Dem Mörder ganz nah - Irene Dorfner - E-Book

Dem Mörder ganz nah E-Book

Irene Dorfner

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Beschreibung

Die Betrugsmasche mit falschen Polizisten, Handwerkern und Schockanrufen greift auch in Oberbayern um sich. Der Töginger Witwer Winfried Schlesinger ist Opfer eines Schockanrufes, den der aber nicht ernst nimmt. Als die vermeintliche Polizistin vor seiner Tür steht und dann unverschämt wird, entsteht ein Gerangel - dabei wird die Frau getötet. Wohin mit der Leiche? Zu den anderen Gräbern in seinem Garten? Die leichtsinnige und neugierige Nachbarin Waltraut Bruckmeier ist dem Mann dicht auf den Fersen und bringt sich damit nicht nur selbst in Gefahr…

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Seitenzahl: 280

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Irene Dorfner

Dem Mörder ganz nah

 

 

 

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

Impressum

VORWORT

ANMERKUNG

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

10.

11.

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14.

15.

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20.

21.

22.

23.

24.

25.

26.

Liebe Leser!

Von der Autorin sind bisher folgende Bücher erschienen:

Über die Autorin Irene Dorfner:

Impressum neobooks

Impressum

Copyright © 2023 Irene Dorfner

Verlag:

ID Verlag Irene Dorfner, Postfach 1128, 84495 Altotting

www.irene-dorfner.de

All rights reserved

Lektorat:

EarL und Marlies Heidmann, Spalt

Sabine Thomas, Stralsund

FTD-Script, Altotting

VORWORT

Betrüger werden immer dreister. Leo Schwartz, seine Kollegen und ich möchten alle Leser bitten, bezüglich ungebetenem Besuch und Schock-Anrufen Ruhe zu bewahren und äußerst vorsichtig zu sein.

Bei Polizisten an der Tür lieber die Tür schließen und bei der Polizei anrufen. Die wissen, wo ihre Leute sind und ob es sich um echte Polizisten handelt. Dasselbe gilt für Handwerker. Lieber ein Anruf zu viel, als später das Nachsehen zu haben! Betrüger wollen nur das Beste: Euer Geld und Euer Vermögen! Also: Tür schließen und die Polizei anrufen

Und bei Schock-Anrufen? Einfach auflegen und auch hier die betreffende Person direkt oder die Polizei anrufen.

Wichtig:

Immer die Nummer der Polizei selbst raussuchen und sich die nicht von anderen geben lassen. Zur Not die 110 wählen!

Die Polizei selbst wird NIEMALS mit der 110 bei Euch anrufen, sie wird sich auch NIEMALS über Vermögensverhältnisse erkundigen.

Nichts unterschreiben, NIEMALS. Auch nicht die vermeintliche Bestätigung, dass Handwerker vor Ort waren und sie nicht reingelassen wurden. NICHTS UNTERSCHREIBEN!

Bei diesen Betrugsmaschen seid ihr in der besseren Position. Wenn ihr die Tür schließt oder auflegt, können diese Leute nichts mehr machen.

Passt bitte auf Euch auf, man kann nicht vorsichtig genug sein!

Jetzt seid ihr gut vorbereitet, Leo-Schwartz-Leser lassen sich nicht betrügen!

Liebe Grüße aus Altötting

Irene Dorfner

ANMERKUNG

Die Personen und Namen in diesem Buch sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig – aber auch diesmal gibt es Ausnahmen:

Waltraut Bruckmeier, Töging

Birgit Noske, Töging

Sophia Straub, Haibach

Vielen Dank, dass ihr den Spaß mitgemacht habt!

Der Inhalt des Buches ist reine Fantasie der Autorin. Auch hier sind Ähnlichkeiten rein zufällig. Die Örtlichkeiten wurden den Handlungen angepasst.

… und jetzt geht es auch schon los:

1.

Fassungslos starrte Winfried Schlesinger auf die Leiche, die langsam den schweren, alten Teppich mit Blut tränkte. Schlesinger war nicht in der Lage, irgendwie zu reagieren, er stand einfach nur da. Irgendwann versagten die Knie des siebenundsechzigjährigen Rentners, der seit dem Tod seiner Frau vor knapp einem Jahr allein in dem alten Haus in der Dortmunder Straße im oberbayerischen Töging am Inn lebte. Er setzte sich in den abgewetzten Sessel, den er als einziges Möbelstück im Wohnzimmer benutzte. Die Couch war immer der Platz seiner Frau gewesen, die rührte er nicht an. Auch den Wohnzimmerschrank hatte er seit Monaten nicht mehr geöffnet, auch das war immer Marias Reich gewesen. Schlesinger musste nicht überprüfen, ob die Frau tatsächlich tot war, das war ihm sofort klar gewesen, als er ihr die Kehle mit einem Ruck durchgeschnitten hatte. Er hatte sein Können noch nicht verlernt, was ihn nicht überraschte. Es war nicht so, dass er noch nie getötet hätte, das war ihm als ehemaliger Fremdenlegionär nicht unbekannt. Früher musste er töten. Das war sein Job gewesen, für den er sich nicht schämte. Heute sah er die Zeit unter den Kameraden und mit Einsätzen auf der ganzen Welt als die schönste seines Lebens an, auch wenn die Jahre sehr hart gewesen waren. Aber diese Zeit war längst vorbei. Niemals rechnete er auch nur im Traum damit, dass er in seinem Alter und im Ruhestand immer noch damit zu tun hatte. Warum war die Frau auch so penetrant vorgegangen und ließ ihn nicht einfach in Ruhe? Schon am Telefon hatte er sie mehrfach abgewimmelt, bis er irgendwann doch mit ihr sprach. Sie war verdammt clever und ging sehr geschickt vor, weshalb er sich schließlich doch auf ein Gespräch einließ. Er war neugierig, was sie wirklich wollte, auch wenn er es bereits ahnte – sie wollte ganz sicher nur das Beste von ihm: sein Geld! Die Fremde mit der angenehmen Stimme gab sich als Polizistin aus. Schlesinger blieb ruhig und hörte sich an, was sie zu sagen hatte. Die Geschichte, die sie ihm präsentierte, klang schlüssig, trotzdem glaubte er ihr kein Wort. Sie gab vor, dass in der Nachbarschaft eingebrochen wurde und man seinen Namen auf einem Zettel fand, der an einem Tatort sichergestellt wurde und er somit gefährdet wäre. Sie brachte den Namen Schlesinger immer wieder ins Spiel und auch die ehemalige Spielwarenfabrik, die mit seinem Namen in Verbindung stand. Das war Fehler Nummer 1, denn mit dieser Fabrik hatte er nichts zu tun. Eigentlich auch nicht mit dem Namen. Nach seiner aktiven Zeit vor dreizehn Jahren hatte er einen fiktiven Namen angenommen, seinen früheren Namen hatte er seitdem niemals benutzt. Der Name Schlesinger war so gut wie jeder andere, einen persönlichen Bezug hatte er davor nicht dazu. Sein jetziger Name stand direkt unter der ehemaligen Fabrik Schlesinger, die Telefonnummern unterschieden sich nur in zwei Zahlen. Die vermeintliche Polizistin war nicht gut vorbereitet, arbeitete schlampig. Winfried Schlesinger spielte das Spiel trotzdem mit. Warum auch nicht? Es war lange her, dass er mit jemandem gesprochen hatte, außerdem reizte ihn, wie weit die Frau noch gehen würde. Schlesinger spürte, worauf das Telefonat hinauslief, schließlich las er jeden Tag Zeitung und wusste, wie Telefonbetrüger und falsche Polizisten vorgingen. Sie wickelten alte Leute mehr und mehr ein, um schließlich an das Ersparte zu gelangen. Jetzt war es also so weit und auch er zählte zu der Zielgruppe dieser Betrüger, was ihn erst erschreckte und dann schmunzeln ließ. Je länger Schlesinger mit der Frau sprach, desto mehr amüsierte er sich über die ganze Sache. Er gab sich senil und dumm, was die vermeintliche Polizistin nur noch mehr anspornte. Irgendwann kam die Frau dann auf den Punkt und fragte frech nach seinen Vermögensverhältnissen – das war ihr zweiter Fehler. Statt geschickt vorzugehen, preschte sie plump vor, was Schlesinger ärgerte. Trotzdem unterbrach er das Gespräch nicht, sondern unterhielt sich weiter mit ihr. Es ging also tatsächlich um Geld, um sein Geld. Natürlich log er sie dreist an und prahlte mit Bargeld und Schmuck, obwohl er nicht viel auf der hohen Kante hatte. Als Fremdenlegionär verdiente man zwar gut, aber man gab das Geld auch schnell wieder aus. Er bezog eine kleine Pension, dazu kam ein Rentenanteil seiner verstorbenen Frau. Das reichte zum Leben, aber von Reichtum war er weit entfernt. Während er mit der vermeintlichen Polizistin sprach, dachte er an seine Maria und lächelte – sie hätte ihren Spaß an dem Telefonat und an seinem schauspielerischen Talent gehabt.

Irgendwann verging Schlesinger die Lust an dem Gespräch und er legte einfach auf. Nur eine Stunde später stand plötzlich diese Fremde an seiner Haustür. Er sah sofort, dass der Ausweis, den sie ihm unter die Nase hielt, gefälscht war. Das hier war noch ein alter grüner Ausweis, der lange schon keine Gültigkeit mehr hatte. Außerdem trug sie ein T-Shirt, auf dem das Wort POLIZEI groß aufgedruckt war. Diese T-Shirts konnte man überall für wenig Geld kaufen, das sagte nichts aus. Nur Stümper würden freiwillig solche T-Shirts tragen, Profis ganz sicher nicht.

„Ich brauche Ihre Hilfe nicht“, brummte Schlesinger und wollte die Haustür schließen. „Seien Sie doch vernünftig, guter Mann. Die Polizei will Sie vor einem großen Schaden bewahren, dafür sind wir da!“

„Ja, genau, dafür ist die Polizei da. Wo ist eigentlich Ihr Kollege? Müssen Sie nicht immer zu zweit unterwegs sein?“

Die Frau antwortete nicht darauf und wiederholte, warum sie hier war. Sie sprach mit Schlesinger wie mit einem dummen, kleinen Kind, was ihn mehr und mehr ärgerte. Was fiel dieser dreisten Frau eigentlich ein? Gab es wirklich Menschen, die auf diese plumpe Art hereinfielen?

Schlesinger hatte genug. Er wollte die Frau loswerden. Er blieb höflich und schob einen Termin vor. Aber sie hörte nicht auf, ihn zu bedrängen. Sie bestand darauf, ihr das Bargeld und den Schmuck zu übergeben, den sie dann sicher aufbewahren wollte – beides könnte er nicht mal im Ansatz vorweisen. Ja, er hatte sie angelogen, aber sie log schließlich auch. Irgendwann wurde sie frech, drängelte sich an ihm vorbei und betrat einfach das Haus – SEIN Haus. Schlesinger war überrumpelt, was ihm nicht oft passierte. Er sah ein, dass er tatsächlich alt geworden war. Rasch lief er ihr hinterher, aber sie war schnell und stand bereits im Wohnzimmer. Sie schien enttäuscht von der Einrichtung zu sein, sie hatte vermutlich etwas mehr Luxus erwartet. Nachdem sie ihre Forderung mit Nachdruck wiederholte, verneinte Schlesinger. Sie stand ihm direkt gegenüber und sah ihm in die Augen. Damit versuchte sie, noch mehr Druck auf ihn auszuüben. Er hielt ihren Blicken stand, was sie aber nicht beeindruckte. Schlesinger war zwar wütend über die Dreistigkeit der Frau, aber auch neugierig. Wie weit würde sie gehen?

„Verstehen Sie denn nicht, dass Sie in Gefahr sind? Was machen Sie, wenn Einbrecher kommen und Ihnen alles wegnehmen? Seien Sie doch vernünftig und geben Sie alles in die Obhut der Polizei, dort sind Ihr Geld und die Wertsachen sicher.“ Nadja war genervt. Sie war bereits den ganzen Tag unterwegs und hatte erst eines der Opfer abziehen können. Und jetzt gab es schon wieder Probleme mit diesem Alten, der sich einfach nicht überzeugen ließ. War sie falsch vorgegangen? Das könnte sein, denn sie war müde und brauchte dringend ein Bier. Oder lag es vielleicht an den vielen Berichten in den Medien? Griffen die Maßnahmen der Polizei? Nadja wurde wütend. Es war spät, sie musste Erfolge vorweisen, schließlich hatte sie einen Ruf zu verlieren. Nadja gab alles, aber der Mann ließ sich nicht überzeugen. Da sie spürte, dass es hier einiges zu holen gab, zog sie die Schraube enger. Sie sprach ohne Punkt und Komma. Dass ihr Ton immer schroffer wurde, war Teil des Plans. Normalerweise gaben die Alten irgendwann doch nach, aber Schlesinger war ein sturer Mann, der vermutlich bereits unter Altersstarrsinn litt.

Schlesinger hatte genug von der Frau. Er sagte kein Wort mehr und zeigte auf den Ausgang. Aber sie reagierte nicht darauf und hörte nicht auf, ihn zu belabern. Als sie ihm schließlich drohte, wurde er richtig wütend. Dann kam sie mit ihrem Zeigefinger und fuchtelte ihm damit vor der Nase herum, was er auf den Tod nicht leiden konnte. Trotzdem reagierte er nicht mehr auf sie, was sie nur noch mehr motivierte. Sie war sehr bestimmend – und hier bestimmte nur einer, und das war er selbst. Er holte Luft und wollte ihr schließlich Contra geben, aber dann drehte sie sich plötzlich um und fing an, unverschämt zu werden, indem sie einfach an den Wohnzimmerschrank ging. Sie öffnete Schubladen, was nur seine Maria durfte. Sie durchwühlte tatsächlich Schubladen und Fächer, die er selbst seit Marias Tod nicht mehr angefasst hatte. Das war zu viel für Winfried Schlesinger. Er verpasste ihr einen Schlag, der sie straucheln ließ. Daraufhin wurde die Frau richtig wütend und ging auf ihn los. Wie eine Wahnsinnige schlug sie auf ihn ein.

Nadja konnte nicht fassen, was hier ablief. Ja, sie war zu weit vorgeprescht. Sie wollte mit aller Gewalt an die Wertsachen des Mannes und überschritt eine Grenze, was sie sonst nie tat. Aber musste der Alte gleich gewalttätig werden? Niemand durfte sie ungestraft schlagen, das hatte sie sich geschworen. Mit ihrer Kindheit, in der sie von ihrer Mutter regelmäßig geschlagen wurde, hatte sie noch heute zu kämpfen. Niemand durfte sie schlagen – niemals! Sie musste sich wehren, und zwar mit allen Mitteln. Nadja war außer sich. Alles, was jetzt geschah, nahm sie nicht real wahr, alles lief wie in einem Film vor ihr ab.

Schlesinger bemerkte die innere Wandlung der Frau. Sie war wie von Sinnen. Er wehrte sich erfolgreich. Dann holte die Frau plötzlich ein Messer aus der Tasche. Die Klinge des Klappmessers funkelte im Licht der Deckenlampe. Schlesinger sah sofort, dass das ein Profimesser war, mit dem nicht zu spaßen war. Außerdem verstand die Frau, wie man damit umging. Sie ging auf ihn los, aber er konnte die ersten Angriffe abwehren. Er überlegte nicht, sondern reagierte nur. Die Frau war wie rasend. Obwohl er ihr einige heftige Schläge verpasste, gab sie nicht auf. Er wollte sie zum Aufgeben bewegen, aber sie hörte seine Worte nicht. Ein Angriff ihrerseits ging nur haarscharf an seinem Gesicht vorbei. Sie waren an einem Punkt angelangt, in dem es nur um eines ging: Entweder sie oder er.

Schlesinger war ganz ruhig. Instinktiv griff er nach dem Brieföffner, der auf der Anrichte lag. Er wehrte den nächsten Angriff ab und schaffte es blitzschnell, hinter sie zu treten und schlitzte ihr die Kehle auf. Das dauerte keine zwei Sekunden, so hatte er es gelernt.

Jetzt lag sie vor ihm. Dass sie tot war, stand für ihn außer Frage. Sie röchelte nicht mal, sie gab keinen Laut mehr von sich.

Was sollte er jetzt tun? Sie vergraben – neben den anderen Gräbern?

2.

„Der Staatsanwalt bedankt sich ausdrücklich für den Einsatz in der Basilika“, begann Rudolf Krohmer, der Leiter der Mühldorfer Kriminalpolizei, die heutige Besprechung.

„Das ist doch schon Wochen her“, maulte der achtundfünfzigjährige Hauptkommissar Leo Schwartz.

„Das ist mir bekannt, vielen Dank für die Erinnerung. Aber wie Sie wissen, waren Sie nacheinander im Urlaub und heute ist der erste Tag, an dem wir wieder komplett sind. Also erlauben Sie, dass ich Ihnen heute vor versammelter Mannschaft den Dank des Staatsanwaltes ausspreche.“ Krohmer sah Leo mit strengem Blick an. Das ging ja heute gut los – und er hatte noch nicht einmal die schlechte Nachricht überbracht. Eigentlich wollte er behutsam vorgehen, da ihm klar war, dass seine Leute der Mordkommission die bevorstehende Aufgabe nicht mochten. Aber da die Stimmung eh nicht gut war, konnte er die Rücksicht über den Haufen werfen. „Wir haben im letzten Fall bereits Bekanntschaft mit Telefonbetrügern gemacht.“

„Der Fall ist aufgeklärt“, stöhnte Hans Hiebler. Der zweiundsechzigjährige Hauptkommissar und Leos bester Freund ahnte, worauf das hinauslief, und hatte keine Lust darauf.

„Auch das ist mir bekannt, vielen Dank für den Hinweis. Den Fall, um den wir uns bezüglich Telefonbetrug kümmern mussten, war bekanntermaßen eine Privataktion, die nichts mit dem organisierten Betrug zu tun hat, von der ich spreche. Da Sie sich bereits in die Materie eingearbeitet haben, werden wir uns intensiv um die Sache mit falschen Polizisten und Senioren-Telefonabzocke kümmern. Irgendwelche Einwände? Vorschläge? Anregungen?“

„Haben Sie diesmal keine alten Fälle, um die wir uns kümmern können?“, maulte ausgerechnet die zweiunddreißigjährige Diana Nußbaumer, die auf diese Betrugsfälle überhaupt keine Lust hatte.

„Die hätten wir, aber diese Sache geht vor.“

„Gibt es aktuelle Betrugsfälle? Vielleicht wieder einer, in dem der Staatsanwalt oder sogar Sie persönlich involviert sind?“ Leo war skeptisch.

„Ich verbitte mir solche Unterstellungen!“, schimpfte Krohmer, auch wenn ihm klar war, dass das nicht zu weit hergeholt wäre, zumal der Staatsanwalt im letzten Fall tatsächlich persönlich betroffen war. „Ich brauche Ihnen doch nicht erklären, dass diese Betrügereien auch bei uns vermehrt auftreten. Anzeigen stapeln sich, die Betrugssumme ist enorm angestiegen. Die Medien sind voll von Artikeln über diese Masche, erst heute ist wieder ein riesiger Artikel in der Tageszeitung erschienen. Der neueste Sicherheitsbericht 2022 liegt inzwischen vor. Ich gehe davon aus, dass Sie ihn alle gelesen haben.“ Krohmer sah in die Runde und ahnte, dass nicht einer seiner Kriminalbeamten der Mordkommission einen Blick in den Sicherheitsbericht geworfen hatte, auch wenn er ausdrücklich darum bat. Er stöhnte, trotzdem fuhr er fort, schließlich war er noch lange nicht fertig. „Gut, holen Sie das nach. Lesen Sie die aktuellen Zahlen des Sicherheitsberichtes 2022. Die Zunahme dieser Betrugsdelikte ist erschreckend. Telefonbetrug und falsche Polizisten sind fast an der Tagesordnung, die Anzeigen stapeln sich.“

„Ist das nicht übertrieben?“, maulte Leo. „Sie tun ja gerade so, als gäbe es sonst keine Verbrechen.“

Krohmer war echt genervt. Konnten seine Leute nicht einfach zuhören und begreifen, wie dringend diese Betrugsmaschen waren?

„Die Anweisung ist klar: Da kein aktueller Mordfall vorliegt, unterstützen Sie die Kollegen Asanger und Stumpf.“

„Bitte nicht! Bei Stumpf stinkt alles nach Leberkäse, und Asanger ist ein Klugscheißer.“

„Dann passen Sie ja prima zusammen. An die Arbeit! – Sie bleiben noch, Frau Nußbaumer.“

Nach wenigen Minuten kam Diana strahlend ins Büro.

„Ich bin raus, Leute. Der Chef hat mich zu einer Fortbildung in München angemeldet. Forensik – Neueste Erkenntnisse und wie man praxisnah damit umgeht. Ihr müsst also ohne mich an dieser spannenden Sache arbeiten.“

„Hast du ein Glück! Wann geht es los?“

„Sofort. Viel Spaß und viel Erfolg wünsche ich.“

Hans zerknüllte ein Papier und warf es der Kollegin hinterher, die daraufhin lachend davonging.

„Das ist echt ätzend“, schimpfte Hauptkommissar Leo Schwartz nach vielen Stunden Recherche und warf die eben durchgearbeitete Akte auf den Tisch. „Die Betrugsmasche wird immer perfider. Wie kann man nur so hinterfotzig sein?“

„Bei mir ist das nicht anders. Ich könnte kotzen!“ Hans Hieblers Laune war auch nicht besser. Beide verstanden den Chef jetzt sehr viel besser. Es war an der Zeit, dieser Masche energisch entgegenzutreten.

„Das hier ist organisierte Kriminalität vom Feinsten, die ausnahmslos harmlose, alte Leute betrifft. Und wir als Polizei werden durch diese falschen Polizisten auch noch in diese Betrügereien involviert.“

„Wir verlieren Vertrauen, das wir nur schwer wiedererlangen können, wenn die nicht damit aufhören oder wir das in den Griff bekommen“, sagte Hans.

Leo, Hans und der Kollege Alfons Demir bearbeiteten alle Fälle von Telefonbetrug der letzten sechs Monate, die vorwiegend ältere Menschen betraf. Dabei konzentrierten sie sich nur auf die Fälle, die unmittelbar ihren Zuständigkeitsbereich betrafen.

„Telefonnummern, die gesichert werden konnten, sind nicht zurückverfolgbar. Prepaid-Handys oder gefakte Nummern. Die scheuen nicht mal davor zurück, mit der 110 anzurufen und damit vorzugaukeln, dass die Polizei am Apparat ist. Sicher ist nur, dass diese Betrüger aus den uns vorliegenden Fällen vorwiegend im türkischen Izmir sitzen. Das muss man sich mal vorstellen! Da sitzen Leute in der Türkei, die hier in unserem Zuständigkeitsbereich Leute belabern, die dann von hiesigen Kollegen ausgenommen werden. Das haben nicht wir herausgefunden, sondern die Kollegen. Einer der Betrüger konnte festgenommen werden. Sein Name ist Jonas Keppler. Erst war er stumm wie ein Fisch, ist dann aber auf einen super Deal mit dem Staatsanwalt eingegangen und hat geplaudert. Die Aussage ist in meinen Augen dürftig, denn er nannte nur Vornamen, sonst nichts. Aber er hat über den Ablauf der Betrügereien ausgesagt.“

„Und deshalb kommt er wieder auf freien Fuß? Nicht zu fassen!“

„Dem Staatsanwalt hat es offenbar gereicht.“

„Und was hat Keppler selbst gemacht? Was war sein Job bei uns?“

„Kepplers Aufgabe war es, Geld, Schmuck und Wertgegenstände der Opfer einzusammeln. Er sagte aus, dass es außer ihm noch zwei Personen gab, ein Mann und eine Frau. Deren Namen wollte er aber nicht preisgeben, da war nichts zu machen. Klar ist nur, dass diese Bande vom türkischen Izmir aus agiert und dass noch mehrere Betrügergruppen unterwegs sind, die vorwiegend als falsche Polizisten auftreten. Aber die scheinen nichts mit Izmir zu tun zu haben – sagt Keppler. Die Drahtzieher sitzen demnach im türkischen Izmir.“ Leo dachte mit Grauen an das Gespräch mit den Kollegen Asanger und Stumpf, das ihm alles abverlangte. Tobias Asanger spielte sich wieder auf und gab sich als cleverster Ermittler, obwohl er nicht viel vorzuweisen hatte. Statt mit Leo ein Gespräch auf Augenhöhe zu führen, prahlte der nur mit der bevorstehenden Geburtstagsfeier zu seinem fünfzigsten, zu der offensichtlich nur die oberen Zehntausend eingeladen waren. Zum Glück gehörte Leo nicht dazu, denn auf diese Feier konnte er gerne verzichten. Er mochte Asanger und seine Art nicht und war froh, wenn sie sich nicht begegneten – aber jetzt waren sie zur Zusammenarbeit verdammt. Ob das gutging? Leo hatte seine Zweifel. Zum Glück bekam Asanger einen Anruf, der das Gespräch abrupt beendete. Der fünfundfünfzigjährige Kollege Joachim Stumpf war zwar kooperativ und umgänglich, aber er aß eine Leberkässemmel nach der anderen. Eine Duftwolke umgab den immer kauenden Mann. Stumpf hatte den Unterlagen und den Aussagen des Kollegen Asangers nichts hinzuzufügen. „Wenn die Spur der Fälle, die unseren Zuständigkeitsbereich betreffen, direkt in die Türkei führen, kommen wir an diese Leute kaum ran. Das ist beschissen. Hast du irgendetwas bezüglich Izmir herausgefunden, Alf?“ Der Kollege Alfons Demir hatte väterlicherseits türkische Wurzeln und auch entsprechende Sprachkenntnisse, die aber auch nicht weiterhalfen.

„Keine Chance, das können wir vergessen. Die türkischen Kollegen kommen auch nicht weiter – oder sie wollen nicht.“

„Schmiergelder?“

„Das ist möglich, so wie überall sonst auch. Diese Betrüger haben jede Menge Geld und sehr gute Kontakte. Bis man an diese Leute rankommt, sind sie längst verschwunden und die Recherchen beginnen von vorn.“ Alf war sauer.

„Dann haben wir nur noch vage Personenbeschreibungen, mit denen wir nicht viel anfangen können. Ich fürchte, dass wir in einer Sackgasse gelandet sind. Ob wir uns diesen Keppler nochmals vornehmen sollten?“

„Warum nicht?“

Der Deal mit dem Staatsanwalt war noch nicht final umgesetzt worden, Keppler saß immer noch in U-Haft. Der war sauer – nicht nur, weil er immer noch saß, sondern dass er nochmals vernommen wurde.

„Wie ich schon sagte, kenne ich nur die Vornamen der Männer, die hinter der Masche stecken. Das sind Ali, Karim und Paul. Nachnamen kann ich nicht liefern. Auch keine Adresse, wo Sie diese Leute finden können. Ich kann nur bestätigen, dass diese Leute in Izmir sitzen, von dort aus wird alles gelenkt. Auch das, was dann hier in Deutschland passiert. Meine Kollegen in Deutschland werde ich nicht verpfeifen, das habe ich dem Staatsanwalt gegenüber gesagt und der hat das akzeptiert, auch wenn er nicht gerade begeistert war. Meine Kollegen sind tabu. Was meinen Sie, was die sonst mit mir machen? Dass ich die Vornamen der Männer in Izmir genannt habe, war schon sehr gefährlich für mich, mehr erfahren Sie nicht. All das habe ich bereits zu Protokoll gegeben und wurde vom Staatsanwalt so angenommen, ich habe somit meinen Teil des Deals erfüllt. Was wollen Sie noch von mir?“

„Wie sind Sie an den Job gekommen?“

„Ein Freund gab mir den Tipp. Ich habe mich beworben und sie haben mich genommen.“

„Einfach so? Dann werden diese Jobs unter der Hand vermittelt?“

„Auch, aber nicht ausschließlich. Ich habe mitbekommen, dass diese Leute ganz offen in türkischen Zeitungen nach Mitarbeitern suchen. Und zwar in Zeitungen, die auch hier bei uns erhältlich sind. Das ist doch genial, oder? Die schreiben diese Stellen einfach öffentlich aus. Die suchen ganz offen Leute fürs Telefon und für den direkten Kontakt an der Haustür, so wie andere Firmen auch. Die Polizei weiß nichts davon, die kapieren überhaupt nichts. Und wenn, dann können die nichts dagegen unternehmen. In der Türkei habt ihr keine Macht, keinerlei Befugnis. Und die dortige Polizei unternimmt nichts. Weil sie nicht fähig ist oder nicht will. Ich bin mir sicher, dass viele Bullen geschmiert wurden. Aber das ist meine persönliche Meinung, beweisen kann ich das nicht.“ Keppler lachte. „Ihr Bullen in Deutschland seid doch völlig unterbesetzt. Bis ihr am Geschehen seid, sind wir längst über alle Berge.“ Keppler lachte, was die gelben Zähne offenbarte. Der Mann war einfach nur widerlich, einer der übelsten Sorte.

„Sie waren persönlich in der Türkei?“, kam Leo sehr ruhig auf den Grund des Gespräches zurück, auch wenn er sich sehr zusammenreißen musste.

„Ja, ich war in der Türkei. Ich hätte darauf verzichten können, denn Fliegen ist nicht so mein Ding, aber die haben auf ein persönliches Gespräch Wert gelegt. Sie wollten sehen, mit wem sie es zu tun haben, was ja durchaus nachvollziehbar ist. Die nehmen nicht jeden“, sagte Jonas Keppler nicht ohne Stolz.

„Wo genau hat das Treffen stattgefunden?“

„Das weiß ich nicht. Darauf habe ich nicht geachtet, das war mir auch egal. Und wenn ich es wüsste, würde ich es Ihnen nicht sagen. Aber ich weiß es wirklich nicht. Ich und andere Mitbewerber wurden vom Flughafen abgeholt und wir fuhren zu einem Gebäude in Izmir. Das Gespräch war auf Türkisch, Karim hat übersetzt. Ich bekam den Job, wir haben gefeiert und dann flog ich zurück. Der Rest lief telefonisch. Ich bekam Anweisungen, die ich ausgeführt habe. Und die ich noch ausführen würde, wenn man mich nicht hochgenommen hätte.“

„Dann haben Sie sich um einen Job in Deutschland beworben?“

„Gut kombiniert, Sheriff.“

„Sie sprachen von Mitbewerbern. Was war mit denen, die einen Job am Telefon bekamen?“

„Keine Ahnung, woher soll ich das wissen? Ich hatte meinen Job, flog zurück und ging meiner Arbeit nach. Was andere wie machen, geht doch mich nichts an, das ist nicht mein Problem.“

„Wie lief Ihr Job genau ab?“

„Mir wurde eine Adresse genannt, zu der ich als vermeintlicher Kommissar ging. Immer verschiedene Namen, die Ausweise habt ihr Bullen mir abgenommen.“ Keppler machte eine kurze Pause, damit der Vorwurf auch wirkte, was Leo aber nicht beeindruckte. „Ich nahm die Wertsachen der Alten entgegen und habe sie am vereinbarten Treffpunkt übergeben.“

„An wen?“

„Es war ein Mann und manchmal war eine Frau dabei, beide etwa um die dreißig. Ich kenne deren Namen nicht, was mir ganz recht war. Namen sind in dem Gewerbe unwichtig. Da zählen nur das Ergebnis und ein reibungsloser Ablauf, mehr nicht. Ich habe meinen Job gemacht, für den ich bezahlt wurde.“

„Sie bekamen Ihren Anteil sofort?“

„An Ort und Stelle, das lief immer zuverlässig und perfekt ab, davon können sich die Deutschen eine Scheibe abschneiden. Hier läuft immer alles genau nach Vorschrift, bürokratisch und mit zigfachen Durchschlägen. Die Türken arbeiten anders. Der Wert wird geschätzt und den Anteil gibt es sofort. Vertrauen gegen Vertrauen, aber das kennen die Deutschen nicht.“

„Sie sind selbst Deutscher“, stellte Leo fest, der den Mann echt nicht leiden konnte.

„Sie sind ein cleverer Mann, Herr Schwartz. Ja, ich bin Deutscher, was aber nicht heißt, dass mir das gefallen muss.“ Keppler lachte. „Nicht mehr lange, und ich bin wieder draußen. Euer Staatsanwalt ist ein korrekter Mann.“

„Aber der kann Ihnen draußen auch nicht helfen, wenn sich Ihre türkischen Freunde an Ihnen rächen. Wie die mit Verrätern umgehen, wird nicht lustig werden, das kann ich Ihnen garantieren. Aber das ist nicht unser Problem, damit müssen Sie allein zurechtkommen.“

„Ich werde doch beschützt, oder?“ Keppler verstand endlich, in welcher Lage er sich befand. Man konnte die Angst in den Augen des Mannes sehen. „Wenn Sie wissen, was mich draußen erwartet, muss mich die Polizei beschützen, und zwar rund um die Uhr.“

„Wurde ein Personenschutz mit dem Staatsanwalt vereinbart?“

„Das nicht, aber es ist doch klar, dass ich Schutz brauche. Sie wissen doch, dass ich in Gefahr bin und müssen mich schützen.“

„In Ihren Unterlagen steht nichts von Personenschutz.“

„Das muss man der Vereinbarung noch zufügen! Kümmern Sie sich darum!“

„Da kann ich Ihnen nicht helfen. Sprechen Sie mit denjenigen, die die Vereinbarung getroffen haben, das geht mich nichts an.“

„Sie können mich doch jetzt nicht einfach im Stich lassen! Wenn ich keinen Personenschutz bekomme, reißen die mir draußen den Arsch auf! Sie müssen mir helfen!“

„Ich muss gar nichts, damit müssen Sie allein zurechtkommen.“

„Dann gehe ich nicht raus und bleibe einfach hier.“

„Das wird nicht funktionieren, Herr Keppler. Die Entlassung wurde in die Wege geleitet. Sie müssen gehen.“

„Und wenn ich mich weigere?“

Leo hatte keine Lust mehr auf die Diskussion, die sowieso zu nichts führte. Fallrelevant hatte Keppler nicht mehr auszusagen, alles andere war nicht sein Problem.

„Dem hast du es aber gegeben, Leo. Respekt.“ Alf war beeindruckt.

„Die miese Ratte wird noch sehen, was er von seinem Verrat hat.“

„Du weißt, dass wir ihn nicht hängenlassen können. Sobald der draußen ist, ist er fällig.“

„Ja, das ist mir klar, aber das ist nicht unser Problem. Das hier hat uns keinen Schritt weitergebracht.“

Die Kriminalbeamten waren frustriert.

Dass sich im Hintergrund etwas anbahnte, mit dem sie nicht rechneten und das die Ermittlungen schließlich in eine ganz andere Richtung lenkte, ahnten sie nicht. Auch nicht, dass es inzwischen eine Tote gab, die unmittelbar mit ihren Ermittlungen zu tun hatte.

3.

„Stehst du schon wieder hier? Hast du heute keine Schule?“ Waltraut Bruckmeier war Schlesingers Nachbarin, sie lebte im Haus direkt gegenüber. Sie beobachtete die zehnjährige Sophia Straub schon geraume Zeit, wie die immer wieder zwischen den Büschen am Zaun stand und den ungeliebten Nachbarn beobachtete.

Sophia erschrak. Sie kannte die neugierige Frau Bruckmeier sehr gut, sie fürchtete sich sogar vor ihr. Während andere ihre Späße mit der Frau trieben, machte sie lieber einen großen Bogen um sie. Jetzt stand die Frau direkt vor ihr und sie musste ihr antworten. Was sollte sie sagen? Die Wahrheit? Sollte sie lügen? Sophia hatte sich diesen Platz ausgesucht, da sie dachte, dass sie von hier aus unbemerkt dem Nachbarn bei seinem Treiben zusehen konnte, aber darin hatte sie sich geirrt.

„Was ist? Bekomme ich keine Antwort?“, bohrte Frau Bruckmeier nach. Die sechsundsechzigjährige Rentnerin führte ein ruhiges Leben, für ihre Begriffe manchmal zu ruhig. Ja, sie interessierte sich für alles, was um sie herum geschah – warum auch nicht?

„Der Schlesinger gräbt wieder in seinem Garten“, flüsterte Sophia beinahe. „Ich meine nicht jetzt, sondern nachts.“

„Ach so? Macht er das oft?“

„Ja. Seit die Maria tot ist, verwildert der Garten. Der Schlesinger macht nichts im Garten, aber er gräbt, und zwar nur in den Nächten, nie am Tag. Um drei Uhr hat er angefangen, halb fünf war er fertig. Es interessiert mich, was er da macht, denn man sieht nichts von der Arbeit.“

Waltraut Bruckmeier schob die dichten Äste des Goldregens auseinander, um besser sehen zu können.

„Machen Sie das nicht! Der Schlesinger sieht uns sonst!“

„Das ist mir doch egal! Ich will sehen, was er da macht, was ist dagegen einzuwenden?“

Winfried Schlesinger hatte die beiden nicht nur gehört, sondern sah jetzt auch ihre Gesichter. Zum Glück war er schon lange fertig mit seiner Arbeit. Er trat auf die Terrasse.

„Was gibt es zu sehen?“, rief er verärgert in Richtung der beiden. Er erkannte die Nachbarin Bruckmeier, die er nicht leiden konnte. Sie steckte ihre Nase immer in Dinge, die sie nichts angingen. Normalerweise wäre ihm das egal, aber diesmal kümmerte sie sich offenbar um seine Angelegenheiten und die gingen nur ihn etwas an.

„Ich habe eine Frage, Herr Schlesinger!“, rief Waltraut laut. Sie dachte nicht daran, dem Mann zu antworten. Warum sollte sie? Er war hier ein Fremder und lebte erst einige Jahre hier, während sie eine gebürtige Tögingerin war. Er hatte ihr zu antworten und nicht umgekehrt! „Sie graben nachts? Warum?“

„Das geht Sie einen feuchten Dreck an!“, rief Schlesinger und verschwand im Haus.

Waltraut Bruckmeier war nicht verärgert, ganz im Gegenteil. Jetzt wurde sie erst recht neugierig.

„Du sagst, dass er öfter gräbt und das nur nachts?“

„Genau das macht er. Von meinem Fenster aus kann ich ihn sehen, aber von hier aus sehe ich sehr viel mehr. In der Nacht ist es zwar dunkel und er hat kein Licht bei sich, trotzdem kann ich einiges erkennen. Er hat immer einen Spaten bei sich und vergräbt Tüten. Dort hinten neben dem Gewächshaus hat er angefangen.“

„Wann war das?“

„Kurz nach Marias Tod.“

„Die Maria war eine liebe Frau, sie ist viel zu früh gestorben. Ich habe gelesen, dass ihr behandelnder Arzt kurz nach ihr starb.“ In Waltraut keimte ein schrecklicher Verdacht. „Ob der vielleicht hier irgendwo liegt?“

Sophia erschrak. Dass Frau Bruckmeier eine blühende Phantasie hatte, wussten alle, aber das ging doch zu weit.

„Das glaube ich nicht, dafür sind die Gräber nicht groß genug.“

„Woher willst du das wissen? Ja, die Gräber wären etwas klein, das stimmt, aber wenn man Leichen nicht der Länge nach in eine Grube legt, sondern sie irgendwie faltet, würde das passen.“

„Wie faltet man denn eine Leiche?“

„Das geht schon irgendwie. Man müsste die Knie anziehen und den Kopf nach vorn drücken. Oder man zerstückelt die Leiche.“ Frau Bruckmeier bekam eine Gänsehaut. Sie war sich sicher, dass sie auf der richtigen Fährte war.

Sophia Straub musste lachen. Sie stellte sich bildlich vor, wie Frau Bruckmeier eine Leiche faltete, was einem Cartoon glich.

„Sie haben zu viele Krimis gesehen, Frau Bruckmeier.“

„Krimis sind sehr lehrreich. Aber nicht alle, sondern nur die, die gut gemacht sind.“ Waltraut Bruckmeier dachte an den gestrigen Tatort, der ihr überhaupt nicht gefallen hat. „Was sollte der Schlesinger dort sonst vergraben?“, kam sie aufs Thema zurück.

Jetzt war es an der Zeit, den Verdacht zu äußern, den Sophia schon lange hatte und den sie noch niemandem gegenüber geäußert hatte.

„Ich weiß, dass in unserer Gegend mehrere Katzen verschwunden sind, auch meine Mimi ist weg.“

„Du meinst, dass er Katzen tötet und sie dann auf seinem Grundstück vergräbt?“

„Ja, davon bin ich überzeugt. Es passt alles zusammen.“

Waltraut Bruckmeier lachte. Handelte es sich wirklich nur um Katzen? Nein, ganz sicher nicht. Der Schlesinger machte sich nachts sicher nicht solche Mühe wegen dieser Viecher, da musste mehr dahinterstecken. Sie musste der Sache auf den Grund gehen, das war klar – aber ohne das Kind.

„Musst du nicht in der Schule sein? Du hast mir immer noch keine Antwort gegeben!“

„Es sind Ferien, Frau Bruckmeier.“

„Schon wieder?“

Sophia hatte keine Lust mehr auf die neugierige Frau, die ihr ja sowieso nicht glaubte. Sie ging nach Hause und nahm sich fest vor, den Nachbarn weiterhin im Auge zu behalten. Er war ganz sicher schuld an dem Verschwinden ihrer Mimi.