Dem Mörder ganz nah - Irene Dorfner - E-Book

Dem Mörder ganz nah E-Book

Irene Dorfner

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Beschreibung

Die Betrugsmasche mit falschen Polizisten, Handwerkern und Schockanrufen greift auch in Oberbayern um sich. Der Töginger Witwer Winfried Schlesinger ist Opfer eines Schockanrufes, den der aber nicht ernst nimmt. Als die vermeintliche Polizistin vor seiner Tür steht und dann unverschämt wird, entsteht ein Gerangel - dabei wird die Frau getötet. Wohin mit der Leiche? Zu den anderen Gräbern in seinem Garten? Die leichtsinnige und neugierige Nachbarin Waltraut Bruckmeier ist dem Mann dicht auf den Fersen und bringt sich damit nicht nur selbst in Gefahr…

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Irene Dorfner

Dem Mörder ganz nah

Krimi

Inhaltsverzeichnis

Impressum

VORWORT

ANMERKUNG

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

10.

11.

12.

13.

14.

15.

16.

17.

18.

19.

20.

21.

22.

23.

24.

25.

26.

Liebe Leser!

Von der Autorin sind bisher folgende Bücher erschienen:

Über die Autorin Irene Dorfner:

Impressum

Copyright © 2023 Irene Dorfner

Verlag:

ID Verlag Irene Dorfner, Postfach 1128, 84495 Altotting

www.irene-dorfner.de

All rights reserved

Lektorat:

EarL und Marlies Heidmann, Spalt

Sabine Thomas, Stralsund

FTD-Script, Altotting

VORWORT

Betrüger werden immer dreister. Leo Schwartz, seine Kollegen und ich möchten alle Leser bitten, bezüglich ungebetenem Besuch und Schock-Anrufen Ruhe zu bewahren und äußerst vorsichtig zu sein.

Bei Polizisten an der Tür lieber die Tür schließen und bei der Polizei anrufen. Die wissen, wo ihre Leute sind und ob es sich um echte Polizisten handelt. Dasselbe gilt für Handwerker. Lieber ein Anruf zu viel, als später das Nachsehen zu haben! Betrüger wollen nur das Beste: Euer Geld und Euer Vermögen! Also: Tür schließen und die Polizei anrufen

Und bei Schock-Anrufen? Einfach auflegen und auch hier die betreffende Person direkt oder die Polizei anrufen.

Wichtig:

Immer die Nummer der Polizei selbst raussuchen und sich die nicht von anderen geben lassen. Zur Not die 110 wählen!

Die Polizei selbst wird NIEMALS mit der 110 bei Euch anrufen, sie wird sich auch NIEMALS über Vermögensverhältnisse erkundigen.

Nichts unterschreiben, NIEMALS. Auch nicht die vermeintliche Bestätigung, dass Handwerker vor Ort waren und sie nicht reingelassen wurden. NICHTS UNTERSCHREIBEN!

Bei diesen Betrugsmaschen seid ihr in der besseren Position. Wenn ihr die Tür schließt oder auflegt, können diese Leute nichts mehr machen.

Passt bitte auf Euch auf, man kann nicht vorsichtig genug sein!

Jetzt seid ihr gut vorbereitet, Leo-Schwartz-Leser lassen sich nicht betrügen!

Liebe Grüße aus Altötting

Irene Dorfner

ANMERKUNG

Die Personen und Namen in diesem Buch sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig – aber auch diesmal gibt es Ausnahmen:

Waltraut Bruckmeier, Töging

Birgit Noske, Töging

Sophia Straub, Haibach

Vielen Dank, dass ihr den Spaß mitgemacht habt!

Der Inhalt des Buches ist reine Fantasie der Autorin. Auch hier sind Ähnlichkeiten rein zufällig. Die Örtlichkeiten wurden den Handlungen angepasst.

… und jetzt geht es auch schon los:

1.

Fassungslos starrte Winfried Schlesinger auf die Leiche, die langsam den schweren, alten Teppich mit Blut tränkte. Schlesinger war nicht in der Lage, irgendwie zu reagieren, er stand einfach nur da. Irgendwann versagten die Knie des siebenundsechzigjährigen Rentners, der seit dem Tod seiner Frau vor knapp einem Jahr allein in dem alten Haus in der Dortmunder Straße im oberbayerischen Töging am Inn lebte. Er setzte sich in den abgewetzten Sessel, den er als einziges Möbelstück im Wohnzimmer benutzte. Die Couch war immer der Platz seiner Frau gewesen, die rührte er nicht an. Auch den Wohnzimmerschrank hatte er seit Monaten nicht mehr geöffnet, auch das war immer Marias Reich gewesen. Schlesinger musste nicht überprüfen, ob die Frau tatsächlich tot war, das war ihm sofort klar gewesen, als er ihr die Kehle mit einem Ruck durchgeschnitten hatte. Er hatte sein Können noch nicht verlernt, was ihn nicht überraschte. Es war nicht so, dass er noch nie getötet hätte, das war ihm als ehemaliger Fremdenlegionär nicht unbekannt. Früher musste er töten. Das war sein Job gewesen, für den er sich nicht schämte. Heute sah er die Zeit unter den Kameraden und mit Einsätzen auf der ganzen Welt als die schönste seines Lebens an, auch wenn die Jahre sehr hart gewesen waren. Aber diese Zeit war längst vorbei. Niemals rechnete er auch nur im Traum damit, dass er in seinem Alter und im Ruhestand immer noch damit zu tun hatte. Warum war die Frau auch so penetrant vorgegangen und ließ ihn nicht einfach in Ruhe? Schon am Telefon hatte er sie mehrfach abgewimmelt, bis er irgendwann doch mit ihr sprach. Sie war verdammt clever und ging sehr geschickt vor, weshalb er sich schließlich doch auf ein Gespräch einließ. Er war neugierig, was sie wirklich wollte, auch wenn er es bereits ahnte – sie wollte ganz sicher nur das Beste von ihm: sein Geld! Die Fremde mit der angenehmen Stimme gab sich als Polizistin aus. Schlesinger blieb ruhig und hörte sich an, was sie zu sagen hatte. Die Geschichte, die sie ihm präsentierte, klang schlüssig, trotzdem glaubte er ihr kein Wort. Sie gab vor, dass in der Nachbarschaft eingebrochen wurde und man seinen Namen auf einem Zettel fand, der an einem Tatort sichergestellt wurde und er somit gefährdet wäre. Sie brachte den Namen Schlesinger immer wieder ins Spiel und auch die ehemalige Spielwarenfabrik, die mit seinem Namen in Verbindung stand. Das war Fehler Nummer 1, denn mit dieser Fabrik hatte er nichts zu tun. Eigentlich auch nicht mit dem Namen. Nach seiner aktiven Zeit vor dreizehn Jahren hatte er einen fiktiven Namen angenommen, seinen früheren Namen hatte er seitdem niemals benutzt. Der Name Schlesinger war so gut wie jeder andere, einen persönlichen Bezug hatte er davor nicht dazu. Sein jetziger Name stand direkt unter der ehemaligen Fabrik Schlesinger, die Telefonnummern unterschieden sich nur in zwei Zahlen. Die vermeintliche Polizistin war nicht gut vorbereitet, arbeitete schlampig. Winfried Schlesinger spielte das Spiel trotzdem mit. Warum auch nicht? Es war lange her, dass er mit jemandem gesprochen hatte, außerdem reizte ihn, wie weit die Frau noch gehen würde. Schlesinger spürte, worauf das Telefonat hinauslief, schließlich las er jeden Tag Zeitung und wusste, wie Telefonbetrüger und falsche Polizisten vorgingen. Sie wickelten alte Leute mehr und mehr ein, um schließlich an das Ersparte zu gelangen. Jetzt war es also so weit und auch er zählte zu der Zielgruppe dieser Betrüger, was ihn erst erschreckte und dann schmunzeln ließ. Je länger Schlesinger mit der Frau sprach, desto mehr amüsierte er sich über die ganze Sache. Er gab sich senil und dumm, was die vermeintliche Polizistin nur noch mehr anspornte. Irgendwann kam die Frau dann auf den Punkt und fragte frech nach seinen Vermögensverhältnissen – das war ihr zweiter Fehler. Statt geschickt vorzugehen, preschte sie plump vor, was Schlesinger ärgerte. Trotzdem unterbrach er das Gespräch nicht, sondern unterhielt sich weiter mit ihr. Es ging also tatsächlich um Geld, um sein Geld. Natürlich log er sie dreist an und prahlte mit Bargeld und Schmuck, obwohl er nicht viel auf der hohen Kante hatte. Als Fremdenlegionär verdiente man zwar gut, aber man gab das Geld auch schnell wieder aus. Er bezog eine kleine Pension, dazu kam ein Rentenanteil seiner verstorbenen Frau. Das reichte zum Leben, aber von Reichtum war er weit entfernt. Während er mit der vermeintlichen Polizistin sprach, dachte er an seine Maria und lächelte – sie hätte ihren Spaß an dem Telefonat und an seinem schauspielerischen Talent gehabt.

Irgendwann verging Schlesinger die Lust an dem Gespräch und er legte einfach auf. Nur eine Stunde später stand plötzlich diese Fremde an seiner Haustür. Er sah sofort, dass der Ausweis, den sie ihm unter die Nase hielt, gefälscht war. Das hier war noch ein alter grüner Ausweis, der lange schon keine Gültigkeit mehr hatte. Außerdem trug sie ein T-Shirt, auf dem das Wort POLIZEI groß aufgedruckt war. Diese T-Shirts konnte man überall für wenig Geld kaufen, das sagte nichts aus. Nur Stümper würden freiwillig solche T-Shirts tragen, Profis ganz sicher nicht.

„Ich brauche Ihre Hilfe nicht“, brummte Schlesinger und wollte die Haustür schließen. „Seien Sie doch vernünftig, guter Mann. Die Polizei will Sie vor einem großen Schaden bewahren, dafür sind wir da!“

„Ja, genau, dafür ist die Polizei da. Wo ist eigentlich Ihr Kollege? Müssen Sie nicht immer zu zweit unterwegs sein?“

Die Frau antwortete nicht darauf und wiederholte, warum sie hier war. Sie sprach mit Schlesinger wie mit einem dummen, kleinen Kind, was ihn mehr und mehr ärgerte. Was fiel dieser dreisten Frau eigentlich ein? Gab es wirklich Menschen, die auf diese plumpe Art hereinfielen?

Schlesinger hatte genug. Er wollte die Frau loswerden. Er blieb höflich und schob einen Termin vor. Aber sie hörte nicht auf, ihn zu bedrängen. Sie bestand darauf, ihr das Bargeld und den Schmuck zu übergeben, den sie dann sicher aufbewahren wollte – beides könnte er nicht mal im Ansatz vorweisen. Ja, er hatte sie angelogen, aber sie log schließlich auch. Irgendwann wurde sie frech, drängelte sich an ihm vorbei und betrat einfach das Haus – SEIN Haus. Schlesinger war überrumpelt, was ihm nicht oft passierte. Er sah ein, dass er tatsächlich alt geworden war. Rasch lief er ihr hinterher, aber sie war schnell und stand bereits im Wohnzimmer. Sie schien enttäuscht von der Einrichtung zu sein, sie hatte vermutlich etwas mehr Luxus erwartet. Nachdem sie ihre Forderung mit Nachdruck wiederholte, verneinte Schlesinger. Sie stand ihm direkt gegenüber und sah ihm in die Augen. Damit versuchte sie, noch mehr Druck auf ihn auszuüben. Er hielt ihren Blicken stand, was sie aber nicht beeindruckte. Schlesinger war zwar wütend über die Dreistigkeit der Frau, aber auch neugierig. Wie weit würde sie gehen?

„Verstehen Sie denn nicht, dass Sie in Gefahr sind? Was machen Sie, wenn Einbrecher kommen und Ihnen alles wegnehmen? Seien Sie doch vernünftig und geben Sie alles in die Obhut der Polizei, dort sind Ihr Geld und die Wertsachen sicher.“ Nadja war genervt. Sie war bereits den ganzen Tag unterwegs und hatte erst eines der Opfer abziehen können. Und jetzt gab es schon wieder Probleme mit diesem Alten, der sich einfach nicht überzeugen ließ. War sie falsch vorgegangen? Das könnte sein, denn sie war müde und brauchte dringend ein Bier. Oder lag es vielleicht an den vielen Berichten in den Medien? Griffen die Maßnahmen der Polizei? Nadja wurde wütend. Es war spät, sie musste Erfolge vorweisen, schließlich hatte sie einen Ruf zu verlieren. Nadja gab alles, aber der Mann ließ sich nicht überzeugen. Da sie spürte, dass es hier einiges zu holen gab, zog sie die Schraube enger. Sie sprach ohne Punkt und Komma. Dass ihr Ton immer schroffer wurde, war Teil des Plans. Normalerweise gaben die Alten irgendwann doch nach, aber Schlesinger war ein sturer Mann, der vermutlich bereits unter Altersstarrsinn litt.

Schlesinger hatte genug von der Frau. Er sagte kein Wort mehr und zeigte auf den Ausgang. Aber sie reagierte nicht darauf und hörte nicht auf, ihn zu belabern. Als sie ihm schließlich drohte, wurde er richtig wütend. Dann kam sie mit ihrem Zeigefinger und fuchtelte ihm damit vor der Nase herum, was er auf den Tod nicht leiden konnte. Trotzdem reagierte er nicht mehr auf sie, was sie nur noch mehr motivierte. Sie war sehr bestimmend – und hier bestimmte nur einer, und das war er selbst. Er holte Luft und wollte ihr schließlich Contra geben, aber dann drehte sie sich plötzlich um und fing an, unverschämt zu werden, indem sie einfach an den Wohnzimmerschrank ging. Sie öffnete Schubladen, was nur seine Maria durfte. Sie durchwühlte tatsächlich Schubladen und Fächer, die er selbst seit Marias Tod nicht mehr angefasst hatte. Das war zu viel für Winfried Schlesinger. Er verpasste ihr einen Schlag, der sie straucheln ließ. Daraufhin wurde die Frau richtig wütend und ging auf ihn los. Wie eine Wahnsinnige schlug sie auf ihn ein.

Nadja konnte nicht fassen, was hier ablief. Ja, sie war zu weit vorgeprescht. Sie wollte mit aller Gewalt an die Wertsachen des Mannes und überschritt eine Grenze, was sie sonst nie tat. Aber musste der Alte gleich gewalttätig werden? Niemand durfte sie ungestraft schlagen, das hatte sie sich geschworen. Mit ihrer Kindheit, in der sie von ihrer Mutter regelmäßig geschlagen wurde, hatte sie noch heute zu kämpfen. Niemand durfte sie schlagen – niemals! Sie musste sich wehren, und zwar mit allen Mitteln. Nadja war außer sich. Alles, was jetzt geschah, nahm sie nicht real wahr, alles lief wie in einem Film vor ihr ab.

Schlesinger bemerkte die innere Wandlung der Frau. Sie war wie von Sinnen. Er wehrte sich erfolgreich. Dann holte die Frau plötzlich ein Messer aus der Tasche. Die Klinge des Klappmessers funkelte im Licht der Deckenlampe. Schlesinger sah sofort, dass das ein Profimesser war, mit dem nicht zu spaßen war. Außerdem verstand die Frau, wie man damit umging. Sie ging auf ihn los, aber er konnte die ersten Angriffe abwehren. Er überlegte nicht, sondern reagierte nur. Die Frau war wie rasend. Obwohl er ihr einige heftige Schläge verpasste, gab sie nicht auf. Er wollte sie zum Aufgeben bewegen, aber sie hörte seine Worte nicht. Ein Angriff ihrerseits ging nur haarscharf an seinem Gesicht vorbei. Sie waren an einem Punkt angelangt, in dem es nur um eines ging: Entweder sie oder er.

Schlesinger war ganz ruhig. Instinktiv griff er nach dem Brieföffner, der auf der Anrichte lag. Er wehrte den nächsten Angriff ab und schaffte es blitzschnell, hinter sie zu treten und schlitzte ihr die Kehle auf. Das dauerte keine zwei Sekunden, so hatte er es gelernt.

Jetzt lag sie vor ihm. Dass sie tot war, stand für ihn außer Frage. Sie röchelte nicht mal, sie gab keinen Laut mehr von sich.

Was sollte er jetzt tun? Sie vergraben – neben den anderen Gräbern?

2.

„Der Staatsanwalt bedankt sich ausdrücklich für den Einsatz in der Basilika“, begann Rudolf Krohmer, der Leiter der Mühldorfer Kriminalpolizei, die heutige Besprechung.

„Das ist doch schon Wochen her“, maulte der achtundfünfzigjährige Hauptkommissar Leo Schwartz.

„Das ist mir bekannt, vielen Dank für die Erinnerung. Aber wie Sie wissen, waren Sie nacheinander im Urlaub und heute ist der erste Tag, an dem wir wieder komplett sind. Also erlauben Sie, dass ich Ihnen heute vor versammelter Mannschaft den Dank des Staatsanwaltes ausspreche.“ Krohmer sah Leo mit strengem Blick an. Das ging ja heute gut los – und er hatte noch nicht einmal die schlechte Nachricht überbracht. Eigentlich wollte er behutsam vorgehen, da ihm klar war, dass seine Leute der Mordkommission die bevorstehende Aufgabe nicht mochten. Aber da die Stimmung eh nicht gut war, konnte er die Rücksicht über den Haufen werfen. „Wir haben im letzten Fall bereits Bekanntschaft mit Telefonbetrügern gemacht.“

„Der Fall ist aufgeklärt“, stöhnte Hans Hiebler. Der zweiundsechzigjährige Hauptkommissar und Leos bester Freund ahnte, worauf das hinauslief, und hatte keine Lust darauf.

„Auch das ist mir bekannt, vielen Dank für den Hinweis. Den Fall, um den wir uns bezüglich Telefonbetrug kümmern mussten, war bekanntermaßen eine Privataktion, die nichts mit dem organisierten Betrug zu tun hat, von der ich spreche. Da Sie sich bereits in die Materie eingearbeitet haben, werden wir uns intensiv um die Sache mit falschen Polizisten und Senioren-Telefonabzocke kümmern. Irgendwelche Einwände? Vorschläge? Anregungen?“

„Haben Sie diesmal keine alten Fälle, um die wir uns kümmern können?“, maulte ausgerechnet die zweiunddreißigjährige Diana Nußbaumer, die auf diese Betrugsfälle überhaupt keine Lust hatte.

„Die hätten wir, aber diese Sache geht vor.“

„Gibt es aktuelle Betrugsfälle? Vielleicht wieder einer, in dem der Staatsanwalt oder sogar Sie persönlich involviert sind?“ Leo war skeptisch.

„Ich verbitte mir solche Unterstellungen!“, schimpfte Krohmer, auch wenn ihm klar war, dass das nicht zu weit hergeholt wäre, zumal der Staatsanwalt im letzten Fall tatsächlich persönlich betroffen war. „Ich brauche Ihnen doch nicht erklären, dass diese Betrügereien auch bei uns vermehrt auftreten. Anzeigen stapeln sich, die Betrugssumme ist enorm angestiegen. Die Medien sind voll von Artikeln über diese Masche, erst heute ist wieder ein riesiger Artikel in der Tageszeitung erschienen. Der neueste Sicherheitsbericht 2022 liegt inzwischen vor. Ich gehe davon aus, dass Sie ihn alle gelesen haben.“ Krohmer sah in die Runde und ahnte, dass nicht einer seiner Kriminalbeamten der Mordkommission einen Blick in den Sicherheitsbericht geworfen hatte, auch wenn er ausdrücklich darum bat. Er stöhnte, trotzdem fuhr er fort, schließlich war er noch lange nicht fertig. „Gut, holen Sie das nach. Lesen Sie die aktuellen Zahlen des Sicherheitsberichtes 2022. Die Zunahme dieser Betrugsdelikte ist erschreckend. Telefonbetrug und falsche Polizisten sind fast an der Tagesordnung, die Anzeigen stapeln sich.“

„Ist das nicht übertrieben?“, maulte Leo. „Sie tun ja gerade so, als gäbe es sonst keine Verbrechen.“

Krohmer war echt genervt. Konnten seine Leute nicht einfach zuhören und begreifen, wie dringend diese Betrugsmaschen waren?

„Die Anweisung ist klar: Da kein aktueller Mordfall vorliegt, unterstützen Sie die Kollegen Asanger und Stumpf.“

„Bitte nicht! Bei Stumpf stinkt alles nach Leberkäse, und Asanger ist ein Klugscheißer.“

„Dann passen Sie ja prima zusammen. An die Arbeit! – Sie bleiben noch, Frau Nußbaumer.“

Nach wenigen Minuten kam Diana strahlend ins Büro.

„Ich bin raus, Leute. Der Chef hat mich zu einer Fortbildung in München angemeldet. Forensik – Neueste Erkenntnisse und wie man praxisnah damit umgeht. Ihr müsst also ohne mich an dieser spannenden Sache arbeiten.“

„Hast du ein Glück! Wann geht es los?“

„Sofort. Viel Spaß und viel Erfolg wünsche ich.“

Hans zerknüllte ein Papier und warf es der Kollegin hinterher, die daraufhin lachend davonging.

„Das ist echt ätzend“, schimpfte Hauptkommissar Leo Schwartz nach vielen Stunden Recherche und warf die eben durchgearbeitete Akte auf den Tisch. „Die Betrugsmasche wird immer perfider. Wie kann man nur so hinterfotzig sein?“

„Bei mir ist das nicht anders. Ich könnte kotzen!“ Hans Hieblers Laune war auch nicht besser. Beide verstanden den Chef jetzt sehr viel besser. Es war an der Zeit, dieser Masche energisch entgegenzutreten.

„Das hier ist organisierte Kriminalität vom Feinsten, die ausnahmslos harmlose, alte Leute betrifft. Und wir als Polizei werden durch diese falschen Polizisten auch noch in diese Betrügereien involviert.“

„Wir verlieren Vertrauen, das wir nur schwer wiedererlangen können, wenn die nicht damit aufhören oder wir das in den Griff bekommen“, sagte Hans.

Leo, Hans und der Kollege Alfons Demir bearbeiteten alle Fälle von Telefonbetrug der letzten sechs Monate, die vorwiegend ältere Menschen betraf. Dabei konzentrierten sie sich nur auf die Fälle, die unmittelbar ihren Zuständigkeitsbereich betrafen.

„Telefonnummern, die gesichert werden konnten, sind nicht zurückverfolgbar. Prepaid-Handys oder gefakte Nummern. Die scheuen nicht mal davor zurück, mit der 110 anzurufen und damit vorzugaukeln, dass die Polizei am Apparat ist. Sicher ist nur, dass diese Betrüger aus den uns vorliegenden Fällen vorwiegend im türkischen Izmir sitzen. Das muss man sich mal vorstellen! Da sitzen Leute in der Türkei, die hier in unserem Zuständigkeitsbereich Leute belabern, die dann von hiesigen Kollegen ausgenommen werden. Das haben nicht wir herausgefunden, sondern die Kollegen. Einer der Betrüger konnte festgenommen werden. Sein Name ist Jonas Keppler. Erst war er stumm wie ein Fisch, ist dann aber auf einen super Deal mit dem Staatsanwalt eingegangen und hat geplaudert. Die Aussage ist in meinen Augen dürftig, denn er nannte nur Vornamen, sonst nichts. Aber er hat über den Ablauf der Betrügereien ausgesagt.“

„Und deshalb kommt er wieder auf freien Fuß? Nicht zu fassen!“

„Dem Staatsanwalt hat es offenbar gereicht.“

„Und was hat Keppler selbst gemacht? Was war sein Job bei uns?“

„Kepplers Aufgabe war es, Geld, Schmuck und Wertgegenstände der Opfer einzusammeln. Er sagte aus, dass es außer ihm noch zwei Personen gab, ein Mann und eine Frau. Deren Namen wollte er aber nicht preisgeben, da war nichts zu machen. Klar ist nur, dass diese Bande vom türkischen Izmir aus agiert und dass noch mehrere Betrügergruppen unterwegs sind, die vorwiegend als falsche Polizisten auftreten. Aber die scheinen nichts mit Izmir zu tun zu haben – sagt Keppler. Die Drahtzieher sitzen demnach im türkischen Izmir.“ Leo dachte mit Grauen an das Gespräch mit den Kollegen Asanger und Stumpf, das ihm alles abverlangte. Tobias Asanger spielte sich wieder auf und gab sich als cleverster Ermittler, obwohl er nicht viel vorzuweisen hatte. Statt mit Leo ein Gespräch auf Augenhöhe zu führen, prahlte der nur mit der bevorstehenden Geburtstagsfeier zu seinem fünfzigsten, zu der offensichtlich nur die oberen Zehntausend eingeladen waren. Zum Glück gehörte Leo nicht dazu, denn auf diese Feier konnte er gerne verzichten. Er mochte Asanger und seine Art nicht und war froh, wenn sie sich nicht begegneten – aber jetzt waren sie zur Zusammenarbeit verdammt. Ob das gutging? Leo hatte seine Zweifel. Zum Glück bekam Asanger einen Anruf, der das Gespräch abrupt beendete. Der fünfundfünfzigjährige Kollege Joachim Stumpf war zwar kooperativ und umgänglich, aber er aß eine Leberkässemmel nach der anderen. Eine Duftwolke umgab den immer kauenden Mann. Stumpf hatte den Unterlagen und den Aussagen des Kollegen Asangers nichts hinzuzufügen. „Wenn die Spur der Fälle, die unseren Zuständigkeitsbereich betreffen, direkt in die Türkei führen, kommen wir an diese Leute kaum ran. Das ist beschissen. Hast du irgendetwas bezüglich Izmir herausgefunden, Alf?“ Der Kollege Alfons Demir hatte väterlicherseits türkische Wurzeln und auch entsprechende Sprachkenntnisse, die aber auch nicht weiterhalfen.

„Keine Chance, das können wir vergessen. Die türkischen Kollegen kommen auch nicht weiter – oder sie wollen nicht.“

„Schmiergelder?“

„Das ist möglich, so wie überall sonst auch. Diese Betrüger haben jede Menge Geld und sehr gute Kontakte. Bis man an diese Leute rankommt, sind sie längst verschwunden und die Recherchen beginnen von vorn.“ Alf war sauer.

„Dann haben wir nur noch vage Personenbeschreibungen, mit denen wir nicht viel anfangen können. Ich fürchte, dass wir in einer Sackgasse gelandet sind. Ob wir uns diesen Keppler nochmals vornehmen sollten?“

„Warum nicht?“

Der Deal mit dem Staatsanwalt war noch nicht final umgesetzt worden, Keppler saß immer noch in U-Haft. Der war sauer – nicht nur, weil er immer noch saß, sondern dass er nochmals vernommen wurde.

„Wie ich schon sagte, kenne ich nur die Vornamen der Männer, die hinter der Masche stecken. Das sind Ali, Karim und Paul. Nachnamen kann ich nicht liefern. Auch keine Adresse, wo Sie diese Leute finden können. Ich kann nur bestätigen, dass diese Leute in Izmir sitzen, von dort aus wird alles gelenkt. Auch das, was dann hier in Deutschland passiert. Meine Kollegen in Deutschland werde ich nicht verpfeifen, das habe ich dem Staatsanwalt gegenüber gesagt und der hat das akzeptiert, auch wenn er nicht gerade begeistert war. Meine Kollegen sind tabu. Was meinen Sie, was die sonst mit mir machen? Dass ich die Vornamen der Männer in Izmir genannt habe, war schon sehr gefährlich für mich, mehr erfahren Sie nicht. All das habe ich bereits zu Protokoll gegeben und wurde vom Staatsanwalt so angenommen, ich habe somit meinen Teil des Deals erfüllt. Was wollen Sie noch von mir?“

„Wie sind Sie an den Job gekommen?“

„Ein Freund gab mir den Tipp. Ich habe mich beworben und sie haben mich genommen.“

„Einfach so? Dann werden diese Jobs unter der Hand vermittelt?“

„Auch, aber nicht ausschließlich. Ich habe mitbekommen, dass diese Leute ganz offen in türkischen Zeitungen nach Mitarbeitern suchen. Und zwar in Zeitungen, die auch hier bei uns erhältlich sind. Das ist doch genial, oder? Die schreiben diese Stellen einfach öffentlich aus. Die suchen ganz offen Leute fürs Telefon und für den direkten Kontakt an der Haustür, so wie andere Firmen auch. Die Polizei weiß nichts davon, die kapieren überhaupt nichts. Und wenn, dann können die nichts dagegen unternehmen. In der Türkei habt ihr keine Macht, keinerlei Befugnis. Und die dortige Polizei unternimmt nichts. Weil sie nicht fähig ist oder nicht will. Ich bin mir sicher, dass viele Bullen geschmiert wurden. Aber das ist meine persönliche Meinung, beweisen kann ich das nicht.“ Keppler lachte. „Ihr Bullen in Deutschland seid doch völlig unterbesetzt. Bis ihr am Geschehen seid, sind wir längst über alle Berge.“ Keppler lachte, was die gelben Zähne offenbarte. Der Mann war einfach nur widerlich, einer der übelsten Sorte.

„Sie waren persönlich in der Türkei?“, kam Leo sehr ruhig auf den Grund des Gespräches zurück, auch wenn er sich sehr zusammenreißen musste.

„Ja, ich war in der Türkei. Ich hätte darauf verzichten können, denn Fliegen ist nicht so mein Ding, aber die haben auf ein persönliches Gespräch Wert gelegt. Sie wollten sehen, mit wem sie es zu tun haben, was ja durchaus nachvollziehbar ist. Die nehmen nicht jeden“, sagte Jonas Keppler nicht ohne Stolz.

„Wo genau hat das Treffen stattgefunden?“

„Das weiß ich nicht. Darauf habe ich nicht geachtet, das war mir auch egal. Und wenn ich es wüsste, würde ich es Ihnen nicht sagen. Aber ich weiß es wirklich nicht. Ich und andere Mitbewerber wurden vom Flughafen abgeholt und wir fuhren zu einem Gebäude in Izmir. Das Gespräch war auf Türkisch, Karim hat übersetzt. Ich bekam den Job, wir haben gefeiert und dann flog ich zurück. Der Rest lief telefonisch. Ich bekam Anweisungen, die ich ausgeführt habe. Und die ich noch ausführen würde, wenn man mich nicht hochgenommen hätte.“

„Dann haben Sie sich um einen Job in Deutschland beworben?“

„Gut kombiniert, Sheriff.“

„Sie sprachen von Mitbewerbern. Was war mit denen, die einen Job am Telefon bekamen?“

„Keine Ahnung, woher soll ich das wissen? Ich hatte meinen Job, flog zurück und ging meiner Arbeit nach. Was andere wie machen, geht doch mich nichts an, das ist nicht mein Problem.“

„Wie lief Ihr Job genau ab?“

„Mir wurde eine Adresse genannt, zu der ich als vermeintlicher Kommissar ging. Immer verschiedene Namen, die Ausweise habt ihr Bullen mir abgenommen.“ Keppler machte eine kurze Pause, damit der Vorwurf auch wirkte, was Leo aber nicht beeindruckte. „Ich nahm die Wertsachen der Alten entgegen und habe sie am vereinbarten Treffpunkt übergeben.“

„An wen?“

„Es war ein Mann und manchmal war eine Frau dabei, beide etwa um die dreißig. Ich kenne deren Namen nicht, was mir ganz recht war. Namen sind in dem Gewerbe unwichtig. Da zählen nur das Ergebnis und ein reibungsloser Ablauf, mehr nicht. Ich habe meinen Job gemacht, für den ich bezahlt wurde.“

„Sie bekamen Ihren Anteil sofort?“

„An Ort und Stelle, das lief immer zuverlässig und perfekt ab, davon können sich die Deutschen eine Scheibe abschneiden. Hier läuft immer alles genau nach Vorschrift, bürokratisch und mit zigfachen Durchschlägen. Die Türken arbeiten anders. Der Wert wird geschätzt und den Anteil gibt es sofort. Vertrauen gegen Vertrauen, aber das kennen die Deutschen nicht.“

„Sie sind selbst Deutscher“, stellte Leo fest, der den Mann echt nicht leiden konnte.

„Sie sind ein cleverer Mann, Herr Schwartz. Ja, ich bin Deutscher, was aber nicht heißt, dass mir das gefallen muss.“ Keppler lachte. „Nicht mehr lange, und ich bin wieder draußen. Euer Staatsanwalt ist ein korrekter Mann.“

„Aber der kann Ihnen draußen auch nicht helfen, wenn sich Ihre türkischen Freunde an Ihnen rächen. Wie die mit Verrätern umgehen, wird nicht lustig werden, das kann ich Ihnen garantieren. Aber das ist nicht unser Problem, damit müssen Sie allein zurechtkommen.“

„Ich werde doch beschützt, oder?“ Keppler verstand endlich, in welcher Lage er sich befand. Man konnte die Angst in den Augen des Mannes sehen. „Wenn Sie wissen, was mich draußen erwartet, muss mich die Polizei beschützen, und zwar rund um die Uhr.“

„Wurde ein Personenschutz mit dem Staatsanwalt vereinbart?“

„Das nicht, aber es ist doch klar, dass ich Schutz brauche. Sie wissen doch, dass ich in Gefahr bin und müssen mich schützen.“

„In Ihren Unterlagen steht nichts von Personenschutz.“

„Das muss man der Vereinbarung noch zufügen! Kümmern Sie sich darum!“

„Da kann ich Ihnen nicht helfen. Sprechen Sie mit denjenigen, die die Vereinbarung getroffen haben, das geht mich nichts an.“

„Sie können mich doch jetzt nicht einfach im Stich lassen! Wenn ich keinen Personenschutz bekomme, reißen die mir draußen den Arsch auf! Sie müssen mir helfen!“

„Ich muss gar nichts, damit müssen Sie allein zurechtkommen.“

„Dann gehe ich nicht raus und bleibe einfach hier.“

„Das wird nicht funktionieren, Herr Keppler. Die Entlassung wurde in die Wege geleitet. Sie müssen gehen.“

„Und wenn ich mich weigere?“

Leo hatte keine Lust mehr auf die Diskussion, die sowieso zu nichts führte. Fallrelevant hatte Keppler nicht mehr auszusagen, alles andere war nicht sein Problem.

„Dem hast du es aber gegeben, Leo. Respekt.“ Alf war beeindruckt.

„Die miese Ratte wird noch sehen, was er von seinem Verrat hat.“

„Du weißt, dass wir ihn nicht hängenlassen können. Sobald der draußen ist, ist er fällig.“

„Ja, das ist mir klar, aber das ist nicht unser Problem. Das hier hat uns keinen Schritt weitergebracht.“

Die Kriminalbeamten waren frustriert.

Dass sich im Hintergrund etwas anbahnte, mit dem sie nicht rechneten und das die Ermittlungen schließlich in eine ganz andere Richtung lenkte, ahnten sie nicht. Auch nicht, dass es inzwischen eine Tote gab, die unmittelbar mit ihren Ermittlungen zu tun hatte.

3.

„Stehst du schon wieder hier? Hast du heute keine Schule?“ Waltraut Bruckmeier war Schlesingers Nachbarin, sie lebte im Haus direkt gegenüber. Sie beobachtete die zehnjährige Sophia Straub schon geraume Zeit, wie die immer wieder zwischen den Büschen am Zaun stand und den ungeliebten Nachbarn beobachtete.

Sophia erschrak. Sie kannte die neugierige Frau Bruckmeier sehr gut, sie fürchtete sich sogar vor ihr. Während andere ihre Späße mit der Frau trieben, machte sie lieber einen großen Bogen um sie. Jetzt stand die Frau direkt vor ihr und sie musste ihr antworten. Was sollte sie sagen? Die Wahrheit? Sollte sie lügen? Sophia hatte sich diesen Platz ausgesucht, da sie dachte, dass sie von hier aus unbemerkt dem Nachbarn bei seinem Treiben zusehen konnte, aber darin hatte sie sich geirrt.

„Was ist? Bekomme ich keine Antwort?“, bohrte Frau Bruckmeier nach. Die sechsundsechzigjährige Rentnerin führte ein ruhiges Leben, für ihre Begriffe manchmal zu ruhig. Ja, sie interessierte sich für alles, was um sie herum geschah – warum auch nicht?

„Der Schlesinger gräbt wieder in seinem Garten“, flüsterte Sophia beinahe. „Ich meine nicht jetzt, sondern nachts.“

„Ach so? Macht er das oft?“

„Ja. Seit die Maria tot ist, verwildert der Garten. Der Schlesinger macht nichts im Garten, aber er gräbt, und zwar nur in den Nächten, nie am Tag. Um drei Uhr hat er angefangen, halb fünf war er fertig. Es interessiert mich, was er da macht, denn man sieht nichts von der Arbeit.“

Waltraut Bruckmeier schob die dichten Äste des Goldregens auseinander, um besser sehen zu können.

„Machen Sie das nicht! Der Schlesinger sieht uns sonst!“

„Das ist mir doch egal! Ich will sehen, was er da macht, was ist dagegen einzuwenden?“

Winfried Schlesinger hatte die beiden nicht nur gehört, sondern sah jetzt auch ihre Gesichter. Zum Glück war er schon lange fertig mit seiner Arbeit. Er trat auf die Terrasse.

„Was gibt es zu sehen?“, rief er verärgert in Richtung der beiden. Er erkannte die Nachbarin Bruckmeier, die er nicht leiden konnte. Sie steckte ihre Nase immer in Dinge, die sie nichts angingen. Normalerweise wäre ihm das egal, aber diesmal kümmerte sie sich offenbar um seine Angelegenheiten und die gingen nur ihn etwas an.

„Ich habe eine Frage, Herr Schlesinger!“, rief Waltraut laut. Sie dachte nicht daran, dem Mann zu antworten. Warum sollte sie? Er war hier ein Fremder und lebte erst einige Jahre hier, während sie eine gebürtige Tögingerin war. Er hatte ihr zu antworten und nicht umgekehrt! „Sie graben nachts? Warum?“

„Das geht Sie einen feuchten Dreck an!“, rief Schlesinger und verschwand im Haus.

Waltraut Bruckmeier war nicht verärgert, ganz im Gegenteil. Jetzt wurde sie erst recht neugierig.

„Du sagst, dass er öfter gräbt und das nur nachts?“

„Genau das macht er. Von meinem Fenster aus kann ich ihn sehen, aber von hier aus sehe ich sehr viel mehr. In der Nacht ist es zwar dunkel und er hat kein Licht bei sich, trotzdem kann ich einiges erkennen. Er hat immer einen Spaten bei sich und vergräbt Tüten. Dort hinten neben dem Gewächshaus hat er angefangen.“

„Wann war das?“

„Kurz nach Marias Tod.“

„Die Maria war eine liebe Frau, sie ist viel zu früh gestorben. Ich habe gelesen, dass ihr behandelnder Arzt kurz nach ihr starb.“ In Waltraut keimte ein schrecklicher Verdacht. „Ob der vielleicht hier irgendwo liegt?“

Sophia erschrak. Dass Frau Bruckmeier eine blühende Phantasie hatte, wussten alle, aber das ging doch zu weit.

„Das glaube ich nicht, dafür sind die Gräber nicht groß genug.“

„Woher willst du das wissen? Ja, die Gräber wären etwas klein, das stimmt, aber wenn man Leichen nicht der Länge nach in eine Grube legt, sondern sie irgendwie faltet, würde das passen.“

„Wie faltet man denn eine Leiche?“

„Das geht schon irgendwie. Man müsste die Knie anziehen und den Kopf nach vorn drücken. Oder man zerstückelt die Leiche.“ Frau Bruckmeier bekam eine Gänsehaut. Sie war sich sicher, dass sie auf der richtigen Fährte war.

Sophia Straub musste lachen. Sie stellte sich bildlich vor, wie Frau Bruckmeier eine Leiche faltete, was einem Cartoon glich.

„Sie haben zu viele Krimis gesehen, Frau Bruckmeier.“

„Krimis sind sehr lehrreich. Aber nicht alle, sondern nur die, die gut gemacht sind.“ Waltraut Bruckmeier dachte an den gestrigen Tatort, der ihr überhaupt nicht gefallen hat. „Was sollte der Schlesinger dort sonst vergraben?“, kam sie aufs Thema zurück.

Jetzt war es an der Zeit, den Verdacht zu äußern, den Sophia schon lange hatte und den sie noch niemandem gegenüber geäußert hatte.

„Ich weiß, dass in unserer Gegend mehrere Katzen verschwunden sind, auch meine Mimi ist weg.“

„Du meinst, dass er Katzen tötet und sie dann auf seinem Grundstück vergräbt?“

„Ja, davon bin ich überzeugt. Es passt alles zusammen.“

Waltraut Bruckmeier lachte. Handelte es sich wirklich nur um Katzen? Nein, ganz sicher nicht. Der Schlesinger machte sich nachts sicher nicht solche Mühe wegen dieser Viecher, da musste mehr dahinterstecken. Sie musste der Sache auf den Grund gehen, das war klar – aber ohne das Kind.

„Musst du nicht in der Schule sein? Du hast mir immer noch keine Antwort gegeben!“

„Es sind Ferien, Frau Bruckmeier.“

„Schon wieder?“

Sophia hatte keine Lust mehr auf die neugierige Frau, die ihr ja sowieso nicht glaubte. Sie ging nach Hause und nahm sich fest vor, den Nachbarn weiterhin im Auge zu behalten. Er war ganz sicher schuld an dem Verschwinden ihrer Mimi.

Winfried Schlesinger stand mit dem Kaffeebecher am Fenster. Er musste in nächster Zeit besser aufpassen, er wurde beobachtet. Seine Maria hatte das Nachbarsmädchen sehr gemocht. Während seine Frau Kontakte zu anderen pflegte, konnte er gerne darauf verzichten. Menschen an sich misstraute er, die waren verlogen, falsch und hinterfotzig – und zwar alle, ohne Ausnahme. Seine Maria war natürlich ganz anders gewesen, aber die war tot. Schlesinger beobachtete Sophia und die Bruckmeier, die immer noch an seinem Zaun standen. Das Kind war kein Problem, aber vor der Bruckmeier musste er sich in Acht nehmen, denn die war mit ihrer naiven, neugierigen Art eine Gefahr – nicht nur für andere, sondern vor allem für sich selbst - und natürlich für ihn.

Waltraut Bruckmeier radelte mit ihrer Badetasche und der Pool-Nudel ins Freibad, das alle in Töging nur Hubmühlbad nannten. Sie nahm regelmäßig an der Wassergymnastik teil, die sie scherzhaft Wasserballett nannte. Die Stunde war mäßig besucht, was schade war, aber dann konnte sich Birgit Noske, die die Stunde gab, mehr auf die wenigen Teilnehmer konzentrieren. Waltraut und Birgit waren befreundet. Nach den Stunden gab es immer einen Kaffeeratsch, den beide sehr schätzten. Man tauschte sich über neueste Informationen aus. Waltraut hielt sich bezüglich Schlesinger noch zurück und sagte kein Wort, denn als Denunziantin mit einem solch heftigen Vorwurf wollte sie nicht dastehen. Erst brauchte sie Beweise.

Auf dem Heimweg dachte sie darüber nach, wie sie vorgehen wollte, was ihr einen Beinahe-Unfall bescherte, denn sie fuhr unkonzentriert, fast chaotisch. Trotzdem schimpfte sie mit den Autofahrern, die auf Radlfahrer gefälligst Rücksicht nehmen sollten. Zuhause angekommen packte sie ihren nassen pinkfarbenen Badeanzug auf die Leine, daneben hängte sie das Handtuch. Die Pool-Nudel wurde verstaut. Jetzt machte sie sich sofort an die Arbeit. Sie durchforstete Zeitungen nach Todesanzeigen, nach den älteren Zeitungsausgaben suchte sie auch in der Papiertonne. Dass das von Nachbarn gesehen und mit spöttischen Bemerkungen quittiert wurde, war ihr egal. Sie war auf einer heißen Spur, die sie unter allen Umständen verfolgen wollte. Die gefundenen Ausgaben gingen nur bis in die letzten zwei Wochen zurück, hierin fand sie nichts. Sie hatte aber vor ihrem inneren Auge die Todesanzeige eines Arztes aus Töging vor sich, da war sie sich ganz sicher. Wie hieß der Mann noch? Ein Computer wäre hilfreich, aber den hatte sie nicht, darin kannte sie sich nicht aus. Ein einziges Mal hatte sie versucht, sich damit auseinanderzusetzen, aber das ging gründlich schief. Sie schob es auf den Dozenten der Volkshochschule, in Wahrheit war es ihre Ungeduld. Wie auch immer – nach der ersten Stunde ging sie nicht mehr hin.

Was jetzt? Sie musste darüber nachdenken, wie es weitergehen sollte. Sie hatte zwar mit den Todesanzeigen den richtigen Ansatz, aber sie musste die Suche eingrenzen. Dann kam ihr eine Idee. Sie wusste, dass Maria Schlesinger am 6. September letzten Jahres starb, denn an diesem Tag hatte ihre verstorbene Mutter Geburtstag. Sie erinnerte sich an Marias Beerdigung, bei der sie selbstverständlich auch gewesen war. Waltraut freute sich, dass ihr Gedächtnis noch immer hervorragend funktionierte. - Lehner! Das war der Name des Hausarztes, der ihr jetzt endlich wieder einfiel. Während sie zurück in ihre Wohnung ging, wiederholte sie den Namen des Arztes immer laut, damit sie ihn nicht vergaß. Kurze Zeit später saß sie an ihrem Wohnzimmertisch und notierte den Namen Lehner und das Datum 6. September auf ihren Block, dahinter malte sie ein Kreuz. Jetzt hatte sie das Sterbedatum der Nachbarin und den Namen des Arztes, von dem sie wusste, dass er nur kurze Zeit später starb. Waltraut lehnte sich zurück. Sie versuchte, sich in Schlesingers Lage zu versetzen. Wem würde sie die Schuld am Tod der geliebten Frau geben? Was könnte damals schiefgelaufen sein? Vielleicht kam der Notarzt zu spät? Oder die Erstversorgung zuhause war fehlerhaft? Der Transport? Oder die Ärzte im Krankenhaus? Waltraut notierte jeden Punkt. Wie kam sie jetzt an die entsprechenden Namen? Sie konnte doch nicht einfach anrufen und fragen. Warum eigentlich nicht! Aber sie musste geschickt vorgehen. Der erste Anruf galt der Notruf-Leitstelle. Sie gab vor, eine Anwältin zu sein, und fragte gezielt in fast astreinem Hochdeutsch nach dem Einsatz am 6. September letzten Jahres. Sie war bestimmt und untermalte ihre Anfrage mit der Drohung einer möglichen Klage. Außerdem warf sie mit erfundenen Paragraphen um sich, um ihre Drohung zu untermauern. Der Mann am anderen Ende der Leitung schien eingeschüchtert, denn er gab ihr alle Informationen, die sie brauchte.

„Der RTW wurde um 20.11 Uhr angefordert. Den Einsatz übernahmen Finkeisen und Baur. Der Notarzt war Doktor Springbeil.“

Waltraut wollte sich bedanken, aber einen Namen brauchte sie noch.

„Wer hat den Anruf in der Leitstelle entgegengenommen?“

„Das war der Kollege Hausner, Gott hab ihn selig.“

„Er lebt nicht mehr?“

„Nein. Er ist kurz vor Ostern in den österreichischen Bergen beim Klettern verunglückt. Die Bergrettung konnte ihn nur noch tot bergen.“

Hinter den Namen Hausner malte Waltraut ein fettes Kreuz. Sie bedankte sich und legte auf. Auf ihrem Blatt standen bereits fünf Namen. Zwei von ihnen waren ganz sicher tot, und zwar Lehner und Hausner. Waren die anderen drei noch am Leben? Das musste sie unbedingt in Erfahrung bringen. In ihr keimte ein schrecklicher Verdacht. Hatte Schlesinger alle fünf Leichen auf seinem Grundstück vergraben? Wenn das stimmte, mussten die echten Gräber leer sein. War das überhaupt möglich? Wäre das nicht aufgefallen? Gab es vielleicht noch mehr Tote? Je länger sie über all diese Fragen nachdachte, desto sicherer war sie sich: Der Nachbar gegenüber war ein eiskalter Mörder, auf dessen Grundstück jede Menge Leichen vergraben waren. Und dass die echten Gräber auf den Friedhöfen leer waren, stand für sie außer Frage. Sie zitterte, denn innerlich war sie davon überzeugt, auf einen Serienmörder gestoßen zu sein.

Waltraut holte sich einen Schnaps, trank ihn und schenkte nach. Als sie auch den getrunken hatte, beruhigte sie sich langsam, denn noch war ihre Arbeit nicht beendet, sie brauchte noch mehr Informationen. Nicht nur zu den Namen auf ihrer Liste, die ganz sicher noch nicht vollständig war. Was war mit dem Namen des Arztes, der Maria Schlesinger im Krankenhaus behandelte? Waltraut war sich sicher, dass Maria ins Krankenhaus Mühldorf gebracht wurde, deshalb rief sie dort an. Auch jetzt gab sie sich wieder als Anwältin aus, bekam aber keine Information.

„Die Namen und Einsatzpläne unterliegen dem Datenschutz. Wenn Sie uns einen entsprechenden richterlichen Beschluss vorlegen, werden Ihnen die Informationen ausgehändigt.“

„So eine dusselige Kuh!“, schimpfte Waltraut, nachdem sie aufgelegt hatte.

Und jetzt? Wie sollte es jetzt weitergehen? Sie starrte lange auf die Namen auf ihrer Liste. Wie konnte sie die überprüfen? Und kam sie an weitere Informationen bezüglich anderer Personen, die Schlesinger vielleicht auch auf dem Gewissen hatte? Ohne Hilfe kam sie nicht weiter. Sie brauchte dringend einen Computer, ohne hatte sie keine Chance. Sie nahm den Block und den Stift und ging entschlossen über die Straße. Sie klingelte.

„Frau Bruckmeier? Ist etwas passiert?“ Sophia sah die Nachbarin mit großen Augen an. War die Frau jemals hier gewesen?

„Nein, es ist nichts passiert, mach dir keine Sorgen. Ist deine Mutter zuhause?“

„Sie ist in der Arbeit, sie kommt in zwei Stunden.“

„Hast du einen Computer?“

„Ja, den habe ich.“

„Auch Internet?“ Waltraut freute sich, dass sie sich diese Begriffe merken konnte, auch wenn sie keinen blassen Schimmer hatte, wie das zusammenpasste.

„Ja, auch Internet.“ Sophia musste sich ein Grinsen verkneifen.

„Darfst du ohne die Erlaubnis deiner Mutter am Computer arbeiten?“

„Eigentlich nicht. Ich bin erst zehn Jahre alt. Meine Mutter ist in dem Punkt ziemlich streng, sie erlaubt nur harmlose Seiten. Ich habe ihr versprochen, mich während ihrer Abwesenheit daran zu halten. Sie vertraut mir und das Vertrauen möchte ich nicht kaputt machen. Worum geht es?“

„Ich suche nach Todesanzeigen.“

„Dagegen hat meine Mutter sicher nichts. Kommen Sie rein.“

Die beiden saßen nach wenigen Minuten am Esstisch der gemütlichen Küche. Waltraut war erstaunt, wie modern, ordentlich und sauber alles war.

„Kann man die Todesanzeigen der letzten Wochen und Monate abrufen?“

„Ja, kann man.“ Sophia ging auf die Seite der Tageszeitung und rief die Todesanzeigen auf. „Nach welchem Namen suchen Sie?“

Waltraut gab Sophia den Block, auf dem die Namen notiert waren.

„Die sind alle tot?“

„Das weiß ich nicht, genau das möchte ich herausfinden. Der Hausner ist vor Ostern in den Bergen verunglückt, das habe ich vorhin erfahren. Auch Doktor Lehner ist verstorben, und zwar letztes Jahr im Herbst. Woran und wie, weiß ich nicht.“

„Der Lehner starb am 10. November im letzten Jahr, das stimmt. Er war schon ziemlich alt, vielleicht ist er einfach so gestorben.“

„Einfach so stirbt man nicht, Kind. Die Todesursache bekomme ich noch raus, die ist jetzt nicht wichtig. Mach weiter!“

„Werner Hausner ist am 18. März gestorben, da ist die Todesanzeige.“

Waltraut notierte das jeweilige Sterbedatum hinter den Namen. Hinter Hausarzt Lehner machte sie noch ein Fragezeichen. Woran der Mann starb? Die Leute sprachen zwar von einem Herzinfarkt, aber daran hatte Waltraut nun Zweifel. Wie sie allerdings die Todesursache herausfinden konnte, wusste sie nicht, aber darum kümmerte sie sich später.

„Ein Dieter Springbeil starb im April diesen Jahres. Er war schon zweiundsiebzig. Ist das der richtige Mann?“

„Vermutlich.“

„Hier gibt es einen Nachruf vom Mühldorfer Krankenhaus. Das muss der Mann sein, nach dem Sie suchen.“

„Also war Springbeil ein Arzt, sehr gut.“ Auch hinter dessen Namen wurde das Sterbedatum notiert und ein dickes Kreuz gemalt. Natürlich folgte auch hier ein Fragezeichen. Schon wieder ein Toter mit unbekannter Todesursache.

„Zu den Namen Finkeisen und Baur kann ich nichts finden.“

„Schade. Vielleicht gab es keine Todesanzeige.“

„Oder die beiden leben noch.“

„Möglich.“ Waltraut war enttäuscht. Sie war sich sicher gewesen, dass auch die beiden tot waren. Trotzdem hatte sie bisher drei Tote, die im direkten Zusammenhang mit dem Tod von Maria Schlesinger standen. Ob das für einen begründeten Verdacht ausreichte? Aber noch gab sie nicht auf, denn einen Namen hatte sie noch auf ihrer Liste.

„Und jetzt? Nach wem suchen Sie noch?“

„Nach dem Namen eines Arztes, der die Maria Schlesinger im Krankenhaus behandelt hat. Ich habe versucht, den Namen herauszufinden, aber das hat nicht funktioniert.“

„Was ist hier los?“

Sophia und Waltraut erschraken, denn sie hatten nicht bemerkt, dass Sophias Mutter nachhause gekommen war.

„Wir suchen nur nach Todesanzeigen.“ Sophia zeigte ihrer Mutter den Laptop.

„Und warum macht ihr das?“

Waltraut musste sich jetzt gegenüber einer Erwachsenen erklären, was nicht leicht war. Ein Kind zu überzeugen war leicht, aber Sophias Mutter war nicht dumm, naiv schon gar nicht. Wie sie wohl auf ihre Theorie reagierte? Waltraut gab ihr Bestes und schmückte ihre Geschichte aus.

„Sie meinen, dass der Nachbar Leichen in seinem Garten vergräbt? Das ist doch Blödsinn, Frau Bruckmeier!“

„Sehen Sie selbst. Hier stehen die Namen, die Schlesinger für den Tod seiner Frau verantwortlich machen könnte. Drei von ihnen sind inzwischen tot. Das ist doch kein Zufall!“

„Ich gebe zu, dass das nicht gut aussieht, trotzdem halte ich Ihre Vermutung für sehr gewagt, Frau Bruckmeier. Neben uns lebt doch kein Serienmörder, das ist doch absurd.“

„Und warum nicht?“

„Das gibt es doch nur im Fernsehen, doch nicht bei uns in Töging.“

„Und wenn doch? Wollen Sie wirklich neben einem Mann leben, der einen Mord nach dem anderen begeht? Und wie lebt es sich mit der Vorstellung, dass neben ihrem Grundstück Leichen begraben sind? Wollen Sie wirklich neben so einem Nachbarn wohnen? Wollen Sie das Ihrer Tochter zumuten?“

Sophias Mutter bekam es mit der Angst zu tun. Aber dann wischte sie ihre düsteren Gedanken zur Seite.

„Hören Sie auf damit, Sie sind doch verrückt!“

„Ach ja? Soweit ich informiert bin, arbeiten Sie im Mühldorfer Krankenhaus. Maria Schlesinger ist dort am 6. September verstorben. Wenn der behandelnde Arzt noch lebt, gebe ich Ruhe und unternehme nichts weiter. Dann werde ich mich auch in aller Form bei Herrn Schlesinger entschuldigen. Ich werde den Nachbarn und sein Treiben zwar weiter beobachten, aber mehr mache ich nicht. Ist dieser Arzt allerdings auch tot, informieren wir die Polizei. Sind Sie damit einverstanden?“

„Ich bin einverstanden. Aber du stehst nicht mehr am Zaun, Sophia, ich will dich dort nicht mehr sehen! Und erzähl mir nicht, dass du das nicht machst, ich habe dich selbst gesehen! Ich will, dass du nachts in deinem Zimmer bleibst und das Haus nicht mehr verlässt, verstanden?“

„Ja, mache ich.“

„Ich werde in Erfahrung bringen, wer damals Dienst im Krankenhaus hatte und wer Maria Schlesinger behandelt hat. Das wird aber dauern, ich habe drei Tage frei. Wenn sich euer Verdacht nicht bestätigt, ist ab sofort Schluss mit dem Wahnsinn! Das gilt für euch beide!“

Sophia und Waltraut waren einverstanden.

„Gut, dann mache ich Kaffee und lege mich hin, ich bin hundemüde.“

„Deine Mutter ist ganz schön streng“, flüsterte Waltraut Sophia zu.

„Das weiß ich, aber sie meint es nicht böse. Die ganze Geschichte klingt ja auch verrückt, oder nicht?“

„Doch, schon. Aber was ist, wenn ich Recht habe? Wenn dieser Arzt auch tot ist?“

„Schluss damit, Frau Bruckmeier! Keine Gruselgeschichten mehr! Sie machen meiner Tochter Angst. Ist Ihnen klar, dass sie erst zehn Jahre alt ist und sich mit solchen Dingen nicht beschäftigen soll?“

„Nächsten Monat werde ich schon elf!“, protestierte Sophia.

„Trotzdem bist du zu jung für diese Schauergeschichten. Wir könnten heute Abend schwimmen gehen. Was hältst du davon? Heute ist es drückend heiß, das Wasser wird uns guttun. Gehen wir ins Hubmühlbad, da können wir mit den Fahrrädern hinfahren. Wollen Sie mitkommen, Frau Bruckmeier?“

„Ich war heute schon im Wasserballett, das reicht für heute. Vielen Dank für den Kaffee und viel Spaß im Schwimmbad heute Abend!“

Waltraut ging rasch nach Hause. Dass sie sich vor der Nachbarin offenbaren musste, war nicht mehr wichtig, die Scham über ihre Vermutung war schnell verflogen. Viel wichtiger war es, dass sie jetzt eine Verbündete hatte, die den Namen des behandelnden Arztes herausfand. Wie genial war das denn? Dass dieser Arzt ebenfalls tot war, stand für Waltraut außer Frage.

Sophias Mutter hätte sehr viele Fragen an ihre Tochter, aber dafür war sie zu müde. Dass sich diese bescheuerte Vermutung der neugierigen Frau Bruckmeier in Luft auflösen würde, stand für sie außer Frage. Der Schlesinger und ein Serienmörder, das war lächerlich. Ja, der Mann war komisch, das stimmte. Sie hatte in den ganzen Jahren nur wenige Sätze mit ihm gewechselt, was ihr nie seltsam vorkam. Der Schlesinger war eben jemand, der seine Ruhe haben wollte, was sie sehr gut nachvollziehen konnte. Ein Leben mit einem Serienmörder Zaun an Zaun – was für ein Schwachsinn. Die Frau Bruckmeier war einfach nur einsam, neugierig und hatte eine blühende Fantasie.

In den nächsten Nächten stand nicht nur Sophia am Fenster, sondern auch Waltraut Bruckmeier. Waltraut gab nach drei Nächten auf. Sie war müde und sah keinen Sinn darin, sich wegen des unheimlichen Nachbarn noch weiter die Nächte um die Ohren zu schlagen. Aber Sophia blieb auf ihrem Posten. Es waren Ferien und ihre besten Freundinnen waren nicht da. Während die sich an irgendwelchen Stränden in Europa vergnügten, saß sie zuhause und hatte nichts zu tun. Ihre Mutter arbeitete normalerweise, kam mit ihrem Job im Krankenhaus gerade so über die Runden, weshalb Sophia im Haushalt und bei kleinen Dingen des täglichen Lebens gerne einsprang.

---ENDE DER LESEPROBE---