Zwischen der Liebe - Katja L. Schlegel - E-Book

Zwischen der Liebe E-Book

Katja L. Schlegel

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Beschreibung

Laura lässt sich auf ein spezielles Abenteuer ein. Love and Beach. Die unverbindliche Beziehung mit Michael ist Basis für grundsätzliches Vertrauen, der Rest eine Reise ins Ungewisse. Am anderen Ende der Welt erlauben sie sich anders zu sein, loszulassen, Grenzen zu überschreiten, sich auszuprobieren. Frivol, sexy, ohne Tabus, kompromisslos offen zu sich selbst verbringen sie die Tage ... Lang unterdrückte, fast vergessene Träume tauchen auf ... Diese Reise ist nur ein Weg dorthin, nicht das Ziel. "Manchmal muss man gehen, um anzukommen ... und ich könnte wetten, dass viele, wie ich, diesem Weg mit Vergnügen folgen und dabei selbst auch so manche gut vergrabene Sehnsucht entdecken ... " (Brigitte Bausch; Lektorin)

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Seitenzahl: 305

Veröffentlichungsjahr: 2023

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It all comes to the last person you think of at night. That’s where your heart is.

(gesehen auf einem Bullet Journal)

Ehrlich gesagt, hatte ich keine Ahnung, wo ich landen würde. Der Prospekt mit seinen Bildchen zeigte schöne Bungalows, einen verführerisch weißen Strand und versprach Dinge, die man selbst der besten Freundin verschweigen würde. Als ich zustimmte, konnte es dafür nicht weit genug weg sein. Erst nachdem ich im Flieger die Bordzeitung durchblätterte, zeigte mir die in der Abbildung platt gedrückte Weltkugel mit all den Fluglinien, wohin meine Reise gehen würde. Es war verdammt weit weg. Als ich die Hand auf die Linie legte, blieb links und rechts Platz.

Seit zehn Tagen war ich also nun hier.

Seit zehn Tagen dieses Wetter.

Seit zehn Tagen tropische Wärme unter einem nahezu wolkenlosen Himmel und deshalb ein feuchtwarmer und glitzernder Film auf allem, was grünte und blühte und – auf meiner Haut. Obwohl ich Schweiß nicht besonders mag, machte er mir hier sonderbarerweise nichts aus. Im Gegenteil.

Seit zehn Tagen an diesem breiten, geschwungenen und dennoch lang gezogenen Strand im abgelegensten Teil der Erde, von dem ich vor ein paar Wochen tatsächlich nicht einmal wusste, dass es ihn gab und wo sich dieser befand. Mit dem weißesten Sand, den ich je gesehen habe, und einem türkisblauen Meer, das unbeschreiblich war. Ein nasses Märchen, das weder durch Worte noch Fotos festgehalten werden konnte. Dahinter ein grüner, undurchdringlich erscheinender Gürtel, ein dichter Wald, laut Reiseführer aus Kokospalmen, Scaevolabüschen, blühenden Malvengewächsen, einigen riesigen Nikabäumen und sogar Obstbäumen wie Bananen und Papayas. Häufig voller Lärm durch die Tiere, die in ihm lebten. Zumeist bunte Vögel, die fast ausnahmslos nur in Scharen über und in den Baumkronen kreisten, flogen und kreischten.

Seit zehn Tagen weg vom Alltag. Ich aus München, er aus Frankfurt. Weg von der Arbeit, dem Alleinsein, das mich ab und an zu Hause überfiel, von den Gründen für ein schlechtes Gewissen und von den großen und kleinen Lügen. Der Flug half mir, Abstand zu gewinnen, um mich mit dem Blick aus dem kleinen Fenster, in dem meist nur die dunkle Nacht, später Wolken und irgendwelche Wasser- und Landmassen zu sehen waren, auf das, was kommen könnte, vorzubereiten. Der Flieger war nichts Besonderes und der Blick aus dem Fenster nicht ungewöhnlich. Im Gegensatz zu den Bildern des Prospekts, die mir seit Tagen im Kopf mit den Vorstellungen darüber, wie ich die nächsten Tage damit umgehen wollte, durcheinanderpurzelten. Einfach fallen zu lassen wäre das Beste. Deshalb saß ich doch hier. Aber es ist nun mal etwas anderes, ob man es zu Hause in den eigenen vier Wänden macht oder dort, wo es eher offensichtlich ist, weil andere aus demselben Grund dort hingereist waren.

Aber eins nach dem anderen und alles der Reihe nach. Ich fange vorne an.

Das babylonische Stimmengewirr und die trotzdem unaufgeregte Atmosphäre auf dem drollig kleinen Flughafen lenkten mich von all diesen Gedanken ab und ließen mich wacher werden. Lächelnd zeigte man uns, wohin wir zu gehen hatten, und wir zogen unsere Koffer hinter uns her. Minuten danach waren wir umgeben von bunten Kleidern, Häusern und an den Straßen aufgetürmten Waren. Manches sah zusammengewürfelt aus, schuf aber das, was Atmosphäre genannt wurde, was Urlaube ausmacht, wenn man in die Fremde fährt und dort dann auch erwartet. Dank des schnatternden Radios mit seinen seltsamen Klängen im Taxi, eine Mischung aus Gebrabbel und Musik, waren die störenden Gedanken verschwunden. Ich schüttelte den Kopf und musste lachen. Kämmte mir mit den Fingern dabei durch die Haare, grinste und seufzte – etwas fassungslos. Allmählich begann ich mich zu entspannen und suchte Michaels Hand, die ich nun immer wieder umfasste und drückte, bis wir nach der abschließenden Fährfahrt auf unserer Insel angekommen waren.

„Was für ein Abenteuer“, meinte ich leise.

„Und wir zwei bestehen es“, entgegnete Michael.

Nur zwei von insgesamt fünf ähnlichen Bungalows waren in unmittelbarer Nähe zu unserem. Fast ein wenig pagodenhaft mit hölzernen Wänden und einem Dach, wohl aus Schilf. Alle gleich luftig und freundlich. Angeschmiegt an den Rand eines Waldes, dessen Blätterdach nichts mit dem des Allacher Forstes im Norden Münchens zu tun hatte, in dessen Nähe ich seit jeher wohne. Alle drei mit Absicht so gebaut, dass sie vor neugierigen Blicken geschützt waren. Verdeckt durch weitere Palmen und Büsche, deren Rauschen im Wind wie das Rascheln von Papierfähnchen klang. Darüber hinaus über fünfzig Meter voneinander entfernt. Das erste unübersehbare, nahezu verräterische Detail unseres Abenteuers. Michael kommentierte es augenzwinkernd und drückte mich kurz an sich.

Bildchen in Prospekten versprechen vieles. Sie sind oft genug retuschiert und gaukeln deshalb auch einiges vor. Nur weil man endlich im wohlverdienten Urlaub ist, arrangiert man sich meist sofort mit dem, was sich als nicht ganz so ehrlich erweist. Auch mir wäre nach fast achtzehn Stunden Flug und der Überfahrt egal gewesen, wenn das Meer nicht ganz so blau, die Hütten weniger romantisch und die angebliche Einsamkeit nicht so privat oder gar intim gewesen wäre. Zumal ich immer noch ein wenig daran zweifelte, mich richtig entschieden zu haben. Doch die Bildchen hatten nicht gelogen und das Wort Abenteuer sollte am Ende passen. Als hätte jemand diesen Strand, dieses Stück Natur, ja sogar den Himmel und das Meer aus keinem anderen Grund geschaffen als unserem. Unser Bungalow großzügig gebaut. Weit und offen. Ohne Wände und Türen zwischen den einzelnen Bereichen: einem großen zum Schlafen, einem gemütlichen Teil an der breiten aufgeschobenen Tür zur Veranda und einem Bad, so groß wie mein Wohnzimmer in München, nur durch eine riesige Glasscheibe von allem getrennt.

Das Mobiliar sowohl dekorativ als auch nützlich. Eine Mischung aus stilvoll geschnitzten, vermutlich landestypischen Möbeln. Wieder musste ich grinsen, der Kleiderschrank mit seiner farbigen Kassettenfront war viel zu groß. Es schien wohl Leute zu geben, die Monate hier dafür verbrachten. Mein kleiner Koffer verschwand in ihm, als ich ihn nach dem Auspacken unten hineinlegte. „Du brauchst nicht viel“, hatte Michael gemeint, „etwas für die beiden Flüge, vielleicht einen Schal, wegen der Klima im Flieger, und ein paar leichte Sachen, wenn wir zu den Mahlzeiten gehen. Es ist die ganze Zeit warm und es geht dort ganz ungezwungen zu. Und ansonsten …“ Er wusste mehr als ich: die ganze Zeit. Woher nur? Ich schloss den Schrank und sah mich im Raum um.

„Wow!“, war alles, was ich sagen konnte, und deutete im selben Moment auf das riesige Bett.

„Alles klar!“, lachte er bestätigend mit dem Kopf. Mit den Fingern strich ich über die mit einem dünnen Tuch – ich vermutete aus Seide – bedeckte Matratze. Meine daheim fühlte sich nicht so wohlig an. Zudem war sie auch wesentlich kleiner. Ich ging ums Bett herum und hockte mich vor eine aufwendig verzierte Kommode mit drei breiten Schubladen unter einem Fenster.

„Ist die schön!“, rief ich zu Michael auf die Veranda hinaus und strich über die Schnitzereien im Holz. Dann zog ich langsam die erste Schublade auf, fand bunte Decken und übergroße Seidentücher mit Blumenmustern, die ich mühelos als Pareo verwenden konnte. Du brauchst nicht viel. Es stimmte. Meine hätte ich zu Hause lassen können. Ich ließ eines durch meine Finger gleiten. Es war tatsächlich aus Seide und wunderschön. Ich schob die Schublade wieder zu und die nächste auf. In der zweiten mit bunten Bändern umwickelte Taschen, dünne Kissen und weitere, dieses Mal festere Tücher. Zwei davon auf einer Seite beschichtet. Darauf ein Zettel mit liebevoller Handschrift: For your stay on the beach.

„An alles gedacht“, schüttelte ich etwas fassungslos den Kopf und schloss das Schubfach. Die dritte. Sofort hielt ich verdutzt die Luft an und stieß ein verwundertes „Hä?“ hervor. Das Erste, was ich sah, waren Handschellen, dann eine halb geschälte Banane und als Nächstes eine gläserne Stange mit einer Kugelstruktur. Die nächsten drei Teile waren eindeutig. Insgesamt acht Dildos in unterschiedlicher Form.

Lachend ließ ich mich auf den Po fallen.

„Wirklich, an alles gedacht. Schau doch mal!“

Michael kam von der Veranda herein, schaute mir über die Schulter und zog die Augenbrauen hoch.

„Langweilig wird es uns jedenfalls nicht“, befand er, nahm vornübergebeugt den gläsernen Dildo aus dem Samtfutteral und sah ihn mit großen Augen an: „So sieht meiner nicht aus.“

Ich nahm zuerst die Handschellen:

„Damit du es weißt, das mag ich nicht.“ Er nickte, als sei dies selbstverständlich, dann hielt ich die gelbe Banane in Händen – „Das ist ja etwas skurril, oder?“ – und anschließend ein elegant geschwungenes, pinkfarbenes Teil aus Silikon. „Das gefällt mir ehrlich gesagt am besten von den ganzen Dingern da.“ Ich stand auf, ließ mich rücklings aufs Bett fallen und rollte den Dildo zwischen meinen Handflächen.

„Fühlt sich total anders an“, stellte ich grinsend fest, schloss die Augen, leckte mir gespielt lasziv über die Lippen, umschloss das voluminösere Ende mit einer Faust und glitt auf dem flexiblen Schaft entlang, als hätte ich Michaels steifes Glied in Händen und glitt mit der anderen Spitze über mein gelbes, sommerliches Kleid bis zwischen meine Beine, um dort auf der Haut eines Schenkels darunter zu schlüpfen. Mit einem eindeutigen „Oooh!“ und passendem Grinsen erhob ich mich wieder, mein Blick auf den Dildo in der Hand.

„Der volle Hammer!“ Absichtlich wollte ich wie ein junges Mädchen auf dem Schulhof klingen, das sich mit Freundinnen in einer Ecke mit zusammengesteckten Köpfen verdruckst und kichernd über so etwas unterhielt. Dann strich ich mir zum hundertsten Mal die Haare hinter den Kopf und meinte:

„Ich befürchte nur, heute bin ich dazu noch nicht fähig. Bis du nicht müde? – Lass uns den Rest auspacken und erst mal die Gegend erkunden. Dann sehen wir weiter. Und ein Essen gibt es ja auch noch, oder? So langsam hätte ich nämlich Hunger.“

Neben mir auf dem Bett hockend und mit einer neugierig krabbelnden Hand auf meinem Bauch nickte Michael, zog die Hand weg und meinte:

„Bin schon fast fertig. Und wir haben ja noch – fast – alle Zeit der Welt.“

Als ich meinen Eltern erzählte, wohin ich in Urlaub gehen würde, und es ihnen ungefähr auf dem Globus zeigen wollte, der auf dem alten Büfett stand, schlug sich meine Mutter entsetzt eine Hand vor den Mund:

„So weit weg, Kind? Mein Gott, Laura, und wenn dir dort was passiert? Die ganzen Männer da! Hast du dir das auch gut überlegt? Und billig ist doch so eine Reise auch nicht.“

Nein, billig war die Reise nicht. Mein Sparbuch war vor lauter Lust nun zur Hälfte geplündert. Die ganzen Männer da … Ich schmunzelte und hoffte, der eine würde mir reichen und ich mit ihm das Richtige erleben. Aber vielleicht gäbe es ja dort auch den berühmten Millionär. Genau das sagte ich Mutti.

„Ach Kind! Nimm mich nicht auf den Arm. Aber du gehst nicht allein, Laura, oder?“, wollte meine Mutter noch wissen.

„Nein, Mutti wir sind zu zweit.“

Und meine Mutter war fest davon überzeugt, dass ich, ihre Laura, ihre Tochter, immer noch ihr kleines Mädchen und einziges Kind, mit einem anderen Mädchen in den Urlaub fuhr. Dass ich inzwischen eine Frau geworden war, spielte noch nie eine Rolle.

„Aber für zwei Mädchen ist das wirklich eine gefährliche Reise.“

In solchen Momenten schaltete sich dann immer mein Vater ein:

„Else, Laura ist seit ein paar Jahren kein kleines Kind mehr“, und dann zu mir: „Und wie sieht es da aus? Du hast doch sicher einen Prospekt.“

Einen Prospekt. Um Gottes willen, dachte ich, lachte daher wie ertappt und zog mein Handy aus der Tasche. Dann zeigte ich ihnen die vorbereiteten Fotos vom Strand, den Bungalows von außen, dem Hauptgebäude des Resorts und ein paar von den wenigen Sehenswürdigkeiten auf der Insel. Allesamt von der Homepage des Hotels heruntergeladen. Die verräterischen Bilder vom Schlafbereich ließ ich selbstverständlich weg. Ansonsten wäre Mutter wahrscheinlich in Ohnmacht gefallen. Auf keinem Bild waren Männer zu sehen. Meine Mutter war beruhigt.

„Ist ja auch schon lange her, dass du mal richtig Urlaub gemacht hast.“

Als ich abends ging, drückte Papa mir an der Haustür einen Hunderter in die Hand: „Du weißt ja …“

Du weißt ja. Ja, ich wusste und dennoch wusste man nie. Die Lektüre eines Reiseführers über die Inselgruppen in diesem entlegenen Teil der Welt klärte auch nicht besonders auf. Die dreieinhalb Seiten über unsere Insel hatten Mühe, nicht nur schöne Fotos von den Stränden und ein paar anderen sogenannten Locations zu zeigen, sondern noch zwei, drei Ausflugtipps zu geben. Nebst einer wirklich kleinen Liste mit typischen Souvenirs von dort wie Kokosseifen, Bilums, Pareos und dem obligatorischen Schmuck. Auch nach zehn Tagen wusste ich nicht, was ein Souvenir nach allem wert gewesen wäre. Ohnehin hatte ich nach zehn Tagen in einer Hosentasche von mir ein besseres gefunden.

Doch an unserem Ankunftstag beschäftigte mich all dies noch nicht. An diesem schlenderte ich zunächst einerseits müde vom Flug und andererseits von den Funden in der Schublade überrascht vom Bungalow über den sanft abfallenden, wie Schnee glitzernden Sand zur Wasserkante hinunter. Meine Arme um mich selbst geschlungen als würde ich frieren oder all das abwehren wollen, was mich in den nächsten Tagen erwarten könnte. Dort tat ich nichts anderes, als im Sand zu sitzen und auf den riesigen, türkis glitzernden Kristall aus Wasser zu schauen, in dem die Sonne gleich spektakulär untergehen würde. Darüber ein paar wenige dünne Wolken und ein tollkühn kurvender Schwarm Seeschwalben, der in der warmen Luft wohl üppige Mengen an Futter fand.

Nackt in einem solchen Blau zu schwimmen, eingerahmt von diesem unfassbaren Weiß des Strandes, das warme Wasser meine Haut umschmeicheln und streicheln zu lassen, war der erste Traum, war die erste Mutprobe, die ich mir vorgenommen hatte und bestehen wollte. Hier laut Prospekt kein Problem. Im Gegenteil. Genießen Sie all die Freiheiten, die Ihnen die Natur auf unserer außergewöhnlichen, ja märchenhaften Insel schenkt. Dennoch zögerte ich. Noch nie war ich so in einem Meer geschwommen. Noch nie hatte ich mich an einem Strand, selbst, wenn er kaum besucht war, aus- oder umgezogen. Nur wenn ich früher in einem der wenigen Urlaube mit meinen Eltern bei Bibione ganz weit rausgeschwommen war, zog ich meinen BH manchmal auf meinen Bauch hinunter und ließ die Berührung des kühlen, prickelnden Meerwassers für ein paar Minuten zu, immer mit Blick auf mögliche Gaffer. Am Strand zurück trug ich ihn längst wieder da, wo er hingehörte.

Augenblicke später – ich fühlte mich mit meinen Erinnerungen seltsam herrlich allein auf der Welt – nahm ich eine Bewegung neben mir wahr. Michael hatte sich mit einem leisen, zufrieden klingenden Glucksen neben mich gesetzt. Er zog die Beine an und in der Sekunde drauf streichelte er, wohl wie ich fasziniert von dem Bild vor uns, über meinen Rücken. Ich betrachtete sein Profil von der Seite, atmete tief durch und nahm dabei seinen Duft wahr, den letzten schwachen Hauch seines Aftershaves vom Morgen. Vielleicht lächelte ich deshalb nach einer Weile, weil dieser mich an unsere erste Begegnung erinnerte, die ein solches Abenteuer noch nicht versprach. Dann gab ich mir einen Ruck, zog mich aus, ging langsam zu der eher plätschernden Brandung vor, glitt in das Wasser, schwamm, ohne irgendwas abzuwarten, hinaus und ließ mich, wie erhofft, von dem warmen Wasser streicheln.

Die folgende Nacht bescherte uns, trotz der vielen ungewohnten Geräusche, die einerseits der Wind in den Büschen und Bäumen und andererseits die quakenden, seltsam schreienden und manchmal kieksend klingenden Vögel hinterließen und die das Meer mit seinen ständig, wenn auch sanft anbrandenden Wellen erzeugte, trotz der Verführungen in der Schublade nichts anderes als einen tiefen und guten Schlaf. Zwar für Minuten nackt aneinander gekuschelt, aber ohne weitere Zärtlichkeiten. Nach einem letzten Kuss betrat ich schon das nahezu sehnsüchtig erwartete Land der Träume voller Fabelwesen, Nixen und einem seltsam schönen Satyr, der dem Logo von Love and Beach ähnelte. Ich hoffte, es würde mir noch mehr Mut und Lust für die nächsten Tage bescheren.

Am frühen Morgen wachte ich auf. Wie auch die ganzen Tiere um uns herum, die meinten, dies mit ihrem lauten Geschrei kundtun zu müssen. Und auch getrieben von einer bekannten Erregung, die mir der letzte, trotz allem unverhofft erotische Traum geschenkt hatte. Gerade als ein blonder Satyr, ein Mannstyp, den ich nur in den Träumen mochte, sich über mich beugen wollte, hörte ich mich selbst laut schnaufen, vielleicht war es sogar ein leises Stöhnen und ich schaute etwas erschrocken zu Michaels Seite, der aber leise atmend tief im Land seiner eigenen Träume weilte. Geräusche hatten ihn allerdings noch nie gestört. Frankfurt war eine zu laute Stadt. In diesem Moment wäre ich jedenfalls gerne Zeuge seiner Fantasien gewesen, seiner uneingestandenen Wünsche. Ob es in ihnen auch Nymphen oder gar Frauen gab, die ihn erregten? Gab es noch eine andere außer mir oder eine unerwartete, womöglich hässliche Seite, die ich vielleicht erst in den nächsten Tagen kennenlernen würde?

Die ganzen Männer da. Ein Mann reichte, alles zu verderben, ja zu versauen. Ausgerechnet im Flieger – längst war in der Dunkelheit unter den fliegenden Wolkenfetzen nur noch eine unendliche Wassermasse, die im Licht des Mondes und der Sterne wie ein dicker Ölfilm schimmerte, zu erkennen – kamen mir die ersten Zweifel und ich schüttelte den Kopf. Der in den letzten Wochen liebe Michael stellte sich womöglich schon am ersten Abend genau als ein solcher Mann dar, wie Mutti mit „Die ganzen Männer da“ meinte. Vielleicht war es tatsächlich nicht nur verrückt, sondern sogar fahrlässig, wenn nicht sogar bescheuert, was ich machte, und naiv hoch drei. Ich sah zu Michael, der schläfrig in einer Zeitung blätterte und anschließend wieder zum Fenster hinaus. Nun aber war es zu spät. Was für ein Blödsinn, jetzt darüber zu grübeln. Ich lächelte ihn wieder an und schob eine Hand zu ihm auf einen Oberschenkel.

Bei meinen Eltern trat ich gerade in den Hausflur, als sich mein Vater an der Wohnungstür zurückdrehte, schaute, ob Mutti hinter ihm stand, dann mich ansah und meinte: „Ich hoffe, er ist gut zu dir. Du hättest es verdient. Bist ohnehin schon zu lang allein. – Philipp ist es wohl nicht. – Leider. – Weißt du, was er macht?“

Ich sog die Lippen ein, schüttelte den Kopf – Nein, leider! – und er gab mir einen Kuss auf die Stirn, lächelte und schon stand Mutter neben ihm und fügte hinzu: „Lass mal von dir hören. Wir sind ja keine alten Trottel, Bildchen auf Handys können wir uns auch anschauen.“

„Mach ich. Dann bist du neidisch und setzt dich sofort in den Flieger“, lachte ich, nahm Mutti in Arm und nickte meinem Vater verschwörerisch zu.

Der grinste wissend zurück und meinte: „Das wäre das erste Mal, dass sie auf den Urlaub anderer Leute neidisch wäre. Hin und wieder eine Woche Gardasee, das ist schon ungewöhnlich oder nach wie vor Bibione, das ist weit genug weg.“

„Immerhin wart ihr letztes Jahr in Portugal“, widersprach ich.

„Mit den Leuten vom Kirchenchor“, schmunzelte er. „In jeder Kirche und Kathedrale hat man sich aufgestellt und ‚Lobet den Herrn‘ und ‚Du rufst uns, Herr, an deinen Tisch‘ gesungen.“

„Ich weiß, aber du hast mitgesungen“, gab ich grinsend zurück.

„Ich konnte ja nicht so tun, als gehörte ich nicht dazu“, erwiderte er mit einem verschmitzten Lächeln, „aber keine Sorge, da, wo du nun hinfährst, scheint es keine Kirchen zu geben, oder? – Mutter wird also nicht kommen.“

Auf den Fußspitzen stehend gab ich ihm einen Kuss, deutete auf meine Faust mit dem Hunderter: „Danke auch, ich sing ‚Alle meine Entchen‘, wenn ich da bin.“

„Nehmt mich nicht auf den Arm!“, schimpfte Mutti und es klang nicht besonders ernst.

Wieder sah ich Michael an, klappte die Bordzeitung zu, dachte an die Szene an der Tür, an Papis Frage bezüglich Philipp und meine Antwort: Nein, leider. Das leider stimmte und ich war daran selbst schuld. Dann ließ ich den ersten meiner Gedanken raus:

„Wir sind ziemlich verrückt, oder?“

Michael klappte die Zeitung zu, beugte sich zu mir und sah mich fragend an.

„Vielleicht …“, fing ich an und kaute auf den Lippen herum, „… bin ich gar nicht die …“, so eine wollte ich dann doch nicht sagen, „… für die du mich hältst!?“

Jetzt schüttelte er den Kopf.

„Oder ich. Weil du ab morgen siehst, dass ich nur ein Aufschneider bin, ein Angeber und Großmaul. – Wir werden es uns schön machen. Die Insel und das Hotel sind gut. Dort haben wir alle Freiheiten.“

Sein Blick beruhigte. Wie vor ein paar Monaten, kurz bevor wir in seinen Flur traten. Da hatte er mich genauso angesehen.

Nicht einmal fünf Monate war es her, als er mich auf dieser Party, versteckt hinter einem großen, mit Rotwein gefüllten Glas, mit neugierigen Augen verfolgte und beobachtete. Eingeladen von einem Arbeitskollegen, der auf seiner eigenen Geburtstagsfeier hoffte, durch ihn oder einen der anderen Gäste, neue Geschäftsfelder zu finden. Ich lauschte heimlich. Bereits nach einer halben Stunde war klar, dass er der falsche Mann dafür war. Mit einem gewissen Frust meinte er, nach Umstrukturierungen und einer Versetzung fühle er sich nicht mehr kreativ genug.

„Ich weiß, die Zeiten haben sich geändert“, erklärte er schulterzuckend, „entweder ich mache mit oder suche mir etwas Neues. Neues hab’ ich noch nicht gefunden. Ich bin mit diesem speziellen Marketingzeugs zu sehr in einer Nische. Wenn wir etwas breiter aufgestellt wären, hätte ich vielleicht mehr Ahnung davon. So mache ich noch eine Weile mit. Dann wird man sehen.“

Vielleicht suchte ich da schon nach einer Art Trost für ihn. Durch mich. Mit Fingerfood zwischen den Fingern und etwas abgewendet sah er währenddessen mit einem fragenden Blick seinen Kollegen an und deutete fast verschämt mit der Hand auf mich. Der lächelte, nahezu wissend, und erklärte leise:

„Laura, war vor einiger Zeit in unserer Abteilung. Über ein halbes Jahr. Hat neue Ideen kreiert und damit ziemlich viel aufgemischt und nebenbei ein paar von uns den Kopf verdreht.“

„Was macht sie?“

„Lizenzen.“

Ich fühlte mich geschmeichelt, wurde rot und Michael nickte mir zu. Er trank einen Schluck, versteckte sich wieder hinter dem Glas und scannte mich ziemlich lange ab. An meinen langen Beinen blieb er am längsten hängen.

„Demnach jetzt nicht mehr hier?!“, stellte er derweil fest.

Sein Kollege schüttelte den Kopf: „Ist aber noch in der Firma.“

Er sah wieder an mir herunter. Ich war immer noch geflasht. Er zog die Brauen hoch und wohl die langen Beine unter dem Sommerkleid ließen ihn den Kopf schütteln. Die machte sicher irgend’nen Sport, Leichtathletik oder so, dachte er und erzählte es mir später. Ich weiß, obwohl ich nicht besonders groß bin, wirke ich überlang. Ich lächelte zurück, ging ein paar Schritte zur Seite und sah mein Spiegelbild in einer der Scheiben des Hauses. Die frisch gewaschenen, dunkelblonden Haare stippten nach innen geföhnt auf die Schultern. Mitten im Gesicht die lange Nase. Darunter schmale Lippen, deren Kontur wie kleine Wellen aussehen. Mandelförmige Augen. Grün. Die Farbe sah ich nicht, wusste ich aber natürlich auch so. Kurz erhaschte er meinen Blick im Glas und sah zur Seite. Dann ging ich mit dem leeren Teller und Glas zu dem kleinen Büfetttisch am Zaun. Allein. Ich beobachtete ihn von der Seite und sah, wie er wohl die anderen Männer kontrollierte. War unter ihnen jemand, den er nicht kannte und der daher mein Begleiter sein könnte? Ich schmunzelte, nahm mir von den Sachen und ließ mir Zeit. Da stellte er sich mit dem Rücken zwei Meter von mir entfernt an den Zaun und tat überrascht, mich zu sehen. Ich hob mein Glas. Er lächelte, nickte – Bisschen langweilig hier, oder? – und deutete auf mein inzwischen leeres Glas.

Alle Freiheiten. Ich sah ihn von der Seite an. Er war kein Großmaul. Von Anfang an nicht. Eher einer, der erst überlegte, bevor er etwas kundtat oder meinte erklären zu müssen. Großmäuler waren per se großspurig. Michael nicht. Er musste sich nicht produzieren. Auch nicht als Mann. Deshalb lag ich hier und die Schnelligkeit meines Jas dazu hatte auch mit meiner eigenen Schnelligkeit im Flur zu tun. Und jetzt hatte ich ihn gerade nicht aufgeweckt und schaute deshalb beruhigt nach oben. Das Dach des Bungalows war nicht durchgehend geschlossen, sondern in der Mitte gab es eine große, kreisrunde Glasscheibe über dem Bett, die nicht nur durchsichtig, sondern auch wie ein geheimnisvoller Spiegel wirkte, wenn der Raum in der Nacht oder wie jetzt am frühen Morgen etwas erleuchtet war. So sah ich durch das Glas nicht nur den nachtblauen Himmel und Mond darin schweben, sondern in diesem sanft entstehenden Licht auch mich und Michael, von einem der dünnen Tücher aus verführerisch kühlender Seide bedeckt. Als der Mond am Rand der Scheibe angekommen war, schaute ich nochmals zu Michael hinüber. Ruhig atmend lag er auf dem Rücken.

Ich war versucht, ihm übers Gesicht zu streicheln. Sein auffälliges und von Anfang an irgendwie bekanntes Profil reizte mich schon damals an diesem Abend. Längst stand er mit seinem Glas neben mir am Zaun. Bisschen langweilig hier, oder? Die Nacht war lau und die Party nicht anders als andere. Um die dreißig Leute. Eigentlich kannte ich alle, aber im Grunde genommen auch wieder nicht. Manche hatten inzwischen zu viel getrunken und wurden laut. Manche schienen sich zu langweilen. Michael stellte nicht eine dieser blöden Fragen, die keiner Antwort bedurften. „Na, auch hier?“ oder „Schönes Wetter heute“. Ich nippte an meinem Glas und schielte über den Rand zurück. Betrachtete sein Gesicht und dieses Profil, das mich an einen – ich schüttelte unwillkürlich den Kopf und dachte nicht an dessen Namen – jungen Mann erinnerte. Doch das wollte ich zu diesem Zeitpunkt mir selbst gegenüber nicht zugeben. – Bis jetzt.

So fielen mir Michaels hohle Wangen als Erstes auf. Seine große Nase schien die Haut zu beanspruchen – und trotzdem passte alles zusammen. Ein harmonisches, markantes Profil. In jedem Fall anziehend. Er war nur nicht so hager wie … ich schüttelte den Kopf. Plötzlich meinte er mit lapidarem Tonfall:

„Ist schon komisch, man wird eingeladen und nach nicht einmal einer Stunde hat man keine Ahnung, warum oder in welcher Funktion. Freund? Bekannter? Lückenfüller? – Ich kenn sie alle. Eigentlich hätte ich es wissen müssen.“ Dann drehte er sich zu mir, lächelte und fragte: „Und? Was machst du hier? Ehrlich gesagt, siehst du auch nicht begeistert aus.“

Wie ertappt räusperte ich mich, hob die Achseln, schüttelte den Kopf, wedelte mit einem Arm, verschüttete bei der Aktion prompt den letzten Schluck aus dem Glas auf mein Kleid und verfolgte noch den Tropfen. Sofort zog er eine Packung Tempo aus einer Hosentasche. Er reichte sie mir, statt auf eine für Kerle willkommene Weise gewagt an mir herumzutupfen. Er wendete sich mir lediglich ganz zu. Ich sah ihn die eine berühmte Sekunde an und schaute dann doch auf den Boden. Etwas verschämt lächelnd tupfte nun ich – längst nervös geworden – über den Fleck, der keiner war oder werden würde und fragte:

„Sind das keine Freunde von … dir?“

„Freunde? Nee. Zwei Arbeitskollegen und deren Freunde. Wie gesagt, ich kenn sie alle, man kennt sich halt. Aber …“ Er hob die Achseln und verzog sein Gesicht. Aber seine Augen strahlten mich an. „Demnach sind es aber deine? Obwohl … dann würdest du dich doch nicht langweilen, oder?“

„Die Freunde deiner Arbeitskollegen waren mal Kollegen von mir, als ich für den Verlag, bei dem ich arbeite, für ein halbes Jahr in Frankfurt war. Sie meinten, sie wollten mich mal wieder sehen.“ Mein Kopf wackelte hin und her. Ich war von dem Gesagten über mich vor Minuten immer noch beeindruckt, vielleicht auch verwirrt. „Das haben sie ja dann bei der Begrüßung, und das hat wohl gereicht. – Ist alles schon zu lang her. Zumal ich längst wieder in München arbeite und wohne. Fand ich trotzdem nett. – Immerhin quatsche ich ja jetzt mit jemandem.“

„Sehr schön! Find ich prima.“ Es klang ehrlich. „Dann weiß ich, warum ich hier bin. Ich hab’ gar nicht gesagt, wie ich heiße. Michael. Und du?“

„Laura.“ Ich spürte Wärme ins Gesicht schießen.

„Oh. Ein schöner Name. – Gefällt mir.“ Er sah mich an, als müsse er sein Urteil prüfen. Mein Kleid war kurz genug. Die Beine hatten es ihm angetan. „Passt zu dir.“

Er trank sein Glas aus und ich sah ihn deshalb etwas sprachlos an. Die Wärme in meinem Gesicht wurde zu Hitze. Nicht wegen des Alkohols. Michael sah zu meinem leeren Glas, schwenkte seines und fragte:

„Darf ich dir was mitbringen?“

Mein Kopf machte nicht mehr als eine indifferente Bewegung und ich strich mir die Haare nach hinten. Verlegen antwortete ich:

„Ein Glas Weißwein. Den fand ich ganz lecker.“

Michael berührte mit einer Hand kurz meine Schulter. Der erste Schauer. Ich leckte mir ohne Absicht über die Lippen. Mannomann. Was war das heute?

„Alles klar. Den hol ich mir auch.“

Augenblicke später war der Abend alles andere als langweilig. Heute weiß ich nicht mehr, worüber wir uns unterhielten. Sicher über unsere Berufe: „Klingt interessant“, meinte ich über seinen. Hobbys – „Da müsste ich lang überlegen“ – er, demnach hatten wir beide keine. Und über den ein oder anderen Gast. „Der war einer meiner Kollegen“, ich, „Der ist es immer noch“, er. Wir lachten viel und als morgens um halb zwei die Ersten gingen, war vor allem ich noch aufgedreht genug, sodass ich sein „Kommst du noch mit?“, ohne lange nachzudenken, sofort mit „Ja“ beantwortete.

Jetzt betrachtete ich also sein Profil und dachte an diesen Abend, diese laue Nacht, an unsere Gespräche, unser Lachen, die ein oder andere eher scheue Berührung von ihm an meinem Arm oder der Schulter und an das, was danach nahezu unaufhaltsam passierte, als die Tür mit einem Plopp ins Schloss fiel. Sah dabei im spiegelnden Glas über uns das Seidentuch, das ihn und auch mich wie eine zweite Haut bedeckte, und wie sich mit einem Mal, unter dem Nichts des Stoffs sein Glied zuckend bewegte und langsam streckte. Ich schmunzelte amüsiert, wurde ich doch zum ersten Mal Zeugin der morgendlichen Erektion eines Mannes. Der Satyr aus meinem Traum vorher nahm Gestalt an. Noch schläfrig, aber verwundert genug über die Geschwindigkeit, sah ich dem Schauspiel zu.

Nahezu gleichzeitig machte sich ein Kribbeln in mir breit, ein wohliger Schauer begann meinen Körper zu erobern und ich bekam eine Gänsehaut. Auch wenn ich wusste, dass es nichts mit mir zu tun hatte, er wahrscheinlich nicht einmal von einer Frau träumte, fand ich genau diesen Gedanken nun erregend.

Nach nicht einmal einer Minute lag Michaels Glied trotz des Stoffes deutlich sichtbar auf seinem Bauch. Ich drehte mich ganz auf den Rücken und sah nach oben. Der Mond war weitergewandert und nicht mehr in der Scheibe über mir zu sehen, dennoch ließ er den Raum genügend hell schimmern und ich konnte tatsächlich uns beide sehen, trotz des feinen Netzes, das vor stechenden Insekten schützte. In dem blank polierten Glas spiegelte sich nahezu das ganze Bett, der dünne Stoff, der sich kaum gefaltet an unsere Körper schmiegte und sie mit seinem Muster neu zu zeichnen schien. Mein rechtes Bein lugte unter ihm hervor und ich klimperte mit den Zehen, während eine Hand von Michael für einen Moment in die Luft griff. Sein Glied straff aufgerichtet. Ich atmete tief ein, spürte eine Gier, fuhr mit den Händen über den dünnen Stoff und meinen Körper. Das Geräusch des leisen Reibens erinnerte mich an das Zurücklaufen des Meeres im Sand. Ich lächelte, auch meine Spitzen waren mittlerweile deutlich sichtbar. Mit den Fingerspitzen spielte ich mit ihnen, als seien sie kleine Schalter. Jedes Klicken erzeugte einen weiteren Schauer. Ich glitt weiter und unwillkürlich zog ich den Bauch ein. Selbst durch das Tuch fühlte ich meine Haut, die Wölbung meines Schoßes. Eine Erinnerung an ein altbekanntes Gefühl, als ich als junges Mädchen meinen Körper erforschte und kennenlernte. Am liebsten hätte ich nun auch Michael gestreichelt. Doch sein Gesicht zeigte einen herrlich entspannten Schlaf. Ob er wohl doch von mir träumte? Schon schob sich vor meinem geistigen Auge sein Körper auf mich. Aber das Tuch störte. Ich schlug das dünne Etwas zur Seite und betrachtete meine Nacktheit. Ein paar Schweißtropfen blitzten wie kleine Kristalle überall auf der Haut. Auch zwischen den Schenkeln. Wissend wischte ich mit einer Hand über den seit ein paar Wochen glatt rasierten Schoß und hielt gleich darauf die Luft an. Bloß keine falschen Töne jetzt. Langsam stellte ich meine Beine etwas auf, sah abwechselnd weiter auf seine Erektion unter dem Tuch und in das spiegelnde Glas über mir, glitt mit den Fingern über die Brüste und in meinen Spalt, zuckte, spitzte die Lippen, nahm wieder Luft und stieß den Atem so leise wie möglich aus. Sah meinen Blick und die so nie wahrgenommene, eigene Nacktheit und malte mir aus, was Michael wohl von mir träumte, und als ich mit einem Finger in mich eindrang, spürte ich ihn. – Es ging nicht anders, ich brauchte Erlösung.

Mit ungefähr dreizehn entdeckte ich meinen Körper und damit Sexualität. Es war nicht die unbewusste Variante, nicht ein Zufall, von dem die Mädchen-Zeitschriften berichteten: Sicher hast du schon mal … Vielleicht hatte ich auch schon mal, dann jedoch, ohne mich daran zu erinnern. Aber an dieses erste Mal erinnere ich mich genau. Allerdings geschah dies mit Wut und Ungeduld im Bauch. Verschämt, mit dem sicheren Gefühl, etwas Verbotenes zu tun. Eine Hand unter meiner Pyjamahose, die andere auf den zu dieser Zeit noch nicht allzu fraulich wirkenden Brüsten. An einem Tag, der von Anfang an nicht gut gelaufen war. Voller Ungeduld mitten in der Nacht, mit spitzen Ohren, eine Stunde, nachdem meine Eltern ins Bett gegangen waren. Im Kopf die pludrige Anleitung und diffuse Vorstellung davon, wie Mädchen es machten, und was sie damit erleben wollten. Aber als Minuten später ein sonderbares, vor allem bis dahin unbekanntes, besser unbewusstes Gefühl in und über meinen Körper zu kriechen schien, hörte ich wohl kurz vor dem, was sie Orgasmus nannten, auf und drehte mich auf die Seite.

In meinem Kopf dennoch, hartnäckig grinsend, der Morgen nach dem Schulschwimmen, als ich verstohlen, vielleicht auch längst eingeschüchtert, den anderen Mädchen in der Umkleidekabine zuhörte, die grölend und feixend damit angaben, wie toll sie seien, wie vielen Jungs sie bereits erfolgreich den Kopf verdreht und mit welchen – allerdings leise mit zusammengesteckten Köpfen – sie ihre Erfahrungen gemacht hatten und sich hinter vorgehaltener Hand darüber lustig machten. Ihr süffisanter Blick dabei unablässig auf mich gerichtet. Auf die kleine Laura mit den langen Beinen, die keinen Arsch in der Hose hatte, und es gerade deshalb, wohl noch Jahre dauern würde, bis ich wüsste, wie es geht. „Wie soll die das wissen? Die fasst sich sicher selbst nicht an, guckt nur, wie katholisch die sich abtrocknet … und deshalb nicht weiß, wie’s geht, die hat ja da unten auch nix und oben hapert’s. Also alles unbekannte Gebiete“, behauptete eine von denen johlend und eine andere rief:

„Deshalb wird der Alex Loibl ihr auch nie an den Hintern packen. Da is’ ja nix.“

Gleich darauf fuhr sie sich mit beiden Händen über ihren nackten Po, streckte ihn raus, schwenkte ihn provozierend hin und her und machte „Uuuh uuuh“.

Auf die Finger vom Loibl konnte ich gut verzichten. Es reichte, was die Gören sich so erzählten. Wenn es denn stimmte. Schon ging’s weiter:

„Wenn ich mal ’nen Freund hab’, muss der auch so ’n Kreuz haben wie der Alex.“

„Logisch. Und ein paar Muckis. – Inka und ich haben mal bei ihm geklingelt. Leider hatte er keine Zeit. Hat aber gemeint, wir sollen später wiederkommen. Das ist doch vielversprechend, oder?“

„Und? Habt ihr’s gemacht?“, fragte eine andere grinsend und prüfte dabei ihre Brüste.

„Nee, bis jetzt noch nicht, war ja erst letzte Woche.“

„Wahrscheinlich als er mir ’n Eis spendiert hat“, meinte die erste, „ich bin nämlich einfach mit ihm nach Haus gelaufen, obwohl er ganz woanders wohnt, aber jetzt weiß er Bescheid“, lachte sie und sprang dabei nackt, wie sie war, und schon ganz Frau in der Ankleide herum. Angeberin, dachte ich da noch, sah neidisch zu den anderen, die auch schon weiter als ich waren, zog mir hektisch mit hochrotem Kopf meine Sachen an und hetzte nach Hause. Wahrscheinlich würden sie jetzt Woche für Woche eine neue Story erzählen. Die Hälfte davon sicher erfunden. Trotzdem wollte ich das am Abend nachholen, von wegen anfassen. Hatte ich zwar sicher schon getan, aber wohl nicht richtig gemerkt. Jedenfalls wüsste ich dann, um was es ginge, und ob es sooo großartig wäre. Am nächsten Tag würde ich also mitreden können.

In dieser Nacht boxte ich neben mir in das Kopfkissen, dachte an das blöde Geschwätz der Tussi, an die lachenden Gesichter und das dusselige Herumgehopse der anderen Mädchen und mein Vorhaben. Ärgerte mich und drehte mich mit Tränen in den Augen wieder auf den Rücken. Fluchend warf ich die Decke vom Bett und zog mich aus und schaute prüfend an mir herunter. Ja verdammt, mein Körper war noch nicht so weit, aber die Härchen und Brüste würden sicher noch sprießen.