Zensur - Hannes Hofbauer - E-Book

Zensur E-Book

Hannes Hofbauer

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Beschreibung

Zwischen staatlichen Wahrheitswächtern und privaten Medienmonopolen entwickelt sich in unseren Tagen eine neue Zensur-Praxis, für die beide nicht zuständig sein wollen und sich gegenseitig die Verantwortung zuspielen; eine Zensur des post-industriellen, kybernetischen Zeitalters. "Gefährliche Falschinformation" lautet die Punze, die Konzerne wie Alphabet/Google oder Facebook/Meta all jenen Publikationen auf ihren Plattformen aufdrücken, die dem transatlantisch-liberalen Weltbild ihrer Betreiber nicht passen. Gelöscht und blockiert wird von politisch und kulturell gesteuerten Algorithmen. In den vergangenen Jahren ist dies millionenfach geschehen, wenn Beiträge über Corona, Russland, den Islam oder den Klimawandel nicht der herrschenden Meinung entsprechen. Der Wiener Historiker Hannes Hofbauer geht in die Geschichte zurück, um die aktuellen Verbotspraktiken besser verstehen zu können. Moderne Zensur beginnt mit der Erfindung des Buchdrucks zur Mitte des 15. Jahrhunderts. Sie orientierte sich an den bereits davor gängigen Werten, mit der die katholische Inquisition gotteslästerliche und kirchenkritische Stimmen zum Schweigen gebracht hatte. Bis ins 18. Jahrhundert gehen die Träger der verordneten Wahrheit Schritt für Schritt von der Kirche auf den Staat über, wobei erstere als "Schutzwächter des Pöbels" wichtig blieb. Der Band enthält viele Biographien von zensierten Autoren, kämpferischen Verlegern wie Friedrich Brockhaus und standhaften Buchhändlern wie dem 1806 hingerichteten Johann Philipp Palm. Die Wiederkehr der Zensur in unseren Tagen wurzelt in der ökonomischen Schwäche des transatlantischen Raums. Im Niedergang kämpft eine immer autoritärer agierende Elite um ihre Diskurshegemonie. Je erfolgreicher eine der herrschenden Meinung entgegenstehende Position unter die Menschen gebracht wird, desto aggressiver wird ihr von Brüssel oder Berlin begegnet, wobei immer häufiger die Zensurkeule zum Einsatz kommt. Das Bewusstsein, dass unsere Gesellschaften langsam aber stetig in Richtung Orwell'scher Wahrheitsministerien schlittern, ist (noch) schwach entwickelt. Es zu schärfen, dazu soll dieses Buch beitragen; und um historische Parallelen erkennen zu können, wie z.B. jene der Zensurstriche in Heinrich Heines "Reisebildern" und den geschwärzten Videos auf YouTube.

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Seitenzahl: 367

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Hannes HofbauerZensur

© 2022 Promedia Druck- und Verlagsgesellschaft m.b.H., Wien

978-3-85371-896-4(ISBN der gedruckten Ausgabe: 978-3-85371-497-3)

Der Promedia Verlag im Internet: www.mediashop.atwww.verlag-promedia.de

Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Die Anfänge der Zensur: Von der Macht der Kirche zur Staatsmacht
Das Buch als Teufelswerk
Zensur wird verstaatlicht
Zensur im Zeitalter der Aufklärung
Die Verfolgung von Radikalen und Revolutionären
Exkurs: Zensur bedeutender Köpfe – Beaumarchais, Kant, Fichte
Napoleonische Repression
Das Biedermeier – wird seinem Namen gerecht
Die kurze 1848er-Freiheit und die Verrechtlichung der Zensur
Der Feind steht links
Wenn die Macht vom Volk ausgeht: Zensur im 20. Jahrhundert
Endlich Frieden … und ein wenig Freiheit
»Wider die Negerkultur für das deutsche Volkstum«
Befreiung und Umerziehung
»Eine Zensur findet nicht statt«
Gegen Schmutz und Schund
»Weß Brot ich eß, …«
Der Linksextremismus im Visier der Staatsschützer
Exkurs: Zensur im Arbeiterstaat
Zensur im digitalen Zeitalter
Mit Gesinnungsgesetzen gegen die Meinungsfreiheit
Mit einer »Task force« gegen unliebsame Veröffentlichungen
Das deutsche Netzwerkdurchsetzungsgesetz
Brüssel zieht nach
Mit dem Medienstaatsvertrag zur einzig gültigen Wahrheit
Im Baltikum herrscht bereits Zensur
Mit YouTube-Löschungen gegen Moskau
Von der Zensur zum Medienkrieg
Exkurs: Facebooks geopolitische Agenda
Gekaufte Medien?
Und wiederum: Brüssel legt nach
Big Pharma als Triebkraft
Löschorgien aus dem Silicon Valley
Frontal gegen Ken Jebsen
Die Faktenchecker
Kritik führt zu Berufsverboten
Zensurmaßnahmen werden immer umgangen
Literatur

Über den Autor

Hannes Hofbauer, geboren 1955 in Wien. Studium der Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Universität Wien. Publizist und Verleger. Zuletzt sind von ihm im Promedia Verlag erschienen: »Kritik der Migration. Wer profitiert und wer verliert« sowie »Europa – ein Nachruf«.

Vorwort

Verlorenes Vertrauen mit Zwangsmaßnahmen zu kompensieren, gehört zu den ältesten Herrschaftstechniken, deren sich Kirchenhäupter und Monarchen ebenso bedienten wie es Regierungen und führende Medienhäuser unserer Tage tun. Den Verlust einer gewohnten Diskurshegemonie beantworten sie dann mit Publikationsverboten. Betroffen sind Positionen, die das herrschende Narrativ in Frage stellen und gleichzeitig das Potenzial einer weiten Verbreitung besitzen. In genau einer solchen Situation befinden wir uns.

Die Wiederkehr der Zensur wurzelt in der ökonomischen Schwäche des transatlantischen Raums. Im Niedergang kämpft das Establishment um seine Daseinsberechtigung. Je erfolgreicher Gegenöffentlichkeit hergestellt werden kann, desto aggressiver wird ihr von Brüssel oder Berlin begegnet. Staatliche Wahrheitswächter und kalifornische Medienmonopole haben eine neue, gemeinsame Praxis des Löschens und Sperrens von Inhalten entwickelt, für die sie einander gegenseitig die Verantwortung zuspielen; wir erleben die Zensurpraxis des post-industriellen, digital-kybernetischen Zeitalters.

Um die aktuellen Verbotspraktiken auch in ihrer historischen Dimension verstehen zu können, hilft ein Blick in die Geschichte. Moderne Zensur beginnt mit der Erfindung des Buchdrucks zur Mitte des 15. Jahrhunderts. Bis ins 18. Jahrhundert gehen die Träger der verordneten Wahrheit Schritt für Schritt von der Kirche auf den Staat über, wobei erstere als »Schutzwächter des Pöbels« wichtig blieb. Der vorliegende Band enthält viele Biographien von zensierten Autoren wie Heinrich Heine, kämpferischen Verlegern wie Friedrich Brockhaus und standhaften Buchhändlern wie Johann Philipp Palm. Im 20. Jahrhundert wechseln Phasen der Meinungsfreiheit mit der Unterdrückung des freien Wortes ab. In Erinnerung blieb die Zensur- und Berufsverbotswelle gegen alles Linke und Radikale in den 1970er Jahren.

Im digitalen Mediengeschehen unserer Tage ragen zwei Themenkreise hervor, bei denen harte Zensurmaßnahmen zum Einsatz kommen. Es sind dies die transatlantische Position zu Russland und die Corona-Politik der allermeisten EU-europäischen Staaten. Das zeigt, wie wichtig der herrschenden Elite in geopolitischer Hinsicht die Russlandfrage ist und für wie entscheidend sie in wirtschaftlicher Hinsicht die staatliche Anschubfinanzierung des biotechnisch-pharmazeutischen Komplexes hält. Dem entgegenstehende Narrative werden zensuriert. Betroffen davon sind russische Auslandssender wie RT.de oder alternative Plattformen wie KenFM, die wie viele andere Beispiele in dem Buch vorkommen.

Eine Arbeit wie die vorliegende zu Zensur und ihren Folgen muss sich einen Rahmen setzen, um nicht auszuufern. Mein gewählter Rahmen ist der deutsche Sprachraum. Wohl wissend, dass Zensur in anderen Weltgegenden mindestens ebenso stark und oft viel brutaler stattfindet. Dass es trotzdem in der Gegenwart nicht ohne die Einbeziehung des Silicon Valley geht, liegt in der Natur der Dinge, sprich: in der digitalen Abhängigkeit EU-Europas von US-Konzernen.

Als weitere selbst gewählte Einschränkung habe ich beschlossen, die politische Verfolgung eines der medialen Helden unseres Zeitalters, Julian Assange, hier nicht zum Thema zu machen, obwohl sie unschwer als besonders perfide Zensurtechnik gesehen werden kann. Dies ist mir auch deshalb leicht gefallen, weil es zum »Fall Assange« bereits ausgezeichnete Bücher gibt. Anders ist dies bei einem weiteren mit der Zensur verwandten Thema. Die Rede ist von »Cancel Culture«, einer neuen Form von »Löschkultur«. Dazu liegen auf Deutsch bisher kaum Publikationen vor; dennoch nahm ich davon Abstand, diese ins Aktionistische gekippte Form »politischer Korrektheit« aufzunehmen; auch deshalb, weil die Form des Ausmerzens nicht direkt mit Publikationsverboten zu tun hat.

Den Leserinnen und Lesern dieses Buches wünsche ich eine spannende Lektüre und das eine oder andere Aha-Erlebnis. Bedanken möchte ich mich bei meiner Lebensgefährtin Andrea Komlosy und ihrem scharfen, historisch geschulten Auge. Es hat dem letzten Schliff des Buches gut getan.

Hannes HofbauerWien, im Februar 2022

Die Anfänge der Zensur: Von der Macht der Kirche zur Staatsmacht

Das Buch als Teufelswerk

Die Geschichte der Zensur beginnt in unseren Breiten üblicherweise im Anschluss an die Erfindung des Buchdrucks zur Mitte des 15. Jahrhunderts. Die Technik zur Fertigung von beweglichen Lettern aus einer Bleilegierung erlaubte es, Schriftgut mittels Druckerpressen einer größeren Anzahl von Menschen zugänglich zu machen. Mit einem Mal war den Klöstern und Herrscherhäusern das Monopol an der Verschriftlichung und damit die Kodifizierung von Wahrheit bzw. davon, was sie als unumstößlich ansahen, entzogen. Es ging in Richtung Volksbildung, was für jene, die zuvor gottgegeben herrschten und verkündeten, eine Bedrohung darstellte. Mit Veröffentlichungsverboten und Strafen versuchten sie dieser schleichenden Demokratisierung des Wissens entgegenzutreten. Die anfangs hauptsächlich kirchliche und später staatliche Zensur nahm ihren Lauf.

Freilich wurden auch schon vor dem Buchdruck Meinungsäußerungen, die der jeweiligen Herrschaft nicht genehm waren, von dieser bekämpft, missliebige Denker verbannt oder hingerichtet und ihre Schriften verbrannt. Eine sehr frühe solche Schriftverbrennung ist von den Abhandlungen des griechischen Sophisten Protagoras überliefert. Seine Werke wurden auf Befehl des höchsten Athener Gerichtshofes, des Areopag, im Jahr 411 v. u. Z. auf der Agora den Flammen übergeben. Kurz darauf verurteilten ihn die Richter zum Tode, auf der Flucht nach Sizilien ertrank er im Mittelmeer. Sein Vergehen: er zweifelte in seiner Schrift »Über die Götter« an deren Existenz. »Was die Götter angeht«, so der Sophist, »so ist es mir nicht möglich, zu wissen, ob sie existieren oder nicht.«1 Diese agnostische Sicht auf die Existenz übernatürlicher Wesen sah das Athener Gericht als Gotteslästerung an, die nicht toleriert werden konnte.

Die Ausmerzung von Ideen fand auch anderswo statt, in der Hoffnung damit die eigene Herrschaft stabilisieren zu können. Der erste chinesische Kaiser und Gründer der Qin-Dynastie ließ im Jahr 213 v. u. Z. Streitgespräche von Vertretern unterschiedlicher philosophischer Schulen, insbesondere die Lehren von Konfuzius, verbrennen. Qin Shi Huangdi fürchte Diskurse außerhalb des Hofes, die er nicht kontrollieren konnte.2 Schriften von Konfuzius durften deshalb nur von ausgewählten Ratgebern gelesen und diskutiert werden.

Wirklich Fahrt nimmt die Geschichte der Zensur dann in der frühen Neuzeit auf. Die katholische Kirche, die seit der Inquisition zu Anfang des 13. Jahrhunderts ihren Verfolgungs- und Verbotswahn voll ausgebildet hatte und ketzerische Schriftstücke samt ihren Verfassern ins Feuer schickte, stößt nun zur Mitte des 15. Jahrhunderts auf das Phänomen des Buchdrucks. Im kurfürstlichen Mainz war es um 1450 einem gewissen Johannes Gensfleisch – der Welt unter dem Namen Gutenberg bekannt – gelungen, die Vervielfältigung von Schriften zu mechanisieren. Seine Erfindung rüttelte an den Grundfesten der damaligen kirchlichen Herrschaftsstruktur. Der erste Kirchenfürst, der diese Gefahr erkannte, war nicht zufällig Berthold von Henneberg, in Personalunion Erzbischof und Kurfürst von Mainz, der bereits 1486, also noch lange vor dem Auftauchen einer protestantischen Gefahr, eine Zensurbehörde einrichtete; und zwar genau in jener deutschen Stadt, in der Gutenberg seine Schüler im Buchdruck unterrichtete. Die vom Mainzer Erzbischof eingesetzten Zensoren drohten jedem, der ein Buch druckte oder auch nur las, das keine behördliche Genehmigung vorweisen konnte – mithin ohne Erteilung eines »Imprimatur«3 erschien – mit der Exkommunikation und einer hohen Geldstrafe.4 Im Jahr darauf, am 19. Dezember 1487, meldete sich erstmals ein Papst in Sachen Buchzensur zu Wort. Der als eifriger Hexenverbrenner bekannte Innozenz VIII. unterwarf das Druckwesen »für die gesamte Christenheit« einer kirchlichen Durchsicht. Sein Nachfolger setzte noch eines drauf. Alarmiert durch Berichte, wonach vor allem im Rheinland Druckwerke außerhalb kirchlicher Kontrolle entstanden und – wie es hieß – den »guten Sitten«, von denen freilich der Papst selbst und seine Entourage nicht viel hielten, widersprachen, verschärfte Alexander VI. (1431−1503) die Zensurbestimmungen. Zusätzlich zur nachträglichen Konfiszierung und Verbrennung kritischer Schriften forderte er in seiner Bulle »Inter multiplices« im Jahr 1501 die Vor- oder Präventivzensur für Köln, Mainz und Trier: »Die Buchdruckerkunst ist sehr nützlich«, gab sich der Papst in der Bulle der modernen Technik aufgeschlossen, »sofern sie die Vervielfältigung bewährter und nützlicher Bücher erleichtert; sie würde aber sehr schädlich werden, wenn sie zum Drucken verderblicher Schriften missbraucht würde. Darum müssen die Drucker durch geeignete Mittel angehalten werden, das Drucken solcher Schriften zu unterlassen, welche dem katholischen Glauben zuwider oder geeignet sind, den Gläubigen Anstoss zu geben. (…) So verbieten Wir kraft apostolischer Autorität allen in besagten Kirchenprovinzen wohnenden Druckern und ihren Gehülfen bei der Strafe der Excommunicatio (…) und bei für die apostolische Kammer einzuziehenden Geldstrafen, fortan Bücher, Tractate oder Schriften irgendwelcher Art zu drucken ohne vorherige Befragung der besagten Erzbischöfe …«5 Zehn Jahre später erweiterte ein Nachfolger von Alexander VI., Leo X. (1475−1521), die Bestimmungen über eine kirchliche Präventivzensur auf das gesamte Gebiet der Christenheit.

Die Zensurpäpste der Renaissance entstammten den reichsten Familien und waren durchwegs blaublütig; Alexander VI. kam aus dem aragonesischen Adelsgeschlecht der Borgja/Borgia und Leo X. war ein Sprössling der florentinischen Medici-Dynastie. Mit ihnen blühte der Nepotismus in den schillerndsten Farben. Ihre politischen Gegner bekämpften sie gnadenlos. So gingen zwei der bedeutendsten Ausschlussverfahren aus der Kirchengemeinschaft auf ihr Engagement zurück. Alexander VI. exkommunizierte den dominikanischen Bußprediger Hieronymus Savonarola, Leo X. machte sich mit Martin Luthers Bannfluch die Hände schmutzig.

Mit dem Anbringen von 95 Thesen am Tor der Wittenbergischen Schlosskirche, in denen sich der Augustinermönch und Theologielehrer Martin Luther gegen die moralisch verrottete und zutiefst korrupte Kirchenelite wandte, begann ein neues Kapitel in der europäischen Zensurgeschichte. Der Thesenanschlag vom 31. Oktober 1517, der sich konkret gegen die immer dreister werdenden Formen des katholischen Ablasshandels wandte,6 löste eine Welle von Repressionen seitens der Kirchenhierarchie – und später auch von Seiten des Kaisers – aus. Die Kirchenoberen fühlten sich auch und insbesondere in ihrer wirtschaftlichen Macht bedroht. Denn seit dem späten 15. Jahrhundert war der Handel mit dem Gnadenakt, den katholische Priester zur Vergebung der Sünden ihrer Gläubigen betrieben, ausgeufert. Papst Leo X. trieb das Geschäft mit Ablasspapieren auf die Spitze. Überall in katholischen Landen waren diese von Priestern unterzeichneten Gnadenakte, die den Sünder vor dem Fegefeuer bewahrten und ihm das Himmelreich versprachen, käuflich erwerbbar. Rom und die einzelnen Kirchenprovinzen pflegten sich die Gewinne aus dem Ablasshandel zu teilen. Und diese waren beträchtlich. In der Hauptstadt der weströmischen Christenheit reichten sie dazu aus, den Bau des Petersdoms zu finanzieren. Einzelne Kirchenhäupter wie Albrecht von Brandenburg aus dem Hause Hohenzollern, zugleich Erzbischof mehrerer Bistümer, leisteten sich durch den Handel der Gnadenerlässe ein ausschweifendes Leben. Albrecht konnte damit auch seine Schulden bei den Augsburger Fuggern begleichen.7 Einer seiner Geldeintreiber, der Mönch Johann Tetzel, trieb es besonders ungeniert. Mit ebenso simplen wie eingängigen Sprüchen auf seinen Ablasszetteln – »Sobald das Geld im Kasten klingt, die Seele in den Himmel springt« – nutzte er die Angst der Menschen für seine und des Kirchenfürsten Geschäfte.

Welch bizarre Auswüchse das von oberster Kirchenstelle zur käuflichen Ware gemachte Seelenleben der Gläubigen annahm, zeigt eine Episode aus dem Landkreis Teltow-Fläming in Brandenburg. Wieder einmal war Johann Tetzel in der Berliner Nikolaikirche mit Ablassgeschäften tätig, als ein ihm unbekannter Mann für eine Sünde um Vergebung bat und dafür bezahlte, die dieser erst am nächsten Tag begehen wollte. Tetzel willigte ein und warf die Münzen in seinen bekannten Kasten. Am Morgen darauf zog er Richtung Süden weiter und wurde bei Trebbin überfallen und seines Ablasskastens beraubt. Es stellte sich heraus, dass er tags zuvor dem Räuber bereits seine Sünde vergeben hatte.8

Dergestalt war die vom katholischen Klerus dominierte Gesellschaft, als Martin Luther dagegen zu wettern begann. Das Verbot seiner Schriften folgte prompt. Und am 3. Januar 1521 belegte ihn Papst Leo X. mit einem Kirchenbann. Verurteilt bzw. exkommuniziert wurde Luther wegen »der Verbreitung von Irrlehren«. Und schon vier Monate später mischte sich auch Kaiser Karl V. ein; am 25. Mai 1521 erließ der Habsburger und damals mächtigste Mann Europas das sogenannte »Wormser Edikt«, mit dem die Reichsacht über den Augustinermönch aus Wittenberg verhängt wurde. Einen zuvor vom Hof angebotenen Widerruf seiner Thesen lehnte Luther ab. Mit dem Edikt waren Druck und Verbreitung von Luthers Schriften verboten, er selbst sollte verhaftet und nach Rom ausgeliefert werden und es war jedermann verboten, den Häretiker bei sich aufzunehmen.

Mit der Durchsetzung von Kirchenbann und Reichsacht haperte es nicht zuletzt deshalb, weil eine Reihe deutscher Fürsten insgeheim mit den lutherischen Auffassungen sympathisierte. Durch die territoriale Zersplitterung der deutschen Lande und den Gegensatz zwischen Kaiser und Landesfürsten konnten die »Protestanten« immer wieder Länder finden, deren Herrscher ihnen Unterschlupf boten. In einem zeitgenössischen Bericht wird deutlich, wie sehr die kirchliche und kaiserliche Zensur im Falle Luthers an der Wirklichkeit scheiterte: »Luthers Bücher werden auf dem Markt (in Straßburg, d. A.) an Tischen feilgehalten, während unmittelbar daneben die kaiserlichen und päpstlichen Erlasse angeschlagen sind, die den Verkauf der Bücher verbieten.«9 In einem anderen Bericht weiß der Schweizer Reformator Johannes Oekolampad von einer Bücherverbrennung der besonderen, so nicht beabsichtigten Art. Denn gegenteilig zur Vollzugsmeldung des Nuntius Hieronymus Aleander nach Rom, in der von einer erfolgreichen Bücherverbrennung der Dominikaner im burgundisch-niederländischen Löwen die Rede ist, hat Oekolampad die Situation vor Ort genau beobachtet und festgestellt, dass es neben einer Handvoll lutherischer Schriften vor allem die Manuskripte von Dominikaner-Lehrern waren, die die örtlichen Studenten ins Feuer warfen, »sodass mehr Werke von ihren Autoritäten verbrannt wurden als von den Werken Martin Luthers.«10

Während sich die Verbote gegenüber den lutherischen Schriften als reichlich ineffizient herausstellten, verschärfte das Wormser Edikt das Zensurgeschehen insofern, als dass damit erstmals eine Vorzensur im gesamten Kaiserreich eingeführt wurde. Alle Schriften mussten – auch das oft nur theoretisch – vor Drucklegung eigens dafür geschaffenen Zensurbehörden vorgelegt werden.

Wie sehr die Unterdrückung von Büchern respektive Ideen mit der Durchsetzung der jeweils herrschenden Machtansprüche in Einklang steht, zeigt das württembergische Beispiel. Im Jahr 1522 verbot der damalige habsburgische Statthalter Wilhelm von Waldburg in Ausführung des Wormser Edikts sämtliche protestantische Schriften, insbesondere die als Ketzertraktate bezeichneten Werke Luthers und Zwinglis, aber auch jene der Wiedertäufer. Nach einem Machtwechsel an der Spitze des württembergischen Hofes, der den in allerlei persönliche und politische Scharmützel verwickelt gewesenen Herzog Ulrich nach Stuttgart zurückbrachte, drehte sich der Zensorenspieß um. Als erster protestantischer Landesherr ließ Ulrich nun katholische Schriften überwachen und insbesondere jesuitische Werke unterdrücken.11 Die Zensur ging nun – vorerst nur in Württemberg – von protestantischer Seite aus.

Sobald sie an der Macht waren, verstanden es die Lutheraner, die ehemals gegen sie gerichtete Waffe des Bücherverbots in ihrem Sinn gegen den Feind und seine Schriften zu wenden. Ein besonders drastisches Beispiel von protestantischer Zensur ist auf direktes Geheiß des Reformators Johannes Calvin überliefert. Der Arzt und Theologe Michael Servetus hatte sich in seiner Schrift »Christianismi restitutio« (»Die Wiedereinsetzung des Christentums«) nicht nur gegen das Dogma der Dreifaltigkeit ausgesprochen, sondern auch dagegen, dass dem Menschen von Anfang an durch göttliche Fügung sein Schicksal vorherbestimmt sei, wie es die Prädestinationslehre des Augustinus postulierte. Zudem führte Servetus auch Kenntnisse aus der arabischen Medizin wie den Lungenkreislauf in die abendländische Wissenschaft ein. Calvin sah in derlei Ansichten eine Bedrohung der Glaubenslehre, ließ Servetus verfolgen, spürte ihn im französischen Vienne auf und machte ihm in Genf den Prozess. Am 26. Oktober 1553 wurde Servetus als Ketzer auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Es war auch der mutmaßlich erste exterritoriale Schuldspruch der Neuzeit und er kam auf Druck von Calvin zustande. Die Genfer Rechtsordnung sah für das »Delikt« der Ketzerei keine Todesstrafe vor, zudem war die »Tat« nicht in Genf verübt worden und der »Täter« stammte nicht aus Genf.12

Während in den verschiedenen deutschen Fürstentümern die gegenseitigen Verbote von römisch-katholischen und protestantischen Druckschriften immer unübersichtlicher wurden, stand der Kaiserhof in Wien treu zu Papsttum und gegen die protestantischen Ketzer. Die bischöfliche Residenz von Wien richtete eine eigene Visitationskommission ein und beauftragte sie, protestantische Schriften aufzuspüren und zu vernichten. Bischof Johann von Revellis, Beichtvater von Erzherzog Ferdinand, dem späteren Kaiser, ging nach seiner Ernennung im Jahr 1523 rigoros gegen Priester vor, die sich der Reformationsbewegung angeschlossen hatten. Insbesondere Wiedertäufer, die in jenen Jahren überall in deutschen Landen auf Seiten der großen Bauernaufstände standen, wurden vom katholischen Klerus und dem Wiener Hof als Erzfeinde betrachtet. Ihre Schriften zählten zu den geächtetsten, ihre Prediger landeten nicht selten, wie Balthasar Hubmaier, am Scheiterhaufen. Im Jahr 1528 bezahlte sogar ein Wiener Buchhändler mit seinem Leben, weil er zum wiederholten Male dabei ertappt worden war, verbotene Bücher zu verkaufen. Er wurde, wie es im ersten Standardwerk der deutschen Zensurgeschichte, dem 1883 erschienenen »Index der verbotenen Bücher«, heißt, enthauptet.13

Dasselbe Schicksal ereilte den aus Nürnberg stammenden Buchdrucker und -händler Johann Herrgott. Neben Nachdrucken von Thomas Müntzers »Ausgedrückte Entblößung« und Luther-Schriften gilt Herrgott auch als Urheber einer sozialrevolutionären Flugschrift mit dem Titel »Von der neuen Wandlung eines christlichen Lebens«.14 Darin spricht er sich für die Gleichheit aller Menschen aus und konkret für eine gerechte Aufteilung aller Güter auf der Basis von Gemeinschaftseigentum, »so das es keyner besser haben wird denn der ander«.15 Am 20. Mai 1527 wird Herrgott wegen des Druckens herätischer Schriften (und wohl auch wegen seiner sozialutopischen Gesinnung) am Marktplatz in Leipzig mit dem Schwert enthauptet.16

Der im September 1555 zwischen dem Kaiser (Karl V.) – bzw. dessen Stellvertreter und Bruder (Ferdinand I.) – und den Reichsständen geschlossene »Augsburger Religionsfrieden« sicherte den protestantischen Fürsten deren Besitz und über die berühmt gewordene Formel »cuius regio, eius religio«17 auch die freie Religionsausübung. Toleranz gegen Andersgläubige ging damit nicht einher. Vielmehr konnte jeder Herrscher die Konfession seiner Untertanen festlegen. Die katholische Kirche blieb davon unbeeindruckt. Mehr noch: sie erhöhte ihre Schlagzahl und legte nur vier Jahre nach dem »Religionsfrieden« ein Verzeichnis verbotener Bücher auf, den »Index librorum prohibitorum«. Dieser 1559 unter der Ägide der römischen Inquisition verbreitete Katalog sollte für die kommenden 400 Jahre die umfangreichste Zensurliste auf der Erde bleiben. Erst das Zweite Vatikanische Konzil im Jahre 1966 beendete dieses dunkle Kapitel der Kirchengeschichte und legte keine neue Index-Liste verbotener Schriften mehr auf.

Sobald die Anzeige über ein Buch bei der vom Papst ernannten Kongregation einging, begann ein ausgetüfteltes Indizierungsverfahren, an dessen Ende festgestellt wurde, ob es sich bei dem Schriftstück um ein von der universalen Lehre abweichendes und deshalb gefährliches Werk handelte oder nicht. Herätische Schriftsteller wurden in den Index aufgenommen und unterlagen der kirchlichen Zensur, ihre Lektüre galt als schwere Sünde, in manchen Fällen als Todsünde. Auf die Zensur-Liste kamen auch unmoralische und unzüchtige Texte sowie alles, was die Kirchenoberen als Wahrsagerei oder Magie ansahen. Eine Todsünde zieht nach kirchlichem Glauben nicht nur den Verlust der göttlichen Gnade und damit das Höllenfeuer nach dem Tod mit sich, sondern schließt den Sünder auch von der Gemeinschaft der Gläubigen im Hier und Jetzt aus und verwehrt ihm ein kirchliches Begräbnis. In voraufgeklärten Zeiten konnte ein solcher Ausschluss die physische Existenz vernichten, was wohl auch das Ziel der Index-Drohung war.

Über die Jahrhunderte der Existenz des katholischen Index landeten viele berühmte Denker und Schriftsteller darauf. Naturwissenschaftler wie Kopernikus, Newton und Darwin waren ebenso darunter wie die Philosophen Voltaire, Descartes und Kant oder der Schriftsteller Heinrich Heine sowie seine Kollegen Balzac, Flaubert und Hugo.

Mit dem gesellschaftlichen Einflussverlust der Kirche ab dem 18. Jahrhundert wurde das Scheitern dieser Art von Zensur immer offensichtlicher. Manch ein Verleger entdeckte den im Verbot steckenden Werbeeffekt und ließ den Satz »Verboten vom Heiligen Offizium«18 auf den Buchumschlag drucken. Einen letzten Bedeutungsgewinn erlebte die österreichische Fassung des kirchlichen Index dann noch im Jahre 1777, und zwar auf eine ganz besondere Art. Der Wiener Buchhändler und Antiquar Johann Georg Binz erkannte im Index eine gute Einnahmequelle, weil es immer mehr Menschen gab, die gerade jene Bücher lesen wollten, die von kirchlicher Seite als verboten galten. Der gedruckte Index ging immer häufiger über den Ladentisch. Schließlich endete der schwunghafte Handel mit ihm damit, dass die Zensurbehörde den Index auf den Index setzte.19

Am Reichstag zu Speyer kam es im Jahr 1529 zu einem offenen Widerspruch evangelischer Fürsten und Städte. Sie protestierten – daher auch der spätere Name der »Protestanten« – gegen die Reichsacht, mit der zehn Jahre zuvor Martin Luther zur persona non grata erklärt worden war und verweigerten dem anwesenden Kaiser-Vertreter Ferdinand I. jegliche Hilfe gegen den drohenden Vormarsch der Osmanen, die nur wenige Monate später vor Wien standen. Innen- bzw. gesellschaftspolitisch brachte der Reichstag eine allgemeine Vorzensur sämtlicher Schriftstücke, »nichts Neues« durfte ohne vorherige Prüfung und Genehmigung mehr gedruckt werden.20 Kurz darauf einigten sich staatliche und kirchliche Autoritäten auf eine Impressumspflicht, die im gesamten Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation ab 1530 gelten sollte. Drucker und Druck-Ort mussten auf dem Titelblatt angegeben werden, um die Verfolgung von missliebigen Erzeugnissen zu erleichtern. Geklappt hat das oft nur theoretisch. In der Praxis fehlten zum einen die Mittel der Überwachung und zum anderen oft auch der Wille zur Verfolgung. Nach dem Motto: der Kaiser ist weit, nahm man es in den Druckerwerkstätten nicht immer ernst mit den Gesetzen.

Je mehr sich die staatliche Überwachung der Druckwerke über die Jahrzehnte durchsetzte, desto einfallsreicher wurden jene Verleger, die sich keiner Vorzensur unterwerfen wollten. Der bekannteste Fall ist jener des Verlages »Pierre Marteau«, der 1663 in Cöln gegründet wurde. So stand es jedenfalls für lange Zeit auf der Impressumsseite der von ihm publizierten Bücher. In Wirklichkeit war »Pierre Marteau« ein Fake-Name und Cöln ein fingierter Verlagsort, den die Amsterdamer Verlegerfamilie Elsevir benutzte, um Zensurmaßnahmen zu umgehen. Auch unter dem ins Deutsche übersetzten Verlagsnamen »Peter Hammer« erschienen ab 1683 bis zur bürgerlichen Revolution 1848 unzensierte Titel, weil die Behörden bei der Nachverfolgung des Impressums immer wieder ins Leere tappten. Andere beliebte Fake-Impressen wiesen Druckorte wie Babylon, Tobolsk oder Utopia auf,21 ein besonders gewitzter Verleger nannte als seinen Druckort »Rom, zu St. Peters Hof«.22 Im Widerstand gegen die Zensur entwickelten Verleger, Drucker und Autoren viel Kreativität.

Zensur wird verstaatlicht

Als Kaiser Karl V. am Reichstag zu Worms im März 1521 die Reichsacht über Martin Luther verhängen und seine Schriften verbieten ließ, war das noch eine der Kirchenpolitik gegen den Aufrührer nachfolgende »staatliche« Maßnahme. Im Laufe des 16. Jahrhunderts übernahmen dann allerdings die weltlichen Herrscher nach und nach das Zensurruder aus den Händen der Päpste. Das entsprach auch dem Bedeutungsverlust der Kirche und dem Machtgewinn der kaiserlichen Zentralmacht sowie dem der Landesfürsten, die das Zeitalter des Absolutismus prägten. Kulturgeschichtlich interpretiert, kann dieser Epochenwandel auch als Aufstieg der ratio (Vernunft) gegenüber der confessio (Glaube) verstanden werden. Schritt für Schritt trat die »Moral an die Stelle der Religion« und »die Staatsräson entwand sich dem Zugriff kirchlicher Interessen. Die Kirche blieb«, so die Soziologin Ulla Otto, »nach wie vor Schutzobjekt des Staates, allerdings nicht länger als Inbegriff der Wahrheit, sondern als Sittenwächter des Pöbels.«23

Der absolutistische Anspruch auf Alleinherrschaft, wohl verstanden als von Gottes Gnaden gegeben, widerspiegelt sich auch im Zensurgeschehen. Kaiserliche Edikte und Polizeiordnungen traten zunehmend an die Stelle von kirchlichem Bann und päpstlicher Exkommunikation, wiewohl letztere freilich bestehen blieben. Parallel zur steigenden Toleranz in Glaubensfragen wuchs die politische Intoleranz.24

Zudem übernahmen auch die Reichstage, ständische Versammlungen fürstlicher Territorialherren, gesetzgeberische Funktionen im Zensurgeschehen. So beschloss der Reichstag im Jahre 1570, dass zukünftig nur mehr in Residenz- und Universitätsstädten gedruckt werden durfte.25 Damit wollte man der Winkeldruckerei einen Riegel vorschieben und die Kontrolle über alle öffentlich zugänglichen Schriftstücke perfektionieren.

Mit der Reichspolizeyordnung von 1577 war dann eine Art Grundgesetz gemacht, das verwaltungs-, privat- und strafrechtliche Bestimmungen kodifizierte. Es sollte in wesentlichen Teilen bis zur Auflösung des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation im Jahr 1806 Bestand haben.26 Aus der Polizeiordnung 1577 entstand am bedeutendsten Buchhandelsplatz Frankfurt am Main im Lauf der Jahre eine Messepolizei, die die einzelnen Ausstellungsstände inspizierte und die Kataloge überprüfte.27 Ende des 16. Jahrhunderts war daraus eine ständige Bücherkommission geworden, die zwar dem Reichshofrat in Wien direkt unterstellt und mithin eine weltliche Einrichtung war, jedoch in der Mehrzahl ihrer Mitglieder strenge Katholiken aufwies. Das Zusammenspiel von Kaiser und Papst in Zensur- und Überwachungsfragen manifestierte sich hier in perfekter Weise, allerdings getrübt durch oftmalige Einsprüche insbesondere des Rats von Frankfurt, der auch die Interessen der Buchdrucker und Buchhändler auf seinem Messeplatz im Auge behalten musste.28

Eine andere Art der Zensur entwickelte sich aus dem Postwesen heraus. Mit der Ernennung von Leonhard I. von Taxis zum Generalpostmeister des Reiches im Jahre 1595 war ein Amt geschaffen, das bald direkt über die amtlichen kaiserlichen Postzeitungen als auch indirekt über den Vertrieb sämtliche überregionalen Periodika kontrollieren konnte. Wo immer anstößiges oder widerständiges Druckwerk entdeckt wurde, konnten sogleich Speditionsverbote erlassen werden. Die hochadelige Familie der Thurn und Taxis erwies sich dabei über Generationen bis 1806 als willfährige Gehilfin des Kaisers und diente für gutes Geld auch danach noch dem Deutschen Zollverein.

Zwischen kirchlicher und weltlicher Zensur ließ es sich im 17. Jahrhundert vergleichsweise ungestört publizieren. Zudem garantierte die territoriale Zersplitterung im Reich, insbesondere die vielen Fürstentümer auf deutschem Boden, eine Unübersichtlichkeit der lokal oft unterschiedlichen Auslegungen von Regeln und Gesetzen, was Druckern und Autoren Ausweichmöglichkeiten in liberalere Gebiete bot. Aus England schwappte zudem ein kritischer Diskurs zur Presse- und Meinungsfreiheit auf den Kontinent bzw. hiesige fortschrittliche Geister über. Die erste explizite Antizensur-Schrift erschien dort unter der Feder des Schriftstellers John Milton, der in der kurzen Phase der englischen Republik, des zwischen 1649 und 1660 bestehenden »Commonwealth of England«, eine einflussreiche Rolle im Umfeld von Oliver Cromwell einnahm. Sein Traktat »Areopagitica« war ein Aufruf zur Presse- und Meinungsfreiheit. »Wer einen Menschen tötet«, schrieb Milton im Jahr 1644, »tötet eine vernünftige Kreatur, (…) aber derjenige, der ein gutes Buch zerstört, tötet die Vernunft selbst.«29 Milton überlebte alle Anfeindungen … und im Jahr 1694, 20 Jahre nach seinem Tod, wurden in England erstmals staatliche Zensurregeln abgeschafft.30

Unter dem ersten Preußenkönig, Friedrich I. (1657−1713), wegen seiner verkrümmten Haltung auch der »schiefe Friedrich« genannt, zog die politische Zensur Anfang des 18. Jahrhunderts nach einer Periode des relativen Laissez-faire wieder an. Im Jahr 1703 erließ er während des Spanischen Erbfolgekriegs ein Publikationsverbot politischer Schriften, insbesondere ließ er alle Publikationen zensieren, die über die Vorgänge im dynastischen Gerangel um die Nachfolge des letzten spanischen Habsburgers berichteten. Friedrich selbst wollte ganz offensichtlich auch seine eigene Rolle in der Auseinandersetzung europäischer Herrscherhäuser um Macht und Einfluss, die ihm letztlich die Erhöhung vom Herzog zum König von Preußen brachte, nicht kritisch kommentiert sehen.

Die »Societät« als Vorläuferin der Preußischen Akademie der Wissenschaften wurde von Friedrich I. zur obersten Zensurbehörde bestimmt. Sie musste alle Schriften verbieten, »worin von der Regierung oder hohen Obrigkeit insgeheim verächtlich und verfänglich geredet, oder in Absicht auf dieselbe gefährliche Principia insinuiret (unterstellt, d. A.) oder zur Unruhe und Zerrüttung in geist- und weltlichen Stande abziehlende Sätze eingestreut sind«.31 Zu Hofe wollte man nur Lob und keinen Tadel hören. Die Praxis folgte der Theorie allerdings nur sehr bedingt. Wie in allen Zeiten fanden sich Schlupflöcher und unwillige oder schlicht faule Staatsbeamte, die es mit den verordneten Publikationsverboten nicht so ernst nahmen. Aus Wien und dem eben erst zur neuen russischen Hauptstadt erhobenen Sankt Petersburg liefen Beschwerden am preußischen Hof ein, die die laxe Zensurpolitik der Hohenzollern kritisierten. Friedrich Wilhelm I. (1688−1740) antwortete mit der Installierung »tüchtiger Zensoren«, sein Nachfolger und Sohn, Friedrich der Große (1712−1786), ließ die Zensurzügel wieder mehr schleifen. Eine seiner Einlassungen, wonach »Gazetten, so sie delectieren sollen, nicht geniret werden dürfen«, also Zeitungen ungehindert erscheinen können, solange sie die Leser erfreuen, ist ihm oft als liberale Grundhaltung ausgelegt worden. Das Zitat stammt aus einem Brief des Preußenkönigs an den französischen Philosophen Voltaire,32 der sich zeitlebens gegen Veröffentlichungsverbote aussprach.

Während das 17. und das beginnende 18. Jahrhundert in Preußen zensurgeschichtlich von einem aufgeklärten Absolutismus profitierte, herrschten andernorts – in Wien und Moskau bzw. Sankt Petersburg – strenge Verbotsregime gegenüber unerwünschten Publikationen. Der Fall des deutschen Poeten, Mystikers und Sozialutopisten Quirinius Kuhlmann gibt dafür ein beredtes Zeugnis. Geboren in Breslau, zog er jahrzehntelang durch Europa, verfasste visionäre Pamphlete und Gedichtbände, die oft apokalyptische Bilder einer aus den Fugen geratenen Welt beschrieben, die es dringend zu verbessern gelte. Als egomanischer Revolutionär suchte er Kontakt zu Fürstenhäusern, um sie von der Dringlichkeit seiner Weltvorstellung zu überzeugen. Bald sah er sich selbst an Gottes statt und forderte seine Leser auf: »Fresst, siebzig Völker, fresst nun eure Könige (…) Ost, West, Nord, Süd ist mein zwölfeines Reich! Auf, Kaiser, Könige! Gebt her Kron, Hut und Zepter!«33 Ein solches »Friedensreich« wollten die angesprochenen Häupter nicht. Doch anstatt den Schwärmer seine Wege ziehen zu lassen, sah ihn das Zarenreich als Bedrohung. Auf einer seiner Missionstouren durch Russland denunzierte ihn ein lutherischer Pastor und forderte vom Zaren, »dass solche Bücher und Schriften jetzt und in Zukunft in Ihrem Reiche nicht zu sehen werden«34 und im Übrigen der Verfasser bestraft werden müsse. Am 4. Oktober 1689 wurde Kohlmann als Ketzer in Moskau verbrannt.

Im kaiserlichen Wien herrschten – zensurpolitisch gesprochen – die Jesuiten. Seit Mitte des 16. Jahrhunderts betrieb der radikale Männerorden gegenreformatorische Agitation und Propaganda in Europa und koloniale Mission in den Amerikas sowie später in Indien und China. Ab 1623 verwalteten die Jesuiten die Wiener Universität und hatten damit zusammen mit Gymnasien und anderen Schulen die Bildung der Hauptstadt des Reiches in ihren Händen. Die Folgen waren verheerend. Bis zum Toleranzpatent Joseph II. im Jahr 1781 verfolgten die Gefährten Jesu jeden, der sich mit protestantischem Schrifttum blicken ließ, mehr noch – jeder Mensch war verpflichtet, lutherische Schriften zu melden, wo immer er welche gesehen hatte. Die Perfidie dieser Art der Zensur, die auch den privaten Wohnbereich erfasste, bestand zudem darin, dass der Denunziant, der ein lutherisches Werk aufgespürt hatte, ein Drittel des für diese Tat vorgesehenen Strafgeldes selbst einbehalten durfte. Einfache Priester, die Hausdurchsuchungen vornahmen, schwirrten durch die Wohnungen Verdächtiger, das »Vernadern« – Wienerisch für Verrat – war an der Tagesordnung, das Spitzelwesen florierte. Den Verfassern »ketzerischer Schriften« drohte Verbannung und Kerker.35

Das Zensuredikt von Kaiser Karl VI. (1685−1740), römisch-deutscher Kaiser und Herrscher über die Habsburgerlande, aus dem Jahr 1715 verschärfte die Gangart gegen kirchenkritische Texte, die an vielen Stellen im Reich relativ lasch gehandhabt werden. Zusätzlich schritten Zensoren in Wien verstärkt gegen missliebige politische Literatur ein. Dies war trotz (oder wegen?) der starken Rolle, die der Kaiser dem katholischen Klerus zuschrieb, unverkennbar ein Schritt in Richtung einer »Politisierung der Zensur.«36 Das erstmals im Jahr 1731 erschienene Universal-Lexicon von Johann Heinrich Zedler fasste im Jahr 1733 vortrefflich zusammen, was im Hochbarock unter Zensur und Zensoren verstanden wurde: »Censor librorum (Der Buchzensor, d. A.), ein Aufseher, der ein Buch oder Schrifft, so gedruckt werden soll, zuvor durchlieset und approbiret, damit nicht der Religion und dem Staat nachteiliges darinne gelassen werde.«37 Karls Tochter, Maria Theresia, blieb der gegenreformatorischen Grundhaltung ihres Vaters treu, entzog jedoch den Jesuiten, die nahezu ein Monopol auf das gesamte Bildungssystem in der Hauptstadt hatten, diese Macht und übergab die Zensur-Agenden im Jahr 1749 einer staatlichen Institution. Das widerspiegelte auch geänderte Inhalte in den Druckwerken; Texte beschäftigten sich zur Mitte des 18. Jahrhunderts längst nicht mehr hauptsächlich mit theologischen, sondern ebenso mit politischen, ökonomischen und Erziehungsfragen.38

Ähnliches geschah zur selben Zeit auch im preußischen Berlin. Dort erließ Friedrich II. im Jahr 1749 ein »Edikt wegen der wiederhergestellten Censur«, mit dem eine Kommission eingesetzt wurde, der alle Manuskripte vor Drucklegung zur Genehmigung vorgelegt werden mussten. Wenn ein Buchhändler nicht-revidierte Bücher verkaufte, hatte er nur eine Geldstrafe von 100 Talern zu gewärtigen. Im damaligen Sprachgebrauch war ein »zensiertes« Buch zum Druck freigegeben. Vier Zensoren, die für die Bereiche Theologie, Philosophie, Geschichte und Jura zuständig waren, hatten wenig an den vorgelegten Manuskripten auszusetzen. Der Literaturwissenschaftler Heinrich Hubert Houben zählte zwischen 1716 und 1763 nur 26 Veröffentlichungsverbote. Als der Verlagsbuchhändler Friedrich Nicolai im Jahr 1759 an den Zensor herantrat und ihn bat, die von ihm gemeinsam mit Gotthold Ephraim Lessing und Josef Abbt herausgegebenen »Literaturbriefe« zu zensieren, antwortete der Zensor überrascht, dass ihm so ein Wunsch »schon lange nicht vorgekommen« sei.39

Wer Zensurmaßnahmen insbesondere im 18. Jahrhundert umgehen wollte, hatte in deutschen Landen vergleichsweise leichtes Spiel. Die territoriale Zersplitterung im deutschsprachigen Raum erleichterte die Umgehung von Verboten. Völlig anders als Frankreich, hatte das Heilige Römische Reich Deutscher Nation (HRR) keinerlei zentralstaatlichen Charakter. Der Einfluss des Kaisers z. B. auf gesellschaftliche und kulturelle Belange war deutlich schwächer als jener vom Königshof in Versailles. Hunderten von weltlichen oder geistlichen Fürstentümern standen Landesherrn vor, die sehr unterschiedliche Gesetze exekutierten, dazu kamen freie Reichsstädte und Reichsabteien, sodass es nicht besonders schwierig war, ein Druckwerk, dessen Druck und Vertrieb in der Grafschaft X verboten war, im Herzogtum Y oder der Reichsstadt Z zu publizieren. Daran änderte auch das Edikt von Kaiser Karl VI. aus dem Jahr 1715 nur wenig. Die Reichsstadt Hamburg und das Fürstentum Sachsen galten als besonders liberal in der Auslegung von Zensurmaßnahmen, Preußen und Braunschweig kontrollierten ihre Druckereien und Buchhandlungen schon etwas schärfer, während Bayern und die Habsburgischen Länder als besonders streng galten.40

Friedrich Christoph Perthes, neben Johann Friedrich Cotta und Friedrich Arnold Brockhaus die bedeutendste Verlegerpersönlichkeit seiner Zeit, stellte dem 18. Jahrhundert nachträglich ein gutes Zeugnis für die Möglichkeit der Drucklegung aus. Im Jahr 1814 schrieb er ein wenig zu überschwänglich: »Deutschland hatte immer die vollständigste Preßfreiheit, der Sache und der Tat nach, denn was in Preußen nicht gedruckt werden durfte, das durfte es in Württemberg, was in Hamburg nicht, zehn Schritte davon in Altona. Kein Buch blieb ungedruckt, keines unverbreitet.«41 In der Zeit des Spätbarock ließ sich Deutschsprachiges tatsächlich vergleichsweise ungestört publizieren.

Zensur im Zeitalter der Aufklärung

Die Säkularisierung des gesellschaftlichen Lebens seit Anfang des 18. Jahrhunderts trug schon früh aufklärerische Tendenzen in sich. Nach und nach löste die Einsicht in eine menschliche Vernunft als Kompass der Orientierung den Glauben an Gottgegebenes ab. Säkularisierung bedeutete im Kontext der modernen Staatsbildung aber auch die Zusammenballung von politischer Machtfülle in einzelnen Herrscherhänden. Spätabsolutismus, so umstritten der Terminus in der neueren Wissenschaft auch sein mag, überlappt sich mit dem Zeitalter der Aufklärung. Am Absolutismus reiben sich die Geister der Vernunft. So ist es nicht verwunderlich, dass die Zensur im Dienste der Herrschaft gerade die innovativsten und radikalsten Denker trifft, wenn auch – wie oben beschrieben – territorial lückenhaft und eben nicht durchgängig. Dies kann sogar, wie im Falle des Philosophen Johann Gottlieb Fichte dazu führen, dass ein und derselbe Mensch mal als herrschaftlich eingesetzter Zensor und mal als Zensierter in die Annalen eingeht.

Auch die Zielsetzung von Zensurmaßnahmen änderte sich mit dem Bedeutungsgewinn des rationalen Denkens. Nun ging es nicht mehr hauptsächlich darum, moralisch, theologisch oder für die Staatsraison schädliche Schriftstücke zu verbieten, um der Aufrechterhaltung des Bildes von der hehren Reinheit Gottes und des Fürsten willen, wie argumentiert wurde. Jetzt schlich sich in das Zensurgeschehen der Kampf um Deutungshoheit ein. Druckverbote wurden – je nach politischer Ausrichtung – zum »Instrument obrigkeitlich geförderter Aufklärung oder Gegenaufklärung«.42 Dabei ist zu beobachten, dass auch in aufgeklärten Kreisen Zensurmaßnahmen als notwendig erachtet wurden, um, so die dahinterstehende Idee, ein Zurück in dunkle Zeiten menschlicher Dummheit zu vermeiden. Die an oberster Stelle postulierte Preßfreiheit ging dabei oft auch Hand in Hand mit Veröffentlichungsverboten für anti-aufklärerische Stimmen.

Ein wirkliches Kind der Aufklärung ist die Theaterzensur. Schauspiel und Oper standen zur Mitte des 18. Jahrhunderts in ihrer Hochblüte. Viele bekannte Schriftsteller, Philosophen und Musiker fühlten sich der »ratio« verpflichtet. So kam es, dass die Bühnen als Kampfplatz um die Diskurshoheit und um die Reinheit der Sprache einen wichtigen Rang einnahmen. Es entstand eine neue Form der Zensur, die nicht gegen die Aufklärung, sondern in ihrem Namen durchgesetzt wurde.43 Wichtigster Wortführer für ein dermaßen zensiertes Theater war der in Brandenburg geborene und in Wien zum politischen Reformer aufgestiegene Joseph Freiherr von Sonnenfels (1732−1817). Aus einem jüdischen Haus stammend, konvertierte er als Knabe zum Katholizismus, studierte Rechts- und Staatswissenschaften und war ein vehementer Verfechter des Hochdeutschen. Dies und sein Glaube an den vernunftbegabten Menschen führte ihn auch dazu, gegen das – wie er es nannte – unsittliche und pöbelhafte Stehgreiftheater ins Feld zu ziehen. In den Wanderbühnen sah er sprachlich und moralisch Unsauberes, das es im Namen des Fortschritts auszulöschen galt. Ihnen war freilich schwer beizukommen, sie vagabundierten seit dem Ende des 30-jährigen Krieges durch deutsche Lande, waren – wie der Name sagt – ortsungebunden und folgten in ihren Aufführungen der derben Volkskultur.

Demgegenüber empfanden Sonnenfels und seinesgleichen das »geregelte Drama« auf einer »stehenden Bühne« als notwendige Einrichtungen, um – mit Hilfe der Zensur – eine »moralische Anstalt« zu kreieren, die letztlich im deutschen Nationaltheater enden sollte.44

Neben der Zensur der Aufklärung gab es freilich weiterhin auch anti-aufklärerische Publikationsverbote. Bis zur Französischen Revolution 1789 beherrschte der Ruf nach Preßfreiheit bzw. die Unterdrückung derselben das intellektuelle Terrain. Als Schlagwort hallte es allen Zensoren entgegen. Der Dichter Christoph Martin Wieland, der neben Friedrich Schiller, Johann Wolfgang von Goethe und Johann Gottfried Herder zum sogenannten Weimarer »Viergestirn« zählte, sah wie alle seine aufklärerischen Zeitgenossen in der Preßfreiheit das Um und Auf gegen die fortschrittsfeindliche »Tyranney«. In einem Aufsatz aus dem Jahr 1785 schrieb er: »Freyheit der Presse ist Angelegenheit und Interesse des ganzen Menschengeschlechts. (…) Man raube uns diese Freyheit, so wird das Licht, dessen wir uns gegenwärtig erfreuen, bald wieder verschwinden.«45 Auch die Gegner einer Zensur-freien Welt mussten sich am Begriff der Preßfreiheit abarbeiten. Beispielsweise ist überliefert, dass der Preußenkönig Friedrich Wilhelm II. das von ihm 1788 verordnete Anziehen der Verbotsschraube damit begründete, dass die »Preßfreiheit in Preßfrechheit«46 ausgeartet sei.

Nachdem Joseph II. durch den Tod seiner Mutter, Maria Theresia, 1780 vom Mitregenten zum Alleinherrscher im Habsburger-Land geworden war, änderte sich auch die Wiener Zensurpolitik – allerdings nur für wenige Jahre. Dem aufgeklärten Zeitgeist folgend, erließ der 40-jährige Kaiser am 13. Oktober 1781 ein neues, liberaleres Zensurgesetz. Meinungsfreiheit war damit allerdings noch lange nicht gewährt. Zwar durften bislang unter den Habsburgern verbotene Bücher von Josef Abbt, Johann Wolfgang von Goethe, Friedrich Heinrich Jacobi und vielen anderen nun auch an der Donau vertrieben werden, was zuvor nur gegen einen besonderen Erlaubnisschein (»erga schedam«) möglich gewesen war;47 tatsächlich ließ Joseph II. allerdings zensorische Milde hauptsächlich gegen die »seiner Politik förderlichen anti-kirchlichen Kampfschriften« walten, wie es der Zensur-Forscher Julius Marx ausdrückt.48 Was der Durchsetzung des zeitgleich zur Zensur-Reform erlassenen Toleranzpatents diente, mit dem die Gegenreformation beendet wurde, dafür konnten Presse und Schriftsteller die Fesseln des Verbotes abstreifen. Für viele andere Themen musste der Ruf nach Preßfreiheit aufrecht erhalten werden.

Das habsburgische Theaterleben konnte von dem kurzen josephinisch-liberalen Frühling nicht profitieren, zu viel Angst hatte der Wiener Hof vor Menschenansammlungen, selbst wenn diese durch Eingangs- und Ausgangskontrollen einigermaßen eingehegt werden konnten. Also achteten eigene Zensoren genau darauf, was auf den Bühnen gesprochen wurde. Die damalige »politische Korrektheit« mutet heute seltsam an, strukturell ist die Veränderung in den vergangenen 220 Jahren allerdings nicht so dramatisch. Verboten war damals jede despektierliche Äußerung im Zusammenhang mit religiösen Andeutungen, es sei denn, diese richteten sich gegen heidnische oder islamische Gebräuche. Biblische Begriffe, seien sie aus dem Ersten oder Zweiten Testament, durften in negativer Konnotation nicht vorkommen. So war es z. B. verboten, jemanden »alt wie Methusalem« zu nennen; über den vorsintflutlichen Großvater von Noah, der laut Bibel 969 Jahre alt geworden ist, war das Witzemachen verboten. Stattdessen hörte man dann von den Brettern der Bühnen herab »alt wie Nestor«; der sagenhafte Herrscher in der griechischen Mythologie blieb den Zensoren unverdächtig. Offiziell gecancelt wurden auch Aussagen wie »fett wie ein Domprobst«. Damit konnte man die Kirche lächerlich machen und ihre Vertreter als gierig und unersättlich darstellen. Ein Mönch durfte nicht von einem dicken Schauspieler gespielt werden.

Auch in der Buch- und Zeitungswelt endete die kurze und sehr unvollständige Freiheit des Publizierens 1789, als das Volk von Paris die Bastille stürmte, und vier Jahre später die Adelsköpfe rollten. Im Dezember 1789 verfügte Joseph II., dass ab sofort kein Manuskript ohne vorherige Zensur mehr gedruckt werden dürfe. Kurz darauf, Anfang Januar 1790, wurde der Hausierhandel mit Büchern generell verboten. Für die Zurückdrängung des katholischen Klerus aus weiten Teilen der Gesellschaft hatte der Kaiser die Zensur-Zügel knapp zehn Jahre lang lockern lassen, was auch den machttechnisch angenehmen Nebeneffekt hatte, dass sich Opposition nicht gegen das Herrscherhaus, sondern gegen die Mönchskutten ungestraft entladen konnte. Nun, da es anderswo, im Reich Louis XVI., dem eigenen Stand buchstäblich an den Kragen ging, schaltete die Wiener Hofburg wieder auf Repression.

Die einzige Erleichterung, die vom Reformwerk Joseph II. in puncto Zensurpolitik übrigblieb, war die Anerkennung des Privateigentums von Büchern. War es noch unter seiner Mutter, Maria Theresia, möglich, indizierte Schriften bis in den Wohnraum des einzelnen Besitzers aufzustöbern und zu konfiszieren, so überlebte das josephinische Eigentumsrecht auch die Pariser Umstürze. Verbotene Bücher durften erst einkassiert werden, wenn sie in der Öffentlichkeit auftauchten. Wer sie zu Hause im Regal stehen hatte, konnte dafür nicht belangt werden.49

Die Verfolgung von Radikalen und Revolutionären

Der Furor der Französischen Revolution endete bereits nach wenigen Jahren. Nachdem das Blut an der Guillotine eingetrocknet war, blieb die Frage der Staatsform. Die Radikalen unter den Revolutionären dachten – folgerichtig – an eine republikanische. Nach ihrem Versammlungsort im Pariser Jakobinerkloster nannten sie sich Jakobiner. Den Ideen Jean-Jacques Rousseau (1712−1778) folgend, strebten sie die Errichtung einer Republik an. Der König war tot, das Volk sollte regieren. Dass dieser Gedanke im übrigen Europa (und kurz darauf auch in Frankreich selbst) unter den allesamt monarchischen Herrscherhäusern nicht beliebt war, kann man sich vorstellen. Folgerichtig wurden die Anhänger der Jakobiner überall politisch verfolgt und ihre Schriften zensiert.

Der fränkische Jurist und Publizist Georg Friedrich Rebmann (1768−1824) verspürte die Repression am eigenen Leib. Nachdem er eine Rede von Maximilien de Robespierre, einem der führenden französischen Jakobiner, 1793 ins Deutsche übersetzt hatte, wurde sein Leben zur ständigen Flucht vor Behörden in verschiedenen deutschen Fürstentümern. »Neuestes Manifest der Frankenrepublik an alle Völker der Welt« lautete Robespierres berühmteste Brandrede, für die Rebmann sein bis dahin bürgerliches Leben aufgeben musste. Die Schriften verboten, als »Lügner«, »Landesverräter«, »Sansculotten-Anhänger« und »Freiheitsschwindler« denunziert, entkam er der Verfolgung Ende 1795 von Erfurt ins damals dänische Altona nahe Hamburg. In seiner kurz darauf publizierten »Vollständigen Geschichte meiner Verfolgungen und Leiden« berichtet der damals sehr populäre deutsche Jakobiner, wie nahe und mit welchem Aufwand ihm die Behörden auf dem Fuße waren: »An allen Toren (von Erfurt, d. A.) war meine Person genau beschrieben, Husaren ritten Tag und Nacht umher, um mich zu finden … und mein würdiger Commissair Döring versicherte öffentlich, daß ich nie wieder das Tageslicht wiedersehen würde, wenn man meiner habhaft werden könnte. (…) Noch war ich keine Viertelstunde von Erfurt entfernt. Wachen und Gemütsunruhe hatten mir ein fürchterliches Aussehen gegeben, welches durch die Entbehrungen eines Barbiers sich noch vermehrt hatte; der Regen fiel stromweise herab, und die Feldwege, die ich einschlug, weil mein sonderbares Aussehen auf der Landstraße Verdacht erregt haben würde, waren grundlos. Ohnweit von mir sprengten einige Husaren in vollem Galopp (…) so hielt ich es doch für ratsamer, vorsichtig zu sein und verbarg mich in einer Schlucht, deren gesammeltes Regenwasser mich bis auf die Haut benetzte. Dies war meine Rettung.«50 Seinem Republikanismus blieb Rebmann zeit seines Lebens treu. Im 1797 erneut französisch gewordenen Mainz, aus dem bereits in der kurzen Epoche der Mainzer Republik im Jahre 1793 alle Adeligen geflohen waren, wurde Rebmann Richter. Später erwarb er sich zweifelhafte Lorbeeren im Prozess gegen den Sozialbanditen Johannes Bückler, genannt Schinderhannes.

Exkurs: Zensur bedeutender Köpfe –Beaumarchais, Kant, Fichte

Pierre-Augustin Caron (1732−1799), zur Mitte seines Lebens in den Adelsstand »de Beaumarchais« erhoben, war kein politischer Aktivist. Als Waffenhändler, Agent, Uhrmacher und Spekulant führte er ein abenteuerliches Leben. Der Nachwelt sind seine streitbaren Texte und seine oft komödiantisch angelegten Dramen bekannt. Das bekannteste unter ihnen ist »Le mariage de Figaro« (»Die Hochzeit des Figaro«). Das Stück diente Wolfgang Amadeus Mozart als Vorlage für seine gleichnamige Oper. Darin übertölpelt ein quirliger Kleinbürger in der Figur des Figaro einen Adeligen, wobei der Text voll politischer Anspielungen gegen Monarchie und Adelsherrschaft ist und geradezu mit einem Aufruf zur Revolution endet. Der französische König Louis XVI. soll, nachdem er die erste Fassung gesehen hatte, gemeint haben: »Wenn ich dieses Stück genehmigte, müsste ich konsequenter Weise gleich die Bastille einreißen«.51 Noch weitsichtiger zeigte sich der Monarch – immerhin sieben Jahre vor der Französischen Revolution – mit der Bemerkung, er sähe in dem Rasiermesser, das der Barbier Figaro im Stück dem Grafen ansetzt, das Wetterleuchten des Fallbeils,52