Der Schmerzflüsterer (Ein Lukas-Sontheim-Thriller 3) - Frank Esser - E-Book
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Der Schmerzflüsterer (Ein Lukas-Sontheim-Thriller 3) E-Book

Frank Esser

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Beschreibung

NACH „DER SCHMERZKÜNSTLER“ UND „DER SCHMERZFÄNGER“ DER DRITTE HOCHSPANNUNGS-THRILLER DER LUKAS-SONTHEIM-REIHE.

Wie perfide kann ein Serienmörder sein?

Der Kölner Verlagschef Sven Bochert wird tot aufgefunden. Alle Umstände deuten darauf hin, dass er sich selbst gerichtet hat. Schusswinkel und Schmauchspuren an der rechten Hand sind ein eindeutiges Indiz dafür. Jedoch wurde keine Waffe und auch kein Blut am Tatort gefunden. Zudem scheint es eine Gemeinsamkeit mit einem zurückliegenden älteren Fall aus Stuttgart zu geben. Der Befund ist eindeutig: Damals wie heute wurde die gleiche Waffe und Munition verwendet. Ein sechsschüssiger Revolver des Herstellers Colt. Außerdem hatten beide Opfer einen Zettel bei sich mit der Aufschrift: ES TUT MIR LEID!

Zur selben Zeit erhält Lukas Sontheim, der gerade seine eigene Privatdetektei eröffnet hat, den Auftrag Sarah Weinert wiederzufinden. Das junge Mädchen verschwand von einem auf den anderen Tag, und trotz medialer Aufmerksamkeit gibt es kein Lebenszeichen. Noch ahnt Sontheim nicht, dass ihn die Suche nach diesem Mädchen in ein perfides Spiel aus Macht, Moral und Rachsucht eines Serienmörders treibt. Ein Spiel auf Leben und Tod mit ungewissem Ausgang.

Der dritte Teil der Lukas-Sontheim-Thriller-Reihe ist ein in sich geschlossener Fall.

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Prolog
1 Kapitel
2 Kapitel
3 Kapitel
4 Kapitel
5 Kapitel
6 Kapitel
7 Kapitel
8 Kapitel
9 Kapitel
10 Kapitel
11 Kapitel
12 Kapitel
13 Kapitel
14 Kapitel
15 Kapitel
16 Kapitel
17 Kapitel
18 Kapitel
19 Kapitel
20 Kapitel
21 Kapitel
22 Kapitel
23 Kapitel
24 Kapitel
25 Kapitel
26 Kapitel
27 Kapitel
28 Kapitel
29 Kapitel
30 Kapitel
31 Kapitel
32 Kapitel
33 Kapitel
34 Kapitel
35 Kapitel
36 Kapitel
37 Kapitel
38 Kapitel
39 Kapitel
40 Kapitel
41 Kapitel
42 Kapitel
43 Kapitel
44 Kapitel
45 Kapitel
Epilog
Nachwort
Die Lukas-Sontheim-Thriller-Reihe

Frank Esser

Der Schmerzflüsterer

Über das Buch:

 

NACH »DER SCHMERZKÜNSTLER« und »DER SCHMERZFÄNGER« DER DRITTE HOCHSPANNUNGS-THRILLER DER LUKAS-SONTHEIM-REIHE.

 

Wie perfide kann ein Serienmörder sein?

 

Der Kölner Verlagschef Sven Bochert wird tot aufgefunden. Alle Umstände deuten darauf hin, dass er sich selbst gerichtet hat. Schusswinkel und Schmauchspuren an der rechten Hand sind ein eindeutiges Indiz dafür. Jedoch wurde keine Waffe und auch kein Blut am Tatort gefunden. Zudem scheint es eine Gemeinsamkeit mit einem zurückliegenden älteren Fall aus Stuttgart zu geben. Der Befund ist eindeutig: Damals wie heute wurde die gleiche Waffe und Munition verwendet. Ein sechsschüssiger Revolver des Herstellers Colt. Außerdem hatten beide Opfer einen Zettel bei sich mit der Aufschrift: ES TUT MIR LEID!

Zur selben Zeit erhält Lukas Sontheim, der gerade seine eigene Privatdetektei eröffnet hat, den Auftrag Sarah Weinert wiederzufinden. Das junge Mädchen verschwand von einem auf den anderen Tag, und trotz medialer Aufmerksamkeit gibt es kein Lebenszeichen. Noch ahnt Sontheim nicht, dass ihn die Suche nach diesem Mädchen in ein perfides Spiel aus Macht, Moral und Rachsucht eines Serienmörders treibt. Ein Spiel auf Leben und Tod mit ungewissem Ausgang.

 

Der dritte Teil der Lukas-Sontheim-Thriller-Reihe ist ein in sich geschlossener Fall.

 

Der Autor:

 

Frank Esser, Jahrgang 1974, absolvierte nach dem Abitur eine Ausbildung zum Industriekaufmann und arbeitet seitdem in der Musikbranche. Er lebt in der Nähe von Aachen. Seine Liebe zu Krimis inspirierte ihn, seinen ersten Regionalkrimi zu schreiben, der in der Kaiserstadt spielt und 2017 veröffentlicht wurde. Mittlerweile veröffentlichte er neben seiner Aachen-Krimi-Reihe weitere Thriller und Krimis. Seit neuestem darf er sich stolzes Mitglied der Empire-Verlag-Familie nennen.

Frank Esser

Der Schmerzflüsterer

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Ein Lukas-Sontheim-Thriller

Band 3

 

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die

Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der

Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten

sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

 

© 2022 Empire-Verlag

Empire-Verlag OG, Lofer 416, 5090 Lofer

 

Lektorat: Christine Weber - https://www.textimo.de/

Korrektorat: Peter Wolf

 

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur

mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.

 

Cover: Chris Gilcher

http://buchcoverdesign.de/

Illustrationen: Adobe Stock ID 359927732, Adobe Stock ID 124573637 und freepik.com

Prolog

 

War er ein Psychopath?

Aus medizinischer Sicht musste diese Frage mit einem klaren Ja beantwortet werden. Doch das war bei Weitem nicht so ungewöhnlich, wie man auf den ersten Blick denken würde. Erst kürzlich hatte er in einem Artikel gelesen, dass viele Psychopathen hohe Positionen bekleideten – genau genommen war der Anteil in den Chefetagen laut einer Studie sechsmal so groß wie im Bevölkerungsdurchschnitt und betraf selbst Investmentbanker, Politiker, Anwälte oder Aufsichtsräte. Die Menschen, die mit Psychopathen zu tun hatten, ahnten nicht einmal, mit wem sie da regelmäßig Umgang pflegten. Diese Psychopathen unterschieden sich jedoch in einem wesentlichen Merkmal von ihm selbst: Sie waren beileibe keine Kidnapper oder Killer. Doch waren sie deshalb bessere Menschen?

War er ein Sadist?

Er liebte es, Menschen leiden zu sehen und in den Tod zu treiben. Wie könnte die Antwort hier also Nein lauten?

Warum er so geworden war?

Zu einfach, alles auf eine schwere Kindheit zu schieben. Außerdem wäre das glatt gelogen. Sein Vater hatte ihn nicht verprügelt oder stundenlang in einen dunklen Wandschrank gesperrt und seine Mutter ihn nicht in Kleider gesteckt, weil sie lieber ein süßes kleines Mädchen in die Welt gesetzt hätte. Er wusste schon früh, dass er anders war als andere, auch wenn er bis heute nicht ergründen konnte, warum.

Womöglich war er schon als Killer geboren worden?

Selbst renommierte Wissenschaftler waren nicht in der Lage, eine eindeutige Antwort darauf zu geben, ob das möglich war. Mittlerweile hatte er Dutzende wissenschaftliche Abhandlungen über genetische Prädisposition gelesen, an deren Ende alle Gelehrten mehr oder weniger zum selben Schluss kamen: Vermutlich gab es keine natural born killers. Doch die Veranlagung zu gewalttätigem Verhalten konnte durchaus im Erbgut vorhanden sein. Existierte beispielsweise eine Mutation des Monoaminoxidase-A-Gens, konnte dies zu einer erhöhten Neigung zu Gewalt führen. Kam dann noch eine Störung der Hirnfunktionen hinzu, welche die Impulskontrolle und Stimmungsschwankungen steuerten, konnte das eine fatale Kombination ergeben.

Er wusste nicht, ob er über die mutierte Genvariante verfügte. Aber es schien die logischste Erklärung dafür zu sein, weshalb er nicht einmal mit der Wimper gezuckt hatte, als er im zarten Alter von fünf Jahren seiner kleinen Schwester ein Kissen aufs Gesicht gedrückt hatte. Einfach so, um zu sehen, was passierte. Erst als Sophie blau angelaufen war und keinen Mucks mehr von sich gab, hatte er das Kopfkissen wieder unter ihr Köpfchen gelegt und war in den Garten gelaufen, um Fußball zu spielen. Die Ärzte hatten einen plötzlichen Kindstod diagnostiziert. Natürlich wusste er damals nicht, was das bedeutete, aber so war er aus dem Schneider gewesen. Schuldgefühle: Fehlanzeige.

Und auch als Jens, dieses aufgeblasene Arschloch, beim Schlittschuhlaufen ins Eis eingebrochen und ertrunken war, hatte ihm das keine schlaflosen Nächte bereitet. Er, gerade mal fünfzehn, hatte am Abend zuvor beim See ein Loch ins Eis gehauen, das bis zum nächsten Tag nur leicht wieder zufror. Er hatte Jens zu der präparierten Stelle gelockt, die dünne Eisschicht hatte sofort unter dem Gewicht des Teenagers nachgegeben.

Wie viele Idioten wie Jens er mittlerweile über den Jordan geschickt hatte, wusste er nicht genau. Aber er wusste, dass er niemals damit aufhören würde, solange man ihn nicht schnappte. Denn er hatte kein Gewissen.

Er war der Tod. Und im Keller wartete bereits ein neues Opfer auf ihn. Es war an der Zeit, die letzte Runde mit dem Mann zu spielen.

1 Kapitel

 

Unruhig tigerte Sven Borchert durch die fensterlose Zelle. Das monotone Surren der Belüftungsanlage, die den schallisolierten Raum über einen Ventilator mit Luft versorgte, raubte ihm allmählich den letzten Nerv. Seit sieben Tagen hielt ihn dieser Geistesgestörte jetzt schon gefangen, hatte ihn direkt auf der morgendlichen Joggingrunde gekidnappt. Festgekettet wie ein Tier hatte dieser Irre ihn! Um seinen Hals war an einem Schloss eine schwere Eisenkette befestigt, die zu einem eisernen, in die Wand eingelassenen Ring führte. Die Kette war gerade lang genug, um vor der Matratze ein wenig auf und ab zu gehen oder sich an den kleinen Tisch zu setzen. Die Kreuzschmerzen setzten ihm zunehmend zu, was angesichts seiner Situation allerdings noch das kleinste Übel war. Seine Notdurft musste er in einem Blecheimer verrichten, den der Entführer jeden Abend leerte. Was für eine Erniedrigung! Als erfolgreicher Verlagsbesitzer in dritter Generation war er nur die besten Hotels gewohnt, lebte mit seiner Frau in einer luxuriösen Villa – und jetzt das.

Angewidert verzog er das Gesicht beim Anblick des Eimers. Was er seit dem Tag der Entführung erlebt hatte, war geradezu surreal. Zwei Tage lang hatte ihn der Unbekannte, der seine Visage hinter einer Affenmaske verbarg, in dem Gefängnis schmoren lassen, ohne auch nur ein einziges Wort mit ihm zu wechseln. Zweimal täglich versorgte der Unbekannte ihn mit Essen, gönnte ihm immerhin einmal am Tag eine Schüssel mit klarem Wasser, wenigstens eine Katzenwäsche war so möglich. Als der Affenmaskenmann am dritten Tag mit einem Karton in der Hand die Zelle betrat – gnädigerweise hatte er ihm die Armbanduhr gelassen, sodass Borchert auf die Minute genau wusste, wie lange er diesem Irren schon ausgeliefert war -, brach er endlich sein Schweigen.

»Lass uns um deine Freilassung spielen«, hatte der Entführer mit tiefer Stimme gesagt und ihm und mit einem Kopfnicken bedeutet, am Tisch Platz zu nehmen.

»Spielen? Um meine Freilassung?«, hatte er unsicher gefragt. Spätestens da war ihm bewusst geworden, dass er an einen Verrückten geraten sein musste, dem es um mehr ging, als nur ein üppiges Lösegeld von seiner Familie zu erpressen.

»Die Spielregeln sind ganz einfach«, hatte der Maskenmann erklärt, als er den Deckel des Kartons mit der Spielesammlung anhob. »Wir werden jeden Tag ein anderes Spiel spielen. Sollte es dir gelingen, mich in drei verschiedenen Spielen zu schlagen, bist du ein freier Mann«, fuhr er dann mit monotoner Stimme fort, wobei er in Allerseelenruhe das Spielbrett und die Figuren von Mensch ärgere Dich nicht aufbaute.

Fassungslos hatte er den Wahnsinnigen angestarrt. »Und wenn ich bei dem Schwachsinn nicht mitmache?«

Der Typ hatte sich nicht beirren lassen und mit stoischer Ruhe weiter aufgebaut.

»Und wenn ich verliere?«, hatte er mit belegter Stimme hervorgepresst. Ein Schulterzucken war die einzige Antwort, die er vom Maskenmann erhielt. Ihm kam es vor, als würden sich zwei unsichtbare Hände um seinen Hals legen und zudrücken. Er war von seinem Stuhl aufgesprungen, um den Kidnapper anzugreifen. Doch als er von der Kette zurückgezerrt wurde, hatte ihn das schmerzhaft daran erinnert, dass er nur über eine begrenzte Reichweite verfügte.

»Dann können wir ja jetzt loslegen«, hatte der Geiselnehmer gleichgültig geantwortet, als ob der versuchte Angriff nie stattgefunden hatte.

Als es ihm tatsächlich gelungen war, die letzte Spielfigur ins Häuschen zu befördern, hatte der Maskenmann das mit einem »Herzlichen Glückwunsch« quittiert, anschließend das Spielbrett samt Figuren wieder in den Karton befördert und, ohne ein weiteres Wort zu verlieren, den Raum verlassen.

An den beiden darauffolgenden Tagen war es nicht so gut für ihn gelaufen: Beim Quartett und beim Memory hatte er haushoch verloren, sodass der Entführer beim gestrigen Spiel nur noch einen Punkt benötigt hatte. Vorletzte Nacht hatte er deshalb kein Auge zugemacht. Angst war keine gute Verbündete in der Einsamkeit seiner Zelle. Der Unbekannte hatte zwar bisher nicht einmal andeutungsweise erwähnt, was passieren würde, wenn er das Spiel verlor. Aber man musste kein besonders helles Köpfchen sein, um sich das ausmalen zu können. Nur mit den Füßen voraus würde er sein Gefängnis wieder verlassen.

Doch die Glücksgöttin hatte es gestern gut mit ihm gemeint. Beim Schiffe versenken war es ihm gelungen, zum zwei zu zwei auszugleichen. Die Felsbrocken, die ihm vom Herzen gefallen waren, hatten Seismologen vermutlich als kleinere Erdbeben rund um Köln registriert. Was für eine kranke Scheiße ging hier bloß vor sich? Er musste verdammte Kinderspiele mit einem Irren spielen, um sein Leben zu retten! So etwas hätte sich nicht mal Stephen King ausdenken können. Und noch ein Gedanke beschäftigte ihn: Würde der Entführer Wort halten und ihn tatsächlich laufen lassen, wenn es ihm gelang, den dritten Punkt zu erspielen? Immerhin hatte er das Gesicht hinter der Maske bisher nicht gesehen. Lediglich die strahlend blauen Augen, die ihn stets durch die Löcher der Maske mit kaltem Blick anschauten, sodass es ihm bei jedem Besuch eiskalt den Rücken hinunterlief, würde er der Polizei beschreiben können. Dazu würde er gerade noch ein paar Angaben zur Größe machen oder das ungefähre Gewicht des Mannes schätzen können.

 

Borchert wollte sich gerade wieder auf die Matratze sinken lassen, als er hörte, wie sich der Schlüssel im Schloss drehte. Schon öffnete sich die Tür.

»Zeit für die letzte Spielrunde, lieber Sven«, sagte der Kidnapper, der eine kleine hölzerne Kiste in der Hand hielt.

»Kann’s kaum erwarten«, presste Borchert durch die Zähne. Und das war nicht einmal gelogen. Alles würde besser sein als diese nervenaufreibende Warterei. In den letzten Tagen musste er um Jahre gealtert sein. Mit einem tiefen Seufzer nahm er gegenüber dem Affenmaskenmann am Tisch Platz.

»Nun, es freut mich, dass du mittlerweile genauso große Freude an unserem kleinen Spiel hast wie ich«, schnarrte der Entführer, bevor er den Deckel des kleinen Kästchens anhob.

Was zum Vorschein kam, verschlug Borchert die Sprache. Fast zeitgleich beschleunigte sich sein Puls, der Schweiß trieb ihm aus allen Poren. Mit schreckgeweiteten Augen starrte er sein Gegenüber an. Der Kloß in seinem Hals verschwand auch nach mehrmaligem Schlucken nicht. Heilige Scheiße!

»Ich habe mir überlegt, den Einsatz für das Endspiel zu erhöhen.« Der Entführer holte eine einzelne Patrone und einen kurzläufigen Trommelrevolver mit dunkelbraunem Griff aus der kleinen Holzschatulle. Python 357 war in den glänzenden stählernen Lauf graviert. »Hast du schon mal russisches Roulette gespielt?«, fuhr er nahezu emotionslos fort.

Borchert schüttelte heftig den Kopf. Ein Schweißtropfen klatschte auf die Holzplatte des Tisches.

»Das habe ich mir gedacht. Du wirst sehen, es macht unglaublich viel Spaß.« Das Lachen, das durch die Zelle tönte, klang diabolisch. »Und du wirst sehen, ich halte Wort. Wer von uns beiden diese Spielrunde gewinnt, geht als ultimativer Sieger hervor.«

Borchert schüttelte erneut den Kopf, jetzt jedoch viel vehementer als zuvor. Er atmete schwer, die Nasenflügel bebten und er schnaubte wie ein Rennpferd in der Startbox. »Das ist doch total irre! Sie sind völlig übergeschnappt, wenn Sie glauben, dass ich da mitmache«, polterte er los, hieb mit der Faust auf den Tisch und sprang auf.

»Ich fürchte, du hast keine andere Wahl. Du oder ich – so läuft das Spiel. Ich dachte, das wäre dir klar gewesen, als wir den Wettkampf begonnen haben.« Der Maskenmann war nicht aus der Ruhe zu bringen. »Immerhin erhältst du eine faire Chance, hier lebend rauszukommen. Die Kinderspiele lassen wir jetzt hinter uns, die letzte Runde ist ein Spiel für wahre Männer. Du bist doch ein echter Kerl, oder?«, fragte der Maskenmann mit herausfordernder Stimme.

 

Der Entführer wusste es besser: Das Gegenteil war der Fall. Ein Mann, der seine Frau regelmäßig grün und blau schlug, sodass sie schon mehrfach in der Notaufnahme im Krankenhaus gelandet war, konnte kein echter Mann sein. Natürlich hatte sie den Ärzten immer irgendwelche dubiosen Ausreden präsentiert, wie sie sich verletzt hatte: Mal war sie unglücklich gestolpert, oder der Alkohol war schuld – dabei trank die Frau überhaupt keinen Alkohol. Selbst vor dem neunjährigen Sohn machte der Verlagschef nicht halt.

 

Sven Borchert raufte sich die Haare, starrte den Kidnapper einen Moment ausdruckslos an, bevor er sich wieder setzte und den Kopf in den Händen vergrub. Er wusste nicht, was ihn mehr in Panik versetzte: das bevorstehende Todesspiel oder die ruhige Art und Weise, wie der Kerl all die Worte ausgesprochen hatte. Der Typ hatte definitiv keine Angst vor dem Tod. Ganz im Gegensatz zu ihm. Er atmete einmal tief durch, bevor er den Blick wieder auf sein Gegenüber richtete. »Okay, ich bin bereit«, murmelte Borchert mit zittriger Stimme. Seine Handflächen waren schweißnass.

»Sehr schön. Dann werde ich dir jetzt der Vollständigkeit halber die Regeln erklären. Ich werde diese Patrone«, der Maskenmann hielt ihm das messingfarbene Geschoss direkt vors Gesicht, »in die Trommel führen, und diese dann drehen. Dann hält der Spieler, der an der Reihe ist, sich die Pistole an die Schläfe und betätigt den Abzug. Mit ein bisschen Glück gibt es dann nur ein leises Klicken.« Der Mann kicherte.

Borchert war zum Kotzen zumute. Er musste jede Menge Selbstbeherrschung aufbringen, um sich nicht zu übergeben.

»Wenn er kein Glück hat …– nun ja, du kannst es dir sicherlich denken. Wir spielen so lange, bis es einen Sieger gibt. Nach jedem Fehlversuch werde ich die Trommel wieder drehen, das erhöht den Nervenkitzel. Das wird ein Spaß!« Der Kidnapper kicherte und klatschte in die Hände.

Borchert konnte nicht mehr an sich halten und verteilte den Mageninhalt auf den Boden. Er hatte es gerade noch geschafft, den Kopf abzuwenden, um nicht die Tischplatte zu treffen. Der säuerliche Geruch vermischte sich mit dem Mief, den sein Körper nach den Tagen der Gefangenschaft mit rudimentärer Körperpflege verströmte. Mit dem Ärmel wischte er sich den Mund ab.

»Aber Sven, kein Grund, so empfindlich zu reagieren«, höhnte der Unbekannte kopfschüttelnd. »Ich mache es dir sogar ganz leicht: Ich werde beginnen.«

In seiner Stimme schien die reinste Vorfreude mitzuschwingen. Wo war er da nur hereingeraten, dachte Borchert. Er war völlig hilflos, in den Fängen eines Irren. Aber tatsächlich verspürte er plötzlich auch so etwas wie einen Funken Hoffnung in sich aufkeimen. Sollte dieser Wahnsinnige doch den Anfang machen, vielleicht war das Glück ja auf seiner Seite. Dann würde er schon in wenigen Augenblicken hier hinausspazieren.

»Bist du bereit?«, holte ihn die Stimme des Kidnappers wieder in die Gegenwart zurück.

Borchert war alles andere als bereit, trotzdem nickte er bedächtig.

»Schön«, befand der Fremde nur. Schon ließ er die Trommel des Revolvers ausschwenken, steckte die Patrone in eine der sechs Kammern, ließ die Trommel wieder einrasten und drehte sie anschließend, bis sie schließlich an einer beliebigen Stelle stoppte. Ohne zu zögern, setzte sich der Affenmaskenmann die Waffe an die Schläfe und betätigte den Abzug. Aber außer einem metallischen Klicken war nichts zu hören.

Borchert hatte kurz die Luft angehalten, doch kein Schuss beendete sein Martyrium, obwohl er innerlich Gott angefleht hatte, dieses irre Spiel zu seinen Gunsten enden zu lassen. Dabei war er alles andere als ein gläubiger Mensch. Doch der Allmächtige verfolgte in der ersten Spielrunde offenbar seinen eigenen Plan.

»Puh, Glück gehabt«, meinte der Entführer. Es klang allerdings keineswegs erleichtert, eher belustigt.

Der Typ erinnerte ihn zunehmend an den Joker aus Batman. Dieser Kerl war mindestens genauso irre!

»Jetzt bist du an der Reihe, mein Lieber«, fuhr der Unbekannte fort, nahm die Waffe in die linke Hand und ließ die Trommel abermals rotieren. »Aber damit du nicht auf dumme Gedanken kommst und den Revolver einfach auf mich richtest und so lange abdrückst, bis du die Patrone erwischst, muss ich natürlich gewisse Vorkehrungen treffen. Wir wollen ja schließlich fair spielen, oder?« Er griff sich mit der rechten Hand hinter den Rücken und holte eine zweite Pistole hervor, die er offenbar im Hosenbund versteckt gehabt hatte. Den Lauf richtete er sogleich auf Borchert, dann schob er den geladenen Revolver über den Tisch.

Borchert sackte förmlich in sich zusammen. Der Affe hatte offenbar an alles gedacht. Wieder vergrub er das Gesicht in den Händen. Erneut begann er zu würgen, doch diesmal schaffte er es gerade noch, sich nicht zu übergeben. Verzweifelt rieb er über die Bartstoppeln seines Sieben-Tage-Barts, dann griff er nach dem Revolver. Tränen rannen ihm übers Gesicht. Er dachte an seine Frau. An seinen Sohn. Mit zitternder Hand nahm er die Waffe in die Hand, im Zeitlupentempo führte er sie in Richtung Schläfe. Die Python wackelte derart, dass er sich vorkam, als hätte er Parkinson. Der Zeigefinger zuckte, aber Borchert schaffte es nicht, den Abzug durchzudrücken.

»Wir haben nicht ewig Zeit«, blaffte der Entführer schließlich und schaute demonstrativ auf die Armbanduhr.

Dann drückte er ab. Und es passierte … nichts. Ungläubig starrte er den Revolver an, bevor er ihn wie ein heißes Stück Eisen auf den Tisch fallen ließ, unendlich erleichtert, dass er noch am Leben war.

»War doch gar nicht so schwer«, meinte der Entführer. Die zweite Waffe, die er die gesamte Zeit über auf Borchert gerichtet hatte, steckte er in den Hosenbund zurück. Er schnappte sich den Revolver, drehte die Trommel, hielt sich die Knarre an die Schläfe und drückte erneut ab, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken.

Drei volle Runden wiederholte sich das Ganze, ohne dass die Waffe losging. Während der Entführer nicht den Hauch eines Moments gezögert hatte, war es für Sven Borchert jedes Mal ein Kampf gegen den inneren Schweinehund gewesen, den Abzug zu drücken. Zwar lebte er noch, dennoch war er mit jeder Runde ein Stück weit gestorben. Als sich der Verlagschef den Revolver zum vierten Mal an die Schläfe hielt, schickte er abermals ein Stoßgebet gen Himmel. Den anschließenden Schuss, der die Stille des Kellerverlieses durchriss, nahm er schon gar nicht mehr wahr. Wie ein Sack Mehl kippte er tödlich getroffen zur Seite und fiel vom Stuhl. Geradewegs in die Hinterlassenschaften des Gehirns und der Schädeldecke, die durch das Teilmantelgeschoss Sekundenbruchteile zuvor auf den Boden geklatscht waren.

 

Zufrieden betrachtete er sein Werk und riss sich die blöde Maske vom Kopf, ein notwendiges Übel und Teil des Spiels. Schließlich wollte er stets bis zum bitteren Ende den Eindruck erwecken, dass die Opfer eine reelle Chance hatten, lebend aus ihrem Gefängnis herauszukommen. Jedes Kind wusste aus dem Fernsehen, dass die Chancen eines Entführungsopfers gegen null sanken, wenn es einmal das Gesicht des Kidnappers erblickt hatte. Es war ein perfides Spiel mit Borcherts Ängsten und Hoffnungen gewesen, und er hatte jeden Moment genossen. Natürlich hatte er beim russischen Roulette nicht eine Sekunde in ernsthafter Gefahr geschwebt. Dank der eingravierten Markierung hatte er zu jeder Zeit genau gewusst, in welche Kammer er die Patrone gesteckt hatte und auch, ob er die Trommel unbemerkt von seinem Mitspieler hatte weiterdrehen müssen. In all den Jahren hatte noch nie jemand seinen Betrug bemerkt. Jetzt musste er nur noch die Leiche loswerden – er wusste auch schon, wo.

2 Kapitel

 

Freitag, 5. Februar 2021, 9:23 Uhr

 

Lukas Sontheim schloss die Tür zu seinem Büro in der Höhenberger Straße auf, das er seit Anfang des Jahres sein Eigen nannte. Lukas Sontheim – Private Ermittlungen stand in schwarzen Lettern auf der Glastür des ehemaligen Kiosks, den er vor wenigen Wochen von dem netten Vorbesitzer, einem älteren Herrn, übernommen hatte. Der knapp sechzehn Quadratmeter große Raum lag etwas mehr als einen Kilometer von seiner Wohnung in der Schleuterstraße in Köln-Kalk entfernt. Lange hatte er darüber nachgedacht, ob er dem Drängen seines ehemaligen Partners Jürgen Brenner, dem Leiter der Kölner Mordkommission, nachgeben und wieder in den Polizeidienst eintreten sollte. Doch dann hatte er sich entschieden, sein eigenes Ding durchzuziehen.

Ausschlaggebend für diesen Entschluss waren die Ereignisse wenige Monate zuvor. Zusammen mit seinem Kumpel Andreas Lichtenstein, einem begnadeten IT-Spezialisten und ehemaligen Hacker, hatte er einen Serienmörder zur Strecke gebracht. Der Killer mit dem Namen Orkus hatte seine Opfer auf höchst perfide Art vor laufender Kamera getötet. Als er dem Mörder in die Quere gekommen war, war es zu einem Kampf auf Leben und Tod gekommen – mit dem besseren Ende für ihn. Wenige Wochen später hatte sich Sontheim vor Gericht wegen der tödlichen Messerattacke auf den Serienkiller verantworten müssen. Der Richter hatte, wie nicht anders zu erwarten gewesen war, zu seinen Gunsten entschieden. Er hatte in Notwehr und deshalb nicht rechtswidrig gehandelt und war als freier Mann aus dem Gerichtssaal spaziert. Auch wenn Sontheim es ungern zugab: Durch die damaligen Ermittlungen hatte er wieder Blut geleckt. Er hatte keine Lust mehr, sich mit Aushilfsjobs über Wasser zu halten. Das Geld, das der Hausverkauf nach dem gewaltsamen Tod seiner geliebten Frau Nina und seinem Engelchen Linda eingebracht hatte, war längst aufgebraucht. Als Brenner ihm das Angebot gemacht hatte, wieder zur Truppe zu stoßen, war er ins Grübeln geraten. Aber er konnte sich nicht vorstellen, sich noch einmal die Karriereleiter bei der Polizei hochzuarbeiten, schließlich war er selbst einst Leiter der Kölner Mordkommission gewesen. Also hatte er beschlossen, sein Glück als Privatdetektiv zu versuchen und sein eigener Herr zu bleiben.

Die Annonce im Kölner Stadtanzeiger, in der ein Nachmieter für den Kiosk gesucht wurde, kam damals wie gerufen. Da die Übernahme des Ladens nicht zweckgebunden war, konnte er sich hier niederlassen und sein kleines Detektivbüro einrichten. Kurz vor Weihnachten hatte er den Mietvertrag unterschrieben. Schon am Neujahrstag war er mit zwei Farbeimern und Streichutensilien angerückt und hatte dem Einraumbüro einen neuen Anstrich verpasst. Das große Schaufenster zierte jetzt eine blickdichte Folie und schützte ihn vor neugierigen Blicken. Die Innenausstattung hatte er gebraucht im Internet gekauft. Mehr als einen Schreibtisch, ein paar Stühle und einen abschließbaren Aktenschrank hatte er für den Anfang ohnehin nicht gebraucht. Lichtenstein, den er der Einfachheit halber immer nur »Ali« nannte, hatte ihn zu seiner großen Freude mit einem Computer und einem Drucker ausgestattet. Nicht einen Euro hatte er dafür berappen müssen - es war ein Geschenk gewesen. Sein Kumpel war ihm immer noch dankbar, weil er ihm wenige Monate zuvor den Hintern vor dem durchgeknallten Serienmörder Orkus gerettet hatte. Sie waren damals nur knapp dem Tod entronnen, wobei Christoph Laumann, der Schlächter von Köln, aus dem Knast heraus die Fäden gezogen hatte. Sontheim hatte Laumann im Knast aufgesucht, um herauszufinden, wie es ihm gelungen war, Orkus auf seine Seite zu ziehen und als sein verlängerter Arm außerhalb des Knasts zu operieren. Natürlich hatte Laumann beharrlich geschwiegen und ihn lediglich angegrinst. Auch Brenner und dessen Kollegen hatten sich an dem Kerl die Zähne ausgebissen.

Schon kurz nach der Eröffnung der Detektei hatte er den ersten Klienten begrüßen dürfen. Ein Ex-Kollege der Kölner Polizei hatte ihn beauftragt, die Ehefrau diskret zu überwachen, weil er den Verdacht hatte, sie würde ihm untreu sein. Und der Klient hatte recht behalten. Der Rechnungsbetrag war kurze Zeit später auf Sontheims Konto eingegangen. Knapp fünfhundert Euro, leicht verdientes Geld. Aktuell arbeitete er an einem Fall, bei dem ein Unternehmer mehrere Mitarbeiter des Abrechnungsbetruges bei ihren Spesen verdächtigte. Schon allein aufgrund der Kilometerpauschale, die er kassierte, war durch die Beschattung der Außendienstmitarbeiter bei deren Touren innerhalb von zwei Wochen ein stattliches Sümmchen zusammengekommen. Der Auftraggeber hatte wie vereinbart Ende Januar bereits die erste Rate bezahlt, sodass Sontheim ganz gut über die Runden gekommen war.

Er schmiss die dicke Winterjacke über die Stuhllehne, füllte Wasser in den Tank der Senseo-Maschine und legte einen Kaffeepad in den Halter. Er brauchte dringend etwas Heißes zu trinken, es war saukalt draußen. Im Büro streikte die Heizung, der Monteur ließ seit letzter Woche auf sich warten. Während der Kaffee durchlief, rieb er die Hände aneinander, um die Durchblutung anzuregen. Er hatte gerade Platz genommen und den Computer hochgefahren, als die Eingangstür geöffnet wurde und eine hochaufgeschossene Brünette eintrat. Sie hatte eine Pudelmütze bis zu den Augenbrauen in die Stirn gezogen und sich einen Schal um den Hals gewickelt, der bis zur Nase reichte. Beides legte sie umgehend ab, als sie sich dem Schreibtisch näherte. Zum Vorschein kam ein attraktives Gesicht mit hohen Wangenknochen, zierlicher Nase und mandelbraunen Augen.

»Herr Sontheim?« Sie sprach mit angenehm weicher Stimme.

»Live und in Farbe. Und mit wem habe ich das Vergnügen?«, fragte er und erhob sich von seinem Schreibtischstuhl, um der Besucherin die Hand zu reichen. Vermutlich eine Klientin, die ihren treulosen Ehemann überführen wollte, dachte er.

»Katja Brandt.« Sie zupfte sich einen Handschuh von den Fingern und erwiderte den Händedruck.

Er bat sie, Platz auf einem der beiden Besucherstühle vor dem Schreibtisch zu nehmen, die modernen Sitzmöbel aus Chrom und Kunstleder hatte er ebenfalls günstig im Internet erstanden. Dankend nahm die Frau, die Sontheim auf Mitte bis Ende dreißig schätzte, das Angebot an, allerdings ohne den Wintermantel abzulegen – angesichts der frostigen Temperaturen in seinem Büro durchaus nachvollziehbar. Jetzt erst fielen ihm die dunklen Schatten unter den Augen der Besucherin auf.

»Darf ich Ihnen einen Kaffee anbieten?«, fragte er die potenzielle Mandantin. Sie verneinte.

»Ich will gar nicht lange um den heißen Brei reden, Herr Sontheim. Ich habe Sie aufgesucht, weil ich möchte, dass Sie meine Nichte finden. Sarah Weinert«, kam sie ohne Umschweife zur Sache und holte ein Foto aus der Manteltasche, das sie vor ihn auf den Schreibtisch legte.

Sontheim betrachtete das Bild einer jungen Frau. Sie war ebenso hübsch wie ihre Tante, die ihm gegenübersaß, aber im Gegensatz zu Frau Brandt hatte das Mädchen blaue Augen und langes blondes Haar. »Was heißt das konkret?«, hakte er nach.

»Sarah ist seit genau zehn Tagen verschwunden. Wie vom Erdboden verschluckt.«

Sontheim rechnete schnell im Kopf nach. »Also seit dem sechsundzwanzigsten Januar«, murmelte er. Vor einer Weile hatte es tatsächlich einen Suchaufruf in den Medien gegeben, die Zeitungen hatten ein anderes Foto verwendet.

Katja Brandt nickte. »Sie war an diesem Abend bei ihrem Freund. Seitdem fehlt von ihr jede Spur.« Sie begann erneut, in ihrer Manteltasche zu kramen, und zog ein Päckchen Zigaretten und ein Feuerzeug heraus. »Darf ich?«

»Nur zu.« Sontheim holte einen Aschenbecher aus der untersten Schublade des Schreibtisches und stellte ihn vor Frau Brandt auf die Tischplatte, woraufhin sie sich umgehend eine Kippe anmachte. »Ich nehme an, dass die Eltern Ihrer Nichte bei der Polizei waren und eine Vermisstenanzeige aufgegeben haben?«

»Natürlich, also, ich habe das gemacht. Lydia, meine Schwester, ist dazu leider nicht mehr in der Lage. Krebs im Endstadium. Einen Vater gibt's nicht – der hat sich noch vor Sarahs Geburt aus dem Staub gemacht«, erklärte die Besucherin und zog an der Zigarette. »Aber rausgefunden haben die Bullen bisher überhaupt nix. Nada, niente. Und genau aus diesem Grund bin ich jetzt hier.«

»Gab es eine Lösegeldforderung?«, wollte Sontheim wissen. Er nippte am Kaffee.

»Nein. Und auch sonst keine Kontaktaufnahme.«

»Hm, dann können wir vermutlich eine Entführung ausschließen«, stellte er fest.

»Ach ja, können wir das?«, kam es mürrisch zurück.

Er ließ sich von der Reaktion nicht beirren. »Hat die Polizei Anhaltspunkte dafür gefunden, dass Sarah ausgerissen sein könnte? Gab es vielleicht einen Streit – zum Beispiel mit ihrem Freund, sofern es den gibt? Eine Auseinandersetzung, die sie veranlasst haben könnte, einfach abzuhauen?« Sontheim hatte bereits in den Ermittlermodus umgeschaltet.

»Und ihre todkranke Mutter im Stich lassen?« Katja Brandt schüttelte verächtlich den Kopf. »Niemals! Und selbst wenn, wäre sie dann jetzt vermutlich kaum seit anderthalb Wochen verschwunden, ohne in irgendeiner Form ein Lebenszeichen von sich zu geben«, erwiderte sie scharf.

Sontheim musste zugeben, dass die Frau vermutlich recht hatte.

»Abgesehen davon hätte sie am Tag nach ihrem Verschwinden ihren ersten Laufsteg-Walk hier in Köln gehabt«, fuhr sie fort. »Sarah hat erst vor Kurzem einen Vertrag bei einer Modelagentur unterschrieben. Das ist seit Jahren ihr großer Traum gewesen. Um nichts in der Welt hätte sie das verpasst!« Ihre Stimme überschlug sich fast bei ihren Schilderungen. »Ich weiß genau, was Sie jetzt denken. Aber ich sage Ihnen, Sarah ist nicht tot. Sie ist auch nicht abgehauen oder irgendwo untergetaucht. Ich weiß, dass es sich völlig idiotisch anhört, aber ihr ist irgendetwas Schlimmes zugestoßen. Sie braucht Hilfe, ich spüre das! Deshalb bin ich hier: weil ich weiß, dass Sie unkonventionelle Wege gehen. Ihr Ruf eilt Ihnen seit der Sache mit dem Schlächter von Köln und der Jagd auf diesen irren Orkus-Mörder voraus. Ich habe von all dem gelesen. Die Polizei geht der Sache nur halbherzig nach, aber Sie – Sie geben nicht so schnell auf.« Katja Brandt zog an der Zigarette, die mittlerweile fast heruntergebrannt war, und legte den Kopf in den Nacken.

»Warum glauben Sie – im Gegensatz zur Polizei –, dass Sarah entführt wurde?«

Verständnislos starrte Sarahs Tante ihn an. »Weil es die einzige Hoffnung ist, an die ich mich noch klammern kann«, gab sie unumwunden zu. Dann drückte sie die Zigarette derartig energisch im Aschenbecher aus, dass Sontheim fast befürchtete, sie würde sich dabei die Finger verstauchen. Ihre Anspannung war mit jedem Wort, mit jeder Geste zu spüren. »Und weil ich Alexei nicht über den Weg traue«, schob sie mit einem Unterton hinterher, der Fragen aufwarf.

»Wer ist Alexei? Und warum vertrauen Sie ihm nicht?«, hakte er nach.

»Das ist Sarahs Freund.

---ENDE DER LESEPROBE---