Zuleika - Bernardine Evaristo - E-Book

Zuleika E-Book

Bernardine Evaristo

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Beschreibung

Ein bestechender Roman über ein Mädchen von Heute in der Welt von Gestern – von der Autorin des preisgekrönten Bestsellers Mädchen, Frau etc. Zuleika lebt als Schwarzes Mädchen im pulsierenden London des Römischen Reichs. Sie ist das Kind nubischer Einwanderer, ihr gehört die Straße. Mit elf Jahren verheiratet ihr Vater sie an einen reichen Patrizier. Doch Zuleika fügt sich nicht stillschweigend in ihr Schicksal. Hartnäckig kämpft sie um Freiheit in einer Stadt, deren Gesetze von Geld, Sex und Macht bestimmt werden. London, 211 n. Chr.: Zuleika ist widerspenstig, schlagfertig und außerordentlich schön. Und sie ist meist auf sich allein gestellt. Doch ihre Freiheit findet ein jähes Ende, als sie von ihrem Vater mit elf Jahren an einen alten fetten Römer verheiratet wird. Trotz aller Widrigkeiten macht sie das Beste aus ihrer Situation. In ihrem goldenen Käfig liest sie die großen Dichter, beginnt selbst zu schreiben und zieht heimlich mit ihren alten Freundinnen um die Häuser. Von wahrer Liebe hat sie keinen blassen Schimmer. Dann begegnet sie dem Kaiser Septimius Severus – und ihre Welt wird aus den Angeln gehoben. Sie beginnt eine leidenschaftliche Affäre mit ihm, wohl wissend, dass ihr als treuloser Ehefrau der Tod durch Vergiften droht. Aber Zuleika will um jeden Preis in glühenden Versen ihre eigene Geschichte erzählen. »Evaristo verwandelt Politik und Geschichte in eine funkelnde Prosa. Ein Triumph.« The Times

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Seitenzahl: 174

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Dies ist der Umschlag des Buches »Zuleika« von Bernardine Evaristo, Tanja Handels

BernardineEvaristo

Zuleika

Roman

Aus dem Englischen von Tanja Handels

Tropen

Impressum

Dieses E-Book basiert auf der aktuellen Auflage der Printausgabe.

Das vorangestellte Zitat entstammt dem Essay »Der Kritiker als Künstler« von Oscar Wilde, übersetzt von Paul Wertheimer.

Tropen

www.tropen.de

Die Originalausgabe erschien unter dem Titel »The Emperor’s Babe« im Verlag Hamish Hamilton, London

© 2001 by Bernardine Evaristo

Für die deutsche Ausgabe© 2024 by J. G. Cotta’sche Buchhandlung Nachfolger GmbH, gegr. 1659, Stuttgart

Alle Rechte vorbehalten

Cover: Zero-Media.net, München unter Verwendung der Daten des Originalverlags

Illustration: Jon Gray

Gesetzt in den Tropen Studios, Leipzig

Gedruckt und gebunden von CPI – Clausen & Bosse, Leck

ISBN 978-3-608-50238-1

E-Book ISBN 978-3-608-12245-9

INHALTSVERZEICHNIS

Prolog

AMO AMAS AMAT

(INOFFIZIELLE) STADTFÜHRUNG DURCH LONDINIUM

DER VERRAT

DAS VERLÖBNIS

OSMOSE

BIS DASS DER TOD UNS

II 

METAMORPHOSE

ZWEI HEISSE CHICAS

SCHWESTER FAMILIAS

ZULEIKA UND IHRE GIRLS

ANDERE WELT, NATALE SOLUM

III 

PRIMUM DETERGE EAM

CAPISTRUM MARITALE

MODUS VIVENDI

WIE DOCH DIE ZEIT VERFLIEGT, WENN MAN SPASS HAT

AB ASINO LANAM

IV 

WICHTIGE STAATSANGELEGENHEITEN

LEISE STIMME ZUR SCHLAFENSZEIT

CUMULONIMBUS

ZULEIKA GEHT INS THEATER

BESESSEN

DUM VIVIMUS, VIVAMUS ODER: GIRLS TALK

ZWEI TEILE EINES GANZEN: PASSGENAU

VENUS BLICKT FREUNDLICH AUF DAS SPIEL DER LIEBENDEN

MEIN LEGIONARIUS

POSTKOITALES DENKEN

VI 

POSTKOITALE UNTERREDUNG

DIE SPRACHE DER LIEBE (I)

DIE SPRACHE DER LIEBE (II)

AMARI ALIQUID

VII 

ZULEIKAS AUSFLUG IN DEN ZIRKUS

NULLI SECUNDUS

ABYSSUS ABYSSUM

ENTFESSELT ALLES ÜBEL DIESER WELT

VIII 

SO GEHT’S ZU DEN STERNEN

VERBOSA ORGIA

DUM SPIRO, SPERO

POST MORTEM

IX 

KRIEGER IST JEDER, DER LIEBT

WENN MAN AM WENIGSTEN DAMIT RECHNET

VALE, ADIEU, MEIN LIBYER

ALBATROS

DIE SPRACHE DER LIEBE (III)

ANIMULA VAGULA

DOMUM DULCE DOMUM

EXITSTRATEGIE

DER PREIS, DEN DU BEZAHLST, SCHÖNE GATTIN

VADE IN PACE

EPILOG

VIVAT ZULEIKA

DANKSAGUNG

Für Nicholas

Das eben ist unsere einzige Pflicht der Geschichte gegenüber: Wir müssen sie umschreiben.

Oscar Wilde

Prolog

AMO AMAS AMAT

Wen kannst du lieben? Wen kannst du noch lieben,wenn sich dein angetrauter Gatte über Monate

absetzt, Aufstände an den Grenzen kleinhältoder in Rom den großen Senator spielt;

in seiner fancy Villa auf dem Palatinwohnt, wie ich höre, eine andere Frau,

die ihm schon Sprösslinge geboren hat.Ich streife Tag für Tag durch dieses Haus

mit seinen Mosaiken, Götterszenen,mein Gatte liebt nämlich das Melodram.

Es heißt, die andere ist Schauspielerin,mehr der flachsblonde Typ aus Germania Superior.

Was waren alle neidisch auf mich, die bella negritaaus einem Hinterzimmer an der Gracechurch Street,

die sich ’nen Patrizier aus Rom geangelt hat,obwohl ihre Eltern übers Meer aus Khartum kamen,

ganz ohne glänzenden Thron und goldenes Heck,stattdessen proppenvoll mit kotzenden Blagen

und Kühen, die ihnen dampfende Fladenauf die nackten Füße kackten. So parfümiert

zogen sie nach Londinium ein, auf einem Esel,mit schmalem Geldbeutel und fetten Träumen.

Hier im Niesel dieser Stadt im wilden Westenirrte Dad durch die Straßen, suchte Arbeit,

doch in der Herberge war für ihn kein Platz,also bezog er Posten in der Gosse

und bot Mums süße Küchlein feil.(Die Story habe ich mille Mal von ihm gehört.)

Jetzt hat er viele Läden, verkauft allesvom Wein bis hin zu Schuhen, Grün- und Werkzeug

und stellt die halbe Welt zur Arbeit ein,Syrer, Tunesier, Juden, Perser und andere

Kandidaten frisch vom Olivenschiff aus Gallien,bereit zu schuften für ein bisschen Kies.

Als Felix mich dann wollte, war Dad selig,Lucius Aurelius Felix höchstselbst zum Schwiegersohn!

Im Bad von Cheapside hat er mich entdeckt,noch kaum erblüht, mein Schicksal schon besiegelt

durch einen Mann, dreimal so alt und breit wie ich,und ich erst zarte elf – schon da fand Dad,

ich würde langsam ranzig.Ich kam dann zu Clarissa, einer arroganten

Römer-Bitch, die mir Benimmstunden erteilte,ich lernte reden, essen, furzen,

mein amo amas amat runterbeten und mein Plebejer-Kreolisch in die Tonne treten.

Zuleika accepta est.

Zuleika delicata est.

Zuleika Scheiß-Musterkind vom Dienst est.

Dabei wollte ich Mosaike legen, die Stadt neu schaffen aus Glas und Glitzersteinen.

Doch nein! Numquam! Strengstens verboten.Klar bringt Felix mir Geschenke mit, wenn er

sich mal hier blicken lässt: Seide aus China,türkische Marmorstatuetten, Goldohrringe,

die aussehen wie Delfine, und ich bin meinem Mannvon Herzen zugetan, versteht sich,

halbwegs zumindest, obwohl er schwabbelt wie Hefeteigund ich beim Akt oft gern die Küche bäte,

seitlich was wegzuschneiden, damit er auf mich passt.Dann Schall und Rauch und wieder heißt’s: Ciao, Baby!

Einsamo, einsamas, einsamurks!

I

(INOFFIZIELLE) STADTFÜHRUNG DURCH LONDINIUM

Eben noch barfuß Hüpfkästchen gespielt,plötzlich vier Fuß hoch in der Sänfte, Hauptsache,

die rosa Strümpfe werden nicht dreckig. Kein Menschhat mich auf diese Ehe vorbereitet. Alba und ich,

wir waren die wildesten Gören von Londinium,immer den Geheimnissen seiner verborgenen

Herzen auf der Spur, selbst noch zu jung,um nicht alles zu zeigen, was wir fühlten,

und noch nicht Teil der lustigen Schauspieltruppe.Sie war wie eine Lumpenpuppe ohne Füllung:

stachliges braunes Haar, ganz kurz wegen der Läuse,und alle meinten, sie sei entweder magersüchtig oder habe

Würmer, dabei war Alba einfach nur damit beschäftigt,der dulcis vita nachzujagen, und verbrannte,

was immer sie aß, bevor Fettpolster draus wurden.Mich lockte sie zu den gefährlichsten Streichen,

Komplizinnen waren wir, Banditinnen, Abtrünnige,sie sagte, es gebe schließlich mehr im Leben

als mit beschissenen Puppen spielen, Unruhe stiftenzum Beispiel und heimlich rausfinden,

was die Erwachsenen unter sich so treiben.Wir wollten von den Reichen nehmen,

den Armen geben und selbst fünfundsiebzigProzent behalten, in einer fetten Villa wohnen

mit tausend Sklaven, die uns Kuchen fütternrund um die Uhr, aber einstweilen

führte ihr Vater die Metzgerei zwei Häuser weiter undmeinem war völlig wurscht, was ich so trieb.

Für seinen kostbaren Catullus gab’s Rechenbrettund Tafel, für mich Nähzeug und Wimpernzange.

Sogar einen Pferdeschwanz hat er gekriegt für seinen Lockenkopf, damit er in der Schule

zu den vornehmen Römerkindern passt.Mit seinen nackten Füßen. Allein die Vorstellung!

Manchmal zogen wir durch die Mietskasernenvon Aldersgate. Dann zockelte er wie ein riesiges

Faultier hinter uns her, die großen trüben Augenschläfrig auf Halbmast (wie bei seinem Vater),

und bettelte uns an, langsam zu machen; ich sagte dann:»Verpiss dich halt, du kümmerlicher Knirps«,

und ließ ihn stehen, während wir weiterrannten,hin zu den Slums, wo’s wimmelte von Eingewanderten,

Freigelassenen und Werkarbeitern (den üblichen Verdächtigen).Wir spielten Klopf-klopf-lauf-weg, warfen mit Steinen,

zerschlugen Scheiben, dann durch die nächste Gasseabhauen, ungesehen, zurück nach Hause, außer Puste

und ganz zerbissen von Sand- und anderen Flöhen. Und weil das Abwasser im Freien zwischen

den Pflastersteinen floss, waren die Sommer-abende in meinem Viertel würzig,

Forellen brieten an Ständen, frisch ausder Themse, wir lebten von dieser Luft

oder liefen heim zum Essen in den Hinterhof,den Dad sein Atrium nannte. Vorausgesetzt,

der Stoßverkehr hielt uns nicht ab; die vielen Karren, die sich die Hauptstraße entlang zum Forum stauten,

um ihre Erzeugnisse abzuladen, von hier und anderswo.Manchmal hörte ich durch ein offenes Fenster

eine einsame Flöte und ließ das Atmen ………… sein.Später schlichen wir uns wieder raus, zum indirekten

Kitzel fleischlicher Freuden. Wie zwei Katerstrichen wir durch die dunklen Gassen, die Nasen

auf Witterung nach dem verheerenden Duft von Sex.Beim Blick durch kerzenhelle Fensterläden

staunten wir, dass die Erwachsenen sich ständig ausziehen mussten, um einander was reinzuschieben.

Männer und Frauen, Frauen und Frauen,Männer und Männer und alle denkbaren Mehrfachvarianten

stöhnten vor Schmerz. Fascinatio absoluta!Und dann begegneten wir auch dem Tod,

bei Lucian Africanus, dem Bäcker von Fenchurch.Ich wär die Tochter, die er niemals hatte, sagte er immer

(obwohl in seinen Augen »Frau« zu lesen stand)und gab uns frisches Brot, durchtränkt mit Honig.

Und unser Dank? Ein Einbruch nachts in seinen Laden,wo wir ihn fanden, schwer, schwarz, totenstarr,

in einer Wolke Mehl, die Wangen zwei angebrannte Brötchen,der Überschuss von Hefe im Gedärm entleert

am Boden. Das setzte unseren Missionen ein Ende,zumindest eine Zeit lang. Manchmal gingen wir auch

nachts an den Fluss, ließen uns nieder und blicktenhin zu den sumpfigen Inseln Southwarks

und weiter bis zum Urwald von Britannia, dervor Geistern und unzähmbaren Menschen strotzte.

Wir malten sie uns aus, die Welt jenseits der Stadtund das ein Leben weit entfernte Land, das Mum ihr

Zuhause nannte und Dad sein Gefängnis;und Rom, die Stadt, von der die Leute

schwärmten, sie wäre ach so mirabilis.Sprachen über beurlaubte Soldaten,

die in der Stadt rumhingen, überall,sie waren überall, stierten nach Ausbuchtungen

an unserer Brust, schauten, ob unsere Hüften sichschon wölbten, ob wir Taille kriegten, und immer

wählten sie mich, tatschten auf dem Markt an mir herum:Ist sie schon reif, die kleine Aubergine?

»Nein, ihr Scheißperversen«, fauchte ichund brachte mich schleunigst außer Grapschreichweite.

Manchmal hörten wir auch Gegrunzeam Ufer, was war da wohl unerlaubt

und außerehelich im Gang, wir riefen dannmit unseren tiefsten Stimmen barsch:

»He da, polizia!«, und schütteten uns aus vor Lachen,weil wir ihren blöden Beischlaf störten,

sie über die eigenen Füße fallen hörten, wenn siehastig das Weite suchten, und dann war alles

plötzlich ganz anders, und ich war verlobt. Ich durftenicht mehr raus, musste mich ladylike benehmen,

und Alba meinte, es wäre nicht mehr dasselbe,wenn ich erst mal gehobener Stellung war.

DER VERRAT

Endlich lass ab, der Mutterzu folgen: reif bist du für den Mann

Horaz

Zuerst bekam ich es durch Zufall mit, als ichfrüher als angenommen vom Badehaus

zurückkam, weil es voll gewesen warund wie so oft dann ich gesagt bekam: »Komm später wieder.«

Also bummelte ich die Straße hoch, belebtvon Kauflustigen – hatte keinen Bock, bei jedem Schritt

Salve! und Bene, gratias! zu sagen, zu Nachbarn, denen es piepegal war, wie’s mir ging,

fragte mich, ob Alba wohl zum Spielen käme,freute mich, dass es nach dem langen Winter

mit Lumpen an den Füßen, weil sie mir sonst abgefroren wären, Frühling wurde –

da seh ich draußen vor unserem Laden die schicke Sänfte stehen, samt vier goldschimmernden

Sänftenträgern im weißen, goldgestreiften Leinenrock, die wartend an der Mauer lehnten.

Ich lief das letzte Stück, der Laden wargeschlossen. Drinnen Stimmen, ich lauschte an der Tür.

»Ja, Mr. Felix, Sir. Zuleika sehr oboediens.Kein bisschen problemata, als Ehefrau optima, Sir.«

»Das freut mich sehr, denn als ich sie dort sah,beim Bad, stahl sie mein Herz. Fürwahr,

sie ist so … exquisita, so … pulcherrima,so köstlich wundersam in dieser, wie soll ich sagen,

sonst wenig einnehmenden kleinen colonia.Sie lässt mich an die Frauen in Aegyptus denken,

wo ich den Großteil meiner Jugend verbrachte,mein Vater war dort Statthalter, musst du wissen,

und mir sagten die Mysteriösen, Dunklen aus dem Südenbesonders zu, die mir die Glieder salbten,

mich ohne jeden Laut umwehten, und wenn sie verschwanden, ließen sie den Moschusduft

von Sandelholz aus Sansibar zurück. Ich suche jetzt schon länger eine Frau,

und naturaliter wünsche ich sie jugendlich,specialis, eine ausgefallene Blume.«

»Ja, Mr. Felix. Zuleika sehr specialis est.Sehr häuslich, ja, sitzt da und näht und schweigt,

ganz friedlich, gar nicht patzig.«»Wie schön. Ich selbst habe mein Junggesellenleben

aufs Äußerste genossen, Anlamani, aber der Teufel Einsamkeit ist mir ein unwillkommener Gast geworden.

Ich will mich hier im Westen niederlassen und mir das Heim mit einer Gattin wärmen.

Ich bin ein Mann mit vielen Neigungen: Senator,Geschäftsmann, General, ich unternehme

oft Handelsreisen für die Obrigkeitund bin Großgrundbesitzer, vor Kurzem erst

habe ich ganz Hertfordshire erworben. Nur eines hat mich niemals interessiert,

die Heerscharen einfältiger Debütantinnen,die jedes Jahr auf diesem Fleischmarkt namens Ball

verhökert werden, und dazu die Mütter, die mirihr faltiges, pudriges Dekolleté entgegenrecken, angeblich

zugunsten des verhätschelten, piepsigen Töchterchens.Meine geliebte mater, musst du wissen, starb jung,

so benevola war sie, dass sie mir als Knabeschrecklich gefehlt hat. Das tut sie wohl noch heute.

Womöglich fiel es mir deswegen bisher schwer, den Bundfürs Leben, wie es so schön heißt, zu schließen.

Wer eine Bindung knüpft, der kann sie auch verlieren,nicht wahr? Ich wünsche mir ein nettes,

ein ruhiges Mädchen, simplex und fidelis, eines,das mich nicht mit Affären hintergeht,

mich nicht mit schauderhaften Streitereien quältwie die drei späteren Frauen meines Vaters,

die mir – und ihm – das Leben zur Hölle machten,die ganz und gar dem Hedonismus unter

aristokratischen matronae frönten, wild entschlossen,mit ihrem Mann in allem zu wetteifern,

sich mit ihren erotischen Umtrieben brüsteten,den guten, sanften Mann vor aller Welt blamierten

und jederzeit bis in die Morgenstunden streiten konnten,ob über Politik, das Weltgeschehen oder Kunst.

Ist dir bekannt, dass Frauen sich heutzutagewie Männer kleiden und beim Wagenrennen antreten?

Es ist wahrhaftig weit gekommen mit der patria.Auch soll die Zukünftige keinen Ballast tragen –

ist meine Last denn nicht schon schwer genug?Für ihre Bildung werde ich natürlich sorgen

und sie in elegantia unterweisen, in ihrem Alterlernt sie noch schnell und leicht.

Wegen der Mitgift sorg dich nicht, die ist für michbedeutungslos, und selbstverständlich wird

unser negotium für dich von Vorteil sein.Wir können wohl mit Sicherheit behaupten,

dass dein Umsatz erheblich wachsen wird.«»Ihr seid ein Herr von viel benignitas, Sir.

Geht bei uns Jahre schon bergab, fast senkrecht.Ein Aufschwung oeconomicus wär sehr willkommen, Sir.«

»Kein weiteres Wort. Ich will dein Gönner sein.«Ich lugte durch einen Riss im Holz der Tür

(von denen gab es viele) und sah einen alten Mann,viel größer als mein kleingewachsener Vater,

der noch dazu so dürr war, dass sein krummer Rückenwie im Verbeugen festgefroren wirkte. Auch war der andere

viel dicker als Paps, kurzum: fettleibig.Auf dem Gesicht, glatt und olivenfarben, trug er

die Arroganz des waschechten Patriziers,sein schütteres braunes Haar war nach der Mode

zur Topffrisur geschnitten, und die orangeund weiß gestreifte Toga war aus edlem

Leinen gemacht und warf hochelegante Falten,er trug etliche Goldringe mit bunten Steinen,

und als mein Blick langsam nach unten wanderte,sah ich seine Beine: dünn, behaart und krumm.

Worauf die meinen mich, so schnell es ging,die Straße runtertrugen, nicht mal bei Alba

hielt ich an, noch fand ich keine Worte.Ich rannte bis zum abschüssigen Ufer

des Flusses Fleet, weit weg vom Hafen,dort brüllte ich so lange aufs Wasser ein,

bis mir der Hals wehtat und aller Speichelversiegt war, es kümmerte mich nicht,

dass ringsum alle Fischer beim Flicken ihrer Netzeinnehielten, um mich anzustarren.

Stundenlang blieb ich dort, und als es dunkel unddas Ufer leer war, zog ich mich aus,

warf mein schäbiges grünes Kleid auf den Kies,trat in das kalte Wasser und schwamm bibbernd

weit, weit hinaus. Das brauchte ich, um wiederzur Ruhe zu kommen, hatte es oft gemacht.

Als ich mich umsah, war die Stadt erleuchtetvon Lampenschein, Fackeln flackerten in Fenstern

und vor den Türen der Häuser auf den Hügeln. Ich musste mich in mein Schicksal fügen, das war klar. Ich konnte

zahllose Trotzanfälle kriegen, darin war ich Expertin,und trotzdem würde alles seinen Gang gehen.

So viel imperium lag in der Stimme des Mannes,so fürchterlich war sein Verlangen nach mir.

Ich schwamm auf die Lichter zu und trieb mich an,das eisig kalte Wasser zu bezwingen,

bevor mein Körper sich in Krämpfen wand.Aber was war mit meiner liebsten mater?

Bestimmt hatte Dad sie einkaufen geschickt.Ich dachte daran, wie sie die Wörter

ausspuckte wie knorpeliges Rindfleisch, bis heute hasste sie ihre neuerlernte Sprache:

Zuks! Hol mir Kurk-hen! Plumen-k-hohl!Keh-treide-mehl!

Mit Oberarmen, lappig wie durchweichter Papyrus, wedelte sie vor Dad herum.

Mehr! Mehr! – sie rieb Daumen und Zeigefingerin einer gierigen Mach-Kohle-Geste.

In Nubia besser! Er drehte sich weg, bediente die nächsten Kunden, scherzte mit ihnen,

während sie finster blickte, sich das weite schwarze Gewand über den Kopf zog und sich in ihre

Ecke hockte, still wie ein Sack Kartoffeln.Als kleines Kind kroch ich in diese Hülle,

machte aus ihrem Atem meinen.Ein süßer Zahn hatte die anderen

zerstört, ihre Wangen waren zerfurcht undausgetrocknet, geboren hatte sie, doch meist

nur Geister, und all die Totgeburten lasteten schwer. Mich zerrte sie durch die Straßen,

ich flog wie ihr Gewand im wilden Wind.Ihr Schatz Catullus kam drei Jahre später,

ein Wunder, bloß wegen seines Pimmels.Mich ließen sie zwar nicht direkt vor der Stadt

verhungern, aber ich wusste schon mit drei,wer einmal Papsens Königreich bekäme.

Ich hab gelitten, du musst leiden auch.Ihre Augen wirkten wie Nigrosin, das Weiß darin

war braun, und weich wurden sie nur, wenn sie Catullusin den Schlaf wiegte, leise nubische Lieder summte –

im Schneidersitz auf der Matte, die hinter der Thekeunseres ersten Gemüseladens an der Milk Street

Sofa und Bett in einem war. Mir wucherten Geschwüre im Mund, ich konnte nicht schlafen,

Dad stach sie auf, ich biss die Zähne zusammen,um bloß das Jesuskind nicht aufzuwecken,

immerzu drauf versessen, durch die Nacht zu rennen,bis an den Fluss, und darin zu verschwinden,

jetzt schwamm ich tief in ihm, hievte michmit steifgefrorenen Gliedern hoch ans Ufer,

machte mein Kleid patschnass und lief zurückdurch die verlassenen Straßen,

spürte mein Blut warm werden, die Gelenkewieder beweglich, und nahm nichts mehr wahr,

nur meine Sandalen auf dem harten Boden,mein raues, abgehacktes Keuchen. Ich rief nach Alba,

sie hörte mich, ganz hinten, wo sie schliefen,kam aber rasch nach vorne an die Tür,

als sie mich sah, drehte sie sofort um, kam wiederund hüllte mich in ihre graue Decke, die

an meiner nassen Haut wie Disteln kratzte.Sie setzte sich mit mir hin, wir zwei allein,

im Dunkeln traute sich kaum jemand raus.Dann rieb sie mir den Rücken. »Zeeks. Was ist?«

DAS VERLÖBNIS

Von Verlangen durchtränkttreiben seine Pupillen

im kaltblauen Januarhimmel,zeigen kein Erbarmen,

so sehr auch meineauf Unschuld plädieren.

Ein kleiner goldener Reif,mein Herz zu binden,

liegt in der feuchten Furcheseiner Werberhand,

Spinnen krabbeln ihmdie Unterarme hoch,

ich bin auf einer Höhemit seinem beigefarbenen

Leinenbauch, dem schwarzen,tiefgeknüpften Ledergurt.

»Die Ägypter«, verkündet er, »entdeckten einen höchst empfindsamen Nerv

am digitus anularis, fürwahrdem einzigen Finger

mit direkter Verbindungzu unserer größten Gabe:

des Menschen Herz.Und so anverlobe ich mich dir mit diesem Ring,

Zuleika,geliebte Tochter

Anlamanis, unseres Mannes aus Nubia.«Er nimmt meine schlaffe Hand,

fülltdas bebende Gold

und zieht sich,unter Beifall,

endlosendlos

langsam zurück, doch ichsenke die Hand,

und Cupidos hübscheskleines Meisterstück

kullert zu Boden,unter Bestürzung.

Dann lächle ich,mein Blick

hält seinen, unverwandt.Meine größte Gabe

hat er damit verbannt.

OSMOSE

I

Die Matte aus Stroh, der Boden aus Lehm,Schnee wehte herein, und wir lagen zu dritt

in einer Reihe, mein wachsamer Vater schütteltedie Wasserlachen von der Rindslederdecke,

denn unser ärmlicher Holzverschlag von Ladenbot wenig Schutz vor winterlichen Stürmen.

II

Mum und er, vor langer Zeit,das Familienerbe, erzählte er flüsternd,

war ein Menschenband zum König von Meroe,seit Generationen ungebrochen,

seine Geliebte ihrer beider Mutter.

Ist meine Mutter dann auch meine Tante?

Bin ich dir Tochter und Nichte zugleich?

Bin ich mir selbst Cousine?

III

Dad schien gekränkt. Sie hatten beidedasselbe Profil, dieselbe Herkunft wohl.

»Es gibt nun einmal Dinge, die man nurmit den Seinen teilen kann.

Ist man versklavt, träumt man davon, entwederselbst Sklaven zu besitzen oder sie zu befreien.«

IV

Ob wegen einer Hungersnot, Seuche oder Flut(das wechselte andauernd): Der König

starb, Chaos im Palast, sie flüchtetenzweihundert Kilometer nach Khartum,

in einer Karawane, die Sorghum,Melonen und Linsen in Säcken exportierte.

V

Ein Jahr lang reisten sie,bis sie ihr Ziel erreichten, schliefen im Wald

oder im Gasthaus, verkauften Amethyste und Chrysolithe,aus dem Palast gestohlen, und sie wehrte

sich gegen jeden weiteren Schritt, sie sehntesich nach der Stadt Meroe und nach Sicherheit.

VI

Rom ließen sie aus mit seinenvielen Äthiopiern, zu überfüllt,

bekamen sie gesagt, dann aber hörten sie vonLondinium, draußen im wilden Westen,

ein Meer zu überqueren, dann könne man dortMillionen von Denaren machen.

VII

Hinter seinem kratzigen Umhang bibberte ich,er murmelte im Schlaf, quoll über

vor Plänen, und unter seinen Kleidernbrannte ein Feuer, ich schob meine Finger

in seine heißen Achseln, er drückte zu, und ichspürte, wie er mir das Eis aus meinen Adern zog.

VIII

An meinen Rücken drängten sichvor Milch berstende Brüste

für den herannahenden Gottessohn, raubtenmir meine Wärme, Knöchel bohrten sich ins Rückgrat,

bis ich in Schlaf zerfloss und beim Aufwachen