Wolkenherz - Jochen Jung - E-Book

Wolkenherz E-Book

Jochen Jung

4,8

Beschreibung

EINE MÄRCHENHAFTE SOMMERGESCHICHTE UND ZUGLEICH EINE LIEBESERKLÄRUNG AN DAS LEBEN IM NORDEN. Was hier bisweilen wie ein Märchen klingt, ist vielleicht sogar eines: Jonathan, der junge Mann, von dem erzählt wird, mag Wind, Wolken, die Möwen und das Meer, aber keine Beerdigungen. So läuft er von der Trauerfeier seiner Mutter davon und fährt lieber dorthin, wo sie herkam, in ein kleines Dorf an der Küste. Prompt lädt ihn dort eine raue Schönheit in ihr Haus ein, das sie mit ihrer Mutter und einer jungen Blonden bewohnt. Energisch und sanft, klug und sehnsuchtsvoll - anziehend ist jede der drei Frauen, und er ergibt sich einer nach der anderen. Mit wunderbarer Leichtigkeit und stets in der Balance zwischen Ernst und Ironie entfaltet Jochen Jung die Geschichte eines Suchenden. Gleichzeitig ist Wolkenherz eine Liebeserklärung an das Leben im Norden - und überhaupt.

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Titel

Jochen Jung

Wolkenherz

Eine Geschichte

Zitat

„ich denke recht oft an dir, besonders

wenn ich ins freye komme“

Philipp Otto Runge

1 Am Wasser, die Graue

Am Himmel sah es aus wie nach einer Kissenschlacht, die keiner gewonnen hatte. Aber schon kurz darauf hatten sich die Wolken, als suchten sie sich eine Geschichte, zu einem grauweißen Feld zusammengeschoben. Ein Wind, den Jonathan hier unten nicht spürte, trieb das Feld durch das Blaue und ließ es erst wie ein gespreizter Flügel aussehen, dann wie ein lahmendes Pferd, wenn auch nur für Augenblicke.

Jonathan buchstabierte es, so gut er konnte, aber schon wurden die Wolken wieder auseinandergerückt und verteilten sich über den Himmel, zunächst als einzelne Schollen und dann nur noch als Fetzenwerk. Mittendrin aber stand, wie Schwebstoff und nur für einen Moment, eine besondere Wolke. Sie war wie ein langer weißer Bart, der kurz darauf jugendlich gestutzt aussah, oder wie ein Fisch. Und dann war da noch eine Wolke, die er schon lange kannte. Die übrigen verschoben sich erneut. Den einen oder anderen Wolkenbatzen verfolgten seine Augen noch, ohne ihm jedoch eine brauchbare Form ablesen zu können: Sie waren geballt, zerfasert, gestreckt, fransig, einzelgängerisch. Aber waren sie nicht auch geduldig und nützlich wie schimmernde Milch? Mütterlich geradezu? Wie eine graue liebe Mutter?

In diesem Augenblick türmte sich über ihm ein kom­plettes Badezimmer auf, weiß gekachelt und schön wie das Neue Jerusalem, und mittendrin seine graue Strickjacke – was hatte die da verloren? Im nächsten Augenblick, er hatte es fast erwartet, glänzten dort die weißen Zähne eines Mädchens, das ihm vielleicht etwas sagen wollte. Da schlossen sich seine Augen, als sei es für lange, öffneten sich aber wieder und sahen jetzt aufs Meer hinaus. Mit sich selbst beschäftigt lag es da und zugleich wie eine ein­fache Version des Lebens, mit der man sich für eine Weile durchaus zufrieden gegeben hätte, wären die Umstände danach gewesen.

Er hieß Jonathan Jensen und war sehr blond, das Meer aber hatte keinen Namen, es war das Meer Namenlos, geriffelt und geraffelt. War es möglich, dass auch dieses Meer demnächst leergefischt sein würde? Keine grünen Heringe mehr, kein Kabeljau, keine Buckelwale? Jonathan hatte in den Zeitungen davon gelesen, dass die Schleppnetzfischerei allem ein Ende mache, und da er ein besonderer Fischfreund war, hatte es ihm jedes Mal einen Stich gegeben, wenn er davon las. Und einen kleinen Stich spürte er auch jetzt: Ein Meer ohne Fische, das war doch ein totes Meer.

Aber so weit war es noch nicht. Oder hätte sich da gerade ein Vogel ins Meer gestürzt, wenn es nichts mehr zu holen gäbe? Hätte er nicht. Und erst in diesem Moment merkte Jonathan, dass er nicht nur etwas sah, sondern auch etwas hörte, Geschrei von Möwen, Vogelgeschrei jedenfalls, und es war, als ob auf einmal aus einem Schwarzweißfilm ein Farbfilm würde. Der Himmel war jetzt, vor allem um die Wolken herum, tief blau, das Wasser hingegen wechselte von Violett zu Schwarz, um im nächsten Augenblick grün wie ein dunkler Wald zu sein. Es war überzogen von niedrigen Wellen, die in weitem Abstand heranwallten und die nur dort, wo sie nach wer weiß wie langer Reise auf den Strand aufliefen, eine dünne weiße Kammlinie zeigten.

Er war im letzten Sommer eine Woche lang in einer kleinen Pension auf Malta gewesen – als Reisebegleiter hatte er sein Zimmer besonders günstig bekommen –, und das war und blieb vorerst der letzte Urlaub, den er gemeinsam mit Jolanthe verbracht hatte. Beide waren damals nachts beim Einschlafen verwirrt gewesen von den Wellen, die in so raschen kurzatmigen Schlägen aufs Ufer trafen. Beide kannten bis dahin nur den gelassenen Schlag der Nordmeere, und unruhig, wie sie beide in diesen Tagen waren, fühlten sie sich geradezu schuldig für die Nervosität des Mittelmeers.

Jonathan und Jolanthe – sie fanden selbst, dass das eigentlich nicht ging, und es war ja auch nicht gegangen, letztlich. Dass sie einander John und Joe nannten, hatte ihnen immerhin einen Anfang erlaubt.

Ohne Ankündigung war der Wind, der alte Kulissenschieber, mit einem Mal stärker geworden. Jonathan sah es erst den Wolken an, bevor er es auch auf der Haut fühlte. Noch einmal flogen zwei Möwen oben am Himmel entlang, wobei der steife Flug der einen sie bald als Flugzeug entpuppte, das seinen eigenen Weg verfolgte. Jonathan saß da auf seiner Düne, fuhr mit dem Zeigefinger vorsichtig über den Sand, sah aufs Meer hin und gähnte.

Sein Tag, der längst noch nicht zur Neige ging, war jetzt schon lang gewesen, schien ihm. Schließlich hatte er am frühen Morgen noch nicht gedacht, zehn Stunden später am Meer zu sitzen, wo sicher bald die streifig und zauselig gewordenen Wolken von einer sich entfernenden Septembersonne rötlich bis knallrot aquarelliert würden. Dabei hatte sie, die Sonne, doch gerade noch die Wasseroberfläche überall angeblitzt, als werfe sie nur so um sich mit ihren neuen Talern. Wie gern er so etwas sah! Er hatte tief Luft geholt und diesen Atem lange in sich gehalten, als wolle er ihn überhaupt nicht mehr herausrücken – ehe er ihn dann gleichsam mit Ergebenheit wieder von sich ließ. Gleichzeitig aber nahm die Kühle zu, und Jonathan blickte ein wenig unwillig über seine Schulter, um zu sehen, ob da etwa jemand ein Fenster geöffnet hatte. Was natürlich nicht der Fall war, nicht einmal einen Spalt weit.

Mehr als einen Spalt waren hier nur die drei kleinen Fenster des Kiosks geöffnet, der, ein mehreckiges Häuschen, dunkelgrün gestrichen, in dem ganz anders dunkelgrünen Strandgras stand, zwischen Rad- und Wanderweg und Strand. Eine runde Betonplatte bildete seinen Sockel, von dem eine kurze Strecke aus braunen Backsteinen zwei, drei Meter zum Strand hinabführte und sich dann im Sand verlor. Eine ebenfalls dunkelgrüne Krone aus feingesägtem Blech bildete seinen Abschluss nach oben, und darauf saß eine Möwe, die sich allerdings in demselben Augenblick, in dem hier von ihr die Rede ist, erhebt und, als hätte sie gar keine Eile, aufs Meer zusegelt. Ohne zu wissen, dass es die Möwe von ihrem Dach war, verfolgten sie die petunienblauen Augen der Kioskbesitzerin, um schon nach kurzem an Jonathan hängen zu bleiben. Nicht weil sie hier jeden kannte, der da ihr aber neu war. Vielmehr weil sie gleich so eine Ahnung hatte, vielleicht aber auch nur, weil er gerade einen seltsam gekrümmten Rückenbogen zeigte. Sie schaute bald wieder auf die vor ihr liegende Illustrierte, hatte aber gesehen, was sie gesehen hatte.

Als Nächstes flog eine ganze Schar Möwen durchs Bild, die sich aufführte, als sei sie eine chinesische Reisegruppe. Es sah aus, als hätten die Vögel etwas von dem Violett eines beginnenden Sonnenuntergangs auf ihrem Gefieder, aber das war natürlich nur der Wunsch eines jungen Mannes nach einem angereicherten Innenleben: Wenn man schon einmal seinen ersten unerwarteten Urlaubstag auf einer Stranddüne vor dem Meer verbringt, dann möchte man, dass es Bedeutung hat, dass da mehr ist als nur ein paar Wolken, die aussehen wie eine zerrieselnde Sandburg.

Er saß also auf seiner Düne, umgeben von einem Gras, das es gewohnt war, um sein Leben zu zittern, so viel Wind war schließlich immer, und so viel Wind war auch jetzt. Er hatte sich in seinen Gedanken verlaufen, hatte gar nicht mehr darauf Acht gegeben, was er wollte, was er vorhatte, was er sah, wusste nur, dass das Wort Urlaub gerade eben nicht das richtige gewesen war. Aus dem langen Blick über die Schulter und der halbherzigen Beschäftigung mit sich selbst ergab sich ein kurzes Nachlassen seiner Aufmerksamkeit: Jonathan hatte die längste Zeit auf nichts um sich herum geachtet, sah aber jetzt, dass sich da am Wasser jemand, ach was: eine Frau, dass die sich da ihren Badeanzug auszog, für einen Moment nackt war, dann einen Bademantel überstreifte und jetzt, eine schlanke Gestalt, schräg den Strand querte und zu ihm hinaufzukommen schien oder vielmehr -kam, denn sie kam wirklich, den Bademantel mit beiden Händen über der Brust zusammenhaltend, eine Frau. Gerade war sie dabei, ihre Badehaube vom Kopf zu schälen, und schon quoll eine prachtvolle Fülle grauen Haares hervor, das den entschlossen geschüttelten Kopf augenblicklich zu einem Haupt machte.

Ein vorläufig letzter Blick auf die Wolken. Die Möwen waren inzwischen wer weiß wo, und Jonathan merkte, dass er lange genug auf seiner kleinen Düne gesessen war, und sollte er auf etwas gewartet haben, so hatte es sich jetzt eingestellt: Jetzt kommt die Frau mit den grauen Haaren den Strand hinauf, auf ihn zu, gerade in dem Moment, als er selber Lust bekommt, hinunterzulaufen und die Füße ins Wasser und die Zehen in den nassen Sand zu stecken.

Die Sonne winkt ab, und das Meer sagt gar nichts, jedenfalls nicht zu Jonathan, und Jonathan selbst tut so, als würden seine Blicke der kleinen Steilküste folgen, die, bevor sie wirklich steil werden konnte, schon zu Ende war und sich in einer Küstenbiegung verlief. Da ist diese Frau auch schon nahe gekommen – fünfzig wird sie sein –, und jetzt bricht sie das Schweigen so, dass man es knacken hört, und sie, die nun auf einmal, vermutlich etwas frierend, vor ihm steht, sagt mit klarer Stimme: „Sie hab ich hier ja noch gar nicht gesehen“, und schüttelt noch einmal ihren Kopf, diesmal mehr seitlich, um das Wasser aus den Ohren zu schleudern.

Erst in diesem Augenblick, in dem einer der vielen Wasservögel, die er bis auf die Möwen alle nicht kennt, schreit oder krächzt, als sei er allein, erst in diesem Augenblick also, in dem Jonathan mit etwas Mühe – das lange Sitzen! – aufsteht, um die Frau zu begrüßen, die jetzt mit immer noch leicht schräg gelegtem, aber nicht mehr geschüttelten Kopf vor ihm steht, sieht er, dass da nicht weit von ihm die Zeitung liegt, die er am Morgen im Zug auf dem Nebensitz gefunden und dann eingesteckt hatte. Nun ist sie zu einem Viertel etwa im ehemals goldgelben, jetzt allmählich haargrauen Sand vergraben, und was er sieht, ist eine kopflose Nackte. Jonathan hebt langsam den Blick, entdeckt zwei sehr große Füße mit sehr langen Zehen im Sand und gleich darauf die grauen Augen der Frau – ja, graue Haare, graue Augen – und sagt: „Kein Wunder, ich meine, ich Sie ja auch nicht, bin doch gerade erst aus Altona angekommen, vor ein paar Stunden, so ist das, ja.“

Sie dann auf sein Gestottere hinauf, ihn sinnend anblickend: „Von Altona also – und wohin?“

„Schwer zu sagen“, war da die Antwort des jungen Mannes, der der Frau nicht in die Augen schauen wollte, der seine Augen stattdessen neuerlich im Sand bei der kopflosen Nackten herumsuchen ließ, ohne dass er es bemerkte. „Vielleicht bin ich ja auch schon angekommen. Die Vögel haben jedenfalls bislang nichts Wesentliches gegen den neuen Gast einzuwenden“, und jetzt schaute er sie doch an.

„Die Möwen sind egoistische, törichte Viecher“, sagte die Graue nach einer Pause, während der sie ihn sehr ansah. „Was hat Sie denn hierhergebracht? Ich meine, ich verstehe ja, dass man nicht in Altona sein möchte, aber warum unser Dorf?“

„Weil – es ist jemand gestorben, der aus dieser Gegend stammt, jemand, der – also, die mir nahestand.“ Jesus, was sagte er denn da, das ging diese Frau doch überhaupt nichts an, warum sagte er sowas zu einer Fremden?

„Das tut mir leid. Aber – wo haben Sie sich denn einquartiert in diesem Ort?“

„Nirgends, ich weiß ja kaum, wo genau ich hier bin“, gestand Jonathan.

„Nun“, war da die Antwort, wieder nach einer Pause, „da ich allmählich anfange zu frieren und darum nach Hause will, kann ich nur sagen: Wenn Sie wirklich bleiben wollen, aber noch nicht wissen wo, dann kommen Sie doch heute in die Waldvilla. Ich bin Johanna“, fuhr sie fort und streckte ihm die kühle Hand hin, die er vorsichtig ergriff, „jeder im Dorf weiß, wo ich wohne. Sie haben bei mir keine andere Pflicht, als von sich zu erzählen. Morgen machen Sie dann, was Sie wollen. Jetzt muss ich aber laufen –“, und schon ging sie, oder vielleicht war es wirklich ein Laufen, kreuzweis flogen ihre Beine, und kurz bevor sie hinter dem Strandweg verschwunden war, rief er ihr noch hinterher: „Aber Sie kennen mich doch gar nicht“, und ohne im Laufen innezuhalten, sie drehte nur den Kopf, rief sie zurück: „Sie mich doch auch nicht.“

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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