ZweiSichten - Mirko Kussin - E-Book

ZweiSichten E-Book

Mirko Kussin

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Beschreibung

Eine dominikanische Ordensschwester und ein PR-Redakteur - gegensätzlicher können zwei Menschen auf den ersten Blick nicht sein. Ursula Hertewich lebt im Kloster Arenberg. Mirko Kussin ist ein Großstadt­Redakteur, der von einem Abgabetermin zum nächsten jagt. Doch auf den zweiten Blick ist Schwester Ursula alles andere als brav und fromm und Mirko Kussin gar nicht so abgebrüht, wie er zunächst erscheinen mag. Und wenn beide sich über die Themen austauschen, die sie am stärksten berühren, wird neben viel Humor und einigen Überraschungen vor allem eins deutlich: Tief in uns drinnen bewegen uns alle dieselben Ängste und Wünsche - und die Sehnsucht nach einem Glauben, der den Alltag durchdringt und unserem Leben Sinn gibt. Einige Themen aus dem Buch: - Heimat - Zweifel - Heiligkeit - Luxus - Sünde - Glück - Tod - Sex - Freiheit - Stress

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INHALT

VORWORTChristina Brudereck

DIE URSULA / DER MIRKO

ZWISCHEN KIRCHENBANK UND BARHOCKER

GEDANKEN ÜBER GOTT UND DIE WELT

EITELKEIT

ERFOLG

FREIHEIT

ALLES BIO?

WORK-LIFE-BALANCE

LUXUS

SÜNDE

VERTRAUEN

FREUNDSCHAFT

SEX

WÜSTE

ANGST

WUT

KRISEN

BEDÜRFNISSE

ENTSCHEIDUNGEN, ENTSCHIEDENHEIT UND TREUE

HOFFNUNG

GEMEINSCHAFT UND GEMEINDE

GLAUBE

GOTT

BERUFUNG

HEILIGKEIT

HEIMAT

TOD

ZUKUNFT

EWIGKEIT

LIEBE

EINSICHTEN AUS ZWEISICHTEN

DANKE

ÜBER DIE AUTOREN

QUELLENVERZEICHNIS

VORWORT

Bücher sind ja nicht gerne alleine. Sie leben am liebsten in Gesellschaft. Umgeben von anderen Seiten. Und von Neugierigen. Da entfalten sie ihre volle Wirkung. Sie wollen gelesen werden. Aufgeschlagen. Durchschaut. Ausgelegt. Meditiert und diskutiert. Sie wollen einzelne Zeilen unterstrichen wissen. Ans Herz gedrückt werden. Weitererzählt. Ausgeliehen und verschenkt. Sie wünschen sich Eselsohren. Spuren von Kaffeetassenrändern und Rotweingläsern. Schweiß. Lachtränen und die anderen. Bücher sind eben soziale Wesen.

Dieses Buch war noch nie allein. Es entstand zu zweit. Im Gespräch. Im Dialog. Im Unterschied. Im krassen Gegensatz wie gleichzeitig in respektvoller Verbundenheit. Dieses Buch enthält zwei Sichten. Es ist nicht eindeutig. Es ist vielsagend. Vielseitig. So abwechslungsreich, weil abwechselnd geschrieben.

Die Themen des Buches könnten auch jeweils für sich allein in einem dicken Wälzer behandelt werden: Freiheit, Tod, Luxus, Hoffnung, Gott, Sex, Glaube. Aber sie erscheinen hier zusammen. So sind auch sie nicht allein und das macht was aus ihnen. Die Angst ist umgeben von Wut und Wüste. Der Erfolg eingerahmt von Eitelkeit und Freiheit. Der Glaube wird umarmt von der Gemeinde und von Gott. Dieses Buch will nicht diktieren, an keiner Stelle monologisieren, es möchte austauschen und vermitteln. Mitten in der Welt, zwischen Welten.

„Die Nonne und der Hipster haben ein Buch zusammen geschrieben?“ Diese ungläubige Frage ist wohl die heilige Begleitung dieses Buches. Das Staunen gehört dazu. Die Ordensschwester und der Texter. Apfelbäckchen und Vollbart. Weißer Habit, schwarzer Kapuzenpulli. Apothekerin und Architekturstudent. Mystikerin und PR-Mensch. Seelsorgerin und Schriftsteller. Stolze Saarländerin und Ruhrpott-Junge, der gerne anpackt. Ehelose und Ehemann. Schwester und Schrebergärtner. Ursula und Mirko.

Dieses Buch würde sich wohlfühlen neben der Bibel. Neben Arun Gandhi. Papst Franziskus. Pippi Langstrumpf. Neben „Ich will mich einmischen in diese Welt“, den Briefen der heiligen Katharina von Siena. Und ein paar Thrillern von Stephen King. Neben dem „Ich und Du“ von Martin Buber. Neben „Die Vereindeutigung der Welt“. Hier wird persönlich erzählt. Dezent und dennoch deutlich. Wir lesen Geständnisse. Vom befreiendsten Ja eines Lebens. Vom sympathischen Schönwetter-Katholiken. Vom Kater. Von Kirchenglocken. Spaß am Sex. Vom Labyrinth. Manches ist schonungslos. Einiges witzig. Anderes tiefsinnig. Das hochaktuelle, schwerschöne Wort „Ambiguitätstoleranz“ kommt nicht drin vor und ist doch dicht angesammelt zwischen den Zeilen. Wo es zwei Sichten gibt, wird es ganz bald auch mehr als zwei geben. Dieses Buch ist eine Einladung, mit einer Meinung nicht allein zu bleiben. Es ist wohl kein Zufall, dass die indoeuropäische Zwei (Twee, Duo, Two, Deux, Dos) dem „Du“ ähnelt. Wer nicht nur bei der eigenen Einsicht bleibt, nicht nur gerne „Ich“ sagt, sondern eine zweite Sicht wagt und ebenso gerne „Du“ sagen kann, hat viel gewonnen.

Bücher sind nicht gerne alleine. Und dieses hier möchte in (die) Gesellschaft. In die Stille, auch das zuerst mal gerne. Dann aber in den Dialog. In Debatten. In die Kirche. Auf Kirchentage. Katholikentage. In die Messe, die Öffentlichkeit, ins Kloster, in die Agentur. Die Dominikanerin und der Literat wollen unterhalten und anregen, inspirieren, unterbrechen, ermutigen, wecken, kitzeln. Der Bibelvers zum Buch könnte eine Zeile aus dem Psalter sein, wo die betende Person sagt: „Ein Wort hat Gott gesagt, zwei sind es, die ich gehört habe.“1 Das Lied zum Buch könnte von den Fantastischen Vier sein: „Allein sein ist out. Vorbei ist die Zeit, in der man keinem mehr traut.“ Menschen sind ja wie Bücher soziale Wesen.

Christina Brudereck

Evangelische Theologin, Schriftstellerin und die eine Künstlerin des Duos 2Flügel. Sie liebt das Kloster Arenberg und das Ruhrgebiet. Spiritualität und schöne Texte. Ökumene und Dialog. Und Ursula und Mirko.

DIE URSULA / DER MIRKO

Die Ursula – selten bin ich einem Menschen begegnet, mit dem jede Unterhaltung einfach immer zu kurz ist. Ursula ist eines dieser seltenen Exemplare Mensch. Egal wie oft wir uns sehen und miteinander sprechen, die Zeit reicht nie aus. Etwa ein bis zweimal im Jahr verbringen meine Frau und ich ein paar entspannend-inspirierende Tage im Kloster Arenberg und im Laufe der Jahre hat sich die lockere Tradition ergeben, dass wir uns während dieser Tage mindestens einmal mit Ursula im Klostercafé treffen, einen Cappuccino trinken und – im wahrsten Sinn des Wortes – über Gott und die Welt reden. Diese Gespräche sind stets ein Feuerwerk und sie waren sicherlich der Auslöser dafür, dieses Buch zu planen und die Idee schließlich auch umzusetzen. Ob Smartwatches, die Hölle, Urlaubsreisen, Zweifel, Facebook-Profile oder der Glaube an sich: Die Perspektive der Ordensschwester ist immer eine echte Bereicherung. Und Ursula steht mitten im Leben.

Wie viele ihrer Mitschwestern ist sie eine wirklich gute Botschafterin für den Katholizismus. Und manchmal denke ich, dass die Arenberger Truppe mehr Menschen zu Gott gebracht hat als alle Ausgaben des Wortes zum Sonntag zusammen. Sie sind der Meinung, dass der katholische Glaube lebensfern sei, unmodern und nicht in den Alltag passe? Reden Sie ein, zwei Stündchen mit Schwester Ursula und Ihre Meinung gerät ins Wanken. Nach zwei weiteren Stunden sind Sie ein Fan. Und noch zwei Stunden später wollen Sie direkt und aus vollster Überzeugung in einen Orden eintreten. Ich verspreche es Ihnen. Oder folgen Sie ihr doch einfach auf Facebook. Sie werden erstaunt sein.

Ich bin immer wieder verblüfft, wie tiefgründig sie sein kann und aus wie vielen verschiedenen Blickwinkeln sie auf die Welt, das Leben und ihren Glauben schaut. So saß ich zum Beispiel noch kürzlich in einem ihrer Vorträge über die österliche Liturgie. Für jemanden wie mich, der viel zu selten einen Gottesdienst besucht, um die ganzen Regeln, Hintergründe und Verhaltensweisen zu kennen, ein ebenso interessantes wie auch abschreckendes Thema. Ist ja schließlich schwere Kost: Kreuzigung, Folter, Leiden. Blut schwitzen. Und dann tritt Ursula nach vorne und rockt die Bude. Erzählt mit solch einer Begeisterung von Kreuzverhüllung, Tod und anschließendem hundertfachen Halleluja auf der ganzen Welt, dass man einfach lächeln muss. Sie brennt für ihren Glauben. Dieses Feuer strahlt hinaus in die Welt und erreicht selbst Amateurchristen wie mich. Ursula ist pure Authentizität und das ist ein riesiges Pfund, mit dem sie wuchern kann.

Diese Authentizität ist wahrscheinlich auch der Grund, warum ich sie trotz ihres außergewöhnlichen und immer etwas eintönigen Kleidungsstils gar nicht mehr in ihrer Funktion als Ordensschwester wahrnehme. Diese leicht würde- und respektvolle Distanz, die ich ganz zu Anfang noch pflegte, weil sie ja schließlich eine Ordensschwester ist, hat sich ziemlich schnell gelegt. Jetzt ist sie einfach Ursula für mich. Eine Frau, die ihren Weg mit Gott geht und die einen messerscharfen Verstand hat. Eine lebenslustige Frau, die zum Leidwesen ihrer bezaubernden Mutter auch in Ordenstracht nicht vollständig auf Kraftausdrücke verzichten kann. Eine Frau, die mit ihrem ganzen Sein einen liebevollen, gütigen, verzeihenden Gott verkündet. Einen Gott, der Humor versteht. Und das macht sie so gut, dass man selbst Bock auf diesen liebenden Gott bekommt. Sie schafft es innerhalb kürzester Zeit, die Klischees über die ‚ach so verstaubte katholische Kirche‘ zu atomisieren. Mit ihr kann man immer mit einem Schnäpschen anstoßen, ohne dass es wie die aufgesetzte Bürgernähe mancher Politiker wirkt. Und bei alldem bleibt sie doch immer die weise, kluge Ordensschwester. Sie liebt das Leben, sie liebt Gott. Und sie meistert den Balanceakt zwischen würdevoller Weisheit und kindlicher Lebensfreude mit eleganter Leichtigkeit. Von ihr kann man sehr viel über das Leben lernen. Über Annahme und Lebensfreude, über Leichtigkeit und Genuss, über Radikalität und Vernunft, über Dankbarkeit, Demut und Selbstverständlichkeiten.

Ursula ist ein schneeweiß verpacktes Geschenk für die Welt. Und im Laufe der Jahre ist sie meiner Frau und mir eine Freundin geworden, die unser Leben bereichert. Die hier mal ein wenig Zuversicht hinterlässt und dort mal eine Prise Hoffnung. Und wenn sie zwischendurch lacht, dann muss man einfach denken, dass das Leben vielleicht doch nicht so schwer ist. Wir sind alle drei ungefähr gleich alt und manchmal stelle ich mir unsere Treffen in 30 oder 40 Jahren vor. Den Cappuccino trinken wir dann entkoffeiniert, unsere Rollatoren parken wir rund um den Tisch, und wahrscheinlich brauchen wir deutlich länger, bis wir uns niedergelassen haben. Aber ansonsten wird es so sein wie jetzt. Wir werden tolle Gespräche über Gott und die Welt führen.

Das ist eine gute Vorstellung. Eine schöne.

Der Mirko – als ich ihn zum ersten Mal in der Raucherecke von Kloster Arenberg entdeckte (der Ort übrigens, wo man ihn nebst bester Ehefrau gefühlt immer trifft, wenn er bei uns zu Gast ist), fiel er mir direkt auf. Denn auch wenn viele sehr unterschiedliche Menschen zu uns auf den Arenberg kommen, finden Leute wie er doch eher selten bis nie den Weg in unser Haus.

„Ein cooler Typ, mit dem würde ich gerne mal über Gott und die Welt plaudern“, dachte ich spontan – damals natürlich noch nicht ahnend, dass aus einem solchen „Geplauder“ irgendwann einmal ein gemeinsames Buchprojekt entstehen könnte. Aber wieder zurück: Nicht nur ich fand Mirko interessant, innerhalb weniger Tage war der „nette junge Mann“ (O-Ton einer Mitschwester) nebst seiner bezaubernden Ehefrau auf dem Arenberg unter Schwestern und Mitarbeitern bekannt wie ein bunter Hund. Ohne dass viele Worte gewechselt worden wären, war eine große gegenseitige Sympathie zu spüren. Das war der Anfang, es muss wohl 2010 gewesen sein.

So intensiv ich auch nachgrüble, ich kann mich beim besten Willen nicht mehr daran erinnern, wann und wo und aus welchem Anlass genau wir erstmals „richtig“ und „offline“ miteinander ins Gespräch kamen. Ich weiß nur noch, dass dieses Gespräch in mir sehr ambivalente Gefühle hinterließ: Auf der einen Seite spürte ich bereits nach ein paar Minuten eine seltsame Vertrautheit, eine gemeinsame Basis, die mir schon fast magisch erschien – auf der anderen Seite jedoch auch etwas Befremdliches, was ich bis auf den heutigen Tag nicht richtig einordnen kann. Auf jeden Fall machte dieses erste Gespräch wohl beidseitig große Lust auf mehr, und so folgten bei späteren Aufenthalten zahlreiche weitere – meistens bei einem Cappuccino im Klostercafé, mal mit einem Glas Rotwein im Klosterkeller, mal zu zweit, mal mit Ehefrau und Mitschwestern … – und immer, wirklich immer, raste gefühlt die Zeit davon, immer waren diese Gespräche viel zu kurz, immer hätte es noch so viel mehr zu sagen gegeben.

Das Verrückte ist: Ich ahne, dass es in unser beider Leben eine Zeit gab, in der wir uns deutlich weniger aufgeschlossen begegnet wären und uns vielleicht sogar gemieden hätten wie die Pest. Ich denke an die Jahre des Erwachsenwerdens, die für mich ganz und gar geprägt waren von einer großen Leidenschaft für klassische Musik, regelmäßigen Gottesdienstbesuchen und Jugendarbeit in meiner kleinen heilen saarländischen Welt, während – so meine Fantasie – Mirko in deutlich anderer Richtung erfahrungshungrig war. Wie hätten wir uns wohl Anfang der 90er gegenseitig wahrgenommen, wären wir auf die gleiche Schule gegangen? Und wie kommt es eigentlich, dass wir uns heute offenbar so unendlich viel zu sagen haben? Fragen über Fragen …

Die Gespräche mit Mirko sind für mich persönlich wie ein innerer Zugang zu einer Welt, die mir bis vor einiger Zeit völlig fremd war. In dieser Welt wird zwar wahrscheinlich deutlich weniger über Gott gesprochen als in „meiner“ Welt, aber ich bin mir nicht sicher, ob Er dort nicht umso intensiver gesucht wird. Wie sonst lässt sich die unbändige Sehnsucht nach Wahrheit, Leben, Entgrenzung und Gerechtigkeit verstehen, die in Mirkos Herz lebendig ist und in vielen seiner Texte zum Ausdruck kommt? Ja, ich glaube, die gemeinsame Suche verbindet uns zutiefst. Wir beide lassen uns nicht abspeisen mit billigen Antworten auf die existenziellen Fragen des Lebens, vielmehr ziehen wir es vor, mit offenen Fragen leben zu lernen. Wir beide wollen es wissen, wollen wissen, was die Welt im Innersten zusammenhält, und werden nicht müde, leidenschaftlich danach zu suchen, jeder auf seine Weise.

Ich habe Mirko in den vergangenen Jahren als stillen, nachdenklichen, liebevollen, im wahrsten Sinne des Wortes tiefsinnigen Menschen erlebt, der sehr sorgfältig zuhören kann. Dass dieser Mensch sich gleichzeitig Horrorfilme anschaut und – zumindest für meine Ohren – ebenso gruselige Musik liebt, stört mich inzwischen überhaupt nicht (mehr). Vielleicht, weil er gerade durch diese Widersprüchlichkeit in seiner Person die Wirklichkeit unserer Welt widerspiegelt, die eben auch nicht immer nur schön ist, aber dennoch Gottes radikal geliebte Schöpfung.

Mirko und ich lieben es, unterschiedliche Menschen, ja sogar verschiedene Welten miteinander in Verbindung zu bringen und zu vernetzen. Die Tatsache, dass wir uns getroffen haben, rechne ich dem besten aller Netzwerker an, der niemals müde wird, uns in neue Fragen zu drängen und neue Horizonte zu eröffnen: GOTT sei Dank!

ZWISCHEN KIRCHENBANK UND BARHOCKER

Die Idee zu diesem Buch entstand schon vor einigen Jahren und im Nachhinein betrachtet scheint es wohl so etwas wie Fügung gewesen zu sein: Wir hatten uns im Herbst 2010 in Arenberg kennengelernt und aus den anfänglichen Grüßen beim Vorbeigehen und einigen Facebook-Nachrichten wurden im Laufe der Zeit Treffen bei Cappuccino, lange E-Mails und witzige WhatsApp-Nachrichten. Die Themen unserer Gespräche kreisten um Gott und die Welt, um die Hölle, um Katzen, um Vergebung, Glauben, Social Media, Kirche, um Kaninchen, Hühner, Smartwatches und Bluetooth-Lautsprecher, um Lebensentwürfe und Schicksalsschläge – also alles Themen, die man zwischen Kirchenbank und Barhocker finden würde. Ungefiltert aus dem Leben.

So unterschiedlich unser Äußeres sein mochte, unsere Ansichten lagen bei vielen Themen sehr nah beieinander. Wie in der Mathematik kamen wir beide über unterschiedliche Wege zum gleichen Ergebnis. „Man müsste unsere Gespräche eigentlich mal aufzeichnen“, sagte Mirkos Ehefrau irgendwann einmal. Und: „Das würde mit vielen Klischees und Vorurteilen aufräumen.“ Und dann noch: „Das könnte auch andere Menschen interessieren.“ Schließlich haben wir doch alle ähnliche Fragen im Kopf und Herzen. Fragen nach dem Sinn und nach Gott. Viele von uns sind auf der Suche nach Antworten in einer Welt, die uns täglich neu herausfordert. Wir wollen Spiritualität leben, Erfahrungen machen, die über unser Sein hinausreichen, wir wollen den göttlichen Funken im Alltag finden, in der S-Bahn, im Kino, im Garten.

Die Idee stand nun im Raum, aber es dauerte noch eine ganze Weile, bis wir uns wirklich mit diesem Projekt auf den Weg machten. Mal hatten wir keine Zeit, mal die Idee schon fast vergessen. Aber eben nur fast. Tief im Herzen gärte sie weiter. Bis zum Frühjahr 2017, bis zu einem Treffen mit Annette Friese vom adeo Verlag. Sie gab schließlich den entscheidenden Impuls, aus der Idee ein echtes Buch zu machen.

Das Konzept war schnell erstellt, schließlich hatten wir die Idee seit Jahren im Kopf. Themen gab es in Hülle und Fülle. Den Stil der einzelnen Texte hielten wir so offen wie möglich, mal humorvoll, mal nachdenklich, mal mit Gott, mal fast ohne. Eben genau so, wie es unser beider Leben entspricht. Und dann begannen wir zu schreiben.

Das taten wir unabhängig voneinander, um uns den Themen von der anderen WeltSicht unbeeinflusst nähern zu können. Wir verabredeten, dass wir den Text des jeweils anderen erst dann lesen würden, wenn wir beide ein Thema abgeschlossen hätten. Was Sie in diesem Buch lesen werden, sind also wirklich jeweils ZweiSichten auf ein Schlagwort. Ganz individuell, ganz frei, ohne Absprachen.

Unsere ZweiSichten haben keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit, sie sind keine absoluten Wahrheiten, sie sind ein Blick auf die Welt durch unsere vier Augen. Wir hoffen, dass Sie sich in den Texten wiederfinden und dass Sie beim Lesen ebenso viele Aha-Erlebnisse haben werden, wie wir sie beim Schreiben erleben durften. Dass Sie die Texte als Anregung verstehen, Ihre Sicht auf diese Themen zu finden. Denn dann entsteht aus den Bildern unserer ZweiSichten ein funkelndes Kaleidoskop. So bunt und schillernd wie das Leben.

GEDANKEN ÜBER GOTT UND DIE WELT

GLÜCK

Diesen Text über das Glück habe ich lange nicht begonnen. Ich spiele hin und wieder Lotto, nicht wöchentlich, aber doch recht regelmäßig. Ein kompletter Schein, inklusive Spiel 77, als Quicktipp für die Samstagsziehung macht 16,10 Euro. Als Einstieg in diesen Text hätte ich gerne etwas von einem Lottogewinn geschrieben. Keinem großen, keinem Sechser oder so. Ein Dreier mit Zusatzzahl hätte völlig ausgereicht, mich dem Thema Glück elegant zu nähern. Aber, nun ja, heute ist Samstagabend und ich hatte mal wieder kein Glück bei der Ziehung. Kein Dreier, kein Zweier mit Zusatzzahl. Ich glaube, es waren fünf richtige Zahlen auf zwölf Reihen verteilt. Der elegante Einstieg in diesen Text muss also ausfallen, denn ich hatte heute einfach kein Glück.

Zumindest nicht im Lotto. In anderen Lebensbereichen hatte dieser Tag durchaus ein paar Glücksmomente zu bieten: Das Wetter war herrlich, ich saß den ganzen Tag im Garten und konnte prima am Laptop arbeiten. Zwischendurch schmiss ich den Grill an und gegen Abend war ich noch an der Eisdiele, drei Kugeln für mich und drei für die beste Ehefrau. Das klingt nach einem ziemlich guten Tag. Glück gehabt! Und wenn ich dann noch bedenke, dass ich nicht in einen Verkehrsunfall verwickelt wurde, keine Einbrecher im Haus waren, kein Gewitterblitz das Dach in Flammen setzte und mir der Himmel nicht auf den Kopf fiel, dann muss ich schon sagen, dass ich heute sogar jede Menge Glück hatte.

Aber so ist es mit dem Glücksempfinden. Man scheint vor allen Dingen dann glücklich zu sein, wenn einem Gutes widerfährt. Ein freier Parkplatz mitten in der Innenstadt, eine Einladung zum Essen, eine Steuerrückzahlung. „Da habe ich aber Glück gehabt“, denkt man dann und vergisst dabei, dass man eine Minute zuvor auch Glück hatte, weil man nicht auf der Treppe stolperte, nicht fiel und sich nicht beide Beine brach. Diese Art des Glücks empfinden wir leider viel zu häufig als Normalität. Und an dieser Wahrnehmungsbruchstelle liegt im wahrsten Sinne des Wortes der Schlüssel zum Glück. Denn Glück zu erfahren und sich glücklich zu fühlen, ist ganz häufig eine Einstellungssache. Doch ich will nicht wie einer dieser Jeder-kann-glücklich-sein-Selbstoptimierungsverkünder klingen, denn natürlich kann nicht jeder glücklich sein. Da gibt es all jene, die mit Traumafolgestörungen zu kämpfen haben oder mit Panikattacken, die Depressionen kennen und Sozialphobie und für die jeder Tag ein Kampf ist. Es wäre ein Hohn, wenn ich diesen Menschen sagen würde, dass ihr Glück von ihrer Einstellung abhängig ist.

Aber den anderen, denen, die gesund sind und immer etwas unzufrieden und unglücklich erscheinen, weil sie vielleicht der Job nervt, weil sie allein sind oder unglücklich in ihrer Beziehung, denen, die ihren Fernseher als zu klein empfinden und ihr Smartphone als veraltet, deren Urlaub nie lang genug sein kann, denen möchte ich schon ein wenig ins Gewissen reden. Kommt damit klar. Euer Leben ist voll von Glück und schönen Dingen. Strebt voller Leidenschaft nach mehr, aber vergesst nicht, was ihr bereits erreicht habt. Nehmt euch und eure Wünsche zurück und sucht das Glück, das bereits in eurem Leben vorhanden ist. Freut euch über den Garten, der im Frühling erwacht. Freut euch über einen netten Abend mit Freunden. Freut euch über eure Gesundheit. Freut euch des Lebens!

Ein wenig muss ich schmunzeln, während ich das alles schreibe, denn ich bin selbst eigentlich gar nicht so gut darin, das Leben zu genießen und das Glück an jeder Ecke zu sehen. Aber ich war auch schon sehr viel unzufriedener als heute. Ich fand meinen Job doof, hatte keine Zeit für mich, schlief schlecht. Und immer regnete es. Heute hingegen ist es zwar oft genug wolkig und, ja, manchmal regnet es auch, aber häufig scheint auch einfach nur die Sonne. Diese positive Entwicklung ist sicher auch ein Resultat meiner zahlreichen Aufenthalte im Kloster Arenberg. Denn die Damen in Weiß sind vorzügliche Lehrmeisterinnen der Zufriedenheit und der Dankbarkeit.

Ich erinnere mich noch sehr gut an einen Nachmittag im Klosterpark. Unweit von mir saßen zwei Schwestern am Rande des Teiches auf einer Bank. Beide sicherlich jenseits der 80. Sie genossen sichtlich die Frühlingssonne, schauten sehr achtsam auf die Knospen und Triebe der Pflanzen, freuten sich über die Vögel, und immer, wenn eine von ihnen etwas entdeckt hatte, zupfte sie ihre Mitschwester am Ärmel ihrer Ordenstracht und zeigte ihr die neue Entdeckung. Dieses andächtige Bestaunen der Natur zog sich eine ganze Weile hin, es dauerte vielleicht eine Stunde, in der die beiden Damen völlig versunken und achtsam im Hier und Jetzt schwelgten und ihr Dasein inmitten dieser spannenden Natur genossen. Sie waren glücklich.

An diese beiden erinnere ich mich immer, wenn ich mich wieder einmal unzufrieden und mit der Welt im Unreinen fühle. Wenn mein Auto in die Werkstatt muss, wenn ein Text partout nicht fertig werden will oder wenn ich schon wieder nicht im Lotto gewinne. Und schon sieht die Welt wieder ein klein wenig heller aus. Diese beiden alten Schwestern sind eines der wirklich großen Geschenke, die mir das Kloster Arenberg gemacht hat. Da habe ich Glück gehabt.

Ich bin ein glücklicher Mensch. Ich liebe mein Leben, bin eingebunden in eine lebendige Gemeinschaft von Schwestern, ich erfahre viel Liebe, habe eine wunderbare, große Familie, einige richtig gute Freunde und darf immer wieder inspirierende Menschen kennenlernen. Ich arbeite in einem großartigen Team an einem Ort, der für viele Menschen Sehnsuchtsort ist, und erlebe meine tägliche Arbeit als sinnstiftend. Ich habe Zeit zum Beten und Meditieren, bin gesund, kann weinen und lachen (manchmal auch beides zugleich), habe ein Dach über dem Kopf und täglich genug zu essen. Was soll ich sagen? Es geht mir leiblich und seelisch gut, und zwar richtig!

Das Verrückte ist: Lange Jahre stellte mein persönliches Glück für mich eher ein Problem dar, als wirklich Grund zur Freude zu sein. In meiner Kindheit konnte ich es noch unbeschwert genießen, doch das änderte sich, als ich mit zunehmendem Alter immer mehr Menschen kennenlernte, denen vieles von dem verwehrt geblieben war, was für mich so selbstverständlich zum Leben dazugehörte. Diese Wirklichkeit machte mir von Jugend an zu schaffen, und die Frage „Warum ist ausgerechnet mir all das geschenkt?“ lastete mir zunehmend auf der Seele. Doch was sollte ich tun gegen diese Ungerechtigkeit, wie etwas an den gegebenen Tatsachen ändern?

Ein liebevoller Tritt in den Hintern befreite mich vor einigen Jahren aus dieser unfruchtbaren Grübelei. Es war kurz vor meiner ersten Profess, im März 2009. In der Stille bereitete ich mich auf den großen Tag meiner Bindung an die Gemeinschaft vor. Meine unbändige Freude wurde allerdings getrübt durch die schwere Krebserkrankung unserer damaligen Generalpriorin Sr. Emanuela. Sie hatte sich fest vorgenommen, ihre letzten Kräfte zu bündeln, um mir die Profess abzunehmen, doch wenige Tage vorher zeigte sich bereits, dass ihre höllischen Schmerzen und ihr schlechter Allgemeinzustand uns beiden einen Strich durch die Rechnung machen würden. Am Tag vor dem Fest durfte ich sie besuchen und erwartete beim Öffnen der Tür zu ihrem Krankenzimmer, einem gebrochenen Menschen zu begegnen, doch genau das Gegenteil war der Fall. In ihrer Bewegungsfreiheit durch die Schmerzen und diverse Verkabelungen extrem eingeschränkt, begrüßte sie mich mit: „Jetzt müssen Sie mir mal sagen, wie wir das geschickt anstellen können, uns zu umarmen.“ Zu unser beider Erheiterung schafften wir es ohne Unfall, doch während ich noch lächelte, spürte ich bereits einen dicken Kloß im Hals. Da war sie wieder, die alte Frage, und das mit ungeahnter Wucht: „Können Sie mir vielleicht sagen, warum ich so glücklich sein darf, während Sie und so viele andere Menschen auf dieser Welt derart leiden müssen?“, brach es wütend aus mir heraus. Sr. Emanuela sah mich an, nahm liebevoll meine Hände und antwortete: „Wir beide, wir versprechen uns jetzt gegenseitig etwas: Ich frage nicht, warum mich diese Krankheit getroffen hat, und Sie fragen nicht, warum Sie so glücklich sein dürfen, o.k.? Was immer unser Herz erfüllt, geben wir es hin, lassen wir es leben und machen wir es fruchtbar für das Reich Gottes – das ist die einzig richtige Antwort, die wir mit unserem Leben geben können.“ Wenige Wochen später wurde Sr. Emanuela von ihren Qualen erlöst …

Für mich wurde dieses Gespräch zu einem wichtigen Schlüssel im Umgang mit dem, was mir im Leben geschenkt ist. Ich habe gelernt, nicht mehr darüber nachzugrübeln, sondern dafür zu danken, mich nicht dafür zu schämen, sondern es in die Welt hineinzutragen. Auch wenn insbesondere die Werbung nicht müde wird, uns etwas anderes vorzugaukeln: Glück zu empfinden ist letztlich eine Gabe, über die wir nicht einfach verfügen können. Es sind weniger die äußeren Umstände, die uns glücklich oder unglücklich machen – dagegen sprechen zahlreiche beeindruckende Zeugnisse von Menschen, die selbst unter widrigsten Lebensbedingungen tiefes Glück erfahren haben. Alles entscheidend ist die Art und Weise, mit der wir uns liebend einlassen auf das, was uns gegeben und aufgetragen ist – auch wenn wir mögliche schwere Rahmenbedingungen dessen nicht zu ändern vermögen.

Vorerst lasse ich also die Frage nach dem „Warum“ ruhen, bin aber schon jetzt gespannt darauf, wie sie dereinst einmal von Ihm selbst, dem Grund meiner Freude, beantwortet werden wird.

EITELKEIT

Mit der Eitelkeit, also der übertriebenen Aufmerksamkeit gegenüber dem eigenen Ego oder dem eigenen Körper, hat die katholische Kirche ein echtes Problem, denn die Eitelkeit wird immerhin als eine der sieben Haupt- oder Wurzelsünden genannt. Eitel zu sein schickt sich für einen Katholiken nicht und vielleicht kann ich endlich einmal jubeln und mich auf der Seite der guten Christen wähnen. Denn: Ich bin tatsächlich ziemlich uneitel, zumindest wenn es um meine Kleidung, den Haarschnitt oder die Länge meines Bartes geht. Das alles sind für mich lediglich Äußerlichkeiten, die rein gar nichts über mich, meinen Charakter, meine Träume oder Wünsche aussagen. Nein, Kleider machen keine Leute – Kleider machen Rollen.

Ich trage Socken mit Löchern, zerschlissene T-Shirts, abgewetzte Jeanshosen, verfusselte Pullover, ausgetretene Schuhe und meist ist alles davon auch noch mit Katzenhaaren versehen. Hätte ich keine Ehefrau, die mir hin und wieder ins Gewissen redet, sähe das alles noch viel schlimmer aus. Aber irgendwie mache ich mir nichts aus schöner oder sogar teurer Kleidung. Sie soll im Winter warm sein, denn ich bin eine Frostbeule. Im Sommer renne ich in Garten und Haus sowieso meist mit nacktem Oberkörper herum, da reichen ein paar einfache T-Shirts, die ich dann mindestens fünf Jahre trage, bevor die Ehefrau ein wirksames Veto einlegen kann. Wenn es um Kleidung geht, könnte ich durchaus ein ganzes Stück mehr auf mich achten, und ich liefe noch immer nicht Gefahr, als eitel zu gelten.

Es gibt jedoch Bereiche, in denen auch ich Wert auf meine Außenwirkung lege. Mein kompletter Rücken ist tätowiert, der rechte Arm und das rechte Bein ebenso. Übrigens: Ja, es tut weh. Und so etwas macht man natürlich nicht nur für sich selbst, sondern immer auch der anderen Menschen wegen. Um sich abzugrenzen, um seine Individualität zu unterstreichen, manchmal auch, um zu provozieren oder um eine krasse Erfahrung zu machen, die andere Menschen nie erleben werden. Aber ist das schon Eitelkeit? Oder war ich in den 1990er-Jahren eitel, als ich schwarz gekleidet, mit toupierten Haaren, Babypuder im Gesicht und kreuzbehangen über Friedhöfe und durch die dunklen Klubs der Grufti-Szene schritt? Immer umhüllt vom moderigen Duft des Patschuliöls? Bin ich eitel, wenn ich heute manchmal stolz davon erzähle, Bücher zu schreiben, Gedichte von Charles Baudelaire rezitieren zu können und schon einmal in einer Quiz-Show im TV gewesen zu sein? Macht mich das zu einem Sünder?

Wie so oft im Leben ist die Grenze zwischen „normal“ und „übertrieben“ sicher fließend und die Maßstäbe sind so individuell, wie die Menschen es sind. Ich möchte mir nicht anmaßen zu entscheiden, wann ein Mensch so eitel ist, dass er eine Sünde begeht. Diesbezüglich tut mir die Amtskirche fast ein wenig leid. Da hat sie schon so knackige Instrumente mit tollen Namen wie „Wurzelsünde“, und dann sind diese teilweise so schwammig formuliert, dass sie alles und nichts bedeuten können.

Googelt man nach der Frage „Wann ist Eitelkeit eine Sünde?“, bekommt man zwar jede Menge Ergebnisse aufgelistet, echt verwertbare Antworten erhält man jedoch nicht. Sie reichen von Wikipedia-Einträgen über Buchinhalte bis hin zu arg konservativ-christlichen Internetseiten, deren Betreiber die Welt scheinbar am liebsten zurück ins Mittelalter katapultieren würden, denn sie erklären bereits den Gebrauch eines Lippenstiftes zur Sünde.

Andererseits sind diese schwammigen Formulierungen und das individuelle Auslegen von Verboten ja gerade die Stärke des Christentums. Da gibt es eben nicht das absolut Richtige und das absolut Falsche. Keine einzige, alleinige Wahrheit. Vieles muss immer wieder neu diskutiert, definiert und an die Lebenswirklichkeit sowie an die individuellen Umstände des Einzelnen angepasst werden. Eine Ordensschwester in schwarzen Prada-Pumps? Wahrscheinlich eitel, wahrscheinlich sündig. Eine Dame des oberen Managements in schwarzen Prada-Pumps? Wahrscheinlich eher Arbeitskleidung als Ausdruck einer übertriebenen Aufmerksamkeit gegenüber dem Äußeren.

Leider neige ich dazu, meine eigenen Maßstäbe auch bei anderen Menschen anzulegen und sie für Dinge zu verurteilen, weil ich sie für mich selbst ablehne. Ich finde es zum Beispiel albern, wenn Männer ihre beginnenden Halbglatzen mit allerlei chemischen Mitteln zu bekämpfen versuchen. Ich stecke Menschen, die Camp David-Kleidung tragen, direkt in die Schublade „prollige Schnösel“. Ganz zu schweigen von all den mimikfreien Botoxgesichtern der High Society-Stars und -Sternchen. Fürchterlich! Das alles empfinde ich als unglaublich eitel, betrachte das als vollkommen übertriebene Aufmerksamkeit dem eigenen Körper gegenüber und ganz häufig auch als Zeichen eines mangelnden Selbstbewusstseins, der Unzufriedenheit mit dem eigenen Ich.

Diese Urteile stehen mir natürlich überhaupt nicht zu. Mehr noch: Sie verdeutlichen lediglich meine eigene Eitelkeit. Und ich stelle mich damit über Menschen, die ich überhaupt nicht kenne und über deren Motive ich überhaupt nichts weiß.

Ich bin wohl eitler, als es auf den ersten Blick scheinen mag und vielleicht sogar mehr als ich mir eingestehe. Schade, dann wird es wohl wieder nichts mit dem „guten Christen“.

„Dürfen Ordensfrauen eigentlich eitel sein?“, fragte mich vor einiger Zeit eine Journalistin, die mit mir ein Interview zum Thema Schönheit führte. „Ob wir es dürfen oder nicht, wir sind es!“, gab ich ihr zur Antwort. Ja, Eitelkeit ist in unserer Schwesterngemeinschaft ein Thema, auch wenn es tatsächlich nur selten zum Thema gemacht wird. Ich persönlich kann nur offen zugeben: Ich BIN eitel, ob das nun zu einer Ordensfrau passt oder nicht. Es ist mir weder egal, wie ich gekleidet bin, noch ist mir vollkommen gleichgültig, was andere Menschen von mir denken, und ja, auch mit meinen frühzeitig ergrauten Schläfen habe ich noch nicht wirklich Frieden geschlossen. Ja, ich bin definitiv eitel, aber ich gestehe: Am liebsten wäre ich es nicht.