Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Kathy lebt zurückgezogen in einer Hütte am Waldrand. Die Angst vor anderen Menschen macht es ihr unmöglich, ein normales Leben zu führen. Doch eines Tages steht Joan in ihrem Garten und kündigt an, sie würde noch elf Mal wiederkommen. Was will die junge Frau von ihr? Und wieso hört die Espe vor ihrem Fenster nicht mehr auf zu flüstern?
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 29
Veröffentlichungsjahr: 2015
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
12 Tage
Ina Steg
Für Denise Schneider
Inhaltsverzeichnis
12 Tage
Tag 1 – Nächtlicher Besuch
Tag 2 – Wiederkehr
Tag 3 – Ein Löffel Zucker
Tag 4 – Des Seemanns Lied
Tag 5 – Neurotransmitter
Tag 6 – Farbspektrum
Tag 7 – Fledermaus
Tag 8 – Verwurzelt
Tag 9 – Botschaften
Tag 10 – Die Mitte
Tag 11 – Baumrindenabdrücke
Tag 12 – Fortgesetzt
Über Ina Steg
Kathy erschrak so heftig, dass sie beinahe die Tasse aus ihren Händen gleiten ließ.
Da waren Geräusche im Garten.
Sie stellte den Tee auf den Tisch und lauschte. Ein Knacken – das waren die Holzwände ihrer Hütte, die sich in der Sommerwärme zusammenzogen.
Ein Kratzen – das waren die feinen Äste des alten Baumes. Sie waren so lang geworden, dass sie über das Dach schabten. Nahe über der Stelle, an der Kathy saß.
Das Tor hatte gequietscht. Hatte sie etwa vergessen es abzuschließen?
Sie stand auf und löschte das Licht. Das Innere der Hütte wurde von Schwärze verschluckt. Kathy ging zum Fenster und zog den Vorhang ein Stück zur Seite. Der Mond warf einen silbrigen Schein in die Dunkelheit ihres Gartens. In dem Lichtstreif stand ein Mensch.
Kathy trat einen Schritt zurück. Ihr Herz begann wild zu schlagen. Erneut näherte sie sich dem Sichtspalt, dieses Mal zögerlich. Ob sie sich getäuscht hatte? Vielleicht war es doch nur der Ast des Baumes gewesen? Kathy verengte die Augen zu Schlitzen. Doch, es war die Silhouette eines Menschen, und sie bewegte sich jetzt. Ein Feuerzeug flammte auf, eine Kerze begann zu leuchten, wurde auf den Boden gestellt und die Person setzte sich dahinter.
Der Schein der Kerze erhellte die Gesichtszüge des Eindringlings nun deutlich – es war eine Frau.
Jetzt sah sie in ihre Richtung.
Ob sie durch den Spalt etwas erkennen konnte?
Kathy betrachtete das Gesicht der Fremden genauer. Die Frau erschien ihr einige Jahre jünger als sie selbst. Weitere Personen konnte sie nicht sehen.
Kathy atmete tief durch. Sie zog das ausgeklappte Taschenmesser vom Türrahmen und tastete nach dem Lichtschalter, dann öffnete sie die Tür und trat einen Schritt vor.
»Hallo?!«
Die junge Frau blickte zu ihr hoch und stand auf. »Hallo.«
»Verlassen Sie mein Grundstück!«
Die Frau hob die Hände – langsam, sodass sie Federn glichen, die vom Wind in die Luft getragen wurden. »Haben Sie bitte keine Angst.«
Angst – Kathy durchfuhr ein schmerzender Stich beim Klang dieses Wortes. Um sich abzulenken, konzentrierte sie sich auf das Erscheinungsbild der Frau.
Sie trug eine abgewetzte Lederjacke und zerrissene Jeans. Ob sie obdachlos war?
Kathy ließ ihren Blick höher wandern. Die Haare der Fremden waren grün gefärbt und nach oben gestylt.
»Verlassen Sie mein Grundstück!«, wiederholte Kathy.
Die Frau ließ die Hände wieder sinken. »Ich heiße Joan.« Sie schien Kathy für einen Moment zu betrachten. »Ich gehe jetzt. Ich komme morgen wieder. Ich werde noch elf Mal wiederkommen.«
Kathy starrte sie an.
Joan nickte leicht. Einen Augenblick lang betrachtete sie Kathy noch, dann drehte sie sich um. Vorsichtig stieg sie über die Kerze hinweg. Am Tor angekommen griff sie nach einer der Eisenstangen, zog sich hoch, kletterte darüber und verschwand.
Der Wind frischte auf. Er griff mit seinen wilden Fingern in die Flamme, deren Lichtschein Muster auf den Boden malte: Schlangenförmige Schatten, die sich durch die Halme wanden. Orangerote Zungen, die darüber leckten.