Wünsch dich ins Wunder-Weihnachtsland Band 16 - Martina Meier (Hrsg.) - E-Book

Wünsch dich ins Wunder-Weihnachtsland Band 16 E-Book

Martina Meier (Hrsg.)

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Beschreibung

Für den Heiligen Abend hatte Theres frisches Brot gebacken und einen deftigen Ziegenkäse gerichtet. Sie wollte sich stärken, ehe sie zur Mitternachtsmette ins Dorf ging. Der Wind pfiff um die Hausecken und der Schneefall wurde immer schlimmer. Rasch verließ sie ihre Hütte, um Besen und Schneeschaufel vor dem Sturm zu schützen und sicher zu verwahren. Sie warf einen Blick auf ihren Gartenzwerg. Heute erschien es ihr, als ob er ein viel freundlicheres Gesicht machen würde. „Danke für den Schal!“, hörte sie plötzlich eine raue Stimme. Wie angewurzelt blieb sie stehen. „Was hast du gerade gesagt?“ ... (Hannelore Futschek) Tauchen wir ein in eine Welt voller Weihnachtswunder im Wunder-Weihnachtsland Band 16. Und nun steuern wir tatsächlich mit großen Schritten zwei Jahrzehnte „Wünsch dich ins Wunder-Weihnachtsland“ an und sind mächtig stolz. Nicht auf uns, nein, sondern auf die vielen Hundert Autorinnen und Autoren, die dieses Projekt erst möglich gemacht und haben wachsen lassen. Jedes Jahr ein kleines Stückchen mehr.

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Wünsch dich ins Wunder-Weihnachtsland

Band 16

Martina Meier (Hrsg.)

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Impressum

Personen und Handlungen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.

Besuchen Sie uns im Internet - www.papierfresserchen.de

© 2023 – Papierfresserchens MTM-Verlag GbR

Mühlstr. 10, 88085 Langenargen

Alle Rechte vorbehalten. Taschenbuchauflage erschienen 2023.

bearbeitung: CAT creativ - www.cat-creativ.at

Titelbild: © Heike Georgi

ISBN: 978-3-99051-137-4 - Taschenbuch

ISBN: 978-3-99051-138-1 - E-Book

*

Inhalt

Vorwort

Max und die Nikolausnacht

Unter’m Weihnachtsbaum

Der Winterzeit Sinn

Ein fast besinnlicher Heiligabend

Nummer vierundzwanzig

Winterglück mit Baumkuchen und Bauchspeck

Vier Kerzen am Adventskranz

Glühwein

Ein besonderer Zauber

Der Weihnachtswunsch

Weihnachten

Von Folterfideln und anderen Arschgeigen

Das Christkind im Schlüsselloch

Oh du Fröhliche ärgert sich

Der Irrtum

Eine schöne Bescherung

Nikoläuse im neuen Design

Weihnachtszeit

Weihnachtsmärchen

Heinz

24 Weihnachtsgeschichten

Eine Sternstunde sein

Der Wichtel und die Nikolausplätzchen

Die Weihnachtsgurke

Wunschzettel

Lieber, guter Weihnachtsmann

Merkwürdige Spuren

Weihnacht, die kleine Maus

Die Suche nach den verschwundenen Rentieren

Dieses Jahr schenken wir uns nichts

Hirsch und Hirschkuh

Eine Weihnachtsumarmung

Tannen, Tränen und der letzte Brownie

Kleine Welt

Ein vorgezogenes Weihnachtsfest

Weihnachten

Der Weihnachtshund

Wintertag

Nano spricht

Die Wipfelwichtel im Winter-Wunder-Weihnachtswald

Ein Ticket für Dancer

Eine Liebeserklärung an den Dezember

Nur ein Wunder

Der Schneemann

Ach, du schöne Weihnachtszeit!

Die Magie der Weihnacht

Eine Ladendetektivin in der Adventszeit

Der Heilige Nikolaus in Nöten

Friedas Schneemann zur Christnacht

Fatale Begegnung

Familienbrauch zur Weihnachtszeit

Die Magie der Weihnachtszeit

Der Weihnachtsbaum aus dem Sauerland

Ein letztes Geschenk

Das Kekswunder

Weihnachtszeit

Trotz allem ... Weihnachtsfreude

Der Lebkuchen

Wo bleibt denn bloß der Weihnachtsmann?

Der schmollende Weihnachtsmann?

So leis’

Marie

Was für ein Winter

Weihnachten für einen Christbaum

Weihnachtsengel und sein Gefolge

Willi Weihnachtswichtel

Kein einfacher Weihnachtswunsch

Weihnachtswunder

Nilas und die goldene Mandel

Pollys Weihnachtstagebuch

Die Legende vom Sternenbaum

Weihnachten in meiner Kindheit

Der Weihnachtsgoblin

Besuch am Heiligen Mittag

Wenn Engel Plätzchen backen

Der Zauber der Weihnacht

Briefe mit Opa

Mister Moneymaker und das Fest der Liebe

Das Nichts und die Einsamkeit

Die Weihnachtserinnerung

Weihnachten im goldenen Schloss

Rentier Hauptquartier

Weihnachten ohne Bommelmütze

Das andere Weihnachtsgedicht

Vorweihnachtsfreude

Wie zwei arme Waisenkinder zu Engeln wurden

Die Anti-Weihnachtsparty

Das Christkind

Sternschnuppes Weihnachtsmission

Fliegende Milchkannen und eine Bücherliste

Zu Besuch beim Weihnachtsmann

Engelsbegegnung

Stutenkerl und Lebkuchenmann

Das Christkind-Casting

Die Weihnachtselfe

Der verrückte Weihnachtstraum

Die Chorprobe

Kleine Wunder

*

Vorwort

Ein weihnachtliches Vorwort zu schreiben, wenn draußen mehr als 30 Grad herrschen und die Sonne vom Firmament brennt, ist gar nicht so ganz einfach. Dann wünscht man sich vor dem PC ganz schnell, sich ganz klein machen zu können, um gleich direkt in die vielen tollen Geschichten und die schöne Advents- und Weihnachtszeit schlüpfen zu können. Wenn der Schnee leise fällt, die Näslein rot vor lauter Kälte werden und das Christkind seinen Besuch ankündigt ...

Genug geträumt, wir haben Sommer, 32 Grad und das Buch will in Druck, damit es pünktlich zum Beginn der Vorweihnachtszeit ... und natürlich auch schon ein paar Wochen vorher ... die Bücherwelt erobern kann. Vielleicht bei einer Lesung in der Adventszeit. Oder als Geschenk im Nikolausstiefel. Als Geschichtenbuch anstelle eines Adventskalenders. Als Präsent für einen lieben Menschen unterm Weihnachtsbaum.

Wir wissen von soooo vielen Gelegenheiten, bei denen unser Verlagslieblingsprojekt zum Einsatz kam. Und das inzwischen schon im 16. Jahr, denn mit großen Schritten steuern wir zwei Jahrzehnte „Wünsch dich ins Wunder-Weihnachtsland“ an und sind mächtig stolz. Nicht auf uns, nein, sondern auf die vielen Hundert Autorinnen und Autoren, auf Sie, auf euch, die Sie, die ihr dieses Projekt erst möglich gemacht und es habt wachsen lassen. Jedes Jahr ein kleines Stückchen mehr.

Hunderte Geschichte sind in 16 Bändern und in einigen Bänden erschienen, die unter dem Titel „Wünsch dich in kleine Wunder-Weihnachtsland“ veröffentlicht wurden – diese ausschließlich bestückt mit Geschichten, Märchen und Gedichten von Kindern.

Mit Erscheinen des 16. Bandes wird auch die Ausschreibung für den 17. Band online gestellt, den wir in diesem Buch bereits mit Cover ankündigen. Wir sind schon jetzt gespannt darauf, welche Geschichten wir im kommenden Sommer – hoffentlich bei etwas gemäßigteren Temperaturen – lesen können. Wir sind sicher, dass Ihnen und euch wieder so einiges einfallen wird, was Weihnachtsmann und Nikolaus, das Christkind und die vielen Helferlein anstellen.

Sollen wir jetzt schon frohe Festtage wünschen? Ach, was solls. Wir tun es einfach ... nach 16 Jahren sei es uns erlaubt.

Liebe Leserinnen und Leser, liebe Autorinnen und Autoren, wir wünschen Ihnen frohe Weihnachten 2023. Mögen sich all Ihre Wünsche erfüllen. Aber bleiben Sie vor allen Dingen gesund.

Und natürlich wünschen wir viel Freude bei der Lektüre dieses Buches.

Martina Meier und das Wünsch-dich-ins-Wunder-Weihnachtsland-Team

*

Max und die Nikolausnacht

Es war der 5. Dezember, also der Tag vor Nikolaus. Der sechsjährige Max, der Maximilian hieß, saß mit seinen Eltern und seiner kleinen Schwester Paula beim Abendbrot. Es gab Bärchenwurst, die Max ganz besonders gerne mochte. Während des Abendessens fragte der kleine Max seinen Vater: „Sag mal, Papa. Du bist doch ein Bauarbeiter und da hast du doch deine Stiefel immer im Kofferraum im Auto. Kannst du mir die nicht einmal borgen?“

Der Vater sah seine Frau an, dann Max, wobei er ein Lachen unterdrücken musste. Denn er wusste, worauf sein Sohn hinauswollte. „Ja, ich habe meine Stiefel im Auto. Aber warum fragst du?“ Er musste nun doch lächeln.

„Weißt du, Papa. Heute Nacht kommt doch der Nikolaus. Und und da dachte ich, vielleicht könnte ich deine Stiefel haben. Da passt vielmehr hinein. Meine sind so klein. Da geht doch nicht mal ein richtiger Schokoweihnachtsmann hinein“, gab Max mit leuchtenden Augen zur Antwort.

Die Eltern lachten und die Mutter sagte zu ihrem Sohn: „Mein lieber Maximilian! Auch wenn dir der Papa seine Stiefel geben würde, glaubst du wirklich, dass dir der Nikolaus mehr in den Stiefel stecken würde? Ich glaube das nicht, mein liebes Mäxchen. Jeder bekommt nur das, was er auch verdient hat.“

Max schaute seine Eltern verdutzt an. „Dann muss ich eben doch noch meine Stiefel putzen“, murmelte er sich in seinen Bart.

Nach dem Essen holte er seine blauen Stiefel, reinigte sie und stellte sie neben die bunten von Paula. Dann ging er ins Bad, wusch sich und putzte sich die Zähne. Anschließend ging er in sein Zimmer und legte sich ins Bett. Vom Nachtschränkchen nahm er sich noch ein Bilderbuch und schaute hinein.

Nach einiger Zeit kam seine Mutter ins Zimmer, um ihm eine gute Nacht zu wünschen. Sie setzte sich auf den Bettrand zu ihrem Sohn und sagte: „Na, Max, schon aufgeregt?“

Max guckte sie an und fragte: „Mami, sag mal. Hast du schon einmal den Nikolaus gesehen? Warum kommt er immer nur in der Nacht? Ich möchte ihn doch mal sehen.“

„Nein, ich habe den Nikolaus noch nicht gesehen. Er kommt nachts, da schlafen die Menschen, besonders kleine Jungen. Und du kannst ihn nicht sehen, da du jetzt schlafen musst, sonst bleiben die Stiefel leer. Der Nikolaus muss heute Nacht viel arbeiten, um alle Stiefel mit Leckereien zu füllen. Und wenn alle kleinen Jungen herumlaufen würden, dann würde er es in dieser Nacht nicht schaffen. So, und nun machen wir das Licht aus und du die Augen zu. Jetzt wird geschlafen, sonst bleibt der Stiefel leer. Gute Nacht“, sagte die Mutter, gab ihm einen Gutenachtkuss und machte das Licht aus. Sie gab Max keine Chance, etwas dagegen zu sagen.

Max war erstaunt über seine Mutter. Er dachte aber überhaupt nicht ans Schlafen. Er wollte den Nikolaus sehen. So stand er wieder aus dem Bett auf und rückte seinen Schreibtischstuhl leise ans Fenster. Er war der Meinung, dass er ihn von hier aus gut sehen könne, wenn der Nikolaus käme. Angespannt beobachtete er, was vor dem Fenster geschah.

Nach einiger Zeit sah er, wie sich was bewegte. Beim genaueren Hinsehen bemerkte er aber, dass es nur der Wind war, der einen Strauch in Bewegung brachte. Langsam wurde ihm langweilig und das ständige Schauen in die Dunkelheit machte ihn müde.

„Da. Aber jetzt kommt er“, flüsterte er. Hinter dem Gartenzaun bemerkte er etwas. Da kam jemand. Max schaute gespannt hin. „Ach Mist“, dachte er, „es ist nur ein Mann mit einem großen Hund.“ Und so musste er weiter warten.

Die Zeit verging. Plötzlich sah er ein helles Licht. Es wurde immer heller und heller. Tatsächlich, vor dem Haus blieb ein goldener Schlitten stehen. Darin saß ein Mann mit einem langen, weißen Bart und einem roten Mantel. Das musste der Nikolaus sein. In seinem Bilderbuch sah er genauso aus. Max presste seine Nase an die Fensterscheibe, um besser sehen zu können. Der Nikolaus schaute Max lächelnd an und winkte ihm zu. Mit seinem Finger machte er ein Zeichen, das er zu ihm kommen solle.

Das wollte er sich nicht entgehen lassen. Max machte das Fenster auf und sprang in den Garten. Sein Zimmer lag in der unteren Etage und vor dem Fenster lag ein Holzhaufen, sodass er gesund und munter zum Nikolaus kommen konnte. Auf eine weitere Handbewegung hin stieg Max in die Kutsche.

Es war kalt geworden. Nikolaus bemerkte, dass der Kleine nur den Schlafanzug anhatte, und legte ihm eine wollig warme Decke über.

„Bist du der Nikolaus?“, fragte Max.

Der bärtige Mann nickte, sagte aber keinen Ton. Max freute sich, dass er das erste Kind war, das dem Nikolaus direkt begegnete.

„Kann deine Kutsche auch fliegen?“, fragte erneut Max. Wieder nickte der Mann. Nikolaus zerrte die Zügel an und sofort setzte sich der Schlitten in Bewegung. Als dieser genug Geschwindigkeit hatte, zog er nochmals die Zügel an. Die Kutsche erhob sich in die Luft. Das gefiel Max. Immer höher und höher ging es. Die goldenen Sterne kamen näher und wurden größer. Sternschnuppen flogen umher. Das war was für Maximilian.

Plötzlich wurde es taghell und ein Knall war zu hören. Das war so laut, dass Max sofort Kopfschmerzen bekam.

Diesen Knall hörte auch die Mutter von Max. Sie sprang aus dem Bett, denn es war schon bald Mitternacht. Sie lief sofort in sein Zimmer und machte das Licht an. Was sie sah, konnte sie nicht glauben. Max lag neben seinem Schreibtischstuhl, hielt seine Hand an den Kopf und seine Augen waren nur einen Spalt geöffnet. Jetzt fing er an zu weinen, da der Schmerz so groß war. Die Mutter rannte schnell zu ihrem Sohn und nahm ihn in die Arme. Als Max die Hand von seiner Stirn entfernte, war eine riesengroße Beule zu sehen.

„Was ist denn passiert? Und warum liegst du hier und nicht in deinem Bett?“, fragte die Mutter ihren Sohn.

Max wusste aber darauf nur zu sagen: „Ich bin mit dem Nikolaus durch die Luft geflogen. Aber was dann passierte, das weiß ich nicht.“

„Mit dem Nikolaus geflogen? Das ist ja interessant“, sagte die Mutter kurz. Sie half Max auf die Beine und zusammen gingen beide ins Bad, um die Beule mit einem kalten Waschlappen zu kühlen.

„Du wolltest den Nikolaus sehen? Habe ich recht? Du hast dir den Stuhl geholt, ihn an das Fenster gestellt und gewartet, ob er kommt. Max, dabei bist du bestimmt eingeschlafen. Und den Nikolaus hast du nur geträumt“, versuchte sie ihn zu beruhigen und streichelte sein Haar. Max schaute seine Mutter traurig an. Die ging mit ihrem Sohn aus dem Bad, um ihn wieder ins Bett zu bringen.

Auf dem Flur sah Max die Stiefel, die er für den Nikolaus hingestellt hatte. Seine Augen wurden ganz groß. Seine Stiefel und die Stiefel seiner Schwester waren mit allerlei Süßigkeiten, Äpfeln und Nüssen gefüllt.

„Es war doch der Nikolaus. Ich habe ihn gesehen und bin mit ihm geflogen“, gab Max von sich und wollte seine Stiefel holen.

Die Mutter aber nahm Max an die Hand und sagte: „Morgen, morgen. Jetzt wird erst mal geschlafen. Oder soll der Nikolaus die Stiefel wieder holen?“

Max schüttelte mit dem Kopf, hielt den kühlen Waschlappen an seine Stirn und ging mit seiner Mutter in sein Zimmer. Er legte sich ins Bett. Die Mutter deckte ihn zu, gab ihm einen Kuss und sagte: „So, schlaf, morgen wird es bestimmt ein schöner Nikolaustag.“

Als sie das Licht ausmachen wollte, da schlief der kleine Max schon. Sie lächelte, schüttelte den Kopf, machte das Licht aus und ging wieder ins Bett. Sie dachte nur noch: „Waren wir als Kinder auch so?“

Dieter Geißler,geboren 1954 in Weimar, Ausbildung zum Koch, danach Studium an der Fachschule für Gaststätten- und Hotelwesen Leipzig. Arbeitete als Küchenleiter in Großküchen, später Produktionsleiter in der Schulspeisung. Heute lebt der Rentner in Frankenheim, in der „Hohen Rhön“. Durch eine Krankheit kam er mit 57 Jahren zum Schreiben. Er verfasst Gedichte und Kindergeschichten. In verschiedenen Verlagen wurden von ihm Gedichte, Kindergeschichten und Anekdoten veröffentlicht.

*

Unter’m Weihnachtsbaum

Was war das in diesem Jahr wieder für eine riesengroße Vorfreude in der guten alten Stube! Die Luft knisterte und überall raschelte es nur so. Weihnachtsstimmung! Der ganze Raum war erfüllt von leisem Gekicher und Gemurmel.

„Welches ist für mich?“, fragte das kleine Mädchen mit den abstehenden, süßen Zöpfen. Es sprang ein wenig auf der Stelle herum und stupste aufgeregt ihre kleine Freundin an, die direkt neben ihr stand.

Draußen wurde es langsam dunkel und die Zeit der Bescherung nahte. Die Erwachsenen hatten sich mal wieder selbst übertroffen und ein wahres Festmahl zubereitet. Es wurde gelacht und musiziert. Alle fühlten sich leicht verzaubert und so wohl und geborgen in dieser Familie. Noch eine letzte Geschichte, die der Großvater vorlas …, dann gab es endlich, endlich Bescherung!

Das kleine Mädchen mit den süßen Zöpfen wurde von ihrem Menschenkind ausgewählt und beide strahlten nur so um die Wette. „Jaaa“, rief das kleine Mädchen seiner Freundin zu, die selbst noch eingepackt auf dem Boden der guten Stube lag.

„Jaaa, dieses Kind ist für mich.“ Und die niedliche Puppe mit den süßen Zöpfen strahlte mit ihrem Menschenkind um die Wette. Beide hatten leuchtende Augen und waren bereits beste Freundinnen, während das Geschenkpapier noch halb um die Zöpfe der Puppe hing.

Stefanie Bräunig,49 Jahre alt, schreibt seit 2,5 Jahren verschiedene Texte und Kurzgeschichten und hat eine eigene Webseite. Unter herzensgut-do.de gibt es weitere Texte. Sie schreibt, musiziert, malt und fotografiert.

*

Der Winterzeit Sinn

Wenn es glitzert, wenn es klirrt,

wenn es dicke Flocken schneit,

wissen alle Bescheid,

endlich ist Winterzeit.

Die Natur legt sich zur Ruh’,

um uns herum wird es leis’.

Über alles legt sich

eine Decke aus Weiß.

Das Jubeln der Kinder

ertönt von Nah und Fern.

Sie fahren mit Schlitten,

bauen Schneemänner so gern.

Obwohl es sein sollte

eine stressfreie Zeit,

gibt’s so viel zu tun,

oft leider auch Streit.

Darum besinne man sich stets,

hoffentlich fällt es jedem ein,

dass man ruhig und bedächtig

auch zur Winterzeit soll sein.

Sabrina Baierl,geboren 1991, lebt mit ihrem Ehemann in Kremsmünster. Sie hat das Studium Lehramt Primarstufe in Linz absolviert. Seit ihrer Jugend ist sie fasziniert vom Schreiben, dabei gilt ihre Vorliebe der Lyrik und dem Fantasygenre.

*

Ein fast besinnlicher Heiligabend

2015 war das Jahr, in dem Paul der Zuversicht beraubt wurde, seine Mutter Brunhilde würde je vom Krebs genesen. In sämtliche Organe hatte der Tumor gestreut. Metastasierung. Ein niederschmetterndes Urteil. Zwei Tage vor dem 24. Dezember hatten die Stationsärzte über sie gerichtet, sie wäre dem Tode geweiht.

Der Ruhepol seines Lebens, die ausgleichende Kraft in den Stürmen des Alltags, ein Stützpunkt in der Krise, der rote Handlungsfaden, auf den er sich bedingungslos berufen konnte. All das war Brunhilde für ihren Sohn. Paul stand unvorbereitet vor den Trümmern einer ihm kaum bewältigbaren Realität. Der Tod seiner Mutter machte ihm die Wirklichkeit endgültig unerträglich.

Fortan begann die Entfremdung von Sabine. Die mögliche Trennung von seiner Frau wurde zu einem nahezu jeden Streit dominierenden Thema. Die stets nur gedachte Scheidung erhob sich zum Zufluchtsort, der zusehends an Konturen gewann. Unschöne Dinge warf Sabine Paul bei Auseinandersetzungen an den Kopf. Meist verbal. Selten hatte sie mit Schüsseln und Gläsern auf ihn gezielt, getroffen hatte sie nie.

„Wir gehören zu den Paaren, bei denen Ehetherapie lediglich imstande ist, eine einigermaßen gütliche Scheidung herbeizuführen.“ Ausgerechnet an Heiligabend drängte es Sabine, solche Weisheiten aufzusagen. Während sie so redete, ähnelte ihre Intonation einer Schülerin, die ihr auswendig gelerntes Gedicht einer gähnenden Klasse vorstellen musste. Ihrer facettenarmen Artikulation zufolge hätte man davon ausgehen können, sie leiere einen Rosenkranz. Und selbst der hätte durch ein vergleichsweises Abwechslungsreichtum bestochen.

Paul wärmte seine Hände an einer Tasse soeben erst aufgebrühten Punsches, inhalierte die Schwaden niederbrennender Kerzen des Adventskranzes, der vor ihm auf dem Tisch stand, doch er guckte nicht bloß nach dem allmählich im Nichts verschwindenden Rauch, sondern auch nach den Präsenten, die raffiniert auf Stoffservietten gebettet unter den Zweigen der keinerlei Nadeln verlierenden Tanne lagen. Die Sternspitze des riesigen Baumes wurde abgeknickt von den Echtholzpaneelen, der Verkleidung der Wohnzimmerdecke.

„Sabine, ich fasse zusammen, wir driften auseinander.“ Pauls Zunge war pelzig, er redete verwaschen, räusperte sich, versuchte zu schlucken. Unmittelbar vor der Bescherung hätte er seiner Frau diplomatischere Worte erwidern sollen.

Timo und Nina verscheuchten oben im Kinderzimmer ihren Groll gegen die kaum vorankommenden Zeiger der Wanduhr mit einem Duell auf der Carrerabahn. Das Warten aufs Christkind dehnte die Stunden.

Unterdessen stand Paul auf, nahm eine auf Augenhöhe baumelnde Christbaumkugel als Spiegel und haderte mit den dort abgebildeten Furchen, die seiner Stirn eingegraben waren. Der Prozess des mit Medikamentencocktails hinausgezögerten Sterbens seiner Mutter hatte ihn etliche Körner gekostet. Ein Speckgürtel aus Krähenfüßen um Pauls Augen belegte die schwierigen Monate. Seit Brunhildes Tod konnte er keine Menschen mehr in seiner direkten Umgebung aushalten. Paul machte den Lebenden ihre Existenz zum Vorwurf. Seine Mutter war tot, warum durften sie leben? Sabine rügte Pauls diesbezügliche Erbarmungslosigkeit. Wiederholt riet sie ihm zum Auszug, Gebrauch gemacht von ihrem Angebot hatte er bisher nicht.

In Paul war der Entschluss gereift, kein Streit durfte die stille Behaglichkeit des Heiligabends aufstören. Er bimmelte in der Dämmerung mit einem Glöckchen. Im Nu kamen Nina und Timo die Treppen heruntergepoltert.

Timo wurde nach dem Zerreißen des Geschenkpapiers einer Raumstation gewahr und Nina brachte das Christkind eine Barbiepuppe, die auf einem Fahrrad saß. Ihre leuchtenden Kinderaugen, eine kalkulierbare Freude, die immer noch geeignet war, Pauls und Sabines Herzen vor elterlicher Rührung erbeben zu lassen.

Nürnberger Lebkuchen aß man zur tausendsten Version von Jingle Bells, hernach gab es Gänsebraten in brauner Soße. In der Euphorie des Augenblicks ließ sich Sabine zu Superlativen hinreißen: Dieses Weihnachten sei noch viel schöner als das vorige. Nina und Timo überreichten Sabine und Paul Zeichnungen von Zebras und Giraffen, nicht ohne zu beteuern, sie seien die besten Eltern. An jedem Heiligabend aufs Neue wurde die Hymne von familiärer Verbundenheit gesungen. Trotz vorübergehenden Gleichklangs stand die Aussprache mit Sabine bevor.

Bettgehzeit. Paul küsste Timos Wange, Sabine begleitete Nina ins Zimmer, schaltete die Nachtlampe an, und erst als ihre Wünsche fürs kommende Weihnachten besprochen waren, konnte sie einschlafen. Bei ihr dauerte das keine zehn Minuten, bei Timo noch ein bisschen kürzer.

Alle Weichen standen jetzt auf Klärung. Wie arglose Geschwister kuschelten Paul und Sabine auf dem durchgesessenen Sofa im Wohnzimmer. Auf dem Bildschirm des Fernsehers flimmerten Alpenlandschaften mit verschneiten Gebirgskämmen und Sabine sagte: „Du nimmst mich in den Arm. Nach dem Tod deiner Mutter war das ja unvorstellbar für dich. Nun kannst du das wieder und ich finde es für den Moment fantastisch.“

„Das schon. Es geht schon. Und doch, erinnerst du dich? Ich bräuchte eine Frau, zärtlich wie meine Mutter, hast du gesagt, einen Mutterersatz. Das Mütterliche, das mir vonnöten wäre, fehle dir, so hast du gespottet.“

„Gerade scheint mir, wir könnten wieder näher zusammenrücken.“

Pauls Halsschlagader schwoll zu einem mächtigen Strang, sie wurde zu einem Barometer, das in Erregungstendenzen ausschlug. Paul fixierte die Collage seiner Kinder an der Wand. Zum 35. Geburtstag hatte er sie bekommen. Nach Sekunden, in denen er stockte und seufzte, treffende Sätze: „So kann es nicht weitergehen. Nicht ewig. Ich alleine wäre nie darauf gekommen. Du immerzu: Such dir eine Frau. Du hast mich angetrieben, hineingetrieben. Es ist geschehen. Um mich. Um sie. Du hast darauf hingearbeitet, und nun ist es dazu gekommen.“

Sabine zog ihn dicht an ihre Brust, flüsterte in sein Ohr: „Ich bin eine Eselin. Es ist zu spät. Du gehst, ich möchte dich hierbehalten. Ich habe dir das Angebot gemacht ...“

„Wenn du die Wahl hättest, sollte ich nicht zu Ajana gehen.“

„Doch, doch, du musst.“

„Stimmt, ich muss.“

„Es gibt kein Zurück.“

„Nein, es ist vorbei mit uns. Es gibt kein Zurück.“

„Wann gehst du?“

„Morgen beichte ich es den Kindern. Ich hoffe, sie akzeptieren meine Entscheidung.“

„Hast du eine Wohnung?“

„Du brauchst dich um nichts zu kümmern. Alles ist eingeleitet. Nach den Jahren, in denen du ertragen musstest und einsehen, dass du den Verlust meiner Mutter nicht abfangen konntest, hat das Grauen ein Ende. Es hat nicht sollen sein. Nicht mit uns.“

Tags darauf, der erste Weihnachtsfeiertag, ein Dienstag, Ajana rief an: „Paul, du? Hier Ajana. Hör zu. Ich habe nachgedacht. Deine Familie braucht dich, deine Kinder würdest du, wenn du sie verlässt, nur noch jedes zweite Wochenende sehen. Ich möchte das nicht kaputtmachen.“ Ajana hatte aufgelegt. Ohne Verabschiedung.

Paul wollte zurückrufen. Ständig belegt.

Nach dem Weihnachtsurlaub, zurück in der Firma, musste Paul zunächst die übliche Aufbauarbeit an Ajana leisten. Schließlich waren sie auch Kollegen. Ajana gestand, ihr Telefonat sei das Ergebnis einer depressiven Feiertagsepisode gewesen. Neben ihm auf dem Bürostuhl saß sie, die Lehne vor der Brust, wippte sie und ihr rutsche heraus, sie möchte so gerne … Für Pauls Sehnsüchte eine Steilvorlage und so antwortete er: „Ja, ich will unbedingt. Mit dir zusammenziehen und dich irgendwann einmal heiraten.“

Jahre sind vergangen. Beide schwärmen noch von jenem Dezember, den schicksalhaften Entwicklungen von damals, die nachträglich so viel Sinn ergeben. Timo und Nina sind entzückt von Ajanas Geduld mit ihnen, von ihrer Verständnisbereitschaft für die Sonderbarkeiten der Teenager.

Heuer verbringen sie ihren Urlaub in einer toskanischen Finca. Paul, Nina, Timo, Ajana. Und Sabine fährt auch mit.

Oliver Fahn wurde 1980 in Pfaffenhofen an der Ilm im Herzen Oberbayerns geboren. Der Heilerziehungspfleger lebt bis heute zusammen mit seiner Frau und seinen beiden Söhnen in der Kreisstadt. Fahn veröffentlicht regelmäßig Beiträge in Kulturmagazinen und verfasst Texte für Anthologien.

*

Nummer vierundzwanzig

Vorige Woche war ich in einem großen Kaufhaus in der Stadt. Du meine Güte, war da was los. Ein Gewühle und Gedränge. Die Menschen schoben sich durch die Abteilungen. Immer, wenn ein Kunde etwas in einem Regal genauer ansehen wollte, musste die ganze Menschenmenge hinter ihm stehen bleiben. Und warm war es da. Also in der Sauna kann es auch nicht heißer sein. Nur da ist man leicht oder, besser gesagt, gar nicht bekleidet. Hier aber rann mir nur das Wasser aus allen Poren, denn ich hatte über meinem Hemd noch einen Pullover und eine Winterjacke.

Immer wieder hörte man eine Stimme aus dem Lautsprecher mit den Ansagen: „Nummer zwölf bitte zum Ausgang zwei.“ Oder: „Der kleine dunkelhaarige Matthias, vier Jahre alt, bekleidet mit einer dunklen Hose und einem blauen Anorak sucht seine Mutti, die er in der Spielwarenabteilung verloren hatte. Liebe Mutti, bitte melden Sie sich an der Sammelkasse im dritten. Stock.“ Und dann waren aber auch diese Durchsagen zu hören: „Nummer vierundzwanzig bitte zu den Spielwaren.“ Oder: „Nummer vierundzwanzig zu den Gardinen.“ Oder: „Nummer vierundzwanzig zu den Fernsehern.“

„Eigenartig“, dachte ich mir. „Wer ist denn Nummer vierundzwanzig?“

Gregor und Leontine, die ich mitgenommen hatte, meinten, dass Nummer vierundzwanzig nicht überall gleichzeitig sein könne.

„Wer kann denn Nummer vierundzwanzig nur sein, dass er oder sie so wichtig ist, überall gebraucht zu werden“, fragten sie mich.

Ich erklärte ihnen, dass man im Kaufhaus nicht ausrufen könne: „Die Putzfrau möchte bitte mit Eimer und Lappen in die Lebensmittelabteilung zum Getränkeregal kommen, weil dort einem Kunden eine Flasche zu Boden gefallen und zerschellt ist.“ Deswegen hatte man sich darauf geeinigt, dass einfach nur gerufen würde: „Nummer zwölf bitte in die Lebensmittelabteilung.“

Aber warum nur andauernd die Nummer vierundzwanzig?

„Weißt du was“, sagte Leontine, „wenn das nächste Mal wieder die Nummer vierundzwanzig gerufen wird, gehen wir auch dahin, wohin auch die Nummer vierundzwanzig hinkommen soll.“

Gregor nickte stumm. Einerseits war er ebenso neugierig wie Leontine, andererseits aber war es ihm etwas mulmig im Magen, wenn er dahin solle, wohin die Nummer vierundzwanzig andauernd gerufen wurde.

„Vielleicht“, dachte er sich, „vielleicht ist es der Arzt, und immer wenn er gerufen wurde, ist jemand umgefallen, weil ihm im Gewühle schlecht wurde. Oder jemand hat zwischendurch Hunger oder Durst bekommen, konnte aber nicht in seine Manteltasche greifen, um sich ein Brot, einen Keks oder ein Getränk herauszuholen, und nun war er einfach umgekippt.“ Nein, das wollte er lieber nicht sehen. Nicht jetzt in der Weihnachtszeit.

Da wurde schon wieder gerufen: „Nummer vierundzwanzig, bitte in die Spielwarenabteilung zu den Holzeisenbahnen.“

„Jetzt aber los“, rief Leontine und zog an meiner Hand, „da müssen wir hin. Eine Etage höher!“ Sie zog an meiner Hand und ich zog gleichzeitig an der Hand von Gregor.

Wir erreichten nach einigem Schieben die Rolltreppe. Hier war es richtig bequem. Mehr als zwei Personen passten auf keine Stufe und so konnte man einmal tief durchatmen. Leider dauerte so eine Fahrt mit der Rolltreppe nicht sehr lange. In der dritten Etage angekommen, blickte ich mich einmal kurz um, entdeckte den Tisch mit den Holzeisenbahnen und steuerte drauf zu. Die Menschenmenge – und ganz besonders die Menge an Kindern – schwoll immer mehr an. Leontine und Gregor wurden zwischen Anoraks, Mäntel und Tüten eingekeilt. Sie konnten nichts sehen.

Kurzerhand setzte ich Gregor auf meine Schultern und nahm Leontine auf den Arm. Gregor wurde plötzlich ganz aufgeregt. Er wuselte mit seinen Händen derart wild auf meinem Kopf und in meinem Gesicht herum, dass er meine Brille so verschob, dass ich nichts, aber auch rein gar nichts mehr sehen konnte. Ein Brillenbügel war an meinem Hals und der andere rutschte an den Haaren immer höher. Gleich würde sie den Kopf verlassen, an meiner Jacke zwischen Gregors Füße, dann zwischen Leontines Mantel und meinem Anorak heruntergleiten, auf dem Boden landen und ... zertreten werden. Ich hatte aber auch keine Hand frei, sie aufzufangen, denn ich hielt ja Leontine. Es blieb mir nur noch übrig zu rufen: „Hilfe, meine Brille macht sich auf den Weg!“

In diesem Augenblick fassten von der Seite fünf, in einem weißen Handschuh steckenden Finger in mein Gesicht und griffen doch tatsächlich meine Brille. „Keine Bange, junger Mann, die Brille ist gerettet“, sagte eine tiefe Stimme seitlich neben mir.

Ach, war ich froh. „Nicht auszudenken, was geschehen wäre, wenn die Brille auf dem Kaufhausboden zertrampelt worden wäre. Ich hätte nichts mehr gesehen. Wir hätten nicht nach Hause fahren können, sondern wir müssten die ganze Strecke laufen. Ohne Brille kann ich nicht Auto fahren“, sagte ich zu den Kindern und drehte mich während des Sprechens zu der tiefen Stimme.

Und wer stand da neben mir und hatte mir geholfen?

Der Weihnachtsmann. Der leibhaftige Weihnachtsmann. Mit rotem Mantel, Kapuze, Handschuhen, Weihnachtssack und Rute.

Leontine auf meinem Arm war in gleicher Augenhöhe mit ihm. „Hallo Weihnachtsmann“, sagte sie zu ihm und streckte ihm ihre kleine Hand entgegen, die der Weihnachtsmann auch erfasste und schüttelte. Und schon sagte sie ein Weihnachtsgedicht auf. So hatte sie es im Hort gelernt: Wenn man dem Weihnachtsmann gegenüberstand, musste man ein Gedicht aufsagen. Der Weihnachtsmann und auch die drumherumstehenden Kaufhausbesucher machten ein frohes Gesicht. Als Leontine fertig war, holte der Weihnachtsmann aus dem Weihnachtssack ein kleines Päckchen und gab es ihr. Sie bedankte sich und gab ihr Päckchen nicht mehr her.

Dann ertönte wieder die Stimme aus dem Lautsprecher an der Decke: „Nummer vierundzwanzig, bitte ins Erdgeschoss zu den Herrensocken“.

„Ich werde schon wieder gerufen.“ Der Weihnachtsmann sagte kurz: „Frohe Weihnachten“, drehte sich um und verschwand in der Menge ebenso schnell, wie er aufgetaucht war.

„Die Nummer vierundzwanzig ist der Weihnachtsmann, weil Heiligabend am 24. Dezember ist und sie nicht immer wieder rufen wollen, dass der Weihnachtsmann irgendwo hinkommen soll“, sagte Leontine erstaunt.

„Ja, Leontine, du hast recht. Überall wird der Weihnachtsmann gebraucht. Wir sind doch auch froh, dass wir ihn getroffen haben. Du hast nun ein Weihnachtsgeschenk aus der Hand des Weihnachtsmannes und ich habe meine unbeschädigte Brille. Na, und für Gregor wird er bestimmt auch noch etwas im Sack haben. Morgen kommen wir wieder her. Jetzt wissen wir ja, wer mit Nummer vierundzwanzig gemeint ist.“

Und wir alle riefen ihm dann noch nach, obwohl er gar nicht mehr zu sehen war: „Danke, lieber Weihnachtsmann!“

Charlie Hagistwurde 1947 in Berlin-Steglitz geboren. Nach Grund- und Oberschule absolvierte er eine Ausbildung zum Bankkaufmann. Während seiner Tätigkeit in der Personalabteilung des Hauses bildete er sich zusätzlich zum Personalfachkaufmann (IHK) weiter. Ehrenamtlich war er als Richter am Amtsgericht Berlin-Tiergarten, am Sozialgericht Berlin und danach am Landessozialgericht Berlin tätig. Charlie Hagist ist verheiratet, hat einen Sohn.

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Winterglück mit Baumkuchen und Bauchspeck

Bereits im November begannen in der himmlischen Backstube die Vorbereitungen für die Weihnachtsbäckerei. Es war Tradition, dass zum Christfest jeder Engel sowie Petrus mit besonderen Leckereien beschenkt wurde, was viel Arbeit bedeutete.

Mit dem Hemdsärmel wischte sich Amelie über die gerunzelte Stirn. „Jedes Jahr das Gleiche“, brummte sie genervt. „Zimtherzen, Rosenblätter in feinstem Zuckerwerk, himmlische Lebkuchen oder was sonst noch von Petrus gewünscht wird.“

In ihrem weltlichen Leben war Amelie Bäckerin im Thüringischen. Sie sehnte sich nach den Köstlichkeiten ihrer Heimat. Was hätte sie darum gegeben, wieder einmal den typischen Thüringer Huckelkuchen oder Baumkuchen zu backen. Doch im Himmel gab es fast immer die gleichen Gebäcksorten …

Seufzend stemmte sie die Arme in die Hüften. „Warum eigentlich nicht?“, dachte sie ärgerlich.

Rasch suchte sie alle Zutaten für den Teig, der aus Eiern, Zucker, Fett, Mehl und Rum bestand, zusammen. Nachdem der Teig gerührt war, strich sie ihn dünn auf das Blech.

Angelockt vom verführerischen Duft des Gebäcks betrat Onni, der Wunschengel, die Backstube. „Mmm, da läuft einem glatt das Wasser im Mund zusammen, Amelie. Benötigst du noch Zutaten?“

„Nein, ich habe von allem genug. Aber lieb von dir, dass du fragst.“ Sie wischte sich mit der Hand durchs verschwitzte Gesicht, wobei eine Mehlspur zurückblieb. Die Uhr des Ofens klingelte. Schnell öffnete sie den großen Backofen und zog die Bleche heraus.

Verwundert blickte Onni auf den Huckelkuchen. „Das ist … etwas Neues“, stellte er eher fragend fest.

„Ja! Ich dachte mir, dieses Weihnachten gibt es einige Überraschungen für die Enge l..“, erklärte Amelie selbstbewusst. „Das ist ein Huckelkuchen – der muss so aussehen.“

Onni nickte. „Das ist gar nicht verkehrt. Weißt du eigentlich, wie lange ich für Veränderungen kämpfen muss, ehe sie einen winzigen Schritt von ihren jahrhundertealten Traditionen abrücken?“

Fröhlich schaute Amelie ihn an. „Ja, das ist sogar mein Wunsch, etwas zu verändern …!“

„Ach“, antwortete Onni scheinheilig. „Ja, wenn das so ist, dann muss ich ihn dir ja sozusagen erfüllen …“, feixte er und kniff dabei ein Auge zu. „Ich würde sagen, ich gehe jetzt, damit du deiner Kreativität freien Lauf lassen kannst! Aber eine Bedingung habe ich – alles, was du an neuen Rezepten hervorbringst, möchte ich vorab probieren.“

„Mmh, das lässt sich einrichten. Komm heute Abend wieder, ich werde dir einen Teller zusammenstellen. Doch jetzt muss ich neue Anweisungen geben, die anderen tuscheln schon und schauen interessiert rüber, weil wir so lange beisammenstehen …“

Mit einem freundlichen Nicken verließ Onni die Backstube und fragte sich, für welche Gebäcksorten Amelie sich wohl entscheiden würde.

Die wundervollsten Gerüche von Anis, Zimt, Koriander und Muskat zogen durch den Himmel, was selbst Petrus nicht entging. Erwartungsvoll hielt er seine Nase in den Wind und er spürte, wie ihm das Wasser im Mund zusammenlief. Das hatte er schon Ewigkeiten nicht mehr erlebt.

Als Onni am Abend erneut in der Backstube erschien, strahlte Amelie über das ganze pausbäckige Gesicht. „Hier ist der versprochene Teller.“ Sie reichte ihm einen tiefen Suppenteller mit Zimtherzen, Rosengebäck, gefüllten Mürbchen, dem Huckelkuchen und Baumkuchen. Dazu füllte sie ihm etwas Punsch in ein Glas.

„Was ist das?“

„Apfelpunsch! Probier mal!“

„Das schmeckt ja großartig.“

„Ich weiß! Daher habe ich mir etwas überlegt …“

„AMELIE – was willst du von mir?“ Onni runzelte die Stirn.

„Ich habe reichlich Huckelkuchen und Baumkuchen gebacken, den erhalten die Engel zu Weihnachten, aber ich wünsche mir ein großes Lagerfeuer … für alle. An dem wir Stockbrot … und Bauchspeck grillen …“, stotterte sie unter seinem strenger werdenden Blick.

„Das wäre dann heute schon der zweite Wunsch“, räusperte er sich mit bewegungsloser Mine. Mit keiner Silbe erwähnte er, dass er es für eine großartige Idee hielt. Endlich bekam er Verstärkung! Traditionen hin oder her – sie waren gut, ja, wenn auch manchmal etwas verstaubt. Onni fand, man musste auch etwas Neues ausprobieren und nötigenfalls miteinander kombinieren. Endlich gab es jemanden, der wie er mit neuen Ideen und der Begeisterung Neues ausprobieren zu wollen. Mit unbewegtem Gesicht antwortete er: „Also gut, ich werde sehen, was ich tun kann, und vorsichtig bei Petrus anklopfen.“ In seinem Innersten jubelte er. Er hatte sooo lange darauf gewarteter – und dieses Mal war nicht wieder er derjenige, der etwas umsetzen wollte, frohlockte er.

Petrus sah Onni entgeistert an. „Was … will … sie ...? Wir können nicht mal eben mit den Traditionen brechen! Du solltest das mittlerweile begriffen haben.“ Petrus’ Stimme überschlug sich vor Empörung.

„Tja, aber gegen Wünsche kann ich nichts machen“, erwiderte Onni sanft. Er hatte gelernt, dass es besser war, Petrus in dieser Stimmung nicht mit Widersprüchen zu reizen.

„Ihr Wunsch …! Ihr Wunsch …!“, echote er.

Onni wartete, bis sich das aufbrausende Temperament etwas gelegt hatte. „Was soll ich ihr sagen?“, fragte er sehr leise.

„Ach, macht doch alle, was ihr wollt“, brummte Petrus angesäuert und vertiefte sich wieder in seine himmlische Post.

Onni war erleichtert. Immerhin hatte er kein Verbot ausgesprochen. Sogleich lief er in die Backstube.

Erwartungsvoll schaute Amelie ihm entgegen. „Nun sag schon, was hat er gesagt?“

„Im Grunde ist er nicht einverstanden damit …, doch er hat es bislang auch nicht verboten. Hör zu, lass ihm eine Kostprobe von deinem Baumkuchen bringen – dick mit Zartbitterschokolade überzogen! Ich weiß, Petrus hat eine Schwäche für Schokolade! Aber wehe dir, du sagst ein Sterbenswort zu jemandem“, warnte Onni.

Am selben Abend gab ein Bäckerjunge eine dunkelblaue Schachtel mit Sternen bei Petrus ab, ehe der sein Büro verließ.

„Was willst du“, brummte er ungnädig, da ihm die Sache mit Amelies Wunsch den ganzen Tag durch den Kopf gegangen war.

„Ich soll …, ich bringe euch“, stotterte der Junge verlegen, „etwas abgeben.“ Rasch drückte der Junge dem verdutzt dreinblickenden Petrus die Schachtel in die Hand und lief um die nächste Ecke.Petrus drehte und wendete die Schachtel – kein Absender! Allerdings nahm er einen feinen Geruch von Rum und Schokolade wahr. Bedächtig öffnete er die Schachtel und staunte. Eine Blüte aus Kuchen und feinsten Schokoladenblättern lag im dezent nach Rum duftenden Papier.

Amelie lugte vorsichtig hinter der Ecke hervor, um die der Bote kurz vorher verschwunden war. Sie konnte es vor Neugier kaum aushalten.

Vorsichtig kostete Petrus ein Stück. Schloss seine Augen. Ließ es genießerisch auf der Zunge zergehen. Mit geschlossenen Augen sagte er: „Also gut! Meinetwegen soll Onni dir deinen Wunsch erfüllen. Ich weiß, dass du dich hinter der Ecke versteckt hast, Amelie. Aber eines lass die gesagt sein – noch einmal falle ich auf deinen Bestechungsversuch nicht herein!“ Noch während er sprach, schob er sich genießerisch ein weiteres Stück Kuchen in den Mund.

So kam es, dass an Weihnachten ein großes Lagerfeuer brannte, an dem alle Engel ihren Platz fanden und sich Amelies Wunsch von Stockbrot mit Bauchspeck erfüllte.

Sie wusste sogar, was sie sich zum kommenden Christfest wünschen wollte ..., doch davon erzähle ich euch ein anderes Mal.

Und hier noch ein Backrezept, alt wie erprobt, von Familie von Lengerke, die es freundlicherweise der Autorin zur Verfügung stellte!

Rezept für gefüllte Mürbchen

250 g Mehl

65 g Zucker

1 Ei

40 g Butter

1 Teelöffel Anis

½ Päckchen Backpulver

Rote Marmelade für das Grübchen in der Mitte

Aus Butter, Zucker und dem Ei eine Schaummasse herstellen. Sämtliche Zutaten unterheben und durchkneten. Auf ein gefettetes Backblech kleine Kugeln (zum Beispiel mit dem Teelöffel ausstechen) aufsetzen und in der Mitte eindrücken. Die feste Marmelade einfüllen und bei mittlerer Hitze goldbraun backen. Die Kugeln weit auf dem Backblech auseinandersetzen, da sie beim Backen aufgehen.

Dorothea Möller lebt und arbeitet als freie Autorin in Westfalen. Veröffentlichung von über hundertzwanzig Kurzgeschichten in Anthologien. Einige Kurzgeschichten erschienen in „Das Leben ist bunt“, „Magische Momente“ sowie in „Der Skateboardengel und andere weihnachtliche Geschichten“. Im Herbst erscheint ihr historischer Roman. Erfahren Sie mehr unter: www.Dorothea-Moeller.de, Facebook oder Instagram.

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Vier Kerzen am Adventskranz

Erster Advent

Eine Kerze erstrahlt am Adventskranz.

Sie leuchtet uns in der Weihnachtszeit.

Ihr flackerndes Kerzenlicht ruft uns auf:

„Macht die Wege für den Herrn bereit!“

Zweiter Advent

Es brennen bereits zwei der vier Kerzen

erhellen das Warten in der Adventszeit,

legen die Sehnsucht in unsere Herzen –

das Weihnachtsfest ist nicht mehr weit!

Dritter Advent

Drei Kerzen leuchten uns auf dem Weg,

der zum Jesuskind in der Krippe hinführt.

Gehen wir bewusst auf Weihnachten zu.

Lassen wir zu, dass uns das Kind berührt.

Vierter Advent

Vier Kerzen verbreiten strahlend ihr Licht.

Christi Geburt in Bethlehem steht bevor.

Mit ihm schickte Gott das Heil der Welt.

Öffnet ihm Eures Herzens Tür und Tor!

Sieglinde Seiler wurde 1950 in Wolframs-Eschenbach geboren. Sie ist Dipl. Verwaltungswirt (FH) und lebt mit ihrem Ehemann in Crailsheim. Seit ihrer Jugend schreibt sie Gedichte. Später kamen Aphorismen, Märchen und Prosatexte hinzu. Ferner fotografiert sie gerne. Bislang hat sie bereits über 200 Gedichte im Internet und diversen Anthologien veröffentlicht.

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Glühwein

Überall duftet es nach Nadelgrün, Zimt, Anis und Glühwein. Ja, auch Glühwein hat seinen ganz eigenen Duft, den er nur in der Zeit vor Weihnachten in aller Vielfalt verbreitet. Ich selber bin bekennender Glühwein-Fan und teste jedes Jahr den Geschmack des Glühweines auf mindestens vier verschiedenen Weihnachtsmärkten. Umso mehr habe ich mich gefreut, dass es mich dieses Jahr ins weit entfernte Augsburg verschlagen würde, um dort die Qualität des Glühweines zu überprüfen. Mein Bruder und seine Familie hatten zum Adventssingen am 3. Advent eingeladen und ich freute mich sehr darauf. War es doch im katholischen Bayern im Advent eine ganz besondere Stimmung. Sicher, unser Weihnachtsmarkt in Schwerin lag romantisch an den See geschmiegt, aber neben polnischen und russischen Spezialitäten gab es kaum Weihnachtliches, wofür sich der Besuch gelohnt hätte. Dem Glühwein gab ich auch eher eine drei, guter Durchschnitt, vor allem nach dem zweiten Becher. Und der Preis war einfach günstig. Verglichen mit Berlin oder Hamburg, wo der Glühwein aber immer etwas besser schmeckte und stärker duftete.

Und dieses Jahr würde ich mich auf den Weg nach Augsburg machen und dort das erste Mal in meinem Leben einen Glühwein trinken. Bis zum letzten Jahr hatte mein Bruder noch im malerischen Limburg an der Lahn gewohnt. Malerisch ja, romantisch okay, aber glühweintechnisch war da echt nicht viel zu holen. Umso mehr freute ich mich nun also auf meinen ersten Besuch in Augsburg. Sicher, es würde auch wunderbar sein, meine Familie zu sehen, meine fünf Neffen, die immer größer wurden. Vielleicht durfte einer von ihnen schon mit auf den Weihnachtsmarkt und einen alkoholfreien Glühwein testen. Der war zwar lange nicht so gut wie der mit Alkohol, aber oft hatte er eine ganz besonders traubige Note, was ihn sehr schmackhaft machte. Zu meinen Vergleichsproben gehörte allerdings ein Glühwein mit einem Schuss Alkohol. Und so machte ich mich mit der Bahn auf den Weg nach Augsburg, verantwortungsvoll wie ich war, wollte ich mich nicht nach dem Verzehr von Glühwein noch ins Auto setzen und eine solch lange Strecke fahren. Und da es sich um einen Freitagabend im Advent handelte, nahm ich in meiner Thermoskanne auch gleich meinen selbst gemachten Glühwein mit. Dieser war natürlich mit Abstand der beste, was vielleicht auch daran lag, dass außer Rotwein und Gewürzen keine Zusatzstoffe, außer einem ordentlichen Schuss Rum, darin waren. Sicher, in einen guten Glühwein gehörte nach dem originalen Rezept, wenn es denn überhaupt eines gibt, kein Rum, aber ich fand, der gab meinem Glühwein eine besondere Note. Genau das, was ich brauchte, um die fast acht Stunden Bahnfahrt nach Augsburg zu überstehen. Außerdem packte ich in meine kleine Provianttasche noch etwas selbst gebackenen Lebkuchen ein. Für mich als Feinschmecker brachte Lebkuchen den Geschmack von Glühwein noch besser zu Geltung. Neben dem Lebkuchen fanden aber auch noch Dominosteine Platz in der Tasche. Denn was wäre Weihnachten ohne Dominosteine? Unvorstellbar. Bereits als kleines Kind hatte meine Mutter diese immer selber gemacht und pünktlich zum ersten Advent, wenn wir die Kerze anzündeten, gab es einen Dominostein. Oder auch zwei. Eine schöne Tradition, wie ich fand, die ich beibehalten hatte, auch als ich nicht mehr zu Hause wohnte. Und auch wenn mein Adventskranz oft nur aus einer Kerze bestand, so gehörte das Ritual, an jedem Adventssonntag einen Dominostein zu essen, fest zu meiner Tradition im Dezember. Böse Zungen könnten behaupten, je kleiner der Adventskranz wurde, desto größer wurde mein Bauch, aber ich schob es lieber darauf, dass man im Alter doch auch gemütlicher und bequemer wurde. Und da ich langsam auf die sechzig zuging, fand ich, konnte ich mir meinen kleinen Wohlstandsbauch leisten, genauso wie den Verzehr von Glühwein auf den Weihnachtsmärkten. Aus meiner Sicht wuchsen die Preise von Glühwein noch schneller an, als mein Gewicht auf der Waage und so lange das so war, fand ich, war alles im grünen Bereich.

Ab frühen Freitagabend bestieg ich nun also voll bepackt den Zug in Richtung Augsburg. Ich suchte mir ein Abteil, stellte die Box mit Lebkuchen und Dominosteinen auf den Tisch und holte meinen Glühwein heraus. Zwei Liter fasste meine Thermoskanne, das sollte reichen und zur Not hatte ich ja noch etwas Alkoholfreies dabei. Meine Vorsorge erwies sich als weitsichtig, denn schon an der nächsten Station stiegen vier Personen in mein Abteil ein, drei Männer und eine Frau, sie schienen sich zu kennen und plauderten munter auf mich ein.

„Gemütlich“, dachte ich, „so macht Bahnfahren Spaß.“ Und zügig voran ging es auch noch. Bis kurz vor Berlin. Auf freier Strecke stoppte der Zug. Keine Durchsage. Nichts. Wir standen. Damit die Stimmung nicht kippte, bot ich meinen Abteilmitreisenden einen Schluck meines Glühweins an. Sie nickten und hielten ihre leeren Weihnachtsmarktbecher hin, in die ich einschenkte. Wir tranken Glühwein, aßen Lebkuchen und sangen Weihnachtslieder. Fast hätte man das Gefühl haben können, dass wir an einer Bude auf dem Weihnachtsmarkt in Berlin stehen. Nur der Geruch nach gebrannten Mandeln fehlte. Dafür roch das Abteil umso mehr nach meinem selbst gemachten Glühwein, was der Stimmung sicher keinen Abbruch tat. Als ich fünf Stunden später den letzten Krümel Lebkuchen in meinen Mund steckte, erklang die Durchsage: „Nächster Halt Augsburg.“ Ich verabschiedete mich von meinen Mitreisenden, wünschte eine gute Weiterfahrt und stieg aus. Nun wurde es aber wirklich Zeit für einen Besuch auf dem Augsburger Weihnachtsmarkt, immerhin war der Glühwein schon vor drei Stunden leer gewesen und ich konnte es kaum erwarten, den Augsburger Glühwein zu testen.

Christina Reinemannwurde 1982 in Kassel geboren. Sie studierte Geschichte, Psychologie und Chemie an der Universität Oldenburg. In den Jahren 2011 bis 2014 veröffentlichte Christina Reinemann im Selbstverlag zwei Oldenburg Krimis sowie einen Leeraner Roman. Ihre Kurzgeschichten „Schokoladenliebe“ und „Amt nicht gesagt“ wurde 2013 in einer Anthologie veröffentlicht. Zehn Jahre später erschienen ihre Kurzgeschichten „Qualitätsmanagement“ und „Lebe, Liebe, Lache“ in einer weiteren Anthologie.

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Ein besonderer Zauber

Sinnierend, schwelgend im Kindheitserleben,

Erinnerungen bringen Herzen zum Beben.

Wie magisch war doch die Weihnachtszeit,

wenn der Weihnachtszauber macht sich breit.

Gerüche, Farben, Lichter, Klänge,

Märkte, Glühwein, Chorgesänge.

Mühle spielen, Mensch ärgere dich nicht,

Plätzchen backen, Kerzenlicht.

Auch Freude, Hoffnung, Glück und Friede,

Wärme, Stille, Geborgenheit, Liebe.

Langsam die Zeit, klirrend kalter Schnee,

Schlittschuh laufen auf gefrorenem See.

An Weihnachten leuchten Kinderaugen

heute wie in früheren Zeiten.

Die ganze Familie ist beisammen,

Geschenke unter den Weihnachtstannen.

Alles erleuchtet festlich geschmückt,

wenn draußen die Welt ist schneebedeckt.

Wenn Sterne leuchten am Firmament,

ist das Christkind da für jedes Kind.

Kathinka Reusswig wurde bin 1980 in Hessen geboren. Abitur, danach Studium. In mehreren Anthologien bereits veröffentlicht.

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Der Weihnachtswunsch

„Opa“, sagte die kleine Klara und sah den älteren Mann an, der gerade in der Küche stand und das Abendessen zubereitete.

„Was denn, Klara?“

Das kleine Mädchen druckste etwas herum, doch dann antwortete es: „Ich habe noch einen Wunsch an den Weihnachtsmann.“

Er lächelte. „So, so. Dann lass mal hören, was du noch möchtest.“

„Aber morgen ist schon Heiligabend. Kannst du es ihm denn noch rechtzeitig sagen?“

„Bestimmt. Also, was hast du auf dem Herzen?“

Skeptisch sah Klara ihn mit ihren blauen Augen an. „Ich wünsche mir Schnee für morgen“, sagte sie leise.

Er seufzte. „Ach Klara. Der Weihnachtsmann kann nicht viel am Wetter machen. Er muss auch das nehmen, was er von Petrus bekommt.“

„Ich möchte aber wirklich gern Schnee haben.“

Sein Blick fiel auf seine kleine Enkelin. Für ihre fünf Jahre war sie sehr klein und zierlich. Sie erinnerte ihn öfter an eine der Porzellanpuppen, die seine Frau früher gesammelt hatte. Schnell schob er den Gedanken zur Seite. Es tat noch immer zu weh.

„Wir werden sehen, ob es dem Weihnachtsmann gelingt, Petrus zu überreden. In Ordnung?“, fragte er versöhnlich. Er wollte Klara nicht enttäuschen. Doch das Wetter konnte niemand beeinflussen.

Gemeinsam aßen sie zu Abend. Seine Enkelin war wie so oft nachdenklich. Sie war vom Kopf viel zu erwachsen für ihr Alter. Anschließend brachte er Klara ins Bett. Sie war müde und der Tag lang genug.

„Opa, wenn es schneit, weckst du mich bitte?“, fragte sie mit leuchtenden Augen.

„Mitten in der Nacht?“, hackte er amüsiert nach.

„Ja! Unbedingt. Ich möchte den Schneeflocken beim Tanzen zusehen.“

Er lachte. „Na gut. Und jetzt schlaf, kleine Prinzessin. Vielleicht geht dein Wunsch ja in Erfüllung.“

„Ganz bestimmt, Opa! Ich spüre es.“

Ein warmes Lächeln überzog sein Gesicht und er legte Klara die Bettdecke über. Ihr Optimismus war wundervoll und so erfrischend.„Schlaf gut“, sagte er leise und strich ihr über das Haar.

„Du auch, Opa.“

Er löschte das Licht, ließ die Tür offen und verließ ihr Zimmer mit einem letzten Blick auf sie. Ihr blondes Haar lag auf dem pinken Kopfkissen. Sie war sein kleiner Engel.

Er setzte sich in seinen alten Sessel vor den Kamin, nahm ein Buch zur Hand und begann vor dem knackenden Feuer zu lesen. Es war ein Märchenbuch, das er in einem Antiquitätenladen gefunden hatte. Er verlor sich zwischen den Seiten in alten Geschichten, die er aus seiner Kindheit kannte. Seine Mutter hatte ihm damals oft daraus vorgelesen. Das warme Gefühl, dass er als Kind dabei hatte, flammte erneut in seinem Herzen auf.

Es waren wohl einige Stunden vergangen, in denen er gelesen hatte. Das Feuer war heruntergebrannt und er klappte das Buch zu. Für heute reichte es. Müde stand er auf und trat ans Fenster. Was war das? Er sah erst zu Boden und anschließend zum Himmel. Es schneite. Offenbar schon seit Stunden, denn der Schnee lag bereits einige Zentimeter hoch. Einen Moment blieb er stehen und beobachtete das weiße Treiben. Dann lächelte er und wandte sich ab. Er hatte noch ein Versprechen einzulösen.

Leise betrat er Klaras Zimmer. Sie lag wieder einmal quer im Bett.„Prinzessin. Wach auf“, sprach er und streichelte ihr über die Haare. „Es schneit, Klara.“

Als hätte sie nur darauf gewartet, öffneten sich ihre Lider. „Opa, schneit es wirklich?“

„Ja. Komm, zieh dich an, wir gehen raus.“

Sie stürzte ans Fenster und sah hinaus. Die Flocken fielen schwebend und leise zu Boden und bedeckten jede Fläche langsam mit einem weißen Mantel.

Zunächst hatte er die Idee für sinnlos gehalten, doch er wollte Klaras Augen strahlen sehen.

Sie sprang wie ein kleines Rehkitz. Voller Inbrunst rannte sie zum Schrank und zog ihren Schneeanzug heraus. Schnell holte er noch ein Unterhemd, einen Pullover und eine Strumpfhose hervor, damit sie dies drunter anziehen konnte. Auch er zog sich dicke Sachen an, bevor er ihr einen Schal umband und die Mütze auf ihren Kopf setzte. „Bereit?“, fragte er lächelnd.

„Ja!“, antwortete sie strahlend.

So öffnete er die Haustür und die beiden standen mit wenigen Schritten im Schnee.

„Schnee! Oh Opa, schau, so viel Schnee!“, sagte sie atemlos. „Du hast es dem Weihnachtsmann gesagt! Und er hat mit Petrus gesprochen.“

Er strich ihr über die Mütze. „Manchmal geschehen auch solche Wunder, Klara.“

„Ja.“ Einen Moment sah sie den Schnee fasziniert an. Dann rannte sie los. Sie ließ sich in die weiße Masse fallen, machte Schneeengel, formte unbeholfen einen Ball und warf diesen auf ihn. Es war ihm eine Freude, seine kleine Enkelin so ausgelassen und glücklich zu sehen. „Ich möchte einen Schneemann bauen!“, rief sie aus.

Etwas ungeschickt begann sie einen weiteren Schneeball zu formen und versuchte diesen danach durch den Schnee zu rollen. Doch es hielt nicht.

„Klara, lass noch ein bisschen Schnee fallen. Dann bauen wir gemeinsam einen.“

Sie sah ihn einen Moment traurig an. „Na gut.“

„Komm, wir machen einen Spaziergang durchs Dorf. Wenn es so weiter schneit, können wir anschließend deinen Schneemann bauen.“

„Oh ja!“

Ihre kleine Hand ergriff schnell seine größere und die beiden machten sich auf den Weg durch die verschneite, unberührte Landschaft.

„Es ist so still“, sagte Klara fast ehrfürchtig.

„Das stimmt. Wenn es schneit, atmet die Welt durch. Es ist friedlich.“

Die Kleine nickte. Gemeinsam liefen sie durch die Straßen. Unterwegs trafen sie ein paar Menschen. Einige kamen von der Arbeit oder gingen hin, doch auch zwei Kinder mit ihren Eltern begegneten ihnen. Klaras Augen strahlten. Sie lieferten sich eine kleine Schneeballschlacht.

Als sie wieder am Haus ankamen, formte er einen großen Schneeball.

„Komm, wir rollen gemeinsam“, forderte er sie auf.

Sofort kam sie zu ihm. Er stellte sie vor sich.

„Leg die Hände drum. Ja, so.“

Er legte seine drüber und zusammen rollten sie die Kugel über den Schneeteppich auf dem Rasen, sodass sie stetig wuchs. Auch mit den zwei nächsten Kugeln machten sie dies. Anschließend hob er die kleineren Kugeln der Größe nach auf die größte und es entstand ein stattlicher Schneemann.

„Oh, ist der groß!“, rief sie aus.

Ihr Opa lachte. „Ja, ein kleiner Schneemann war doch nicht das, was du wolltest, oder?“

„Nein.“

„Siehst du. Wir müssen ihm gleich noch eine Karottennase suchen.“

„Haben wir denn noch welche?“

„Ja. Im Kühlschrank. Aber nun machen wir ihm erst einmal Knöpfe und Augen. Wenn du möchtest, suche mal zwei schwarze Steine.“

Sofort kam Klara dem nach. Unter der Hecke wurde sie fündig und kam stolz mit ihrem Fund zu ihm. „Schau mal Opa, passen die?“

„Die sind perfekt.“

Er hob seine Enkelin hoch, sodass sie ihm die Steine in den Kopf drücken konnte. Auch die Knöpfe und der Mund waren schnell gefunden.

Die beiden gingen ins Haus und Klara suchte sofort nach der Nase. Diese steckte sie ihm ins Gesicht.

„Ein hübscher Schneemann!“, rief sie aus und klatschte mit ihren Handschuhen in die Hände.

„Das ist er. Und jetzt gehen wir rein. Wir sind völlig durchgefroren und wir sollten etwas schlafen“, erklärte er.

Ein bisschen traurig sah sie zu dem Schneemann. „Nicht, dass er morgen weg ist.“

„Mit Sicherheit nicht“, beruhigte er sie. „Der Weihnachtsmann kommt auch gern im Schnee.“

„Hoffentlich.“

Klara war innerhalb weniger Minuten glücklich eingeschlafen. Manche Wünsche erfüllten sich dann doch.

Beccy Charlatanwurde 1982 in Wuppertal geboren und wuchs dort auf. Mittlerweile hat es sie mit ihrem Lebensgefährten etwas weiter an den Rhein verschlagen ins schöne Düsseldorf. Schon von Kindesbeinen an schrieb sie gern, geht der Liebe zu den Buchstaben jedoch erst seit circa vier Jahren nach. Sie schreibt unter anderem im Bereich Fantasy und Kindergeschichten. Im Jahr 2021 sind die ersten drei Kurzgeschichten in einer Anthologie erschienen.

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Weihnachten

Es ist wieder so weit ...

Nichts habe ich vergessen!

Die Weihnacht ist da ...

Wie lange musste ich warten.

Warten auf eine Zeit der zauberhaften Weihnacht.

Sie ist da.

Der Zauber der Weihnacht.

Ich träume von ihr,

aber nun ist es kein Traum,

sondern die wahre Weihnacht.

Sie ist in meinem Herzen.

Jürgen Heider wurde 1989 in Karaganda (Kasachstan) geboren. Heute lebt er mit seiner Familie in Freiburg.

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Von Folterfideln und anderen Arschgeigen

Alle Jahre wieder wird es für mich erst dann Advent, wenn meine Mutter und meine Schwester Anna Amalia zweistimmig das Lied: Maria durch ein Dornwald ging singen. Dieser Gänsehautmoment, wenn sich eine Stimme zart über die andere hebt. Die Klänge sich sanft umeinander weben, die Worte in altmodischer Sprache zur Harmonie werden. Weihnachtsromantik pur. Für mich.

Sie singen dieses Lied leider nur einmal im Jahr. Beim weihnachtlichen Hausmusikabend der Grubenstedts. Ich bin somit alljährlich gezwungen, zu diesem gesellschaftlichen Ereignis zu erscheinen, um mich in adventliche Stimmung zu bringen.

In diesem Jahr hatte meine Mutter die Einladung mit besonders freundlichen Worten überreicht: „Wenn du nicht dort erscheinst, rede ich bis Silvester keinen Ton mit dir.“ Ich wusste, sie würde es wahr machen.

So trugen mich an diesem Tag meine Beine schleppend zum Haus meiner Tante Elise Schmidt, geborene Grubenstedt (darauf bestand sie). Elise, ihr Mann Fred und ihr Sohn Felix hatten zur musikalischen Soiree geladen. Die Familie Grubenstedt galt im ganzen Umkreis als ungemein musikalisch bewandert. Kein Familienmitglied, das nicht mindestens zwei Instrumente einwandfrei beherrschte, eine wohlklingende Stimme besaß oder zumindest ein absolutes musikalisches Gehör.

Dem Nachnamen zufolge sollte auch ich eine von ihnen sein. Doch leider hatte jemand bei der Verteilung der Gene einen Fehler gemacht. Während meine Schwester Anna Amalia schon im Kindergartenalter kleine, herzige Etüden von Schumann auf unserem Klavier klimperte, konnte ich, auch nach jahrelangem klassischen Gitarrenunterricht, kaum einen Notenschlüssel von einem Fragezeichen unterscheiden.

Meine Freundin Katha hegte nach wie vor Zweifel daran, dass ich wirklich zu der berüchtigten Musikerfamilie gehörte. „Clara“, pflegte sie nach dem dritten Glas Limoncello zu lallen. „Clara, niemals nie bisss du eine von denen. Du...hu kanns gah nich singen.“

Wenn ich dann schuldbewusst die Achseln zuckte, setzte sie noch einen obendrauf. „Du biss so musik...k...kalisch wie mein Sofa.“

Wenn sie damit mal nicht dem guten Sofa unrecht tat. Es besaß dieses wunderbar polyfone Verhältnis von quietschenden Federn und knisternder Polsterung.

Mein Fragezeichen über dem Hausmusikabend jedenfalls war gigantisch. Tante Elise war nur halb so begabt an ihrer Geige, wie sie jedermann weiß machen wollte. Ihr Mann Fred (Akkordeon) überprüfte regelmäßig seine Fingerfertigkeit nicht nur an seinem Instrument, sondern auch an der weiblichen Verwandtschaft. Sohn Felix war eine gelungene Mischung aus beiden, vollblütige Arschgeige eben.

Und doch stand ich nun vor der Haustür meiner Tante. Diese wurde aufgerissen. Die Tür. Nicht die Tante, obwohl das sicherlich für mehr Erheiterung meinerseits gesorgt hätte.

„Clara! Herzlichen Glückwunsch. Dieses Jahr hast du es immerhin fast pünktlich zu unserer Soiree geschafft!“ Tante Elise zog mich ins Foyer – sie mochte es, einfachen Dingen wie beispielsweise Flur einen imposanten Namen zu geben.

„Entschuldige, Tante Elise“, erwiderte ich. „Mein Runaway Train hatte leider Verspätung.“

Elise überhörte meinen frechen Kommentar geflissentlich und scheuchte mich ins Haus.

„Als wenn du nicht wüsstet, wie viel Arbeit heute auf mir lastet. Da wird man als Familienmitglied durchaus eher erwartet. Ich kann mich nicht um alles allein kümmern.“ Mit diesen Worten drückte sie mir ein Tablett, voll beladen mit noch leeren Sektgläsern, in die Hand. „Ich muss mich immerhin noch um meinen Auftritt kümmern. Der ist dieses Jahr besonders anspruchsvoll. Ich sag nur: Haydn.“ Sie nickte wichtigtuerisch.

„Ah, Haydn, ist das nicht der mit Heidschibumbeidschi?“, konnte ich mir nicht verkneifen zu fragen.

Tante Elise schüttelte missbilligend den Kopf. „Du kannst schon den Perlwein in die Gläser füllen. Alle anderen sind schon zur musikalischen Einstimmung im Salon.“ Sie meinte Sekt und Wohnzimmer. Elise entschwand mit wippendem Schritt.

Mir blieb nichts anderes übrig, als grollend das Tablett zur Befüllung der Gläser in die Küche zu befördern. Hier war der Ort, wo man bei Hausmusikabenden die melodisch minderbemittelten Wurmfortsätze der Verwandtschaft unterzubringen pflegte. Damit die Schmach für die Öffentlichkeit nicht allzu offensichtlich wurde.

Und jemand sich um Speis und Trank kümmerte.

Onkel Fred eröffnete den musikalischen Teil des Abends mit Veni Emmanuel auf seinem Akkordeon. Danach folgte Tante Elise mit Irgendwas von Haydn auf ihrer Folterfidel.

Cousin Felix, der Fiese, saß in der ersten Stuhlreihe und wippte fröhlich mit dem Fuß im Takt. Wäre ich auf Zack gewesen, hätte ich seine Attacke geahnt. Doch so erwischte mich sein hervorschnellender Fuß ungebremst, während ich das Tablett mit den vollen Gläsern vorbeischleppte.

Klirrr, titscher, titscher, dirrr, sangen die Gläser und Scherben, als das Tablett aus meinen Händen zu Boden segelte – und der echte Berber sein erstes Sektbad erhielt. „Verdammte Scheiße!“, gesellte sich meine Stimme, Crescendo, dazu.

„Typisch Clara.“ Das war Tante Elise, Fortefortissimo. „Kein bisschen Fingerspitzengefühl. Aber was soll man auch von dir erwarten? Du liebst die Musik einfach nicht so wie wir. Und jetzt machst du auch noch diesen Abend kaputt.“

Jetzt reichte es mir. Wütend stapfte ich über die Scherben, packte die Tante mitsamt Folterfidel und beförderte sie in den Zuschauerraum.

Die Gespräche im Raum verstummten erschreckt, als ich die Gitarre meines Vaters packte und kräftig in die Saiten drosch. Perfekter Klang, das konnte sogar ich hören. Ich blickte in die Gesichter meiner lieben Verwandten und anderen illustren Gäste.

„Ich stehe zwar für diesen Abend nicht im Programm, doch gerade überkommt mich spontan die Lust, einen musikalischen Vortrag zum Besten zu geben.“

„Nein“, rief jemand. Vermutlich Tante Elise.

Ich ignorierte sie und atmete kurz durch. Konnte ich das wirklich durchziehen?

„Nehmt ihr die Gitarre weg!“, forderte meine Tante ihre Gäste auf.

Oh ja, ich konnte.

Mein erster Akkord dröhnte laut durch den Raum. „When you walk, through a storm, hold your head up high …“, begann ich.

Irgendjemand pfiff auf den Fingern. Das konnte nur mein Vater sein. Ermutigt griff ich nach den nächsten Akkorden. Beim Refrain grölten tatsächlich ein paar treue Seelen mit: „You’ll never walk aloooooone!“

Aus den Augenwinkeln konnte ich beobachten, wie Tante Elise mit Riechsalz behandelt wurde.

Mein Auftritt wurde ein bombastischer Erfolg. – Natürlich wurde er das nicht! Aber immerhin hatte ich allen klar gemacht, dass man Musik auch lieben konnte, ohne musikalisch zu sein.

Seit diesem Abend singen meine Mutter, meine Schwester Anna Amalia und ich das Maria durch ein Dornwald ging bei Hausmusikabenden dreistimmig. Ein Gänsehautmoment für das ganze Publikum.

Anke Terrasiwurde im Jahr 1982 in Lennestadt im Sauerland geboren. In ihrer Freizeit denkt sie sich gerne alltagsnahe und lustige Geschichten aus. Einige ihrer Kurzgeschichten wurden in verschiedenen Anthologien veröffentlicht.

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Das Christkind im Schlüsselloch

Habt ihr schon mal das Christkind gesehen? Mit seinen kleinen Flügelchen, dem wunderschönen weißen Kleidchen und dem goldenen Krönchen auf seinem lockigen Haar? Nein? Aber ich habe es schon einmal entdeckt – zumindest ein flüchtiges Stoffzipfelchen von seinem Gewand. Ich bin mir ziemlich sicher, dass es niemand anderes hätte sein können als das liebe Christkind höchstpersönlich.

Inzwischen sind sehr viele Jahre vergangen. Trotzdem erinnere ich mich noch genau an jede Einzelheit, die an diesem Nachmittag geschah, als ich fünf Jahre alt war. Es war der 24. Dezember, jener Tag, den ich schon seit Wochen herbeigesehnt hatte. Meine Eltern mussten noch viele Dinge erledigen, denn an Heiligabend würde uns wie jedes Jahr die ganze Familie besuchen. Wir erwarteten Oma, den Onkel und die Tante mit den Cousinen sowie die anderen Großeltern. Deshalb war Mama damit beschäftigt, eine große Schüssel Kartoffelsalat zu machen, und anschließend wollte sie noch den Tisch festlich decken. Papa stellte den Weihnachtsbaum in der Zimmerecke auf und begann ihn mit vielen funkelnden Lichtern und bunten Kugeln zu schmücken.

Ich ging dem ganzen Wirbel der Vorbereitungen aus dem Weg, stieg vergnügt die Treppe hinab zu Großmutter, die in unserem Haus eine Etage unter uns wohnte. Bei ihr war es viel ruhiger und gemütlicher. Sie saß in ihrer Küche und freute sich, mich zu sehen. Es war noch eine Weile hin bis zum Weihnachtsabend. Die Sonne versteckte sich hinter den Winterwolken, dass man sie gar nicht richtig sehen konnte. Dennoch tauchte sie alles umher in ein warmes Licht, Omas Küche, den langen Flur bis zur Wohnungstür und die Tür zu Omas Wohnzimmer. Diese war geschlossen, was sehr ungewöhnlich war, denn normalerweise stand sie stets einladend offen, damit man ins Zimmer hineinschauen konnte. An ihrer Innenseite hingen an zwei Haken immer hübsche Halstücher.

„Oma, warum ist denn die Tür zum Wohnzimmer zu?“, wollte ich sogleich von ihr wissen.

„Sie ist verschlossen, da ist das Christkind drin“, war ihre Antwort.