Yesterday's Kids - Tim Hackemack - E-Book

Yesterday's Kids E-Book

Tim Hackemack

4,9

Beschreibung

77 Personen hat der Fotograf Tim Hackemack porträtiert. Punks, die alle die 40 überschritten haben und die Kinder haben, die schon alt genug sind, um die nächste kleine Revolution zu starten. Unterschiedliche Personen, die viel oder gar nichts verbindet und die doch eine gemeinsame Geschichte erzählen. Vier Jahre hat Tim Hackemack an dem Projekt gearbeitet, neben seinem Job, seiner Familie und seiner eigenen Band, dabei über 15.000 km zurückgelegt und unzählige Stunden in Recherchen investiert. Die Bilder sind nach einer Punk-Devise entstanden: Red nicht – geh los! Keine Maske, keine stundenlangen Bildbearbeitungen. Die Protagonist_innen konnten sich die Locations selbst aussuchen und eigene Ideen einbringen. Auch an der Auswahl der Bilder waren sie beteiligt. Die Bilder zeigen Menschen mit Ecken und Kanten. Sie bestätigen und widerlegen zugleich den Mythos der Jugendkultur.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 516

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
4,9 (16 Bewertungen)
14
2
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Über den Autor

Tim Hackemack, Jahrgang 1979, ist im ländlichen Westfalen aufgewachsen. Nach dem Abitur machte er seinen Magister in Anglistik und Germanistik an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf.

Er hat mit verschiedenen Bands über fünf Alben veröffentlicht. Nebenbei war er Konzertveranstalter und hat für verschiedene Fanzines, Zeitschriften und Magazine geschrieben und fotografiert. Seit 2012 arbeitet er als freischaffender Fotograf und Journalist.

Ich bedanke mich für die großartige Unterstützung von allen Seiten, besonders aber bei:

Anne, Emil und Fiete, meinen Eltern Klaus und Christa Hackemack, meinen Schwiegereltern Lisa und Erich Raestrup, Ralle, Karl Nagel, Klaus Farin, David Strempel, Helge Schreiber, Micha Will, Frank Herbst, Marco Thiede, Alex Schwers, Schlumpf, Mosh & Mosh, Marcus Opa Haefs, Christian und Sunny, Kalle Stille, Pedy Thiede, Klaus Danker, Erich Zander, Frank Bökenkröger, Thomas Richter, Björn Nowotny, Kübel, Lars und Angy, Snoopy, Christian Schaub, Onkel Heini, Katja Weste, Thomas Koeppe, Bochi und Andrea, Anita Stepka, Myriam Kandulski, Martina Lückener, Gunnar Schröder, Linda Kutzki, Gabi Vogel, Deutscher W, Akoe Köpf, Uwe Weber.

Originalausgabe 1. Auflage Mai 2016

© 2016 Hirnkost KG, Berlin; [email protected]

Alle Rechte vorbehalten

Vertrieb für den Buchhandel: Bugrim (www.bugrim.de)

Auslieferung Schweiz: Kaktus (www.kaktus.net)

E-Books, Privatkunden und Mailorder: shop.jugendkulturen.de

Lektorat: Gabriele Vogel

Illustration und Layout: Linda Kutzki – textsalz.de

ISBN

978-3-945398-15-9

print

978-3-945398-19-7

pdf

978-3-945398-02-9

epub

Unsere Bücher kann man auch abonnieren: shop.jugendkulturen.de

Für Anne, Emil und Fiete!

Inhalt

Vorwort

Eddy

Karl

Erich

DW

Oli

Sabine

Ruben

Christian

Klaus

Düsi

Uwe

Marc

Elf

Schlumpf

Tommy

Patti

Myriam

Schulle

Anita

Falk

Marco

Wanne

Staffi

Frank

Fabsi

Kalle

Ole

Thorsten

Alex

Betty

Frank

Ainstain

David

Wally

Gunnar

Kübel

Joachim

Kay

Spiller

Micha

Akoe

Olaf

Christian

Mike

Willi

Uwe

Jürgen

Ralf

Tost

Schleimi

Adolf

Loll

Karsten

Tom

Puschel

Mosh

Hermann

Torben

Peter

Zwakkelmann

Helge

Tommi

Wuschel

Mabuse

Holgi

Liane

Onkel Heini

Angy

Lars

Petra

Ralle

Sucker

Melanie

Bernhard

Käthe

Silke

Opa

Heini

Markus

Mike

Olax

Pedy

Sunny & Chris

Zoni

Just a member of the fucked up kids,tryin’ to make the best of it.

Vorwort

77 ist eine schöne Zahl, muss ich damals gedacht haben. Mein Plan im Jahr 2012 war, in einem Jahr fertig zu werden. Jetzt sind vier daraus geworden und ich habe eine wichtige Lektion über das Thema Zeitmanagement gelernt. Ich habe auch eine Menge andere Lektionen bekommen, nicht immer alle positiv, aber der Großteil schon.

Ich bin kein gelernter Fotograf, habe nie eine Ausbildung in dem Bereich gemacht, sondern mir mehr oder weniger alles selber beigebracht. Ich sehe das als Vorteil, denn so konnte ich meine eigene Arbeitsweise und meine eigene Ästhetik entwickeln, ohne zu sehr von außen beeinflusst zu werden. Dass Grundregeln der Fotografie von mir missachtet werden, kalkuliere ich mit ein. Für mich zählt der Eindruck, den ein Bild bei mir hinterlässt, mehr als das rein Handwerkliche. Mehr möchte ich dazu auch nicht sagen.

Die Geschichte beginnt im Sommer 2012: Meine Frau ist schwanger. Wir wissen bereits, es wird ein Junge. Ich freue mich sehr und kann es kaum erwarten. Zwischen Namensdiskussionen und Möbeleinkäufen schleicht sich aber immer mal wieder ein Zweifel ein: Wie viel von meinem jetzigen Leben muss ich aufgeben? Gerade in den letzten drei Jahren war ich wieder viel mehr auch außerhalb von Münster unterwegs und habe viele neue Leute kennengelernt. Wie oft geht man noch raus mit einem kleinen Kind? Geht man überhaupt noch raus mit einem kleinen Kind?

Irgendwo zwischen diesen Gedanken entstand wohl die Idee für dieses Buch. Wie es am Anfang aussehen sollte, wie oft sich Idee und Design geändert haben und wie viele der 77 Protagonisten dieses Buches in der ersten Planung enthalten waren, das ist alles nicht wichtig. Zumindest nicht mehr wichtig für mich. Es zählen jetzt noch diese 77, die ich präsentieren darf.

Mir ist bewusst, dass man diese Menschen nicht in einen Topf werfen kann. Zu unterschiedlich sind ihre Lebensansätze, ihre politischen Ansichten, ihr Verständnis von Punk. Trotzdem mache ich genau das in einem Buch.

Warum 77 Personen? Nun ja, dahinter steckt nicht viel mehr als das Klischee, dass Punk 1977 in England aufkam. Wer sich länger als fünf Minuten mit der Thematik beschäftigt hat, weiß natürlich, dass das nicht so richtig stimmt. Die Zahl ist aber trotzdem schön und die 88 war schon belegt.

Warum ist Punk heute noch wichtig für mich? Ich habe mir diese Frage sehr oft während der Arbeit für das Buch gestellt und kann sie für mich beantworten. Bis zu meinem zwölften Lebensjahr war ich ein kompletter Außenseiter, hatte wenige Freunde, aber keine guten. Ich war ein Einzelkind und das Familienleben mit meinen Eltern war sehr schwierig. Wir besaßen kein Auto, was mein Sozialleben stark auf das Kaff, in dem wir lebten, einengte. Finanziell ging es uns gut, aber sonst gab es große Probleme. Ich konnte mich in der Schule auf wenig konzentrieren, meine Noten waren schlecht. Ich glaube, damals sahen mich viele meiner Mitschüler als Freak an, was ich aus heutiger Sicht auch gut nachvollziehen kann.

1992 hatte ich das erste Mal eine Freundin. Da ich aber absolut nicht in der Lage war zu begreifen, was eine Beziehung bedeutet, hat sie diese auch nach sehr kurzer Zeit beendet. Einen Tag nachdem sie mit mir Schluss gemacht hatte, fuhr ich mit meinen Eltern in den Urlaub. Geplagt von Liebeskummer rannte ich einfach irgendwie rum. Nur weg von allem. In der nächstgrößeren Stadt gab es einen kleinen CD-Laden, in dem ich mir innerhalb von zwei Tagen zwei Alben kaufte. Am ersten Tag war es Onkelz wie wir von den Böhsen Onkelz und einen Tag später Viva la Muerte von Slime. Die Auswirkungen beider Alben auf mein Leben lassen sich sicherlich mit einer Bombe am strategisch richtigen Ort vergleichen. Alles löste sich irgendwie und wo ich vorher schlurfte, da rannte ich jetzt. Die Richtung blieb aber die gleiche. Für eine kurze Zeit waren die Onkelz wichtiger für mich, aber diese Phase dauerte kein Jahr. Danach gab es für mich erst mal nur noch Punk. Und es war nicht so, dass ich cooler wurde oder witziger oder intelligenter, auch wenn ich das gerne berichten würde. Ich lernte einfach nur mein Außenseiterdasein zu akzeptieren und den Schritt weiter zu gehen: Ich habe mich dafür geliebt. Diese unabdingbare Liebe des Underdogs im Punk, dieses „born to lose“ und scheiß auf die Gewinner, denn dazu gehören werden wir eh nie. Das hat mir mein Leben gerettet. Ohne diese Entwicklung wäre ich wohl einfach irgendwann untergegangen.

Als Verlierer sehe ich mich heute nicht mehr, aber ein gesundes Misstrauen gegenüber sogenannten Gewinnern ist geblieben. Man kommt halt doch nie so richtig aus seiner Haut raus.

Es ist in letzter Zeit Mode geworden, von seiner Punkvergangenheit zu sprechen, auch wenn man nur mit 16 drei Wochen Interrail gemacht und dafür die Haare bunt gefärbt hat. Es scheint, als wäre jeder Punk gewesen. Ein besonders fieses Subjekt dieser Sorte verkündete mal öffentlich, er wäre früher Punk gewesen, aber zum Glück wäre doch noch was aus ihm geworden. Für solche Leute habe ich keine Zeit und halte es mit Marco Thiede, der sagt: „If you used to be punk, you never were“. Es gibt Dinge, die legt man nicht einfach ab. Äußerlichkeiten schon, aber wer Punk jemals richtig verstanden hat, der weiß, dass es um viel mehr als ums Auffallen geht.

Punk hat mir viel gegeben, aber auch viel genommen: Ich habe ein großes Problem mit Popularität. Wenn ich sehe, dass eine große Gruppe von Menschen etwas mag, wird es umgehend für mich uninteressanter. Autorität ist für mich ein rotes Tuch und konstant zu hinterfragen. Ich will vielen nicht gefallen und ich halte es mit Oscar Wilde, der einst sagte: Popularität setzt Mittelmäßigkeit voraus.

Es geht in diesem Buch aber nicht nur um Punks, denn ich habe bewusst auch Skinheads porträtiert. Dabei war und bin ich mir bewusst, dass dies vielen nicht gefallen wird. Für mich gehören diese beiden Subkulturen zusammen. Die meisten meiner Freunde waren am Anfang Punks, ein paar entwickelten sich aber mit der Zeit zu Skinheads. Das hat sie für mich nicht verändert und auch unsere Freundschaft nicht. Auch damals schon rannten Skins zu Punkkonzerten und Punks zu Oi!-Konzerten. Auf Skagigs traf man sich sowieso, und das ist ein großer Bestandteil dieser Subkulturen: die Musik. Aus diesem Zusammengehörigkeitsgefühl heraus habe ich die Entscheidung getroffen und ich bereue sie nicht.

Vier Jahre hat es gedauert, über 15.000 km habe ich hinter mich gebracht, im Auto, im Zug, im Flugzeug, in U-Bahnen und S-Bahnen und in Bussen. Ich habe schöne Ecken von Deutschland gesehen und hässliche Ecken, ich hab Geschichten von Kultorten gehört, die jetzt, traurigerweise, von Wohn- und Geschäftshäusern zugebaut und weggebombt wurden. Ich habe viel auf Ausklappsofas gepennt und sehr wenig in Hotels. Vor allem aber habe ich viele Menschen kennengelernt und ihre Geschichten gehört. Oft habe ich mich verflucht, wenn ich merkte, dass es nicht voranging, weil irgendjemand mal wieder den Termin verschlafen oder abgesagt hat und ich irgendwo in Deutschland rumrannte, anstatt bei meiner Familie zu sein. Das Buch jetzt in den Händen halten zu können, macht mich sehr dankbar, vor allem gegenüber allen, die zugestimmt haben bei diesem Projekt dabei zu sein: Ich habe nur die Kamera gehalten, ihr habt das Projekt zum Leben erweckt. Ich nenne es eine Ein-Mann-Kollektiv-Arbeit.

Während meiner Arbeit an diesem Buch sind meine Söhne Emil und Fiete auf die Welt gekommen und haben mein Leben enorm bereichert. So weiß ich heute, wie viel Zeit man mit zwei Kindern noch für Konzerte hat. Wenn man eine tolle Familie hat, reicht sie, um durch ganz Deutschland zu reisen und andere alte Menschen zu fotografieren.

Cock Sparrer fragten einst: „Where are they now?“ Ich kann nicht sagen, wo die großen Namen aus ihrem Lied jetzt sind, aber ich weiß, wo 77 andere sind, die schon früh zu Punk und Oi! fanden. Die sind auch heute noch dabei und in diesem Buch. Ich bin stolz, sie vorstellen zu dürfen.

Eddy

Wann und wie bist du zum Punk gekommen?

Alles begann im Sommer 1980 in Leipzig. Ich war zu der Zeit noch mit langen Haaren und Jeansklamotten unterwegs und im ersten Lehrjahr. Zu dieser Zeit hatte ich bereits Erfahrungen mit der Staatsmacht gemacht, denn in der DDR war langhaarig sein schon eine Abweichung von der Norm. „Mann“ galt als asozial. So kam es wieder zu Konflikten mit der Obrigkeit, dazu kamen dann noch Raufereien beim Fußball oder in der Disco. Kurz gesagt: Ich stand unter Beobachtung, aber irgendwie gehörte das damals mit dazu, ich hatte mich damit abgefunden.

Das sollte aber noch um einiges schlimmer werden. Ich hab irgendwo in einer Disco einen Typen gesehen, der hatte nur ein Jackett an und hinten drauf war mit vier Sicherheitsnadeln befestigt ein Zeitungsartikel mit einem Foto von Johnny Rotten. Ich habe ihn dann angesprochen und gefragt, wer das ist. Daraufhin hat er mich mit zu sich nach Hause genommen und mir ein Tape vorgespielt. Da hat es „bamm“ gemacht und ich wusste, das ist mein Ding.

Irgendwann meinte mein Bruder, dass ein Bekannter von seinem Freund ein Doppelalbum von Van Halen verkauft, und da so ’ne Mucke im Osten sehr schwer zu bekommen war, hab ich die Adresse ausfindig gemacht und hab mich nach Leipzig-Grünau (ein Neubaugebiet am Stadtrand) begeben.

Leider war der Typ nicht da und seine Mutter meinte, er hängt immer mit seinen Kumpels in ’ner Kneipe in der Innenstadt rum. Also ich dort hin. Und da saßen sie, Punks. Ich hatte bis dahin keinen blassen Schimmer, was Punk ist, geschweige denn, dass ich bis dahin Punks gesehen hätte. Ich also ran an den Tisch und erst mal ein paar Runden Bier spendiert und alles aufgesaugt, was ich so über Punk aufschnappen konnte. Hab mich dann sehr schnell mit den Jungs angefreundet, denn unsere Ansichten waren ja die gleichen, gegen den Staat, gegen die Bullen, und die Liebe zum Alkohol.

Es hat dann keine Woche gedauert und meine langen Haare waren ab, die Jeansklamotten wurden gegen Jackett und die Turnschuhe gegen Arbeitsschuhe getauscht.

Zu dieser Zeit gab es in Leipzig ca. 10–15 Punks und ich war einer von ihnen. Ich habe dann auch schnell weitere Leute kennengelernt und unter anderem dann auch meinen späteren Mitbewohner. Mit dem bin ich dann in ein besetztes Haus in Leipzig gezogen.

Wie habt ihr in der DDR denn weitere Platten gekriegt?

In Leipzig war zweimal im Jahr Messe und das hieß internationaler Besuch. Da kamen dann immer Freunde rüber und haben Platten, Fanzines und T-Shirts mitgebracht.

Wie habt ihr denn zu denen den Kontakt gehalten, über Briefe?

Ja, genau.

Konntet ihr da offen schreiben?

Wir haben es einfach gemacht. Ich weiß nicht, wie viel da gegengelesen wurde. Im Nachhinein weiß ich natürlich, dass das eigentlich auch egal war.

Warum?

Weil der Informant mit im Haus saß, bzw. mein Mitbewohner war. Ich habe immer zu dem aufgeblickt und war unglaublich enttäuscht, als das später rauskam.

Wann und wie ist das denn rausgekommen?

Das war erst nach der Wende, ein Kumpel hat sich seine Akten angesehen und konnte dann eins und eins zusammenzählen. Er hat ihn dann auch direkt angesprochen und der hat es, nach kurzem Zögern, zugegeben.

Das ist übel.

Ja, noch blöder ist es, dass der Typ danach immer noch als der König von Leipzig galt, der älteste Punk. Trotz dem ganzen Scheiß hat der dann ohne Probleme das Conne Island in Leipzig aufbauen können.

Hast du denn auch deine Akte eingesehen?

Ja, das hab ich. Da war aber sehr viel schwarz gefärbt, um irgendwelche Polizisten zu schützen, die damals bei der Stasi waren oder andere Leute. Das war mir aber alles auch nicht so wichtig. Ich habe nur Akteneinsicht gefordert, weil mir damals viele Fotos weggenommen wurden und ich gehofft hatte, die in der Akte zu finden. Dann hätte ich mir die zurückgeklaut, aber leider waren sie auch nicht in der Akte.

Hattest du denn viel Stress mit der Polizei?

Ständige Repressalien, Ausweiskontrollen, Verhaftungen, Hausdurchsuchungen. Selbst bei der Arbeit gab es Stress. Ich musste dann auch in den Knast, das ging ganz schnell, wenn man sich z. B. mal der Verhaftung widersetzt hat. Dann gab es immer anderthalb Jahre. Ich durfte dann bei Leipzig im Braunkohleabbau arbeiten.

Gab es denn auch Konzerte von Westbands in Leipzig?

Ja, die Bands sind dann oft als Touristen eingereist. In Leipzig waren die Abstürzenden Brieftauben, die Goldenen Zitronen und die Spermbirds/Walter Elf. An die kann ich mich noch erinnern.

War das dann auch von Kirche von unten organisiert?

Nein, Kirche von unten, das war in Berlin. Wir hatten eine Kirche in Leipzig-Mockau, da gab es einen Jugendpfarrer, einen Gammler mit langen Haaren, eher so ein Hippietyp, der war ganz cool und der hat das auch alles organisiert. Das lief ganz gut.

Wusstet ihr das denn frühzeitig oder war das alles eher kurzfristig?

Wir wussten das schon immer etwas früher und haben auch versucht Flyer zu machen, aber das war verdammt viel Arbeit ohne Kopierer.

1981 hast du bereits einen Ausreiseantrag gestellt, gab es darauf eine Reaktion?

Ja, keine. Es wurde einfach gar nicht reagiert und die Repressalien konnten auch nicht mehr verschlimmert werden. Das war damals schon schlimm genug. Man wurde wirklich ständig angehalten, hatte immer das Gefühl, verfolgt oder beobachtet zu werden. Dann ging man hin und wieder mal für eine Nacht in den Knast wegen Gefahr im Verzug oder man wurde auch ständig vorgeladen zur Klärung eines Sachverhaltes und dann durfte man während der Arbeitszeit da stundenlang warten, wurde schikaniert und durfte dann wieder gehen. Ich habe das auch mit vielen Freunden aus dem Westen besprochen. Wenn du da in irgendeiner Kleinstadt auf dem Marktplatz gesessen und Büchsenbier getrunken hast, warst du auch ein Punker, aber in der DDR war das was anderes: In der DDR warst du ein Staatsfeind. Erst 1988 konnte ich dann ausreisen.

Was ist denn genau passiert, wie ging deine Ausreise vonstatten?

Es gab damals eine Abteilung Inneres, die war für solche Fälle zuständig. Dort wurde ich vorgeladen und dann hieß es, ich solle innerhalb von 24 Stunden das Land verlassen. Dann wurden mir alle staatsbürgerlichen Rechte aberkannt und ich bekam einen Laufzettel mit. Darauf stand, was ich alles noch erledigen musste. Ich musste sogar zur Deutschen Post, um mir bestätigen zu lassen, dass ich keine Telefonschulden habe, wobei im Osten fast niemand ein Telefon hatte. Das war alles pure Schikane. Aber zwei Tage später bin ich dann durch den Tränenpalast in den Westen ausgereist. Ich bin dann auch wieder mit meinem Mitbewohner aus der DDR zusammengezogen.

Hast du noch mit ihm zusammengewohnt als rauskam, dass er interner Mitarbeiter war?

Nein, da nicht mehr. Da bewegten wir uns schon in anderen Kreisen.

Was hast du nach deiner Ausreise im Westen gemacht?

Nichts, Sozialhilfe kassiert und das schöne Leben genossen. Alle Bands haben in West-Berlin gespielt, das war toll.

Kannst du jetzt entspannt auf deine Zeit in der DDR zurückblicken? Wenn du jetzt einen der Polizisten von früher triffst, haust du ihm dann noch was aufs Maul?

Nein, schlagen würde ich die heute nicht mehr, das war vor zwanzig Jahren aber noch anders. Ich blicke auf die DDR mit gemischten Gefühlen zurück. Das war meine Heimat und ich habe da auch sehr schöne Zeiten verlebt. Ich war da zum ersten Mal verliebt und habe da zum ersten Mal gevögelt. Das sind wichtige Punkte im Leben, die man nicht so einfach vergisst.

Hast du noch Pläne für die Zukunft?

Ja, für immer jung bleiben.

Karl

Wann und wie bist du zum Punk gekommen?

Der Auslöser war der Tod von Klaus-Jürgen Rattay am 22. 9. 1981. Der wurde von den Bullen inmitten einer Hausbesetzerdemo auf eine vielbefahrene Straße getrieben. Fetter Bus. Matsch. Ende. War für mich ein heftiger Schock, weil ich ein halbes Jahr davor zwei Wochen dort um die Ecke in einem besetzten Haus gewohnt hatte. Danach wollte ich nicht mehr mitspielen. Job gekündigt, Lederjacke an, „Leckt mich alle!“

Die Wurzeln liegen natürlich tiefer. Mit 15 habe ich meine erste Punkrockentscheidung getroffen. Das war 1976. Ich hing damals in so einer Art Teenie-Clique rum, Arbeiterkids halt. Mofa, rauchen, saufen, klauen. Mit Bier brauchte mir keiner kommen, weil mein Alter sich mit Wicküler Export totgesoffen hatte, aber bei den Zigaretten war ich irgendwann dabei. Die blöden Sprüche à la „Hat dir wohl Mutti verboten?“ gingen mir irgendwann auf den Sack – ich wollte DAZUGEHÖREN. Nach drei Monaten ist der Groschen gefallen. Die Zigaretten kamen in den Müll. Ich kündigte fast allen die Freundschaft. Und hing erst mal allein in der Bude rum.

Die Nummer hatte aber Spaß gemacht … aus der Masse aussteigen, den eigenen Leuten den Stinkefinger zeigen und eine radikale Entscheidung durchziehen. Quasi die Blaupause für vieles, was noch kommen sollte.

Ende 1976 wurde ich Kommunist. Das war auch eine schöne Sache, „anders“ zu sein. Ich habe aber schnell gemerkt, dass meine Genossen sich ihre Welt zurechtbogen und so was wie „Freiheit“ nicht attraktiv für sie war. Die wollten gewinnen und hätten für ihre Weltrevolution die besagte Freiheit sofort am nächsten Laternenpfahl aufgeknüpft.

Die damals sogenannten „Undogmatischen Linken“ (aus denen wurden später die Autonomen!) kamen chaotischer und mit mehr Freiheitssehnsucht rüber, das gefiel mir besser. Trotzdem fühlte ich mich auch dort fremd … die hatten ihren Bakunin oder andere schlaue Bücher intus und für mich nur ein mildes Lächeln übrig, wenn ich am Funktionieren ihrer herrlichen Anarchie zweifelte. Das hat mich innerlich immer ganz schön auf Zinne gebracht.

1981 war das Jahr des Wandels. Als ich in Berlin war, merkte ich, dass die Demos dort mittlerweile anders tickten. Keiner brüllte die Polit-Parolen von früher. Stattdessen: „Deutschland, Deutschland, alles ist vorbei!“ Ich bekam eine Gänsehaut. Dass das ein DAF-Songzitat war, wusste ich nicht. Bei mir kam nur eine apokalyptische Botschaft an. Das passte zu meiner Gefühlslage.

Zurück in Wuppertal ging ich zum ersten Mal nach fünf Jahren in einen Plattenladen. Ich hielt Musik für einen einzigen Beschiss. Nun ließ ich mir die Monarchie und Alltag von Fehlfarben auflegen, und mir fielen fast die Musikhörer aus der Hand. Ich konnte es kaum fassen: „Die wollen mich nicht verarschen!“, dachte ich. War zwar „Neue Deutsche Welle“, aber ich hielt es für Punk. Und das war es im Grunde auch. Die peinliche Scheiße à la Nena und UKW kam da ja erst eine Weile später. Meine Einstiegsdroge. Und hat ausgereicht, mein Leben grundlegend zu verändern.

Du hast bereits während unseres Fotoshootings mehrfach gesagt, dass der Punk, so wie du ihn verstehst, tot ist. Wenn das der Fall ist, wieso bist du Teil dieses Buches? Betreibst du Leichenfledderei?

Hoffentlich! Ich zitiere Alice Cooper: „I love the dead before they’re cold.“ Punk als aufregende, sich ständig wandelnde, vielseitige und völlig undogmatische Idee mit angedockter Szene existiert nicht mehr. Ich empfinde das Ganze schon lange nur noch als Abfeiern der immer gleichen Rituale. Das liegt natürlich auch am Altersdurchschnitt der Szene, der bald doppelt so hoch ist wie vor dreißig Jahren. Es sollte niemanden wundern, wenn wir alten Säcke in Konservatismus erstarren und nicht wirklich was Prickelndes auf die Reihe kriegen. Es gibt Möglichkeiten, das zu durchbrechen. Aber nicht in der Masse, nur als Individuum ohne jede Rücksicht auf eine „Szene“. Raus in die Welt, Augen auf und auf alle roten Knöpfe drücken, die sich einem anbieten! Völlig egal, ob jemand das nun als „Punk“ bezeichnet oder nicht.

Welche Rolle spielt Musik für dich? Du hattest ja schon einige Bands.

Die Musik war ein Auslöser für mich, nicht mehr. Und das ist immer noch so. Ich höre eher wenig Musik, meistens interessiert mich mehr das Machen, als Weg, irgendwas zu transportieren, was mir gerade wichtig ist. Und das hat meist wenig mit Politik zu tun. Braucht auch keinen 1-2-3-4-Punkrockeinheitssound. Den gab es auch nicht, als es 1981 bei mir mit Punk losging, da war die Palette enorm breit.

Du beschreibst dich ja selber als leicht hyperaktiven, eigenwilligen Menschen, der immer neue Wege sucht, um sich auszudrücken. War Punk genau die Lücke für dich? Oder glaubst du, dein Leben hätte auch in einem spießigen/bürgerlichen Alltag funktioniert?

Punk hat als Idee erst mal mein Leben gerettet. Ich bin sicher, dass ich ohne Punk total unter die Räder gekommen wäre und heute vielleicht unter der Erde läge. Insofern hat mir „no future“ erst Zukunft ermöglicht. Punk hat mir gezeigt, dass ICH viele Spielregeln bestimmen kann. Seit Punk bin ich kein Opfer mehr, sondern lustvoller Täter.

„Lustvoller Täter“ – kann man das so interpretieren, dass du mit deinen Taten ein Ziel verfolgst, oder drückst du einfach nur auf die roten Knöpfe und wartest amüsiert ab, was passiert?

Das ist jedes Mal anders. Bin aber auf keinen Fall ein Zyniker, der nur deshalb irgendwas unternimmt, um mir darauf einen runterzuholen, andere aufs Glatteis zu führen und dann darüber abzulachen. Von wegen: „Alles Idioten außer mir!“ Meistens will ich es einfach nur wissen. Ist auch okay, wenn das Ganze dann am Ende total in die Hose geht. Das ist dann ja auch ein Ergebnis.

Du hast ja eine Tochter, wie kann man sich dich beim Elternsprechtag im Kindergarten oder der Schule vorstellen? Drückst du da auch die roten Knöpfe oder erlebt man dort einen anderen Karl Nagel? Vielleicht einen Peter Altenburg, der entspannt die Realitäten erträgt?

Entspannt würde ich das nicht nennen, aber ich versuche, den Berufsprovokateur Karl Nagel nicht zu sehr in das Leben meiner Tochter hineinwirken zu lassen. Gerade in Gegenwart anderer Eltern halte ich mich ziemlich zurück. Klappt aber nicht immer. Als neulich eine Mutter ewig lange darüber sinnierte, dass man die „Kinderficker“ und ähnliches Gesocks doch gleich ’nen Kopf kürzer machen müsste, da ging es einfach nicht ohne „Jetzt halt doch endlich mal die Fresse!“ Daneben kriegt meine Tochter natürlich eh mit, was ich so treibe. Etwa die Bürgermeisterkandidatur, und meine alten Fotos kennt sie natürlich auch. Ist aber alles okay so. Nix aufdrücken, nix verheimlichen.

Hast du denn abgesehen von solchen Situationen das Gefühl, dass die Lehrer/Erzieher sich dir gegenüber anders verhalten, als sie das gegenüber den „normalen“ Eltern tun?

Nein, gar nicht. Man darf ja auch nicht vergessen, dass ich nicht mehr sehr auffällig aussehe. Und ich benehme mich ja nicht ständig so, als ob ich auf einer Bühne stünde. Glaube nicht, dass ich für die ein echtes Thema bin.

Glaubst du, dass du deiner Tochter manchmal peinlich bist?

Klar. Würde mich auch wundern, wenn es anders wäre. Ist doch bei allen Eltern und ihren Kindern in diesem Alter so. Irgendwie müssen die Biester doch ihren eigenen Weg finden, und das geht eben am besten über eine Distanzierung von den Alten. Warum sollte ich da eine Ausnahme sein?

Wie sieht es denn beruflich aus? Du hast dich in der IT-Branche selbständig gemacht. Hast du schon erlebt, dass dir dein Leben als Karl Nagel Türen verschlossen hat, oder ist das sauber getrennt?

War noch nie ein Problem. Die wissen meist recht schnell, mit was für ’nem schrägen Vogel sie es zu tun haben. Da ich bei Erstkontakten aber grundsätzlich in Lederjacke und nicht im Anzug auflaufe, siebt sich da vieles schon im Vorfeld.

Hast du nach so langer Zeit noch Freunde, die nie mit dem Punk-Ding in Kontakt kamen?

Freunde hat man eh meist nur eine Handvoll. Und nachdem ich ja über die Jahre zweimal den Ort gewechselt habe, laufen mir in meinem Alltag eh keine Leute über den Weg, die ich schon vor meiner Punkzeit gekannt habe. Auf die eine oder andere Weise haben sie alle mal Kontakt zu Punk gehabt. Was auch immer man unter „Kontakt“ verstehen mag.

Was erwartest du noch von der Zukunft?

Ich habe schon gehörigen Respekt vor dem, was noch kommen kann. Die Rückkehr in ein normales Leben ist mir versperrt. Sobald es zu ruhig wird, fange ich wieder an, irgendeinen Scheiß zu machen. Ich habe keine Pläne für irgendwann später. Nur überleben und Dinge zu tun, die mir gefallen. Musik kann ich auch vielleicht nicht mehr ewig machen, jedenfalls nicht das Vollbrett-Zeugs. Aber Schreiben schon. Da sehe ich auch meine Zukunft. Meinen Scheiß schreiben und irgendwie veröffentlichen. Und nicht alleine in meiner Bude rumhängen.

Erich

Wann und wie bist du zum Punk gekommen?

Die ersten Punks lernte ich Mitte der 70er (75–77) in Paris kennen. Für mich war die Musik der Einstieg in den Punk. Sham 69, 999, The Clash, aber auch die Sex Pistols fand ich gut, aber sie waren mir musikalisch zu weich. Den endgültigen Kick bekam ich 1980/81 über Discharge, GBH, The Exploited, Angry Samoans. Mit Black Flag ging es dann auch schon in den Hardcore hinein. Damals waren Punks und Skins noch nicht wirklich getrennt. Dann gingen die Skins mehr in den bürgerlichen, aber auch rechten Flügel der Bewegung, weshalb ich von Oi! stark abgewichen bin. Erst in den 90ern konnte ich mit Teilen der Oi!-Bewegung wieder etwas anfangen. Bandmäßig haben mir Pöbel und Gesocks am besten gefallen. Insgesamt sind mir die Skinheads etwas zu schnöselig und zu bürgerlich. Ich selber sehe mich eher als aufsässig und nicht integrationswillig (keine Mode, keine Religion, keine bürgerliche Moralvorstellung, kein Bock auf diese verlogene Gesellschaft), sozusagen ein Aufständischer. Viele gingen zum Oi!, um sowohl bei linken als auch rechten Gruppen nichts aufs Maul zu kriegen. Beim Hardcore waren die Rechten nicht gern gesehen, deshalb ging meine Tendenz eher zum Hardcore als zum Oi!. Aber Punkrock ist meine Seelengeschichte, mein Ding, gepaart mit ’nem Schuss Rockertum.

Im konservativen Bayern gab es damals wahrscheinlich viel Gegenwehr, oder?

Ich hab da nichts von mitgekriegt. Die Bullen waren wohl strenger als anderswo, aber die Bürger wechselten immer brav die Straßenseite und schauten weg.

Einige Leute haben mir berichtet, dass man selbst als Punk in München auf die Fresse kriegte, wenn man niemanden kannte? Was war da los?

Besserpunks wie z. B. Slime aus Hamburg oder auch ein paar Berliner hat’s schon erwischt. In München kosteten die Konzerte halt 8 statt 5 Mark, was Slime zum Gaseinsatz beim eigenen Konzert veranlasst hatte. Dafür gab’s auch Haue. Die Berliner kamen aus besetzten Häusern und denen waren die Münchner nicht asselig genug. Hier wehte von Staatsseiten halt ein anderer Wind als sonst wo. Ein Nietengürtel hat da oft für eine Verhaftung gereicht, oder ein durchgestrichenes Hakenkreuz. Kiffen ging auch nicht, für blöde Sprüche gab’s hier dann Haue. In anderen Städten war es wesentlich leichter, Punk zu sein. Hier musste man auch körperlich was darstellen, um halbwegs unbeschadet über die Runden zu kommen. Der bürgerliche bayrische Bauernburschenproll war ja auch gern handgreiflich.

Hast du deshalb schon so früh mit dem Kampfsport angefangen?

Ich habe nur WingTsun und Modern Arnis gemacht, Kampfsysteme, weniger Sport, batsch-bum-fertig. Ich war aber immer ein Haudegen.

Wann habt ihr denn den Flexhead-Orden gegründet und was war euer Ziel?

Flexheads war eine elitäre Punkgang aus der Münchner Szene. Wir haben alle damit aufgeschreckt, Punker kannten sich nicht mehr aus, Autonome und Antifa hatten Gesprächsstoff für ihre Plenums und die Polizei sorgte sich um uns. Warum? Wir waren eine schlagkräftige Punkerelite, die sich gegenseitig verlässlich und loyal verhielt. Wir schrieben Flugblätter gegen uns selbst, fünf von denen haben wir verteilt, mit den Themen: Verräter der Punkszene, Strukturen wie die Rocker, gemein, hinterhältig, gewaltbereit und ähnliches Zeugs. Wir forderten zur Gewalt gegen uns auf, wohl wissend, dass sich keiner aus der Szene traute, weil wir allesamt groß und stark waren. Eines der Flugblätter landete bei den Bullen über einen Spitzel bei den Antifas oder/und Autonomen und die kamen sogar zu mir nach Hause, um uns zu warnen. Hat alles geklappt. Eigentlich waren wir nur gute Freunde, die eine Kutte zur Schau trugen. Letztendlich verhielten wir uns zum Punkertum wie das Punkertum zum Bürgertum. Wir waren und sind immer noch gute Freunde und hatten unseren Spaß, gerade wenn unsere Gegenüber nicht wussten, wer oder was wir waren, und sie nicht wussten, wie man sich uns gegenüber verhalten soll.

Wie politisch waren die Flexheads?

Bei den Flexheads waren nur linke, aber die Flexheads sind keine politische Organisation.

Hast du an Chaostagen teilgenommen?

Ich war bei allen Chaostagen, die es jemals gab. Das war eine gute Sache. Da ich immer Geld hatte, unterstützte ich die Punker dort mit Bier, natürlich nur Flaschenbier. Für mich waren die Chaostage wie der Lohnsteuerjahresausgleich, man konnte dem Staat alles zurückzahlen, was man meinte tun zu müssen. An Einzelheiten kann und will ich mich nicht erinnern und wenn, bleibt das bei mir.

Du hast damals die APPD mitgegründet? Was war da eure Intention?

Die APPD war für mich ein großes Ding. Ich unterstützte die Sache mit der Südachse, München war stets die größte Fraktion. Es ging darum, eine Lobby für die Randgruppen und gestrauchelten Leuten unserer Gesellschaft zu schaffen. Müslis hatten die Grünen, Millionäre die FDP, rechte Bürger die CSU und CDU und die Arbeiter ihre SPD. Säufer, Penner, Arbeitslose, Hools und jegliches andere Geschwerl hatten dann die APPD. Erst war es nur Spaß, der dann irgendwie immer ernster wurde. Eine Art Realsatire für mich, andere dachten ernsthaft, sie könnten damit was reißen. Bis auf einige Kleinigkeiten war und bin ich auf einer Linie mit der APPD und sie ist noch immer die einzige Partei, die für mich relevant ist. Dumm und glücklich halt.

Wie wichtig ist es dir auch heute noch, ein unabhängiges (autonomes) Leben zu führen?

Ein unabhängiges Leben ist das höchste Gut, das man erreichen kann. Ich habe nie und werde es auch für den Rest meines Lebens nicht tun: auf irgendwen hören oder irgendwelche Erwartungen erfüllen. Keiner hat mir was zu sagen, ich merke selber, wenn ich was verkehrt mache oder merke im Nachhinein, dass etwas nicht richtig war. Dafür habe ich ein Gewissen und einen gesunden Geist. Ich brauch keine Moralapostel, die mir sagen, wo’s lang geht. Ich bin gut mit der Einstellung gefahren, brauche und habe keinen Boss oder bin gar vom Staat, auf den ich immer schimpfe, abhängig. Materiell bin ich bescheiden, die Dinge, die im Leben wirklich zählen, gibt es eh nicht zu kaufen.

Gab es in München Probleme mit Drogen/Heroin?

In München waren Drogen nicht so ein Thema. In all den Jahren fallen mir nur vier Leute aus der Punkszene ein, die mit Drogen zu tun hatten. Alk war da schon eher ein Problem. Heroin war wohl hauptsächlich bei unseren Gegnern ein Thema. Viele der Skins, die sich Anfang der 80er von den Punks distanzierten, und auch gerade die, die ins Neonazimilieu abdrifteten, nahmen Heroin. Mich hat das gefreut, wenn gerade die Saubermänner sich selbst eliminiert haben.

Hat Punk für dich heute noch dieselbe Bedeutung wie früher?

Ja, es hat noch dieselbe Bedeutung für mich. Die jungen Menschen legen das aber moderner aus, das ist gut so für die Kids. Es sind ja auch einige Jahre vergangen und sie müssen/sollen ja nicht im Gestern leben. Man sieht an der Gesellschaft, wo es hinführt, im Gestern zu leben.

Waren Kinder je ein Thema für dich?

Nein, ich komme sehr gut mit Kindern klar, aber eigene Kinder hätten mich zu sehr eingeschränkt und es wäre schwer für mich geworden, kleine Menschen in die Leistungs-/Ellenbogengesellschaft zu schicken. Für eine Adoption wäre ich offen gewesen, jedoch waren die Hürden sehr hoch gelegt, eine Anfrage hatte mich sofort entzaubert. Lieber lässt man sie in der Dritten Welt verhungern.

Du warst ja eine Zeit lang sehr krank; hat das etwas daran geändert, wie du heute dein Leben lebst?

Zur Krankheit: Durch Zufall entdeckte man bei mir Hepatitis C im sehr sehr fortgeschrittenen Zustand. Es galt sofort zu handeln, denn es gab keine Alternative zum Krebstod. Ich machte insgesamt drei Chemotherapien, bei denen ich von den möglichen 200 Nebenwirkungen ca. 180 voll miterleben musste. Es war die schlimmste Zeit in meinem Leben. Schmerzen, Anfälligkeit für alles, weil ich kein Immunsystem mehr hatte. Diese Krankheit war bis 2014 noch unheilbar und hatte immer einen tödlichen Ausgang. Ich hatte die Krankheit angenommen, war es doch nur das Resultat meines vergangenen Lebensstils. Die letzte Chemo mit neuen Mitteln hat mich dann endgültig geheilt, also Schwamm drüber, es geht weiter. Seit dieser Zeit lebe ich bewusster und vor allem schone ich meine Leber, trinke deutlich weniger Alkohol ...

Beruflich hast du ja auch einiges gemacht, seit wann konzentrierst du dich denn auf die Arbeit mit Hunden?

Während meiner Therapien musste ich sämtliche Arbeitstätigkeiten aufgeben. Filmlichtverleih und meine Bierfirma Pogorausch gingen nicht mehr. Ich machte einzig noch die Arbeit mit den Hunden. Junghundeausbildung bis zur Begleithundeprüfung und für verhaltensauffällige Tiere die Resozialisierung oder überhaupt Sozialisierung. Je schlimmer die Hunde sind, desto mehr gehe ich in dieser Arbeit auf. Ich selber habe sieben Hunde und zusätzlich noch Problemhunde aus dem Tierschutz. Ich sehe es nicht als Beruf, eher als eine Berufung, da mir dieser Job im Blut liegt. Ich bin ja selber ein halber Straßenköter. So habe ich eine sinnvolle Beschäftigung ohne Vorgesetzte und ohne aufgesetzte Regeln, die ich befolgen muss. Ich kann jetzt in meinem 3.000 qm Garten mit meinem Rudel relaxen. Seit sieben Jahren kümmere ich mich jetzt um Hunde fremder Familien und gebe im Hundeverein ehrenamtlich mein Wissen weiter. Seit meiner Therapie tue ich dies ausschließlich.

Wenn du dreißig Jahre nach vorne schaust, kannst du dir vorstellen in einem Altenheim zu leben?

Also, ein Altersheim kann ich mir nicht vorstellen und Punkaltersheime gibt es leider nicht. Ich bleibe bis zum Ende zu Hause. Darüber hab ich mir auch bisher keine Gedanken gemacht, man geht ja nur als Pflegefall in ein Heim oder wenn man dement wird oder Alzheimer und so ein Zeug kriegt. Diese Krankheiten kriegt man meines Erachtens von übermäßigem Fleischkonsum, vor allem von der minderwertigen Agrarscheiße, die man serviert kriegt. Ich bin seit 25 Jahren Vegetarier und esse auch gerne vegan. So halte ich mich geistg fit und werde vermutlich von den Fleischfressnebenwirkungen verschont bleiben.

Erzähl doch bitte noch kurz, was die sagenumwobene Mitfickzentrale war?

Die Mitfickzentrale war eine reine Rumbumserei im Sinne der APPD. Wir hatten in Mike Froidels Fanzine Stumpfcore Gutscheine ausgegeben, die man bei den angebotenen Herren und Damen gegen Sex eintauschen konnte. Das war ein wunderbares Ding, bis dann plötzlich Aids aufkam. Ich habe sofort testen lassen und die Mitfickzentrale wurde direkt im großen Stil eingestellt.

Du hast ja auch ’ne Zeit als Beleuchter beim Film gearbeitet, wie bist du denn da reingerutscht?

Das war so Ende der 80er. Damals wurden im Atlasgebirge immer wieder LKWs ausgeraubt bzw. komplett gestohlen. Ein Filmteam wollte dort einen Werbefilm drehen und hat mich als Leibwächter engagiert. Ich bin dann dort hingefahren, bekam 350,- Tagesgage ohne Überstunden und habe so getan, als würde ich auf den Scheiß aufpassen. Die Gangster dort waren irgendwelche Typen mit Maschinenpistolen, da hätte ich eh nichts auszurichten gehabt. Ich kam dort ohne Zwischenfälle an und war dann dort ein paar Wochen dabei. Vor lauter Langeweile habe ich dann den Beleuchtern geholfen und machte die Sache wohl gut. Nachdem ich wieder in München war, wurde ich dann immer öfter als Beleuchter gebucht. So kam ich dazu. Ich habe das auch eine ganze Weile gemacht, aber mit der bornierten Bande hatte ich nichts am Hut. Aber ich habe viel Geld verdient, mir ein Motorrad, Auto und anderen Wohlstandsmüll gekauft, Schulden bezahlt und bin dann wieder ausgestiegen.

DW

Wann und wie bist du zum Punk gekommen?

Ich denke, das war unumgänglich. Ich war schon als Kind immer etwas „anders“. Mochten im Kindergarten alle den kleinen Muck, so fand ich den bösen, ganz in schwarz gekleideten Wesir am besten, und in der Schule kam ich zwar ganz gut klar, galt da aber auch vielen als Rebell und konnte mit meinen und hörenden, im Hippielook rumlaufenden und in Teestuben abhängenden Mitschülern wenig anfangen. Ich hatte mal einen wirklich schönen Eintrag im Klassenbuch: „verlässt unerlaubt den Unterricht“. Naja und dann kam da diese Musikrevolution aus England – das war wie eine Offenbarung. Zu der Zeit war ich etwa 14 und hörte , Stücke wie „Teenage Rampage“, „Lost Angels“ oder „Blockbuster“. Meine erste MC war , die ich einem älteren Schüler für 5 DM abgekauft hatte und das Album fand dann auch noch den Weg in mein Kinderzimmer, aber dann war kein Platz mehr für langhaarige Glamrocker. Denn da kamen schon Bands, die neben der Härte noch etwas viel Besseres aufweisen konnten – sie waren so wie ich! Ich war Feuer und Flamme für die Musik, die Texte, und alles war neu und so ganz anders als alles, was sonst so angesagt war. Im Januar ’79 lief abends im ZDF der Film – aus heutiger Sicht ein echt schlechter Film, aber das war die Initialzündung und spätestens ab dem Zeitpunkt gab’s dann kein Zurück mehr und ein Jahr später hatte ich meine eigene Band.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!