Wirtschaftserwachen - Fabian Hänle - E-Book

Wirtschaftserwachen E-Book

Fabian Hänle

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Beschreibung

"Ein wegweisender Beitrag für Wirtschaft, Politik und Weltinteressierte, um Chinas Hidden Champions von morgen und die enormen Konsequenzen für Deutschland zu verstehen." Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Hermann Simon Bestsellerautor sowie Gründer und Honorary Chairman von Simon-Kucher & Partners Was Sie erwartet: - China-Experte Dr. Fabian Hänle: Lernen von seiner gelebten Praxiserfahrung und seinem einzigartigen Verständnis der chinesischen Kultur und Mentalität - Spannende Fallbeispiele chinesischer Hidden Champions und globaler Zukunftsinnovationen - Praktische Konsequenzen für Deutschland: Welche neuen Strategien helfen uns weiter? - Exklusive Interviews mit Weltmarktführern des deutschen MittelstandsEs geht um viel: Um unsere Zukunft in Deutschland und Europa. Um die Welt, wie wir sie unseren Kindern wünschen. Und um einen Global Player, den kaum jemand kennt, der uns jedoch alle betrifft – Chinas Mittelstand. 60 Prozent der Wirtschaftsleistung und 70 Prozent der technologischen Innovationen Chinas werden von mittelständischen Unternehmen geleistet. Doch wer sind die neuen Hidden Champions und Weltmarktführer von morgen, welche Ziele verfolgen sie global und was hat das mit unserer Zukunft zu tun?  Mit klarem Blick zeigt Management-Vordenker Fabian Hänle anhand spannender Fallbeispiele, warum dieses neue chinesische Erfolgsgeheimnis eine der größten Herausforderungen und Chancen für Deutschland im 21. Jahrhundert ist.  Kritisch und konstruktiv geht er auf entscheidende Fragen ein: Welche Strategien brauchen wir als Antwort auf den chinesischen Erfolg? Wie können wir Risiken reduzieren und neue Chancen nutzen? Und mit welchen innovativen Wegen glückt es uns, verborgene Potenziale zu heben und nachhaltiges Wachstum zum Wohle aller zu schaffen?  Wirtschaftserwachen liefert die Vision einer neuen goldenen Ära Deutschlands: Erfolgreich zu sein und zu bleiben, aus der Stärke heraus zu agieren und zu führen, mit einem guten, respektvollen Umgang miteinander – mit uns selbst, mit anderen und mit unserer Erde.

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»Es ist leicht, etwas niederzureißen und zu zerstören. Helden sind jene, die Frieden schaffen und aufbauen.«

NELSON MANDELA

Fabian Hänle

Wirtschaftserwachen

Chinas Mittelstandswunder – und wie uns neues Wachstum für Deutschland gelingt

Externe Links wurden bis zum Zeitpunkt der Drucklegung des Buches geprüft. Auf etwaige Änderungen zu einem späteren Zeitpunkt hat der Verlag keinen Einfluss. Eine Haftung des Verlages ist daher ausgeschlossen.

Ein Hinweis zu gendergerechter Sprache: Die Entscheidung, in welcher Form alle Geschlechter angesprochen werden, obliegt den jeweiligen Verfassenden. Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf eine jederzeit gleiche Verwendung der Sprachformen männlich, weiblich und divers (m/w/d) verzichtet. Sämtliche Personenbezeichnungen gelten selbstverständlich gleichermaßen für alle Geschlechter.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN Buchausgabe: 978-3-96739-178-7

ISBN EPUB: 978-3-96740-358-9

Lektorat: Susanne von Ahn, Hasloh

Umschlaggestaltung: Guido Klütsch, Köln

Umschlagfoto: Adobe Stock

Autorenfoto: Studio Lengerer, Albstadt-Ebingen

Satz und Layout: Lohse Design, Heppenheim | www.lohse-design.de

© 2024 GABAL Verlag GmbH, Offenbach

Alle Rechte vorbehalten. Vervielfältigung, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlages.

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Inhalt

Vorwort

PROLOG

Mit sieben Koffern in Shanghai

TEIL I

Der chinesische Mittelstand: Wie sie ticken, was sie vorhaben

KAPITEL 1

Chinas Erfolgsgeheimnis auf der Spur – ein erstes Porträt

Voll in Fahrt steht er vom Tisch auf und ruft: »Das ist unsere Zukunft!«

Mittelständler »Made in China« – das Herz der Wirtschaft

Wer zählt eigentlich zum Mittelstand?

Die Erfolgsstrategien der heimlichen Weltmarktführer

KAPITEL 2

Vom Tellerwäscher zum Milliardär – die Mentalität

Wer China verstehen will, muss dessen Geschichte kennen

Das Jahrhundert der Demütigung

Zusammenbruch des Kaiserreichs – was wir in Europa daraus lernen können

Chinas Achterbahnfahrt in die Moderne

Eine legendäre Zugreise, die China für immer veränderte

Die Entfesselung des privaten Unternehmertums

KAPITEL 3

Im Herzen von Chinas Kultur – ein gelungener Einstieg

Das chinesische Neujahrsfest – ein Schlüssel zum Verständnis

Persönliche Wege der Problembewältigung im neuen Land

Kampfkünste und der 1500 Jahre alte Shaolin-Spirit

Fantastische Fußballspiele in China

Was wir gerade von schwierigen Zeiten lernen können

KAPITEL 4

Die Internationalisierung von Chinas Mittelstand – ein Überblick

5791 wissenschaftliche Studien – auf den Punkt gebracht

Chinas neue Seeflotte – grüne Autos per Superfrachter: Hallo, Europa!

Projekt »Gigafactory Berlin«

Argumentieren in chinesischen Denkbahnen

KAPITEL 5

Der Staat spielt mit – Chinas geheime Supraplanung

Im Hauptquartier von CREG, staatlicher Tunnelbau-Champion

An den Wänden leuchten der Hammer und die Sichel

Und Peking sprach: »An die Kandare!«

Deshalb liegen wir bei Chinas Einschätzung oft falsch

Moulüe – Chinas geheime Supraplanung über Jahrhunderte

KAPITEL 6

Chinas Mittelstand als Weltmarke – Ziele und Visionen

Die Ziele: Globaler Absatz, Weltmarke, Ressourcen, Effizienz

Vom Tyrannosaurus zum Innovations-Phönix

Die Middle-Income-Trap – Aufstieg in der Smile-Kurve

Wie Präsident Xi seinen Mittelstand fördert – die neue Elite der SRDI-KMU

TEIL II

Konsequenzen für Deutschland

KAPITEL 7

Vom Weltmeister zum Verlierer? – Ein Weckruf

Scharfschützen in Shanghai – die Präsidenteneinladung

Die uneinige Europäische Union – ein Plädoyer für Modernisierung

Überraschende Konsequenzen für Deutschland

Interview: Reinhold Blickle, CEO Blickle-Firmengruppe

KAPITEL 8

Auch in China ist nicht alles Gold, was glänzt

Umweltschutz und Nachhaltigkeit – ein Drahtseilakt

Jugendarbeitslosigkeit, Demografie und Immobilienkrise – neue Herausforderungen

Chinas Generation Z – was will die Jugend?

KAPITEL 9

Geostrategische und technologische Zusammenhänge

Science-Fiction in China: Fliegende Personen-Drohnen und Robo-Taxen

Das große Innovations-Rennen: China versus USA – und Deutschland?

Die Formierung des »Globalen Südens« – unsere Weltordnung verändert sich

Zielführende Außenpolitik – so gehen wir erfolgreicher mit China um

Interview: Stefanie Weil, Professorin und Prodekanin

KAPITEL 10

Neue Erfolgsstrategien der deutschen Wirtschaft für China

»Erfolg ist kein Besitz – er ist nur gemietet, und die Miete ist jeden Tag fällig.«

Die China-Formel: Mentalität, Kultur und Markt plus Vermittlung

Mandarin als Schlüssel – mit diesem Plan spricht man fließend in zwei Jahren

Strategie 1: Wer den Weltmarkt führen will, muss in China führend sein

Strategie 2: China, das Unternehmens-Fitnessstudio

Interview: Stephan Mayer, Vorstandsmitglied Trumpf

Strategie 3: Scouts in China – auf der Jagd nach Innovation

Strategie 4: Reduzierung von Abhängigkeiten

Interview: Mirko Jan Fath, Geschäftsführer der Fath-Gruppe

Strategie 5: Begleitung der Führung in China – so kann man Harmonie und gegenseitiges Verständnis, Ehrlichkeit und Compliance fördern

Strategie 6: Geglückter Firmenaufbau und Erfolg im Vertrieb

KAPITEL 11

Die elf Großbaustellen der Republik – Wege aus der Krise

Von »Planwirtschaft tut uns nicht gut« bis »Bildungsrevolution«

Lebensdienliche Bildung für alle – Vision einer Pionier-Schule

Meinungsfreiheit – wir brauchen eine respektvollere Gesprächskultur

KAPITEL 12

Weltmarktführer der Zukunft – neue Potenziale für Deutschland

Der 6. Kondratieff-Zyklus – Gesundheit und Nachhaltigkeit

Führung, Erfüllung und Freude an der Arbeit – meine Vision

Strategische Intuition und die Führungskräfte der Zukunft

EPILOG

Auf einem Planeten

Persönliche Einladung – Ihr Webinar zum Buch

Danksagung

Anmerkungen

Der Autor

Vorwort

In den ersten Jahrzehnten meiner beruflichen Karriere orientierte ich mich primär an der westlichen Welt, vor allem an Amerika sowie an europäischen Business-Schools. Aber schon in den Achtzigerjahren zeigte ein Aufenthalt in Japan prägende Wirkungen bei mir. Später wurden asiatische Länder, insbesondere China, Korea und Japan, für mich zunehmend interessant und wichtig.

Vor diesem Hintergrund war ich sofort hellhörig, als Fabian Hänle mir von seinem Buchprojekt erzählte. Denn dieses Buch rückt einen der wichtigsten, aber bislang wenig bekannten Player unserer globalen Wirtschaft ins Scheinwerferlicht: Chinas Mittelstand.

Wissenschaftlich fundiert und praxisnah zugleich zeigt Fabian Hänle mit seinem Buch nicht nur die enormen Auswirkungen der zunehmenden Internationalisierung und Innovationskraft chinesischer Mittelständler, sondern auch die ungeschminkte Wahrheit über den Zustand und die existenzgefährdenden Risiken der deutschen Wirtschaft. Er ordnet das Thema zielsicher in den großen globalen Kontext ein, baut Vorurteile ab und mehr gegenseitiges Verständnis auf und fördert so als inspirierendes Vorbild eine konstruktive Zusammenarbeit.

Gleichzeitig gibt der Autor mit der Entwicklung einer langfristigen Vision für das große Comeback des Wirtschaftsriesen Deutschland und für eine erfolgreiche Zusammenarbeit mit China neue und dringend benötigte Impulse für unser Land. So behandelt er das Thema Zukunftsbewältigung in diesem Buch aus einer vollkommen neuen Perspektive und leistet damit einen wegweisenden Debattenbeitrag zu einer der bestimmenden Fragen unserer Zeit. Es ist ein gewichtiger Beitrag für Wirtschaft, Politik und Gesellschaft, um das Verständnis von Chinas Globalisierung und von den Risiken und Chancen für unsere Zukunft in Deutschland zu verbessern.

Mich beeindruckt, wie Fabian Hänle die aktuelle wirtschaftliche Realität mit der Zukunftsvision eines kollektiven Erfolges für das ganze Land verbindet, in der soziale und ökologische Aspekte unserer Wirtschaft den für viele Menschen immer wichtiger werdenden Sinn ergeben. So zeigt er, wie wir als Unternehmen und als Gesellschaft eine bessere Zusammenarbeit schaffen und einen positiven Beitrag für unser soziales Umfeld leisten können – zum Wohle der Menschen, der Wirtschaft und unserer Welt. Als langjähriger und schon in jungen Jahren außergewöhnlich erfolgreicher Geschäftsführer und Berater im deutschen Mittelstand, darunter mehr als acht Jahre in China, besitzt Fabian Hänle äußerst wertvolle Praxiserfahrungen und Netzwerke. Darüber hinaus spricht er fließend Chinesisch und hat durch seine Promotion zu China sowie als weltweit gefragter Dozent und Redner einen für uns in Europa einzigartigen Blick auf das Thema. Und schließlich scheut er sich als kreativer Macher und Vordenker nicht, kritische Themen anzusprechen.

Ich empfehle Ihnen dieses Buch als Orientierung zu einer erfolgreichen Ausrichtung auf die Zukunft, als Inspiration, um neu zu denken, und als spannende Lektüre für unsere wirtschaftliche und persönliche Entwicklung.

Bonn, im Frühjahr 2024

Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Hermann Simon

PROLOG

Mit sieben Koffern in Shanghai

2050. »Für die Schule bekommst du nächstes Jahr eine bessere Brille.« Der Vater tastet nach den Ohrbügeln der Virtual-Reality-Brille seiner Tochter und schiebt sie über ihre Ohren, bis die Brille fest am Gesicht sitzt. Die Kleine klettert auf das Sofa und kuschelt sich neben dem älteren Bruder zwischen ihre Eltern.

»Los geht’s!« Die Mutter startet das Programm des Autofachhändlers und liest vor: »›2050: Willkommen im neuen Auto-Jahrzehnt‹, steht da auf dem Schild. Und wir gehen für unsere Probefahrt jetzt alle zusammen zu den neuesten Modellen«, leitet sie die Kinder an. »Das ist die Tür ganz rechts.« Alle vier wenden die Köpfe ein wenig nach rechts und bewegen die Hände, als ob sie eine Tür aufstoßen. »Den Tesla da vorne, den liebe ich!«, ruft der Vater, »lass uns den gleich mal ausprobieren!« »Juhu, fahren!«, kreischt die Tochter. Doch die Mutter interveniert: »Schatz, lass uns lieber gleich diesen Wagen testen. Der ist von einem deutschen Hersteller – und hat schon die neue Antriebstechnologie aus China, die ist viel nachhaltiger für unsere Umwelt als die der alten E-Autos.«

Dieses Buch handelt davon, warum wir uns vor dem Aufstieg Chinas als innovative Wirtschaftsmacht nicht fürchten müssen, sondern mit umso größerer Entschlossenheit drei Dinge tun sollten, um den Erfolg der deutschen Wirtschaft zu sichern und eine neue goldene Ära zu schaffen: Deutschland strukturell neu auf Vordermann bringen und zukunftsfähig machen, außerdem die Herausforderungen mit China noch zielführender gestalten und verhandeln, während wir darüber hinaus die sich uns durch China bietenden neuen Chancen erkennen und diese mit neuen Strategien und Erfolgsfaktoren zu unserem Vorteil nutzen.

Manchen Leserinnen und Lesern stellt sich die Frage: Warum ein neues Buch zu China? Deshalb möchte ich Sie gleich vorweg beruhigen: Dies ist kein weiteres theoretisches Werk, das sich auf ein staunendes Beschreiben von China beschränkt. Davon gibt es genug. Hier geht es um die praktischen Konsequenzen für Deutschland – und darum, was wir konkret tun können, um neues Wachstum zu schaffen und auch international langfristig mithalten zu können. Dieses Buch kommt aus der Praxis und meinen erlebten Erfahrungen, unter anderem aus acht Jahren in China, aus zahlreichen Gesprächen mit erfolgreichen chinesischen und deutschen Unternehmern, Mittelständlern und Weltmarktführern, Experten und Entscheidungsträgern wie Hermann Simon, Entdecker der »Hidden Champions« und weltweite Beraterlegende, den Sie im Vorwort schon kennengelernt haben, Staatspräsident Emmanuel Macron, Anja Karliczek, Bundesministerin für Bildung und Forschung im Kabinett Merkel, und aus meiner wissenschaftlichen Vor-Ort-Forschung zu diesem Thema, das uns in Deutschland alle etwas angeht.

Denn in unserer heutigen globalisierten Welt sind wir untrennbar mit China verbunden. Wir leben zusammen auf einem Planeten mit endlichen Ressourcen. Ob in der Wirtschaft, im Umweltschutz oder in der Bewältigung von weiteren großen Herausforderungen der Zukunft wie globale Migration, Ernährungssicherheit und Überwindung der Armut – von einer größeren Warte aus betrachtet schreiben wir die Zukunft unserer Existenz gemeinsam. Als einflussreicher Global Player spielt China dabei eine zentrale Rolle. Für viele in Deutschland ist China jedoch vor allem mit vielen Fragezeichen verbunden. Mir selbst ging es vor meiner Entsendung nach China genauso, und sogar nach ein, zwei Jahren im Land war mir noch vieles rätselhaft. Ich stellte mir Fragen wie: »Wie denken die Chinesen wirklich über uns und eine Zusammenarbeit? Wer sind überhaupt ›die Chinesen‹? Sind es Menschen wie du und ich? Gleichgeschaltete Staatsdiener, Hermès tragende, in Privatfliegern durch die Welt jettende Neureiche – oder schlicht mittelständische Familienunternehmer? Wie sind sie privat? Und was in den Medien stimmt eigentlich über China und was nicht?«

Erst nach acht Jahren im Land, als ich fließend Mandarin sprach, sich mir so ein tieferer Zugang zu den Menschen und ihrer Mentalität eröffnete und ich als Geschäftsführer mit beiden Beinen mitten in der wirtschaftlichen Realität und der täglichen Zusammenarbeit mit Chinas Privat- und Staatswirtschaft stand, begann ich China besser zu verstehen. Und erkannte: Vorurteile und Ängste, Unwissenheit und Ressentiments führen zu einer einseitigen Vogel-Strauß-Mentalität, die uns den Blick auf die Realität verstellt und zu falschen Entscheidungen führt. Deshalb ist es so wichtig, sich mit China und seinen Menschen zu befassen, um sie besser zu verstehen. Denn nur so lassen sich die Chancen und Risiken erkennen, die in der Zusammenarbeit und im Wettbewerb mit chinesischen Unternehmen liegen. Die entscheidende Frage ist also: Wie können wir konstruktiv mit Chinas Aufstieg umgehen, die Chancen für uns nutzen, die Risiken managen und neue wirtschaftliche Lösungen für eine erfolgreiche, nachhaltige Zukunft finden?

Aktuelle Bücher zu China lassen sich grob fünf Feldern zuordnen: politische Themen, geschichtliche Werke, Kunst, der Wirtschaftsboom und die Zukunft Chinas, Technik sowie gesellschaftlich-kulturelle Studien. Bei den Wirtschaftstiteln werden meist die besonderen Phänomene beleuchtet: schillernde Unternehmer-Stars wie Jack Ma von Alibaba, Mega-Citys wie Shenzhen oder bekannte chinesische Großkonzerne. Es steht außer Frage, dass dadurch viele wertvolle Erkenntnisse gewonnen wurden. Aber ein entscheidendes Puzzleteil fehlt bisher – und dies ist das Geheimnis für Chinas Erfolg und zugleich eine der größten Herausforderungen und Chancen für Deutschland im 21. Jahrhundert: das innovative Erstarken und die zunehmende Internationalisierung des chinesischen Mittelstands!

Im Schatten von Medienberichten über bekannte chinesische Großkonzerne wie Huawei & Co brummt der Motor der chinesischen Wirtschaft woanders: nämlich durch die innovative Entwicklung und weltweite Expansion des Mittelstands. Auch ich habe dieses wahre Erfolgsgeheimnis der chinesischen Wirtschaft erst in seiner ganzen Tragweite erkannt, als ich selbst mittendrin war. Die tägliche Zusammenarbeit mit Chinas Mittelstand, meine wissenschaftlichen Arbeiten zu dem Thema sowie ein tiefes Eintauchen in die chinesische Kultur und die Denk- und Lebensweise der Menschen ermöglichten mir, zu verstehen, was wir in Deutschland bisher nicht ausreichend erkannt haben. Mehr als 60 Prozent der Wirtschaftsleistung Chinas, 70 Prozent der technologischen Innovationen und – ähnlich wie in Deutschland – etwa zwei Drittel der chinesischen Exporte werden durch den Mittelstand generiert. Und der hat begonnen, die Internationalisierung zu forcieren. Dies hat weitreichende Konsequenzen, gerade für uns in Deutschland: Wir bekommen auf der Weltbühne neuen und unerwartet innovativen Wettbewerb; chinesische Hidden Champions entstehen und drängen in Nischen, von denen wir gewohnt waren, sie aufgrund unserer langen Erfahrung zu »besitzen«. Gleichzeitig bieten sich neue Chancen in der Zusammenarbeit. In Forschung und Entwicklung (F&E) sowie der Wissenschaft können wir in China frühzeitig Trends von morgen erkennen und zu unserem Vorteil nutzen – denn heute beginnen viele Entwicklungen und Innovationen in der Tech-Welt in China und verbreiten sich von dort in alle Welt. Wussten Sie zum Beispiel, dass China in der Forschung in 37 von 44 Schlüssel-Technologiebereichen weltweit führend ist?1 Ob Hyperschall-Flugzeugantriebe, erneuerbare Energien oder Quantenkommunikation und -sensorik – in entscheidenden Zukunftsbranchen ist uns China voraus, und auch darauf werde ich genau eingehen.

Diese großen Konsequenzen für uns in Deutschland, von denen Sie in den einzelnen Kapiteln noch weitere kennenlernen, werden jedoch gravierend übersehen. Auch deshalb haben wir noch keine ausreichenden Lösungen zu Chinas Aufstieg gefunden. Ich habe mich oft gefragt, warum die Entwicklung von Chinas Mittelstand nicht thematisiert wird und die Folgen noch nicht überall in der Wirtschaft diskutiert werden. Ein Grund ist sicherlich, dass das Scheinwerferlicht der medialen Aufmerksamkeit in den letzten Jahren vor allem auf die polarisierenden chinesischen Akquisitionen (M&As), oft von großen Staatskonzernen, gerichtet war, und private Mittelständler in deren Schatten unbemerkt blieben. Auch mag es daran liegen, dass die Recherche zum Mittelstand in China sehr mühsam ist. Die meisten Firmenchefs der ersten Generation sprechen nur Chinesisch. Und darüber hinaus sind die Mittelständler unbekannter und schwerer zu greifen als weltweit bekannte Global Player. Von vielen Mittelständlern in China findet man nirgends im Internet detaillierte Informationen, wie wir es von deutschen Firmen gewöhnt sind.

Wer sind sie also, die chinesischen Mittelständler? Wie ticken die neuen Hidden Champions und Weltmarktführer von morgen und was wollen sie? Und was hat dies mit unserer Zukunft hier in Deutschland zu tun?

Diese Fragen stellte ich mir noch nicht, als ich an einem Septembermorgen im Jahr 2013 vom Aufsetzen der Lufthansa-Maschine in Shanghai geweckt wurde und mit sieben Koffern im Reich der Mitte ankam: Es ging los! Als China-CEO und erster Pionier des Hidden Champions und Weltmarktführers Blickle mit der Aufgabe betraut, die chinesische Tochtergesellschaft von Grund auf aufzubauen, konnte ich nicht ahnen, welche extremen Erfahrungen, überraschenden Wendungen und Erkenntnisse vor mir liegen sollten. Ich war einfach nur aufgeregt, hochmotiviert, voller Vorfreude und offen für Neues. Aber mit 26 Jahren auch noch sehr jung.

Über das nächste Jahrzehnt sollte ich an einigen Herausforderungen erst scheitern, um sie dann zu meistern, in der Einsamkeit einer Bergstadt nahe einem buddhistischen Kloster Chinesisch lernen, den Wirtschaftsboom in all seinen Facetten erleben, eine der größten Umweltkatastrophen in der Geschichte Chinas am eigenen Leib miterleben, tief in die jahrtausendealte Kultur eintauchen, von der Shaolin-Tradition lernen, das Unternehmen vom Start-up mit 30 m2 zu einem der Marktführer in China aufbauen, zu China promovieren, eine unerwartete Einladung eines Staatspräsidenten erhalten und eng mit zahlreichen privaten und staatlichen Mittelständlern zusammenarbeiten – mit oft erstaunlichem Ausgang.

All dies war nur möglich durch die Unterstützung von vielen großartigen Menschen, denen ich sehr dankbar bin. Und auch durch das Glück, zur richtigen Zeit am richtigen Ort gewesen zu sein und die Chancen ergriffen zu haben. Wie Sie sehen werden, handelt das Buch auch von den inspirierenden Persönlichkeiten, von denen ich auf dieser Reise lernen durfte.

Einer dieser wichtigen Menschen ist meine Ehefrau Jia Guo, eine erfolgreiche chinesische Selfmade-Unternehmerin. Ich bin dankbar, viele Jahre das heiligste Fest der Chinesen – das Neujahr – im Inneren ihrer Familie erlebt zu haben und der Kultur so tiefgehend begegnen zu dürfen. Verblüffende Geschichten und besonders wertvolle, authentische Einblicke in die Welt der chinesischen Unternehmer erlebte ich daher auch durch ihr großes Netzwerk aus einer seltenen, anderen Perspektive.

Das Buch in Ihren Händen enthält das Herz all dieser Erfahrungen. Dabei geht es nicht um mich, die erzählten Geschichten sind lediglich ein Medium, um das Wichtigste in die Welt zu tragen: die Botschaften dieses Buches.

Wirtschaftserwachen soll einen neuen konstruktiven Zugang zu China eröffnen und Impulse zu der entscheidenden, zukunftsweisenden Frage geben: Was können wir in Deutschland tun, um unseren wirtschaftlichen Erfolg in den kommenden Jahrzehnten nicht nur zu sichern, sondern zum Wohle aller – der Menschen, der Wirtschaft und des Planeten – auszubauen? Wie können wir dabei mit China konstruktiver umgehen, weil es ohnehin Teil unserer Lebensrealität ist und immer mehr werden wird? Mein Szenario der Familie mit der virtuellen Probefahrt im Kapiteleinstieg und dem Kommentar der Mutter ist keine überzogene Fantasie.

Wie Sie im Verlauf des Buches sehen werden, führen diese Überlegungen letztendlich unweigerlich auch zu uns selbst. Denn die Realität im Jahr 2024 ist: Deutschland steht vor dem Fall vom Weltmeister zum Verlierer. Was wir 2022 beim Fußball in Katar erleben mussten, droht uns auch in der Wirtschaft. Nur ist dies kein Spiel, denn wirtschaftlicher Erfolg bedeutet Arbeitsplätze, Wohlstand, soziale Sicherheit – und das geht uns alle an, egal ob Unternehmer, Handwerker, Politikerin, Pflegekraft oder Lehrerin.

Die Rahmenbedingungen der deutschen Wirtschaft – vor allem für unseren Mittelstand – sind in einem besorgniserregenden Zustand, der nur noch kurze Zeit durch die großen Erfolge der vergangenen Jahrzehnte übertüncht werden kann. Dies ist alarmierend, denn wie in China kommt auch der Wohlstand in Deutschland zu einem großen Teil vom Mittelstand – dem Herzen und der großen Stärke unserer Wirtschaft.

Doch anstatt Tacheles zu reden, die Herausforderungen mutig am Schopf zu packen und politisch mit einer neuen Agenda 2030 beherzt umzusteuern, herrscht in unseren zentralen Ministerien wie auch an den Spitzen der Regierungs- und Oppositionsparteien zu einer umfassenden Reformagenda Stille. Stattdessen treiben wir aus ideologischen Geisteshaltungen heraus teilweise nicht zu Ende gedachte Projekte voran, die Deutschland in den wirtschaftlichen Abstieg führen und zudem tief in die Gesellschaft und Wirtschaft hineinregieren. Verwundert es da wirklich, dass die AfD in Umfragen zu einer der stärksten Kräfte Deutschlands aufgestiegen ist?

Gut 20 Jahre, nachdem The Economist das letzte Mal über ihn berichtete, ist er zurück und zierte 2023 wieder das Cover der August-Ausgabe: Deutschland, der kranke Mann Europas – dargestellt mit einem grünen Berliner Ampelmännchen am Tropf.2 Als einziges europäisches Land der G7 schrumpfte die deutsche Wirtschaft 2023. Durch eine zu große Selbstzufriedenheit, Lethargie und politische Versäumnisse sind wir in vielen Bereichen nicht mehr wettbewerbsfähig oder gar an der Spitze, was etwa die hohen Energiekosten oder die Entwicklung der internationalen Patentanmeldungen pro Land zeigen – Jahr 2003: Nummer eins USA, Nummer zwei Japan, Nummer drei Deutschland versus Jahr 2020: Nummer eins China, Nummer zwei USA, Nummer drei Japan.3

Unterstrichen wird dies von Ray Dalio, einem der renommiertesten amerikanischen Hedgefonds-Manager, der den Aufstieg und Fall von Nationen über Jahrhunderte analysierte: Wenn ein Land seinen Höhepunkt erreicht hat, wird es zunehmend dekadent, verliert an Wohlstand und wird von internen und externen Konflikten in Beschlag genommen4 – Trends, die wir in Deutschland in den letzten Jahren sehen. In Talkshows und Diskussionen wird sich oft stundenlang darüber ereifert, was China und andere alles falsch machen und von uns abschauen. Was fehlt? Jemand, der sich traut, im Saal aufzustehen und zu hinterfragen: »Was wäre, wenn wir auch einmal überlegen, wo wir selbst vielleicht nicht richtig liegen und was wir von anderen lernen können?«

Denn die deutsche Wirtschaft kann mit den USA und China nur mithalten, wenn unsere Rahmenbedingungen in der Bundesrepublik gesund sind. Immer dann, wenn man also von China als Rivalen spricht, sollten wir uns in Deutschland sofort auch an die eigene Nase fassen und uns fitter machen. Chinas Aufstieg spitzt die Herausforderung für uns zwar weiter zu, ist aber nicht die Ursache unserer zunehmenden Probleme, wie uns manche Politiker und Medien glaubhaft machen wollen à la »Die anderen sind schuld und wir haben recht«. Solch populistische Züge dramatisieren die Lage einseitig, verführen zu einem falschen Weg der Konfrontation und lenken die Aufmerksamkeit von eigenen Versäumnissen ab.

Sicherlich ist China kein einfacher Partner und Wettbewerber und, wie Sie im Buch sehen werden, bin ich in mehreren Punkten kritischer Meinung und mache auf noch unerkannte neue Chancen – aber auch Risiken – im Chinageschäft aufmerksam. Diese Perspektive ist für mich möglich, weil ich als haftender Geschäftsführer in China selbst mehr als acht Jahre sowohl für den Gewinn als auch für die Unternehmenssicherheit verantwortlich war. Ich kenne also beide Seiten und neben der Leitung von internationalen Firmenprojekten ist eines meiner heutigen Beratungsfelder die Global- und Chinastrategie, bei der man alle Aspekte berücksichtigen muss, auch die Gefahren. Auch heute sind die Chancen und insbesondere die Risiken ein Dauerthema, wenn meine Partner und ich Entscheidungsträger in DAX-Konzernen sowie bei zahlreichen Mittelständlern und Weltmarkführern beratend begleiten. Wenn wir die Unternehmen nach der ersten Phase »Analyse der Ausgangssituation« und Phase zwei »Entwicklung einer Strategie zur Zielerreichung« dann über Jahre hinweg in Phase drei »Umsetzung in der Praxis« unterstützen und als verlängerter Arm der Geschäftsleitungen mit anpacken, stelle ich im Hinblick auf China immer wieder fest:

Für deutsche Firmen geht es sowohl um Umsatz- und Ertragssteigerungen, Führungskräfteentwicklung und Wachstum in einem schwieriger werdenden, jedoch enorm großen chinesischen Markt – als auch um die Reduzierung von Abhängigkeiten und, was oft übersehen wird, die Risiken beim Management deutscher Firmen in China. In manchen Fällen brennt es und es gilt, Krisen zu lösen. In den meisten Fällen wollen sich Firmen vorausschauend absichern und in Erfahrung bringen, wo es bei ihnen verborgene Potenziale und Chancen, aber auch Schwachstellen oder Risiken gibt und was man konkret in der Praxis tun kann. Dies ist oft überlebenswichtig für die Firmen und gehört zu einer soliden strategischen Ausrichtung. Denn wir sollten im Umgang mit China nicht naiv oder blind sein. Es gibt Herausforderungen, die wir ernst nehmen müssen. Auch spreche ich mich entschieden gegen zu große Abhängigkeiten in wichtigen Bereichen aus und würde als Regierung in der Sache sogar noch härter, jedoch auf eine andere Art mit China verhandeln.

Doch ich warne auch vor zu großer Einseitigkeit in die andere Richtung, denn dies kann zu schwerwiegenden strategischen Fehlern führen, die nicht so schnell korrigierbar sind. Aktuell droht zum Beispiel die Gefahr, dass wir eine historische Chance und neue Verhandlungspotenziale mit China verpassen sowie den Anschluss zum »Globalen Süden« verlieren, der schon heute den Großteil der weltweiten Wirtschaftsleistung und Bevölkerung stellt und den ich Ihnen im Buch noch genauer vorstellen werde. Viele Jahre wurden die Chinageschäfte in Deutschland über den grünen Klee gelobt. Wir haben sehr davon profitiert, doch es fehlte eine kritische, vorausschauende Sichtweise. Heute ist es umgekehrt: Es wird politisch über die Probleme geredet, aber nicht darüber, was es die deutsche Wirtschaft kosten würde, wenn wir uns von China – unserem weltweit größten Handelspartner der letzten acht Jahre – durch zu viel De-Coupling und De-Risking abwenden würden. Wie bei der Energiewende wird von oben eine Richtung eingeschlagen, ohne die Bevölkerung über die langfristigen Konsequenzen wie zum Beispiel noch höhere Kosten und eine hohe Inflation zu informieren.

Auch folgender Fakt zeigt die in den letzten Jahren zunehmende Differenz zwischen Politik und wirtschaftlicher Realität in Deutschland: Während es aus dem politischen Berlin seit Monaten heißt, lieber in anderen Ländern als in China Fabriken aufzubauen, zeigen die Entscheidungen der Unternehmen und die Zahlen ein anderes Bild. So sind im Jahr 2023 die deutschen Direktinvestitionen in China auf ein Rekordniveau von 11,9 Milliarden Euro gestiegen. »Das ist ein neuer Höchstwert – nach ohnehin schon hohen Werten in den beiden Vorjahren«, so Jürgen Matthes vom Institut der Deutschen Wirtschaft (IW). Allein von 2021 bis 2023 hätten deutsche Firmen damit genauso viel neu in China investiert wie in den Jahren 2015 bis 2020.5 Darunter sind auch zahlreiche Mittelständler. Allein in der Stadt Taicang nahe Shanghai stieg die Anzahl deutscher Firmen im Jahr 2023 um 25 auf heute mehr als 500 an.6 Und diese Unternehmen, viele davon führend auf den Weltmärkten, wägen genau ab und treffen solche Entscheidungen ja nicht ohne Grund.

Wovon wir in Deutschland am meisten profitieren, ist eine differenzierte Sichtweise und kritische Ausgewogenheit in der Betrachtung: beide Seiten der Medaille – die Herausforderungen und die Vorteile in der Zusammenarbeit – im Blick zu haben. Die Risiken mit Weitblick abzusichern und die Chancen für uns zu nutzen. Dazu muss man mit China nicht in allem einer Meinung sein, aber man muss verstehen, mit wem man es zu tun hat.

Hermann Simon wird, wie Sie bereits erfahren haben, weit über Deutschland hinaus als Autorität respektiert. Durch seine Stationen als Professor in den USA (Harvard, Stanford, MIT), Frankreich (INSEAD), England (London Business School) und Japan (Keio-Universität) sowie durch seine langjährige Rolle als CEO im von ihm aufgebauten Weltmarktführer in Preisberatung hat er einen besonders kompetenten Überblick auf unser Weltgeschehen und folgert dementsprechend immens weitreichend: »Das gegenseitige Verständnis zwischen China und Europa oder dem Westen im Allgemeinen ist entscheidend für eine gute Entwicklung der Welt in der Zukunft.«7

Neben tiefen Einblicken in Mentalität, Ziele und Visionen des chinesischen Mittelstands werden wir im Verlauf des Buches auch erkennen, warum die meisten Baustellen unserer Zukunft bei uns selbst liegen. Diese brisante Gesamtlage – das beschädigte deutsche Wirtschaftsmodell und der Aufstieg Chinas mit all seinen Risiken und Möglichkeiten – kann aber auch die Chance für dringend benötigte Veränderungen in Deutschland sein, wenn wir jetzt aus unserem Dornröschenschlaf erwachen, die richtigen Rückschlüsse ziehen und mutig handeln.

Mein Plädoyer: Wir müssen mit China zielführender umgehen und besser verhandeln als bislang, vor allem aber brauchen wir neue Ansätze für die eigene Stärkung und die positive Weiterentwicklung Deutschlands. Eine Vision, mit der wir aus dem kurzfristigen Krisenmodus der letzten Jahre heraustreten, uns selbst reflektieren, unser Land wieder strukturell auf Vordermann bringen und so neues Wachstum ermöglichen.

Denn nur wenn wir wirtschaftlich erfolgreich bleiben, können wir aus der Stärke heraus handeln und – wie im Flugzeug bei einem Notfall – zuerst uns selbst und dann auch anderen effektiv helfen. Nur so werden die großen Player wie China, die USA, Brasilien, die Afrikanische Union oder Indien uns als geografisch kleinem Land auch in Zukunft noch zuhören. Nur so können wir auch in Nachhaltigkeit und Umweltschutz neue Lösungen entwickeln – nicht aus der Angst heraus oder indem wir mit erhobenem Zeigefinger andere kritisieren, sondern indem wir darin erfolgreich sind, neue Lösungen und Werte sozialverträglich bei uns umzusetzen und sie zu leben. Das ist »Leading by Example« in der Praxis, und damit erreichen wir etwas in der Welt.

Dies liegt mir am Herzen, denn ich liebe Deutschland und die verschiedenen Kulturen und Menschen Europas und ich bin von unserem großen, bei Weitem noch nicht ausgeschöpften Potenzial tief überzeugt.

Meine Vision für Deutschland ist deshalb: Erfolgreich zu sein und zu bleiben, aus der Stärke heraus zu agieren und zu führen, mit einem guten, respektvollen Umgang miteinander – mit uns selbst, mit anderen und mit unserer Erde! Dafür liefert dieses Buch neue Erfolgsfaktoren und Potenziale für die deutsche Wirtschaft – insbesondere für den Mittelstand – mit China.

Die folgenden Kapitel nehmen Sie mit auf eine Reise ins Reich der Mitte und zurück. Anhand praktischer Fälle und erlebter Geschichten zeigen sie, welche Risiken und Chancen vor uns liegen und wie wir damit als Unternehmen, Mitarbeitende und Menschen erfolgreich umgehen können – gerade in Zeiten der Veränderung.

Ich wünsche Ihnen eine interessante, inspirierende Lektüre.

Ihr Fabian Hänle

Frankfurt, im Frühjahr 2024

TEIL I

Der chinesische Mittelstand: Wie sie ticken, was sie vorhaben

Wer die Auswirkungen der chinesischen Globalisierung verstehen will, muss ihre Herkunft kennen. Der folgende Teil beschreibt deshalb zunächst, wer Chinas Mittelständler sind, wie sie denken und was sie vorhaben. Dabei zeigt sich, dass wir in Deutschland bereits weit mehr mit unseren chinesischen Pendants verbunden sind als gedacht. Lehnen Sie sich also zurück für ein Kennenlernen. Sie werden erstaunt sein.

KAPITEL 1

Chinas Erfolgsgeheimnis auf der Spur – ein erstes Porträt

Voll in Fahrt steht er vom Tisch auf und ruft: »Das ist unsere Zukunft!«

41° 48‘ 0‘‘ Nord, 123° 27‘ 0‘‘ Ost

Shenyang, Nordchina

29. Januar 2021

Ich spüre meine Hände nicht mehr. »Minus 26 Grad Celsius«, antwortet unser Vertriebsdirektor Qian grinsend, als ich einen Kommentar zum Wetter mache, während wir die BMW-Werke in Shenyang durchqueren. Wir sind seit Stunden unterwegs, durchschreiten hochmoderne Fertigungshallen und im verschneiten Außenbereich ganze Areale, die an Kleinstädte erinnern. An drei Standorten in Shenyang – Dadong, Tiexi und neuerdings Lydia – fertigt der bayerische Autobauer mit dem Joint-Venture BMW-Brilliance. Das ist der weltweit volumenstärkste Standort.1 Seit acht Jahren bin ich inzwischen in China, spreche flüssig Mandarin und mit meinem Team haben wir etwas erreicht, was uns angesichts von mehr als 3314 lokalen Wettbewerbern unserer Branche nur wenige in so kurzer Zeit zugetraut hatten: als deutscher Mittelständler zu einem der anerkannten Marktführer in China zu werden.

Heute sind wir wieder eingeladen von der Abteilung für Intralogistik, dem Herzen aller innerbetrieblichen Abläufe vom Materialzufluss bis hin zu Anlagen für Montagelinien, an denen die fertigen Autos später vom Band laufen. Führungskräfte von BMW begleiten uns gemeinsam mit dem technischen Leiter unseres Partners vor Ort – ein lokaler Mittelständler aus Nordchina. Nach der Bestätigung aller wichtigen technischen Parameter, die wir für ein passgenaues Konzept diskutiert haben, geht es weiter zum Hauptsitz unseres Partners. Der Firmengründer und Seniorchef Wang lädt zur Verhandlung. Wir fahren auf breiten Straßen, an deren Rändern sich die Schneemauern meterhoch auftürmen, durch menschenleere Landschaften. Es ist still in dem dunkelgrauen BMW-Wagen älteren Baujahrs. Während ich über das gigantische Wachstum und die Zukunft des chinesischen Marktes sinniere, kommt der Wagen vor einem unscheinbaren Gebäude in U-Form zum Stehen. Die hohen, aus dunkelroten Backsteinen gemauerten Hallen erinnern mich an Industriebauten aus den deutschen 1970er-Jahren. Vor uns sind die Wände und Dächer jedoch durch den Lauf der Zeit und vom Ruß in der Luft – in Shenyang wird im Winter noch viel mit Kohle geheizt – schwarz gefärbt. Man würde nicht vermuten, hier einen wichtigen Zulieferer für eine der Premium-Automobilmarken der Welt zu finden.

Die Türe im Besprechungsraum springt auf, als wir uns gerade an einer heißen Tasse erdig duftendem Pu-Erh-Schwarztee die Hände wärmen, und Seniorchef Wang betritt schwungvoll die Szene. Er begrüßt uns mit einem breiten Lächeln und schüttelt jedem von uns ausgiebig die Hände, und während er geübt zu einer Vorstellung seiner Firma überleitet, mustere ich ihn genau:

Anfang bis Mitte 60, kurze graue Haare und eine kleine, runde und randlose Brille. Dazu ein Anzug in klassisch englischem Schnitt aus anthrazitgrauem Stoff, kombiniert mit Weste und einer braunen Krawatte mit dunkelblauen Punkten. Eindeutig ein Typ Gentleman. Er hat einen warmen, hellwachen Blick und offensichtlich auch einen ebenso wachen Verstand. Wie er erzählt, beginnt er seine Tage pünktlich um fünf Uhr, ist Patriot, der sein Land liebt, und obwohl er nur Chinesisch spricht, scheut er sich trotzdem nicht, in die Welt zu reisen und über den Tellerrand zu schauen.

Als wir dann gemeinsam das Projekt im Detail durchsprechen, während die durch die Fenster scheinende Sonne langsam verschwindet, resümiert Herr Wang: »Lieber Herr Hänle, ich bin sehr froh, dass Sie diesen weiten Weg hierhergekommen sind. Wenn ich bedenke, was ich in den letzten Monaten von meinen Mitarbeitern und Kontakten bei BMW über Ihre Arbeit höre, bei der Sie sich für kein Detail zu schade sind, muss ich sagen: Es ist selten, dass ich einen angestellten Geschäftsführer treffe, der sich so für sein Unternehmen einsetzt und es führt, als wenn es sein eigenes wäre. Für uns beide ist es ein großes Projekt und heute ein wichtiger Fortschritt. Lassen Sie uns auch weiter in die gleiche Richtung gehen.« Da wird mir schlagartig klar, dass hier noch gar nichts entschieden ist und es noch ein langer Abend wird. Denn in dem Kontext unseres Gesprächs heißt dies wirklich: »So kommen wir nicht ins Geschäft.«

Kurz blicke ich aus den Augenwinkeln zu meinem Vertriebsdirektor Qian, er versteht meinen skeptischen Blick und nickt kaum wahrnehmbar. Doch genug für mich, um zu wissen, dass ich die Alarmzeichen richtig deute: Herr Wang schätzt es in der Tat, mit uns zu arbeiten. Implizit bedeutet der letzte Teil seines Satzes im Kontext dieser spezifischen Situation aber, dass er das Gefühl hat, dass wir gerade nicht in die gleiche Richtung gehen.

Während wir es in Deutschland gewohnt sind, direkt und wörtlich zu sagen, was wir meinen, kommuniziert man in China oder Japan eher indirekt und verlässt sich darauf, dass der Empfänger zwischen den Zeilen liest und die Botschaft richtig interpretiert. In einer solchen High-Context-Kultur beruht eine angemessene Kommunikation meist auf intuitiven Annahmen, die auf einem gemeinsamen Wissen und Kontext basieren. Sprich, je nach deutscher oder chinesischer Perspektive können wir unter der gleichen Aussage komplett unterschiedliche Dinge verstehen. Während mir dies durch den Kopf geht, frage ich mich, wie oft es wohl solche Missverständnisse in der Wirtschaft und Politik gibt, die zu falschen Reaktionen führen. Denn zum einen gleicht keine Interaktion der anderen und zum anderen gibt es auch Chinesen, die zum Beispiel aufgrund ihrer Erfahrungen im Ausland auf einmal überraschend direkt kommunizieren. Es braucht also für jede Situation das richtige Feingefühl, um zu sondieren, woran man eigentlich ist, und um die Lage stimmig zu interpretieren. Was ich wohl selbst alles übersehen habe, gerade am Anfang meiner Zeit in China, frage ich mich weiter und mir wird fast schwindelig dabei.

Doch heute kann ich auf meine langjährige Erfahrung zurückgreifen und erinnere mich an einen chinesischen Großunternehmer aus Singapur, der mir sagte, dass ich für einen Ausländer viel erspüre und durch meine offene, verbindliche Art Menschen sehr gut erreichen könne. So ermutigt, meiner Intuition zu vertrauen, und entschlossen, das Projekt doch noch zu gewinnen, überlege ich auf Hochtouren: Wo könnte Herr Wang Zweifel haben?

Denn mir ist klar: Viel Zeit bleibt nicht mehr, da die letzte Angebotsrunde an unseren gemeinsamen Endkunden BMW-Brilliance kurz bevorsteht und ich eine Einigung mit Herrn Wang finden muss, da er ansonsten einen anderen Lieferanten wählen wird. Um zu erfahren, woran genau es liegt, schneide ich im weiteren Gespräch nochmals alle Aspekte des Projektes an und bitte ihn, zusammenfassend zu beschreiben, wo er den größten Handlungsbedarf sieht. Die technische Lösung, unsere Beratung sowie die zugesagte Garantie erwähnt er gar nicht – ein gutes Zeichen. Jedoch spricht er über noch schnellere Lieferzeiten und nach kurzem Zögern über das Preislevel des Projektes und aggressive Wettbewerber.

Hier werde ich stutzig, denn ich habe die Erfahrung gemacht, dass es unter Chinesen üblich ist, Themen, die uns Menschen wirklich tief beschäftigen, nicht als Erstes, sondern oft als Letztes in Verhandlungen zu nennen. Über unsere angebotenen Preise an Herrn Wangs Unternehmen haben wir jedoch ausführlich gesprochen. Und natürlich hat er als Inhaber, nachdem Wochen zuvor bereits sein Projekt- und anschließend der Einkaufsleiter mit uns verhandelt haben, nochmals final einen Preisnachlass gefordert. Einen solchen »Chef-Rabatt« haben wir in Voraussicht auch in unserer Kalkulation eingeplant und so denke ich, dass Herr Wang mit unseren finalen Preisen arbeiten könne, insbesondere da er sich mit unserer technischen Lösung und Beratung sehr zufrieden zeigt.

»Lieber Herr Wang«, beginne ich, sehr auf meine chinesischen Worte bedacht, »durch Ihre langjährige Erfahrung und Ihre Kontakte verstehen Sie die Gesamtsituation hier in Shenyang am besten. Können Sie mir bitte helfen, die Preislevel der Mitbewerber noch besser zu verstehen? Vielleicht so, wie Sie es einem Freund erzählen würden, dem daran liegt, Sie zu unterstützen.« Über den hellgrauen Besprechungstisch hinweg schaue ich ihm in die Augen, während ich innerlich hoffe, dass auch er sich öffnet.

Ich beobachte, wie sich die kleine Falte zwischen seinen Augenbrauen knapp über dem Gestell seiner Brille nach und nach glättet und seine Schultern ein paar Millimeter absacken. Er entspannt sich. Dann fängt er an zu erzählen: von den chinesischen Wettbewerbern, die uns mit deutlich günstigeren Lösungen verdrängen wollen, und von sich als einzigem OEM (Original Equipment Manufacturer), der darauf setzt, unsere höherwertigen Lösungen in sein Endprodukt zu integrieren. Ich frage weiter nach, was denn hier seine allergrößte Sorge sei, und nun treffen wir den entscheidenden Punkt: Herr Wang erklärt, dass er zwar unsere Preise akzeptieren könne. Jedoch würde sich so ihr Gesamtangebot an den Endkunden deutlich erhöhen. In der letzten Angebotsrunde müsse jeder der OEM-Bewerber zur gleichen Zeit online den finalen Paketpreis abgeben und Herr Wang befürchtet, dass seine Firma so das Geschäft auf Jahre hinaus verlieren könnte.

Eine berechtigte Sorge, denke ich mir, vor allem, wenn man sich in seine Lage versetzt und weiß, dass bei solchen Ausschreibungen oft Anbieter mit dem günstigsten, aber nicht unbedingt leistungsstärksten Angebot gewählt werden. Doch angesichts des sehr niedrigen Preisniveaus antworte ich ihm, dass wir als innovativer Hersteller hier nicht mithalten können und wollen. Jedoch, so fahre ich fort, könnten wir ihm auf andere Weise helfen. Gespannt schaut er mich an und lehnt sich nach vorne auf den Tisch. »Herr Wang, Sie können uns als Lieferant wählen und haben eine realistische Chance, auch mit einem höheren Gesamtpreis zu gewinnen«, sage ich ihm und setze hinzu: »Sie können mir vertrauen, und ich werde Ihnen gleich genau erklären, warum.«

Herr Wang ist sichtlich überrascht von dieser gewagten Aussage, doch sie kommt nicht von ungefähr. Denn durch meinen direkten Kundenkontakt, den ich auch als China-Chef immer pflegte und im ganzen Land zu Besuch bei Endkunden, OEMs und Distributoren war, spüre ich: Wir haben in diesem Projekt die Probleme und Bedürfnisse unseres Endkunden tiefgehend erfasst, darauf basierend technische Lösungen und Services entwickelt, die uns ein Alleinstellungsmerkmal (Unique Selling Point) gegenüber dem Wettbewerb verschaffen – und besonders wichtig: Wir haben diese so präsentiert, dass der Endkunde genau verstanden hat, was es ihm an Vorteilen bringt und dass es sich deshalb also lohnen kann, etwas mehr Geld auszugeben und unser Angebot zu wählen.

Diese Vorarbeit und der Fokus auf den Mehrwert für den Kunden, das sogenannte Value-Selling, welches wir über Monate bei unserem Endkunden in Shenyang geleistet haben, ist also auch in diesem Fall wieder Gold wert, denke ich erleichtert. Meine Erinnerung geht ein paar Jahre zurück und ich bin froh, diesen Ansatz in meinem Unternehmen systematisch durch alle Vertriebsebenen und Regionen hindurch implementiert, trainiert und verbessert zu haben – denn dies ist einer der wichtigsten Erfolgsfaktoren für deutsche Firmen in China, die technisch hochwertige, erklärungsbedürftige Produkte fertigen. Chinesische Einkäufer stellen nämlich zunehmend kritische Fragen wie: »Nur weil Sie eine deutsche Firma sind, heißt das heutzutage nicht mehr, dass Sie auch das beste Preis-Leistungs-Verhältnis haben. Lokale Lieferanten sind oft schneller und bieten uns sogar die gleiche Garantie. Warum sollten wir also ihr teureres Angebot wählen?« Verweise auf die hohe deutsche Qualität allein reichen hier oft nicht mehr, man muss schon ganz genau aufzeigen, welche Vorteile man dem Kunden konkret liefern kann. Erfolgreiches technisches Value-Selling zeigt sich dann daran, dass man vom Endkunden spezifiziert wird, das heißt, als einer der präferierten Lieferanten vorgeschlagen oder im besten Fall als einziger Lieferant festgelegt wird. Während dies für deutsche Innovationsführer generell wichtig ist, spielt es auf dem preissensitiven chinesischen Markt eine Schlüsselrolle, da hier die Preisunterschiede oft noch größer sind als in anderen Ländern. Die Vertriebsarbeit kann dabei in China komplett anders aussehen als im Rest der Welt. Einer der in China am häufigsten begangenen Fehler, den ich am Anfang meiner Zeit dort selbst machte, ist, von unserem deutschen Denken und von den Vorgehensweisen, Produkten und Strategien auszugehen, von denen wir gewohnt sind, dass sie »weltweit« funktionieren.

Aus bitteren Fehlschlägen lernte ich: In China spielt einfach eine andere Musik und um diese richtig zu deuten, braucht es eine entscheidende Erfolgskombination, mit der alles steht und fällt: ein tiefgehendes Verständnis von Mentalität, Kultur und Markt – sowie die Fähigkeit, zwischen Deutschland und China zu vermitteln (dazu im Praxisteil II mehr).

Vor diesem Hintergrund ahne ich, dass ich in dem Projekt preislich standhaft bleiben kann, denn, und das ist meine feste Überzeugung, die ich an mein chinesisches Vertriebsteam übertragen konnte: Verkauf beginnt dann, wenn der Kunde Nein sagt – und eine Firma muss gesunde Margen und Gewinne machen, nur so kann sie auch in Krisenzeiten Verantwortung für ihre Mitarbeitenden und ihre Region tragen, von Banken möglichst unabhängig sein, neue Arbeitsplätze schaffen, in Innovation, Forschung und Nachhaltigkeit investieren und so zukunftsfähig bleiben. Als wir Herrn Wang mehrere solcher Grundsätze und Details unserer Arbeit beim Endkunden preisgeben, beginnt es in ihm zu arbeiten. Denn wir beide spüren genau: Was auf den ersten Blick wie ein Preisproblem erschien, ist in Wahrheit und am Ende des Tages vor allem eine große Vertrauensfrage.

Wenn Herr Wang sich auf meine Aussage verlässt und sie zutrifft, hebt er sich positiv vom Wettbewerb ab und wir können gemeinsam ein großes Projekt auf Jahre hinaus gewinnen. Wenn ich jedoch falsch liege, wird er aller Voraussicht nach das Geschäft und einen seiner wichtigsten Kunden ebenfalls auf Jahre hinaus verlieren. Und so kommt es, dass Herr Wang uns näher kennenlernen möchte und uns zur Fortsetzung unseres Gesprächs zu einem typisch chinesischen Business-Dinner einlädt.

Solch ein geschäftliches Abendessen ist eine Kunst und eine Welt für sich, von der ich zu Beginn meiner Zeit in China nicht wirklich viel verstand. Natürlich hatte ich mich vorbereitet, hatte mehrere Geschäftsreisen in Asien und China hinter mir, interkulturelle Ratgeber gelesen und schon in Deutschland begonnen, die Sprache zu lernen. Die Realität in China war dann aber weitaus komplexer und vor allem nuancenreicher, als ich mir vorstellen konnte oder gelesen hatte. Insbesondere als mein Chinesisch so weit war, dass auch geschäftliche Termine vollständig auf Mandarin stattfinden konnten, eröffnete sich ein vollkommen neuer Zugang. Ich war zutiefst von der Bedeutsamkeit, der Tiefe und den vielen Details, Motiven und Überlegungen in den chinesischen Guanxi (关系, Beziehungsnetzwerke) erstaunt, die immer weiter zunehmen und komplizierter werden, je höher die wirtschaftlichen und politischen Sphären reichen. Davon werde ich später noch ausführlicher erzählen, denn die kunstvoll gewobenen sozialen Netzwerke zählen zu den wichtigsten Schlüsseln von Chinas Erfolg.

Als wir abends im Restaurant in der Stadtmitte von Shenyang eintreffen, werden wir zu einem vorab reservierten privaten Raum geführt, was für besondere Anlässe üblich ist. Was man in China vorher oft nicht genau weiß, ist, wer noch an den Essen teilnimmt. Mehrmals wurde ich von weiteren Gästen überrascht, darunter Geschäftspartner oder auch Parteisekretäre. Ich erinnere mich noch gut an ein Abendessen mit dem Bürgermeister einer 5-Millionen-Einwohner-Stadt, bei dem wir im kleinen Kreis mit seiner Familie begannen und später auf einmal Geschäftsleute sowie hochrangige Mitglieder der lokalen Kommunistischen Partei auftauchten. Das Besondere in China ist, dass nicht die Bürgermeister einer Stadt oder die Gouverneure der Provinzen, sondern stets die jeweiligen Parteisekretäre das letzte Wort und damit die Macht haben.

Doch heute, so scheint es, sind wir unter uns. Herr Wang führt mich als seinen Gast zum Ehrenplatz am runden Tisch, gekennzeichnet durch eine Serviette, die kunstvoll in Form eines Pfauenfächers in einem Weinglas drapiert ist. Kurz bin ich mir unsicher: Kann ich diesen Ehrenplatz annehmen? Dann fällt mir aber ein: Aufgrund der chinesischen Gepflogenheiten und gleich mehrerer Faktoren – Alter, Beziehungsstatus, Hierarchie, meine Ziele – ist es hier angemessen, mit viel Dank und betont respektvoll abzulehnen. Es folgt eine längere Verhandlung, bei der es als Teil der Etikette hin und her geht. Wenn hier eine der Parteien sofort akzeptieren und sich auf den Platz setzen würde, wäre dies sehr unhöflich – es sei denn, es gibt zum Beispiel große hierarchische Unterschiede. Letztlich gelingt es, Herrn Wang in seiner Seniorrolle und als Organisator unseres abendlichen Zusammenkommens herauszustellen und, nur leicht an einem kleinen Lächeln in seinem Gesicht erkennbar, setzt er sich zufrieden auf den Ehrenplatz.

Es wird gut gegessen und 53-prozentiger Maotai (茅台) serviert.2 Die aus roter Hirse (Sorghum), Weizen und weiterem Getreide nach jahrtausendealter Tradition destillierte Spirituose gilt als Chinas Staats-Schnaps der gehobenen Klasse. Als eine der beliebtesten Baijiu-Marken wird Maotai sowohl bei geschäftlichen, privaten als auch politischen Anlässen als »soziales Bindungsmittel« getrunken. Wie französischer Champagner aus der Champagne kommen muss, darf auch Maotai nur aus einer Gegend kommen: In einem Flusstal im kleinen Städtchen Maotai im südchinesischen Guizhou stellt die Kweichow Moutai Co., Ltd. Chinas legendären Schnaps in einem einjährigen Prozess unter Berücksichtigung des chinesischem Mondkalenders her, bei dem traditionell in mit Lehm ausgekleideten Erdlöchern fermentiert, mehrfach mit Dampf destilliert und das finale Destillat für mindestens drei bis vier Jahre in großen Tongefäßen gelagert wird, sodass es bis zu seiner Abfüllung »atmen« kann. In China genießt Maotai Kultstatus.

Wir kommen auf den früheren chinesischen Premierminister und Chefdiplomaten Zhou Enlai zu sprechen, der Maotai als »Wunderelixier der Außenpolitik« bezeichnete. Ich halte mich mit dem Genuss zurück, versuche dafür die gute Stimmung weiter zu fördern, indem ich die von Henry Kissinger überlieferte Anekdote aus den 1970er-Jahren erzähle, als Maotai fast das Weiße Haus abgebrannt hätte. In seiner damaligen Rolle als Nationaler Sicherheitsberater fädelte Kissinger die historische Aussöhnung zwischen den USA und China ein: Zum ersten Mal seit der Gründung im Jahr 1949 besuchte mit Richard Nixon 1972 ein Präsident der Vereinigten Staaten die Volksrepublik. Beim Staatsbankett in der Großen Halle des Volkes in Peking, das Premier Zhou zu Ehren des historischen Besuches der US-Delegation unter Präsident Nixon gab, hatte Zhou die Brennbarkeit von Maotai demonstriert und Nixon zwei Flaschen als Präsent überreicht.

»Nixon wollte nach seiner Heimkehr in Washington seiner Tochter Tricia zeigen, wie hochprozentig der Maotai war«, erzähle ich weiter. »Er goss den Inhalt einer Flasche in eine Schüssel und hielt ein brennendes Streichholz darüber. Mit einem Knall zersprang die Schüssel und der brennende Alkohol floss über den ganzen Tisch. Der Feueralarm im Weißen Haus ging los und nur mit vereinten Kräften gelang es der Familie, den Brand zu löschen und eine nationale Tragödie zu verhindern. Noch Jahre später wurde über diese Geschichte bei amerikanisch-chinesischen Regierungstreffen gemeinsam gelacht.«3 Herr Wang und sein Führungsteam lachen nun ebenfalls herzlich, das Eis ist gebrochen und wir kommen uns näher. Nun interessiert mich die Geschichte der Familie Wang. Und so frage ich Herrn Wang, der direkt neben mir sitzt, wie es zur Firmengründung kam und was eigentlich seine Vision für sein Unternehmen und China sei. Auf einmal wird er ruhig, nachdenklich. Alle am Tisch spüren, wie ihn diese Frage berührt.

Nach einem langen Schweigen beginnt er mit leiser Stimme zu erzählen. Von der Zeit früher, als sie fast nichts hatten. Als sie im harten Winter Nordchinas froh sein mussten, wenn sie genug Chinakohl neben ihrem zum Heizen und Kochen überlebenswichtigen Kohlevorrat lagern konnten. Viele Jahre waren geprägt von tiefer Unsicherheit, Armut und Zweifeln. »Ich weiß, das ist für euch im Westen, wo ihr alles habt, schwer zu verstehen«, flüstert er fast, »aber da, wo wir herkommen, wo wir jetzt sind, das ist eine Mentalität, eine Energie, dass wir es auch verdient haben, innovativ und erfolgreich zu sein, einen Platz an der Sonne zu haben. Der Welt wieder zu zeigen, was wir in China als Familienunternehmen beitragen können.«

Nun kommt er in Schwung und ich sehe zwei funkelnde Augen, die sich tief mit Leidenschaft und Energie füllen. Ich nehme seine starke Körperanspannung wahr und denke, gleich springt er auf. Dann fährt er fort: »Hier haben wir unsere Wurzeln, in Shenyang und Changchun. Und darauf bauen wir auf, lieber ruhig als mit Getöse. Vor Kurzem war ich in den USA, wo wir ein R&D-Center und eine Produktion für moderne Fertigungsautomatisierung eröffnet haben.« Auf seinem Huawei-Handy zeigt er mir ein Bild aus den USA von ihm und Cao Dewang, Inhaber von Fuyao Glass, einem der größten Produzenten von Float- und Autoglas der Welt.4 Voll in Fahrt steht er vom Tisch auf und ruft mit nun lauter Stimme:

»Das ist unsere Vision, unsere Zukunft! Aus der Asche stehen wir auf, immer wieder und wieder, Fuyao ist ein Vorbild und wir gehen jetzt auch global! Ganbei (干杯, Cheers) auf unsere Freundschaft! Ganbei auf China und Deutschland!«

Mittelständler »Made in China« – das Herz der Wirtschaft

Willkommen in der Welt der chinesischen Mittelständler. Mit dieser Begebenheit, die mich damals tief beeindruckt hat und mit dem Gewinn des Projektes ein gutes Ende fand, werden gleich mehrere Eigenschaften des Mittelstands deutlich: zum Beispiel seine visionäre, aufstrebende Mentalität, eine zunehmend innovative und globale Ausrichtung sowie eine große Bodenhaftung und die bewusste Zurückhaltung bei Statussymbolen. Viele Firmeninhaber, die ich über die Jahre getroffen habe, fahren zum Beispiel absichtlich ältere Wagen und wollen nicht im Scheinwerferlicht stehen, sondern einfach »ihr Ding« machen. Dies steht im grellen Kontrast zu dem Bild von chinesischen Unternehmern und Milliardären, welches wir in Europa teils haben – den Investoren, die in Südfrankreich Weingüter inklusive der dazugehörigen Weinberge kaufen, Fußballclubs ummodeln oder sich wie Geely-Chef Li Shufu mit 10 Prozent am schwäbischen Vorzeigeunternehmen Daimler beteiligen.5

In der Tat gibt es diese Fälle. Auf die breite Masse gesehen sind solche extremen Phänomene und Charaktere jedoch eher die Seltenheit. Das Gros der chinesischen Mittelständler finden wir nicht in gläsernen Wolkenkratzern in Shanghai oder in repräsentativen Firmenzentralen wie in Deutschland, sondern in unscheinbaren Gebäuden in noch unscheinbareren, ländlichen Gegenden über ganz China verteilt. Von dort beliefern sie Weltmarktführer und Konzerne, häufig unbemerkt von Medien und Öffentlichkeit.

So wie es in China sehr viele Kontraste gibt, so ist auch der Mittelstand divers. Es gibt den sehr starken, etablierten industriellen Sektor, zu dem wir Herrn Wang als Seniorchef und Firmengründer der ersten Generation als einen typischen Vertreter zählen können. Gleichzeitig gibt es im industriellen Bereich aber auch sehr viele innovative Start-ups6, insbesondere in neueren Technologien, wie zum Beispiel in Fahrerlosen Transportsystemen (FTS), Drohnentechnik sowie die Zulieferer oder Hersteller von New Energy Vehicles (NEV), wie in China E-Autos genannt werden.7 Und darüber hinaus spielt die digitale Wirtschaft, insbesondere in hochinnovativen Clustern wie Shenzhen und im Feld der »Consumer Digitalization«, eine weltweit führende Rolle.8 Im digitalen Bereich geben häufig jüngere Gründer die Impulse und viele Firmen hier unterscheiden sich deshalb von Unternehmen wie denen von Herrn Wang oder Herrn Cao von Fuyao Glass.

So unterschiedlich die chinesischen Mittelständler also einerseits sind, so eint sie ihre Schlüsselrolle für den wirtschaftlichen Erfolg Chinas. Mit ihrem Beitrag von mehr als 50 Prozent zu Chinas Steuereinnahmen, mehr als 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, mehr als 70 Prozent der technologischen Innovationen und 80 Prozent der Arbeitsplätze tragen sie entscheidend zum Wirtschaftswachstum und zur sozialen Entwicklung bei.9101112 Chinesische Experten bezeichnen sie als das Rückgrat ihrer Wirtschaft.13

Und wie sieht es aus, wenn wir den Blick auf den Handel mit der Welt richten? Im Jahr 2022 exportierte China Güter im Wert von rund 3,59 Billionen US-Dollar und ist damit mit großem Abstand vor den USA (2,06 Billionen US-Dollar) und Deutschland (1,65 Billionen US-Dollar) Exportweltmeister.14 Rund zwei Drittel dieser Exporte werden von mittelständischen Unternehmen generiert.1516 Auch hier spielen sie also die entscheidende Rolle! Schauen wir sie uns also noch genauer an, um herauszufinden, wie sie ticken. Und da ist zuerst einmal interessant, wer überhaupt alles dazugehört.

Wer zählt eigentlich zum Mittelstand?

Je nach Land und Abgrenzung gibt es eine Vielzahl von Definitionen für den Mittelstand. Greifen wir deshalb zwei besonders wichtige heraus, um ein Gefühl dafür zu bekommen: die engere Abgrenzung der »kleinen und mittleren Unternehmen« (KMU) und die weiter gefasste Definition des »German Mittelstand«. Das Institut für Mittelstandsforschung Bonn definiert KMU als Unternehmen mit weniger als 500 Beschäftigten und bis zu 50 Millionen Euro Jahresumsatz.17 Die Europäische Kommission verwendet eine Schwelle von 250 Beschäftigten18 und in den USA klassifiziert die Small Business Administration KMU mit 500 oder weniger Beschäftigten.19 In China werden industrielle KMU definiert als Unternehmen mit bis zu 2000 Beschäftigten, einem Jahresumsatz von 300 Millionen CNY (ca. 38 Millionen Euro) und einem Gesellschaftsvermögen von nicht mehr als 400 Millionen CNY (ca. 50 Millionen Euro).20 Während sich die Definitionen im Detail also etwas unterscheiden, umfassen sie im Großen und Ganzen doch Firmen ähnlicher Größe.

Anders sieht es aus, wenn wir uns den »German Mittelstand« anschauen. Hier lesen wir zum Beispiel in der FAZ oder dem Handelsblatt2122 vom Mittelständler Trumpf, der bei der Bilanzpressekonferenz für das Geschäftsjahr 2022/2023 ein neues Rekordergebnis von 5,3 Milliarden Euro Umsatz vorlegte, das von 18 352 Mitarbeitenden an mehr als 70 Standorten weltweit erwirtschaftet wurde.23 Mehr zu Trumpf und seinen Erfahrungen in China erfahren Sie später noch in einem der Interviews, die ich für dieses Buch geführt habe – wobei ich mit Dr. Stephan Mayer, Vorstandsmitglied der Trumpf-Gruppe, ein besonders wertvolles Sparring zu China- und Globalstrategien hatte.

Der Begriff »Mittelstand« stellt also eine Besonderheit im deutschsprachigen Raum dar und wird laut Institut für Mittelstandsforschung Bonn durch die Einheit von Eigentum und Leitung definiert.24 Für die Entscheidung, ob ein Unternehmen zum Mittelstand zählt, ist also nicht dessen Größe ausschlaggebend, sondern es stehen qualitative Merkmale im Vordergrund.

Wenn ich im Ausland bei Vorträgen an Universitäten oder bei Konferenzen das Phänomen des deutschen Mittelstands erkläre, gehe ich deshalb weniger auf Zahlen zur Erfassung ein, sondern mehr auf die Einstellung und Geisteshaltung, die den Mittelstand in Deutschland einzigartig macht und auszeichnet. Wichtige Merkmale sind hier die Konzernunabhängigkeit oder Familienbesitz und -führung und die gelebte Bereitschaft, mit dem eigenen Portemonnaie Verantwortung für das Unternehmen, die Beschäftigten und für die Region zu übernehmen. Beim Textilhersteller Trigema haftete der ehemalige Inhaber Wolfgang Grupp sogar viele Jahre mit seinem Privatvermögen. So führte er das 1919 gegründete Traditionsunternehmen mit 1200 Beschäftigten bewusst unter der Rechtsform des eingetragenen Kaufmanns (e.K.), um ein Zeichen für eine bessere Wirtschaftsordnung zu setzen – bevor er sich nach 54 Jahren als Inhaber und Geschäftsführer zum 1. Januar 2024 zurückzog und das Unternehmen als Kommanditgesellschaft an seine Kinder übergab.25

Im Mittelstand geht es also darum, langfristig zu denken und mit einem »Blick für das Wesentliche« innovativ zu handeln. Denn gerade für die deutsche Industrie, darunter zahlreiche Weltmarktführer in technischen Branchen, ist meist Innovation die Grundlage des Erfolgs. Um die Weltmarktführerschaft zu erlangen, sind herausragende und vor allem kontinuierlich innovative Leistungen erforderlich. Für Chinas breiten Mittelstand sind deutsche Hidden Champions dabei oft ein inspirierendes Vorbild.

Die Erfolgsstrategien der heimlichen Weltmarktführer

Gibt man in Google den Begriff »Hidden Champions« ein, so erscheinen 2,45 Millionen Einträge.26