2,8 Grad - Marie-Luise Wolff - E-Book

2,8 Grad E-Book

Marie-Luise Wolff

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Beschreibung

Der Klimawandel ist eine sehr große, ernste Bedrohung. Das wissen die meisten Menschen und wünschen sich strengere Maßnahmen von ihren Regierungen. Doch wenn es konkret wird, formiert sich Widerstand. Die Autorin und Energiemanagerin Marie-Luise Wolff erklärt, warum dies so ist. Als Insiderin der Energieszene legt sie dar, dass die Weltgemeinschaft die Klimaziele von Paris verfehlen wird. Stattdessen steuern wir ungebremst auf eine globale Erwärmung von +2,8 Grad zu - mit verheerenden Auswirkungen. Doch das Ausmaß der Klimarisiken ist noch nicht einmal annähernd kommuniziert worden, eine klare Krisenkommunikation ist eines der größten Versäumnisse aktueller Politik. Es muss endlich anerkannt werden, dass die bisher vereinbarten Regelungen nicht genügen. Für eine wirksame Klimapolitik ist es dringend notwendig, die Dinge endlich beim Namen zu nennen. Wolff entwirft einen konkreten Plan für eine rasche und radikale CO2 -Senkung, der nicht weniger als eine Renaissance des Freiheitsbegriffs einschließt.

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Seitenzahl: 210

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Ebook Edition

Marie-Luise Wolff

2,8 Grad

Endspiel für die Menschheit

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www.westendverlag.de

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

ISBN 978-3-98791-008-1

© Westend Verlag GmbH, Neu-Isenburg 2023

Umschlaggestaltung: © Buchgut, Berlin

Satz und E-Book: Publikations Atelier, Weiterstadt

Inhalt

Titel

I. Vorab

II. Zur Bewohnbarkeit der Erde

Fossile

Erdzeiten

Versprochen

Technosphäre

Polykrise

Der Mensch ist seine Infrastruktur geworden

Reagiert der Planet?

Neue Landkarten

Katastrophenprävention

Klimaarchive

Rettungsboote

Bohrlöcher

Seltene Metalle

Neodymabhängig

Gemahlener Stein

Giftseen

Abholzung

Plastik-Planet

Futterfiasko

Algenblühen

Das sechste Sterben …

Unangenehme Überraschungen

Kippelnde Boote

III. Was bisher nicht verstanden wurde

It’s politics, stupid!

Die Aporie eines Marktes für Klimazerstörung

Risikobuchhaltung

Vom Umgang mit Latenzen

Geo-Engineering

Gefährdungsgesellschaft

Von der Freiheit

Trigger

Endspiel

Zeit für Radikalität – ein Resümee

Wen wir wählen

Dank

Literatur- und Quellenverzeichnis

Orientierungspunkte

Titel

Inhaltsverzeichnis

»Angst ist für das Überleben unverzichtbar.«

Hannah Arendt

»Der Klimawandel steht für das größte und weitreichendste Marktversagen, das die Welt jemals gesehen hat.«

Nicholas Stern

I. Vorab

Bis zum Beginn der trockensten Jahre, die das Land je erlebt hatte, lag ein Teil der Identität Deutschlands im Bau und Betrieb gut organisierter Großkraftwerke. Als die trockenen Jahre am Ende der 2010er Jahre begannen, wurden sie zunächst begrüßt: endlich mehr Sonnenschein. Extreme Hitze ist jedoch das tödlichste aller Wetterphänomene, vor allem, wenn es keine Unterbrechung mehr von ihr in der Nacht gibt.

Fast genau 30 Jahre vor dieser Zeit der großen Dürren, es war im August 1995, kurz bevor ich meinen neuen Job antrat, begab ich mich zusammen mit einem Freund auf eine Bildungsreise nach Schleswig-Holstein. Mein Freund war Journalist und wir fuhren in die Nähe der Küste, um uns dort den ersten in Deutschland gebauten Pilot-Windpark anzuschauen. Die Nabenhöhe der 32 Anlagen lag bei 20 Metern, was mir damals hoch vorkam, als ich einen der Türme hinaufstieg und von der Höhe der Gondel auf die abgeernteten Felder der Umgebung blickte. Die bereits acht Jahre alten Rotoren drehten sich schnell. Der Park nannte sich jedoch immer noch »Pilot-Windpark«, auch weil die verschiedensten Hersteller hier ihre Turbinen ausprobierten. Wir erfuhren, dass ein paar einzelne, deutlich höher gebaute Versuchsanlagen auf dem Nachbargelände wieder abgebaut worden waren, nachdem die Techniker die Getriebeprobleme nicht in den Griff bekommen hatten. Unser bescheidener gebautes Besichtigungsobjekt lief jedoch.

Als blutige Anfängerin im Energiegeschäft nahm ich mit Begeisterung wahr, was in diesen Jahren geschah. Die erste größere Welle an Wind- und Solarparks wurde gebaut. Die Möglichkeit, Strom künftig ganz ohne Brennstoffe und ohne atomaren Abfall herzustellen, war als Wunder anzusehen, dachte ich. Oder als Lächerlichkeit. Schon bald nahm ich zur Kenntnis, dass meine eigene Firma, ein riesiger deutscher Stromerzeuger, an derartigen Projekten nicht nur kein Interesse zeigte, sondern sie mit Spott belegte.

Einen Kollegen im Finanzressort, seinerzeit war er einer der mächtigsten Männer der Firma, fragte ich, warum wir uns nicht selbst mit der Entwicklung von Windenergie beschäftigten und dementsprechend investierten. »Sie wollen unser Leben also wieder von den Launen der Natur abhängig machen!«, antwortete er mir. (Wir siezten uns damals noch alle.) Sein Ton verriet ein äußerstes Maß an Geringschätzung und auch Wut. Ich merkte sofort, dass ich in ein Wespennest gestochen hatte. Doch konnte ich die Sache nicht auf sich beruhen lassen. In vielen anderen Gesprächen stieß ich auf ähnliche Argumente. »Wir werden mit Sonne und Wind niemals eine moderne Gesellschaft versorgen können«, hieß es. Oder auch: »Sie werden erst alle deutschen Industriebetriebe schließen müssen und auch dann wird dieser Kinderkram niemals ausreichen, um eine ausgewachsene Fabrik mit Energie zu versorgen.« Schließlich gab es noch das Argument, dass sich ein Großkonzern wie der unsrige mit solchem »Unsinn«, oder auch »Pipifax«, niemals abgeben würde.

Am tiefsten im Gedächtnis haften geblieben ist mir der Satz, man würde sich mit der Windkraft ohne Not wieder von den Launen der Natur abhängig machen. Es hatte Fassungslosigkeit in dieser Äußerung gelegen und diese bezog sich vor allem auf die Tatsache, dass ich als neue Mitarbeiterin des Konzerns das Problem der globalen Erwärmung – wir nannten es damals noch »Luftverschmutzung« – ernst nahm. Der Satz des Finanzmannes hatte wie ein aufgebrachtes »Wie kann man nur so blauäugig sein?« geklungen und ich fühlte mich einige Tage wie ohnmächtig. Ich antwortete ihm damals nicht, sein scharfes Urteil zeigte jedoch Wirkung, auch bei mir. Plötzlich zweifelte ich selbst daran, ob es sich bei den neuen Windprojekten überhaupt um ernsthafte Unternehmungen handelte. Die Leute in Schleswig-Holstein hatten sich ganz anders angehört als meine Kollegen in der Firma. War ich ein paar unerfahrenen Spinnern auf den Leim gegangen?

Weitere Kollegen, mit denen ich sprach, reagierten sauer, auch leicht aggressiv, wenn ich sie auf Windenergie ansprach. Erst langsam dämmerte mir, dass mir bei diesen Gesprächen die aufgestaute Wut und Enttäuschung über ein unter Umständen bald versiegendes, faszinierendes Geschäftsmodell entgegengeschlagen war: Mit meinem Plädoyer für die Windräder zerstörte ich die Lebensleistungen vieler Kraftwerksingenieure, denen seit Langem die allerhöchste Achtung in der Firmenhierarchie entgegengebracht wurde. Jahrzehntelang hatten sie ihren Ehrgeiz darangesetzt, möglichst viele Großkraftwerke mit möglichst großen Brennkammern zu bauen. Mit immer riesigeren Kraftwerken wurde Deutschland Exportweltmeister. Schulklassen wurden in die Kraftwerke geführt, bis an die großen Feuer der Brennkammern heran, die die Kinder begeisterten. Wieso kam ich überhaupt auf die Idee, sie zu ersetzen? Wer hatte mich wohl dazu gebracht?

Übergänge von einer Großtechnologie zur nächsten sind sehr schwer. Die Einführung des Automobils hat mehr als 60 Jahre gedauert. Als Geburtsjahr des Personenkraftwagens gilt das Jahr 1886. Carl Benz brachte in diesem Jahr den Patent-Motorwagen Nummer 1 auf den Markt. 35 Jahre später, im Jahre 1921, verfügte die Stadt Berlin, bei knapp vier Millionen Einwohnern, über gerade einmal 61 000 gemeldete Pkw; erst in den 50er Jahren und einen Weltkrieg später, also mehr als 60 Jahre nach der Erfindung, setzte sich das Auto auf breiter Front durch. Meist sind sogenannte »Pfadabhängigkeiten« schuld daran, dass es bei großen Technologiewechseln so lange dauert. Pfadabhängigkeiten sind Verfestigungen des Verhaltens, die tiefe Auswirkungen haben. Beispielsweise hat das Automobil die Siedlungsstruktur weltweit vollständig verändert. Parallel haben Großkraftwerke die Ansiedlung von Industrieunternehmen bestimmt.

Zum Zorn der Ingenieure gesellte sich damals noch der Hohn der Netzkollegen. Unsere Stromnetze seien nicht für viele lächerlich kleine Erzeugungseinheiten gebaut, hieß es. Es würde zu gro­ßen Ausfällen kommen. Das gesamte Netz müsse umgebaut werden, niemals würde ein Netz mit so vielen winzigen Einspeisemengen überhaupt funktionieren. Heute wissen wir, dass es geht. An guten Wind- und Sonnentagen werden in Deutschland zwischen 70 und 80 Prozent Strom von über zwei Millionen Anlagen aus Wind und Sonne erzeugt, ein Erfolg im Kampf gegen die globale Erwärmung. Der anstrengendere Teil des Weges liegt trotzdem noch vor uns.

Meist mischt die Angst vor Wohlstandsverlusten dabei mit, wenn selbst verhältnismäßig leicht zu vollziehende Übergänge nicht angegangen werden. Lange hieß es, der Strom aus Wind und Sonne würde viel teurer sein als der aus fossil betriebenen Großanlagen. Heute wissen wir, dass dies nicht so ist. Ein wesentlicher Grund dafür, warum es mit der Umstellung auf erneuerbare Energieproduktion so lange gedauert hat, ist jedoch das alte Argument der »Auslieferung an die Natur«. Es geistert weiterhin in den Köpfen vieler Menschen herum und hemmt die Bemühungen der Transformation. »Und was machen wir, wenn keine Sonne scheint und der Wind nicht weht?« Diese Frage ist ein weitverbreiteter Kernsatz aller Skeptiker in Sachen Energiewende. Der Satz gehört zu den Paradebeispielen der Argumentationstechnik des »Whataboutismus«, also der Ablenkung durch eine aus der Luft gegriffene Frage, deren Beantwortung längere Ausführungen verlangt. Hinter dieser Killerfrage schwebt auch die alte These meines Vorgesetzten: »Wir wollen doch wohl nie mehr von der Natur abhängig sein.« Immer, wenn diese Frage kommt, denke ich an ihn. Welch schrecklich anthropozentrisches, die Technik verherrlichendes Weltbild hatte hinter dieser Äußerung gesteckt? Welche Missachtung der Tatsache, dass wir alle jeden Tag gegen das Überleben der Menschheit agieren und es dem Planeten egal ist, ob es uns gibt.

Unabhängigkeit von der Natur ist natürlich niemals erreichbar – wir sind schließlich als Menschen Teil der Natur. Kein Erdbewohner war je unabhängig von der Natur und kein Mensch wird es je sein. Gerade der Einsatz fossiler Brennstoffe in Kraftwerken, aber auch in Fahrzeugen, Schiffen, Heizungen und Düsenjets, ist schon seit dem ersten Einsatz einer Dampfmaschine auf die Rechnung der Natur gegangen. Legt man den Maßstab des Planeten an, so ist die Menschheit durch ihre massiven Verbrennungsvorgänge in den letzten 70 Jahren zum größten Übeltäter gegen die Erdgesundheit geworden – und damit gegen sich selbst.

Als Mensch unabhängig von der Natur sein zu wollen war schon immer ein großes Missverständnis. In allem, was Menschen auf diesem Planeten tun, stehen sie in Abhängigkeit von der Natur. Selbst im Aufrechterhalten ihrer Körpertemperatur, im Atmen oder im Laufen. Ein striktes Maßhalten im Verbrauch von Energie wäre die richtige Gegenbewegung, damit nächste und übernächste Generationen noch atmen können. Maßhalten für alle, wohlgemerkt, nicht nur für diejenigen, die weniger Geld haben – darauf wird noch einzugehen sein. Vom Standpunkt der sogenannten »Postmoderne« aus gesehen, also aus einer Phase des ausgeprägten individualistischen Konsums kommend, ist Maßhalten eine der schwersten menschlichen Übungen. Es muss erst wieder neu erlernt werden. Alle Übergänge sind schwer, doch der Übergang zum Maßhalten ist jetzt der schwerste. Bereits eine kalte Dusche stellt heute für viele eine Heldentat dar, auch für mich.

Die ersten humanen Gesellschaften, die vor etwa 300 000 Jahren begannen, den Erdball zu bewohnen, lebten in der Anfangszeit noch mit einem gewissen Respekt vor den sogenannten »Naturgewalten«. Inzwischen sind diese dem Menschen kein Begriff mehr. Wenn sich eine Naturkatastrophe ereignet, sind technische Hilfswerke dafür zuständig. Danach sind die Katastrophen schnell wieder vergessen. Diese Vergesslichkeit könnte ein Zeichen dafür sein, dass die auf dem Planeten Erde Ansässigen die Beziehung zu ihrem Hauswirt längst verloren haben. Anwandlungen von Nonchalance, von Ignoranz und Dominanz herrschen vor. Bodenschätze, also abgestorbene vorzeitliche Wälder, werden aus immer tieferen Schichten der Erdkruste extrahiert, unzählbare Hohlräume dort hinterlassen, Wasser verunreinigt, unbeherrschbare Massen von Müll produziert, Emissionen ohnegleichen in die Luft gejagt. Das Motto dabei: alles herausholen, was geht. Schließlich müssen acht Milliarden Menschen behaust, ernährt und bespaßt werden. Und jeder weiß, in knapp dreißig Jahren werden es laut den Vereinten Nationen (United Nations, UN) zwischen neun und zehn Milliarden Menschen sein.

Doch unser Planet – der Hauswirt der Menschheit – entscheidet, ob wir zukünftig noch Gastrecht bei ihm bekommen. Als Gäste des Planeten bemerken wir seit einiger Zeit, dass etwas in unserer Beziehung zu ihm nicht mehr stimmt. Die Naturkatastrophen nehmen zu, nicht alle bekommen wir unter Kontrolle. Aber wir leiden unter Planeten-Legasthenie, wir sind nicht mehr in der Lage, unseren Hauswirt zu verstehen. Genauer gesagt sind es die automatisch ablaufenden physikalischen Prozesse in seinen verschiedenen Sphären, die wir nicht mehr verstehen, deren Veränderung wir aber selbst verursacht haben. Es wird doch schon so lange über »Nachhaltigkeit« gesprochen, wir reden doch schon längst über nichts anderes mehr, denken Sie jetzt. Ja, das stimmt. Aber wir handeln bisher nicht danach. Und auch Nachhaltigkeit ist schon immer auf den Menschen bezogen gewesen, nie auf den Planeten. Nachhaltigkeit sollte jederzeit dem Menschen nutzen und dafür sorgen, dass die Menschheit weiterhin dasselbe oder immer noch mehr aus der Erde herausholen konnte.

Unsere Perspektive auf die Natur war im Grunde bei den meisten Menschen, auch bei mir, lange die meines alten Vorgesetzten. Wir wollten keine Einschränkung, wir wollten möglichst viel von unserem Planeten haben und wir wollten möglichst wenig von ihm wissen. Und so ist es im Grunde weiterhin. Wir wollen weiter auf dem Oberdeck tanzen, während Temperatur und Wasser um uns herum gefährlich zu steigen begonnen haben. Wir nehmen jeden Tag dasselbe Frühstück ein, die Online-Nachrichten verkünden täglich neue Geschichten und Skandale, mit denen wir uns ein paar Minuten lang beschäftigen, über unser Netflix-Abo gibt es immer neue gute Serien im Angebot und wir werden bei der nächsten Wahl vielleicht noch einmal oder doch nicht mehr die Grünen wählen.

Ich glaube daran, dass Menschen ihre Gewohnheiten ändern können. Vielleicht ist das optimistisch, aber ich bin der Überzeugung, dass eine Halbierung unserer Emissionen rasch erreichbar ist und die katastrophalen Auswirkungen einer weiteren globalen Erwärmung zumindest abmildern würde. Bisher ist uns das jedoch nicht ansatzweise gelungen. Wir bekämpfen den sogenannten »Klimawandel« bisher nicht, wir finanzieren ihn durch steigende Subventionen für den Verbrauch fossiler Brennstoffe sogar stärker als je zuvor. Die Folgen zeigen sich besonders deutlich an der Zahl von +2,8 Grad globaler Erwärmung, die den neuesten Erkenntnissen des Weltklimarats zufolge bis zum Ende des Jahrhunderts mindestens erreicht wird, sollten die Staaten ihre Anstrengungen gegen die globale Erwärmung nicht massiv intensivieren. Die jetzt prognostizierte Erhitzung des Planeten entspricht ungefähr der doppelten Gradzahl der Vereinbarung von Paris (+1,5 Grad Celsius) aus 2015. Das konkrete Risiko liegt in einer substanziellen Gefährdung von Milliarden von Menschenleben durch drastische (Um-)Weltschäden innerhalb weniger Jahrzehnte. Auch Wirtschaftsunternehmen werden von diesen Schäden nicht unberührt bleiben.

Dieses Buch ist ein kämpferisches Plädoyer dafür, an die Grenzen unserer Möglichkeiten zu gehen. Ich halte die Dekarbonisierung westlicher Gesellschaften nicht für einen Mythos, wie es mittlerweile größere Teile meiner Generation tun, sondern für erreichbar. Man sollte Urteile aufgrund persönlicher Marktforschung meiden, aber es drängt mich, meine Beobachtung hier zu teilen: Die Zyniker gewinnen langsam die Oberhand und das ist kein guter Befund. Mir liegt eine pessimistische Einstellung weiterhin fern, vielleicht, weil ich seit 30 Jahren im Maschinenraum von Unternehmen arbeite, die sich um sogenannte »Daseinsvorsorge« kümmern. Das heißt, wir müssen Strom liefern, egal woraus er gemacht wird. Meine Zuversicht ist also ernst gemeint, trotz einer unbarmherzigen Analyse der Situation, die ich im Folgenden darlege.

Wie lange wir noch Zeit haben, unsere Lebensweise deutlich zu verändern, was wir dafür genau tun müssen und welche Dinge wahrscheinlich passieren werden, wenn wir zu spät damit fertig werden, sind die zentralen Fragen dieses Essays. Es enthält drei Teile: Den ersten Teil bildet diese Einstimmung. Der zweite Teil beschäftigt sich mit dem ganz konkreten, gegenwärtigen Stand der Klimakrise und dem, was Wissenschaftler bisher über die Auswirkungen der globalen Erwärmung herausgefunden haben. Im letzten Teil betrachte ich, welche Dinge bisher falsch eingeschätzt wurden und was stattdessen zur Überlebenskunst auf der Erde beitragen könnte.

II.Zur Bewohnbarkeit der Erde

Fossile

Die Stratigraphie ist als Schichtenkunde ein wesentlicher Zweig der historischen Geologie. Stratigraphen beschäftigen sich damit, die Entstehung der Erde zu rekonstruieren. Einige Geologen sinnieren inzwischen darüber, welche Funde künftige Stratigraphen auf der Suche nach unserem untergegangenen Planeten noch in Händen halten werden. Unter vielen zweifelhaften und wenig ergiebigen Funden würden die Reste der urbanen Zentren eine Besonderheit darstellen. Der britische Geologe Jan Zalasiewicz bezeichnet sie als »enorm dichte tektonische Platten vergangener Humanität«. Unsere Städte könnten einmal eine besonders gute Quelle für stratigraphische Studien sein, meint Zalasiewicz.

Aber nur dann, wenn die Städte sehr schnell untergehen. Sollten Meeresspiegel etwas gemächlicher ansteigen, würden Gebäude und Infrastruktur mit der Wucht der Orkane und Sturmfluten in eine geröllartige Bedeutungslosigkeit zerkrümeln. Bei rasch steigenden Meeresspiegeln jedoch, mit denen bei galoppierenden Kipppunkten aufgrund schmelzender Polkappen eher zu rechnen sei, würden die Küstenstädte in rasender Geschwindigkeit in den rapide steigenden Ozeanmassen verschwinden, und zwar ohne dass tumulthafte Wellen oder Strömungen darauf noch Einfluss nähmen. Dort würden unsere versunkenen Städte dann beginnen, von Sand, Lehm und Morast überzogen zu werden, um damit die ersten Schritte in Richtung geologischer Funde zu vollziehen. Der Prozess der Fossilierung hätte begonnen.

Stratigraphen und Erdkundler lesen die Geschichte der Welt von den Ablagerungen her, die sich im Laufe der Erdgeschichte auf der Kruste des Planeten gebildet haben. Den Geologen und ihren Gedanken zu folgen, zu verstehen, wie sie über die Spuren der Jetzt-Welt nachdenken, führt genau dorthin, wo unsere Schwierigkeiten liegen. Als Erforscher von Staubkörnern bringen Geologen Veränderungen ans Tageslicht, die wir normalen Menschen nicht sehen und die eindringlicher nicht sein könnten. Ihre Entdeckungen geben mehr zu denken als viele vergebliche Diskussionen über Nachhaltigkeit in einer Welt der Ökonomie. Stratigraphen finden heraus, was sich im Nachhinein aus unseren menschlichen Verhaltensweisen auf der Erde abgelegt hat. Der Staub, den sie untersuchen, hat prognostische Qualität; er kann uns sagen, wer mit welchen Temperaturen auf der Erde umgehen konnte und daher eine Zeit lang überlebt hat und wer nicht. Die Überlegenheit der geologischen Forschung liegt in ihrer kühlen Distanz zur Gegenwart, ihrer Liebe zum Planeten Erde und der Abwesenheit von Wishful-Thinking.

Erdzeiten

Seit dem Jahr 2000, also seit mehr als 20 Jahren, sprechen Geologen und Meteorologen vom »Anthropozän«. Sie tun dies im Vorgriff auf ein Zeitalter, welches der Jetztzeit einmal zugeschrieben werden könnte. Die Epoche des Anthropozäns gilt demnach als die erste Phase der bisher 4,5 Milliarden Jahre währenden Erdzeit, in der hauptsächlich der Mensch die Entwicklung des Planeten prägte. Dabei leben Menschen wahrscheinlich überhaupt erst 300 000 Jahre auf der Erde, ein Wimpernschlag im Horizont von 4,5 Milliarden Jahren Erdgeschichte. Und erst im Anthropozän, das heißt seit etwa 70 Jahren, haben Menschen die bestimmende Bedeutung darüber erlangt, wie das Leben auf dem Planeten Erde weitergehen wird. Zum ersten Mal verwendete der 2021 verstorbene niederländische Atmosphärenchemiker Paul Crutzen den Begriff »Anthropozän«. Er tat dies unwirsch auf einer Konferenz im Jahre 2000, als ein Kollege immer noch vom Zeitalter des Holozäns sprach. »Hören Sie auf, vom Holozän zu sprechen, wir leben doch schon längst im Anthropozän«, sagte Crutzen. Der neue Begriff war von ihm mahnend und in Sorge formuliert, mit dem tiefen Einblick eines Naturwissenschaftlers in die massiven Veränderungen der Atmosphäre.

Crutzen hatte den Begriff in dieser Minute erfunden. Er stotterte ein bisschen, als er ihn aussprach. Mit Absicht hatte er ihn mit einer strengen moralischen Note versehen, denn er wusste bereits: Die größten Effekte, die bis heute im Anthropozän sichtbar werden, sind ein exklusiv durch menschliche Handlungen ausgelöstes globales Artensterben, die globale Vermüllung aller fünf Erdsphären (Atmosphäre, Litosphäre/Erdkruste, Biosphäre, Hydrosphäre, Kryosphäre/Eisflächen) sowie eine für den Menschen gefährliche Erhitzung der Atmosphäre, die die Meeresspiegel menschheitsbedrohend steigen lässt und bisher nicht ansatzweise unter Kontrolle gebracht worden ist.

Unabhängig davon, wie Nachfahren das Zeitalter, in dem wir heute leben, einmal nennen werden, gibt es inzwischen einen breiten wissenschaftlichen Konsens darüber, dass der Mensch die Hauptursache des gegenwärtigen Klimawandels ist. Acht Jahre nach Crutzens Äußerung stellte sich im Jahre 2008 auch die Geologische Gesellschaft in London als älteste geowissenschaftliche Vereinigung der Welt offiziell hinter Crutzens These: Das nacheiszeitliche Holozän mit seinen stabilen Klimaverhältnissen sei an ein Ende gelangt, die Erde sei in einen geologischen Zeitabschnitt eingetreten, für den es »in den letzten Millionen Jahren keine Entsprechung« gäbe, fassten die Londoner Stratigraphen ihr Plädoyer zusammen. Die Gesellschaft wies auf vollkommen neue Arten von Ablagerungen hin, die von einer starken Überformung und Veränderung der Erdkruste und ihrer Landschaften, der Übersäuerung der Meere sowie der fortdauernden Vernichtung von Biota (alle Lebewesen und Pflanzen) geprägt waren. Den Beginn dieser Epoche – Crutzens »Anthropozän« – legten die Geologen auf das Jahr 1950 fest.

Erdgeschichtlich gesehen umfasst die prägende Phase des Anthropozäns bisher nur eine äußerst kurze Zeitspanne. Es sind nicht mehr als die letzten 70 bis 80 Jahre der Geschichte des Planeten, in der sich die Kulisse menschlichen Handelns massiv verändert hat. Die in dieser Phase erstmals auftretenden abrupten Steigerungen der Treibhausgasemissionen beeinflussen nicht nur die zukünftigen Temperaturen des Globus, sondern das gesamte System der Erdsphären – und dies für Jahrtausende, die folgen werden. Es handelt sich also beim Treibhausgas-Effekt nicht nur um ein paar Hitzegrade mehr für ein paar Flecken Erde auf der Südhalbkugel, wie oft angenommen. Der Planet ist als Ganzes, mit allen seinen miteinander interagierenden physikalischen, chemischen und biologischen Prozessen davon betroffen. Wenn man sich einmal klargemacht hat, was diese Veränderungen bedeuten, dann verblassen alle Erwartungen an eine technologieoffene Zukunft, in der sich Menschen in aller Seelenruhe und mit einem durch und durch westlichen Blick, der blind ist für die Opfer auf der anderen Seite des Globus, einmal überlegen können, was sie an ihrem Verhalten zu ändern gedenken.

Vor allem in drei Erdsphären macht sich bemerkbar, was verkürzt »die Klimaerwärmung« genannt wird. Die Atmosphäre, also die Lufthülle, die die Erde umgibt, verändert sich durch Gas- und Partikelbelastung sowie eine massive Erwärmung bis in Temperaturzonen, die für menschliche Organismen lebenskritisch sind. Dazu der Ozean als Teil der Hydrosphäre, der große Teile des CO2-Überflusses der Menschen auffängt, sich dabei aber ebenfalls deutlich erwärmt, mehr und mehr versauert und seine Auffangfähigkeit verliert. Und schließlich die Kryosphäre, das heißt alle Formen von Eis auf der Erde, die begonnen haben, sich aufzulösen und deren komplettes Schmelzen zu einem rapide ansteigenden Meeresspiegel mit extremen Auswirkungen auf die Bewohnbarkeit der Erde führen würde.

Alle drei Sphären arbeiten als eng verflochtenes System zusammen und beeinflussen die fundamentalen Voraussetzungen für die Bewohnbarkeit der Erde. Die Orange, die Möhre, die Avocado, die man isst, können in Wirklichkeit nicht von den Bewegungen der Gesteine und ihrer Verwitterung, der Erde, der Eis- und Wasserflächen, der Luft, der Niederschläge, der Strömungen und Winde getrennt werden, die sich über Jahrmillionen ergeben haben.

Was sich atmosphärisch seit 70 Jahren alles verändert hat, fällt im täglichen Leben gar nicht auf. Das Anthropozän hat jedoch wahrscheinlich bereits die Meeresströmungen und den glazialen-interglazialen Zyklus, also den Rhythmus der Warm- und Eiszeiten der Erde, beeinflusst. Durch die hohe Gefährdung der polaren Eisschilde, die bisher beide zusammen das Äquivalent von einem über 100 Meter hohen globalen Meeresspiegel speichern, ist der anthropogene Wärmehaushalt der Erde unsicher geworden. Die schon längst in Gang gesetzten Gletscherschmelzen bedrohen bereits heute die Süßwasser-Ressourcen des Globus und erzwingen alsbald Änderungen im Trinkwasserhaushalt. Als sicher gilt, dass durch das bereits weit fortgeschrittene irreversible Massen-Artensterben Millionen Jahre alte Pfade der Evolution verändert werden. Aufgrund der weiterhin massiven Treibhausgasemissionen in die Atmosphäre bewegen sich die gekoppelten Systeme der Erde auf einen ganz neuen Stoffwechsel zu, der weitgehend unbekannte Auswirkungen auf die Bewohnbarkeit des Planeten mit sich bringt.

Über diese Feststellungen der Naturwissenschaftler wird inzwischen nicht mehr ernsthaft gestritten. Dass Gegenstimmen wissenschaftlich weder als fundiert noch als anerkannt gesehen werden, kann als Fortschritt gewertet werden. Tatsächlich ist die Sache aber bereits seit Ende der 1980er Jahre klar, als James Hansen, Direktor des Instituts für »Space Studies« der NASA, einige Journalisten mit dem Satz anblaffte: »Es ist Zeit, mit dem Geschwafel aufzuhören … und zu sagen, dass es den Treibhauseffekt gibt und er unser Klima in Mitleidenschaft zieht.« Dies geschah 1988. Es wurde in der Folge viel Zeit damit vertan, Zweifel an den Erkenntnissen der Wissenschaftler zu säen. Spätestens seit 1988 durfte man es jedoch als unbestreitbar betrachten, dass wir uns in einem Zeitalter befinden, in dem die Menschheit das Erdklima stärker bestimmt als jeder andere Effekt des Universums. Doch lange geschah nichts, was das Klimaphänomen des Anthropozäns einhegte. Hansens Bemerkung ist jetzt mehr als 35 Jahre alt. Seit mehr als drei Jahrzehnten steht die Frage im Raum, ob wir Menschen unser Schicksal, was die Bewohnbarkeit unseres Hausplaneten anbetrifft, noch selbst bestimmen können.

Versprochen

In welchem Stadium des Vor-Untergangs befinden wir uns? Haben wir immer noch die Chance, den Planeten zu retten? Diese Frage schiebt sich seit Beginn des Ukraine-Krieges noch vehementer an die Stelle früherer Ungewissheiten über das Gelingen einer europäischen Energiewende und die weltweite Begrenzung der Erderwärmung. Studie um Studie kam im Laufe des Jahres 2022 zu dem Ergebnis, dass die Welt die für die Erreichung der 1,5-Grad-Marke notwendige CO2-Senkung nicht mehr erzielen wird; einer Erwärmungsgrenze, deren Einhaltung im Jahre 2015 von der Weltgemeinschaft mit dem Klimaschutzabkommen von Paris als »unverrückbar« festgelegt worden war. Die klaren und im Ergebnis tristen Studienergebnisse der Zielverfehlung wurden zu Beginn des Jahres 2023 auch für die deutschen Klimaziele bestätigt. Damit ist, trotz aller Bemühungen, höchstwahrscheinlich schon jetzt eine weitere Regierung an einer der wichtigsten Aufgaben aus allen Koalitionsverträgen seit 2015 gescheitert: dem Ziel, das Land auf den 1,5-Grad-Pfad zurückzubringen.

Es spricht einiges dafür, dass auch das von deutschen Gerichten festgestellte Ziel, Treibhausgase bis zum Jahr 2045 auf netto-null zu reduzieren, nicht mehr erreichbar ist. Selbst Klimaexperten wollen das noch nicht aussprechen, die Wirkung dürfte äußerst frustrierend sein. Einerseits ist es so, dass niemand diese Frage fallabschließend beantworten kann, bevor wir zeitlich in die 40er Jahre des 21. Jahrhunderts einmünden, andererseits werden wir nicht mehr lange abwarten können, ehe wir als globale Gesellschaft in eine Art forcierten Krisenmodus umschalten müssen. Einige Politiker werten die Aufgabe der 1,5-Grad-Marke als weniger wichtig, es handele sich um eine willkürlich festgelegte Zahl, einen eher symbolischen Wert, sagen sie. Sollten es 1,6 oder 1,8 Grad werden, sei dies kein Drama. Klimawissenschaftler betonen dagegen, dass jedes Zehntel der Überschreitung spürbare Folgen haben wird. Die Menschheit werde die harten Grenzen ihrer Anpassungsfähigkeit bald wahrnehmen müssen. Beispielsweise seien, laut dem Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK), 40 Prozent der Küstenbewohner*innen des Planeten durch eine globale Erwärmung jenseits der Pariser Grenzwerte bedroht.

40 Prozent der Bewohner*innen entlang von Küsten entsprechen in absoluten Werten einer Zahl von rund 300 Millionen Menschen, denn Küstenbereiche gehören zu den am dichtesten besiedelten Gebieten der Erde. Oft sind sie in doppelter Weise bedroht, weil neben dem Anstieg des Meeresspiegels auch noch eine starke Bodenabsenkung die Regionen gefährdet, die vor allem durch zu starke Grundwasserentnahmen für Industrieanlagen und den Bau neuer Wohngebiete verursacht wird. Anzuraten ist, die Zahlen und Fakten der Klimaforscher ernst zu nehmen, die seit Jahren davor warnen, dass der sogenannte »Klimawandel« für mehrere Milliarden Menschen vulnerabel sein wird, wobei sich bereits heute weite Teile der Subsahara auf die Unbewohnbarkeit zubewegen.