Zwei wie Hund und Katz - Jen Turano - E-Book

Zwei wie Hund und Katz E-Book

Jen Turano

5,0

Beschreibung

Illinois, 1880: Eigentlich ist Arabella Beckett nur nach Gilman gereist, um eine heiratswütige junge Frau davor zu bewahren, sich an einen völlig Fremden zu binden. Doch die Angelegenheit geht gründlich schief: Beide landen hinter Gittern. Hilfe naht in Gestalt des Privatdetektivs Theodor Wilder, der die abenteuerlustige Arabella wieder nach Hause bringen soll. Als sie sich jedoch als streitbare, dickköpfige Frauenrechtlerin entpuppt, würde der Chauvinist sie am liebsten genau dort lassen, wo sie ist. Doch sehr zu seinem Leidwesen kreuzen sich ihre Wege nach ihrer Rückkehr nach New York immer wieder ...

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Seitenzahl: 492

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Über die Autorin

Jen Turano wuchs in der Kleinstadt St. Clairsville, Ohio, auf, zog aber später nach Buffalo im US-Bundesstaat New York. Mit dem Schreiben begann sie, als ihr kleiner Sohn ihr erzählte, dass er die Geschichten, die sie sich selbst ausgedacht hatte, genauso sehr mochte wie die in den Büchern.

Jen liebt es, humorvolle Geschichten mit skurrilen Charakteren und spannenden Verwicklungen zu verfassen – und sie schreibt historische Romane, weil sie diese schon als Teenager selbst gern gelesen hat. Von ihr auf Deutsch erschienen: „Die falsche Gouvernante“.

1

Gilman, Illinois, November 1880

iss Arabella Beckett war immer stolz darauf gewesen, dass sie niemals im Gefängnis gelandet war.

Nun, damit war es jetzt vorbei.

Ihr Blick wanderte über die rauen Wände der Zelle und richtete sich dann auf den Fußboden, wo er an mehreren rostfarbenen Flecken hängen blieb, die wie Blutspritzer aussahen. Mit einem Stirnrunzeln stellte sie fest, dass ein kleiner Bach aus schmutzigem Wasser auf die Flecken zulief und dann weiterfloss. Sie schaute nach unten und merkte erst jetzt, dass das braune Wasser vom triefnassen, schmutzigen Saum ihres Kleides stammte.

Arabella zog ihren Rock hoch, stieg über das Wasser und humpelte zu einer Steinbank hinüber. Sie ließ sich darauf nieder und stöhnte unwirsch, als etwas zweifellos Widerliches über ihren Rücken lief. Sie ignorierte es und wollte gar nicht so genau wissen, was es war.

Wieder einmal hatte ihr Drang, sich in Dinge einzumischen, die sie nichts angingen, sie in die Bredouille gebracht.

Sie hätte sich an ihren ursprünglichen Plan halten sollen, von Chicago direkt nach Hause nach New York zu fahren. Stattdessen hatte sie sich bereit erklärt, einer gewissen Mrs James – einer Dame, die sie zufällig am Bahnhof kennengelernt hatte – zu helfen, ihre auf Abwege geratene Tochter aufzuspüren.

Sie warf einen schnellen Blick auf die junge Frau, die auf der einzigen Pritsche in der Zelle tief und fest schlief, und atmete hörbar aus. Es hatte keinen Sinn, sich damit aufzuhalten, was sie hätte anders machen sollen. Tatsache war, dass sie in Gilman aus dem Zug gestiegen war und jetzt mit dieser Entscheidung leben musste. Wenigstens konnte sie sich damit trösten, dass sie Miss James vor einem Schicksal bewahrt hatte, das bestimmt schlimmer gewesen wäre als der Tod.

Arabella lehnte den Kopf an die kalte Mauer, ignorierte ihren vor Schmutz triefenden Rock, der jetzt unangenehm an ihren Beinen klebte, und zwang ihren müden Verstand, klar zu denken.

Sie war angeklagt, vier Männer tätlich angegriffen zu haben. Was völlig lächerlich war, da sie überhaupt niemanden angegriffen hatte, und ganz bestimmt nicht vier Polizeibeamte.

Wenn diese Gesetzeshüter die Höflichkeit besessen hätten, ihr die Sache zu erklären, bevor sie versucht hatten, sie gefangen zu nehmen, hätte sie sich wiederum nicht gezwungen gesehen wegzulaufen. Außerdem hätte sie bestimmt keinen Fluchtweg gewählt, der durch einen stinkenden Schweinekober führte.

Sie hatte unmöglich wissen können, dass auf der anderen Seite dieses völlig harmlos aussehenden Zauns ein gemeingefährliches Schwein lauerte. Sie war erst wenige Schritte weit gekommen, als dieses Ungeheuer direkt auf sie losgestürmt war. Durch diesen beunruhigenden Umstand hatte sie sich genötigt gesehen, auf dem Absatz kehrtzumachen, soweit es auf dem schlammigen Untergrund überhaupt möglich war, und schleunigst zurück zum Zaun zu fliehen. Dabei hatte sie sich an den verblüfften Gesetzeshütern vorbeigedrängt, die sie verfolgten. Rückblickend wäre es vielleicht ratsam gewesen, sie vor dem zu warnen, was ihr auf den Fersen war, aber sie war durch ein lästiges, vom Zaun abstehendes Holzstück abgelenkt gewesen, an dem sie mit den Haaren hängen geblieben war. Und während sie bemüht war, sich davon zu befreien, hatte das Schwein die Polizisten ins Visier genommen.

Der Anblick war nicht gerade schön gewesen.

Körper waren herumgeschlittert, quiekende Schreie waren ertönt – nicht nur von dem Schwein –, und der stinkende Schlamm, der den Boden des Kobens knöcheltief bedeckt hatte, war auf alle Beteiligten gespritzt.

Dieser Vorfall hatte Arabella unglücklicherweise nicht gerade viele Sympathien eingebracht. Am allerwenigsten die von Sheriff Dawson, der kurzen Prozess gemacht und sie mithilfe eines gefährlich aussehenden Messers mit einem schnellen Schnitt vom Zaun befreit hatte.

Arabella hob die Hand an die linke Seite ihres Kopfes, wo sie völlig zerzauste, blonde Locken ertastete, die am Anfang des Tages noch gut zwanzig Zentimeter länger gewesen waren, nun aber nicht weiter als bis an ihr Kinn reichten. Sie strich ein letztes Mal über ihre Haare, ließ die Hand auf den Schoß sinken und bemerkte erst jetzt den Schmutz, der an ihren Fingern klebte. Entnervt rieb sie mit der Hand über den Stoff ihres Kleides. Als sie jedoch feststellte, dass sie dadurch nur noch schmutziger wurde, beschloss sie, dass sie sich auch später noch Gedanken um ihre mangelnde Sauberkeit und ihre fehlenden Haare machen könnte. Im Moment gab es wichtigere Dinge, um die sie sich kümmern musste.

Sie drehte den Kopf, betrachtete Miss James und konnte sich der Frage nicht erwehren, was nur in die junge Frau gefahren war, dass sie sich über eine Heiratsanzeige einen Ehemann hatte angeln wollen. Hatte die junge Frau zu so drastischen Mitteln gegriffen, weil sie von ihrer Familie unter Druck gesetzt worden war, oder war die Anzeige, auf die Miss James geantwortet hatte, so verlockend formuliert gewesen, dass die Frau einfach nicht hatte widerstehen können?

Es war wirklich traurig, dass Miss James – aus welchem Grund auch immer sie auf diese Anzeige geantwortet hatte – meinte, eine Frau wäre erst dann vollständig, wenn sie die Aufmerksamkeit eines Mannes genoss, selbst wenn sie besagten Mann vorher nie persönlich kennengelernt hatte.

Schließlich beschloss Arabella, dass sie ihre Zeit besser darauf verwenden sollte, sich zu überlegen, wie sie aus dem Gefängnis freikäme, statt sich den Kopf darüber zu zerbrechen, was in einer jungen Frau vorging. Sie schloss die Augen und wandte sich an Gott.

Gott, danke, dass du mich geführt und mir geholfen hast, Miss James zu befreien. Bitte beschütze sie weiterhin. Und wäre es vielleicht möglich, dass du mir Hilfe schickst?

Sie öffnete die Augen und nickte. Das müsste helfen. Gott würde ihr einen Ausweg zeigen, aber bis dahin musste sie einen klaren Kopf bewahren und in Gedanken ihre Möglichkeiten durchspielen.

Sie hatte Rechte. Zugegebenermaßen waren diese sehr eingeschränkt, da sie eine Frau war, aber man konnte sie schließlich nicht endlos im Gefängnis festhalten, oder?

Doch sie wusste nur zu gut, dass die Rechte der Frauen jeden Tag von Männern willkürlich missachtet wurden, und knirschte unbewusst mit den Zähnen. Tatsache war, dass sie wirklich sehr lange hinter Gittern festgehalten werden konnte.

Sie hätte bei ihren Versuchen, die Gesetze zu ändern, besonnener vorgehen sollen.

Wenn man selbst hinter Gittern saß, sah man plötzlich die Benachteiligungen, unter denen Frauen litten, aus einer völlig anderen Perspektive. Aber jetzt war kaum der richtige Zeitpunkt, um sich darüber den Kopf zu zerbrechen.

Als sie ihren zerknitterten Rock glatt strich, blieb ihr Blick an ihrem Rocksaum hängen, der mindestens fünfzehn Zentimeter weit mit Schlamm bedeckt war. Plötzlich fiel ihr das Geld ein, das sie in diesem Saum versteckt hatte. Sie könnte dieses Geld dem Sheriff als Kaution anbieten und sich so ihre Freilassung erkaufen.

Nein, das würde nicht gut gehen. Sie atmete seufzend aus. Der Sheriff würde das Geld sicher als Bestechungsversuch werten und dann käme sie nie aus dieser kleinen Zelle heraus.

Das dumpfe Poltern von Stiefelschritten riss sie aus ihren Gedanken. Sie beugte sich vor und richtete ihre Aufmerksamkeit auf den schmalen Gang des feuchten, dunklen Kellergefängnisses, der zu ihrer Zelle führte.

Die Schritte hielten inne und ein Mann tauchte in ihrem Blickfeld auf. Es war sonderbar, aber sie hatte das untrügliche Gefühl, dass er verärgert war. Wahrscheinlich schloss sie das daraus, dass er sie durch die Gitterstäbe finster anstarrte.

Sie schluckte ein Seufzen hinunter. Da sie dafür bekannt war, dass sie ihren Standpunkt vehement vertrat, schien es unvermeidbarer Bestandteil ihres Lebens zu sein, sich immer wieder mit verärgerten Männern herumschlagen zu müssen. Sie beugte sich auf der Bank weiter vor und hatte die feste Absicht, den Mann anzusprechen, doch als sie sein Gesicht richtig sehen konnte, verschlug es ihr die Sprache.

Die Gesichtszüge dieses Mannes sahen aus, als hätte ein Künstler höchstpersönlich sie gemeißelt.

Hohe Wangenknochen ergänzten eine gerade Nase, und seine Augen waren genauso dunkel wie seine Brauen, die im Moment zusammengezogen waren, als denke der Mann über eine wichtige Angelegenheit nach. Ihr Blick wanderte zu seinen Haaren, die großzügig mit goldenen Strähnen durchzogen waren und im Moment ziemlich zerzaust aussahen, als wäre er sich vor Ärger mit den Händen durch die Haare gefahren.

Sie hegte den schleichenden Verdacht, dass sie die Ursache für diese Verärgerung sein könnte.

Ihr Blick wanderte nach unten und blieb an breiten Schultern hängen, die in einem Mantel aus weicher Wolle steckten.

Anwälte trugen solche Mäntel.

Vielleicht erhörte Gott ihr Gebet um Hilfe bereits. Und vielleicht war der Mann nur deshalb über sie verärgert, weil er mitten in der Nacht aus dem Bett geholt worden war, um sie aus dem Gefängnis zu befreien.

Mit einer etwas gnädigeren Einstellung diesem Mann gegenüber nahm sie sich noch einen Moment Zeit, um ihre genaue Prüfung abzuschließen. Er war sehr muskulös. Nein, das stimmte nicht ganz. Sie neigte leicht den Kopf. Er war eindeutig groß, über eins achtzig, soweit sie das sehen konnte, aber sein Mantel war an der Taille eng geschnitten und verlieh ihm ein gepflegtes Äußeres, während seine Schultern … Ein unerwarteter Schauer lief ihr über den Rücken.

Das war sonderbar. Einen solchen Schauer hatte sie noch nie erlebt, aber vielleicht lag das auch wieder nur an diesen ekligen Schmutzklumpen, die immer noch an ihr klebten. Nachdem sie eine Erklärung gefunden hatte, nickte sie erleichtert und betrachtete noch einmal seine Schultern, war aber unwillkürlich ein wenig beeindruckt. Sie waren breit und legten Zeugnis darüber ab, dass hier ein Mann vor ihr stand, der sich in schwierigen Situationen gut behaupten konnte.

Ihre Augen wurden größer, als ihr bewusst wurde, dass er ein Mann war, der Aufmerksamkeit erregte und der auch keine Probleme damit hätte, sie und Miss James aus dem Gefängnis zu holen.

Ihr Blick wanderte zu seinem Gesicht zurück. Als sie feststellte, dass sich sein Mund bewegte, runzelte sie die Stirn.

Seltsam, sie war so damit beschäftigt gewesen, diesen Mann zu begutachten, dass ihr völlig entgangen war, dass er mit ihr sprach.

Offenbar war sie in diesem Moment sowohl mit Taubheit als auch mit Stummheit geschlagen.

„Entschuldigen Sie bitte, Sir“, begann sie, als sie endlich die Sprache wiedergefunden hatte. „Haben Sie mit mir gesprochen?“

Der Mund des Mannes hörte auf, sich zu bewegen, und er bedachte sie mit einem Blick, den man nur als ungläubig beschreiben konnte. Dann nickte er.

„Wären Sie bitte so freundlich und würden wiederholen, was Sie gesagt haben?“

„Ich habe mich erkundigt, ob Sie Miss Arabella Beckett sind.“

Seine Stimme war tief und ein wenig rau und es schwang unüberhörbar Ungeduld darin mit. Sie ignorierte die Gereiztheit, die sich in ihr breitmachte, und zwang sich zu einem Lächeln. „Ich gebe zu, dass ich in der Tat Miss Beckett bin. Darf ich zu hoffen wagen, dass Sie gekommen sind, um meine Freilassung zu erwirken?“

„Ich fürchte, mir bleibt keine andere Wahl.“

Ärger brodelte in ihr auf, aber bevor sie eine passende Erwiderung auf seine missmutigen Worte formulieren konnte, fuhr er mit der Hand durch seine unordentlichen Haare, trat einen Schritt vor und hob tadelnd einen Finger.

Es kam ihr so vor, als wäre sie plötzlich wieder in der Grundschule und würde für einen dummen Streich gescholten.

Ihr Ärger kochte fast über.

„Sie haben mich kreuz und quer durchs ganze Land gejagt, Miss Beckett“, knurrte der Mann. „Sie sollten eigentlich in Chicago sein und vorher waren Sie angeblich in Kansas. Vielleicht können Sie sich meine Überraschung vorstellen, als ich Ihrer Spur nach Gilman folgte, um hier festzustellen, dass Sie es irgendwie geschafft haben, verhaftet zu werden.“

Sie stand langsam von ihrer Bank auf. „Sie haben mich gesucht?“

Der Mann hörte auf, mit dem Finger zu fuchteln, und nickte kurz. „Seit über einem Monat. Ihre Familie hat mich auf Sie angesetzt, als sie feststellte, dass Sie nicht auffindbar waren.“

Arabella löste den nassen Stoff ihres Kleides von ihren Beinen und trat einen Schritt vor, blieb aber stehen, als ihr auffiel, dass ihr offenbar ein Schuh abhandengekommen war. Sie hob ihren Rock, warf einen Blick nach unten und merkte, wie sich ihre Lippen zu einem Grinsen verzogen, als ihre nackten Zehen durch zerrissene und völlig verschmutzte Strümpfe lugten.

Das erklärte, warum sie so gehumpelt hatte. In dem ganzen Tumult bei ihrer Verhaftung und dem nachfolgenden Abtransport ins Gefängnis war ihr völlig entgangen, dass sie irgendwo unterwegs den Schuh verloren haben musste.

Ein lautes Räuspern zwang sie, den Kopf zu heben. Ihr Grinsen erstarb schlagartig. Der Mann starrte sie missmutig an, was seinem viel zu attraktiven Gesicht allzu deutlich abzulesen war. Zähneknirschend trat sie humpelnd einen Schritt vor.

„Wer sind Sie?“, erkundigte sie sich, als sie die Gitterstäbe erreichte. Sie umklammerte die kalten Stäbe, die sie voneinander trennten, und bemühte sich, auf dem einen ihr noch verbliebenen Schuhabsatz das Gleichgewicht zu finden.

Der Mann kniff die Lippen zu einem dünnen Strich zusammen. „Das habe ich Ihnen doch schon gesagt. Mein Name ist Theodor Wilder. Haben Sie mir denn überhaupt nicht zugehört?“

Obwohl sie dringend Hilfe brauchte, war sie versucht, diesen Herrn aufzufordern, sie in Ruhe zu lassen und zu verschwinden. Sie verstärkte ihren Griff um die Gitterstäbe, holte tief Luft, atmete hörbar aus und holte erneut Luft. „Ah, der berühmte Privatdetektiv.“

„Wie ich sehe, eilt mir mein Ruf voraus.“

„Warum macht sich meine Familie die Mühe, Sie zu engagieren? Ich versichere Ihnen, dass ich die ganze Zeit immer haargenau wusste, wo ich war, und wenn Sie es genau wissen wollen, befand ich mich sowieso auf der Heimfahrt, als ich diesen kleinen Umweg einschlug.“

Wilder zog eine Braue hoch. „Vielleicht wissen Sie tatsächlich, wo Sie sind, Miss Beckett, aber jeder Narr kann sehen, dass Sie Hilfe brauchen. Ich würde eigentlich erwarten, dass Sie für den glücklichen Umstand dankbar sind, dass ich Sie gesucht habe. Es sei denn natürlich, Sie ziehen es vor, dass ich so tue, als hätte ich Sie nicht gefunden, und Sie hier verrotten lasse.“

Obwohl sie in den vergangenen Jahren mehr als genügend unangenehme Herren kennengelernt hatte, da sie eine leidenschaftliche Unterstützerin der Frauenbewegung war, war sie sich ziemlich sicher, dass er der bei Weitem unangenehmste Mann war, den sie in ihrem ganzen Leben getroffen hatte. Sie war erneut versucht, ihn zum Gehen aufzufordern, aber ihr Sinn fürs Praktische ließ das nicht zu. Deshalb hob sie nur trotzig das Kinn. „Wenn Sie mich hier verrotten lassen, können Sie das saftige Honorar nicht kassieren, das Sie meiner Familie zweifellos in Rechnung stellen.“

„Ich stelle Ihrer Familie nichts in Rechnung.“

Sie blinzelte. „Warum nicht?“

„Ihr Bruder Zayne ist ein guter Freund von mir. Als Ihre Familie jemanden brauchte, der Sie aufspürt, habe ich meine Dienste angeboten. Allerdings hatte ich keine Ahnung, dass Sie so schwer zu finden sein würden.“

Arabella streckte die Hände durch die Gitterstäbe und packte Wilder am Arm. „Was ist passiert?“

Der Mann schenkte dem Schmutz kaum Beachtung, der jetzt an der Stelle, an der ihre schmutzige Hand lag, seinen Ärmel bedeckte, sondern schaute ihr rasch in die Augen. „Entschuldigen Sie, Miss Beckett. Es war unverzeihlich von mir, den Eindruck zu vermitteln, dass etwas Schlimmes passiert sein könnte. Ich wurde losgeschickt, um Sie nach Hause zu holen, da Ihre Anwesenheit bei der Hochzeit Ihres Bruder gewünscht wurde.“

Erleichterung durchflutete sie, wurde aber schnell von einer sichtlichen Verwirrung abgelöst. „Mein Bruder will heiraten?!“

Wilder berührte ihre Hand, die sich immer noch an seinen Arm klammerte. Dann schaute er wortlos zu, als sie die Hand wieder durch das Gitter zurückzog, und schüttelte schließlich den Kopf. „Ich fürchte, ich muss Ihnen doch eine traurige Nachricht überbringen: Da ich Sie nicht rechtzeitig ausfindig machen konnte, haben Sie die Hochzeit leider verpasst.“

„Mein Bruder hat ohne mich geheiratet?“

„Ja.“

Arabella drehte sich auf dem Absatz um und versuchte, in der Zelle auf und ab zu gehen, gab es aber schließlich auf, als sie feststellte, dass das mit einem einzelnen Schuh am Fuß nicht möglich war. Sie blieb stehen und sah Wilder an. „Zayne überlegt schon seit Jahren, ob er heiraten soll. Es fällt mir aber schwer zu glauben, dass er urplötzlich von so starken Gefühlen überwältigt wurde, dass er es nicht erwarten konnte, Helena zu heiraten, bevor ich nach Hause komme.“

„Zayne hat Helena nicht geheiratet.“

„Gott sei Dank!“ Sie humpelte durch die Zelle und lehnte sich wieder ans Gitter.

„Sie mögen Miss Helena Collins nicht?“

„Sie ist sicher eine nette, hübsche Frau, wenn sie nicht gerade über ihre vielen Wehwehchen klagt“, sagte Arabella. „Verraten Sie mir bitte, wen Zayne geheiratet hat?“

„Zayne hat überhaupt nicht geheiratet. Ihr Bruder Hamilton war der glückliche Bräutigam.“

„Hamilton? Seit dem Tod seiner Frau hat er sich für keine andere mehr interessiert.“

„Für Lady Eliza Sumner interessiert er sich aber sehr.“

„Wie hat er denn eine Adelige kennengelernt?“

Wilder schaute sie einen Moment an und dann … verdrehte er die Augen.

Dieser Kerl war wirklich unerträglich.

„Miss Beckett“, setzte Wilder an, bevor sie ihm deutlich sagen konnte, was sie von ihm hielt, „ich verstehe zwar Ihre Neugier in Bezug auf die Frau Ihres Bruders, aber ich muss Sie darauf hinweisen, dass Sie sich in einer unerfreulichen Situation befinden. Wir sollten dieses Thema fallen lassen und uns lieber auf die dringlichere Frage konzentrieren, wie wir Sie aus dem Gefängnis bekommen.“

Obwohl er natürlich recht hatte, gefiel ihr sein schnippischer Tonfall überhaupt nicht. Sie stemmte die Hände in die Hüften und schaute ihn mit zusammengekniffenen Augen an, während sich ein unbehagliches Schweigen breitmachte.

Eine ganze Minute später verdrehte Wilder erneut die Augen, stemmte ebenfalls die Hände in die Hüften und schaute sie erneut finster an. „Also gut! Da Sie offenbar ein ausgesprochen eigensinniges Wesen haben – wovor mich übrigens niemand aus Ihrer Familie gewarnt hat –, will ich Ihnen in einer knappen Zusammenfassung erzählen, was sich in New York zugetragen hat.“

„Sie sind zu gütig.“

Wilders dunkle Augen blickten eiskalt, als er sich erneut mit der Hand durch die Haare fuhr und schließlich den Mund öffnete und so schnell sprach, dass sie seinen Worten kaum folgen konnte. „Hamilton hat Lady Eliza im Rahmen einer Abendgesellschaft bei den Watsons kennengelernt. Dann hat er sie aus dem Gefängnis herausgeholt, und als ihr die Stelle als Gouvernante bei den Watsons gekündigt wurde, nahm er sie mit zu sich nach Hause, und sie verliebten sich ineinander.“

„Das ist Ihre knappe Zusammenfassung der Ereignisse?“

„Ich halte sie für ausreichend.“

Es war wieder einmal typisch Mann, dass er die wirklich wichtigen Details ausgelassen hatte. „Sie haben mir nichts Entscheidendes erzählt, zum Beispiel, warum sie ins Gefängnis kam und warum eine Adelige als Gouvernante gearbeitet hat.“

Sofern das überhaupt möglich war, stieß er seine Worte jetzt noch schneller hervor. „Sie arbeitete als Gouvernante, weil ihr Vermögen gestohlen worden war, und sie wurde verhaftet, weil man sie irrtümlicherweise für eine Dame der Nacht gehalten hatte.“ Er lächelte. „Ich glaube, Sie und Lady Eliza werden sich prächtig verstehen, da Sie beide offensichtlich Ärger magisch anziehen.“

„Ich ziehe Ärger überhaupt nicht magisch an.“

Wilders Lächeln wurde breiter und er deutete auf die Zelle.

Arabella zwang sich ebenfalls zu einem Lächeln. „Es ist das erste Mal, dass ich verhaftet wurde.“

„Wirklich?“

„Gewöhnlich verstoße ich nicht gegen Gesetze, Mr Wilder. Ich mag zwar gelegentlich ungebetene Aufmerksamkeit auf mich ziehen, weil ich mich darum bemühe, Frauen das Wahlrecht zu erkämpfen, aber die Suffragettenbewegung ist eine friedliche Bewegung und keine Sache, durch die ich regelmäßig im Gefängnis lande.“

„Die Suffragettenbewegung kann man wohl kaum als friedlich bezeichnen, Miss Beckett“, erwiderte Wilder. „Frauen werden dazu ermutigt zu rebellieren, und das ist für ein friedliches Zuhause ganz bestimmt nicht förderlich.“

Es war sein Glück, dass sie durch Gitterstäbe voneinander getrennt waren.

Arabella begann, mit ihrem Schuh ungehalten auf den harten Boden zu klopfen, hörte aber sofort wieder auf, als sie durch diese Bewegung fast das Gleichgewicht verlor. „Ich ermutige Frauen, für ihre Rechte einzutreten, Mr Wilder. Wir müssen uns vor denselben Gesetzen verantworten wie Männer und doch haben wir kein Mitspracherecht bei der Verabschiedung dieser Gesetze.“

„Sie glauben allen Ernstes, alle Frauen würden sich die gleichen Rechte wünschen, die auch die Männer haben?“

„Nicht alle Frauen, aber das ist auf mangelnde Bildung zurückzuführen, die wiederum eine direkte Folge davon ist, dass sie nicht die gleichen Rechte haben.“

„Der größte Wunsch der meisten Frauen in meinem Bekanntenkreis ist es zu heiraten.“

„Es gibt offenbar nicht viele Frauen in Ihrem Bekanntenkreis.“

Als er daraufhin in lautes Gelächter ausbrach, knirschte sie mit den Zähnen. „Was in aller Welt soll ich darauf antworten? Wenn ich Ihnen widerspreche, halten Sie mich für einen Angeber, und wenn ich Ihnen recht gebe, bin ich ein Lügner.“

„Ein Angeber zu sein wäre eindeutig besser als der Eindruck, den ich bis jetzt von Ihnen habe.“

Wilder lachte wieder und winkte dann ab. „Obwohl das wirklich ein fesselndes Thema ist, denke ich, dass es höchste Zeit ist, über den Grund zu sprechen, aus dem Sie hinter Gittern sind. Die Diskussion über unsere widersprüchlichen Meinungen hinsichtlich meiner Persönlichkeit und der wahnwitzigen Suffragettenbewegung können wir auch auf später verschieben.“

Arabella öffnete den Mund und stellte fest, dass ihr erneut die Worte fehlten. Also klappte sie ihn wieder zu und beobachtete schweigend, wie er vor der Zelle auf und ab schritt. Schließlich blieb er stehen und verschränkte die Arme vor der Brust.

„Sie sind mir einige Erklärungen schuldig.“

„Da gibt es eigentlich nicht viel zu erklären. Meine Verhaftung war ein Missverständnis.“

Wilder knurrte. „Das sagen alle Verbrecher. Erklären Sie mir, was es mit den tätlichen Angriffen und dem Diebstahl auf sich hat, die Ihnen zur Last gelegt werden.“

„Ich habe nichts gestohlen.“

„Wollen Sie damit sagen, dass Sie wirklich vier Polizisten angegriffen haben?“

Im Tonfall dieses Mannes schwang etwas mit, das sie vom Scheitel bis zur Sohle wütend machte. Sie zwang sich erneut zu einem Lächeln. „Mr Wilder, vergeben Sie mir, aber sind diese Fragen wirklich nötig? Angesichts Ihres Rufes gehe ich davon aus, dass es für Sie ein Kinderspiel ist, meine Freilassung zu erwirken.“

Wilder trat einen Schritt näher und deutete aus einem ihr unerklärlichen Grund zu Boden.

Sie schaute nach unten und hob dann wieder den Blick. „Sie wollen doch bestimmt nicht vorschlagen, dass ich mich setze?“

„Miss Beckett, Ihr Kleid ist mehr als schmutzig. Der Fußboden wird ihm keinen weiteren Schaden zufügen. Da Sie ein schwieriger Mensch zu sein scheinen und ich es leid bin, Ihnen kreuz und quer durchs ganze Land nachzureisen, würde ich es mir gern ein wenig bequem machen, bevor Sie anfangen, mir zu erklären, was passiert ist. Und nur, um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Sie werden mir alles erklären.“

Sie öffnete den Mund, aber noch bevor sie ein einziges Wort sagen konnte, sprach dieser unsympathische Kerl weiter. „Auch wenn Sie eine äußerst ungewöhnliche Dame sind, sind Sie trotzdem eine Dame, und ich habe die Erfahrung gemacht, dass Damen dafür berüchtigt sind, sich sehr wortreich auszudrücken, wenn sie erst einmal anfangen, etwas zu erklären. Deshalb sollten wir unsere Füße entlasten und uns setzen.“

Da ihr bewusst war, dass er ihre Antwort auf diese unsinnige Unterstellung wahrscheinlich als Beweis für seine These auslegen würde, dass Frauen sich nicht kurzfassen konnten, kniff sie die Lippen fest zusammen und setzte sich auf den kalten Boden. Sie faltete ihre schmutzigen Hände züchtig auf ihrem Schoß und schwor sich, kein einziges Wort zu sagen, solange sich Wilder nicht für sein eingebildetes Auftreten entschuldigte.

2

ie Sekunden verstrichen, während Wilder sich auf die Erde setzte und Arabella erwartungsvoll anschaute.

Sie kniff die Lippen weiterhin fest zusammen und hob den Blick zur Decke, wo sie eingehend den Schimmel betrachtete, der dort wucherte. Plötzlich erschauerte sie. Dann lief ihr ein zweiter Schauer über den Rücken, als die Kälte des Bodens durch ihr nasses Kleid drang.

Als Wilder schließlich etwas vor sich hin murmelte und sich wieder erhob, wandte sie ihren Blick von der Decke ab. Er zog seinen Mantel aus und steckte ihn durch die Gitterstäbe.

„Ziehen Sie den an.“

Arabella rührte sich nicht vom Fleck. Sie war noch nie der Typ Frau gewesen, der Befehle gehorsam befolgt hätte, und sie war nicht willens, jetzt damit anzufangen.

Er ließ den Mantel fallen und dieser landete neben ihr auf dem Boden. „Seien Sie nicht lächerlich, ziehen Sie ihn an. Es ist nicht zu übersehen, dass Sie frieren. Ich möchte Ihrem Bruder nicht erklären müssen, dass ich Sie nur deshalb nicht zurückbringen konnte, weil Sie an einer Erkältung gestorben sind. Sie haben mir schon genug Umstände bereitet und ich verliere allmählich die Geduld mit Ihnen.“

Sie kniff die Augen zusammen, doch als ein neuerliches Schauern sie erfasste, griff sie nach dem Mantel und rappelte sich auf die Beine. Sie steckte die Arme durch die Ärmel und verkniff es sich, entzückt aufzuseufzen, als eine wohlige Wärme sich um sie legte.

Der Mantel war riesig und duftete nach Sandelholz und etwas, das ebenfalls sehr männlich roch. Sie wickelte ihn um sich, atmete tief ein, hob den Kopf und stellte fest, dass Wilder sie stirnrunzelnd betrachtete.

„Ich brauche ihn wieder zurück.“

Ritterlichkeit war offenbar eine vom Aussterben bedrohte Tugend.

Ihr Vorsatz zu schweigen verflog schlagartig. „Sie können ihn aber nicht zurückhaben.“

„Ich brauche ihn nicht lange. Ich muss nur etwas aus der Innentasche holen.“

Arabella griff in die Tasche und zog einen Revolver hervor.

„Seien Sie vorsichtig, Miss Beckett. Er ist geladen, und ich möchte nicht, dass Sie sich versehentlich erschießen.“

„Ich hatte nicht vor, mich zu erschießen.“

Seine Augen wurden kaum merklich größer, dann blickten sie sie unerbittlich an. „Eine Waffe ist kein Spielzeug. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie sie mir vorsichtig durch die Gitterstäbe reichen würden. Es wäre bei meinem Versuch, Sie aus dem Gefängnis zu holen, nicht dienlich, wenn der Sheriff herausfände, dass Sie bewaffnet sind.“

Diesem Argument konnte sie nicht widersprechen.

Sie trat vor, hielt ihm die Waffe hin und konnte nicht widerstehen, ihren Blick noch einmal über seinen Körper gleiten zu lassen. Ohne den Mantel besaß er wirklich eine eindrucksvolle Figur und … ganz passable Muskeln.

Sie zuckte zusammen, als seine Finger die ihren berührten, und zog die Hand schnell durch die Gitterstäbe, sobald er die Waffe an sich genommen hatte. Er schob sie in den Bund seiner Hose und trat dann unbeeindruckt zurück. Offenbar merkte er nicht, dass ihre Finger von seiner Berührung noch glühten.

Sie setzte sich wieder auf den Boden, legte den Mantel um sich und hoffte, er würde nicht merken, dass ihre Wangen gerötet waren. Zumindest nahm sie an, dass sie das waren.

Was hatte dieser Mann nur an sich? In seiner Nähe wurde sie irgendwie unruhig und dieses Gefühl gefiel ihr ganz und gar nicht.

Vielleicht waren die aufregenden Ereignisse dieses Tages doch nicht ganz spurlos an ihr vorübergegangen.

Ihre Wangen nahmen schnell wieder ihre normale Farbe an und sie hob den Kopf. Dabei stellte sie fest, dass Wilder erneut auf dem Boden saß und sie mit schwer zu deutender Miene anschaute.

Sein Blick machte sie ungewohnt nervös.

„Könnten wir endlich zur Sache kommen, und Sie erklären mir, warum Sie hinter Gittern sitzen?“, fragte er.

Ihre Nervosität verschwand.

„Meine Güte, Mr Wilder, dann bringen wir dieses Gespräch eben hinter uns. Was wollen Sie wissen?“

„Erklären Sie mir, was es mit dem Vorwurf des tätlichen Angriffs auf sich hat. Vertreter des Gesetzes tätlich anzugreifen ist ein sehr schweres Vergehen, das normalerweise streng bestraft wird.“

„Ich habe niemanden angegriffen. Das war das Schwein.“

„Verstehe“, sagte Wilder langsam. „Gut, dann sprechen wir über den Diebstahl. Mir wurde gesagt, ein gewisser Mr Brown behauptet, dass Sie ohne seine Erlaubnis mit seinem Pferd weggeritten seien.“

„Ich habe Mrs Brown fünf Dollar für die Nutzung dieses Tieres bezahlt, und ich muss sagen, dass das ein exorbitanter Preis war, wenn man bedenkt, dass ich das Tier nur sehr kurz brauchte, um Miss James aufzusuchen.“

„Wer ist denn Miss James?“

Arabella deutete zu der Pritsche neben sich. „Das ist Miss James.“

Wilder musste sich fast den Hals verrenken, um die junge Frau sehen zu können. „Dürfte ich vorschlagen, dass Sie sie wecken, damit ich mir ein klares Bild davon machen kann, was passiert ist?“

Es geschähe diesem Mann recht, wenn sie seiner Bitte nachkommen und Miss James wecken würde. Arabella beschloss jedoch, das zu unterlassen, da sie selbst ebenfalls unter dem Durcheinander würde leiden müssen, das dann in der Zelle herrschte. „Das wäre nicht weise, Mr Wilder. Nach allem, was ich mit Miss James erlebt habe, muss ich sagen, dass sie eine theatralische Ader hat und zu hysterischen Anfällen neigt. Sie werden von ihr keine brauchbaren Erklärungen bekommen. Es ist besser, wenn wir sie schlafen lassen.“

„Darf ich annehmen, dass sie eine Freundin von Ihnen ist?“

„Ich habe sie heute zum ersten Mal gesehen, und ehrlich gesagt frage ich mich inzwischen, ob es klug war, sie befreien zu wollen“, murmelte Arabella.

„Ich verstehe Sie leider nicht.“

Da sie mittlerweile erkannt hatte, dass Wilder keine Anstrengungen unternehmen würde, ihre Freilassung zu erwirken, solange sie ihm keine befriedigende Erklärung gab, beschloss Arabella, dass sie ihm lieber ihre Geschichte erzählen sollte. „Ich saß ganz unschuldig auf dem Bahnhof in Chicago, als eine gewisse Mrs James sich neben mich setzte und in Tränen ausbrach. Sie erzählte mir, dass ihre Tochter, Miss Alice James, wegen einer Zeitungsanzeige, in der eine Braut gesucht wurde, von zu Hause weggelaufen sei. Mrs James suchte nun verzweifelt Neuigkeiten über den Verbleib ihrer Tochter. Deshalb erklärte ich mich bereit, in Gilman meine Fahrt zu unterbrechen, dem Ort, in dem die Anzeige aufgegeben worden war. Ich wollte versuchen, die junge Frau zu finden und ihr eine Nachricht von ihrer Mutter zu überbringen. Ich hatte nämlich Mrs James so verstanden, dass ihre Beziehung zu Alice nicht die beste wäre und dass sie fürchtete, ihre Tochter würde sich weigern, mit ihr zu sprechen, wenn sie selbst käme.“

„Und jetzt sitzen Sie im Gefängnis, weil Sie versucht haben, sich in Angelegenheiten einzumischen, die nur Miss James und ihren Bräutigam etwas angingen?“

„Es gab gar keinen Bräutigam. Miss James hat es geschafft, mitten in einen Prostitutionsring hineinzugeraten, das nehme ich zumindest an.“

Wilder schloss die Augen und begann, leise etwas vor sich hin zu murmeln. Als er auch nach dreißig Sekunden immer noch nicht damit aufgehört hatte, beschloss sie, dass es an der Zeit war, das Gespräch fortzusetzen. „Ich glaube, Miss James wurde mit dem ausdrücklichen Ziel hierher gelockt, sie an den Höchstbietenden zu verkaufen.“

Wilder riss die Augen weit auf. „Wie kommen Sie denn auf diese Idee?“

Arabella zuckte die Achseln. „Aus dem wenigen, das ich aus ihr herausbekommen konnte, weiß ich, dass sie am Bahnhof von einem Mann abgeholt wurde, der ihr sagte, dass er sie zu ihrem künftigen Mann bringen wolle. Als sie in einem Farmhaus ungefähr eine Meile außerhalb der Stadt ankam, wurde sie jedoch nicht von einem sehnsüchtigen Bräutigam erwartet, sondern an einen Stuhl gefesselt und ihrem Schicksal überlassen.“

„Woher wissen Sie, dass sie an einen Stuhl gefesselt wurde?“

Arabella verspürte den ungewöhnlichen Drang, in die hinterste Ecke der Zelle zu rutschen, obwohl die Gitterstäbe sie von Wilder trennten. „Weil ich sie so vorgefunden habe.“

Wilder beugte sich vor. Arabella fiel unwillkürlich auf, dass jetzt eine Ader an seiner Schläfe pochte.

„Sie sind zu dem Farmhaus hinausgeritten?“

„Wie sonst hätte ich Miss James die Nachricht ihrer Mutter überbringen sollen? Leider“, sprach sie schnell weiter, als Wilder sie ungläubig anschaute, „traf ich Miss James in einer ziemlich unglücklichen Verfassung an und die Situation verschlechterte sich zusehends.“

„Soll ich fragen, was danach passiert ist?“, fragte er zähneknirschend.

„Wenn Sie sich aufregen, sollten Sie lieber nicht fragen.“

„Ich rege mich nicht auf.“

Da sie das Gefühl hatte, es würde zu nichts führen, ihn auf das Offensichtliche hinzuweisen, zog Arabella die Beine unter sich an. „Ich gelangte zu der Schlussfolgerung, dass der Mann, der mir den Weg zu dem Haus beschrieb, in dem ich Miss James finden würde, wahrscheinlich in das hinterhältige Komplott verwickelt war. Er könnte derselbe Mann gewesen sein, der auch Miss James vom Bahnhof dorthin gebracht hatte, aber das kann ich nicht beschwören, da ich bis jetzt nicht viel aus Miss James herausbekommen konnte. Außerdem bin ich zu dem Schluss gelangt, er hat mich mit der Absicht zu diesem Farmhaus geschickt, dass mich dasselbe Schicksal ereilt wie Miss James. Ich glaube, ich verdanke es nur Gottes Schutz, dass ich nicht gefangen genommen und zu einem Leben in der Prostitution gezwungen wurde.“ Ein überraschendes Schauern erfasste sie. „Ich hatte nie Grund, mir über ein derart entwürdigendes Leben Gedanken zu machen, aber angesichts dessen, was mir fast zugestoßen wäre, muss ich nach meiner Heimkehr unbedingt nach einer Möglichkeit suchen, wie ich Frauen, die unter so schrecklichen Umständen leben, helfen kann.“

„Nach Ihrer Heimkehr sollten Sie nach einer Möglichkeit suchen, wie Sie sich von Schwierigkeiten fernhalten können“, erwiderte Wilder. „Aber genug davon. Erzählen Sie mir, wo Sie mit diesem Mann in Kontakt kamen, der zufällig wusste, wo sich Miss James aufhielt.“

„Er lungerte am Bahnhof herum.“

„Und Sie kamen nicht auf den Gedanken, dass ein Mann, der am Bahnhof herumlungert, nicht unbedingt die beste Informationsquelle sein könnte?“

„Zu dem Zeitpunkt, als ich mit ihm sprach, fiel mir ehrlich gesagt nicht auf, dass er herumlungerte. Wenn Sie es unbedingt wissen müssen: Der Mann war freundlich und sehr hilfsbereit. Er hat mir geholfen, am Bahnhof mein Gepäck zu verstauen, und erklärte mir, wo ich ein Pferd mieten könnte. Dann beschrieb er mir ausführlich den Weg zu dem Farmhaus und verabschiedete sich höflich von mir.“

„Aber als Sie bei dem Farmhaus ankamen, lief etwas schief?“

„Ich muss zugeben, dass es leider so war. Anfangs hatte ich den Eindruck, dass überhaupt niemand da wäre. Ich klopfte mehrere Male an die Tür, aber niemand öffnete mir.“

„Kam Ihnen da nicht der Gedanke, wieder zu gehen?“

„Ja, das wollte ich tatsächlich tun, doch dann hörte ich ein Weinen auf der anderen Seite der Tür.“ Sie schaute ihn mit hochgezogener Braue an. „Und Sie können mir nicht erzählen, dass Sie unter diesen Umständen einfach wieder gegangen wären.“

„Nein, aber ich bin ja auch ein Mann.“

„Wie dem auch sei, ich stellte fest, dass die Tür zugesperrt war, aber das Weinen wurde lauter. Deshalb ging ich um das Haus herum und schaute durch ein Fenster hinein.“

„Warum haben Sie nicht vorne durch ein Fenster geschaut?“

„Die vorderen Fenster waren mit Brettern zugenagelt.“

„Und das hat Sie nicht beunruhigt?“

Sie konnte vermutlich von Glück sagen, dass sie noch alle Zähne im Mund hatte, da sie so kräftig mit ihnen knirschte, dass eigentlich nichts mehr davon übrig sein konnte. „Natürlich hat mich das beunruhigt, aber noch einmal: Es hat jemand geweint und dieser Jemand war Miss James.“ Sie senkte den Kopf und konzentrierte sich auf ihren mit Schlamm bespritzten Rock, da sie ganz genau wusste, dass Wilder auf das, was sie als Nächstes sagen würde, gewiss nicht freundlich reagieren würde. „Nachdem ich die Fensterscheibe eingeschlagen hatte, um mir Zutritt zum Haus zu verschaffen, wollte ich gerade Miss James losbinden, als dieser Mann ins Zimmer gestürmt kam.“

„Der Mann, der Ihnen den Weg beschrieben hatte?“

„Nein, ein anderer Mann.“

„Miss Beckett, es ist sehr schwer, Ihren Erklärungen zu folgen, finden Sie nicht auch?“

Sie verspürte den starken Wunsch, Wilder den Hals umzudrehen, was wirklich sonderbar war, denn normalerweise war sie kein gewalttätiger Mensch. Sie räusperte sich und öffnete den Mund, um ihm eine deutliche Erwiderung zu geben, aber noch bevor sie ein Wort sagen konnte, schob sich Wilder auf die Beine, trat ans Gitter und stieß einen schrillen Pfiff aus.

„Miss James, wachen Sie auf!“, rief er.

Hatte er denn nicht zugehört, als sie ihn vor Miss James gewarnt hatte?

Sie rappelte sich auf und drehte sich in dem Moment um, in dem Miss James auf der Pritsche hochfuhr und das Gesicht bereits zu einer Miene verzogen hatte, die, wie Arabella nach der kurzen Zeit, die sie die junge Frau jetzt schon kannte, wusste, der Vorbote eines hysterischen Anfalls war.

Wenigstens könnte Wilder nicht behaupten, dass sie ihn nicht gewarnt hätte.

Miss James stieß ein abgehacktes Schluchzen aus, doch dann wurden ihre Augen groß, und sie spähte an Arabella vorbei. Das Schluchzen verwandelte sich in ein Seufzen und Miss James lächelte und stieß ein Kichern aus. Die junge Frau stand auf, schüttelte ihr Kleid und schwebte regelrecht durch den Raum. Ihr Ziel war es offensichtlich, zu Wilder zu gelangen, so schnell ihre schwachen Beine sie tragen konnten.

Arabella drehte sich auf ihrem Absatz herum und erwartete, Wilders allgegenwärtigen finsteren Blick zu sehen, aber stattdessen hatte dieser Mann ein charmantes Lächeln aufgesetzt und … verbeugte sich vor Miss James.

Vor ihr hatte er sich nicht verbeugt.

„Miss James, entschuldigen Sie bitte, dass ich Sie so unsanft geweckt habe“, sagte Wilder, „aber ich fürchte, Miss Becketts Erinnerungsvermögen hat unter dem Erlebten ein wenig gelitten. Ich hoffe, Sie können mir die Antworten geben, die ich so dringend benötige. Mein Name ist Theodor Wilder. Stets zu Ihren Diensten, Ma’am.“

„Mein Erinnerungsvermögen hat nicht gelitten“, fauchte Arabella.

Wilder ignorierte sie jedoch. Er nahm die Hand, die Miss James ihm durch die Gitterstäbe hinhielt, und führte sie in einer viel zu galanten Bewegung an seine Lippen. Miss James kicherte erneut und klimperte mit den Wimpern.

„Ich beantworte Ihnen sehr gern alle Ihre Fragen, Mr Wilder“, schnurrte Miss James. „Ich habe einen wirklich schrecklichen Tag hinter mir, aber ich muss sagen, dass meine Ängste wie weggeblasen sind, jetzt, da ich weiß, dass ein großer, starker Mann gekommen ist, um mich zu retten.“

„Woher wollen Sie wissen, dass er gekommen ist, um uns zu retten?“ Arabella konnte sich diese Frage nicht verkneifen.

„Ein einziger Blick auf diesen Mann genügt doch, um zu wissen, dass er ein Märchenprinz ist“, flötete Miss James.

Miss James gehörte offensichtlich zu den Frauen, die leicht zu beeindrucken waren.

„Sie dürfen versichert sein, dass ich fest entschlossen bin, Sie zu retten, Miss James“, sagte Wilder, „aber vorher muss ich Ihnen einige Fragen stellen.“

Miss James sah leicht enttäuscht aus, als Wilder ihre Hand losließ und einen Schritt zurücktrat, aber sie fing sich schnell wieder und bedachte ihn mit einem bewundernden Lächeln, während sie sich an die Eisengitter presste. „Was wollen Sie wissen?“

„Miss Beckett hat mir erzählt, dass ein Mann das Farmhaus betrat, während sie versuchte, Sie von Ihren Fesseln zu befreien. Haben Sie diesen Mann oder den Mann, der Sie dort hinbrachte, je zuvor gesehen, und wissen Sie zufällig, wie die Männer heißen?“

Miss James kaute auf ihrer Lippe. „Ich habe leider keinen dieser Männer je zuvor gesehen, Mr Wilder, und keiner der beiden hat mir seinen Namen genannt.“ Sie rümpfte leicht die Nase. „Den Größeren der beiden sah ich am Bahnhof. Er erzählte mir, dass er gekommen sei, um mich zu meinem Bräutigam zu bringen. Sobald wir vor dem Haus angekommen waren, übergab er mich dem anderen Mann, von dem Sie gerade gesprochen haben. Er war kleiner und hatte nicht viele Haare auf dem Kopf. Dieser Mann fesselte mich an einen Stuhl und sagte mir, dass sie bald zurück wären. Ich verstand ihn so, dass sie meinen Bräutigam holen wollten.“ Sie schaute Wilder wieder mit einem verführerischen Augenaufschlag an. „Ich habe immer noch keine Ahnung, warum sie es für nötig erachteten, mich zu fesseln. Ich kann Ihnen versichern, dass ich es gar nicht erwarten konnte zu heiraten. Ich bin vor Kurzem achtzehn geworden und verspüre nicht den Wunsch, als alte Jungfer zu enden.“

Das erklärte, warum sie auf die Anzeige geantwortet hatte.

Arabella fuhr bei diesen Worten herum und sah gerade noch, wie Wilders Lächeln erstarb.

„Miss James“, sagte er, „Ihnen ist doch inzwischen bestimmt bewusst, dass es nie einen Bräutigam gab?“

Miss James kicherte. „Natürlich gab es einen.“ Sie wurde wieder ernst und warf Arabella einen finsteren Blick zu. „Miss Beckett muss ihn abgeschreckt haben, als sie auf diesen Mann schoss.“

„Miss Beckett, Sie haben bequemerweise vergessen zu erwähnen, dass Sie auf einen Mann geschossen haben“, knurrte Wilder.

Arabella hob das Kinn. „Das wollte ich Ihnen gerade erzählen, aber Sie hatten ja beschlossen, Miss James zu wecken, und bei den ganzen Freundlichkeiten, die Sie beide ausgetauscht haben, hatte ich noch keine Gelegenheit, meine Geschichte zu beenden.“

„Sie war ziemlich wütend, als sie die Pistole abfeuerte“, fuhr Miss James fort. „Ich bin unglaublich froh, dass sie nicht mich getroffen hat! Der Mann, auf den sie geschossen hat, stand nämlich zu diesem Zeitpunkt ziemlich dicht neben mir!“

„Er befand sich auf der anderen Seite des Raums und seine Absichten waren eindeutig. Er wollte nicht, dass ich Sie befreie“, murmelte Arabella.

„Er wollte mich nur für meinen künftigen Bräutigam beschützen“, widersprach Miss James.

Das kam dabei heraus, wenn Frauen eine vernünftige Bildung verwehrt wurde!

„Woher hatten Sie denn die Waffe?“, mischte sich Wilder in das Gespräch ein.

„Ich habe immer eine Pistole bei mir.“

„Haben Sie ihn getötet?“

„Gütiger Himmel, ich glaube nicht. Ich habe schließlich auf seine Schulter gezielt.“

Wilder zog eine Braue hoch.

„Ich bin eine geübte Schützin. Ich drücke immer erst ab, wenn ich vollkommen sicher bin, was ich treffe.“

Wilder zog die zweite Braue auch noch hoch.

Er glaubte ihr nicht.

Er war der widerlichste, chauvinistischste, unzeitgemäßeste Mann, der ihr je über den Weg gelaufen war.

„Überall war Blut“, schilderte Miss James, „und ein paar Spritzer sind sogar auf meinem Lieblingskleid gelandet.“ Sie deutete auf einen kleinen Fleck auf ihrem Rock und dann auf Arabella. „Ich verstehe immer noch nicht, was Miss Beckett zugestoßen ist. Als ich sie das erste Mal sah, war sie nicht von oben bis unten mit Schmutz besudelt, aber als wir später zusammen in einen Wagen geworfen wurden, hatte sich ihr Aussehen stark verschlechtert. Ich muss wirklich gestehen, dass mir bei ihrem Geruch übel wird.“

„Wie konnte es denn dazu kommen, dass Sie so mitgenommen aussehen?“, erkundigte sich Wilder.

„Vielleicht sollten Sie das Miss James fragen“, erwiderte Arabella zuckersüß. „Deshalb haben Sie sie ja geweckt.“

„Miss James hat gerade erklärt, dass sie es nicht weiß.“

Arabella atmete seufzend aus. Es bliebe ihr nicht erspart, ihre Geschichte zu Ende zu erzählen. Sie hatte genug davon, im Gefängnis zu sitzen, sie sehnte sich danach zu baden, und sie sehnte sich danach, Wilder loszuwerden. Die junge Frau setzte sich wieder auf den kalten Boden und blickte zu ihm hinauf. „Nachdem ich auf den Mann geschossen hatte – es war der glatzköpfige, falls Sie das interessiert –, band ich Miss James endgültig los, und wir wollten gerade fliehen, als plötzlich der Sheriff auftauchte. Leider genügte ein einziger Blick auf den Mann, der blutend auf dem Boden lag, und er hat mich sofort verhaftet.“

„Das war die ganze Geschichte?“, fragte Wilder.

„Sie vergessen das Schwein.“

„Miss Beckett begann, sich ganz komisch aufzuführen, als der große Mann auftauchte, der mich freundlicherweise zu dem Haus gefahren hatte. Aus irgendeinem Grund gefiel es ihr offenbar nicht, dass der Mann den Sheriff kannte. Bevor ich sie daran hindern konnte, stürmte sie schon davon“, erzählte Miss James. „Wie ich schon sagte: Als ich sie das nächste Mal sah, war sie schmutzig, und ihr fehlte ein langes Stück von ihren Haaren.“

Wilder schaute mit einem fragenden Blick zu ihr hinab. „Ihre sonderbare Frisur ist also nicht Absicht?“

„Wohl kaum. Genauso wenig wie die Tatsache, dass ich nur einen Schuh anhabe. Die Schuld für beides trägt Sheriff Dawson.“

„Was Sie nicht sagen.“

Vor ihren Augen verwandelte sich Mr Theodor Wilder von einem lästigen Chauvinisten in eine todbringende Furie.

„Ich bin gleich zurück“, knurrte er, bevor er auf dem Absatz kehrtmachte.

„Wohin gehen Sie denn?“

„Sheriff Dawson und ich haben etwas miteinander zu klären“, rief er, bevor er im Korridor verschwand.

Arabella rappelte sich auf und schaute durch die Gitterstäbe. Als Miss James kicherte, drehte sie sich um.

„Er ist einfach himmlisch“, hauchte die junge Frau.

„Himmlisch“ war nicht unbedingt das Wort, mit dem Arabella Wilder beschrieben hätte. „Arrogant“, „lästig“ und „unerträglich“ waren bessere Attribute, aber … als er gehört hatte, dass der Sheriff ihr die Haare abgeschnitten hatte, hatte sich in seiner Einstellung ihr gegenüber etwas verändert, und sie wusste ohne jeden Zweifel, dass sie bald wieder frei wären.

Sie humpelte zu der Steinbank hinüber, setzte sich und konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen.

Wilder war bestimmt nicht die Gebetserhörung, die sie erwartet hatte, aber Gott hatte ihn ihr geschickt, und sie war trotz allem für die Hilfe dankbar.

Sie blickte zur Decke hinauf.

Danke, Herr.

3

iss Arabella Beckett war eigensinnig, rechthaberisch und ganz anders, als Theodor erwartet hatte, als er eingewilligt hatte, sie nach Hause zu holen.

Ihr Bruder Zayne war ein sympathischer Mann, aber Miss Beckett gehörte zu diesen sonderbaren Frauen, die die Weltordnung auf den Kopf stellen und Rollen an sich reißen wollten, die schon immer Männer innegehabt hatten.

Sie war absolut nicht sein Typ, aber sie gehörte zum schwachen Geschlecht, und sein Ehrgefühl verpflichtete ihn, ihr zu helfen.

Es gefiel ihm überhaupt nicht, dass sie übel misshandelt worden war. Zugegeben, er wusste jetzt aus eigener Erfahrung, dass sie anstrengend war, aber jemand – offenbar Sheriff Dawson – hatte Miss Beckett die Haare abgeschnitten.

So etwas gehörte sich einfach nicht.

Der Sheriff hatte sie außerdem in eine widerliche Zelle geworfen, ohne ihr zu erlauben, sich zu waschen. Abgesehen davon, dass sie gezwungen wurde, in ihrem eigenen Schmutz auszuharren, stand Miss Beckett höchstwahrscheinlich eine Todesangst aus, während sie auf ihr ungewisses Schicksal harrte.

Als er die Treppe erreicht hatte, blieb er kurz stehen. Seltsam, sie hatte gar nicht verängstigt gewirkt. Allerdings hatte er ein leichtes Zittern in ihrer Stimme bemerkt, als sie davon gesprochen hatte, dass sie beinahe zu einem Leben in der Prostitution gezwungen worden wäre. In jenem Moment war er ihr gegenüber nachsichtiger geworden, doch nur eine Sekunde später hatte sie sich wieder gefangen und die unglaubliche Idee verkündet, dass sie beschlossen habe, Frauen zu helfen, die es nicht so gut hatten wie sie.

Anständige Frauen überließen solche hässlichen Dinge Männern.

Sie waren außerdem charmant und nicht wild und lästig wie Miss Beckett, die aus einem nicht nachvollziehbaren Grund glaubte, dass Frauen die gleichen Rechte zustünden wie Männern.

Er hatte immer den Standpunkt vertreten, dass Frauen für ihren Sonderstatus und dafür, dass sie sich nicht den Lebensunterhalt verdienen oder einen Beruf erlernen mussten, dankbar sein sollten. Nein, sie mussten eigentlich nichts anderes tun, als Kinder zu bekommen und ihrem Mann das Leben zu versüßen.

Wie eine Frau sich dagegen sträuben konnte, überstieg sein Vorstellungsvermögen. Es überstieg auch seine Fantasie, warum eine Frau sich nicht lieber sanft und nett verhielt und die Führung einem Mann überließ.

Er bezweifelte, dass Miss Beckett einem Mann überhaupt irgendetwas überließ, die Führung schon gar nicht. Es war nicht zu übersehen, dass sie sehr hübsch war – wenigstens soweit er es unter der Schmutzschicht hatte erkennen können. Aber sie war offensichtlich eigensinnig, und sie schien intelligenter zu sein als die meisten Männer, die er kannte.

Das gab einem Mann zu denken.

Es sollte ein Leichtes sein, Miss Beckett zu befreien und sie zurück nach New York zu begleiten. Leider schien diese Frau rastlos zu sein, was ihre Mutter, Mrs Gloria Beckett, praktischerweise zu erwähnen vergessen hatte, als sie ihn dazu überredet hatte, ihre Tochter aufzuspüren. Er hatte Wochen damit zugebracht, von einer Stadt zur nächsten zu reisen. Die schwer zu fassende Miss Beckett war ihm immer einen Schritt voraus gewesen. In Kansas hatte er schon aufgeben wollen, aber durch einen glücklichen Umstand hatte er die Bekanntschaft von Mrs Ellen Wallaby gemacht. Nachdem diese Frau ihn gezwungen hatte, sich einen erbosten Vortrag über ihre schlechte Meinung von Männern im Allgemeinen anzuhören, hatte sie ihm schließlich mitgeteilt, dass sich Miss Beckett auf dem Weg zu einer Suffragettenveranstaltung in Chicago befände.

Er hatte sofort den nächsten Zug nach Chicago genommen, aber als er dort angekommen war, hatte er feststellen müssen, dass die Veranstaltung vorüber und Miss Beckett schon wieder fort war. Nur der Tatsache, dass Miss Beckett eine auffallend schöne Frau war, wenn sie nicht gerade mit den Hinterlassenschaften eines Schweinekobens bedeckt war, verdankte er es, dass er erfahren hatte, dass sie nach Gilman gereist war. Den meisten Personen, mit denen er gesprochen hatte, war sie aufgefallen, und jeder Einzelne hatte sie ihm bereitwillig bis ins kleinste Detail beschrieben. Offenbar waren ihr auffallend ausdrucksvolles Gesicht, ihre großen, blauen Augen, ihre sanft geschwungenen Brauen und ihre weichen, rosa Lippen unvergesslich. Mehr als einer seiner Gesprächspartner hatte von ihren honigblonden Haaren geschwärmt und jetzt fehlte ein Teil dieser Haare.

Das schien sie allerdings nicht übermäßig zu berühren.

Dieser Mangel an typisch weiblicher Theatralik war beunruhigend.

Seine Schwester wäre außer sich, wenn ihr plötzlich jemand die Haare abschneiden würde.

Lautes Gelächter holte ihn abrupt in die Wirklichkeit zurück. Seine Füße setzten sich in Bewegung, und ein paar Sekunden später stand er vor einer geschlossenen Tür, durch die er das Lachen immer noch hören konnte. Er öffnete die Tür und marschierte unangekündigt ins Zimmer.

Sheriff Dawson saß hinter einem Schreibtisch und hatte eine Zigarre zwischen den Zähnen. Drei Hilfssheriffs lungerten auf Holzstühlen herum und hatten Whiskeygläser in der Hand. Mit einer gewissen Belustigung betrachtete er den mitgenommenen Zustand ihrer Kleidung. Eine stinkende Masse klebte an jedem der Männer, was Theodor mit einer leichten Befriedigung erfüllte. Wenigstens war Miss Beckett nicht die Einzige, die unter der Begegnung mit dem Schwein gelitten hatte.

„Meine Herren“, rief er laut, während er durch den Raum schritt und vor dem Schreibtisch des Sheriffs stehen blieb, „wir haben einiges zu klären.“

„Ist sie die Frau, die Sie suchen?“, fragte Sheriff Dawson.

„Ja.“

Der Sheriff zog an seiner Zigarre. „Hat sie Ihnen gesagt, dass sie einen Mann angeschossen und mir und meinen Hilfssheriffs große Scherereien bereitet hat?“

Theodor setzte sich auf einen Stuhl und schlug die Beine übereinander. „Es fällt mir schwer zu glauben, dass eine vornehme Dame Ihnen so große Schwierigkeiten bereitet haben soll. Was den Vorfall mit der Waffe betrifft, müssen wir das unter vier Augen besprechen.“

Sheriff Dawson runzelte die Stirn. „Diese Frau ist keine vornehme Dame, und ich sehe keinen Anlass, etwas unter vier Augen zu besprechen, da meine Männer die Opfer ihres Verbrechens wurden.“

„Eine Frau vor einem Prostitutionsring zu retten ist wohl kaum ein Verbrechen.“

„So etwas haben wir hier in Gilman nicht“, mischte sich einer der Hilfssheriffs ein, der gemächlich aufstand und zu einem Tisch schlenderte, auf dem er sich ein neues Glas Whiskey einschenkte.

„Vielleicht gibt es in Ihrer kleinen Stadt keine Prostitution, aber ich versichere Ihnen, dass außerhalb der Stadt beunruhigende Dinge vor sich gehen.“ Theodor wandte seine Aufmerksamkeit wieder Sheriff Dawson zu. „Was Miss Beckett angeht, so haben Sie und Ihre Männer die einzige Tochter von Mr Douglas Beckett, dem Eigentümer von ,Beckett Railroads‘, verhaftet.“

Eine gespannte Stille legte sich über den Raum.

„Sie ist eine von den Railroad-Becketts?“, fragte Sheriff Dawson und eine Schweißperle lief über seine Nase.

„Ja, und deshalb schlage ich vor, dass Sie sie und Miss James umgehend freilassen und meiner Obhut übergeben.“

Sheriff Dawson lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. „Das kann ich leider nicht machen. Selbst wenn ihrem Vater die Eisenbahn gehört, hat sie einen Mann angeschossen und versucht, sich der Festnahme zu entziehen.“

„Was ich vollkommen verständlich finde, wenn man bedenkt, dass Miss Beckett von einem Mann angegriffen wurde, der ein Verbrecher ist und versucht hat, sie daran zu hindern, Miss James zu befreien. Ich hätte auch auf den Mann geschossen, und ich hätte auf jeden Fall versucht, mich der Festnahme zu entziehen, wenn die Polizei kein großes Interesse daran zeigen würde, den eigentlichen Verbrecher hinter Schloss und Riegel zu bringen.“

Sheriff Dawson stieß ein dröhnendes Lachen aus. „Erzählen Sie mir jetzt nicht, dass Sie diesen ganzen Unsinn glauben, mein Junge! Sie haben es hier mit Frauen zu tun, und jeder weiß, dass man Frauen nicht trauen kann, weil sie nicht immer die Wahrheit sagen. Lassen Sie sich von Miss Beckett und Miss James nicht verleiten zu glauben, sie wären in der ganzen Angelegenheit unschuldig, nur weil sie hübsche Damen sind.“

„Ich bin nicht Ihr Junge! Und tun Sie nicht so, als wäre ich ein Idiot.“ Er holte die Brieftasche aus seiner Jacke, zog eine Karte heraus und warf sie Sheriff Dawson auf den Schreibtisch.

„Sie haben mir schon gesagt, dass Sie Privatdetektiv sind.“

„Lesen Sie die Karte!“

Sheriff Dawson nahm die Karte und erblasste. Er deutete auf seine Männer. „Ich muss allein mit diesem Mann sprechen.“

„Ich halte das nicht für klug, Chef“, sagte der Hilfssheriff, der sich vorher schon eingemischt hatte. Er hob sein Glas an den Mund und trank geräuschvoll. „Ich traue ihm nicht.“

Sheriff Dawson zog eine Schublade seines Schreibtischs auf, holte eine Pistole heraus und zwinkerte seinem Hilfssheriff zu. „Ich komme schon klar, Cunningham.“

Obwohl die drei Hilfssheriffs leise vor sich hin brummten, schlenderten sie schließlich aus dem Raum. Theodor wartete, bis die Tür hinter dem letzten Hilfssheriff geschlossen wurde, bevor er sich wieder zum Sheriff umdrehte und eine Braue hochzog.

„Was geht in Ihrer Stadt vor?“

„Sie arbeiten für die Regierung?“, fragte Sheriff Dawson, ohne auf Theodors Frage einzugehen.

Dieses Spiel beherrschte er auch. „Wer sind die Männer aus dem Farmhaus?“

Sheriff Dawson kniff die Augen zusammen. „Erzählen Sie mir von der Regierung, dann erzähle ich Ihnen von den Männern.“

„Ich arbeite für die Regierung.“

„Und?“

„Mehr brauchen Sie nicht zu wissen“, entgegnete Theodor. „Außer vielleicht, dass ich, wenn Sie nicht kooperieren, Ihre Stadt nicht verlasse, nachdem Sie die Damen freigelassen haben. Und ich kann Ihnen versichern, dass Ihnen das nicht gefallen wird.“

Noch mehr Schweiß brach auf der Stirn des Sheriffs aus. „Die einzigen Namen, die ich von diesen Männern habe, sind Carter und Wallace. Sie sind vor ein paar Monaten hierher gezogen und ich weiß nicht viel über sie.“

„Was ist mit dem Prostitutionsring?“

„Darüber kann ich nicht sprechen.“

Jeder Muskel in Theodors Körper spannte sich an. „Warum nicht?“

„Das ist eine interne Angelegenheit.“

Theodor begriff sofort, was er damit meinte. Gleichzeitig wuchs seine Sorge. Er schob sich vom Stuhl hoch, schnappte sich die Pistole, die Sheriff Dawson auf den Schreibtisch gelegt hatte, und richtete sie auf den Gesetzeshüter. „Ich brauche die Schlüssel zu der Zelle.“

„Haben Sie den Verstand verloren?“

„Ganz und gar nicht. Ich habe Sie völlig richtig verstanden. Sie verdächtigen einen von Ihren Mitarbeitern, bei dem schmutzigen Geschäft, das in Ihrer Stadt läuft, die Finger im Spiel zu haben. Und dieser Jemand könnte in diesem Moment auf dem Weg zu den Zellen sein. Sie liefern die Damen der Gnade dieses Mannes aus.“

Sheriff Dawson schaute ihn nachdenklich an und wischte die dicke Schweißschicht weg, die jetzt sein gesamtes Gesicht überzog. Dann stand er auf, trat zu einem Haken an der Wand und nahm einen Schlüsselring ab. Er deutete zur Tür.

„Sie zuerst“, sagte Theodor und deutete mit der Pistole zur Tür.

„Das ist nicht nötig“, murmelte Sheriff Dawson, während er hinausging und Theodor ihm dicht auf den Fersen folgte.

Der Detektiv verstärkte den Griff um die Pistole. „Oh, ich fürchte, dass das sehr wohl nötig ist.“

Er folgte dem Sheriff durch den Gang, stürmte aber an ihm vorbei, als er plötzlich ein hohes Kreischen hörte. Er hastete die Treppe hinab, blieb aber bei dem ungewöhnlichen Anblick, der sich ihm dann bot, abrupt stehen.

Miss James presste sich an die Gitterstäbe, hielt mit einem der Hilfssheriffs Händchen und kicherte, als sei gerade ein Fest im Gange.

Vielleicht hatte Miss Beckett recht gehabt und er hätte diese Frau doch lieber nicht wecken sollen.

„Treten Sie von der Zelle weg“, befahl er. Die Aufmerksamkeit des Hilfssheriffs richtete sich jetzt auf Theodor, der ihn mit der Pistole bedrohte.

„Mr Wilder!“, rief Arabella aus. Sie drückte das Gesicht ans Gitter und schaute ihn mit großen Augen an. „Was in aller Welt machen Sie denn da?“

„Ich befreie Sie“, sagte er, bevor er seine Aufmerksamkeit wieder auf den Hilfssheriff richtete, der immer noch Miss James’ Hand hielt.

„Ich hätte gedacht, Ihre diplomatischen Fähigkeiten würden es Ihnen ermöglichen, unsere Freilassung zu erwirken, ohne uns mit Waffengewalt aus dem Gefängnis zu holen.“

Er wurde ärgerlich. „Ich erschieße niemanden, um Sie aus dem Gefängnis zu holen. Ich versuche nur, diesen Hilfssheriff dazu zu bewegen, dass er Miss James’ Hand loslässt.“

„Ach so. Das ist aber schade.“

Er knirschte mit den Zähnen. „Wollen Sie, dass ich jemanden erschieße?“

„Diese Vorstellung ist zwar sehr reizvoll, aber ich nehme an, dass wir es lieber auf normalem Weg machen und einfach die Kaution zahlen sollten.“ Arabella bückte sich, machte sich am Saum ihres Rocks zu schaffen, richtete sich dann wieder auf und warf ihm etwas zu, das nach schlammbeschmierten Geldscheinen aussah. „Das sollte genügen.“

Er trat vor und fing das Geld auf. „Tragen Sie immer an diesem ungewöhnlichen Ort Geld bei sich?“

„Ich muss zugeben, dass das häufiger vorkommt. Und ich muss auch zugeben, dass ich nicht ganz verstehe, warum mir bis jetzt keine Gelegenheit gegeben wurde, eine Kaution zu zahlen.“ Arabella warf dem Sheriff, der inzwischen neben Theodor getreten war, einen finsteren Blick zu. „Sie haben mich nicht gerade freundlich behandelt, Sheriff, und …“ Arabella verstummte. Sie runzelte die Stirn und richtete den Blick wieder auf Theodor. „Dürfte ich vorschlagen, dass Sie Ihre Waffe senken, Mr Wilder? Falls es Ihrer Aufmerksamkeit entgangen sein sollte: Zwei Hilfssheriffs stehen hinter Ihnen und beide zielen mit ihren Waffen auf Sie.“

Er wandte sich um und stellte fest, dass der Hilfssheriff, den Sheriff Dawson Cunningham genannt hatte, und sein Kollege mit gezogenen Revolvern zwei Meter hinter ihm standen. „Ich werde meine Waffe erst einstecken, wenn dieser Hilfssheriff einen Schritt von Miss James zurücktritt.“

Miss James stieß plötzlich ein schrilles Lachen aus. Er blinzelte, als sie ihn mit einem Augenaufschlag bedachte und mit den Fingern ihrer freien Hand durch die Gitterstäbe winkte. „Mr Wilder, Sie brauchen nicht traurig zu sein, weil ich zu Hilfssheriff Hansen ein wenig nett bin.“ Sie strahlte den Hilfssheriff an. „Er ist so lieb, meine Hand zu halten und mir meine Angst zu nehmen.“

„Miss James, verzeihen Sie, aber wenn er Ihre Hand nicht bald loslässt, muss ich ihn leider wirklich erschießen, und dann haben Sie auf Ihrem hübschen Kleid mehr als nur ein paar hässliche Blutspritzer.“

Miss James zog ihre Hand so schnell von Hansen zurück, dass Theodor fast laut gelacht hätte.

„Sie sind abscheulich“, fauchte Hansen, während er von der Zelle zurücktrat und Theodor finster anschaute. „Meine Mutter hat mich dazu erzogen, Damen zu respektieren und auf ihre empfindsamen Gefühle Rücksicht zu nehmen. Wie ich soeben erfahren habe, ist die arme Miss James an all den Verbrechen, die heute verübt wurden, völlig unschuldig. Ich habe nur versucht, sie zu beruhigen und ihr zu versichern, dass alles gut ausgehen wird.“

„Oh, das war sooo nett“, flötete Miss James.

Theodor hatte Mühe, die Augen nicht zu verdrehen. „Ganz gleich, ob er nett war oder nicht, Miss James, ich fürchte, dass Sie sich jetzt von Hilfssheriff Hansen verabschieden müssen. Sheriff Dawson hat sich einverstanden erklärt, Sie und Miss Beckett in meine Obhut zu übergeben, und wir müssen jetzt wirklich aufbrechen.“

Hilfssheriff Hansen trat einen Schritt vor und deutete mit dem Kopf auf Arabella. „Aber sie hat auf einen Mann geschossen.“

Sheriff Dawson räusperte sich. „Das genügt, Hansen. Mr Wilder ist jetzt für diese Damen verantwortlich, und ich bin froh, dass wir sie los sind.“ Er drehte sich um und deutete mit dem Kopf zu den beiden Hilfssheriffs, die mit gezogenen Pistolen dastanden. „Sie können jetzt gehen. Ich komme in ein paar Minuten zu Ihnen in mein Büro.“

„Aber … Sie können Miss Beckett nicht einfach gehen lassen“, argumentierte Hilfssheriff Hansen. „Sie hat ihre gerechte Strafe noch nicht bekommen.“

„Darüber sprechen wir später“, knurrte Sheriff Dawson.