicklungsländern, die noch weiter an den Rand der internationalen Wirtschaftsbeziehungen zu geraten drohen, aber auch innerhalb der einzelnen Gesellschaften) zu korrigieren. Denn wer wäre für die Globalisierung der Moral besser geeignet als die allumfassende katholische Kirche, die selbst - wie ihr Name schon sagt - eine globale Institution ist, und zwar nicht nur irgendeine, sondern die älteste (und größte) der Welt.

Oktober 2001

Globalisierung – aus wirtschaftlicher und aus christlicher Sicht1

Die Diskussion über die Globalisierung ist in eine neue Dimension eingetreten. Früher ein Thema von wirtschaftlichen Experten, verlagerte sie sich in letzter Zeit zunehmend auf die Straße. Zum ersten Mal haben wir das in größerem Ausmaß (bei der WTO-Konferenz) in Seattle, dann (bei der Jahrestagung von IWF und Weltbank) in Prag, (beim Weltwirtschaftsgipfel) in Davos, (in Salzburg und Göteborg) und zuletzt (beim G8-Treffen) in Genua erlebt (und wir werden es demnächst wohl wieder an anderen Orten erleben). Hier handelt es sich nicht nur um Krawall-Macherei, um gegen die weltweite Kapitalisierung aller Lebensbereiche zu demonstrieren. Dahinter stehen Ängste der Menschen vor Veränderungen, Ängste vor übermächtigen Kräften, die man nicht versteht, für die keiner verantwortlich zu sein scheint, die unser Leben aus den Angeln zu heben drohen und die viele deshalb als existenzielle Bedrohung begreifen.

Mit der Globalisierung sind Herausforderungen verbunden, denen gerade wir als Christen nicht ausweichen dürfen. Denn Globalisierung ist nicht nur ein ökonomisches Phänomen, das die Wirtschaft, die Finanzmärkte und die Technologie betrifft. Es geht auch um Wertvorstellungen und Ordnungsprinzipien, also um Menschenrechte, Demokratie, soziale Standards, kulturelle Identität, Umweltschutz und ethische Gesichtspunkte. Wir werden Gelegenheit haben, alle diese Aspekte unter dem Blickwinkel christlicher Verantwortung in der sich an den Vortrag anschließenden Diskussion zu erörtern. Ich möchte das Thema jedoch zunächst vor allem unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten behandeln. Denn ursprünglich stammt der Begriff „Globalisierung" – also das Zusammenwachsen nationaler Ökonomien mittels vernetzter Finanzmärkte über die Ländergrenzen hinweg – aus der Wirtschaft und von wirtschaftlichen Experten, unter denen es klar war, dass - bei allen Problemen im Einzelnen - die Vorteile der Globalisierung überwiegen.

Im Zusammenhang mit den schrecklichen Ereignisse am 11. September in New York und Washington, die allseits tiefe Betroffenheit und Trauer über die vielen Opfer auslösten, hat diese Thematik nicht nur eine besondere Aktualität erhalten; der Globalisierungsprozess selbst ist in eine tiefe Krise geraten. Es ist daher wichtig, sich mit ihren Vor- und Nachteilen auseinander zu setzen, zu erklären, dass die Globalisierung (ein von vielen verteufeltes und sicher auch verschiedentlich missbrauchtes Wort) kein Moloch ist. Bitte erwarten Sie von mir jedoch keine philosophischen oder theologischen Auslegungen. Ich möchte Ihnen in der nächsten halben Stunde vielmehr darlegen, worin sich die Globalisierung ausdrückt, was die Ursachen der Globalisierung sind, wie sie in der Wirtschaft beurteilt wird und wie wir damit umgehen sollten.

Globalisierung - kein neues Phänomen

Globalisierung ist ein enorm vielschichtiger Prozess, der das Leben von jedem von uns fundamental berührt, aber gewiss kein neues Phänomen.

Die erste Phase weltwirtschaftlicher Integration, die

Liberalisierung der Gütermärkte

, begann – basierend auf der Idee des Freihandels, einem dramatischen Rückgang der Transportkosten und festen Wechselkursen - bereits in der Mitte des vorletzten Jahrhunderts. In der Nachkriegszeit wuchs der Welthandel erneut deutlich schneller als die Produktion und etwa doppelt so schnell wie das Bruttoinlandsprodukt. Heute haben wir im Vergleich zu 1950 ein Handelsvolumen, das ungefähr hundert Mal so hoch ist wie damals. Das zeigt, wie dramatisch sich die Dinge in weniger als zwei Generationen entwickelt haben.

Globalisierung zeigt sich aber auch in den

(Direkt-)Investitionen

, die heute nicht mehr nur im eigenen Land erfolgen, sondern international. Und sie zeigt sich an den

Finanzmärkten

, die dereguliert und dem internationalen Wettbewerb geöffnet wurden. Der auf realwirtschaftlichen Transaktionen basierende Umsatz an den Devisenmärkten (Handel, Direktinvestitionen und Hetging) hat inzwischen dramatisch an Bedeutung verloren. Die globalen jährlichen Exporte betragen nur rund 20% des täglichen Umsatzvolumen an den Devisenmärkten von ca. 1,5 Billionen US-$! Zugelegt haben Portfolioinvestitionen sowie Geschäfte zur Absicherung dieser Anlagen.

Eine vierte Welle der Globalisierung ist der

Wettbewerb um gut ausgebildete Arbeitskräfte

. Wir haben schon jetzt eine beträchtliche Wanderungsbewegung, auch über die deutschen Grenzen hinweg. Es kommt in diesem Zusammenhang zu einer Übertragung von Konzepten (zum Beispiel des american way of life) von einer Region zur anderen. Dieses

kulturelle Zusammenwachsen

, (das im Übrigen unsere französischen Nachbarn in besonderer Weise sorgenvoll stimmt,) - von der Kleinkunst über die Musik, die zeitgenössische Malerei und Literatur bis hin zu den Essgewohnheiten (Stichwort: Globalisierung in den Kochtöpfen) - ist mindestens so schnell gewachsen wie die wirtschaftliche Zusammenarbeit.

Ursachen der Globalisierung

Was die Ursachen der (ökonomischen) Globalisierung betrifft, lassen sich drei Gründe nennen:

Erstens: Die Welt ist politisch offener geworden. Europa wächst mehr und mehr zusammen. Aber auch in anderen wichtigen Teilen der Welt, die bislang verschlossen waren, die sich nicht einbringen konnten in die internationale Arbeitsteilung (zum Beispiel in Lateinamerika), haben wir nunmehr durch

politische und gesellschaftliche Veränderungen

entschlossene Öffnung.

Zweitens: Wir haben eine enorme Erleichterung des internationalen Handels durch die

Verminderung von Transportkosten

. Der Transport ist heute um Dimensionen einfacher, als er jemals zuvor war. Damit verändern sich die Standortbedingungen erheblich. Wenn Grenzen prinzipiell offen sind und die Transportkosten niedriger werden, kann man eine internationale Arbeitsteilung sehr viel effizienter organisieren.

Der dritte Faktor, der wahrscheinlich der dramatischste von allen ist, ist die Bedeutung der

Informationstechnologie

. Das, was sich im Internet abspielt, die komplette Information über Produktionsverfahren, Produkte, Preise, Standorte, Besitzverhältnisse, die für jeden, der kundig ist, verfügbar sind, und zwar zeitgleich verfügbar sind, hat eine Wirkung auf den internationalen Wettbewerb, die man gar nicht überschätzen kann.

Janusköpfige Globalisierung

Vor allem dieser sich ausbreitende Trend zur Virtualisierung, der uns noch nicht vollständig erfasst hat, spricht dafür, dass die Dynamik und Reichweite des Globalisierungsprozesses noch weitaus größer werden wird. Die Globalisierung wird zum Dauerzustand, zur „Globalität“, wie es Altbundespräsident Roman Herzog ausgedrückt hat.

Eine Frage, die sich in diesem Zusammenhang stellt, ist: Verliert die nationale Politik in diesem globalisierten Umfeld ihre Gestaltungsmöglichkeiten, verliert der Staat insbesondere seine Besteuerungsfähigkeit? Die Antwort darauf heißt: Nein. Wir haben Gestaltungsmöglichkeiten. Wir haben sie freilich nicht in beliebiger Weise. Der Gestaltungsraum ist überall dort begrenzt, wo aufgrund der Globalisierung ein leichtes Ausweichen der Marktteilnehmer - insbesondere der Kapitalbesitzer - möglich ist.

Hier zeigen sich die Vorteile, aber auch die Probleme der Globalisierung. Dass die Globalisierung der Märkte wirtschaftliche Vorteile hat, wissen die Ökonomen seit Adam Smith und David Ricardo: Die weltwirtschaftliche Wohlfahrt und die Wohlfahrt jedes einzelnen Landes steigt, wenn jeder entsprechend dem Prinzip der komparativen Kosten produziert, das heißt wenn er sich auf die Dinge konzentriert, die er relativ besser kann als die anderen; ihr gemeinsames Sozialprodukt wird größer als im Falle der Autarkie. (Das Gesetz der komparativen Kosten ist ein Plädoyer für Freihandel und internationale Arbeitsteilung, gegen jede Form von Protektionismus und Marktregulierung. Es zeigt, dass die Spezialisierung der Marktwirtschaft nicht nur innerhalb einer Volkswirtschaft zu mehr Wohlstand führt, sondern dass dies auch zwischen den Volkswirtschaften funktioniert.)

Auch die Nachteile kennen wir aus jenen Tagen: nämlich die Abhängigkeit der einzelnen nationalen Wirtschaften von internationalen Nachfrage- und Technikentwicklungen, die Erweiterung der Konkurrenz und natürlich die politischen Abhängigkeiten. Die frühe Marktwirtschaft der Industrialisierung musste sich der sozialen Frage und der Kritik des Sozialismus stellen. Heute stehen wir vor immensen Spannungen

zwischen dem sozialen Ausgleich und der sozialen Sicherheit als Basis für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft und den Anforderungen an ihre internationale Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit;

zwischen den Generationen, von denen die einen ein geregeltes Arbeitsleben und Rundumbetreuung haben und die anderen nur wenig von alledem erwarten können,

sowie zwischen der industrialisierten und der sogenannten Dritten Welt.

Diese Probleme lassen sich freilich nicht dadurch bewältigen, dass man die alten Strukturen der Industriegesellschaft mit Zähnen und Klauen verteidigt. Man muss die Herausforderung annehmen und vor allem die Chancen erkennen, die darin stecken.

Für

Unternehmer

bedeuten größere Absatz- und Beschaffungsmärkte eine bessere Ausnutzung von Fixkosten (Skalenerträge). Das ist der Vorteil. Gleichzeitig aber werden Markteintrittsbarrieren durch sinkende Informations- und Transaktionskosten verringert. Es wird immer schwieriger Wettbewerbsvorteile zu konservieren; Produktlebenszyklen verkürzen sich, die Wettbewerbsintensität erhöht sich. Das Leben des Unternehmers ist heute ungleich ungemütlicher als es das vor 20 Jahren war. Man braucht neue Ideen, Mut und Phantasie. Denn es gibt heute keinen gleichförmigen

Wettbewerb

mehr, gefragt sind vielmehr Spielräume für die Differenzierung entweder von Produkten oder Strategien.

Der Anpassungsbedarf bei

Arbeitnehmern