Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Eine Diebin. Eine Ermittlerin. Ein gestohlenes Buch, das alles verändern könnte. Robin ist eine Diebin. Sie klaut Würstchen in Dosen und Briefe aus staubigen Akten, sie entwendet zu dicke Portemonnaies aus hinteren Hosentaschen und verteilt die erbeuteten Reichtümer einfach um. Und wenn Menschen ihre Hunde schlecht behandeln, stiehlt sie auch diese. Hanna steht kurz vor ihrem Abschluss zur wissenschaftlichen Kriminaltechnikerin und muss sich als Neuling ihren Kollegen und Vorgesetzten gegenüber beweisen. Ungeplant wird sie in einen Fall um ein wertvolles gestohlenes Buch verwickelt und lernt dabei Robin kennen, die als scheinbar Unbeteiligte ohnmächtig am Tatort aufgefunden wird. Anfänglich treffen sich die beiden nur zu Ermittlungszwecken, doch aus gegenseitiger Sympathie wird bald ein Knistern, das nicht mehr zu leugnen ist. Während Hanna damit hadert, Robin überführen zu müssen, verstrickt diese sich zunehmend in Lügen, um ihr Doppelleben geheim zu halten. Kann es in diesem Katz-und-Maus-Spiel überhaupt Gewinnerinnen geben?
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 330
Veröffentlichungsjahr: 2017
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Inhaltsverzeichnis
Von Ina Steg außerdem lieferbar
Danksagung
Widmung
KAPITEL 1
KAPITEL 2
KAPITEL 3
KAPITEL 4
KAPITEL 5
KAPITEL 6
KAPITEL 7
KAPITEL 8
KAPITEL 9
KAPITEL 10
KAPITEL 11
KAPITEL 12
KAPITEL 13
KAPITEL 14
Über Ina Steg
Ebenfalls im Ylva Verlag erschienen
Alles nur Kulisse
Neustart Berlin. Einfach kompliziert
Wie ein neues Leben. Ein lesbischer Liebesroman
Auf schmalem Grat
Demnächst im Ylva Verlag
All the Little Moments. Weil jeder Augenblick zählt
Die Tote im Marschland. Ein Fall für Kate Brannon
Eine Diebin zum Verlieben
Ina Steg
Von Ina Steg außerdem lieferbar
12 Tage
Alles nur Kulisse
Danksagung
Dem Ylva-Team danke ich für die vielseitigen Tipps, die Unterstützung und die Bereitschaft, bei den unterschiedlichsten Fragen zu helfen.
Ein lieber Dank geht an Devin Sumarno für ihre unerschöpfliche Aufmerksamkeit und Geduld. Ihre kenntnisreichen Anmerkungen zu meinen unterschiedlichsten Schreibprojekten haben mich auf neue Wege geführt.
Astrid Ohletz danke ich herzlich für ihre charmante und amüsante Art zu lektorieren und für ihr Einfühlungsvermögen in die Charaktere.
Andrea Fries bereicherte die Geschichte mit kreativen Wort-Jonglagen und gab mir den Ansporn, liebgewonnene Sätze wieder auseinanderzupflücken. Vielen Dank dafür.
Der Künstlerin Claire Marin danke ich von Herzen für ihre inspirierenden Bilder aus dem »Blauen Salon«. Beim Betrachten sind viele Szenen direkt vor meinem inneren Auge entstanden.
Das Buch »Helden gegen das Gesetz« des verstorbenen Schriftstellers Helmut Höfling ist für mich Nachschlagewerk und Inspirationsquelle zugleich, seine Recherche-Ergebnisse haben den Lauf dieser Geschichte oft beeinflusst.
Widmung
Für M.
KAPITEL 1
Ihre Hände waren warm, der Blick in die Ferne geschärft, doch ihr Herz klopfte schnell. Sie hatte nur eine Chance. Es darf nichts schiefgehen. Nur du kannst ihr helfen.
Sie sah auf die Uhr: kurz nach elf. Kommt schon, das ist doch eure Zeit. Bereits dreimal hatte sie die alte Dame, ihren Mann und deren Hund hier im Park um diese Zeit beobachtet. Das Wetter war gut, was sollte sie heute von ihrem Spaziergang abhalten? Robin betrachtete die weißen, dicken Wolken und ließ ihren Blick über die Baumwipfel wandern. Der Wind pflückte einige blasse grüne Blätter, bald würden sie an den Ästen schon gelb und orange sein. Fast konnte Robin ihren erdigen Duft riechen. Ihr Blick fiel auf die vermoderten Bänke und besprühten Mülleimer, sie war froh, diesen Teil der Stadt bald wieder meiden zu können.
»Kooomm Paula. Kommst du jetzt her, aber sofort!«
Robins Nackenhaare stellten sich auf. Die schrille Stimme hallte von der Abbiegung zu ihr herüber. Gut, sie waren endlich da. Doch noch waren sie zu weit weg.
»Komm gefälligst!« Mit ihren dünnen, aber erstaunlich kräftigen Armen zog die Frau an der Leine der Hündin.
Paula jaulte auf.
Robins Magen durchfuhr ein Stich. Für den schneeweißen Hund Paula gab es immer nur ein Sofort. Kaum schnüffelte sie an einem Baum, wurde sie weggezerrt, begrüßte sie ein anderer Hund, wurde mit einem Ruck an ihrer Leine gezogen. Und hinter ihr lief Hans.
»Hans, wo bleibst du denn?«, blaffte die alte Dame ihn an.
Erneut zog die Frau an der Leine und Hans’ knochigen Körper durchfuhr ebenfalls ein Zucken, so, als seien er und der Hund miteinander verbunden, als würde auch stets an ihm gezerrt werden. Seine großen, tiefschwarzen Augen starrten auf den Gehweg.
Robin schaute auf die andere Hand der Frau, der Eichengehstock wurde mit jedem Schritt energisch in die Steinchen des Gehweges gerammt. Ein Schauer lief über Robins Haut. Mit diesem Stock wurde Paula oft heftig in die Seite gestoßen, wenn sie doch nicht schnell genug gehorchte. Robin atmete tief ein. Gleich bist du in Sicherheit Paula.
»Beeilt euch gefälligst, die Tauben haben Hunger.«
Das war Robins Stichwort. Sie zog sich den Hut etwas tiefer vor die Augen und streckte die Finger der anderen Hand aus, eine kühle Brise glitt hindurch. Der Wind war immer noch stark. Das war gut. Sie ging los.
Vier Meter von Robin entfernt setzte sich die Dame auf eine Bank und Paula ließ sich darunter fallen. Hans sank neben seiner Frau auf die Holzstreben wie eine Marionette, deren Glieder man alle gleichzeitig nach dem Bühnenspiel losgelassen hatte. Die Hände fielen in den Schoß, die Schultern sackten nach unten.
Paula hechelte nach dem anstrengenden Spaziergang. Die Frau kramte in ihrer Handtasche und zog einen Beutel mit Brotkanten hervor. Die ersten Tauben bewegten sich auf sie zu. Noch einen Meter.
Robin hob die Hand und kratzte sich am Ohr, wobei sie ihrem Hut einen kräftigen Stups gab. Kurz bevor er den Boden berührte, pustete der Wind ihn nach oben und dann schräg hinter die Bank. Danke, Gevatter Wind. Robin setzte zum Sprint an, lautlos, ohne zu fluchen. Auf keinen Fall zu sehr auffallen. In Bewegung bleiben. Schnell sein. Dann nahmen andere einen kaum wahr.
Gerade wandte sich Hans in ihre Richtung, da war sie auch schon hinter der Bank verschwunden.
»Nimm du auch Brot«, trillerte die Frau.
Robin schaute zur Seite, der Abstand war so gut wie perfekt. Sie trat auf den Hut, ließ die Tasche zu Boden, klappte sie auf, ging in die Hocke und klopfte den Hut ab. Der Hund war jetzt zwei Armlängen von ihr entfernt. Robin griff in ihre Manteltasche, nestelte an der Schlaufe der darin befindlichen Plastiktüte und öffnete sie.
An die fünfzehn Tauben hatten sich mittlerweile vor der Bank eingefunden.
»Putt, putt, putt, kooommt«, rief die Frau.
Die Tauben gurrten.
Robin blickte den Weg entlang. Ein Jogger kam auf die Bank zugelaufen, die Schweißrinnsale seiner Stirn tropften ihm in die Augen, sodass er vermutlich kaum etwas wahrnahm. Schräg hinter ihr spielten Eltern mit ihrem Kind Fußball, sie waren zum Glück weit genug entfernt.
Robin tat so, also würde ihr der Hut erneut entgleiten, warf ihn jedoch gezielt Richtung Paula, richtete sich auf und machte einen großen Schritt hinterher. Mit der einen Hand griff sie nach dem Hut, mit der anderen löste sie die Leine der Hündin.
Paula drehte den Kopf zu ihr.
Robin zog das Stück Fleisch aus der Tüte und hielt es dem Havaneser vor die Nase.
Paula erhob sich.
Robin sah nach oben, die Dame unterhielt sich mit den Tauben, Hans’ Blick ging in weite Ferne. Tja, Hans, dich kann ich leider nicht mitnehmen. Robin zog die Hand mit dem Fleisch weg, machte einige Schritte rückwärts und Paula folgte ihr. Jetzt musste es schnell gehen. Robin machte eine leichte Drehung, hielt die Hand nach hinten und spürte die feuchte Hundenase. Mit einem gezielten Wurf beförderte sie das Fleisch in die Tasche.
Paula hielt inne.
Bitte, dachte Robin, bitte, spring hinterher. Sie konnte die Hündin nicht einfach packen, dann würde sie womöglich aufjaulen.
Paula streckte die Nase in die Luft, fixierte die Tasche und machte einen Satz hinein.
Robin bückte sich, zog den Reißverschluss bis auf einen kleinen Spalt zu, hievte die Tasche nach oben und eilte mit großen Schritten auf die schräg angrenzende Baumallee zu. Der Hund kam in der Tasche aus dem Gleichgewicht, ein ziehender Schmerz durchfuhr Robins Seite. Sie spannte die Armmuskeln an. Ihr Herz hämmerte gegen ihre Brust. Nur nicht bellen, nicht jaulen, bitte Paula.
Noch fünf Meter.
Robin konnte förmlich spüren, wie ihre Ohrmuscheln sich weiteten. Sie lauschte: keine ungewöhnlichen Laute in der Ferne, niemand, der etwas hinter ihr herrief. Sie trat kräftiger auf und versuchte, die Tasche nicht hin und her zu schwingen.
Noch zwei Meter.
Im Augenwinkel sah sie, wie sich die Hundeschnauze aus der Lücke drückte.
Noch einen Meter.
Die knorrige Weide schien ihr entgegenzuwinken. Sanft wehten die langen Äste hin und her und an einigen Stellen öffnete sich der Vorhang aus Blättern. Robin trat zwischen das schützende Blätterwerk, ein paar Zweige streiften ihre Wange, eilig wandte sie sich nach links.
Rasch schlug sie den Weg ein, der zur Hauptstraße führte, hastete über eine Kreuzung, erreichte endlich die Treppe zu dem U-Bahn-Schacht und stoppte erst an einer der Sitzbänke, die hinter einer breiten Säule verborgen war. Dort setzte sie sich und ließ die Tasche auf den Boden sinken. Ihr Atem ging schnell. Sie holte eine neue Leine aus ihrer Manteltasche, befestigte diese an Paulas Halsband und zog den Reißverschluss komplett auf.
Paula setzte sich gerade hin und schaute sich um.
Robin hielt ihr die Hand vor die Nase. Es kitzelte, als Paula daran schnupperte. Ein sanftes Zittern ergriff Robins Muskeln, doch ihr Herzschlag beruhigte sich. Sie hatte es geschafft. Sie beugte sich noch weiter nach vorne, sachte fuhr sie dem Hund über den Kopf und strich ihm die Haare vor den Augen fort. Paula blickte zu ihr.
»Hey Paula«, sagte Robin, »magst du bei mir bleiben?«
Paula stemmte den Kopf gegen ihre Handinnenfläche und Robin lächelte. Dann mussten Balu und Jack ihre Futterportionen wohl ab jetzt teilen.
* * *
Robin wischte die Theke ihres Verkaufswagens und beseitigte die Spuren der Schülerschar, die ihr auf einen Schlag zwölf Hotdogs abgekauft und sich ein Gerangel an der Senfflasche geliefert hatte. Sie drehte sich um und wusch mit einem leichten Lächeln auf dem Gesicht ihre Hände. Die letzten Tage waren gut gelaufen, Paula hatte sich auf Anhieb mit Balu und Jack verstanden und zeigte keine Anzeichen von Sehnsucht nach ihren alten Besitzern. Robin freute sich darüber, dass ihr auch dieser größere Coup gelungen war. Er war eine gute Übung für den nächsten bevorstehenden Diebstahl, den sie seit Längerem plante. Wenn sie dabei genauso konzentriert und geschickt agierte, würden sich vielleicht bald noch weitere Tätigkeitsfelder auftun.
»Hey Rob.«
Robin sah zur Seite. Nikolai lehnte lässig an der Seite des Wagens, seinen schwarzen Hut hatte er tief in die Stirn gezogen.
Ein Kunde steuerte auf den Wagen zu. Als sein Blick auf Nikolai fiel, deutete er Robin mit einem Fingerzeig an, dass er später wiederkommen würde, und lief vorbei.
Robin grinste. Nikolai war wohl jedem im Stadtteil bekannt. Der liebenswerte Vagabund, der hie und da den Geschäftsleuten unter die Arme griff, Klatsch und Tratsch verbreitete und von den Spenden recht gut leben konnte, war jedoch auch einigen etwas unheimlich.
»Rob«, wiederholte er flüsternd und mit knarzender Stimme. »Ich hab was für dich.«
Robin lachte, lehnte sich über die Theke und wisperte: »Wo warst du um Mitternacht? Ich habe an der großen Eiche auf dich gewartet.«
Nikolai schob den Hut hoch, einige seiner dunkelbraunen Locken kringelten sich darunter hervor und brachten seine hellgrünen Augen noch besser zur Geltung.
Sie vernahm ein Hmpf, während er sich mit dem Rücken wegdrückte, um sich vor sie zu stellen und sie direkt anzublicken. »Ich hätte da eine nur wenige Minuten alte Information für dich, es geht um Herrn Reichenbach.«
Bei dem Namen lief Robin ein Schauer über den Rücken. Was hatte ihr gemeiner Konkurrent sich jetzt bloß wieder ausgedacht, um ihr zu schaden?
»Hat er wieder Lügen über mich verbreitet?«
Nikolai schüttelte zuckend den Kopf, wie ein Bernhardiner, dem etwas im Nacken juckte. »Ganz falsch. Er hört auf. Chronische Knieschmerzen.«
Robins Herz machte einen Hüpfer, sie riss die Seitentür auf, eilte nach vorne und drückte Nikolai an sich.
»Na, na, nicht so stürmisch.«
Robin strahlte ihn an. »Was benötigst du? Ich organisiere es dir.«
Nikolai wich ihrem Blick aus. »Ich bräuchte ein Schloss für meinen rostigen Drahtesel. Neulich wollte ihn doch glatt jemand stehlen, aber ich konnte den Schurken gerade noch am Schlafittchen packen. Ginge das wohl?«
Robin ging in Gedanken den Inhalt ihrer Kiste mit Diebesgut zu Hause durch. Ein Fahrradschloss befand sich nicht darin, aber einige gleichwertige Gegenstände, die sie mit Sicherheit auf einem der Flohmärkte eintauschen konnte. »Ich bringe es dir übermorgen Mittag. Treffen wir uns bei Freddy auf eine Suppe?«
»Abgemacht!«
Robin schaute dem davonschlendernden Nikolai hinterher. Wenn sie jetzt noch die Erlaubnis vom Amt bekam, zu den Hotdogs auch Smoothies verkaufen zu dürfen, hätte sie bald genug Einnahmen, um ihm ein neues Rad kaufen zu können.
KAPITEL 2
»Ist schon wieder Montag?«, fragte Carla. Sie lehnte im Türrahmen zum Eingang ihres Cafés und blickte Robin entgegen. Ein Lächeln huschte über ihre Lippen, als sie einen Schritt auf Robin zuging.
Robin grinste. »Das weißt du doch genau, du wartest schließlich auf mich.«
»Ich mache eine Pause«, sagte Carla.
»Du machst nie Pausen.« Robin blieb einen Schritt vor Carla stehen und zeigte auf Paula. »Ich habe eine neue Gefährtin.«
Carla rieb sich spielerisch über die Augen. »Hab ich mich doch nicht verguckt, da sind ja auf einmal drei von den Vierbeinern.« Sie ging in die Hocke und streichelte erst Balu und Jack, dann ließ sie Paula an ihrer Hand schnuppern.
Dass ausgerechnet ein Havaneser sie gebraucht hatte, war ein schöner Zufall gewesen, dachte Robin. »Du hast immer gesagt, du magst Hunde mit langem Fell so gern.«
Carla sah sie an.
»Ich will dir imponieren«, ergänzte Robin.
Carla kam wieder hoch. »Das schaffst du auch so«, erwiderte sie und strich ihr kurz über die Wange.
Für einen Moment versank Robin in dem intensiven Blick. Wie gerne würde sie sich jetzt zu Carla beugen, um ihren Duft einzuatmen, und sie küssen. Carla kam Robin etwas näher, ihre Lippen waren leicht geöffnet. Für einen Moment verharrte Carla wenige Zentimeter neben ihrem Mund. Doch Robin wusste, dass Carla sie vor den Kunden nicht küssen würde.
»Schön, dass ihr da seid«, sagte sie stattdessen. Mit diesen Worten begrüßte Carla sie jede Woche, als hätte sie tatsächlich Zweifel daran, dass sie wiederkommen würde.
Ein Mann in Jeans und Chucks steuerte auf das Café zu. »Guten Tag«, sagte er.
Carla machte den Rücken gerade, drehte sich zur Tür und öffnete sie schwungvoll, »hereinspaziert.«
Robin folgte Carla und dem Gast in den Laden. Ihr Lieblingsplatz war zum Glück frei. Es war der kleinste Tisch schräg neben dem Tresen, der runde, mit den abgewetzten Kanten. Jedes Mal staunte Robin darüber, wie sich die unterschiedlichen Formen der Möbelstücke perfekt ineinanderfügten, denn in Carlas Café glich kein Tisch und Stuhl dem anderen. Viele Jahre hatte sie diese auf dem Sperrmüll und auf Flohmärkten gesammelt und anschließend repariert, bemalt und in ihren Laden gestellt, wie sie ihr in einer der gemeinsamen Nächte verraten hatte.
Während Robin sich zum Tresen durchschlängelte, ließ sie ihre Finger über die Stuhllehnen gleiten. Sie spürte die Rundungen und Vertiefungen, genoss das Kribbeln in ihren Fingerkuppen und die Bilder von Carla, die vor ihrem inneren Auge aufzogen, weil sie wusste, dass diese jedes Holzstück mit ihren starken und geschickten Händen selbst abgeschliffen und neu gestrichen hatte. Hände, die auch schon Robins Konturen innig erkundet hatten. Eine angenehme Wärme breitete sich auf ihrer Haut aus.
Während Robin hinter Carla herging, schaute sie auf ihren wippenden Zopf. Er hatte nicht mehr nur die Schwärze, wie Robin sie von Krähenfedern kannte, seit ein paar Wochen entdeckte sie auch immer neue silberne Fäden. Carla war wohl um die fünfzehn Jahre älter als sie. So genau wusste Robin es nicht. Der Ausdruck in ihren Augen war der einer Zehnjährigen, ihre Hände hingegen schienen seit achtzig Jahren Teller zu spülen, Möbel zu schleifen und Frauen zu streicheln. Die Wahrheit lag irgendwo dazwischen. Robin könnte sie fragen, aber was würde das ändern? Je mehr sie von ihr wusste, desto mehr Dinge würde es geben, die sie an ihr vermisste, wenn sie sich jeden Dienstag aufs Neue für eine Woche trennten.
Ein Ruck an ihrem Arm riss sie aus ihren Gedanken. Balu zerrte an der Leine, er wollte zu seinem Platz. Sie ging auf den Tisch zu und die Hunde ließen sich darunter nieder. Robin blickte kurz hinunter und schob ihre Füße vorsichtig zwischen Jack und Balu, Paula schmiegte sich an den Zwergspitz, den sie besonders gern zu haben schien. Robin löste ihre Leinen.
Carla kam mit einer Schüssel Wasser und schob sie unter den Tisch. »Möchtest du das Gleiche?« Sie grinste.
Robin betrachtete sie für einen Moment, legte den Kopf schief und sagte: »Ja, bitte, aber mit einer Zitronenscheibe.«
Carla lachte. Wie aus weiter Ferne vernahm Robin, dass die Tür geöffnet wurde und jemand die Geräusche der Straße hineinließ.
Schnell sagte Robin: »Wie immer bitte, deinen Spezial-Kaffee.«
Carla nickte, drehte sich um und begrüßte den neuen Gast.
Mit einem Seufzer öffnete Robin ihre Tasche und legte alle Utensilien, die sie für ihre Recherchen brauchte, auf den Tisch: Notebook, Kopfhörer, Schreibblock und drei Zeitungen. Dann ließ sie sich gegen die weiche Polsterung des Stuhles sinken und atmete einige Male tief ein und aus. Ihr Körper schien sich zu verändern, ihre Muskeln wurden leichter, ihre Schultern dafür angenehm schwer, die Konzentrationsfalte auf ihrer Stirn verschwand. Sie lauschte den Geräuschen, die Carlas Handgriffe erzeugten: dem Mahlen der Kaffeemaschine, dem Zischen des Milchaufschäumers und dem Geklapper des Geschirrs.
Direkt neben der Tür saßen ein Mann und eine Frau, die beide auf ihre Smartphones schauten, sich Dinge vorlasen, dem anderen etwas zeigten, lachten und tuschelten und dabei ihre Gabeln in eine riesige Salatschüssel stießen. Der neue Gast hatte sich in die Ecke gegenüber dem Tresen gesetzt und studierte die Karte. Du musst hier nicht alles und jeden beobachten, denk dran, du bist hier bei Carla. Robin kniff die Augen zusammen. Ihre Sinne waren in all den Jahren so sensibel geworden, dass es ihr schwerfiel, ihre Umgebung mal für ein paar Stunden auszublenden und der Versuchung zu widerstehen, jedes Geräusch zu identifizieren.
Carla kam auf Robin zu und stellte das große Glas vor ihr auf dem Tisch ab.
Robin griff danach, dabei strichen ihre Finger über Carlas. Es war eine Geste, die sie sich angewöhnt hatten, weil sie sich dabei unauffällig berühren konnten. Carla ließ ihre rauen Finger sanft zwischen ihre gleiten. Der zärtliche Kontakt verursachte ein sanftes Ziehen in Robins Körpermitte. Sie zog die Hand zurück.
Robin betrachtete die wellenförmige Milchkrone. »Danke. Sieht toll aus.«
»Wenn er dir schmeckt, mache ich den Kaffee nächste Woche zu meinem Oktober-Angebot.«
Robin lachte. Wiedermal wurde sie zum Versuchskaninchen für eine von Carlas neuen Variationen, doch es machte ihr nichts aus, im Gegenteil, sie war stolz darauf, dass Carla ihrem Urteil so vertraute. »Ich bin gespannt«, sagte Robin.
Carla lächelte. Sie drehte sich um und eilte zu dem Gast in der Ecke.
Robin hob das Glas und schnupperte, der Inhalt duftete nach starkem Kakao, den man sonst eher zum Backen nahm, zudem konnte sie eine feine Note von Orange und Kardamom wahrnehmen. So hatte es an den Weihnachtstagen in Omas Küche gerochen, wenn sie und ihre Freundinnen Backblechladungen an Keksen produziert hatten.
Die Tür öffnete sich erneut. Drei junge Leute, eine Frau und zwei Männer mit Rucksäcken, betraten das Café, allem Anschein nach Studenten. Robin sah auf die Uhr, es war Viertel vor zwölf. In den nächsten zwei Stunden würde es voll werden und Carla keine Zeit mehr für sie haben.
Robin blickte erneut um die Ecke zum Tresen, Carla drehte sich gerade zu ihr um. Robin stützte sich auf einen Ellbogen und verdeckte mit ihrer Hand ihre Lippen, die sie zu einem Kussmund formte.
Carla zwinkerte ihr zu, wedelte dann jedoch mit den Händen und flüsterte: »Lenk mich nicht ab.«
Robin machte eine beschwichtigende Bewegung und erwiderte leise »okay, okay.« Sie schaltete das Notebook an, stöpselte die Kopfhörer ein und nahm einen Schluck Kaffee. Kräftiger Kakao legte sich auf ihre Zunge, der von einem süßlichen Fruchtgeschmack abgelöst wurde. Als sie den Kaffee hinunterschluckte, blieb ein Hauch von Orange auf der Zunge zurück. Sie blickte zu Carla, um ihr eine Rückmeldung zu geben, doch sie beriet bereits die neuen Gäste. Robin entfuhr ein Seufzer.
Jack stieß gegen ihr Bein. Sie schaute unter den Tisch, er sah sie leise winselnd an. Mit einem Lächeln kraulte sie seinen Kopf, »alles gut, Kumpel.« Robin prüfte erneut die Uhrzeit: kurz vor zwölf. Sie wählte aus ihrer Favoritenliste die Internetseite des Lokalsenders und setzte sich die Kopfhörer auf. Sie durfte das Mittagsmagazin nicht verpassen, die Sendung bot ihr viele Informationen darüber, was in der Stadt passierte, in welchem Viertel besondere Ereignisse stattfanden und worauf die Bürger und bestimmte Institutionen ihren Fokus richteten.
Der erste Bericht handelte von den Vorbereitungen des städtischen Zoos für die nahenden Wintermonate. Robin bekam nur einige Sätze mit, weil sie Carlas Beine betrachtete. Diese steckten in einer engen, schwarzen Jeans, unter deren Stoff sich die muskulösen Waden bei jedem Schritt abzeichneten. Waden, die Robin schon oft an ihrem Po gespürt hatte, jedes Mal, wenn Carla im Bett die Beine um sie schlang, um sie noch fester an sich zu drücken. Robin wurde heiß. Dumpf klangen die Worte des Reporters zu ihr: »Vielen afrikanischen Tieren, wie den Zebras und Giraffen, macht der Winter nichts aus und auch die asiatischen Elefanten lieben den Schnee. Die Murmeltiere haben sich allerdings schon zu ihrem Winterschlaf zurückgezogen, er dauert bis Ostern.«
Robin betrachtete Carla, die mit einem Stapel Teller an ihr vorbeihuschte und in der Küche verschwand. Es waren nur noch ein paar Stunden, bis sie ihr endlich nah sein durfte. Robin blickte auf den Bildschirm. Die Moderatorin kündigte den nächsten Beitrag an: »Gestern Nachmittag wurde das neue Gebäude des Kriminaltechnischen Instituts des Landeskriminalamtes im Norden eröffnet. Der moderne, verzahnte Komplex bietet den einzelnen Fachbereichen intensivere Austauschmöglichkeiten. Um ein Pilotprojekt des Landes zum übergreifenden Arbeiten zwischen der Polizei, der Kriminalpolizei und den Kriminaltechnikern des Instituts umzusetzen, wurden vier neue Gruppenleiterstellen geschaffen. Die rund zweihundert Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden momentan gezielt auf die neuen Arbeitsweisen vorbereitet.«
Robin stockte der Atem. Sie waren schneller als gedacht mit den Bauarbeiten fertig geworden. Als sie im Frühjahr etwas über die Zusammenführung der einzelnen Fachbereiche des Instituts gelesen hatte, war von einer Neueröffnung Anfang des kommenden Jahres die Rede gewesen. Welches Ausmaß hatte das Pilotprojekt wohl schon angenommen?
Der Beitrag startete. Im Hintergrund war das schlangenförmige Gebäude zu sehen, davor stand eine drahtige Frau mit dunkelbraunen, fingernagelkurzen Haaren, sie trug einen graphitgrauen Hosenanzug mit Bügelfalten. Es folgte eine Einblendung: Merit Bansouri – neue Gruppenleiterin des Kriminaltechnischen Instituts u. a. im Fachbereich Biologie.
Die Frau drehte sich zu dem Institut um und malte mit dem Zeigefinger in der Luft die Konturen nach. »Die Vorteile des neuen Gebäudes zeigen sich bereits in der Architektur. Während das alte Institut auf drei Standorte in der Stadt verteilt war, liegen die vierzehn Fachbereiche nun in einem Komplex zusammen. Die zweihundertundacht Angestellten arbeiten somit Tür an Tür. Es gibt kurze Arbeitswege, fachbereichsübergreifende Sitzungen und Einsätze. Der Architekt Tom Millner hat sich vor den Planungen mit der Arbeitsweise des Instituts befasst.«
Die Frau wandte sich nun ganz dem Reporter zu und fuhr fort: »Ich freue mich sehr, dass das Land zeitgleich mit dem Neubau auch das Pilotprojekt zum übergreifenden Arbeiten bewilligt hat. Wir konnten in Finnland bereits große Erfolge damit erzielen, dass die Arbeitsbereiche zur Kriminalitätsbekämpfung durchlässiger werden. Der Austausch zwischen der Polizei, der Kriminalpolizei und den Kriminaltechnikern wird intensiviert.« Die Frau warf einen kurzen Blick direkt in die Kamera.
Robin fuhr ein Schauer über den Rücken: Eisblaue Augen sahen sie an. Das Bild eines Antarktisgletschers flackerte vor Robin auf.
Merit Bansouri fuhr fort: »Wir haben bereits vor einigen Wochen begonnen, die Maßnahmen umzusetzen, der Einzug in das neue Gebäude unterstützt diese nun jedoch optimal. Die Teams der einzelnen Fachbereiche werden ab jetzt durchmischt.« Die Frau verschränkte die Finger ineinander. »Ja, vielleicht verbringt ein Angestellter jetzt zwanzig Prozent des Tages damit, mal etwas völlig anderes auszuprobieren. Die Techniker, die sonst als Spurensucher an den Tatorten arbeiten, werden unseren Wissenschaftlern in den Laboren über die Schulter schauen und umgekehrt. Dadurch wird die Analysefähigkeit gestärkt, das Denken wird wieder flexibel und schneller. Ich weiß, diese neue Struktur hat auch etliche Kritiker, aber schauen wir uns zum Beispiel mal Ihren Kamera-Assistenten an …«
Die Frau drehte sich plötzlich zur Seite und legte dem verdutzt dreinschauenden Mann neben der Kamera eine Hand auf die Schulter. »Er steht krumm. Die Halterung für den Stab des Mikrofons hat er auf der rechten Schulter. Warum? – Er ist Rechtshänder und vermutet dort seine starke Seite, dadurch hält er den Stab aber mit links und verkrampft sich völlig. Für ihn ist es Routine geworden, jeden Tag seinen Schultergurt so umzuschnallen. Sie …«, die Frau zeigte auf die Personen hinter der Kamera, »… kennen ihn schon zu lange und denken sich, dass er vermutlich immer so schief stand. Ich habe sofort gesehen, dass man an seiner Angewohnheit etwas ändern sollte. Das hat einen bestimmten Grund.«
Die Frau ging wieder in ihre Ausgangsposition.
»Ich habe einen frischen Blick. Teams können noch so gut sein, aber wenn man nicht zwischendurch jemanden mit anderen Erfahrungen und Ansichten dazu lässt, wird die tägliche Arbeit zur Gewohnheit, und handeln Menschen zu routiniert, beginnen sie, Dinge zu übersehen. Deshalb werden wir die Teams durchmischen. Eine weitere Zielsetzung für die nächsten Monate ist es zudem, sich gemeinsam mit den Kolleginnen und Kollegen der Kriminalpolizei den Bereichen zu widmen, in denen es die meisten unaufgeklärten Fälle gibt. Bei der sogenannten Kleinkriminalität sind das fast siebzig Prozent. Dieser wollen wir mit Präventionsmaßnahmen in den Stadtteilen entgegenwirken. Wir werden die Kripo mit den Auswertungen und Daten des Instituts unterstützen. Gemeinsame Ermittlungsgruppen aus Polizisten, Kriminalisten, Technikern und Wissenschaftlern der Kriminaltechnik stehen ab jetzt in einem stetigen Austausch miteinander. Jedes Gutachten eines Wissenschaftlers aus der Kriminaltechnik wird zudem vor der Freigabe von einer Kollegin oder einem Kollegen überprüft, damit die Subjektivität und die Unabhängigkeit des Instituts gegenüber Polizei und Justiz gewahrt bleiben.«
Merit Bansouri lächelte nun, es war eine Geste, die keine Wirkung auf die restlichen Muskeln und Fältchen ihres Gesichtes hatte. »Ich bin mir sicher, dass wir in knapp einem halben Jahr dem Ministerium einen zufriedenstellenden Bericht über die ersten Erfolge des Pilotprojektes vorlegen können.«
Der Beitrag endete, die Moderatorin war nun wieder zu sehen.
Robin tastete nach dem Glas und nahm einen großen Schluck Kaffee. Ihre Kehle blieb trocken. Die restlichen Nachrichten zogen in Wort- und Bildfetzen an ihr vorbei und wurden von Erinnerungen an das Institut stetig unterbrochen. Robin zog den Kopfhörer von ihren Ohren. Sie zuckte zusammen. Plötzlich war Carla vor ihr aufgetaucht.
Sie stellte ihr einen Teller neben den Laptop. »Du hast wahrscheinlich außer deinem Frühstück noch nichts gegessen, oder?«
Robin schaute zu ihr hoch. Der Duft von geschmorten Tomaten und angebratener Zucchini stieg ihr in die Nase. »Erwischt.«
Carla beugte sich etwas runter und ließ ihren Blick langsam über ihren Oberkörper wandern. »Du hast abgenommen in den letzten Wochen.«
Robin runzelte die Stirn.
»Schau nicht so skeptisch. Ich dürfte das wohl beurteilen können.« Carla stellte sich wieder gerade hin und zeigte auf den Teller. »Wehe da bleibt was übrig. Dann hole ich die Köchin.«
Robin zog eine Augenbraue hoch. »Wenn ich dich daran erinnern darf: Du bist die Köchin. Wolltest du dich nicht längst um eine Aushilfe kümmern?«
Carla winkte ab. »Dein Essen wird kalt.« Sie drehte sich um und verschwand hinter dem Tresen.
Robin hatte Mühe, das Essen zu genießen. Es schien, als habe sich eine bittere Schicht über ihre Geschmacksknospen gelegt, doch um Carla nicht zu verärgern, aß sie auf. Anschließend ging sie erneut auf die Internetseite des Lokalsenders. Sie fand den Beitrag über das Kriminaltechnische Institut als zusammengefassten Artikel. Sie las ihn durch und machte sich Notizen. An dem Wort Präventionsarbeit blieb ihr Blick hängen. Die Frau hatte leider nicht erwähnt, wo und in welcher Form diese beginnen würde. Robin würde bei ihren Streifzügen durch die Stadt nun noch aufmerksamer sein müssen als sonst.
Sie ging auf die Toilette. Als sie zurückkam, sah sie, dass Carla einen hohen Stapel Geschirr in die Küche schleppte. Das Café war nun leer. »Lass mich dir helfen«, sagte Robin und ging auf sie zu, doch Carla drehte sich zur Seite. »Ich mache das seit fünfundzwanzig Jahren allein, meine Liebe. Hol deinen Mantel. Ich will eine rauchen.«
Robin seufzte. Sie ging zu dem Tisch, zog ihren Mantel an und hörte im Hintergrund, dass Carla die Tür zuschloss. Als Carla an ihr vorbei ging, strich sie ihr über die Schulter und dann den Nacken. Ein warmer Schauer breitete sich auf Robins Haut aus.
Robin schaute unter den Tisch und sagte: »Los geht’s.« Die Dreierbande rappelte sich auf. Sie folgten Carla durch den schmalen Gang, am Lager vorbei zu der Tür, die in den Hinterhof führte. Carla öffnete sie und die Hunde schlängelten sich durch ihre Beine ins Freie.
Robin liebte diesen Hinterhof. Immer wenn sie von Carla träumte, sah sie sich hier mit ihr sitzen, wie sie miteinander redeten und lachten. Stundenlang.
Sie liebte diesen Ort, weil Carla sie hier zum ersten Mal geküsst hatte, damals, vor knapp acht Monaten.
Robin ließ den Blick über die Umgebung schweifen. Zum Hof führten mehrere Türen der Häuserblöcke, die über ihnen in den Himmel ragten. Wieder mal standen ein paar Stühle kreuz und quer herum, ein Kind hatte sein Rad liegen gelassen, die kleinen Sträucher boten Spatzen und Amseln Platz zum Verstecken. Sie lehnten sich an den breiten Türrahmen. Wenn man aus den Fenstern schaute, konnte man nicht sehen, ob jemand im Durchgang stand. Robin wusste das, denn Carlas Wohnung lag genau gegenüber im zweiten Stock.
Carla sah auf die Uhr. »Wir haben neun Minuten, sechs brauche ich zum Rauchen.«
Robin lächelte. »Ich weiß.«
Carla überwand den einen Meter, der zwischen ihnen lag. Sie hob den Arm und strich ihr mit dem Handrücken über die Wange. Robin lehnte sich sanft dagegen und küsste ihre Finger. Ihre Beine berührten sich. Carlas andere Hand fand einen Weg unter ihren Mantel, glitt unter den Pullover und das Shirt. Ihre Finger wanderten hin zu ihrer Taille und begannen, sie zu streicheln.
Robins Herz schlug schneller. Zwischen ihren Beinen begann es heiß zu pochen. Carla kam noch näher und beugte sich zu ihr. Nachmittags waren ihre Küsse immer sanft. Sie küsste zärtlich Robins Mund, streifte ihre Oberlippe und ihre Lachfalte auf der linken Seite, dabei wanderte ihre Hand zu ihrer Pobacke und drückte Robin ganz nah zu sich.
Robin schloss die Augen, schlang ihre Arme um Carlas Rücken, spürte den Busen an ihrem und die harten Brustwarzen, die über ihre streiften. Verdammt, warum ist es noch Tag? Sie wollte Carla jetzt sofort. Sie öffnete leicht ihren Mund und fuhr mit der Zungenspitze über Carlas Lippen. Carla warf den Kopf in den Nacken und stöhnte auf. »Wenn du mich so küsst, werde ich nicht mehr kopfrechnen können.«
»Egal. Mach das Café zu. Nur heute.«
Carla löste sich etwas von ihr und ließ die Stirn gegen ihre sinken. »Sonhadora, meine süße Träumerin. Du weißt, dass das nicht geht. Meine Gäste verlassen sich auf mich und ich brauche jeden einzelnen Cent.« Sie gab ihr einen Kuss auf die Stirn, machte einen Schritt nach hinten, lehnte sich gegenüber an den Türrahmen und zog das Zigarettenpäckchen aus der hinteren Hosentasche.
Robins Herz schlug fest gegen ihren Brustkorb. Um ihr Gesicht von Carla wegdrehen zu können, schaute sie den Hunden beim Spielen zu.
Jack rannte hinter Balu her, sie flitzten durch das Gestrüpp, während Paula an einem der Gehwege schnüffelte. Robin bemerkte, dass Carla sie betrachtete. Sie drehte den Kopf zu ihr. Ihre Augen hatten sich verdunkelt. Ihre Zigarette war bereits zur Hälfte aufgeraucht. Gerade wollte Robin sie fragen, ob alles in Ordnung sei, da drückte Carla die Zigarette aus, drehte sich um und ging, ohne sie noch mal zu küssen, zurück ins Café. Hatte Robin sie gerade verärgert? Mit einem unangenehmen Grummeln im Bauch rief sie nach den Hunden.
* * *
Als Robin wieder im Café ankam, hantierte Carla in der Küche. Für einen Moment blieb sie vor dem schmalen Durchgang stehen, doch sie wusste, Carla mochte es nicht, wenn man ihre Küche betrat. Es würde sicherlich später noch eine Gelegenheit geben, zu fragen, ob sie ihren Blick falsch wahrgenommen hatte. Außerdem hast du noch einiges zu tun.
Robin setzte sich an den Tisch und widmete sich den Kleinanzeigen in den Zeitungen. Leider kannte sie die Sammler bereits, die inseriert hatten. Sie überflog die Artikel. In Lokalzeitungen berichteten die Menschen gerne von ihren Hobbys, manchmal kam Robin dadurch auf neue Ideen für Diebesgut. Dieses Mal brachte die Lektüre jedoch keine weiteren Erkenntnisse.
Die Türglocke erklang, zwei Frauen mit Kindern betraten den Raum. Carla kam aus der Küche, ohne sie anzusehen.
Dann halt nicht. Vielleicht ist sie einfach nur gestresst.
Robin nahm ihren Notizblock und schlug die Seiten mit den Planungen für morgen auf. Zunächst würde sie Mia wiedersehen. Sie freute sich auf das verträumte Mädchen, vielleicht würden sie endlich ein wenig mehr ins Gespräch kommen. Robin lächelte bei dem Gedanken. Anschließend studierte sie den Ablaufplan, den sie seit Wochen akribisch ausarbeitete. Das Archiv, das Liederbuch … Endlich ist es so weit. Sie las jeden einzelnen Schritt ihres Planes, wiederholte ihn mehrfach stumm und visualisierte ihr Vorgehen in Gedanken. Als sie plötzlich den Schlüsselbund von Carla in der Ferne hörte, schreckte sie auf. Draußen war es dunkel geworden. Das Café wurde geschlossen.
* * *
»Du bist heute etwas blass«, sagte Carla, während sie mit den Hunden eine Runde um den Häuserblock gingen. Ein kühler Wind pfiff um die Ecken und bog die Äste der Bäume in alle Richtungen.
Robin winkte ab. »Das ist bloß die Sehnsucht nach dir.«
Carla boxte ihr gegen die Schulter, doch ihr Lächeln verebbte schnell. Sie steckte die Hände in die Jackentaschen und lief weiter, ohne sie anzusehen. Sonst nahm sie doch immer ihre Hand und zog sie für einen ersten langen Kuss in einen der Hauseingänge. Es wurde Zeit, dass sie in Carlas Wohnung ankamen und sie sich endlich richtig nah sein konnten. Robin ging etwas schneller und versuchte, das mulmige Gefühl in ihrem Bauch zu ignorieren.
* * *
Den Moment, wenn sie Carlas Wohnung betraten, genoss Robin jedes Mal sehr. Sie blieb dann etwas länger im Flur stehen, als sie eigentlich zum Ausziehen des Mantels und der Schuhe brauchte, und atmete tief ein. Ein feiner Geruch von Tabak und Carlas Duschgel hing in der Luft.
Carla drückte ihr einen Kuss auf die Lippen und verschwand im Bad.
Balu und Jack rannten in die Küche, kamen zurück und winselten. Paula blickte zu ihr hoch und wedelte mit dem Schwanz. »Ich komme ja«, sagte Robin und ging in die Küche. Sie zog eine Dose Hundefutter aus ihrer Umhängetasche. Auf der Arbeitsplatte lag bereits der Öffner, zudem hatte Carla die drei alten tiefen Teller mit den feinen Sprüngen im Blumenmuster herausgestellt. Der tiefste davon war eigentlich für das Wasser bestimmt, Robin nutzte ihn nun jedoch, um jedem Hund einen gefüllten Napf hinstellen zu können. Sie hob die Hand zu einem der Schrankgriffe, zögerte und ging dann Richtung Bad.
Robin zog die Tür einen Spalt auf. Carla entledigte sich gerade des letzten Teils ihrer Kleidung. Der Slip rutschte an ihren muskulösen Beinen hinunter. Robin räusperte sich. Carla schaute über die Schulter zu ihr.
»Hast du noch einen vierten tiefen Teller, den ich als Trinknapf benutzen könnte?«
»In der Abstellkammer ist eine Schale mit Kartoffeln.«
Sie sahen sich für einen Moment in die Augen. Robin lächelte.
»Gleich«, flüsterte Carla.
Robin ließ sie allein und ging zurück in die Küche. Dort öffnete sie die schmale Kammer und hob das Gefäß vom Boden hoch. Sie nahm die Kartoffeln heraus, wusch den Teller ab und ihre Hände gleich mit, ließ die Schale volllaufen und stellte sie zu der Dreierbande. Robin betrachtete Paula für einen Moment. Jack und Balu akzeptierten sie, zudem fraß die Hündin vernünftig, was Robin beruhigte. Allerdings war sie ständig müde; Robin streichelte ihr den Kopf. Dann ging sie durch den Flur in das kleine, rechteckige Wohnzimmer und stellte sich an das Fenster, aus dem man auf die Straße blicken konnte. Das Geräusch der Dusche drang dumpf über den Flur zu ihr. Ihr Herz begann schneller zu schlagen.
Die erleuchteten Innenräume der Häuser warfen gelb-weißes Licht auf den Asphalt. Die Duschgeräusche verstummten. Stille. Der Fön wurde angeschaltet. Robin öffnete den Verschluss ihrer Kette und ließ diese samt dem daran befindlichen Amulett in ihre Hosentasche gleiten. Endlich hörte sie Carlas Schritte im Flur und drehte sich um.
Carla schob die Tür auf. Um ihren Oberkörper war ein grünes Handtuch gebunden. »Hey«, sagte sie leise.
»Guten Abend«, antwortete Robin und legte den Kopf schief.
»Wieso bist du noch nicht im Schlafzimmer?«
Robin lächelte und ging auf sie zu. »Was soll ich denn da – ohne dich?«
Carla griff nach ihrem Pullover und zog sie zu sich. »Du hättest dich schon mal ausziehen können.« Sie ließ ihre Hände über den Saum des Kleidungsstückes gleiten und zog es ihr über den Kopf. Bei dieser Bewegung löste sich das Handtuch und fiel zu Boden. Robins Atem setzte für einen Moment aus. Sie beugte sich hinunter und küsste Carlas Hals. Ihre Lippen wanderten zu dem Dekolleté, wo sie sanft über die von feinen Falten durchzogene Haut glitten. Als ihre Zunge Carlas Brustwarze berührte, stöhnte Carla laut auf. Mit schnellen Bewegungen öffnete sie Robins Hose. Auf dem Weg ins Schlafzimmer entledigte sich Robin ihrer restlichen Kleidung.
Sie fielen auf die weiche Decke. Robin lag über Carla und tauchte wieder hinab zu ihren harten Brustwarzen, leckte darüber und begann, mit der Zungenspitze deren Konturen nachzuziehen, sanft rieb sie mit den Zähnen darüber. Carla presste sich ihr entgegen. Mit den Fingernägeln fuhr sie über ihre Kopfhaut und ließ sie langsam über ihren Nacken und den Rücken gleiten.
Robins Haut rund um die feinen, glimmenden Spuren erhitzte sich, dann fing es zwischen ihren Beinen an zu pulsieren. Sie schob sich auf Carlas Mitte, die feuchte Hitze unterhalb der kratzigen Härchen vermischte sich mit ihrer. Sie begann sich zu bewegen.
Carla strich mit den Fingernägeln über ihren Po. Sie griff nach Robins Hüfte, drückte sie an sich, bewegte sich vor und zurück und schloss die Augen. Sie stöhnte. Erst passte sie sich Robins Bewegungen an, wurde dann aber schneller.
Schweiß bedeckte Robins Haut, zwischen ihren Beinen glühte es.
Carlas Tempo war ungewöhnlich. Sie ließ sich und ihnen sonst mehr Zeit.
Robin hörte ihren schnellen Atem und spürte den starken Druck der Hände an ihrer Taille. Carla presste ihre anschwellende Klitoris gegen Robins Härchen und rieb sie dann über ihren Oberschenkel. Schneller und fester. Gerade, als eine erste Woge der Erregung Robin erfasste und sie ihre Hand zwischen Carlas Beine gleiten lassen wollte, stöhnte diese auf und ließ sich nach hinten sinken. Ihre Hüfte zuckte. Robin stieg in den Rhythmus mit ein, doch Carlas Bewegungen wurden bereits langsamer. Ihre Hände glitten von Robins Po. Ihr Atem wurde ruhiger.
Robin rutschte neben sie. Sie zog die Decke bis zu ihren Bäuchen und schmiegte sich an Carlas Seite. Sie betrachtete ihre von Muttermalen gesprenkelte Haut und fuhr mit einem Finger über ihre Schulter, ihr Schlüsselbein, hin zu ihrem Bauchnabel. Sie beugte sich zu ihr und begann, ihren Hals zu küssen.
Carla öffnete die Augen, dann zog sie die Decke ganz nach oben, legte einen Arm um sie und drückte sie nah an sich.
Robin ließ die Wange auf Carlas Brustkorb und eine dicke Strähne ihres weichen Haares sinken. Sie roch die feine Minz-Note des Duschgels und Carlas Duft, der in der Bettwäsche und im Raum schwebte.
Robin schmiegte ihre Hüfte an Carlas Schenkel, doch Carla ging nicht darauf ein. Robin hob den Kopf. Carla betrachtete sie, »bleibst du morgen früh länger?«
Robin schüttelte den Kopf. »Ich kann nicht.«
Carla lockerte ihre Umarmung und sagte: »Ich geh eben eine rauchen.« Sie gab ihr einen Kuss auf die Stirn, schlüpfte unter der Decke hervor, nahm sich Slip und Shirt aus dem Schrank und huschte aus dem Raum.
Robin starrte auf den Türspalt. Irgendetwas war nicht in Ordnung. Sie lauschte Carlas Geräuschen in der Ferne.
Nach einigen Minuten kam Jack in den Raum getapst. »Kumpel, bleib bitte draußen.« Er setzte an, um auf das Bett zu springen. Robin richtete sich auf und fing ihn mit beiden Händen ab. Sie verstrubbelte ihm das Fell. »Na los, raus mit dir.« Sie stand auf und führte ihn vorsichtig am Halsband aus dem Raum. Er lief ins Wohnzimmer zurück. Robins Blick fiel auf ihre verteilte Kleidung. Sie sammelte alles ein, zog sich an und ging Richtung Küche. Langsam öffnete sie die Tür.
Carla hatte die Beine auf den gegenüberliegenden Stuhl gelegt, sich eine Decke darum gewickelt und drückte gerade ihre Zigarette aus. Robin setzte sich auf den letzten freien Stuhl. »Ist alles okay?«
Carla wich ihrem Blick aus. Sie nahm die Wasserflasche vom Tisch und trank einen großen Schluck. »Ja, schon, wieso fragst du?«
»Du bist heute irgendwie anders.«