Der Schuh der Diva - Irene Dorfner - E-Book

Der Schuh der Diva E-Book

Irene Dorfner

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Beschreibung

Die Mühldorfer Schauspielerin Ilona Baumgartner wird gejagt und verschwindet. Nicht spurlos, denn zurück bleibt ihr Schuh. Leo Schwartz ermittelt, auch wenn handfeste Beweise für ein Verbrechen fehlen. Dann wird die Haushälterin und Freundin der Diva erschossen. Die Spur führt Leo Schwartz bis nach London, wo er und der neue Kollege Alfons Demir gemeinsam mit Scotland Yard eine unfassbare Verschwörung aufdecken, die bis nach Deutschland reicht…

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Irene Dorfner

Der Schuh der Diva

 

 

 

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

Impressum

Vorwort

Anmerkung

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

10.

11.

12.

13.

14.

15.

16.

17.

18.

19.

20.

21.

22.

23.

Liebe Leser!

Von der Autorin sind bisher folgende Bücher erschienen:

Über die Autorin Irene Dorfner:

Impressum neobooks

Impressum

Copyright © Irene Dorfner 2021

www.irene-dorfner.com

Irene Dorfner, Postfach 1128, 84495 Altötting

All rights reserved

Probelesung/Lektorat: Sabine Thomas, Stralsund

EarL und Marlies Heidmann, Spalt

Rita und Manfred Schönig, Seligenstadt

FTD-Script, Altötting

Kein Teil dieses Buches darf ohne ausdrückliche schriftliche

Genehmigung des Herausgebers reproduziert oder in einem

Abrufsystem gespeichert oder in irgendeiner Form

oder auf irgendeine Weise elektronisch, mechanisch,

fotokopiert, aufgezeichnet oder auf andere Weise

übertragen werden.

Vorwort

Fall 39 – der fünfte Fall während der Corona-Pandemie…

Vielen, vielen Dank an alle, die mich bei diesem Projekt unterstützt haben und immer ein offenes Ohr für mich hatten:

Meine Lektoren Marlies und Klaus Heidmann, Sabine Thomas, Rita und Manfred Schönig, und natürlich die Jungs von FTD-Script.

Vielen Dank auch an meinen Sohn Thomas, der wie immer als Probeleser zur Verfügung stand.

Natürlich darf ich meinen Mann nicht vergessen, der mit Leo und seinen spannenden Geschichten mitfiebert und mich während meiner Schreibwut unterstützt und erträgt.

Selbstverständlich danke ich meinen treuen Lesern! Ohne euch würde die Reise mit Leo & Co. nicht so viel Spaß machen – ihr seid die Besten!!

Ich wünsche spannende Unterhaltung mit diesem spannenden Fall!!

Grüße aus Altötting – und bleibt’s gsund!!

Irene Dorfner

Anmerkung

Die Personen und Namen in diesem Buch sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig – bis auf Jörg Greisinger, sein Einverständnis liegt vor!

Der Inhalt des Buches ist reine Fantasie der Autorin. Auch hier sind Ähnlichkeiten rein zufällig. Die Örtlichkeiten wurden den Handlungen angepasst.

*****

„Demokratie ist anstrengend. Sie muss geschützt und immer wieder neu erstritten werden. Aber die Anstrengung lohnt sich. Denn es ist besser, Konflikte zu akzeptieren und zu lösen.“

Manuela Schwesig

…und jetzt geht es auch schon los:

1.

„Wenn du deine Süße wiedersehen willst, machst du genau das, was wir von dir verlangen. Hast du verstanden?“

Jörg Greisinger war nach dem späten Feierabend vor dem BKA-Gebäude in der Wiesbadener Rosselstraße von zwei Unbekannten abgefangen worden. Grob zogen sie ihn zur Seite hinter einen Lieferwagen, wo sie von niemandem gesehen werden konnten. Einer der Männer schlug ihm heftig ins Gesicht, das Knacken des Nasenbeins konnte man in der menschenleeren Straße gut hören. Das Blut rann aus der Nase übers Gesicht und verfärbte das weiße Hemd. Unwillkürlich nahm er die Hände vors Gesicht, wodurch er einen weiteren Schlag abfing. Warum hatte er seine Waffe nicht mitgenommen?

Greisinger war erst vor einem Jahr von München nach Wiesbaden gezogen, da sich ihm hier eine Chance auftat, die er nicht verstreichen lassen wollte. Er war Mitte vierzig und das war die Möglichkeit, auf die er lange warten musste, denn solche Stellen wurden nur sehr selten vergeben. Die Arbeit war super, die Kollegen waren schon fast zu Freunden geworden. Die anfängliche Skepsis über seinen Schritt war längst verflogen. Er hatte nach der Scheidung, die gut zwei Jahre zurücklag und nach der er auf eine weitere Beziehung verzichtete, eine neue Freundin gefunden. Alles lief prima – und jetzt das! Die Männer bedrohten nicht nur ihn, sondern auch seine Kirsten!

„Ob du verstanden hast, will ich wissen!“, bohrte der Fremde nach. Dessen Aftershave brannte in Greisingers Augen, der strenge Tabakgeruch löste einen Würgereiz aus.

„Ja, habe ich“, murmelte Greisinger. Was hätte er auch sonst tun sollen? Der Mann vor ihm sah bedrohlich aus, was an sich schon gereicht hätte, denn gegen ihn hatte er keine Chance. Dessen Kollege richtete eine Waffe auf ihn, was ihm überhaupt keine andere Wahl ließ, als zu kooperieren. In dieser Straße war um diese Uhrzeit nichts los, niemand würde ihm zu Hilfe kommen. In seiner ausweglosen Situation hätte er alles versprochen.

„Wiederhole, was ich gesagt habe!“

„Ich soll die Ermittlungen im Fall Paul Walter einstellen.“

„Du gibst nichts weiter und unternimmst nichts. Keine Zusammenarbeit mit dem Scotland Yard, am besten sprichst du mit denen kein Wort mehr. Wenn du dich geschickt anstellst, wird Kirsten und dir nichts geschehen. Kein Wort über unser Gespräch! Keine unüberlegten Handlungen, wir haben dich im Auge! Solltest du dich nicht an unsere Anweisungen halten, wirst du es bitter bereuen. Verstanden?“

Jörg Greisinger nickte. Er wurde von dem Mann rüde auf den Asphalt geworfen. Erleichtert sah er zu, wie die Männer in den Lieferwagen stiegen und davonfuhren. Fürs Erste hatte er es geschafft. Aber wie ging es jetzt weiter? Er rappelte sich auf und setzte sich auf die Mauer des Nachbargrundstückes. Mit einem Taschentuch wischte er das Blut ab. Dass ihm das nicht wirklich gelang und er dadurch noch erbärmlicher aussah, war ihm egal. Dass er starke Schmerzen hatte, merkte er nicht. Er konzentrierte sich auf das, was die Fremden von ihm verlangten. Es ging um Paul Walter – den Fall, den Scotland Yard bearbeitete und der bis nach Deutschland führte. Die ganze Sache war ihm vor einigen Wochen übertragen worden. Nach anfänglicher Routine hatte er Dinge herausgefunden, die beängstigend waren und die ihm nicht gefielen. Gerne hätte er seinen Vorgesetzten gesprochen und ihm alles mündlich mitgeteilt, aber der war im Urlaub. Er hätte sich dem Stellvertreter anvertrauen können, aber der hatte ihn abgewimmelt. Greisinger setzte alles auf den schriftlichen Bericht, den er ursprünglich morgen abgeben wollte, denn dann würde der Mann sofort seine Meinung ändern und ihn anhören. Der Bericht! Er lag fix und fertig auf seinem Schreibtisch. Das Vorhaben konnte er unter den gegebenen Umständen vergessen. Oder doch nicht? Sollte er trotzdem seinen Job machen? Eine Gruppe Krimineller war dabei, die bevorstehende Bundestagswahl und damit die Wahl des neuen Bundeskanzlers mit Gewalt zu beeinflussen. Dabei gingen diese Leute offenbar sehr geschickt vor. Dass das kaum zu begreifen war, konnte Greisinger verstehen, er glaubte anfangs selbst nicht daran – aber er hatte Beweise, die nur diesen Schluss zuließen. Das durfte er doch nicht zulassen! Je länger er darüber nachdachte, desto mehr wurde ihm klar, wofür er sich entschied: Die Demokratie Deutschlands durfte nicht gefährdet werden, krimineller Gewalt und Drohungen durfte man nicht nachgeben. Er musste Kirsten in Sicherheit bringen, für sich selbst wäre unter den gegebenen Umständen Personenschutz kein Problem. Konnte er wirklich dieses Risiko eingehen? Er mochte seinen Job und hatte sich immer für die richtige Seite eingesetzt – und das sollte auch so bleiben. Mit zitternden Händen rief er Kirsten an, danach musste er dringend mit seinem Chef sprechen – irgendjemand wusste sicher, wo er zu erreichen war. Der würde ihm helfen, die richtigen Schritte zu tun.

Er wählte Kirstens Nummer. Es klingelte lange, was ihn panisch werden ließ. Dann ging sie endlich ran.

„Wie geht es dir, mein Engel?“, preschte Greisinger vor.

„Ich bin…“

„Deiner Kirsten geht es blendend. Aber nur, solange du dich an unsere Abmachung hältst.“ Die Worte des Mannes schockierten Greisinger. „Du machst genau das, was wir von dir verlangen. Und du hältst den Mund.“

„Was habt ihr mit Kirsten gemacht? Wo ist sie? Ich möchte mir ihr sprechen!“

„Du hast keine Forderungen zu stellen, Greisinger! Wenn alles vorbei ist, bekommst du deine Freundin in einem Stück zurück. Wenn nicht, werden wir sie dir scheibchenweise zusenden. Es ist deine Entscheidung, was mit ihr passiert.“

Das Gespräch wurde unterbrochen.

Greisinger weinte und schrie, er war verzweifelt. Was sollte er jetzt tun? Für einen kurzen Moment wurde er wütend und wählte die Nummer seines Vorgesetzten, legte aber sofort wieder auf. Nein, das durfte er nicht tun. Die Männer hatten ihn und Kirsten in der Hand, er musste sich fügen.

2.

Einige Stunden später im oberbayerischen Mühldorf am Inn:

Die Septembernacht war schwülwarm, aber die Temperaturen interessierten sie nicht. Auch, dass ein Gewitter aufzog, war ihr nicht wichtig. Sie hatte nur ihr Ziel vor Augen, sie musste schneller vorankommen. Vor den hellen Mond schob sich eine Wolke, was ihr nicht unangenehm war – je dunkler, desto besser. Die hohen Absätze ihrer Sommerschuhe klapperten auf dem Asphalt – warum hatte sie gerade heute diese unbequemen Teile anziehen müssen? Daran war jetzt nichts mehr zu ändern. Dass sie sich Blasen lief, bemerkte sie nicht. Halb drei, das Display ihres Handys erhellte für einen Moment die dunkle Bahnhofsstraße Mühldorfs. Das Polizeigebäude war nicht mehr weit entfernt, sie musste durchhalten. In einem unbeobachteten Moment konnte sie fliehen, hoffentlich hielt ihr Glück an. Nur noch einige Minuten, mehr verlangte sie nicht. Ein Wagen näherte sich und sie versteckte sich hinter Mülltonnen, die zur Leerung bereitstanden. Die Scheinwerfer blendeten sie. Auch wenn es nichts brachte, hielt sie den Atem an. Erleichtert registrierte sie, dass der Wagen weiterfuhr. Das waren nicht diejenigen, die hinter ihr her waren und die sie am liebsten tot sehen wollten. Alles um sie herum lag wieder im Dunkeln. Sie musste weiter, richtete sich auf und lief los. Jetzt rannte sie, denn ihr Ziel war jetzt nicht mehr weit. Sie bog rechts um die Ecke. Nur noch einige Schritte und sie war in Sicherheit. Da vorn links und sie stand quasi direkt vor der Polizei, dort konnte ihr nichts mehr geschehen.

Noch bevor sie die letzten Schritte gehen konnte, tauchte erneut ein Wagen hinter ihr auf. Sie suchte hektisch nach einem Versteck, aber hier war nichts. Was sollte sie jetzt tun? Wenn das die Typen waren, war sie geliefert. Panisch lief sie um ihr Leben. Würde sie es schaffen, die Beweise in ihrer Tasche der Polizei ausliefern zu können? Sie musste, sonst wäre alles umsonst gewesen. Tapfer lief sie weiter. Dann geschah das Unglück, mit dem sie nicht gerechnet hätte: Einer ihrer Absätze brach ab und sie fiel der Länge nach auf die Straße. Die Schmerzen waren kaum auszuhalten, aber sie musste sich zusammenreißen. Sie hatte es fast geschafft und durfte jetzt nicht aufgeben.

Nachdem sie sich aufgerappelt hatte, stolperte sie weiter. Sie biss die Zähne zusammen. Hektisch sah sie sich um, der Wagen war nicht mehr weit. Sie erkannte das Kennzeichen nicht, rechnete aber mit dem Schlimmsten. Dort hinten war der Eingang der Polizei, sie konnte das blaue Schild bereits sehen. Ob sie hier schon im Bereich des markanten Wasserturms von den Kameras erfasst wurde?

Es wurde knapp, sie musste sich etwas einfallen lassen. Sie griff in ihre Tasche und zog den Umschlag hervor. Sie war jetzt genau auf Höhe des Wasserturms, der sich direkt neben dem Gebäude der Polizei befand. Die Scheinwerfer des nachfolgenden Wagens kamen immer näher. Der Umschlag flog über den Zaun. Sollte sie es bis zur Polizei schaffen, konnte sie in Begleitung von Polizisten zurückkehren und ihn holen. Wenn nicht, musste sie hoffen, dass er von jemandem gefunden wurde, der dann die weiteren Schritte in die Wege leitete.

Sie hörte nur noch den Motor hinter sich aufheulen, den Aufprall konnte sie nicht mehr verhindern. Dass sie unsanft in den Wagen gezerrt wurde, merkte sie nicht mehr.

Der Lärm wurde von diensthabenden Polizisten wahrgenommen. Als einige vor das Gebäude traten, konnten sie nur noch mit ansehen, wie Autotüren zuschlugen, das Fahrzeug den Rückwärtsgang einlegte und sich mit hoher Geschwindigkeit entfernte.

Kriminalhauptkommissar Leo Schwartz hatte endlich Feierabend. Verwundert beobachtete er die Kollegen, die fast geschlossen nach draußen liefen. Er hatte vorher gemeint, etwas gehört zu haben, schob das dann aber auf die Müdigkeit. Der sechsundfünfzigjährige Leiter der Mühldorfer Mordkommission hatte noch Schreibkram zu erledigen gehabt, zu dem er in den letzten Tagen nicht gekommen war. Durch den Weggang der Kollegin Godau war seine Abteilung immer noch unterbesetzt, was ihm langsam echt auf die Nerven ging. Er musste darüber dringend mit dem Chef sprechen, aber der war heute den ganzen Tag nicht im Haus gewesen. Ob er sich vor dem Gespräch drückte?

Leo Schwartz trat vor die Polizeiinspektion und versuchte zu begreifen, was hier gerade passierte. Scheinwerfer eines Wagens, der sich mit dem Rückwärtsgang vom Gebäude entfernte, konnte er gerade noch erkennen.

„Das ist eine Einbahnstraße!“, rief einer der Männer, auf dessen Brust der Name Ochsenberg stand. War das tatsächlich der kleine, untersetzte Ochsenberg? Das konnte doch nicht sein, denn der Mann vor ihm war deutlich erschlankt. Leo hatte den Kollegen schon lange nicht mehr gesehen, schob die Gedanken aber zur Seite, denn jetzt gab es Wichtigeres.

„Das ist doch jetzt völlig egal, ob das eine Einbahnstraße ist“, schrie Leo Schwartz. „Los! Hinterher!“

Einige Polizisten rannten los, andere blieben wie angewurzelt stehen.

Leo lief voraus, auch wenn er nicht der Sportlichste war. Das Vorhaben, den flüchtenden Wagen zu Fuß zu erreichen, war zwar schwachsinnig, trotzdem wollte er es wenigstens versuchen. Das Kennzeichen war nicht zu entziffern, zumal das Fahrzeug jetzt auch noch das Fernlicht einschaltete. Es war eine Limousine der gehobeneren Klasse, mehr konnte er nicht erkennen. Der Wagen wendete schließlich und verschwand in der Dunkelheit. Völlig außer Atem mussten Leo und die Kollegen aufgeben. Zwei Einsatzfahrzeuge fuhren an ihnen vorbei und nahmen die Verfolgung auf.

Auf dem Rückweg hob Leo einen Damenschuh auf, daneben lag der dazugehörige Absatz.

„Haben Sie eine Tüte für mich?“, sprach er Ochsenberg an, der schon sehr viel früher die Verfolgung aufgegeben hatte, wofür Leo Verständnis hatte. Der Kollege war noch sehr viel unsportlicher als er selbst.

„Wofür eine Tüte? Für den Schuh? Der liegt hier sicher schon sehr lange“, keuchte Ochsenberg.

„Nein, das tut er sicher nicht! Haben Sie eine Tüte für mich?“ Leo wurde ungeduldig.

„Woher wollen Sie wissen, dass der Schuh nicht schon lange hier liegt?“

„Weil ich Augen im Kopf habe. Ein Schuh quasi direkt vor der Polizei wäre mir aufgefallen.“ Leo drehte sich um und sprach einen anderen Kollegen an, der ihm sofort bereitwillig eine Tüte gab. Dann wandte er sich wieder Ochsenberg zu. „Und Sie zeigen mir die Überwachungsbilder.“

„Die Kamera deckt nur den Bereich vor der Tür ab, das müssten Sie eigentlich wissen.“

„Ja, das weiß ich, trotzdem möchte ich mir die Bilder ansehen.“

„Jetzt? Ich habe gleich Feierabend.“ Ochsenberg war müde. Er hatte eine Doppelschicht hinter sich, die nicht ohne war. Außerdem wurde er von den Medikamenten, die er wegen seiner Krankheit nehmen musste, sehr müde. Aber das wusste niemand und das ging auch niemanden etwas an. Es wäre zwar seine Pflicht gewesen, seinen Arbeitgeber zu informieren, aber er entschied sich dagegen. Er wollte kein Mitleid – und vor allem wollte er in seiner Arbeit nicht eingeschränkt werden. Alles sollte während seiner Therapie genau so weiterlaufen wie bisher.

Ochsenberg war sauer. Mit Schwartz wollte er sich nicht anlegen, dafür hatte er schon zu viel von ihm gesehen und gehört. Fluchend ging er ins Präsidium.

Leo sah Ochsenberg hinterher und schüttelte den Kopf. Er hatte kein Verständnis für diese Arbeitsauffassung.

„Was ist los mit ihm?“, wandte er sich an den Kollegen Dornhobel, den er ziemlich gut kannte. Marcel Dornhobel war ein Polizist wie aus dem Bilderbuch. Leo hatte dessen Potenzial erkannt und unterstützte das Vorhaben des Polizeichefs, Dornhobel zur Weiterbildung zu motivieren, um ihn dann später in die Kriminalpolizei zu integrieren. Noch sträubte sich Dornhobel dagegen, denn das würde einen erheblichen Mehraufwand bedeuten. Außerdem hieße das, dass er wieder die Schulbank drücken müsste, und darauf hatte er so gar keine Lust.

„Keine Ahnung.“ Dornhobel hielt sich mit dem Weitertragen der Gerüchte zurück, die seit vielen Wochen unter den Kollegen kursierten. Spekulationen waren nicht sein Ding und deshalb hielt er sich raus.

„Hat er private Probleme?“, bohrte Leo weiter.

Dornhobel zuckte nur mit den Schultern und ging davon. Er kannte den Kollegen Schwartz. Der würde so lange keine Ruhe geben, bis er ihm alles aus der Nase gezogen hatte – und das wollte er auf keinen Fall.

Das Verhalten Dornhobels kam Leo seltsam vor. Irgendetwas war mit Ochsenberg, und das würde er herausfinden. Aber erst waren die Aufzeichnungen der Kamera dran, die waren jetzt wichtiger. Ochsenberg hatte alles vorbereitet. Er bot Leo Platz an, damit der in Ruhe die Aufzeichnungen ansehen konnte. Der setzte sich, wobei er die Tüte mit dem Damenschuh auf den Tisch legte, was der Kollege zwar nicht gerne sah, aber nichts dazu sagte. Leo starrte gespannt auf den Bildschirm, als die Bilder vor ihm abliefen. Er wusste, in welcher Reichweite die Kameras ausgerichtet waren und dass vermutlich nichts von dem, was passiert war, aufgenommen wurde.

Tatsächlich sah man außer dem Licht der Scheinwerfer nichts. Trotzdem wiederholte Leo ständig dieselben Aufnahmen. Die Geräusche waren es, auf die sich Leo konzentrierte. Hinter ihm standen Ochsenberg und Dornhobel, alle anderen saßen wieder an ihren Plätzen.

„Das war vielleicht nur ein privater Streit zwischen einem Pärchen, das hatten wir während des Lockdowns sehr, sehr oft. Auch danach ebbt das nicht merklich ab“, winkte Ochsenberg ab und sah auf die Uhr. Seine Frau wartete zuhause und er wollte zu ihr. Sie war die Einzige, die über ihn Bescheid wusste und nur sie machte sich Sorgen. Solange er nicht bei ihr war, konnte sie nicht schlafen – das wusste er und auch deshalb wollte er nach Hause. „Wenn es diese Frau wirklich gegeben hat, ist sie schon lange wieder zu Hause. Wir kümmern uns hier um einen Vorfall, der eigentlich keiner ist.“

„Sie ging ohne den zweiten Schuh?“ Dornhobel war skeptisch. Welche Frau würde ohne einen verlorenen Schuh einfach nach Hause gehen?

„Das sehe ich ähnlich.“ Leo nahm sein Handy und rief die Spurensicherung. Friedrich Fuchs war zwar nicht begeistert, mitten in der Nacht gestört zu werden, aber die Arbeit hatte bei ihm immer Vorrang. Er versprach, mit seinem Team in wenigen Minuten im Präsidium zu sein.

Während Leo Schwartz auf die Spurensicherung wartete, zog ein heftiges Gewitter auf, wie es sie in diesem Jahr sehr oft gab. Der plötzlich eintretende Sturm riss nach Blättern auch dünnere Äste von den Bäumen, denen einige dickere folgten. Fassungslos starrten die Polizisten nach draußen, denn es folgten auch noch Hagelkörner, die immer größer wurden. Polizei- und Zivilfahrzeuge, die auf dem Parkplatz standen, waren schutzlos den Naturgewalten ausgeliefert. Leo überschlug grob die Kosten, die auf die Polizei zukommen könnten, auch wenn ihn die nichts angingen. Das wären sicher einige zig-tausend Euro. Wahnsinn!

Friedrich Fuchs und einige seiner Mitarbeiter der Spurensicherung fuhren während des Hagelschauers auf den Parkplatz. Dornhobel reagierte sofort und öffnete das Tor für die Garagen, damit wenigstens deren Fahrzeuge vor Schäden verschont blieben. Fuchs und seine Leute verstanden und brachten sich und die Autos in Sicherheit.

„Wahnsinn!“, murmelte Leo, der jetzt eigentlich schon fast zuhause wäre, wenn es diesen Vorfall nicht gegeben hätte. Ob Ochsenberg mit seiner Annahme richtig lag, dass vermutlich überhaupt nichts dahintersteckte? War es nicht völlig überzogen, die Zeit der Kollegen zu beanspruchen und Kosten zu verursachen, wo es außer diesem Schuh nicht einen einzigen Hinweis auf ein Verbrechen gab? Sein Bauchgefühl, auf das er sich fast immer verlassen konnte, sagte ihm, dass da etwas nicht stimmte.

„Was liegt an?“ Fuchs sprach Leo direkt an, nachdem er einen kaum hörbaren Gruß gemurmelt hatte. Der sechsundvierzigjährige, kleine Mann war meist mürrisch, außerdem verlangte er von seinen Leuten sehr viel. Aber er war der Beste auf seinem Gebiet, ihm konnte niemand so schnell das Wasser reichen. Leo zog seine Jacke aus. Jetzt konnten alle dessen T-Shirt sehen, das bis jetzt unter der alten Lederjacke weitgehend verborgen blieb. Darauf abgebildet war eine witzige Möwe und der Spruch: Sei Möwe – scheiß drauf! Fuchs rümpfte die Nase. Ja, ein solches Statement war witzig – aber gehörte das zur Polizei? Zum Leiter der Mordkommission? Fuchs starrte einen Moment zu lange auf das T-Shirt.

„Klasse, nicht wahr? Das war ein Geschenk…“, strahlte Leo, der sehr stolz darauf war, aber nicht mehr sagen konnte, dass er das von seiner Verlobten Sabine bekam.

„Warum bin ich hier?“, drängelte Fuchs, der nicht wissen wollte, woher das in seinen Augen unangemessene Kleidungsstück stammte. Das war Privatsache.

„Diesen Damenschuh haben wir vor dem Wasserturm gefunden.“

Fuchs nahm den Beutel mit dem Schuh an sich.

„Verstehe“, brummte er. Er interessierte sich nicht für die Hintergründe, die gingen ihn und seine Mitarbeiter nichts an. Er machte sich auf den Weg zum Ausgang.

„Sie gehen da jetzt nicht raus, Fuchs!“, bestimmte Leo.

„Und warum nicht?“

„Warten Sie, bis der Hagelschauer vorbei ist und sich das Gewitter verzogen hat.“

„Meinetwegen“, stöhnte Fuchs, während seine Mitarbeiter erleichtert waren. Sie kannten Fuchs sehr gut, der würde sich von einem Gewitter nicht stören lassen. Zum Glück war Schwartz hier, der ihren Chef zur Vernunft brachte. „Zeigen Sie mir die Bilder der Überwachungskamera.“ Fuchs wollte die Zeit sinnvoll nutzen.

Leo machte ihm Platz und Fuchs studierte die Bilder. Er war enttäuscht, die hätten sehr viel mehr hergeben müssen. Nach einem Blick aus dem Fenster wandte er sich an Leo. „Wir sollten beantragen, dass vor dem Gebäude weitere Kameras installiert werden. Die Bilder zeigen nur den Eingangsbereich und einen kleinen Teil des Parkplatzes, das ist zu wenig.“

Leo nickte nur. Er war müde und hatte keine Lust auf eine Diskussion über Kameras – vor allem nicht mit Fuchs, der heute wieder äußerst charmant war und ihn dadurch beleidigte, dass er ihn vorhin nicht ausreden ließ.

Endlich hatte das Gewitter nachgelassen. Fuchs trieb seine Leute nach draußen, wo es immer noch stark regnete. Nach einer halben Stunde kamen alle völlig durchnässt wieder zurück.

„Keine Chance. Wenn es Spuren gab, hat das Gewitter alles weggeschwemmt. Ich nehme mir den Schuh vor.“ Fuchs war enttäuscht, konnte aber an der Situation nichts ändern. Wenn sie etwas schneller hier gewesen wären, hätten sie dieselbe Situation vorgefunden.

Leo sah auf die Uhr. Inzwischen war es kurz nach fünf. Jetzt nach Hause zu fahren, lohnte sich auch nicht mehr. Er konnte im Präsidium duschen, an frische Wäsche hatte er wieder nicht gedacht, obwohl ihn die Kollegen ständig daran erinnerten. Er borgte sich ein T-Shirt der Polizei und hielt es ins Licht. Das war ziemlich langweilig gegen das mit der Möwe. Er roch an seinem T-Shirt – das musste heute noch gehen. Das Deo sprühte er großzügig unter seine Achseln und über das T-Shirt – damit war er für den heutigen Dienst gewappnet.

Nach einem ausgiebigen Frühstück in der Kantine trat Hans Hiebler ein. Der neunundfünfzigjährige Hauptkommissar und Leos bester Freund setzte sich zu ihm.

„Ich sehe, dass du nicht zuhause warst“, stellte er mit Blick auf das T-Shirt fest, das er ebenfalls nicht mochte. Warum musste ein Mann in Leos Alter so einen Mist tragen?

Leo nickte. Er hatte den Mund voll und wusste schließlich, was sich gehörte.

„Gibt es dafür einen triftigen Grund?“, bohrte Hans nach.

Leo berichtete ausführlich.

„Ein Damenschuh und du machst so einen Aufriss? Darüber wird der Chef nicht erfreut sein.“

„Er ist heute wieder im Haus?“

„Ja, das habe ich eben auf dem Flur erfahren. Krohmer wird sich über dein T-Shirt freuen, das kannst du mir glauben.“

Leo winkte ab. Was sollte der Chef dagegen haben? Das war nur ein Spruch, der vielen ein Lächeln entlockte – was sollte daran falsch sein? Er holte sich einen weiteren Kaffee, der für seine Begriffe viel zu dünn war.

„Eine schreckliche Plörre“, murmelte er.

„Warum trinkst du ihn dann?“

„Weil ich keine andere Wahl habe.“

„Draußen steht ein Automat mit weitaus besserem Kaffee.“

„Aber den muss ich bezahlen, der hier ist umsonst.“

Hans musste lachen. Leo war gebürtiger Schwabe und das merkte man auch. Neben dem Dialekt war ihm die Sparsamkeit, die manchmal in Geiz ausartete, geblieben. Hans ging nach draußen und zog zwei Kaffees, einen davon stellte er Leo hin.

„Eine kleine Spende für meinen Vorgesetzten. - Hat sich die nächtliche Sonderschicht wenigstens gelohnt?“ Hans war zufrieden, dass er sich vom Chef nicht für den Posten des Leiters der Mordkommission hatte überreden lassen. Seit Leo diesen übernommen hatte, musste der sehr viel mehr arbeiten, was ihn zum Glück nichts anging. Er hätte mit Leo Mitleid haben können, aber das hatte er nicht. Warum auch? Leo hatte sich dafür entschieden und jetzt musste er auch die Konsequenzen tragen.

„Ich bin soweit mit dem Schreibkram durch. Du solltest dir einen deiner Berichte nochmals ansehen, darin gibt es Unklarheiten.“

„Mein Gott, du wirst ja echt pedantisch! Gut, ich sehe ihn mir an, kann aber nicht garantieren, dass ich ihn ändern werde.“

Es entbrannte ein kleiner Streit, wie es sie in letzter Zeit immer öfter gab.

„Entweder tut dir der neue Job nicht gut, oder du bist zu viel allein“, brummte Hans. Er wusste, dass Leos Verlobte einen Job in den Staaten angenommen hatte, der sie einige Wochen dort festhielt. Aber es gab noch zwei Damen, auf die Leo momentan verzichten musste. „Wann kommen Tante Gerda und Christine zurück?“

„Keine Ahnung.“ Leo hatte keine Lust auf dieses Thema, das ein rotes Tuch für ihn war. Seit sich seine ehemalige Ulmer Kollegin und älteste Freundin Christine Künstle dazu entschlossen hatte, zu ihm und seiner Vermieterin und Ersatzmutter Tante Gerda zu ziehen, war nichts mehr wie vorher. Während Leo immer noch darauf hoffte, dass sich das Vorhaben in Luft auflöste, hielten die beiden alten Damen eisern daran fest. Sie waren vor über einer Woche nach Ulm aufgebrochen, um den Umzug sowie den Verkauf von Christines Haus abzuwickeln. Nicht mehr lange, und Christine und er lebten tatsächlich unter einem Dach. Ob das gutgehen würde? Er glaubte nicht daran.

„Leo? Hörst du mir überhaupt zu?“

In dem Moment kam die Kollegin Diana Nußbaumer in die Kantine. Da sie auch heute wieder blendend aussah, zog sie sofort wieder alle Blicke auf sich.

„Der Chef will uns sprechen“, rief sie Hans und Leo zu.

Der neunundfünfzigjährige Rudolf Krohmer saß im Besprechungszimmer und bereitete sich auf das bevorstehende Gespräch mit seiner Mordkommission vor – endlich gab es etwas Positives zu berichten. Der Staatsanwalt und er hatten die Zusage für die längst überfällige Verstärkung. Wer es sein wird und wann der- oder diejenige den Dienst antritt, stand zwar noch nicht fest, aber eine Zusage war mehr, als man erwarten konnte. Corona und die damit zusammenhängenden Einsätze hatten eine riesige und immer noch andauernde Krankheitswelle zur Folge, außerdem war es mit dem Nachwuchs schwierig. Nach den schrecklichen Bildern der letzten Monate wollte kaum noch jemand zur Polizei und sich von Demonstranten anpöbeln, bespucken, beleidigen oder gar schlagen lassen. Krohmer schob diese Zustände nicht Corona zu, sondern der zunehmenden Gewaltbereitschaft Polizisten gegenüber. Aber das war ein anderes Thema.

Zuerst trat die neunundzwanzigjährige Diana Nußbaumer ein. Krohmer persönlich gefiel die Erscheinung zwar, er hatte aber große Bedenken, dass die junge, hübsche Frau mit dem perfekten Äußeren und den waffenscheinpflichtigen Schuhen als Kriminalkommissarin nicht ernst genug genommen wurde. Ob sie Angreifern in diesem Outfit überhaupt standhalten konnte? Hans Hiebler durchbrach seine Gedanken. Krohmer musterte ihn von oben bis unten. Er sah zwar aus, als käme er direkt aus dem Urlaub, war aber präsent und strahlte eine Dominanz aus, die ihm gefiel. Dasselbe galt für den gebürtigen Schwaben Leo Schwartz, der eigentlich immer dieselben Klamotten anhatte – bis auf diese schrecklichen T-Shirts, an die er sich einfach nicht gewöhnen konnte. Als Krohmer die Möwe und den dämlichen Spruch sah, rümpfte er die Nase. Nach der Besprechung musste er mit Schwartz ein ernstes Wort sprechen!

„Was ist denn nun mit dem neuen Kollegen?“, preschte Leo hervor.

Krohmer war sauer, denn so etwas mochte er überhaupt nicht.

„Guten Morgen, allerseits“, missachtete er Leos Frage. „Da momentan nichts anliegt, möchte ich, dass Sie die alten Fälle durchgehen.“

„Nicht schon wieder!“, maulte Hans, der diese Arbeit nicht mochte.

„Das ist eine Arbeit, die getan werden muss. Mich fragt auch niemand, wenn auf mich etwas Unangenehmes wartet“, konterte Krohmer, der dabei an das bevorstehende Gespräch mit dem Bürgermeister dachte, wobei es um ein Fest zu Ehren der griechischen Partnerstadt ging. Nach der langen Zeit des Lockdowns und den jetzt endlich genehmigten Lockerungen standen wieder Großveranstaltungen an, auf die Krohmer nicht scharf war. Wie ruhig war es doch während der Pandemie, wenn man von Demonstrationen und der zunehmenden Gewaltbereitschaft mal ganz absah! Großveranstaltungen waren immer anstrengend und mussten gut vorbereitet werden, vor allem nach dem Lockdown. Er kannte seine Pappenheimer und ahnte, dass eine solche Feier voll ausgenutzt werden würde und es jede Menge Probleme gab, die er und seine Polizei ausbaden mussten. Aber darum musste er sich später kümmern.

„Es gibt da etwas, dem wir nachgehen sollten“, unterbrach Leo Krohmers Gedanken, noch bevor der die gute Nachricht bezüglich der Verstärkung mitteilen konnte.

„Aha. Sie haben meine volle Aufmerksamkeit.“

„Es gab heute Nacht einen Vorfall vor der Polizei, genauer gesagt vor dem Wasserturm. Es geht dabei um eine Frau.“

„Und?“, bohrte Krohmer nach, der sich zurücklehnte und die Arme vor der Brust verschränkte. War das wieder einer von Schwartz’ kümmerlichen Versuche, sich vor der stumpfsinnigen Arbeit alter Fälle zu drücken?