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Kriege und Konflikte erschüttern die Welt. Doch wie steht es um die Chance auf Frieden? Als Konfliktforscher und ehemaliger UN-Waffeninspekteur ist Jan van Aken ausgewiesener Kenner der Materie. Er fragt: Was können wir aus früheren Kriegen und Konflikten lernen, welche Dynamiken und Werkzeuge sind notwendig, damit verfeindete Akteure miteinander sprechen und friedliche Lösungen möglich werden? Jan van Aken verwebt gekonnt neueste Erkenntnisse der Friedensforschung mit Geschichten und Beispielen aus dem wirklichen Leben, um die unterschiedlichsten Mittel und Wege einer friedlichen Konfliktlösung aufzuzeigen. Der Parteivorsitzende der Linken beschreibt, wie Sanktionen funktionieren könnten, dass Krisenprävention möglich ist und welche Rolle die Weltgemeinschaft oder auch die Naturwissenschaften spielen könnten. Ein spannender, kenntnisreicher und persönlich verbriefter Blick hinter die Kulissen diplomatischer Friedensfindungsprozesse sowie eine Mut machende Erinnerung daran, dass eine Chance auf Frieden immer besteht. »Es gibt keine einfachen Antworten auf schwierige Situationen. Doch Jan van Aken zeigt eindrucksvoll, dass wir auf Erfahrungen aus der Geschichte zurückgreifen können, um für eine friedlichere Zukunft zu sorgen.« Gregor Gysi »Bomben schaffen keinen Frieden. Jan van Aken hat viele Argumente und erfolgreiche Fallbeispiele für alternative Wege in Kriegen. Inspirierend und wichtig in diesen Zeiten!« Kristina Lunz »Ein kluges und wunderbar geschriebenes Buch, ein nachdrücklicher Appell für Friedenslösungen, die nicht auf militärische Stärke, sondern Verständigung gründen. Jan van Aken macht Mut und liefert einen Lichtblick in dunklen Zeiten.« Thomas Gebauer, Mitbegründer der »Internationalen Kampagne zum Verbot von Landminen«, Friedensnobelpreis 1997
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Veröffentlichungsjahr: 2024
Worte statt Waffen
Jan van Aken, Jahrgang 1961, arbeitet seit über zwanzig Jahren zu Themen der Außenpolitik und ist einer der bekanntesten Friedensaktivisten Deutschlands. Der promovierte Biologe war Campaigner bei Greenpeace und von 2004 bis 2006 Biowaffeninspekteur für die Vereinten Nationen. Zwischen 2009 und 2017 war er Abgeordneter der Linksfraktion im Bundestag und saß dort im Auswärtigen Ausschuss. Zur Zeit arbeitet er für die Rosa-Luxemburg-Stiftung zu internationalen Konflikten und betreut mit einer Kollegin den Podcast dis:arm. Er ist häufiger Gast in den deutschen Medien zu allen Fragen der Außen- und Friedenspolitik.
Auch tief verfeindete Kriegsparteien können miteinander reden und friedliche Lösungen finden, sagt Jan van Aken, der sich seit vielen Jahren mit Kriegen und Konflikten beschäftigt. Anhand von konkreten Beispielen aus der Zeitgeschichte und eigenen Erfahrungen zeigt er Wege auf, mit denen Konflikte ohne Gewalt entschärft werden können – auch wenn es manchmal unmöglich scheint. Er beschreibt, wie Krisenprävention funktioniert, welche Rolle die Weltgemeinschaft oder auch die Erkenntnisse der Naturwissenschaften spielen können. Und wie wichtig Versöhnungsprozesse für einen dauerhaften Frieden sind. Denn aus der Geschichte lassen sich Lehren für eine friedlichere Zukunft ziehen. »Ein kluges und wunderbar geschriebenes Buch, ein nachdrücklicher Appell für Friedenslösungen, die nicht auf militärische Stärke, sondern Verständigung gründen. Jan van Aken macht Mut und liefert einen Lichtblick in dunklen Zeiten.«Thomas Gebauer, Mitbegründer der »Internationalen Kampagne zum Verbot von Landminen«, Friedensnobelpreis 1997
Jan van Aken
Wie Kriege enden und Frieden verhandelt werden kann
Ullstein
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Das Buch
Titelseite
Impressum
Einleitung
Was braucht es für den Beginn von Friedensverhandlungen?
Jedes Zugeständnis ein Verrat
Es muss allen Seiten wehtun
Das Licht am Ende des Tunnels muss sichtbar sein
Der große Bruder
Stolpersteine
Gesprächskanäle offen halten
Es gibt viel zu tun
Friedensverhandlungen
»Peace is not a product, but a process«
Mut zur Lücke!
Alle müssen mit am Tisch sitzen
Ohne Vertrauen geht es nicht
Über Zwiebeln und andere Bedürfnisse
Nicht zu früh über das mögliche Ende sprechen
Sicherheitsgarantien
Die zweischneidige Rolle von Waffenstillständen
Zwei Beispiele: Die Wirrungen und Irrungen auf dem Weg zum Frieden
Die Wunden schließen – Gerechtigkeit für die Opfer
»You killed my husband!«
Vergangenheitsarbeit – »Transitional Justice«
Internationale Gerichtsbarkeit
Den Opfern eine Stimme
Gerechtigkeit oder Frieden? Die Quadratur des Kreises
Es braucht eine starke Zivilgesellschaft
Aufarbeitung braucht Zeit
Lokale Konfliktbearbeitung
Frieden mit der Yogamatte
Was heißt hier zivil?
Von Chicago bis auf die Philippinen
Eine Frage der Gerechtigkeit
Prävention beginnt hier
UN-Blauhelme: Wenn das Vertrauen auf dem Nullpunkt ist
Die Anfänge der Blauhelme: Den Frieden sichern
Die drei goldenen Prinzipien des Dag Hammerskjöld
Zypern: Die alltägliche Friedensmission
Mit dem Ende des Kalten Krieges kamen die »robusten« Einsätze
Crossing the Mogadishu Line
Scheitern auf der ganzen Linie
Die Zukunft ist … blau?
Waffeninspektionen
Wie ich einmal zu spät kam, um einen Krieg zu verhindern, und warum es trotzdem der richtige Weg war
Verifikation: Wahrheit oder Krieg
Türen öffnen statt Bomben werfen
Eine Alternative zum Krieg
Keine Kontrolle biologischer Waffen
Nie glauben, immer ernst nehmen
Mit Naturwissenschaft gegen Kriegspropaganda
Biowaffen sind zu billig, die gehören verboten
Das Ende von Agent Orange
Gelber Regen über Asien
Milzbrand über Sverdlovsk
Naturwissenschaft und Friedensforschung
Nachrichten machen Krieg
Das erste Opfer des Krieges ist immer die Wahrheit
»Some activities may still be ongoing …«
Spindoktoren am Werk
Chlorgas über Douma?
Zeitdruck versus Fakten
Wahre Worte statt Waffen
Waffenexporte außer Kontrolle
»Low cost to kill«
Milan auf Abwegen
Blutiges Geld
Ausrede 1: Es werden keine Waffen in Kriegs- und Krisengebiete geliefert
Ausrede 2: Wenn wir nicht liefern, liefern die anderen
Ausrede 3: Da hängen so viele Arbeitsplätze dran
Ausrede 4: Waffenexporte helfen, Länder und Regionen zu stabilisieren
Waffenexporte als Mittel der Außenpolitik
Chemikalien für das syrische Giftgas-Programm
Wie lässt sich das alles ändern?
Waffenlieferungen oder Primat des Zivilen?
Waffen für Kurdistan
Das Primat der Wirtschaft
Der Mann mit dem Hammer
Pazifismus ist friedlich, aber nicht hilflos
Sanktionen und ihre Nebenwirkungen
Die irakische Katastrophe
Gezielte Sanktionen
Erfolg oder Misserfolg von Sanktionen
Mit Sanktionen gegen die Apartheid
Sanktionen als Machtmittel
Was sagt das Völkerrecht?
Das Ziel im Blick behalten
Krieg beginnt hier. Frieden auch.
Bittere Schokolade
Rohstoffkonflikte – Konfliktrohstoffe
Blutdiamanten
Über Piraten und Landdiebe
Von Handelskriegen zu unfriedlichem Handel
Abrüstung von oben und von unten
Egon Bahr – der Meister der Entspannung
Abrüsten, was man nicht mehr braucht
Abrüsten, was man selbst nicht hat
Abrüsten, was es noch nicht gibt
Abrüstung von unten – so kann es gehen!
Die Zukunft der Abrüstung
Aber jetzt konkret: Was ist mit dem Ukrainekrieg? Und dem Nahen Osten?
Frieden für die Ukraine?
Niemand hat eine einfache Antwort
Vertane Chancen
Verhandlungen vorbereiten, um sie möglich zu machen
Diplomatische Lösungen sprechbar machen
Sicherheitsgarantien
Druck auf den Kreml
Aus der Geschichte lernen
Frieden braucht Visionen: Israel / Palästina
Two States, One Homeland
Die roten Linien ernst nehmen
In Gefahr und höchster Not bringt der Mittelweg den Tod
Zeit für Optimismus?
Epilog: Ohne Panzer im Kopf
Frieden selbst machen
Zehn Prozent für alle!
Danke
Anmerkungen
Social Media
Vorablesen.de
Cover
Titelseite
Inhalt
Einleitung
Verhandlungen sind die Fortsetzung des Krieges auf einem anderen Schlachtfeld
1
Viele sicher geglaubte Wahrheiten sind in den letzten Jahren verloren gegangen. Frieden schaffen ohne Waffen – das war doch immer richtig!? Aber seit 2022 stellt sich vielen die Frage: Muss sich die Ukraine nicht gegen diesen brutalen Angriff verteidigen können? Wie soll es ohne Waffen und ohne Verteidigung zu einem Frieden kommen, ohne dass Russland das ganze Land übernimmt? Das Gleiche gilt für den Nahen Osten: Auch hier scheint eine Zukunft ohne Waffen kaum vorstellbar.
Dieses Buch ist kein detaillierter Masterplan für eine Beendigung des Nahost-Konfliktes oder des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine, denn den gibt es nicht. Aber es gibt Erfahrungen, aus denen wir lernen können für den Umgang mit aktuellen Kriegen und ein friedlicheres Morgen. Das Buch zeigt auf, wie auch in den verfahrensten Situationen und blutigsten Konflikten am Ende die Waffen zum Schweigen gebracht werden konnten – und wie Wege für einen dauerhaften Frieden geebnet wurden.
Es gibt so viele inspirierende Beispiele in der Geschichte, so viel Mut und Hoffnung angesichts der friedlichen Beilegung unterschiedlichster Konflikte, dass ich zutiefst davon überzeugt bin, dass es – fast – immer auch friedliche Wege zum Frieden geben kann. Die sind oft nicht einfach, und auch sie haben ihren Preis – aber eben einen, der weniger Tod, Leid und Zerstörung bedeutet. Drei Viertel aller kriegerischen Konflikte in den vergangenen Jahrzehnten endeten mit einem Friedensabkommen.2
An Beispielen aus der ganzen Welt lässt sich zeigen, wie Friedensgespräche funktionieren und was es braucht, damit sie überhaupt beginnen. Welche Rolle kann ein Land wie Deutschland spielen, um Friedensprozesse in anderen Teilen der Welt zu unterstützen? Was lässt sich tun, um Konflikte gar nicht erst eskalieren zu lassen und Kriege schon im Ansatz zu stoppen? Dieses Buch schaut zurück in die Geschichte, auf den Erfolg und Misserfolg unterschiedlichster Friedensprozesse. Und nach vorn, auf die vielen Wege zu einer friedlicheren Konfliktlösung.
Neueste Erkenntnisse der Friedensforschung werden mit Geschichten aus der Praxis verwoben. Auch aus meinen persönlichen Erfahrungen. Seit einem Vierteljahrhundert arbeite ich nun zu Abrüstung und Friedensthemen – etwas ungewöhnlich für einen Biologen. Das kam so: Seit Beginn meines Studiums habe ich mich mit den Risiken der Gentechnik befasst, in all ihren Variationen. Darüber habe ich an der Universität geforscht und bei Greenpeace Kampagnen organisiert. In dieser Zeit kam immer wieder die Frage auf, ob Gentechnik auch kriegsrelevant ist, weil sie biologische Waffen noch gefährlicher machen könnte. Eine Frage, die in der öffentlichen Diskussion praktisch keine Rolle spielte. Auch ich habe sie immer wieder ignoriert – bis mir 1999 das Buch »The Cobra Event« von Richard Preston in die Hand fiel, in dem ein gentechnisch verändertes Supervirus die Menschheit bedroht. Maßlos übertrieben, aber rasant geschrieben, ich hatte meinen Spaß. Wenige Monate später entstand daraus mit einem US-amerikanischen Kollegen zusammen die Idee, sich doch mal intensiver mit solchen Risiken auseinanderzusetzen. In einem kleinen Restaurant in New York City entwickelten wir die Idee einer kleinen Nichtregierungsorganisation, dem Sunshine Project, das in den Folgejahren den einen oder anderen Skandal rund um Gentechnik und Biowaffen recherchierte.
Damit war ich mittendrin in Abrüstungsfragen, die mich seitdem in vielen Variationen beschäftigten und in denen ich den unterschiedlichsten Mitteln und Wegen einer friedlichen Konfliktlösung begegnete: Als Biowaffeninspektor bei den Vereinten Nationen konnte ich hautnah erleben, welche friedlichen Alternativen zur militärischen Gewalt es hätte geben können, damals 2003 im Irak. Und wie politische und wirtschaftliche Interessen manchmal ganz bewusst einen friedlicheren Weg zur Lösung eines Konfliktes verstellen. In meiner Zeit bei Greenpeace International habe ich an Initiativen zur atomaren Abrüstung im Nahen Osten mitgearbeitet, und als Abgeordneter im Deutschen Bundestag konnte ich mir direkt in verschiedenen Konfliktregionen ein Bild von der Situation – und möglichen Lösungen – machen. Ob nun lokale Initiativen zur zivilen Krisenprävention im Südsudan, die Untersuchungen der Internationalen Atomenergie-Organisation zum iranischen Atomprogramm, deutsche Waffenlieferungen in Kriegsgebiete oder ein Untersuchungsausschuss des Bundestages zum Bombenangriff von Kundus in Afghanistan: Überall bin ich auf friedliche Alternativen und zivile Möglichkeiten der Konfliktbeilegung gestoßen, die leider nur allzu oft an den Machtinteressen oder Ideologien einzelner Akteur:innen gescheitert sind. Auch an denen Deutschlands.
Dieses Buch zeichnet an Beispielen nach, wie Kriege endeten, wie ein neues Aufflammen von Gewalt verhindert wurde und ein dauerhafter Frieden erreicht werden konnte – und schaut dabei auch auf die Rolle Deutschlands in vielen Konflikten dieser Welt. Denn ob und wie die reichen Länder agieren, hängt allzu oft davon ab, was ihnen und ihrer Wirtschaft nützt. Wenn Rohstoffe billig und der Zugang zu fossilen Energien sicher sein sollen, dann bleiben die Menschenrechte und der Frieden oft auf der Strecke, der Einmarsch eines Staates in ein Nachbarland ist dann schnell verziehen. Wenn Fluchtrouten weit vor dem Mittelmeer unterbrochen werden sollen, dann werden auch schon mal die schlimmsten Übeltäter zu »Partnern«. Wenn schmutzige Geschäfte mit Waffenlieferungen geschmiert werden, dann muss man damit rechnen, dass die Waffen auch eingesetzt werden. Als die ganze Welt schon wusste, dass die Assad-Regierung in Syrien in großen Mengen Sarin als Chemiewaffe produzierte, haben deutsche Firmen trotzdem noch die Ausgangschemikalien nach Syrien geliefert – womöglich, weil man den syrischen Geheimdienst im »Kampf gegen den Terror« für unverzichtbar hielt.
Diesem Zynismus – manche nennen es »Realpolitik« – stellen sich die vielen Held:innen des Alltags entgegen, die unermüdlich in ihrer Gemeinde, in ihrem Land und auf ihrem Kontinent ganz »real« daran arbeiten, den Frieden sicherer zu machen oder ihn überhaupt erst wieder herzustellen. Die mit zivilen Mitteln Konflikte lösen, in Kriegen vermitteln, die versöhnen und erinnern, die Ungerechtigkeiten bekämpfen, gegen Straflosigkeit vorgehen oder sich unter größten Risiken gegen die vermeintlichen Lösungen der Waffengewalt stellen. Dies ist auch ein Buch über und für sie. Mögen sie uns Anregung und Inspiration sein, selbst einen Beitrag zu einer friedlichen und gerechten Welt zu leisten.
Der syrische Bürgerkrieg hätte schon 2012 zu Ende sein können. Aber leider gibt im Krieg der Stärkere meistens nicht nach. Und Klügere gibt es viel zu selten.
Anfang 2011 war der Arabische Frühling auch in Syrien angekommen, mit großen Demonstrationen gegen das Regime von Bashar al-Assad. Als im März dann Polizisten auf friedliche Demonstrant:innen schossen, gab es viele Tote. Sehr schnell eskalierte die Gewalt, Syrien befand sich mitten in einem blutigen Bürgerkrieg. Zehntausende Soldaten desertierten und bildeten die »Freie Syrische Armee«. Das westliche Ausland – und viele andere – unterstützte die Rebellen, Bashar al-Assad geriet immer mehr unter Druck. 2012 sah es so aus, als ob er militärisch kaum noch eine Chance hätte.
In dieser Situation schlug Assad einen friedlichen Machtwechsel vor: Er selbst würde 2014 zurücktreten und den Weg für eine neue Regierung frei machen.3 Wie ernst er das meinte und welche Hintertürchen er sich vielleicht erhoffte, werden wir nie wissen. Aber es war zumindest ein erstes Angebot für einen friedlichen Wandel, ein erster Schimmer der Hoffnung für die Menschen in Syrien. Ich erinnere mich noch allzu gut daran, wie dieser Vorschlag in Deutschland aufgenommen wurde. Als Mitglied des Bundestages saß ich im Auswärtigen Ausschuss und musste mir anhören, wie über diesen Vorschlag gelacht wurde. Von wegen 2014 – jetzt sofort muss er gehen, und wenn er nicht will, dann wird die Revolution in Syrien ihn hinwegfegen. Assad wurde ausgelacht, weil man sich auf der Siegerstraße wähnte. Und glaubte, irgendeine Art von Kompromiss, Gespräch oder Verhandlung gar nicht nötig zu haben.
Ähnliches berichtete der frühere finnische Präsident Martti Ahtisaari, der für seine vielen Friedensvermittlungen 2008 den Friedensnobelpreis bekommen hatte. Er war 2012 in Gespräche zur Beendigung des syrischen Bürgerkrieges eingebunden. Dabei habe Russland als Schutzmacht Syriens angeboten, dass Assad nach einem Friedensschluss die Macht abgeben würde, aber die USA, Frankreich und Großbritannien hätten das abgelehnt, weil sie so davon überzeugt waren, dass der Sturz Assads kurz bevorstand.4
Welch ein Irrtum. Mit Hilfe aus dem Iran und Russland gewann schon ein Jahr später das Regime in Syrien wieder die Oberhand. Schiitische Milizen und russische Kampfflugzeuge brachten den militärischen Erfolg, im Gleichschritt mit einer unfassbar brutalen Kriegsführung des Regimes gegen die eigene Bevölkerung. Es wurde offensichtlich, dass die bewaffnete Opposition dem Assad-Regime nicht standhalten konnte. In dieser Situation war es dann der Westen, der laut über mögliche Friedensverhandlungen nachdachte. Und jetzt war es Assad, der lachte, da er sie nun nicht mehr nötig hatte.
Der syrische Bürgerkrieg dauert bis heute an. UNICEFschätzt, dass bisher über eine halbe Million Menschen starben. Weil Assad mit größter Brutalität seinen Vernichtungsfeldzug gegen jeglichen Widerspruch fortführt – aber auch, weil in entscheidenden historischen Momenten keine Seite bereit war, aus einer Position der Stärke heraus einen friedlichen Weg zu suchen.
Lazaro Sumbeiywo, ein kenianischer General, der im sudanesischen Bürgerkrieg über Jahre Friedensgespräche moderierte, hat das zentrale Problem von Friedensverhandlungen einmal sehr treffend auf den Punkt gebracht: »Verhandlungen sind die Fortsetzung des Krieges auf einem anderen Schlachtfeld.«5 Ein fast schon brutal nüchterner Satz, in dem all die Schwierigkeiten komprimiert sind, mit denen Friedensgespräche zu kämpfen haben. Denn mit den Verhandlungen beginnt ja kein Frieden, sondern zunächst einmal wird der Kampf mit anderen Mitteln, mit Worten – und mit offenem Ausgang – weitergeführt. Da begegnen sich erbitterte Feinde, die mitunter brutalste Verbrechen begangen haben, die sich zutiefst verachten und seit Jahren den anderen mit jeder nur erdenklichen Hassrede verunglimpft haben. Da wird um jeden Millimeter gekämpft, da kostet jede diplomatische Floskel enorme Überwindung, jedes freundliche Wort wird als Schwäche empfunden und jedes Zugeständnis als Verrat.
In dieser Situation sollen sich die Gegner an einen Tisch setzen und miteinander reden. Eine Seite hat den Krieg ja aus Gründen begonnen. Sie wussten von Anfang an, dass der Krieg grausam wird, dass er auch auf ihrer Seite viele Menschenleben kosten wird und dass sie wirtschaftlich leiden werden. Und doch haben sie den Krieg angefangen. Warum sollten sie ihn jetzt wieder beenden, solange sie auch nur den Hauch einer Chance auf einen militärischen Sieg sehen? Die Bereitschaft zum Verhandeln gibt es meistens nur, wenn man sich in der Position der Schwäche sieht.
Genau in solchen Momenten bräuchte es einen Klügeren, der nachgibt. Auch im Angriffskrieg gegen die Ukraine gab es im Herbst 2022 eine ähnliche Situation, in der sich ein Fenster für Verhandlungen hätte öffnen können, aber dazu mehr am Ende dieses Buches. Es wäre für eine friedlichere Zukunft in dieser Welt schon sehr viel gewonnen, wenn in einem Krieg die militärisch stärkere Seite auch die klügere wäre. Die Friedensforschung hat in den letzten Jahrzehnten allerdings sehr gut herausgearbeitet, dass es in der Regel erst dann zu Friedensverhandlungen kommt, wenn ein Konflikt »reif« dafür ist, weil er beiden Seiten gleichzeitig sehr wehtut und sie nichts mehr zu gewinnen haben.
Hier liegt eines der größten Probleme für eine friedliche Beendigung von Kriegen: die nicht vorhandene Gleichzeitigkeit des Friedenswillens. Denn nur selten gibt es einen »Klügeren«, der nachgibt. Eine Kriegspartei wird nicht verhandeln, solange sie glaubt, noch etwas gewinnen zu können. Oder sich wenigstens zu einer besseren Verhandlungsposition schießen zu können. Das ist ein trauriges Faktum, das sich in so vielen gewalttätigen Konflikten wieder und wieder gezeigt hat.
Solange ein Krieg nicht »reif« ist für Verhandlungen, ist jeder Versuch einer diplomatischen Lösung zum Scheitern verurteilt. Dieser Begriff der »Reife« wurde von William Zartman geprägt, der viele Jahre als Friedensforscher an der Johns Hopkins University in Baltimore gearbeitet hat. Er geht davon aus, dass es mindestens zwei Faktoren braucht, um Verhandlungen überhaupt erst möglich zu machen: auf der militärischen Ebene eine schmerzhafte Pattsituation und auf der politischen Ebene einen »way out«, die Vorstellung einer möglichen Lösung.6
Solange eine Seite glaubt, ihr Ziel ohne Verhandlungen erreichen zu können, wird sie nicht verhandeln, das zeigt der Fall Syrien, wo erst der Westen und dann Assad Friedensgespräche ablehnten, weil sie sich jeweils auf der Siegerstraße wähnten. Die Situation ändert sich, wenn sich militärisch eine Pattsituation ergibt, auf Englisch »Stalemate« genannt: Im Frontverlauf passiert nur noch wenig, über längere Zeit gibt es keine Durchbrüche der einen oder anderen Seite, und auch subjektiv hat keine Seite mehr das Gefühl, noch etwas gewinnen zu können. Wenn dieses Patt dann auch noch richtig wehtut, dann steigen die Chancen für Friedensgespräche. Der Schmerz kann vielfältig sein: weil viele Menschen sterben, weil der Krieg viel zu viel Geld kostet und die eigene Wirtschaft in den Ruin treibt oder weil die Unterstützung in der Bevölkerung nachlässt und damit die Machtposition im eigenen Land gefährdet ist. Wenn dies für beide Seiten im Konflikt gilt, dann spricht man von einem »Mutually Hurting Stalemate«, einem Patt, das allen Seiten wehtut und nach William Zartman die zentrale Voraussetzung für Friedensverhandlungen ist.
Wenn der Krieg mehr zu kosten droht, finanziell und / oder politisch, als er am Ende einbringen kann, dann lohnt er sich nicht mehr. Erst wenn das für beide Seiten gilt, werden sie anfangen, über mögliche Verhandlungslösungen nachzudenken. Zartman nannte das eine »Lose-lose-Situation«: Alle verlieren, niemand gewinnt. Das ist sehr rational gedacht, aber tatsächlich folgen die meisten Kriege rationalen Überlegungen. Vielleicht nicht immer eine Rationalität, die wir von außen verstehen können, und schon gar keine, die wir richtig finden würden – aber auch Diktatoren und Kriegsverbrecher folgen meist einer gewissen rationalen Logik, und sei es nur die des eigenen Machterhaltes.
Wie ein Mutually Hurting Stalemate aussieht, lässt sich sehr gut am Beispiel des Iran-Irak-Krieges zeigen. 1980 hatte der Irak unter Saddam Hussein das Nachbarland überfallen, um lange schwelende Grenzkonflikte militärisch zu seinen Gunsten zu klären. Zunächst konnte der Irak größere Gebiete des Iran erobern und besetzen, dann kam der Iran immer stärker in die Offensive, gewann alles Land zurück und versuchte seinerseits, in den Irak einzufallen. Es entbrannte ein Abnutzungskrieg, in dem immer mal wieder die eine oder andere Seite militärisch leichte Gewinne zu machen schien. Es war ein äußerst brutaler Krieg, in dem der Irak begann, Chemiewaffen einzusetzen, und in dem beide Seiten jeweils auch zivile Wohngebiete in den Großstädten bombardierten. Erst acht Jahre – und über 500 000 Tote – später waren beide Seiten endlich zu einem Waffenstillstand bereit, nachdem sich die Erkenntnis durchgesetzt hatte, dass keine Seite gewinnen, sondern beide nur noch verlieren konnten. Das Fatale daran ist, dass der Waffenstillstand von 1988 zu ziemlich exakt den gleichen Bedingungen erreicht wurde, die bereits 1982 vorgeschlagen waren – aber vor 1988 dachte offenbar immer mindestens eine Seite, sie könnte noch irgendetwas in diesem Krieg gewinnen.7
Ähnlich war es auch im Bosnienkrieg. Im Sommer 1992 entbrannte ein brutaler Krieg zwischen den verschiedenen ethnischen Gruppen in Bosnien, mit massenhaften ethnisch motivierten Morden an muslimischen Bosniak:innen, von denen sich vor allem der Genozid von Srebrenica im Sommer 1995 ins Weltgedächtnis eingebrannt hat.
1995 wurde der Krieg zwar immer noch mit voller Brutalität geführt, aber es gab ein gewisses Gleichgewicht der Kräfte, und keine Seite konnte noch größere Geländegewinne erwarten. Hinzu kam, dass Slobodan Milošević sich seiner Position als Präsident Serbiens nicht mehr sicher sein konnte, denn die Sanktionen durch die Vereinten Nationen setzten der serbischen Wirtschaft massiv zu, und sein Rückhalt in der Bevölkerung bröckelte stark. Diese Situation war ein klassisches militärisches Patt, das für beide Seiten schmerzhaft war, ganz besonders für den Aggressor Milošević. Und genau daraus ergab sich dann auch die Möglichkeit für Friedensverhandlungen, die mit dem Abkommen von Dayton abgeschlossen wurden.
Hier ein kurzer Exkurs: Bis heute hält sich die Legende, dass erst die NATO-Luftangriffe auf serbische Stellungen den Frieden ermöglicht hätten. Diese Lesart lässt der frühere schwedische Ministerpräsident Carl Bildt, einer der Chefunterhändler für das Dayton-Abkommen, nicht gelten. Er hat in einem Hintergrundartikel festgehalten, dass selbst die CIA später klipp und klar festgestellt habe, dass »militärisch gesehen der Effekt der NATO-Luftangriffe gegen null ging« und dass »es noch weniger Anzeichen dafür gibt, dass es diese Luftangriffe waren, die die bosnischen Serben an den Verhandlungstisch in Dayton gebracht haben«. Tatsächlich, so das CIA-Memo, hatte die serbische Seite die Verhandlungen schon vor dem NATO-Angriff akzeptiert.8
Ganz ähnlich wie in Bosnien war einige Jahre später dann auch die Lage in Kolumbien, wo seit vielen Jahrzehnten ein blutiger Bürgerkrieg tobte, mit verschiedenen bewaffneten Rebellengruppen, allen voran die »Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia« (FARC). Dort hatte sich Anfang der 2000er-Jahre auch ein Mutually Hurting Stalemate eingestellt. Die FARC hatte nie eine realistische Chance auf einen militärischen Sieg, genauso wenig wie die Regierung, obwohl diese unfassbar aufgerüstet hatte. Gleichzeitig hatte der Krieg gegen die FARC einen hohen politischen Preis für die politischen Machthaber in Kolumbien, denn er ging mit massiven Menschenrechtsverletzungen einher. Willkürliche Morde, Vertreibungen, Vergewaltigungen und Folterungen durch Militär, Geheimdienste oder staatsnahe Paramilitärs fanden auf Dauer in einem Land, das sich als älteste Demokratie Lateinamerikas rühmt, keine Unterstützung. So kam es, dass auch dieser Konflikt schließlich reif für Verhandlungen war,9 die 2016 in einem Friedensabkommen endeten, das aus vielen Gründen als beispielhaft gilt – aber dazu im nächsten Kapitel mehr.
Die Theorie vom gleichzeitigen schmerzhaften Patt hört sich recht einfach an, ist in der Praxis aber deutlich komplizierter. Die objektive Einschätzung, dass keine Seite mehr etwas gewinnen kann, reicht nicht. Vielmehr müssen die Kriegsparteien es selbst so sehen. Und das ist gerade im Krieg nicht so einfach. Irgendwann fällt man auf die eigene Propaganda herein und glaubt an den totalen Sieg, an den Durchbruch in der nächsten Frühjahrsoffensive oder an den Aufstand der gegnerischen Bevölkerung. Manchmal dauert es Jahre, bis sich die Erkenntnis durchsetzt, dass sich im Stellungskrieg an der Front eigentlich gar nichts mehr bewegt und man nur noch Verluste verzeichnet.
Die gute Nachricht ist, dass sich in einer solchen Situation viele Möglichkeiten einer friedlichen Intervention von außen ergeben. Die Friedensforschung weist die Vorstellung zurück, dass andere Akteure nach Zartmans Modell einfach auf den reifen Moment warten müssen, um dann unterstützend einzugreifen. Im Gegenteil, in jedem Stadium eines Konfliktes sollten Dritte nach Möglichkeiten suchen, um einen reifen Moment herbeizuführen.10 Im besten Falle könnten auch wirtschaftliche Sanktionen die Kosten-Nutzen-Rechnung bei den Kriegsparteien deutlich verschieben.
Hier kommt die Kriegsmüdigkeit ins Spiel: Wenn breite Bevölkerungskreise den Krieg nicht mehr aushalten, ihn nicht mehr wollen, wenn selbst unter den Soldat:innen der Glaube an den Sieg schwindet, dann spricht man von Kriegsmüdigkeit. Sie gefährdet die Machtpositionen der Führungseliten und kann so ganz entscheidend zum schmerzhaften Patt beitragen und den Weg zu Verhandlungen ebnen. Das Wissen um diesen Mechanismus bestimmt leider häufig genug die Kriegsführung. Raketenangriffe auf Wohngebiete oder auf die Stromversorgung haben oft genau das Ziel, eine Kriegsmüdigkeit unter der gegnerischen Bevölkerung zu erzeugen.
Der Schmerz allein reicht aber nicht, es braucht auch die Einsicht, dass ein Ausweg möglich ist. Dabei geht es gar nicht darum, dass die letztgültige Lösung schon klar umrissen ist – das ist sie zu Beginn von Friedensverhandlungen so gut wie nie. Darauf werden wir später noch zu sprechen kommen. Es ist tatsächlich immer wieder überraschend, wie bei Friedensverhandlungen am Ende die Lösungen aussehen. Aber die Vorstellung, dass es überhaupt nichtmilitärische Lösungswege geben könnte, ist eine unabdingbare Voraussetzung für den Beginn von Verhandlungen – und hier kann auch die internationale Gemeinschaft aktiv eingreifen.
Ein gutes Beispiel sind wieder die Friedensverhandlungen am Ende des Bosnienkrieges. Wolfgang Ischinger, der frühere Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, hat das kürzlich in einem Gastbeitrag im Tagesspiegel anschaulich geschildert. Mit Blick auf mögliche Friedenslösungen im Russland-Ukraine-Krieg forderte er ein »Raus aus der Schockstarre« und die Vorbereitung möglicher Friedenslösungen.11 1995, vor den Verhandlungen in Dayton, hatten die US-Amerikaner eine Vielzahl von möglichen Lösungsvorschlägen erarbeitet und sich auf alle nur denkbaren Eventualitäten vorbereitet, so Ischinger. Sogar eine Verfassung für Bosnien-Herzegowina hatten sie entworfen, ebenso wie Vereinbarungen zur Rüstungskontrolle, selbst sehr konkrete Vorstellungen für eine mögliche Währung gab es. An jedes Detail war gedacht worden. Auch wenn niemand vorhersehen konnte, wie eine Vereinbarung am Ende wirklich aussehen würde – allein die Tatsache, dass Möglichkeiten auf dem Tisch lagen, dass ein Ausweg sichtbar wurde, hat maßgeblich zum Beginn der Verhandlungen beigetragen. Nichts davon zeichnete das Ergebnis der Verhandlungen vor, es wurden nur viele mögliche Optionen zusammengetragen, die am Anfang den Ausweg zeigten und im weiteren Verlauf die Verhandlungen unterstützen konnten.
Das Beispiel Bosnien gibt uns eine wichtige Lehre mit auf den Weg: Auch Außenstehende können einen wichtigen Beitrag für den Beginn von Friedensverhandlungen leisten, zum Beispiel, indem sie mögliche Auswege skizzieren, eine internationale Debatte über Lösungswege anstoßen oder gar, wie beim Dayton-Abkommen, die Details akribisch vorbereiten. Das kann – wenn eine Situation denn reif ist – den entscheidenden Anstoß geben.
Das gilt auch für den letzten Schritt: Wenn ein Konflikt reif ist für Verhandlungen und wenn Auswege aus der Gewalt möglich erscheinen, dann muss diese Gelegenheit am Schopf gepackt werden. Dann helfen externe Vermittler, die zwischen den Kriegsparteien hin und her pendeln und sie langsam, aber sicher über die Ziellinie führen. Deshalb sind all die Vermittlungsangebote und die Pendeldiplomatie rund um den Ukrainekrieg, vom Vatikan bis nach Brasilien, so wichtig – selbst wenn sie im ersten Moment keinen Erfolg zu haben scheinen, weil die Situation eben noch nicht reif ist für Verhandlungen. Am Ende könnten sie verhindern, dass der richtige Moment verschlafen wird.
Die Theorie von der Reife eines Konfliktes beschreibt für viele Auseinandersetzungen in der Vergangenheit recht gut, wann und warum Friedensgespräche möglich wurden. Wir sollten uns allerdings hüten, sie als einfaches Rezept zu begreifen: warten, bis es beiden Seiten ordentlich wehtut, und ab in die Verhandlungen. Das wäre viel zu passiv und würde in vielen Kriegen das Leiden über Jahre verlängern. Tatsächlich gibt es noch andere Möglichkeiten, von außen einzugreifen und den Weg zu einer friedlichen Lösung zu ebnen.
Ganz wichtig waren in der Vergangenheit starke Verbündete der einen oder anderen Kriegspartei, die einen gewissen Druck in Richtung Verhandlungen ausgeübt haben. Auch hier ist der Bosnienkrieg wieder ein sehr gutes Beispiel, denn dort waren die großen Partnerländer der jeweiligen Seiten sich einig, dass der Krieg schnellstmöglich beendet werden sollte. Russland spielte als enger Verbündeter Serbiens eine wichtige Rolle und machte Druck, Serbien an den Verhandlungstisch zu bekommen. Gleiches galt andersherum auch für die USA und die EU als Verbündete der bosnischen Seite.
Solche Situationen, in denen ein »großer Bruder« Druck ausübt – oder zumindest tatkräftige Überzeugungsarbeit leistet –, gibt es häufiger in Kriegssituation. Bei dem viel gelobten Friedensprozess im kolumbianischen Bürgerkrieg spielte zum Beispiel Venezuela eine ganz wichtige Rolle, indem es immer wieder auf die Rebellengruppe der FARC einwirkte, trotz aller Probleme weiter an den Verhandlungen teilzunehmen. Übertragen auf den Russland-Ukraine-Krieg würde das Prinzip des großen Bruders bedeuten, China für eine Vermittlerrolle zu gewinnen, doch dazu später mehr.
Im Krieg geht es immer auch um den »Schwarzen Peter«. Die Schuld muss immer bei der anderen Seite liegen, denn wir sind die Guten, wir wollen ja Frieden. Deswegen wird in den seltensten Fällen eine Kriegspartei Verhandlungen rundheraus und öffentlich ablehnen. Der einfache Ausweg ist die Formulierung von Vorbedingungen: Wir sind zu Verhandlungen bereit, jederzeit – aber nur, wenn ihr dieses oder jenes tut. Wenn ihr euch hinter diese oder jene Linie zurückzieht, wenn ihr dauerhaft auf euren Anspruch auf diese oder jene Territorien verzichtet, wenn ihr unsere finanziellen Forderungen anerkennt – was auch immer.
Manchmal sind das sogar richtige und wichtige Forderungen, aber so richtig sie auch sein mögen: Ihre Erfüllung kann immer nur Ergebnis von Verhandlungen sein und nicht ihr Ausgangspunkt. Denn meist haben beide Seiten Kriegsziele, die in der Regel unvereinbar sind, sonst wäre der Krieg nicht begonnen worden. Eine Lösung für diese widerstreitenden Ziele kann nur in Verhandlungen gefunden werden, nicht vorher. Deshalb gilt die einfache Grundregel: Wer Vorbedingungen stellt, möchte gar nicht verhandeln.
Ein anderes Hindernis für Verhandlungen ist oft die vorhergegangene innenpolitische Propaganda. Jede Kriegspartei muss sich beständig die Zustimmung der eigenen Bevölkerung sichern und produziert dazu unablässig Kriegspropaganda. Dazu gehört immer auch die Verteufelung des Gegners: Monster, Kindermörder, Verbrecher, Verrückte. Das kann irgendwann echte Probleme bereiten, denn wie erkläre ich meinen Leuten, dass ich mit skrupellosen Schwerverbrechern verhandeln will?
Auch objektiv gibt es hier ein Problem, denn oft haben beide Seiten tatsächlich schlimmste Kriegs- und Menschenrechtsverbrechen begangen. Es fällt dem gesunden Menschenverstand und der Weltgemeinschaft schwer, Gespräche mit Schwerverbrechern zu akzeptieren. Aber ohne Gespräche kein Frieden, ohne Gespräche noch mehr Verbrechen, Tote und Leid auf allen Seiten. Deshalb muss der Grundsatz gelten, dass mit allen, wirklich allen Kriegsparteien geredet werden muss. Gerade in Bürgerkriegen wird immer wieder die Frage gestellt, ob man mit »Terroristen« überhaupt reden dürfe. Im Nahostkonflikt ist das eine ständige und immer wiederkehrende Frage, die in der Vergangenheit sehr unterschiedlich beantwortet wurde. In den 1990er-Jahren gab es einen Dialog, der damalige PLO-Chef Jassir Arafat wurde vom »Terroristen« zum Friedensnobelpreisträger. »Terrorist« ist allzu häufig nur ein Kampfbegriff, um die jeweils andere Seite zu diskreditieren. Auch Nelson Mandela galt mal als »Terrorist«, und wie gut, dass am Ende mit ihm geredet wurde. Das Gleiche gilt für Nordirland, Kolumbien, Sudan und so viele andere Bürgerkriege, in denen am Ende ein Friedensschluss mit früheren »Terroristen« gefunden wurde. Allerdings ist vollkommen klar, dass nach dem unfassbar brutalen Massaker der Hamas vom 7. Oktober 2023 ein echter Dialog in nächster Zeit schwer vorstellbar ist.
Als ich zum ersten Mal vom russisch-ukrainischen Getreideabkommen hörte, stimmte es mich optimistisch. Im Sommer 2022, mitten im Krieg, vereinbarten Russland und die Ukraine die sichere Passage von Getreideschiffen im Schwarzen Meer. Da redeten zwei Kriegsgegner miteinander und fanden eine gemeinsame Lösung für ein Problem. Das, so mein Gedanke, könnte doch der Nukleus von weitergehenden Gesprächen und am Ende vielleicht sogar Friedensverhandlungen sein. Das war leider ein großer Irrtum.