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»Hinter diesem Buch steckt mein Traum von einer Wirtschaft, die ohne Zerstörung auskommt. Es ist aber mehr als ein Traum. An manchen Orten der Erde ist er Wirklichkeit. Viele der Alternativen werden bereits erprobt. Stützen wir also jene Bewegungen, die sich für nachhaltiges Wirtschaften einsetzen. Seien wir Realisten und verlangen deshalb das Unmögliche.« Wolfgang Kessler »Das Klima kippt, weltweit wachsen Armut und Ungerechtigkeit – dabei geht es auch anders. Wolfgang Kessler zeigt an vielen anschaulichen Beispielen, wie eine zukunftsfähige Wirtschaft aussehen kann. Ein faktenreiches, informatives Buch genau zur rechten Zeit, das Mut macht.« Ursula Rüssmann, Frankfurter Rundschau »Die Verantwortung für die Zukunft ist nicht mehr aufschiebbar, sie ist nicht delegierbar, sie ist unser aller Angelegenheit! Wie wir ihr gerecht werden können, das zeigt Wolfgang Kessler auf überzeugende Weise.« Wolfgang Thierse, Bundestagespräsident a. D.
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Seitenzahl: 137
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Wolfgang Kessler
Wege zu einer Wirtschaft, die nicht zerstört
Mit einem Vorwort von Wolfgang Thierse
Hinter diesem Buch steckt mein Traum von einer Wirtschaft, die ohne Zerstörung auskommt. Es ist aber mehr als ein Traum. An manchen Orten der Erde ist er Wirklichkeit. Viele der Alternativen werden bereits erprobt. Stützen wir also jene Bewegungen, die sich für nachhaltiges Wirtschaften einsetzen. Seien wir Realisten und verlangen deshalb das Unmögliche. Wolfgang Kessler
»Das Klima kippt, weltweit wachsen Armut und Ungerechtigkeit – dabei geht es auch anders. Wolfgang Kessler zeigt an vielen anschaulichen Beispielen, wie eine zukunftsfähige Wirtschaft aussehen kann. Ein faktenreiches, informatives Buch genau zur rechten Zeit, das Mut macht.« Ursula Rüssmann, Frankfurter Rundschau
»Die Verantwortung für die Zukunft ist nicht mehr aufschiebbar, sie ist nicht delegierbar, sie ist unser aller Angelegenheit! Wie wir ihr gerecht werden können, das zeigt Wolfgang Kessler auf überzeugende Weise.« Wolfgang Thierse, Bundestagespräsident a. D.
Wolfgang Kessler, geb. 1953, wuchs in Oberschwaben auf und wurde dort durch die katholische Jugendarbeit geprägt. Das Studium der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften in Konstanz, Bristol/England und an der London School of Economics schloss er 1982 mit der Promotion ab. Er arbeitete wissenschaftlich über den Internationalen Währungsfonds, auch in der Zentrale in Washington D.C., wandte sich aber aufgrund der umstrittenen Politik des IWF dem Journalismus zu. Dies zunächst im eigenen Pressebüro, ab 1991 bei Publik-Forum. Von 1999 bis 2019 war Wolfgang Kessler Chefredakteur der Zeitschrift. Er publiziert heute in unterschiedlichen Zeitungen und Zeitschriften und ist Autor zahlreicher Bücher zu sozialethischen Themen.
Wolfgang Kessler wurde 2007 mit dem Internationalen Bremer Friedenspreis für »sein öffentliches Wirken für Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung« ausgezeichnet. Im Jahre 2020 erhielt er für seinen »engagierten Journalismus« den Walter-und-Marianne-Dirks-Preis.
Wolfgang Kessler: Ende des billigen Wohlstands
Dieses Buch widme ich Barbara, Christian, Tina, Tom, Fay und Heidi
Als Autor trage ich die Verantwortung für den Inhalt dieses Buches. Gleichwohl braucht jeder Autor auch ein vertrauensvolles Umfeld. Ich danke denen, die mich bei diesem Buch begleitet haben. Mein Dank gilt dem bewährten Team: der Lektorin Britta Hübener, dem Layouter Andreas Klinkert und dem Korrektor Günter Wiegand. Ich lernte einmal mehr ein Team schätzen, in dem Fragen, Kritik und Anregungen offen ausgetauscht werden können.
Gefreut habe ich mich über die Bereitschaft von Ursula Rüssmann, Redakteurin der Frankfurter Rundschau, und des ehemaligen Bundestagspräsidenten Wolfgang Thierse, das Manuskript in kurzer Zeit zu lesen und einen ersten Eindruck zu formulieren.
Um Nachsicht bitten möchte ich jene Kolleginnen, Kollegen, Freunde, die mich mit Anrufen und Einladungen erfreuen wollten – und nicht selten auf einen Menschen im geistigen Tunnel trafen, der nur einem Lichtstrahl folgte: diesem Buch. Meine Bitte: Versucht es noch mal.
Ein Vergelts Gott sende ich den »Rosenheim Cops«, die ohne Waffen, dafür aber mit Augenzwinkern und einem unerschütterlichen Glauben an den Feierabend Mörder überführen. Sie führten auch mich immer wieder aus dem Tunnel – in den Feierabend.
Wolfgang Kessler
Ein Vorwort von Wolfgang Thierse
Wir leben in einer Zeit sich beschleunigender Veränderungsdramatik. Dabei sind wir Zeugen verschiedener krisenhafter und umwälzender Entwicklungen und ängstigender Probleme, die es nicht erlauben, einfach so weiterzumachen wie gewohnt.
Ich benenne sie nur in Stichworten: Die von vielen Menschen als bedrohlich empfundenen Beschleunigungen und Entgrenzungen ökonomischer, technischer und wissenschaftlicher Art, die der Begriff Globalisierung zusammenfasst. Die Migrationsschübe – mit den ihnen unvermeidbar folgenden Anstrengungen und Konflikten der Integration. Die weitere ethnische, kulturelle, religiös-weltanschauliche Pluralisierung unserer Gesellschaft, die keine Idylle sein wird. Die Veränderungen der Arbeitswelt durch die digitale Transformation und vor allem die rasante Entwicklung der künstlichen Intelligenz. Werden wir Menschen sie beherrschen oder wird die KI uns beherrschen? Die fundamentale ökologische Bedrohung, die radikale Änderungen unserer Produktions- und Konsumtionsweise und insgesamt unseres Lebensstils verlangt und eine Politik der Abkehr vom Wachstumszwang. Und zuletzt der Aggressionskrieg Putin-Russlands gegenüber der Ukraine mit seinen Folgen für unser Land, unseren Kontinent, unseren Globus.
Im Zusammenhang mit dem letzten Ereignis hat Bundeskanzler Scholz den Begriff »Zeitenwende« ins öffentliche Bewusstsein gebracht. Welch Unterschied zu der positiven Wendung der Geschichte 1989/90, nach der wir von einem goldenen Zeitalter des Friedens träumten. Bereits jetzt sind manche, aber wohl noch nicht alle Folgen dieses tiefen negativen Einschnittes sichtbar: eine neue Hochrüstungsphase mit ihren fatalen nicht nur materiellen Kosten, neue (alte?) Konfrontationen, ökonomische, soziale und finanzielle Zuspitzungen und Belastungen. Wie geht es weiter mit der überlebensnotwendigen ökologischen Transformation, die wir brauchen, um die Klimakatastrophe zu verhindern? Was wird aus den sozialen und ökonomischen Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten in der Welt?
Es ist sehr viel, was demokratische Politik für uns und mit uns Bürgern zu lösen hat, was in Wirtschaft und Gesellschaft zu bewältigen ist. Dabei helfen apokalyptische Dramatisierungen eher nicht. Vielmehr muss es um die Diskussion von konstruktiven Alternativen gehen, die auf die Lösbarkeit von Problemen zielen, die Hoffnung vermitteln statt Angst, Unsicherheit und Abwehr. Nicht nur zeigen, was notwendig ist, sondern was möglich ist – in Politik und Wirtschaft wie im persönlichen Freizeit- und Konsumverhalten! Die Verantwortung für die Zukunft ist nicht mehr aufschiebbar, sie ist nicht delegierbar, sie ist unser aller Angelegenheit! Wie wir ihr gerecht werden können, das zeigt Wolfgang Kessler auf überzeugende Weise.
Wolfgang Thierse zählt zu den führenden Persönlichkeiten der Friedlichen Revolution 1989/90. Er war von 1990 bis 2013 Mitglied des Deutschen Bundestages und von 1998 bis 2005 dessen Präsident.
Eine Einführung
Krieg, Klimakrise, Pandemie, Inflation – es wäre falsch, diese Krisen über einen Kamm zu scheren. Auffällig ist jedoch, dass sie uns alle den hohen Preis unseres Wohlstandsmodells vor Augen führen: Deutschland importiert preiswerte fossile Energie sowie billige Roh- und Fertigwaren. Und exportiert dafür hochwertige Technologie und Konsumgüter. Vorteil Deutschland. Die preiswerten Importe wurden zum Schmiermittel für eine scheinbar immerwährende Wachstumsspirale: mehr produzieren, mehr arbeiten, mehr kaufen, mehr wegwerfen und wieder neu kaufen.
Viele wissen schon lange, dass der Preis für einen Wohlstand auf Kosten von Klima, Umwelt und den Ärmsten irgendwann bezahlt werden muss. Jetzt präsentieren uns die Krisen die Rechnung: Der Krieg offenbart die Abhängigkeit von fossilen Energien. Steigende Preise für Gas und Öl verschärfen die soziale Spaltung und bedrohen Unternehmen. Doch die hohen Preise sind gekommen, um zu bleiben. Ein Zurück zu fossilen Energien verbietet die Klimakrise, die Jahr für Jahr größere Katastrophen verursacht. Ökoenergie ist die Alternative, doch auch sie ist teuer.
Ist es also vorbei mit dem Wohlstand? Nicht unbedingt. Es braucht ein neues Wohlstandsmodell, eines, das nicht auf Kosten des Klimas, der Natur und der Ärmsten geht. Allerdings wird es nicht so einfach um die Ecke kommen. Der Weg dahin setzt voraus, dass an jenen Denkgebäuden der Wirtschaftspolitik gerüttelt wird, die immer noch als Wahrheiten verkauft werden, aber von den Krisen als Scheinwahrheiten entlarvt wurden: der Markt, der angeblich alles regelt, aber in jeder Krise zusammenbricht; das Wirtschaftswachstum, das den Wohlstand mehrt, aber die Erde zerstört; die Globalisierung, die Rohstoffe und Menschen ausbeutet; die Digitalisierung, die oft mehr Fluch als Segen ist; die soziale Ungleichheit, die den Zusammenhalt der Gesellschaft bedroht; die Konsumfreiheit, die längst zum Frevel an künftigen Generationen missbraucht wird. Noch immer werden diese Prinzipien von der Mehrheit in Politik, Wirtschaft und Wissenschaft verteidigt – auch weil mächtige Interessen damit viel Geld verdienen.
Dieses Buch stellt diesen Scheinwahrheiten Alternativen gegenüber, zeigt Wege zu einer nachhaltigen und fairen Wirtschaftsweise auf. Hinter diesem Buch steckt mein jahrzehntelanger Traum von einer Wirtschaft, die ohne Zerstörung auskommt.
Es ist aber mehr als ein Traum. Denn an manchen Orten der Erde ist er Wirklichkeit. Viele der Alternativen werden bereits erprobt. Stützen wir also jene Bewegungen, die sich für nachhaltiges Wirtschaften einsetzen.
Seien wir Realisten und verlangen deshalb das Unmögliche.
Wolfgang Kessler, im April 2023
Doch Krise und Zukunft kann er nicht
Wir schreiben den 16. März 2020. Die Bundesregierung verkündet den ersten Corona-Lockdown. Der Deutsche Aktienindex DAX büßt in wenigen Tagen rund 40 Prozent ein. In der Wirtschaft geht die Angst um. Die ersten Unternehmen rufen nach staatlicher Hilfe. In der Folge reagiert die Regierung mit einem Strauß von Maßnahmen. Danach herrscht große Einigkeit: Die staatliche Intervention hat die Wirtschaft vor dem Zusammenbruch bewahrt. Dennoch verkünden viele Expertinnen und Experten gleich, dass staatliche Programme die Ausnahme von der Regel bleiben müssten. Und die Regel sei der freie Markt.
Kaum ist dieses Bekenntnis verklungen, da marschiert die russische Armee am 24. Februar 2022 in die Ukraine ein. Die westlichen Regierungen reagieren mit Sanktionen gegen die russische Wirtschaft. Am 13. März schreibt das Handelsblatt: »Die Lieferketten brechen ein, die Rohstoffe werden teurer und nicht nur die Energiepreise heizen die Inflation an. Die Rufe nach staatlichen Schutzschirmen werden lauter.« Schon wenige Wochen später bestimmen Begriffe wie Sondervermögen, Gaspreisumlage, Entlastung, Doppelwumms, Gaspreisbremse, Energiepreisdeckel die Debatte.
Kurzum: Das Corona Virus und der Krieg brauchten jeweils nur wenige Tage, um den freien Markt als Alleskönner zu entzaubern.
Der Markt ist gut, der Staat ist böse: Wer sich dieses Credo in diesen Krisenzeiten vor Augen führt, hat große Probleme, nicht vom Glauben abzufallen.
Kein Zweifel: Die Rede vom freien Markt ist populär. Wer wollte bestreiten, dass staatliche Vorgaben – gerade in Deutschland – oft mit einem verstörend hohen Maß an Bürokratie einhergehen. Es besteht auch kein Zweifel, dass der Markt die Verteilung der Waren und Dienstleistungen flexibel regelt, weil die Preissignale Angebot und Nachfrage zum Ausgleich bringen. Ist eine Ware knapp, dann steigt ihr Preis. Die Konsumenten steigen auf andere Produkte um. Gleichzeitig versuchen die Unternehmen, mehr von den teuren Waren herzustellen, sodass diese billiger und attraktiver werden. Auf diese Weise stabilisieren sich die Märkte immer wieder selbst.
Was so harmonisch anmutet, wird jedoch in Krisen außer Kraft gesetzt. Zum Beispiel in der Bankenkrise 2008. Da erlebte die Welt, dass Börsianer eben nicht reagieren wie Verbraucher am Gemüsestand. Als die Aktienkurse stiegen, kauften sie nicht weniger Aktien, sondern mehr, um von Kursgewinnen zu profitieren. Sie folgten der Herde – und am Ende entstand eine Spekulationsblase. Banken brachen zusammen und »mussten« vom Staat gerettet werden, um eine großflächige Wirtschaftskrise zu verhindern.
Auch das Signal steigender Öl- und Gaspreise in der Folge des Ukrainekrieges wird nicht so einfach vom Markt ausgeglichen. Die Kunden, ob Unternehmen oder Privatleute, können zwar sparen, doch ab einem bestimmten Punkt sind sie auf Energielieferungen angewiesen. Wenn russisches Gas und Öl nicht schnell ersetzt werden können, steigen die Preise immer weiter, es droht ein Mangel. Für Alternativen zu Öl und Gas braucht es Infrastrukturinvestitionen, Verhandlungen auf politischer Ebene, staatliche Lieferverträge, möglicherweise die Verstaatlichung von Unternehmen und nicht zuletzt den Ausbau von alternativen Energiequellen, um das Angebot zu erhöhen.
Doch der Markt erweist sich nicht »nur« in bisherigen und aktuellen Krisen als überfordert, sondern auch mit zukünftigen Herausforderungen. Seit Jahrzehnten weiß die Welt, dass die Verbrennung von Öl, Kohle und Gas das Klima aufheizt. Dennoch waren die Marktpreise für diese Produkte über die Jahre günstig. Und die Regierungen hatten nicht den Mut, sie durch Steuern oder Abgaben wirksam zu erhöhen. Erst der Schock des Ukrainekrieges und in der Folge das ausbleibende Gas trieb die Preise für Öl, Gas und Strom in die Höhe. Jetzt reagierte der Markt – viel zu spät. Für die Zukunft heißt dies: Die Märkte sind das Problem, die Lösungen müssen von Politik und Gesellschaft kommen.
Dennoch setzen die Anhängerinnen und Anhänger der freien Marktwirtschaft noch immer auf die angeblich so innovativen Kräfte des Marktes. So zum Beispiel Roland Koch, ehemaliger hessischer Ministerpräsident und heute Vorsitzender der Ludwig-Erhard-Stiftung. »Die Geschichte lehrt uns, dass sich Wirtschaftskrisen am besten mit marktwirtschaftlichen Instrumenten beseitigen lassen«, schrieb er 2022 in einem Kommentar für die Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände BDA. Und weiter: »Der Preis als Knappheitsanzeiger setzt die richtigen Anreize, knappe Ressourcen in die effizienteste Verwendung zu lenken. Dann braucht es in ihrer Entscheidung freie und zu Übernahmen von Risiken bereite Unternehmen.«
Genau dies lehrt die Geschichte nicht. Die Geschichte zeigt vielmehr, dass die Markt- und Lobbymacht der Unternehmen Krisen eher verstärkt und Innovationen behindert, während die Lasten den Steuerzahlern oder der Umwelt auferlegt werden. Man denke nur an die Bankenkrise. Seit der Jahrtausendwende hatten Politikerinnen und Politiker den Geist der freien Kapitalmärkte beschworen und viele Regeln und Beschränkungen für die Spekulation abgeschafft. Und dann spekulierten Finanzhändler ohne Bezug zur Realwirtschaft ungehemmt, oft mithilfe hoher Schulden. Bis die Blase platzte. Als das Kind der Spekulation dann im Brunnen lag, ließen sich zahlreiche Banken von Regierungen retten, weil diese einen wirtschaftlichen Zusammenbruch befürchteten. Den Preis für diese Rettung bezahlten aber nicht etwa die Banken, sondern die Steuerzahler. Für Deutschland beziffert Gerhard Schick, viele Jahre Bundestagsabgeordneter für Bündnis 90/Die Grünen und Gründer der Bürgerbewegung Finanzwende, die Kosten auf rund 68 Milliarden Euro.
Was innovative Veränderungen angeht, so zeigt die Geschichte nicht etwa die Effizienz der Märkte oder gar die Risikobereitschaft von Unternehmen, sondern eher, wie Großkonzerne ihre alten Technologien bis zuletzt mit allen Mitteln verteidigen, um die Gewinnmöglichkeiten voll auszuschöpfen. Beispiel Automobilindustrie: Trotz der langjährigen Diskussionen über alternative Antriebstechniken setzten die Autokonzerne auch dann noch auf Benzin und Diesel, als deren Beitrag zur Belastung von Klima und Umwelt immer deutlicher zutage trat. Als nichts mehr half, wurde betrogen. Für die Unternehmen erwies sich diese Strategie als überaus lukrativ, weil sie die Umweltkosten der Gesellschaft aufbürden, ihre Gewinne aber maximieren konnten.
Oft genug nutzen die Platzhirsche auf einzelnen Märkten ihre Marktmacht, um erfolgversprechende Newcomer aus dem Markt zu drängen. Privatisierung der Gewinne, Sozialisierung der Verluste. Auf diese Strategie setzen Konzerne auch dann noch, wenn ihnen das Wasser bis zum Halse steht. Wie zum Beispiel die Lufthansa während der Corona-Krise. Auf rund neun Milliarden Euro belief sich die juristisch noch immer umstrittene staatliche Hilfe, der größte Teil war nicht rückzahlbar. Der Vorstand des Konzerns wehrte zusammen mit den Eigentümern alle Versuche der Politik ab, über die staatliche Beteiligung auch die Unternehmensstrategie zu beeinflussen. Im Jahr nach der Krise, 2022, zahlte der Konzern dann verdächtig hohe Dividenden an die Eigentümer aus.
Privatisierung der Gewinne, Sozialisierung der Verluste und die Externalisierung von Kosten an die Umwelt – das sind die Lehren aus der Geschichte, wenn die Verantwortlichen in erster Linie auf die freien Marktkräfte und die Macht der Unternehmen setzen.
Am Markt ereignen sich nur Veränderungen, die der Philosoph und Psychologe Paul Watzlawick in seinem gemeinsam mit John Weakland und Richard Fisch verfassten Buch »Change« als »Wandel erster Ordnung« beschreibt: Durch Korrekturen wird auf bestehenden Märkten ein neues Gleichgewicht hergestellt. Als »Wandel zweiter Ordnung« bezeichnet Watzlawick dagegen einen Entwicklungssprung auf eine neue Ebene in einem völlig neuen Umfeld. Diesen Sprung schaffen die Marktkräfte nur in seltenen Fällen. Dazu braucht es eine aktive Politik.
Dass staatliche Institutionen schon immer Urheber bedeutender Innovationen waren, schildert die amerikanisch-italienische Ökonomin Mariana Mazzucato in ihrem Buch »Mission. Auf dem Weg zu einer neuen Wirtschaft«. Danach spielte die für Innovationen zuständige Behörde des US-Verteidigungsministeriums einst eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung des Internets. Das gilt auch für die Entwicklung vieler digitaler Technologien. »Das Ortungssystem GPS wurde von der US-Navy finanziert, das Touchscreendisplay vom US-Geheimdienst CIA. »Überall auf der Welt sind, über die gesamte Innovationskette hinweg, Programme staatlicher Behörden von entscheidender Bedeutung und haben zu Hochburgen der Innovation geführt«, schreibt Mazzucato.
Auch in Deutschland stellten staatliche Initiativen immer wieder die Weichen neu – politisch, wirtschaftlich und technologisch. Man denke nur an den Solar- und Windenergieboom als Folge des Erneuerbare-Energien-Gesetzes aus dem Jahre 2000. Als die Förderpraxis im Rahmen dieses Systems ab 2012 wieder dem Markt ausgeliefert wurde, bedeutete dies vielfach den Untergang deutscher Solar- und Windkraftproduzenten und Verluste von mehr als hunderttausend Arbeitsplätzen. Oder man denke an den dreistelligen Millionenbetrag, der zur Entwicklung eines Impfstoffes gegen das Corona-Virus an den Konzern Biontech floss. Oder an die E-Mobilität, die über das Nischenprodukt Tesla hinaus erst Fahrt aufnahm, als der Kauf von Elektroautos bezuschusst wurde.
Es ist unstrittig, dass wichtige technologische Entwicklungen durch eine aktive staatliche Politik initiiert wurden. Unstrittig ist aber auch, dass die Gewinne aus diesen Entwicklungen größtenteils bei privaten Unternehmen hängen blieben. Was in Politik und Wirtschaft gerne verschwiegen wird, räumt immerhin ein milliardenschwerer Investor aus den USA ein. »Da ein bedeutender Teil ihrer Einkünfte der Gesellschaft zu verdanken ist«, so Warren Buffett, »müssten die Superreichen und ihre Unternehmen auch höhere Steuern bezahlen.«