Ziemlich verliebte Freunde - Kooky Rooster - E-Book

Ziemlich verliebte Freunde E-Book

Kooky Rooster

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Beschreibung

David wird dreißig. Seine Freundin Laura hat ein ganz besonderes Geschenk für ihn ersonnen: eine Nacht mit einem Mann. Wie wäre es mit Davids schwulem besten Freund Luke? Doch Luke lehnt ab. Weil er David liebt. Und weil er sich Größeres erhofft. Vor zehn Jahren haben er und David im Suff einen Pakt geschlossen: Wenn sie beide mit dreißig noch Single sind, versuchen sie es miteinander. Luke ist Single. David hätte noch vierundzwanzig Stunden, einer zu werden. Aber er hat den Pakt vergessen. Vielleicht hätte Luke doch zusagen sollen, nackt aus der Torte zu springen ...

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Kooky Rooster

Ziemlich verliebte Freunde

Sehnsuchtspakt

Für Alica, ohne deren viele nötige Arschtritte dieses Buch nicht entstanden wäre. Nicht in diesem Jahrhundert. Danke.BookRix GmbH & Co. KG81371 München

Kapitel 1 – Der Gutschein

 

 

 

»Du spinnst ja.« Luke schüttelte den Kopf und lehnte sich zurück. »Nein. Das meinst du unmöglich ernst.« Dann neigte er sich wieder vor und sah Laura eindringlich an. »Dir ist bewusst, was du da von mir verlangst?«

»Tu nicht so, als wärst du nicht ohnehin scharf drauf.«

Autsch.

Luke lachte auf, ein bisschen zu heftig. »So ein Unsinn. Was für ein Quatsch.« Als er bemerkte, dass Laura ihm dieses Theater nicht abnahm, räusperte er sich und malte schweigend die Maserung des Tisches nach. Die Sache war komplizierter, weit komplizierter, als sie sich das vorstellte.

»Aber im Ernst«, sagte er schließlich. »Das ist Schwachsinn. Ich meine … Wieso sollte David das … Scheiße, wie stellst du dir das vor? Er wird dich – uns – fragen, ob wir einen Knall haben. Und das völlig zu Recht.« Wieder lachte Luke – ein wenig verzweifelt jetzt. »Wie kommst du überhaupt auf so was?«

Laura biss sich auf die Lippen, dann stand sie auf. »Warte.« Sie verschwand im Schlafzimmer und kam wenig später mit ihrem Laptop wieder.

»Was wird das?«, fragte Luke.

»Warte einfach.« Laura klappte das Gerät auf und startete das Betriebssystem. Ihre Finger strichen über das Touchpad, dann schob sie den Laptop so, dass auch Luke auf den Bildschirm sehen konnte.

Sie hatte eine Textdatei geöffnet.

Ich hatte letzte Nacht wieder einen Sextraum, stand da. Wieder mit Luke.

Luke prallte zurück. »Was ist das?«

»Hier.« Laura scrollte ein wenig weiter und zeigte auf eine andere Zeile im Textdokument.

Ich war den ganzen Tag geil. Es liegt an diesen Träumen. Wobei das heute kein richtiger Sextraum war. Luke und ich sind wieder zur Schule gegangen und haben uns im Pausenhof geküsst. Es war wahnsinnig intensiv …

Lukes Herz pochte bis zum Hals. Er riss sich vom Text los. »Was ist das für eine Datei?«

Statt ihm zu antworten, scrollte Laura einige Seiten weiter. Lukes Blick fiel auf die Titelleiste des Dokuments: ddiary_2018. »Ist das Davids Tagebuch?«

Laura tippte auf eine weitere Textstelle:

Die Vorstellung, es mit einem Mann zu treiben, wird immer konkreter. Nicht, dass ich es tun würde – nein, definitiv könnte ich das nicht. Andererseits …

Luke musste sich zwingen, nicht weiterzulesen. »Weiß David, dass du sein Tagebuch liest?«

Schuldbewusst schürzte Laura die Lippen und schüttelte den Kopf.

»Das ist echt mies«, sagte Luke. »Das ist richtig, richtig mies. Und dass du mich dazu bringst, sein Vertrauen ebenfalls zu missbrauchen … Ich sags nicht gern, aber …«

»Na los.« Laura reckte das Kinn. »Halt dich nicht zurück. Ich weiß, dass du mich nicht leiden kannst.«

»… du bist ein Miststück.«

»Endlich bist du mal ehrlich.«

»Du hast David nicht verdient.«

»Klar, dass du das so siehst.«

»Wie kommt die Datei überhaupt auf deinen Rechner?«

»Bei meinem ist das Internet nicht gegangen und da bin ich an seinen. Und, na ja.« Laura zuckte mit den Schultern.

»Und da hast du dir gedacht: ich missbrauche jetzt mal Davids Vertrauen und kopiere sein Tagebuch«, ätzte Luke.

»So war das nicht!«, fuhr Laura ihn an, und dann leiser, bitterer: »Du hast keine Ahnung.«

»Dann erklärs mir.«

Laura griff nach ihrer Packung Zigaretten, rauchte sich eine an. »Ich hab mir Sorgen gemacht. Richtig Sorgen. David ist schon eine ganze Weile nicht mehr er selbst. Dauernd so grummelig und einsilbig.« Sie blies Rauch in die Luft. »Erst hab ich gedacht, es liegt an seinem Geburtstag. Dreißig ist ja für manche eine kritische Zahl.«

Luke schluckte. Und ob es eine kritische Zahl war. Es war die kritische Zahl.

»Aber dann … egal, was ich versucht hab, ich bin nicht an ihn rangekommen. Im Gegenteil, je mehr ich nachgebohrt hab, umso mehr hat er sich zurückgezogen.« Sie nickte zum Laptop. »Als ich die Datei dann entdeckt hab, konnte ich nicht anders.« Ihr Blick wurde ernst. »Ich weiß ja nicht, wie es euch Jungs mit so was geht, aber wenn sich unser Freund plötzlich eigenartig verhält, sich zurückzieht und einsilbig wird, dann glauben wir Mädels, er hat eine andere.«

»Das ist kein Grund, in seinem Tagebuch herumzuschnüffeln.«

»Das weiß ich, Mann!«, fuhr Laura Luke an. »Ich war in … in Not! Ich hab gedacht, es wär sowieso bald aus.« Sie sog an der Zigarette. »Glaub mir, ich hab dafür gebüßt. Ist ja nicht so, als erwartet man, dass der eigene Freund davon träumt, mit seinem besten Kumpel zu ficken.«

»Ja«, krächzte Luke bemüht trocken. »Das gönn ich dir.«

Laura musterte ihn abschätzig. »So heilig du hier auch tust – ich wette, wenn ich rausgehen und dich mit dem Laptop allein lassen würde, du würdest alles lesen. Du würdest jedes einzelne Wort aufsaugen und dir dazu einen runterholen.«

Schuldig im Sinne der Anklage.

»Nur, weil er in seinen privaten Aufzeichnungen darüber spekuliert, mit Männern (mir!) schlafen zu wollen, heißt das nicht, dass er es auch in Realität will«, sagte Luke. »Ich fantasiere mir auch allerhand Scheiß zusammen, wenn ich alleine bin.«

Laura nahm einen letzten Zug von der Zigarette und dämpfte sie aus. »Ich hab ihn gefragt.«

Luke blieb das Herz stehen. »Du hast ihn gefragt, ob er mit mir schlafen will?«

»Bist du irre? Nein! Ich hab ihn gefragt, ob er irgendwelche sexuelle Fantasien oder Wünsche hat.«

»Und?«

»Kennst ihn ja. Er hat nichts gesagt. Alles bestens. Also hab ich ihm erzählt, dass ich regelmäßig lesbische Träume hab. Dass ich davon fantasiere, mit meiner besten Freundin rumzumachen.«

Überrascht hob Luke die Augenbrauen. »Sieh mal einer an.«

Laura verdrehte die Augen. »Idiot! Ich hab das nur behauptet, damit David … na ja, damit er sich mir öffnet.«

»Du hast ihn belogen.«

»Der Zweck heiligt die Mittel.«

Luke runzelte die Stirn. »Nur, damit ich das richtig verstehe: Du liest heimlich sein Tagebuch und verwendest den Inhalt postwendend gegen ihn?«

»Nicht gegen ihn!«, stellte Laura klar. »Das genaue Gegenteil hab ich vor, falls du mir vorhin nicht zugehört hast.«

Hatte Luke. Er hatte zu gut zugehört. »Was hat er gesagt?«, lenkte er ab.

»Nichts. Er war ein wenig verstört, dass ich davon anfange, das wars – zumindest fürs Erste. Aber dann, ich war schon halb am Einschlafen, da murmelt er, dass er sich manchmal vorstellt, wie es mit einem Mann wäre. Ich hab die Luft angehalten, kannst du dir vorstellen.«

Luke hielt ebenfalls die Luft an. »Und dann?«

Laura schüttelte den Kopf, zuckte mit den Schultern. »Ich hab nichts darauf gesagt. Dass er damit rausrückt, damit hab ich echt nicht gerechnet, aber das ist mir erst klar geworden, als er es gesagt hat. Ist ja doch was anderes, es aus seinem Mund zu hören, als es in irgendeiner Datei zu lesen. Zehn Minuten später oder so, er hat wohl geglaubt, ich schlafe, ist er aufgestanden und ins Bad.«

»Okay«, sagte Luke.

»Heulen.«

»Was?«

»Er hat geheult.« Laura verzog den Mund.

Betroffen glotzte Luke sie an. »Wieso das?«

Wortlos neigte sie sich vor und scrollte wieder im Textdokument herum. Obwohl Luke Einwände hatte, weiter darin zu lesen, konnte er nicht anders, als sie wieder auf eine Stelle zeigte.

Ich drehe noch durch. Ich habe das Gefühl, dass ich was verpasse, dass ich was vermisse. Und zwar so heftig, dass es richtig wehtut, körperlich. Aber wie soll ich? Wie könnte ich? So sehe ich mich nicht. Warum kann ich trotzdem an nichts anderes mehr denken? Wenn ich schöne Männer sehe, schaltet mein Hirn aus, ich starre ihnen hinterher, stelle mir Sachen vor. Es ist wie ein Zwang. Ich schäme mich so. Ich hasse mich. Wenn das Laura wüsste, sie würde mich sofort verlassen. Und Luke …

Das war der letzte Eintrag.

Luke scrollte weiter bis zum Dokumentende, aber an der Stelle hörte das Tagebuch auf.

»Er hat weitergeschrieben«, sagte Laura. »Das weiß ich. Aber bis hierher ist es gegangen, als ich die Datei kopiert hab.« Sie grinste schief. »Jetzt wärst du sogar bereit, an seinen Rechner zu gehen, was?«

»Das ist nicht komisch«, meinte Luke. Die Brust wurde ihm eng.

»Ach ne, das müsstest du mir mal erklären.«

»Deine Idee ist trotzdem idiotisch.«

»Das finde ich gar nicht.«

»Mal angenommen, wir würden es tun: Was springt für dich dabei raus?«, fragte Luke.

Laura grinste. »Nett, dass du so ehrlich bist, nicht zu fragen, was für dich dabei raus springt.«

»Weich mir nicht aus.«

Laura zündete sich eine neue Zigarette an. »Es hat da eine Zeit gegeben, als Teenager, da hab ich mich auch mit Ideen rumgeschlagen, von wegen, ich wär in meine beste Freundin verknallt und so.«

»Also doch!«

Laura blickte Luke ungehalten an. »Willst du nun wissen, was ich zu sagen hab, oder nicht?«

Er hob abwehrend die Hände. »Fahr fort.«

»Also ja, ich hab tatsächlich mal lesbische Anwandlungen gehabt. Zumindest hab ich das geglaubt. Ich hab mich da so richtig schön reingesteigert. Na ja, und irgendwann, wir waren total besoffen, da hab ichs ihr gesagt.« Laura warf Luke einen Blick zu, als wüsste sie bescheid.

Hatte David ihr davon erzählt? Spielte sie gerade mit ihm? Luke kratzte sich im Nacken und suchte im Raum nach Ablenkung, während sie ihn abwartend musterte. »Und?«, hakte er schließlich nach und verschränkte die Arme vor der Brust. »Was hat sie gesagt?«

Laura begann zu grinsen. »Sie hat die Idee total aufregend gefunden. Wir haben beschlossen, miteinander zu gehen.«

»Wow.« Luke rutschte hin und her. Das ferne Echo eines Kusses prickelte auf seinen Lippen.

»Yeah! Wow.« Laura wandte den Blick ab und betrachtete die Glut ihrer Zigarette. »Als wir dann rumgemacht haben, war da aber nichts. Es war total albern. Wir sind uns echt blöd vorgekommen.« Sie grinste. »Wahrscheinlich war es einfach nur reizvoll, weils ein Tabu war oder so was. Wie auch immer.« Sie lehnte sich zurück, zuckte mit den Schultern und sah Luke direkt an. »Wir haben die Sache abgehakt und seitdem ist Ruhe, was das betrifft.«

Darauf also wollte sie hinaus. »Und du glaubst jetzt, mit David und mir wird es genauso laufen?«

»Davon gehe ich aus.«

Du weißt nichts. »Wie hast du dir das eigentlich vorgestellt? Soll ich nackt aus der Torte springen, oder was?«

»Ein Gutschein.«

»Was?« Luke prustete los. »Ein Gutschein?«

»Ja«, sagte Laura völlig ernst.

»Du willst ihm einen Gutschein für eine Runde Sex mit mir schenken?« Luke lachte auf. »Ich stelle mir das gerade vor, wie er das Kuvert öffnet. Du hast ein Rad ab, Laura, wirklich, du solltest zum Arzt gehen.«

»Das nennt man Abwehrreaktion«, meinte Laura trocken.

»Das ist die dämlichste Idee, die ich je gehört habe. Ernsthaft, vergiss das. Hast du nicht irgendein anderes Geschenk für ihn?«

»Wenn du es nicht machst, kauf ich ihm einen Callboy.«

Luke plumpste das Lachen aus dem Gesicht. »Das machst du nicht.«

»Wollen wir wetten?«

»Muss ich dir wirklich erklären, was an der ganzen Sache falsch ist?«

»Er will es. Er kriegt es.«

»Er will es eben nicht!«, entfuhr es Luke lauter als beabsichtigt. »Zumindest nicht so. Niemand will es so. Sollte er irgendwann an den Punkt kommen, an dem er es ausprobieren will, wird er einen Weg finden. Für sich. Auf seine Art. In seinem Tempo.« Luke zischte. »Du kannst ihm nicht einfachen einen Kerl ins Bett legen und sagen: los, mach.«

Laura dämpfte die Zigarette aus. »Ich hab dich gefragt, weil du sein bester Freund bist und in seinen Fantasien offensichtlich eine nicht gerade unerhebliche Rolle spielst. Aber wenn du nicht willst, find ich einen anderen Weg. Ich hab nur gedacht, es würde dich reizen. Zwingen werd ich dich jedenfalls nicht. Ist vielleicht eh besser, wenn du es nicht machst.« Sie klappte den Laptop zu. »War ein Fehler, damit zu dir zu kommen – du weißt, wo die Tür ist.«

Luke war, als hätte er eine Betonkugel in den Magen gerammt bekommen. »Bitte, Laura, überleg dir die Sache noch mal. Du kannst David nicht so vor den Kopf stoßen. Ich meine – er hat geheult.« Der Gedanke zerriss ihm das Herz. »Was denkst du, was passiert, wenn du ihn so bloßstellst?«

»Du bist am Samstag eh da. Dann wirst du ja sehen, wie er damit umgeht.«

»Du willst ihm den Gutschein auf der Party schenken? Vor allen Leuten? So fies bist noch nicht mal du!«

»Warts ab.«

»Ist das irgend so eine perfide weibliche Racheaktion?«

»Was interessierts dich? Du bist raus.«

»Ich werde ihn warnen!«, drohte Luke. »Ich werde es ihm sagen.«

Laura lachte auf. »Das möcht ich sehen. Was willst du ihm denn sagen? ›Du, David, Laura und ich haben in deinem Tagebuch gelesen, dass du gerne mit mir vögeln würdest, und jetzt hat sie sich in den Kopf gesetzt, dass sie dir diesen Freibrief schenkt, aber ich will nicht.‹« Sie lachte speziell über den letzten Teil des Satzes. »Ehrlich Luke, wenn du den Mumm dazu hättest, hättest du es ihm schon vor Jahren gesagt.«

»Was gesagt?« Sie wusste es also nicht.

Laura verdrehte die Augen, schnappte den Laptop und stand auf, um ihn wieder ins Schlafzimmer zu tragen. »Tschüss – bis Samstag.«

 

Kapitel 2 – Vollendetes Design

Luke öffnete die Schnürsenkel seiner Laufschuhe und band sie noch einmal zu. David hatte es Laura offensichtlich nicht erzählt. Warum eigentlich nicht? Er hatte es scheinbar noch nicht einmal in seinem Tagebuch erwähnt – andernfalls hätte Laura Luke wohl kaum dieses alberne Angebot gemacht.

Das er abgelehnt hatte.

War er bescheuert?

Nein. Er war loyal. Er war ein guter Freund. Er würde die Situation nicht ausnützen und, verdammt noch mal, er würde vergessen, was er gelesen hatte.

Scheiße.

Wem wollte er was vormachen? Es war unmöglich, das zu vergessen. Wie könnte er? Wie sollte er?

Ein Tag noch. David hatte noch einen Tag, um sich von Laura zu trennen. Dann wäre alles … weniger kompliziert. Es wäre perfekt.

Und wenn Luke nachhalf? Wenn er David erzählte, dass Laura an seinem Rechner gewesen war, sein Tagebuch kopiert und es herumgezeigt hatte?

Nein. Nein. So einer war er nicht.

Verdammt. Warum eigentlich nicht?

Luke richtete sich auf und ließ den Blick über die weitläufige Parkanlage schweifen. Kaum zu glauben, dass dieses beschauliche Fleckchen Natur mitten in der Stadt lag.

Da ertönte hinter ihm schon das federleichte, gleichmäßige Knirschen von Kies. Die Art, wie Davids Füße die Erde kaum berührten, hätte Luke unter tausenden Läufern heraushören können. Er drehte sich um und –

– sein Herz rutschte ihm in den Schritt. David kam ohne Shirt herangetrabt und trug die wohl knappste Laufhose, die er besaß. Luke wollte nicht starren, aber er konnte nicht anders.

Sinnliche Perfektion. Vollendetes Design. Funktionelle Eleganz.

Lukes Hirn wurde zur Sloganschleuder, wenn er David laufen – sprinten – sah. Dieser Wahnsinnskerl erreichte eine Schrittlänge von über zwei Metern, er flog regelrecht dahin, die Sehnen und Muskeln unter der gleichmäßig gebräunten Haut arbeiteten wie eine gut geölte Maschine. Er rannte, als würde ihn die Schwerkraft nicht nach unten, sondern nach vorne ziehen.

Wilder Hengst. Animalische Kraft. Athletisches Ideal.

»Hei«, keuchte David, als er direkt vor Luke zum Stehen kam. Sein Brustkorb arbeitete von der Anstrengung und betonte rhythmisch die Rippen und Muskeln unter der schweißnassen Haut. Der Windhauch seines Atems, sowie der Duft und die Hitze seines Körpers umfingen Luke wie eine Umarmung.

»Hei«, krächzte Luke. Wenn David ein Hengst war, war er selbst ein Fohlen – zumindest, was seine Knie betraf. Das Wissen um Davids geheime Sehnsüchte setzte ihm mehr zu, als er erwartet hatte. Er hatte gedacht, er könnte es ausblenden, abschütteln – aber dazu war Davids dampfender, praktisch nackter Körper zu präsent. Jedenfalls im Augenblick.

»Einen Moment noch«, sagte David, warf einen prüfenden Blick auf seine Smartwatch am Handgelenk, stellte darauf was ein, dann schenkte er Luke ein strahlendes Lächeln. »Alles klar?«

Wie konnte jemand nach einem Fünfkilometersprint so erfrischt aussehen? Wie konnte jemand, der ein solches Lächeln zustande brachte, heimlich im Bad heulen?

»Alles Super«, presste Luke hervor und zeigte die Zähne. Ich Idiot habe es abgelehnt, mit dir zu schlafen.

»Gut.« David gab ihm einen Klaps auf die Schulter und nickte in Laufrichtung. »Dann lass uns loslegen.«

Luke war nicht gerade unsportlich, aber eine halbwegs zügige Joggingrunde am Abend reichte ihm vollauf. David hingegen hatte gerade als eine Art Aufwärmrunde fünf Kilometer in einer Viertelstunde zurückgelegt und trotzdem konnte Luke förmlich spüren, wie ihn das gemeinsame Lauftempo unterforderte.

Manchmal fragte er sich, wozu sich David das antat, mit ihm zu joggen – sein Körper vibrierte geradezu im Kampf, seine Energie in Zaum halten zu müssen. Immerhin, die abendliche Sommerbrise – mehr das Wabern trockener Wüstenluft, obwohl es bereits neunzehn Uhr war –, trug betörende Duftfäden von Davids perfektem Körper an Lukes Nase.

Er hätte auf Lauras bescheuertes Angebot eingehen sollen.

»Laura«, begann David nach ein paar Metern und schüttelte den Kopf.

»Was ist mit ihr?«

»Sie ist …« David zuckte mit den Schultern. »Ach, ich weiß nicht.«

Ein Miststück? Das hinter deinem Rücken dein Tagebuch herumzeigt?

»Sie dreht total durch wegen der Party morgen.«

»Ach … das.«

»Ja … das. Ehrlich Luke: Wen interessiert diese beschissene Party?«

»Laura?«, riet Luke. »Es ist immerhin dein Dreißiger.« Und es hätte unser Tag sein können – könnte es noch immer.

»Scheiß auf den Dreißiger.«

Ein Stich fuhr durch Lukes Bauch. »Das ist eine« – wie hatte Laura es formuliert? – »kritische Zahl.« Es ist unsere Zahl.

»Kritische Zahl?« David gab einen belustigten Laut von sich und sah Luke amüsiert an. »Dass du ein Zahlenfetischist bist, ist mir neu.«

Was diese Zahl betrifft, war ich es immer. »Weißt du noch?«, begann Luke und verlor prompt den Mut.

»Weiß ich noch was?«

»Der Pakt?« Lukes Bauch kitzelte, als raste er einen Fahrstuhl abwärts.

»Pakt? Sagt mir jetzt nichts. Was für ein Pakt?«

Autsch! »Du weißt schon … damals.« Luke wurde ein bisschen die Luft knapp.

David schüttelte den Kopf.

»Ist schon eine Weile her.«

»Aha. Hm.« David verstummte und für eine ganze Weile war nur das Knirschen ihrer Schritte auf dem Schotterweg zu hören. »Nein. Sorry.«

Luke konnte richtig spüren, wie ihm die Kraft aus den Beinen sackte. »Nicht so wichtig.« Er verlor an Tempo, fiel rasch zurück. Dafür konnte er Davids knackigen Arsch in der hautengen Hose bewundern, das Spiel seiner Rückenmuskeln, diese geschmeidige Körperspannung.

Endlich realisierte David, dass Luke nicht mehr neben ihm herlief, wurde langsamer, drehte sich um und joggte rückwärts weiter. »Was ist los?«

»Nichts«, behauptete Luke und zupfte an seinem schweißgetränkten Shirt. »Die Hitze.«

Mit einem breiten Grinsen deutete David an sich runter – auf das hautenge Fast-nichts, das er auf den Hüften trug. »Was glaubst du, warum ich ohne Shirt laufe.«

Um jeden um den Verstand zu bringen, der dich sieht?

Luke schlug sich gegen den Kopf. »Ach das ist es! Ich dachte mir schon die ganze Zeit, dass heute irgendetwas an dir anders ist.«

Durch Davids Gesicht ging ein Riss, dann lächelte er schief. »Ja.«

Mit einem Mal wurde Luke bewusst – richtig bewusst –, dass er auf Lauras Laptop nicht irgendeinen Text gelesen hatte, sondern Davids Seele. Dass die Sehnsucht und das Leid darin echt waren und das, was er gerade sah, dieses schiefe Lächeln, der Versuch war, eine klaffende Wunde zu kaschieren. Wenn Luke jetzt auch nur einen Funken Mut besessen hätte, wäre er auf David zumarschiert und hätte ihn geküsst. Oder zumindest umarmt. Er hätte sie beide erlöst.

»Sollen wir eine Pause machen?«, fragte David, auf der Stelle joggend.

»Nicht nötig. Es geht schon wieder«, behauptete Luke und zwang sich, weiterzulaufen. Seine Beine waren schwer wie Blei.

»Also?«, fragte David nach einigen Metern. »Was ist das nun für ein Pakt?«

»Unwichtig. Vergiss es.«

»Komm schon. Du hast damit angefangen, jetzt will ichs wissen.«

»Es ist nur Kinderkram«, behauptete Luke und seufzte ergeben. »Mein zwanzigster Geburtstag.«

»Was ist damit?«

»Klingelt da nichts?«, fragte Luke und wurde wieder langsamer.

»Im Moment nicht. Nein.«

Luke blieb stehen und presste eine Faust gegen seine Rippen.

»Seitenstechen?«, fragte David.

Luke nickte. Nein, er hatte kein Seitenstechen. Ihm setzte zu, dass David die wichtigste Nacht ihrer Freundschaft vergessen hatte.

»Komm her.« David stellte sich halb hinter ihn und nahm fast zärtlich die Faust von seinen Rippen. »Lass mich das machen«, bat er leise und drückte ihm gefühlvoll die Finger ins Fleisch. Die andere Hand legte er ihm sanft auf den Rücken. »Du musst tief und gleichmäßig atmen.«

Luke schloss die Augen und holte Luft. Nicht, weil David es forderte, sondern weil ihm dessen Hände einen süßen Stich direkt in den Schritt schickten.

»Ist es gut so?«, fragte David und verlagerte das Gewicht von einem Bein aufs andere. Seine Hüfte streifte Lukes linke Pobacke – und verweilte dort.

»Ich war in dich verliebt«, platzte Luke heraus. Und bin es noch.

»Was?«

»Damals. Wir haben – ich hab – dich geküsst.«

David hielt den Atem an. Seine Finger hörten auf, Luke zu massieren. Dann ließ er ihn los und machte einen raschen Schritt von ihm weg.

»Wir waren beide ziemlich betrunken«, erinnerte Luke und dreht sich zu ihm um. »Du hast Liebeskummer gehabt, wegen irgendeiner Babsi oder so.« Luke biss sich auf die Lippen. »Und ich wegen Pierre.«

In Davids Gesicht blitzte etwas auf. »Pierre … Pierre … ich erinnere mich.«

»Es hat nie einen Pierre gegeben«, gestand Luke. »Das heißt … du warst Pierre, ich hab nur nicht …« Luke schnaubte und schüttelte den Kopf. »Ich war eine feige Sau.«

»Wieso erzählst du mir das – jetzt?«, fragte David seltsam heiser – und hart. Sein Blick war argwöhnisch, distanziert. Er musterte Luke von Kopf bis Fuß, machte einen weiteren Schritt zurück. »Laura. Oder?«

Irritiert von diesem Themenwechsel blinzelte Luke. »Laura?«

»Sie hats dir gesagt.«

»Was gesagt?« Dann dämmerte Luke, was David vielleicht meinte: Das Geständnis, das Laura David abgeluchst hatte. Luke musste nichts sagen – David erkannte es an seinem Blick.

»Fuck«, stieß er aus, raufte sich die Haare am Scheitel und machte ein paar ratlose Schritte auf der Stelle. »Fuck.« Er wandte sich von Luke ab, rieb sich übers Gesicht, schnaubte. Dann setzte er sich in Bewegung. Ohne ein weiteres Wort, ohne Luke noch einmal anzusehen, sprintete er los. Erst in eher legeren, wenn auch großen Schritten, dann wurde er immer schneller und schneller und war bald nur noch eine Silhouette in der Ferne.

»Scheiße.«

Kapitel 3 – Leidende Helden

Als Luke zwanzig Minuten später das Ende der Laufstrecke erreichte, rechnete er eigentlich nicht mehr damit, David anzutreffen. Daher hielt er den Athleten, der sich auf der Hindernisbahn der Militäranlage verausgabte, für einen Soldaten – der netterweise sein Shirt ausgezogen hatte. Er weidete sich fast zwei Minuten an dem Anblick, wie der Kerl Balken entlanglief, über Gräben sprang und eine vier Meter hohe Leiter so mühelos überwand, als wäre sie ein hüfthoher Zaun. Die Betonwand, die darauf folgte, konnte für ihn nur noch ein Klacks sein – doch mit einem Mal schien alle Energie aus ihm raus.

Er wankte ein paar Schritte hin und her, fuhr sich durchs Haar, hämmerte mit einer Faust ein paar Mal gegen die Mauer wie gegen eine verriegelte Tür, dann prallte er mit dem Rücken dagegen und warf den Kopf in den Nacken.

Erst jetzt erkannte Luke ihn, und ihm lief es heiß und kalt über den Rücken.

David neigte sich nach vorn, stützte – den Hintern an die Wand gelehnt – die Hände auf die Oberschenkel und spuckte zwischen seine Füße ins Gras. Dann wischte er in seinem Gesicht herum – nicht um den Mund, um die Augen.

Er ist aufgestanden und ins Bad. Heulen.

Luke zerfetzte es regelrecht das Herz. Er wechselte vom Schotterweg aufs Gras, das seine Schritte verschluckte, und lief quer über die verdorrte Wiese zur Hindernisbahn. Sie lag hinter einem gut drei Meter hohen Zaun, das Eingangstor befand sich auf der anderen Seite der Anlage und sah verschlossen aus. Es war nicht unwahrscheinlich, dass David einfach darüber geklettert war, um zu trainieren. Wäre nicht das erste Mal gewesen, dabei war ihm sogar erlaubt, die Bahn zu nutzen. Eine Art Anwerbeaktion des Militärs. Man hatte ihn schon mehrmals darauf angesprochen, ob er nicht eintreten wolle, aber David hielt nicht viel von Gehorsam und Uniformen.

Luke hatte nicht vor, über den Zaun zu klettern. Er wusste nicht einmal, ob er dazu in der Lage gewesen wäre. Stattdessen hängte er auf Kopfhöhe die Finger ins Gitter und drückte die Stirn gegen die Drahtschlingen. »David?!«

Ertappt fuhr David hoch und nahm im Bruchteil einer Sekunde wieder die stramme Haltung eines Vorzeigeathleten ein. Ja, es war ziemlich nachvollziehbar, warum das Militär scharf auf ihn war.

»Ich muss dir etwas sagen!«, rief Luke.

Unschlüssig blickte David ihn an, wankte von einem Bein aufs andere, als überlegte er, ob er wieder weglaufen sollte. »Was!«, rief er schließlich.

»Komm her – ich will es nicht über den ganzen Platz schreien!«

David schaute sich um, als müsste er sich die Erlaubnis eines unsichtbaren Trainers einholen, dann marschierte er auf Luke zu, fiel zwischendurch in einen leichtfüßigen Trab und ging die letzten Meter wieder zögernd. »Was ist?«

»Wegen der Party morgen«, begann Luke und holte tief Luft. Wie sollte er das jetzt rüberbringen?

David blickte ihn düster – eher kritisch – an, sein Blick wanderte an ihm auf und ab, was Luke zusätzlich nervös machte.

»Laura … wie soll ich sagen.«

An Davids Kiefer traten die Sehnen hervor wie Wurzelgeflechte, sein Atem ging schneller – ein betörendes Muskelspiel, nebenbei gesagt –, er ballte und lockerte die Fäuste. »Es ist nicht wahr«, sagte er mit einer Stimme, die völlig fremd klang.

»Was?«

»Was auch immer dir Laura erzählt hat. Es ist nicht wahr.«

Ach, bitte nicht. Luke seufzte. »David …«

»Sie hat sich da was in den Kopf gesetzt!«, rief David energisch und tippte sich so heftig gegen die Stirn, dass sein ganzer Körper vibrierte. »Keine Ahnung, was in ihr vorgeht. Sie ist total besessen von der Idee …« Er unterbrach sich, schluckte, ließ den Arm fallen und zuckte mit den Schultern. »Die Hormone vielleicht.«

Wem machst du denn was vor? »Sie hat einen Knall. Das hab ich dir von Anfang an gesagt.«

David schnaubte und blickte mit einem epischen Ausdruck von Widerwillen über seine rechte Schulter hinweg in die Ferne, dann wandte er sich Luke mit einem Augenaufschlag zu, der Hoden zum Kochen brachte. Ein Lächeln ging in seinem Gesicht auf wie die Sonne, und flutete Lukes Seele. »Du hast recht.«

»Na endlich«, stieß Luke aus, sein Herz pochte bis zum Hals. »Hat nur ein Jahr gebraucht, bis du mir glaubst.«

David grinste schief. »Geglaubt habe ich es dir die ganze Zeit.«

»Aber?«

»Ich wollte meine eigenen Schlüsse ziehen.«

»Und jetzt?«, fragte Luke und verfluchte den Zaun zwischen ihnen.

David zuckte mit den Schultern. »Was soll jetzt sein?«

»Trennst du dich von ihr?«

Erstaunt runzelte David die Stirn. »Weil sie einen Knall hat?«

Weil sie ein hinterhältiges Miststück ist, das dein Vertrauen missbraucht. »Wäre doch ein guter Grund«, meinte Luke.

»Zeig mir jemanden, der keinen Knall hat.«

Verdammt. »Stimmt auch wieder.«

David machte einen weiteren Schritt auf den Zaun zu und holte Luft für etwas, das er dann doch nicht sagte. Stattdessen fuhr er mit der Zunge die Zahnreihen ab – eine leicht versaut aussehende Verlegenheitsgeste, die Luke an ihm liebte.

»Du glaubst mir doch, oder?«, fragte David schließlich. »Mehr als ihr.«

Ich glaube, was ich im Tagebuch gelesen habe. »Klar.«

David lächelte. »Danke.«

Ein eigenartig knisterndes Schweigen senkte sich zwischen sie, unterbrochen nur vom gelegentlichen Krächzen einiger Krähen, die in der Wiese nach Würmern suchten. Dieser Moment, diese freundschaftliche Nähe und die Sonne, die tief stand und Silhouetten mit einer goldenen Corona versah – es war einfach zu schön, um es mit Lauras bescheuertem Gutschein zu zerstören.

»Morgen wirst du dreißig«, sagte Luke ungewollt zärtlich. Sein Bauch kribbelte erst, dann zog er sich zusammen, wurde hart wie Beton, und bleischwer. Und hast eine Freundin.

»Schräg, oder?« David lächelte. »Ich fühle mich gerade mal alt genug, um jetzt zwanzig zu werden.«

»Noch mal zwanzig werden«, murmelte Luke. Uns küssen – unbeholfen, aber mit vollem Einsatz. Ein Kuss, wie nur Teenager ihn zuwege bringen: wild, stümperhaft, konzentriert – schwankend zwischen Imponiergehabe und emotionaler Überforderung.

Und dann vergisst du das alles!

Luke schluckte den Schmerz runter, stieß sich vom Gitter ab und klatschte in die Hände. »Das wars. Ich muss heim. Duschen.«

Kapitel 4 – Die Bedingung

»Ich machs«, sagte Luke, das Telefon ans Ohr gepresst, und rubbelte mit einem Handtuch das nasse Haar trocken. Auf seinem Körper kitzelten noch Wassertropfen vom Duschen. Nackt stapfte er im Wohnzimmer auf und ab.

»Was machst du?«, fragte Laura am anderen Ende der Verbindung.

»Es. Was du mir vorgeschlagen hast.« Bei den folgenden Worten wippte sein Schwanz hoch: »Ich schlafe mit ihm.«

»Aha«, machte Laura.

»Unter einer Bedingung«, fuhr Luke fort. »Es passiert nicht im Rahmen eines Geschenks oder Gutscheins oder ähnlich Bescheuertes.«

»Mhm.«

»Ich lasse es ganz natürlich passieren. Er erfährt nichts von unserer Abmachung.« Und als Trumpf: »Dafür sage ich ihm nicht, dass du sein Tagebuch …«

»Ganz natürlich?«, unterbrach Laura ihn.

»Ja. Es soll sich ergeben, wenn er bereit dazu ist.«

»Aha.« Ein Feuerzeug klickte, dann blies Laura in den Hörer. »Und wann ist er, deiner Ansicht nach, bereit dazu?«

»Äh.« Luke wurde heiß. »Was ich damit meine, ist …«

»Ich hab schon verstanden, was du damit meinst: Du willst ihn verführen und dazu bringen, mich mit dir zu betrügen.«

»Ist es nicht genau das, was du willst?«

Laura machte einen belustigten Zischlaut. »Du verstehst es nicht, oder?«

»Ehrlich gesagt –«

»Ich will nicht, dass er hinter meinem Rücken mit dir schläft. Er soll wissen, dass ich meinen Segen dazu gebe. Ich möchte, dass er weiß, dass es ein Geschenk ist. Von mir. Er soll mir dankbar sein. Er soll an mich denken, wenn er es tut.«

Schätzchen, wenn er mit mir schläft, wird er nicht in der Lage sein, zu denken. Luke ließ sich mit einem Seufzen aufs Sofa fallen und blickte runter auf seinen Schwanz, der jede noch so flüchtige Assoziation nutzte, um sich keck aufzurichten. »Du kannst ihm nicht vorschreiben, was er beim Sex denken soll.« War die Frau denn völlig irre?

»Ehrlich Luke? Mir ist ziemlich scheißegal, was du für eine Meinung dazu hast. Du bist raus.«

»Ist es, weil du kein anderes Geschenk hast?«, bohrte Luke nach. »Wenn es das ist, dann kannst du ihm meines schenken.«

»Weil du ja schon dich selbst schenkst, nicht wahr?«, bemerkte Laura. »Für wie bescheuert hältst du mich?«

»Willst du eine ehrliche Antwort?«

»Spars dir.«

»Und?«, fragte Luke.

»Und was?«

»Was sagst du zu meinem Vorschlag.«

Laura stockte. »Ich hab gedacht, das haben wir gerade geklärt.«

»Ich könnte ihm noch immer erzählen, dass du sein Tagebuch gelesen hast.«

»Du doch auch.«

»Weil du es mir gezeigt hast. Und wer weiß, wem noch.«

Das kurze Schweigen, das folgte, verhieß nichts Gutes.

»Du hast es ihm also noch nicht gesagt«, folgerte Laura schließlich.

»Um dir diese Chance anzubieten«, log Luke.

Laura lachte auf. »Ja klar. Mir zuliebe. Loyalität ist nicht gerade deine Stärke, oder?«

Autsch! »Okay.« Luke setzte sich auf. »Ich bitte dich. Ich flehe dich an. Ich tu alles, was du willst, nur bitte, bitte tu David nicht diesen Gutschein an. Nicht auf der Party. Nicht vor den anderen. Bitte.«

»Alles?«, fragte Laura.

»Alles!«

Auf der anderen Seite der Verbindung wurde es still. Laura schien über das Angebot ernsthaft nachzudenken. Luke biss ins Handtuch.

»Es gibt da tatsächlich was.«

»Ich höre?«

»Du lässt die Finger von ihm.«

Luke schluckte. Nicht, dass zwischen ihnen je was gelaufen wäre – abgesehen von …, aber da war noch der Pakt, auf den er seit Jahren hinfieberte. So sehr, dass er für ihn mittlerweile weniger eine Option als eine logische Konsequenz war. Andererseits hatte David den Pakt vergessen und dank Laura war er ohnehin hinfällig. So gesehen … »Okay«, krächzte er und räusperte sich. »Kein Problem.«

»Ich mein das nicht sexuell«, stellte Laura klar. »Ich will, dass du dich völlig zurückziehst, als Freund und Kumpel. Kein Kontakt mehr.«

Luke sprang hoch. »Spinnst du? Das kommt gar nicht infrage.«

»Loyalität, hä?«, ätzte Laura.

»Glaubst du echt, du könntest uns auseinanderbringen?« Wütend marschierte Luke auf und ab. »Wie lange kennst du ihn jetzt? Ein Jahr? Ich kenne David seit vierzehn Jahren und wir stehen jeden Tag in Verbindung. Was wir haben, ist stärker als jede Beziehung, das kannst du mir glauben. Ich habe Frauen kommen und gehen sehen, und alle waren nichts weiter, als eine Ablenkung für zwischendurch – schnell wieder vergessen. Und du bist nur eine von vielen, Laura, du bist nichts. Und wenn du nicht gewesen wärst …« – wären wir längst ein Paar.

Luke holte tief Luft. »Egal, was du dir einbildest, du kennst ihn nicht. Keine hat ihn je wirklich gekannt. Ihr seid nur auf sein Äußeres scharf, auf seine Kohle, oder ihr wollt mit ihm angeben und euch aufwerten. Wer er wirklich ist, was er wirklich braucht, das interessiert euch nicht.«

»Aber dich schon, nehme ich an«, meinte Laura trocken.

»Ja«, herrschte Luke sie an. »Ja, ich schon. Weil er sich mir anvertraut. Er kann mir aber auch vertrauen. Im Gegensatz zu euch. Ihr seid nichts weiter als falsche, manipulative, respektlose Schlangen. Vor allem du, Laura. Vor allem du.«

Laura lachte auf. »Bin ich echt so eine Bedrohung für dich? Ach ja, ich hab vergessen, mit mir hat er bereits nach zwei Tagen geschlafen – mit dir selbst nach vierzehn Jahren nicht, obwohl ihr so süße Bussifreunde seid. Muss wehtun.«

Luke mahlte mit den Zähnen und ballte die Fäuste.

»Die Mädels haben recht«, meinte Laura. »Ich hätte dich nicht fragen sollen. Du bist emotional viel zu involviert.«

Fick dich!

»Weißt du was? Schenk ihm den Gutschein. Schenk ihm den beschissenen Gutschein und schau, was passiert.« Wahrscheinlich bist du noch vor Mitternacht Geschichte –

– und David Single.

Moment. Das war gar nicht mal so übel. Mit einem Schlag wurde Luke ruhig, fast friedlich. Okay, er würde David ins offene Messer laufen lassen müssen, direkt hinein in ein Zwangsouting vor allen seinen Freunden, aber …

»Ich brauch deine Erlaubnis zwar nicht«, sagte Laura schnippisch. »Aber meinetwegen – danke.«

»Keine Ursache«, murmelte Luke. »Tu mir nur einen Gefallen: Halt mich da raus. Ich will damit nichts zu tun haben.« Aber ich werde da sein und ihn auffangen, wenn er dich in den Orbit kickt.

»Eins frag ich mich aber«, sagte Laura, ehe sie auflegte. »Wenn er dir so sehr vertraut wie du behauptest, wie kommts, dass du nicht gewusst hast, dass er von Sex mit Männern träumt? Gerade seinem schwulen allerbesten Freund könnte man so was doch eigentlich anvertrauen, oder etwa nicht?«

Kapitel 5 – Und raus

»Luke?« Laura stand, gehüllt in einen himmelblauen Bademantel und mit einen Handtuch-Turban auf dem Kopf, in der Wohnungstür. Ihr Gesicht glänzte von einer fetthaltigen Creme. »Was tust du jetzt schon hier? Es ist gerade mal« – sie bog sich zurück, um einen Blick auf die Uhr im Flur zu werfen – »zehn. Die Party fängt erst in acht Stunden an.«

Luke grinste. »Ich weiß.«

Im nächsten Augenblick erschien David hinter Laura, in knackigen Jeans und einem Shirt, das seine Brust, seine Schultern und Arme betonte, und schlüpfte hastig in seine Sneakers. »Hei«, grüßte er gut gelaunt.

»Hei.« Lukes Bauch kitzelte.

Perplex drehte sich Laura zu David herum. »Gehst du weg?«

»Japp.« Er richtete sich auf, zupfte am Saum seines Shirts und schob sich an ihr vorbei zu Luke in den Hausflur. »Bis später, Schatz.«

»Du hast mir gar nichts davon gesagt.«

»Hat sich spontan ergeben.« David schenkte Luke ein strahlendes Lächeln.

»Und die Party?«

»Bis dahin sind wir bestimmt wieder zurück«, meinte David und legte Luke eine Hand in den Rücken. »Los, lass uns gehen!« Er roch betörend nach Duschgel und Rasierwasser.

»Was heißt da bestimmt?« Laura machte einen ungehaltenen Schritt aus der Wohnung. »Du lässt mich mit der ganzen Arbeit allein?«

»Ich steh dir doch eh nur im Weg herum«, meinte David. »Außerdem …«

»Außerdem was!«

»Es ist deine Party.«

»Und dein Geburtstag. Ich mach das alles für dich.«

Von wegen. »Ich bringe ihn rechtzeitig zurück. Ich versprechs«, sagte Luke.

»DU hältst dich da raus!«, fuhr Laura ihn an.

»He-he-he!«, sagte David scharf und stellte sich beschützend vor Luke. »In diesem Ton redest du nicht mit ihm, verstanden?«

Laura klappte den Mund auf und zu.

In Lukes Bauch flatterten Schmetterlinge.

»Ich hab dir gesagt, dass ich keine große Feier will, aber du musst ja die halbe Stadt einladen«, meinte David angepisst. »Jetzt komm damit klar.«

Wow. Das klang ja nicht gerade nach Friede, Freude, Eierkuchen. Ein Funke Schadenfreude glimmte in Lukes Herz auf.

Laura knallte die Tür so heftig zu, dass das Echo vom Keller bis in den Dachboden hallte.

»Dicke Luft?«, fragte Luke und verachtete sich dafür, wie sehr ihn dieser Gedanke beflügelte.

»Das gibt sich wieder«, meinte David, und lief ihm voraus leichtfüßig die Treppe abwärts. Jeans und Shirt saßen genau dort knapp, wo sie knapp sitzen mussten, und betonten seinen athletischen Körper. Er bewegte sich so elegant, so perfekt.

Luke war verliebter in ihn als sonst, was nicht nur an dem Vorfall lag, dem er eben beigewohnt hatte, oder der Idee, dass es vielleicht keine vierzehn Stunden mehr dauerte, bis David endlich wieder Single war. Es lag an dem Pakt. Daran, wie sich Luke den heutigen Tag immer ausgemalt hatte: Ein Candle-Light-Dinner, ein erster (eigentlich zweiter) Kuss, dann zusammen ins Schlafzimmer, einander langsam ausziehen und …

»Was meinst du eigentlich mit die halbe Stadt?«, fragte Luke, als er an David vorbei ins Freie schlüpfte und auf dem Weg zum Wagen die Autoschlüssel spielerisch in die Luft warf und wieder auffing.

»Ach das.« David seufzte und verdrehte die Augen. »Sie hat sich in den Kopf gesetzt, dreißig Leute einzuladen. Dreißig Jahre – dreißig Leute.«

»Oh.« Scheiße.

»Keine Ahnung, wen sie da alles aufgetrieben hat. Der Reaktion nach zu urteilen dürften ein paar meiner Kollegen kommen, sowie meine Schwester und soviel ich weiß ein paar Nachbarn. Und natürlich ihre Freundinnen. Alleine das ist ein Grund, die Party jetzt schon zu hassen.«

»Sollen wir durchbrennen?«, fragte Luke, als sie sich ins Auto setzten.

David blickte ihn belustigt an. »Durchbrennen?«

Ja. Durchbrennen. »Du weißt schon. Abhauen, auf die Party scheißen. Irgendwo ein neues Leben anfangen.«

»Klingt verlockend.« Mit einem Seufzen lehnte sich David zurück. »Lass uns das machen.«

»Hey«, warnte Luke. »Ich meine das ernst.«

»Ich auch. Los, fahr, bevor sie uns aufhalten.«

Kapitel 6 – Wüstenluft

»Du verrätst mir noch immer nicht, wohin wir fahren?«, fragte David und blickte aus dem Seitenfenster hinaus in die weizengelbe Landschaft. Der überdurchschnittlich heiße Sommer hatte die Wiesen zu borstigem Gestrüpp verbrannt, die Bauern die Felder früher als üblich abgeerntet und nichts als staubtrockene Erde und Stoppeln zurückgelassen.

»Vegas«, sagte Luke und schmunzelte. »Dorthin brennt man doch gewöhnlich durch, oder?«

David lachte auf. »Na ja, in der Wüste wären wir immerhin schon.«

Aus dem Augenwinkel bekam Luke mit, wie David ihn musterte. Das machte ihn nervös. Und geil. Er ballte die Hände fester ums Lenkrad und schluckte. »Was ist?«

»Das wärs jetzt.« Seufzend ließ David den Kopf wieder in die Nackenstütze sinken und blickte hinaus in die Landschaft. »Las Vegas. Weiter weg von hier könnte man kaum sein.«

Luke hasste es, das Thema anzuschneiden, zugleich interessierte es ihn zu brennend: »Habt ihr Stress?«

»Laura und ich?« David zuckte mit den Schultern und verfiel in Schweigen. Das Gesicht abgewandt schaute er hinaus zu den vorbeifliegenden Feldern. Seine Halssehne und die markant hervortretende Kante des Kiefers lockten Lukes Lippen.

»Ich kann noch immer nicht fassen, dass sie mit dir darüber geredet hat«, sagte David gedankenverloren.

»Worüber denn?« Oh. »Ach so, das.«

David fuhr zu ihm herum, als wollte er etwas sagen, schloss dann jedoch den Mund und schnaubte. Schließlich holte er erneut Luft: »Kann ich dich was fragen?«

Lukes Herz machte einen Hüpfer. »Alles.«

»Weil du doch schwul bist und vielleicht einen Blick dafür hast«, begann David behutsam, unterbrach sich und suchte nach den richtigen Worten.

Schlagartig wurde Lukes Hose eng. »Ja?«

»Denkst du, Laura ist lesbisch?«

Und flugs war wieder Platz im Schritt. »Was? Wie kommst du dar…« Das bescheuerte Fake-Geständnis, mit dem Laura David manipuliert hatte! Gerade wollte Luke das entschiedene Nein über die Lippen schießen, da fiel ihm ein, dass er vielleicht offiziell gar nichts davon wissen konnte. »Wieso?«

»Nur so.« David zuckte mit den Schultern. Er respektierte ihr intimes Geständnis.

So sehr es an Luke kratzte, dass er sie vor ihm schützte, so sehr verliebte er sich genau deswegen noch mehr in ihn. »Ehrlich gesagt kenne ich mich mit Lesben nicht aus«, meinte er. Dann legte er den Köder aus: »Aber sie wäre ja kaum mit dir zusammen, wenn sie auf Frauen stehen würde, oder?«

David fuhr mit der Zunge nachdenklich die Zahnreihen entlang. »Das muss nicht unbedingt was bedeuten. Ich meine … es kommt doch öfter mal vor, dass jemand, der eigentlich homosexuell ist, heterosexuelle Beziehungen führt, oder?«

Lukes Herz schlug schneller. »Ja. Schon. Aber wieso sollte jemand so etwas machen? Vor allem heutzutage, wo man sich nicht mehr verstecken muss.«

David blickte runter auf seine Finger, zupfte an ihnen herum. »Vielleicht … ist es ihr erst im Laufe der Beziehung klar geworden.«

»Dass sie lesbisch ist?«

»Ja.« David blickte Luke fast verzweifelt an. »So was gibt es doch, dass man erst später im Leben nach und nach draufkommt.«

»Jein«, sagte Luke. »Also ja, klar hört man von solchen Fällen. Aber ich persönlich glaube, dass das Selbstbeschiss ist. Wann immer ich von einem späten Coming-out gehört habe, haben die Betroffenen zugegeben, dass sie eigentlich schon als Teenager gewusst haben, was mit ihnen los ist. Nur haben sie es dann verdrängt oder bewusst ignoriert.« Wie du.

»Aha«, machte David schwach.

»Wie ist denn der Sex?«, platzte Luke heraus, und als ihm klar wurde, dass er den Karren nun schon in den Dreck gefahren hatte, ackerte er sich weiter durch den Morast. »Ich meine, wenn sie lieber mit Frauen schlafen würde, würde sich das doch irgendwie bemerkbar machen. Also ich kann mir nicht vorstellen, Sex mit einer Frau genießen zu können.«

»Ja, weil du weißt, wie es mit einem Mann ist«, schoss es aus David. Dann schnappte er, von sich selbst erschrocken, nach Luft. »Ich meine … was wäre, wenn du, warum auch immer, bisher nur mit Frauen geschlafen hättest? Du würdest es doch für normal halten, wie es dir damit geht, oder? Du würdest vielleicht gar nicht auf die Idee kommen, dass es … anders sein könnte.«

»Schöner«, besserte Luke aus. »Geiler.«

David sank ein wenig in seinem Sitz zusammen. »Ja. Vielleicht.«

»Todsicher«, stellte Luke klar, und weil David nichts darauf sagte: »Genießt sie den Sex mit dir?«

David zuckte mit den Schultern. »Sie kommt. Also sie kriegt einen Orgasmus, wenn es das ist, was du meinst.«

»Einen Orgasmus kann man sich auch selbst verschaffen«, meinte Luke patzig. »Das heißt noch nichts.«

David verfiel in Schweigen. Minutenlang sagte er nichts, starrte nur aus dem Fenster und atmete immer wieder tief durch. Er grübelte.

War Luke zu direkt gewesen? Immerhin hatte David wegen dieses Themas geheult. Geheult! Luke schluckte und verfluchte sich. Andererseits … sie redeten darüber! Das war doch was! Das war ein Schritt in die richtige Richtung.

Hoffentlich.

»Sie ist nicht ganz bei der Sache«, sagte David auf einmal leise. »Schon eine ganze Weile.«

Luke hielt den Atem an.

»Wir treiben es nur noch selten. Meistens hat sie keine Lust – oder sie lässt es über sich ergehen, damit sie Ruhe gibt. Ich! Damit ich ruhe gebe.« David setzte sich auf und wischte mit den Händen über seine Oberschenkel. »Sagst du mir dann bald, wohin du mich entführst?«

»Wir sind gleich da«, versprach Luke – und dann, nach einer kleinen Pause. »Keinen Sex mit dir zu wollen, heißt noch nicht, dass sie lesbisch ist.« Er grinste. »Wobei – vielleicht doch. Kein Mensch, der sie noch alle beisammen hat, würde auf Sex mit dir verzichten.« Was dann wohl bedeutet, dass ich sie nicht mehr alle beisammen habe.

»Na ja«, erwiderte David lächelnd. »Du sagst ja immer, dass sie einen Knall hat.«

»Ja«, krächzte Luke. »Den haben wir wohl alle.« Und ich den allergrößten. Dann entdeckte er das Schild und setzte den Blinker. »Wir sind gleich da.«

Neugierig neigte sich David nach vorn.

Vor ihnen, mitten im staubtrockenen, verdorrten Gras, standen eine Gruppe bunt gekleideter Leute und ein Hubschrauber. Luke lenkte den Wagen über die holprige Wiese zu ein paar wild parkenden Autos und zog den Schlüssel ab.

»Ist es das, was ich denke?«, fragt David aufgeregt.

Luke zupfte einen Zettel aus dem Fach an der Tür. »Wenn du an einen Fallschirmsprung denkst, dann ja«, sagte er grinsend und hielt David die Anmeldung hin. »Alles Gute zum …«

»Danke!«, brach es aus David heraus. In einer zügigen Bewegung überwand er Schalthebel und Handbremse und packte Luke mit beiden Händen an den Wangen, um ihm einen Kuss auf die Stirn zu drücken. Dann glitten seine Finger in Lukes Nacken und von da weiter zu den Schultern. Er drückte das Kinn in seine Halsbeuge und zog ihn an seine Brust. »Danke, Mann! Danke!«

Völlig überrumpelt keuchte Luke auf. Behutsam legte er die Hände auf Davids Seiten und befühlte die harten Muskeln. Als er jedoch weiter über den Rücken streicheln wollte, löste sich David aus der Umarmung, wobei er Luke – war es nur Einbildung? – einen flüchtigen Kuss unters Ohr drückte.

Dann zupfte David Luke den Zettel aus der Hand und las ihn. »Du bist irre«, faselte er. »Du bist einfach irre.« Er strahlte Luke an. »Du weißt, was ich will.«

»Das ist nicht so schwierig«, gab Luke zu. »Du redest doch oft genug davon.« Und du würdest auch das andere von mirkriegen, wenn du darüber reden würdest.

»Springst du ebenfalls?«

»Nein, nein.« Luke hob abwehrend die Hände. »Ich passe derweil hier unten auf alles auf.«

»Höhenangst«, erinnerte sich David.

»Hüter bodennaher Angelegenheiten klingt schicker«, meinte Luke.

David lachte. Auf einmal wurde sein Blick eigenartig weich – einen kribbelig intensiven Moment lang sahen sie sich nur an – dann wandte er sich ohne weiteres Wort der Tür zu und sprang aus dem Wagen.

Kapitel 7 – Freier Fall

Schwankend hob der Hubschrauber vom Boden ab, drehte sich herum und rauschte fast senkrecht in die Höhe. Die Leute duckten sich unter dem Sturm aus Staub, den die Rotorblätter auslösten – nur Luke blieb aufrecht stehen und blickte hoch zum Bauch des Helikopters, in dem David saß.

Warum auch immer, plötzlich traten Tränen in seine Augen. Er liebte diesen Mann, liebte ihn so verzweifelt, und ertrug fast nicht mehr, bloß sein Kumpel zu sein. »Bitte«, sagte er in den Lärm hinein, den der Hubschrauber verursachte, »bitte lass das, was du in dein Tagebuch geschrieben hast, Wirklichkeit werden. Ich liebe dich.«

Der Helikopter drehte ab und die Sonne knallte in Lukes Gesicht. Er wandte sich ab und blinzelte.

»Was für ein Staub«, meinte eine ältere Dame neben ihm, wischte sich die Augen und hielt ihm eine Packung Taschentücher hin. »Brauchen Sie eines?«

Erst wollte Luke ablehnen, doch dann zupfte er doch eines heraus und wandte sich von ihr ab, um sich die Tränen aus dem Gesicht zu wischen. Allein diese Geste, ihre Notwendigkeit, das Bild von Elend, das er abgeben musste, holte eine weitere Welle aufgestauter Gefühle hoch. Entschlossen stapfte er von der Gruppe weg, immer tiefer hinein ins kniehohe Gras. Er musste jetzt allein sein.

Schließlich warf er einen prüfenden Blick zurück. Er war weit genug entfernt. Niemanden interessierte, dass er sich abgesetzt hatte. Kurz entschlossen legte er sich ins knisternde Gras, als wollte er einen Schnee-Engel machen, schirmte die Augen vor der Sonne ab und erhaschte einen Blick auf die Libelle, zu der der Hubschrauber mittlerweile geworden war. Die Sonne blendete zu sehr, also schloss er die Augen. Durch das grelle Licht pulsierten die Lider hellrot. Der Stoff der Kleidung wurde ofenwarm, dann sickerte die Hitze in den Körper. Ein paar Halme und vertrocknete Blüten kratzten im Rücken.

Eine ganze Weile dachte Luke gar nichts, genoss nur die verrückte Idee, hier zu liegen. In der brütenden Sonne. Im verdorrten Gras. Irgendwo über ihm David im Korpus eines Hubschraubers, um in wenigen Minuten vom Himmel zu fallen.

Lukes Bauch begann zu kribbeln. Er stellte sich vor, wie David zu ihm herabsegelte, wie er nur wenige Meter vor ihm landete – dass David im Tandem sprang, verdrängte Luke einfach mal –, und strahlend auf ihn zulief. Der Fallschirm, dünn wie eine Milchhaut, bauschte sich hinter ihm, als er ihn über die Wiese schleifte. Luke wollte sich einen Kuss vorstellen, aber er konnte nicht. Sein Hirn blendete einfach aus, wie aus einer Szene in einem Film, und ließ ihn bedürftig und voller Sehnsucht zurück.

Ob David richtig von Sex träumte? Mit allem Drum und Dran? In Lukes Träumen kam es nie zum Vollzug. Die Dinge bahnten sich an oder er befand sich plötzlich mitten in einer zweideutigen Position, aber ehe es zur Sache ging, wachte er auf. Immer. Leider hatten auch seine Tagträume Grenzen und er konnte nicht einmal genau sagen, ob er sie bewusst setzte, oder sein Unterbewusstsein verhinderte, dass er gedanklich zu weit ging.

Luke konnte sich zwar keine Zärtlichkeiten mit David herbeiträumen – sie sich nur wünschen und verzweifelt herbeisehnen –, aber er konnte sich erinnern. Die Erinnerung klappte auch nach zehn Jahren so gut, als wäre sie erst gestern Nacht entstanden. Nun – Luke hatte sie aber auch aufgewärmt, tausende Male. Würden Neurowissenschaftler sein Gehirn scannen, würden sie einen wollfadendicken Strang Synapsen finden. Das war die Nacht, in der Luke zwanzig wurde. Die Nacht des Kusses. Die Nacht des Pakts. Die Nacht, die David vergessen hatte.