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Die Kunst von Außenseitern ist in den letzten Jahrzehnten im Fokus der Öffentlichkeit zunehmend präsent. Der 2020 verstorbene Münsteraner Künstler Raimund Samuelson gehört zweifellos zu den wichtigsten Vertretern der regionalen Outsider-Kunst. Diese Monographie beschreibt sein Leben und Werk aus der Perspektive eines Kunsthistorikers und Freundes.
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Seitenzahl: 53
Veröffentlichungsjahr: 2024
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Die vorliegende Arbeit geht in Teilen auf das Büchlein „Wege zur Seele“ zurück, welches der Verfasser anlässlich einer Ausstellung im Jahre 2009 erstellte und drei Jahre später unter Pseudonym mit dem Untertitel „Sota Rebo und Raimund Samuelson – Zwei zeitgenössische Outsider-Künstler im Porträt“ veröffentlichte. Da die Familie der Künstlerin Sota Rebo jedoch ihre Privatsphäre verletzt sah, musste das Bändchen zur Vermeidung eines Rechtsstreites bald wieder vom Markt genommen werden.
Die Grundlage der biographischen Angaben dort bilden Interviews, die der Verfasser 2009 mit den beiden Künstlern führte. Das Interview mit Raimund Samuelson diente auch dem vorliegendem Buch als Grundlage, großzügig ergänzt durch die Erfahrungen aus der langjährigen Bekanntschaft des Verfassers mit diesem. Die Gliederung des Bildteils wurde größtenteils übernommen, die Bilder werden jedoch nun sämtlich als großformatige Tafeln präsentiert.
Diese Publikation erfüllt einen lange gehegten Wunsch Samuelsons, aber auch des Verfassers. Der Künstler war stets darauf bedacht, seine Bilder zu zeigen, und die Rücknahme des Buches „Wege zur Seele“ bedeutete für ihn eine herbe Enttäuschung. Nun, beinahe vier Jahre nach seinem Tod, ist es an der Zeit, das Lebenswerk dieses außergewöhnlichen Künstlers zu würdigen und seine Arbeiten und seinen Lebensgang erneut einer hoffentlich geneigten Öffentlichkeit vorzulegen. Möge die Kunst mit euch sein.
Münster, im Januar 2024
Dr. Christof Berends
0. Vorwort des Verfassers
1. Raimund Samuelson
2. Kunst und seelische Gesundheit
3. Biographie
4. Farbtafeln
5. Schlussbemerkung
Raimund Samuelson
Mit Raimund Samuelson verband mich eine langjährige Freundschaft. Eine halbe Generation älter als ich, wuchs er nahe meiner Heimatstadt im westfälischen Gronau an der Grenze zu den Niederlanden auf. Erstmals trafen wir in den 1980er Jahren aufeinander, in einer Diskothek in Gronau-Epe, die zu dieser Zeit aktuelle progressive Musik spielte und vielen Freaks, Kiffern, Musikfans oder auch gelegentlich den Rockern des örtlichen Motorradclubs „MC Stenzer“ ein angenehmes Wochenende bot.
Samu, wie er genannt wurde, war hier in der Villa Westfalia oft präsent, häufig mit einigen seiner Bilder unterm Arm, die er herumzeigte oder auch gelegentlich verschenkte. Er zeichnete hauptsächlich Porträts, meist von jungen Frauen, die er in der Disko betrachtete und zu Hause aus dem Gedächtnis auf einem Malkarton wiedergab. Wir kannten uns beide eher vom Sehen, als dass wir echten Kontakt hatten, doch ich erinnere mich, dass er gerne mit diesen „Feen“, wie er sie nannte, in seiner neckischen Art poussierte und ihnen auch schon einmal scherzhaft an die Nase fasste, während ich eher auf der Tanzfläche meinen Gefühlen Ausdruck verlieh. Unser Bekanntenkreis überschnitt sich teilweise; in diesem übersichtlichen Winkel der Welt mit der Villa im Zentrum, die die Subkultur der näheren und weiteren Umgebung anzog, war das aber auch kein größeres Wunder, trotz des Altersunterschieds von fast 15 Jahren. Er hatte einen leicht zweifelhaften Ruf in der Szene, viele fanden ihn und seine Kunst interessant, manche sagten aber auch, er habe verschiedene verrückte Sachen gemacht, etwa Autos mit dem Staubsauger abgesaugt, und sei deshalb schon in der Psychiatrie gewesen.
Beinahe 20 Jahre später sahen wir uns dann wieder, in einem Krankenhaus, wo ich Patient und er Besucher war. Wir kamen ins Gespräch und erinnerten uns an diese Zeit. Ich hatte dann Gelegenheit, ihn näher kennenzulernen, und traf ihn oft in der Stadt – wir waren beide nach Münster gezogen – oder bei meiner Freundin, die er auch porträtiert hatte. Er war nicht nur als Zeichner aktiv, sondern hatte auch eine Reihe von kleineren Texten oder auch Gedichten geschrieben, die er regelmäßig beim Poetry Slam in der Kulturkneipe Frauenstr. 24 vortrug, so etwa das folgende Gedicht von der Marzipankartoffel:
Die Marzipankartoffel
Ich saß da so, Sommersonnentags, im Schatten unter einem Tannenbaum,
oder war´s `ne Fichte?
Im Übrigen, schöner war´s woanders kaum,
Und las dabei Gedichte.
Der moosbedeckte Boden war mein Thron.
Lange saß ich dort, die Sonne schien bereits aus schrägster Position.
Da rief ich ihr, der Sonne, unbeschreiblich Herrliches zu,
Doch sie errötete nur,
Und ich dachte: Ach, die dumme Kuh!
So ziemlich verdeckten es die Tannenzweige.
Da fiel auf mich herab
So etwas wie `ne Himmelsgeige.
Wohl gefertigt aus des Musenhimmels bestem Holz.
Oh! Dachte ich mir. Das ist sicherlich ein Musenwink,
Denn was diese holden Wesen gar nicht lieben,
ist eines Dichters unberechtigter Stolz.
Stand auf, viel länger wäre ich sowieso nicht geblieben,
Zum Waldesrand ich ging.
Die ganze Zeit lachte mein Herz.
Die Musen und Götter haben schon ein seltsames Gespür
Für meinen schlechten Scherz.
So gelangte ich alsbald an des Waldes Rand,
Im festen Glauben, die Beule von der Himmelsgeige,
Die sei jetzt wohl verschwunden.
Jawohl, was meine Hand stattdessen fand,
Das tat mir munden.
Es war eine kleine Marzipankartoffel,
Für mich, den Dichterstoffel.
Raimund verfügte über einen großen Bekanntenkreis, den er ausgiebig pflegte. Gelegentlich fuhr er zu Freunden in die Schweiz, etwa dem Künstler Hans Schärer, den er auch porträtierte, oder in den Osten Deutschlands. Mit dem Bus war er häufig in und um Münster unterwegs, besuchte Bekannte und Freunde oder setzte sich zur Szene am Bremer Platz, wo Cannabis und andere Drogen gehandelt wurden. Mit zunehmendem Alter und verschiedenen Gebrechen, etwa einer Lungenkrankheit, mit der er zu kämpfen hatte, verlagerte er den Lebensmittelpunkt auf sein Zuhause, ein Apartment im ehemaligen Schwesternwohnheim über der Ambulanz der Westfälischen Klinik für Psychiatrie. Hier herrschte reges Treiben, Besucher gingen ein und aus, und in der Luft lag meist ein dichter Rauch von Tabak und Hanf. Ich habe einmal einen Song darüber geschrieben, der Titel ist „Das Gasthaus zur ewigen Freiheit“. Er beschreibt die ungezwungene Atmosphäre, aber auch das Chaos, welches zuweilen in Samus Salon herrschte. Hier konnte jeder so sein, wie er wollte, doch wer es übertrieb, wurde von Raimund auch einmal derbe zurechtgewiesen. Meist lief ein Soundtrack aus Progressive oder Blues Rock der Siebziger, ansonsten liebte er es, im Fernsehen Science-Fiction-Serien oder Sportberichte anzuschauen. Schon seit seiner Jugend war er ein großer Fußballfan und Anhänger von Schalke 04 und dem HSV gewesen, obwohl er selbst nie in einem Verein gespielt hat.
Geboren wurde Raimund Samuelson am 6. September 1953 in der kleinen Gemeinde Gelting in Schleswig-Holstein, zwischen Flens