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Wir schweigen bis ins Grab E-Book

Frank Esser

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Beschreibung

***DER SPANNUNGSGELADENE AUFTAKT DER JANA-BRINKHORST-KRIMI-REIHE*** Julius Wellenbrink, ein renommierter Anwalt, stirbt unter mysteriösen Umständen. Kriminalhauptkommissarin Jana Brinkhorst wird schnell klar, dass der Mann ermordet wurde. Kurze Zeit später wird der erfolgreiche Immobilienmakler Patrick Sanddorn getötet, ein alter Weggefährte Wellenbrinks. Zufall? Jana Brinkhorst gräbt immer tiefer und findet immer mehr Hinweise, dass die Morde mit einem seit Jahren ungeklärten Verbrechen zusammenhängen könnten. Stück für Stück setzt sie die einzelnen Puzzleteile zusammen und offenbart eine schockierende Wahrheit! Der Auftakt der Jana-Brinkhorst-Krimi-Reihe ist ein in sich geschlossener Fall. Der Krimi ist eine Neuauflage und erschien ursprünglich unter dem Titel Sühnepakt.

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Prolog
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
7. Kapitel
8. Kapitel
9. Kapitel
10. Kapitel
11. Kapitel
12. Kapitel
13. Kapitel
14. Kapitel
15. Kapitel
16. Kapitel
17. Kapitel
18. Kapitel
19. Kapitel
20. Kapitel
21. Kapitel
22. Kapitel
23. Kapitel
24. Kapitel
25. Kapitel
26. Kapitel
27. Kapitel
28. Kapitel
29. Kapitel
30. Kapitel
31. Kapitel
32. Kapitel
33. Kapitel
34. Kapitel
35. Kapitel
36. Kapitel
37. Kapitel
38. Kapitel
39. Kapitel
40. Kapitel
41. Kapitel
42. Kapitel
43. Kapitel
44. Kapitel
Epilog
Nachwort
Die Lukas-Sontheim-Thriller-Reihe

Frank Esser

Wir schweigen bis ins Grab

Über das Buch:

 

Julius Wellenbrink, ein renommierter Anwalt, stirbt unter mysteriösen Umständen. Kriminalhauptkommissarin Jana Brinkhorst wird schnell klar, dass der Mann ermordet wurde. Kurze Zeit später wird der erfolgreiche Immobilienmakler Patrick Sanddorn getötet, ein alter Weggefährte Wellenbrinks. Zufall? Jana Brinkhorst gräbt immer tiefer und findet immer mehr Hinweise, dass die Morde mit einem seit Jahren ungeklärten Verbrechen zusammenhängen könnten. Stück für Stück setzt sie die einzelnen Puzzleteile zusammen, um am Ende die gesamte schockierende Wahrheit ans Tageslicht zu bringen!

 

Der Auftakt der Jana-Brinkhorst-Krimi-Reihe ist ein in sich geschlossener Fall. Der Krimi ist eine Neuauflage und erschien ursprünglich unter dem Titel Sühnepakt.

 

 

 

Der Autor:

 

Frank Esser, Jahrgang 1974, absolvierte nach dem Abitur eine Ausbildung zum Industriekaufmann und arbeitet seitdem in der Musikbranche. Er lebt in der Nähe von Aachen. Seine Liebe zu Krimis inspirierte ihn, seinen ersten Regionalkrimi zu schreiben, der in der Kaiserstadt spielt und 2017 veröffentlicht wurde. Mittlerweile veröffentlichte er neben seiner Aachen-Krimi-Reihe weitere Thriller und Krimis. Seit neuestem darf er sich stolzes Mitglied der Empire-Verlag-Familie nennen.

Frank Esser

Wir Schweigen bis ins Grab

 

 

 

 

 

 

 

 

Krimi

 

Jana Brinkhorst ermittelt: Fall 1

 

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die

Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der

Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten

sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

 

August © 2022 Empire-Verlag

Empire-Verlag OG, Lofer 416, 5090 Lofer

 

Lektorat: Christine Weber – https://www.textimo.de/

 

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur

mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.

 

Cover: Chris Gilcher

http://buchcoverdesign.de/

Illustrationen: Adobe Stock ID 60442499, Adobe Stock ID 283958197 und freepik.com

Prolog

 

Dienstag, 3. September

 

Julius Wellenbrink starrte ungläubig auf den Telefonhörer in seiner Hand. Die Worte des Oberarztes aus der Mariahilf-Klinik hallten noch in seinen Ohren nach.

Panik ergriff ihn. Er stürmte an seiner Sekretärin vorbei, der er entgegenschmetterte, dass sie alle weiteren Termine für heute absagen sollte, und sprang hektisch in den Aufzug, wo er ungeduldig auf den Knopf für die Tiefgarage drückte. Kurz nachdem sich die Fahrstuhltüren geöffnet hatten, saß er auch schon in seinem brandneuen Porsche 911, suchte die Adresse der Klinik in seinem Handy und gab sie hektisch ins Navigationsgerät ein. Dann brauste er los.

Mit quietschenden Reifen verließ der Wagen die Tiefgarage des Bürogebäudes, in dem sich die renommierte Anwaltskanzlei Wellenbrink & Partner befand. Die Uhr am Armaturenbrett zeigte 14:27 Uhr an. Der Juniorchef bog in die Hamburger Straße ab und folgte den Vorgaben des Navis. »Herrgott, dreißig Minuten!«, fluchte er und schlug aufs Lenkrad. Was, wenn er es nicht rechtzeitig schaffte? Er war eigentlich nicht sonderlich gläubig, dennoch sandte er ein Stoßgebet gen Himmel, in der Hoffnung, Gott möge Valeries und Larissas Leben verschonen. Nur mühsam gelang es ihm, sich zu konzentrieren. Hoffentlich waren die beiden in guten Händen und wurden nicht von irgendwelchen Stümpern behandelt, dachte er, als er plötzlich aus seinen Gedanken gerissen wurde. Ein Stau, direkt vor der Baustelle! Das fehlte ihm gerade noch!

Warum hatte ihn das blöde Navi nicht gewarnt? Genervt entschied er sich für einen Umweg, wartete kurz, bis ihm kein Auto mehr entgegenkam, riss dann das Lenkrad herum, wendete und raste auf dem Moorburger Elbdeich in Richtung Brakenburg.

In der Waltershofer Straße gab er Gas und beschleunigte auf über hundert Stundenkilometer – zum Glück kein allzu großes Problem, da außer ihm weit und breit keine anderen Fahrzeuge zu sehen waren, abgesehen von dem Audi, der ihm seit einigen Minuten fast an der Stoßstange klebte.

Seine Gedanken überschlugen sich. Weshalb hatte man Valerie und Larissa überhaupt in diese Klinik eingeliefert? Eigentlich hätte seine Tochter doch im Gymnasium Blankenese sitzen müssen, wunderte er sich. Das war am anderen Ende der Stadt! Was zum Teufel war hier los?

Kurz hinter dem Umspannwerk holte ihn ein lauter Knall auf den Boden der Tatsachen zurück. Das Lenkrad vibrierte, der Porsche ließ sich kaum noch steuern, und Wellenbrink drohte die Kontrolle über das Fahrzeug zu verlieren. Verzweifelt trat er auf die Bremse, doch statt den Wagen wieder in den Griff zu bekommen, erreichte er genau das Gegenteil. Der Porsche schoss unkontrolliert auf die Gegenfahrbahn und brach ins Feld aus. Noch ehe er wusste, wie ihm geschah, überschlug sich der Wagen, der Anwalt wurde in den Sicherheitsgurt gepresst und spürte, wie mehrere Rippen brachen. Gleichzeitig löste der Airbag aus. Ein Knacken, eine Schmerzwelle, bevor Wellenbrinks Nasenbein brach. Der Wagen überschlug sich mehrmals, bis das Heck mit lautem Knall gegen eine Buche krachte und er auf dem Dach liegenblieb.

Wellenbrink erlebte all das bei vollem Bewusstsein. Er musste so schnell wie möglich hier raus, dachte er und geriet in Panik. Irgendwie musste doch dieser dämliche Sicherheitsgurt aufgehen … Mist, es funktionierte nicht. Hektisch drückte er immer wieder auf den Verschluss, aber der klemmte weiterhin. Fieberhaft suchte er nach einer Lösung, um sich zu befreien. Und noch ein anderer Gedanke beschäftigte ihn in diesem Moment, so unpassend er auch war: Warum ereilte ihn dasselbe Schicksal wie Valerie und Larissa? War das alles am Ende gar kein Zufall?

Plötzlich drang ihm der Geruch auslaufenden Benzins in die Nase. Offensichtlich war der Tank leckgeschlagen.

»Verdammt, warum kommt denn keiner?«, fluchte Wellenbrink, der wusste, dass er ohne Unterstützung kaum hier herauskommen würde. Kopfüber hing er im Fahrersitz. Das Blut schoss ihm in den Kopf, er konnte fast gar nicht mehr klar denken. »Heilige Scheiße!«, murmelte er.

Tränen der Verzweiflung rannen ihm übers Gesicht. Der Benzingeruch wurde immer penetranter.

Da, ein Geräusch. Hatte jemand eine Autotür zugeschlagen?

So laut er konnte, schrie Wellenbrink um Hilfe, bis ihn ein Hustenanfall stoppte.

Endlich, Schritte. Jemand näherte sich.

»Hallo. Ist da jemand? Bitte … helfen Sie mir, ich kann mich nicht befreien … der Gurt …«, keuchte er. Als er nach links schaute, dorthin, wo nur noch ein gezackter Glasrand daran erinnerte, dass an derselben Stelle einmal eine Seitenscheibe gesessen hatte, blickte er auf ein Paar Turnschuhe und zwei Beine, die in einer Jeans steckten. Hoffnung keimte in ihm auf.

»Hallo«, versuchte er es noch einmal. »Bitte … So helfen Sie mir doch!« Die Verzweiflung ließ seine Stimme unnatürlich schrill klingen. Wer war der Unbekannte, und weshalb antwortete er nicht? Und – was ihn noch mehr irritierte – warum zur Hölle half er ihm nicht?

Ein leises Klicken, das er nicht einordnen konnte. Kein Zweifel, dachte Wellenbrink, dieses Geräusch hatte er schon oft gehört. Dann sah er einen Gegenstand auf den Boden fallen. Ein Zippo. Mit entzündeter Flamme. Jetzt wusste er, warum ihm das Geräusch von eben bekannt vorkam.

Der Audi. Der Wagen musste ihm gefolgt sein, seit er die Tiefgarage verlassen hatte.

Valerie!

Larissa!

Was würde aus ihnen werden?

Doch diese Gedanken wurden vertrieben durch nackte Angst, als die Flamme das auslaufende Benzin entzündete und die Fahrerzelle in ein flammendes Inferno verwandelte.

 

1. Kapitel

 

Jana Brinkhorst wollte gerade Feierabend machen, als das Handy klingelte. Na toll, die Nummer auf dem Display konnte nichts Gutes bedeuten. Die Kommissarin seufzte. Vor knapp zwei Jahren war sie von der Kieler zur Hamburger Polizei gewechselt und hatte dort die Leitung der Mordkommission übernommen. Den ersten Fall, ein Serienmörder, der vier Frauen entführt und auf bestialische Weise ermordet hatte, hatte das Team unter Janas Führung nicht zuletzt dank ihrer unerbittlichen Hartnäckigkeit lösen können. Ehrgeiz war eine der Eigenschaften, die sie ihrem strengen Vater verdankte, der sie, seit sie denken konnte, mit völlig überzogenen Erwartungshaltungen übergoss und zu dem sie kein sonderlich inniges Verhältnis pflegte. In einem waghalsigen Alleingang war es ihr gelungen, den Täter zu überwältigen, was ihr im Kollegenkreis eine Menge Anerkennung verschafft hatte.

Zu den beiden männlichen Kollegen Steffen Hempel und Henning Kruse hatte sich inzwischen sogar ein freundschaftliches Verhältnis entwickelt. Seit der Scheidung vor einigen Jahren war sie Single aus Überzeugung. Ein Leben im leitenden Polizeidienst war für sie mit einer Familie und den daraus resultierenden Verpflichtungen nicht zu vereinbaren. Was allerdings nicht bedeutete, dass sie sich nicht hin und wieder in ein amouröses Abenteuer stürzte.

Ihr war bewusst, dass sie eine gewisse Anziehungskraft auf Männer ausübte, und ihre weiblichen Attribute setzte sie dann und wann gern ein: katzengrüne Augen, weiche Gesichtszüge, eine sportliche Figur und eine pechschwarze, lockige Mähne. Die hatte sie den Genen ihrer geliebten Mutter zu verdanken, die vor sieben Monaten mit nur fünfundsechzig Jahren viel zu früh an Brustkrebs gestorben war. Im Großen und Ganzen war Jana mit ihrem Aussehen zufrieden, nur die Nase war wohl ein wenig zu groß geraten, und an die ersten Krähenfüßchen rund um die Augen musste sie sich noch gewöhnen. Bei dem Anrufer, der gerade ihre Feierabendpläne durcheinanderzubringen drohte, handelte es sich um niemand Geringeren als ihren Chef, Jens-Uwe Stöver.

»Hallo, Jens«, begrüßte sie ihn freundlich.

»Tach, Jana. – Ich hoffe, du hast noch keine Pläne für den Abend.«

»Ich wusste es«, seufzte sie. »Als ich deinen Namen gesehen habe, war mir klar, dass es ein Fehler sein würde, ranzugehen. Was gibt’s?«, fragte sie kühl.

»Einen Verkehrstoten in Harburg, Waltershofer Straße, kurz hinterm Umspannwerk.«

»Wohl eher ein Fall für die Verkehrspolizei, oder?«

»Die Kollegen vor Ort sind der Überzeugung, dass da irgendwas faul ist. Es gibt keine Bremsspuren. Der Insasse hat offenbar ohne ersichtlichen Grund auf gerader Strecke die Kontrolle über seinen Porsche verloren, bevor der sich überschlagen und Feuer gefangen hat. Sieht so aus, als ob jemand bei dem Brand nachgeholfen hat.«

»Inwiefern?«

»Neben dem Sportwagen wurde ein Zippo gefunden. Ist zwar durch das Feuer in Mitleidenschaft gezogen, aber die SpuSi ist sich da sicher.«

»Das könnte doch genauso gut bei dem Unfall aus dem Wagen geschleudert worden sein. Warum glaubst du, dass mehr dahintersteckt?«

»Weil es sich bei dem Toten nicht um irgendjemanden handelt.«

»Jetzt werde ich aber neugierig. Also: Wer war der Fahrer?«

»Vermutlich Julius Wellenbrink. Jedenfalls ergab die Überprüfung des Kennzeichens, dass es sein Porsche war. Und da Wellenbrink gegen halb drei am Nachmittag die Tiefgarage seiner Kanzlei mit eben diesem Wagen verlassen hat, liegt nahe, dass er der Tote ist.«

Jana pfiff einmal durch die Zähne. »Der Star-Strafverteidiger? Wow, das ist ja ein dickes Ding.«

»Und der alte Wellenbrink macht schon gehörig Druck. Keine Ahnung, wie er so schnell vom Ableben seines Sohnemanns erfahren hat, aber Polizeipräsident Struckmeyer hat mich eben angerufen und mir unmissverständlich klargemacht, dass wir uns der Sache annehmen sollen. An der Unfallstelle herrscht schon ein reges Treiben. Also schicke ich meine beste Frau hin.«

»Ich bin ja auch zufällig die einzige Frau in deinem Team. Aber gut, die Message ist angekommen. Ich verschiebe mein Date mit dem Wein und fahre hin. Waltershofer Straße, richtig?«

»Korrekt. Melde dich, wenn du was rausgefunden hast.«

»Selbstverständlich, Chef«, erwiderte Jana und beendete das Gespräch.

Sie zog sich die Lederjacke an, die sie wie üblich über die Lehne des Bürostuhls geschmissen hatte, und eilte hinüber zum Büro ihrer Partner. Hoffentlich waren die Kollegen noch da, denn allein wollte sie nicht am Unfallort aufkreuzen.

Zum Glück saßen beide Männer an ihren Schreibtischen. Während Kruse in eine Akte vertieft war, tippte Hempel offenbar seinen Tagesbericht.

»Jungs, ich störe euch ja nur ungern, aber es gibt Arbeit. Ihr dürft eure Chefin zu einem potenziellen Tatort in Harburg begleiten.«

»Jetzt noch?«, stöhnte Hempel und beförderte einen der Zahnstocher, auf denen er neuerdings ständig kaute, seit er das Rauchen aufgegeben hatte, vom rechten in den linken Mundwinkel. »Ich wollt’ gleich Feierabend machen.«

»Warum überrascht mich deine Reaktion jetzt nicht, du alter Brummbär?«, meinte Jana schmunzelnd.

Steffen Hempel, ein Hüne mit Glatze und Vollbart, hatte eigentlich immer etwas zu motzen, weshalb sie ihm diesen lieb gemeinten Spitznamen verpasst hatte. Der gebürtige Essener war nur ein Jahr älter als sie selbst und vor zwanzig Jahren der Liebe wegen nach Hamburg gezogen. Mittlerweile war er geschieden und fristete sein Dasein als Single. Dank seiner stattlichen Größe, der muskulösen Oberarme mit beeindruckenden Tätowierungen und seiner tiefen, sonoren Stimme war er eine imposante Erscheinung. Jana war immer froh, wenn sie ihn in brenzligen Situationen in ihrer Nähe wusste. Aus ihrer Sicht hatte der Kollege nur zwei Fehler: Er neigte zu impulsiven Reaktionen, und er versuchte sein Glück zu oft bei Glücksspielen, wodurch er immer wieder knapp bei Kasse war.

»Deinen Feierabend wirst du leider verschieben müssen. Muss ich im Übrigen auch. Wie`s aussieht, hatte ein prominentes Mitglied unserer Gemeinde, Julius Wellenbrink, einen tödlichen Unfall. Es hat den Anschein, dass da jemand nachgeholfen hat, wir sollen uns der Sache annehmen. Befehl von oben.«

»Von Stöver?«

»Nein, von ganz oben. Der Polizeipräsident persönlich hat sich eingeschaltet. Wohl auf Drängen von Wellenbrink senior.«

»Überraschen würd’s mich nicht, wenn jemand den Wellenbrink umgebracht hätte. Der hat sich in den letzten Jahren bestimmt ’ne Menge Feinde gemacht«, schaltete sich jetzt auch Henning Kruse ein.

Der Achtunddreißigjährige war das Küken der Abteilung – ein typischer Hamburger Jung, was vor allem sein Partner auch immer wieder zu spüren bekam, wenn Kruse ihn mit plattdeutschen Schimpftiraden in den Wahnsinn trieb. Der zweifache Familienvater galt als Ruhepol der Abteilung, und er nutzte jede Gelegenheit, sein Umfeld davon zu überzeugen, dass die Ureinwohner der schönen Hansestadt alles andere als distanziert, humorlos und unterkühlt waren. Sein volles braunes Haar war inzwischen von ersten grauen Strähnen durchzogen, was er spaßeshalber immer auf seine Kinder und die Arbeit mit Hempel, seinem Partner, zurückführte. Es gab nicht wenige Kollegen auf dem Revier, die ihm eine gewisse Ähnlichkeit mit Hans Albers nachsagten. Aber abgesehen von den stahlblauen Augen, konnte er keine weiteren Gemeinsamkeiten mit dem berühmten Hamburger Schauspieler und Sänger an sich ausmachen.

»Bevor wir uns jetzt vorschnell darauf festlegen, dass Wellenbrink um die Ecke gebracht wurde, schlage ich vor, dass wir uns erst mal selbst einen Eindruck vor Ort verschaffen«, erwiderte Jana und gab somit das Zeichen zum Aufbruch.

 

2. Kapitel

 

Als das Trio den Unfallort erreichte, herrschte dort reger Betrieb. Jana entdeckte mehrere Einsatzfahrzeuge der Feuerwehr, einen Leichenwagen und drei Polizeiautos. Das Team der SpuSi schien schon vor einer Weile eingetroffen zu sein, was sie ein wenig überraschte. Hatte Stöver das im Telefonat erwähnt?

Sie gingen auf das Flatterband zu, mit dem der Unfallort großräumig abgesperrt worden war, als ihnen Horst König, der Chef der KTU, entgegenkam. Der schlanke Endvierziger trug einen weißen Overall samt Kapuze, einen Mundschutz und Handschuhe. Er sah aus, als ob er fürs Seuchenschutzkommando arbeitete.

»Moin, Jana«, begrüßte er die Teamleiterin der Mordkommission. Kruse und Hempel bedachte er mit einem Kopfnicken.

»Hallo, Horst. Wie ich sehe, seid ihr schon fleißig bei der Arbeit.«

»Schon eine ganze Weile«, erwiderte er ausweichend.

»Gibt es abgesehen von dem Zippo, das man in der Nähe des Autowracks gefunden hat, bereits irgendwelche Erkenntnisse, die auf Mord hinweisen? Stöver erwähnte da was.«

»Ja, die gibt es. Das verdanken wir Stegemann vom LKA. Das war kein Unfall, Jana. Hier hat jemand gewaltig nachgeholfen.«

»Moment mal, meinst du den Stegemann?«, wunderte sich Jana. Was zum Teufel ging hier vor? Martin Stegemann war die Koryphäe schlechthin, wenn es um Brandursachenermittlungen ging!

»Richtig. Ferdinand Wellenbrink, der Vater des mutmaßlichen Opfers, hat seinen Einfluss in alle Richtungen geltend gemacht, sobald er von dem Unfall wusste. Er und Stegemann sind befreundet. Martin und ich kennen uns ja ebenfalls seit vielen Jahren. Und bevor du dich jetzt aufregst, der Polizeipräsident und auch der Staatsanwalt haben seinen Einsatz gebilligt, sagt Stöver.«

»Ich sehe schon, es wurden alle Hebel in Bewegung gesetzt, um die Sache hier aufzuklären. Dann müssen wir uns wohl glücklich schätzen, dass wir den Fall jetzt übernehmen dürfen«, gab Hempel sarkastisch seinen Senf dazu. Kruse schüttelte ebenfalls ungläubig den Kopf.

»Was genau hat Stegemann denn herausgefunden?«, wollte Jana wissen.

»Wer auch immer dafür verantwortlich war, der- oder diejenige hat mit einem Zippo das auslaufende Benzin in Brand gesteckt, und der Fahrer ist offenbar bei lebendigem Leib gegrillt worden. Aber das war noch nicht alles. Es gibt ein weiteres Indiz dafür, dass wir’s hier nicht mit einem einfachen tragischen Verkehrsunfall zu tun haben.«

»Heißt im Klartext …?« Jana war nun hellwach.

»Stegemann vermutet, dass bereits beim Unfall selbst nachgeholfen wurde. Es gibt keine Bremsspuren. Und es sieht auch nicht danach aus, als hätte der Fahrer Selbstmord begangen.«

»Lass mich raten, Horst. Auch für die Idee der geplanten Unfallherbeiführung gibt’s bereits gesicherte Erkenntnisse.« Janas Stimme triefte vor Sarkasmus.

»Ich kann ja verstehen, dass du dich jetzt übergangen fühlst, aber Martin hat in der kurzen Zeit gute Vorarbeit geleistet. Seine Spürnase irrt sich ja nur selten, wie dir bekannt sein dürfte«, erklärte König lächelnd. »Er sagt, es gibt erste Hinweise, dass – womöglich durch eine kleine Sprengladung – mindestens ein Reifen zum Platzen gebracht wurde, sodass der Fahrer die Kontrolle über den Porsche verlor.«

»Aha, sagt Stegemann das«, erwiderte Jana genervt. »Wenn er richtig liegt, können wir also davon ausgehen, dass da jemand auf Nummer sicher gehen wollte, dass der Fahrer den Unfall nicht überlebt. Glaubst du das mit der Sprengladung auch? Bei dem Feuer dürfte doch nicht mehr viel übrig geblieben sein, um das ohne eingehende Laboruntersuchungen sagen zu können.«

»Da hast du natürlich recht. Erst wenn wir das Wrack genauestens unter die Lupe genommen haben, lässt sich die ganze Theorie untermauern. Da, schau mal, dort drüben.« König deutete auf eine etwa hundert Meter entfernte Stelle, an der ein Mitarbeiter der Spurensicherung offenbar Proben vom Asphalt nahm. »Dort haben wir Hinweise gefunden, dass hier vor kurzem Sprengstoff gezündet wurde. Sicher nur eine äußerst kleine Menge. Martin hat seine Kontakte spielen lassen und umgehend einen Spürhund angefordert, der die Stelle vor wenigen Minuten lokalisiert hat. Wir haben hier allerdings nicht die Mittel, um Genaueres darüber sagen zu können. Vermutlich ein Plastiksprengstoff.«

»Stegemann kann uns nicht zufällig auch schon einen Täter präsentieren?« Langsam, aber sicher riss Jana der Geduldsfaden. »Unglaublich, dass wir jetzt erst hinzugezogen wurden, während sich der LKA-Typ längst hier austoben durfte! Wissen wir schon, wann das alles passiert ist?«

»Vermutlich gegen 15:00 Uhr. Der Anruf ging kurz nach fünfzehn Uhr bei der Polizei ein.«

»Also vor mehr als drei Stunden.« Jana sah kopfschüttelnd auf die Armbanduhr. »Jetzt ist mir auch klar, warum du eben so rumgedruckst hast, als ich gefragt habe, seit wann ihr hier seid. Als mich Stöver angerufen hat, dachte ich eigentlich, dass er selbst erst kurz zuvor informiert worden war. Aber sei`s drum. Ganz schön aufwendig, so eine Vorgehensweise, findest du nicht?«

»Ich würde eher sagen: ungewöhnlich.«

»Wie auch immer. Wir haben’s allem Anschein nach mit einem Mordfall zu tun. Und die Tatsache, dass Wellenbrink ziemlich prominent ist … war … und sein Vater schon Alarm beim Polizeipräsidenten geschlagen hat, dürfte für uns in den nächsten Tagen wohl eine Menge Überstunden bedeuten. Weißt du, ob der Zeuge, der den Vorfall gemeldet hat, noch vor Ort ist?«

»Der war schon nicht mehr hier, als die Kollegen am Unfallort eingetroffen sind.«

»Dann sollten wir rausfinden, wer die Leitstelle verständigt hat. Möglicherweise der Täter selbst«, mutmaßte Jana. »Henning, das übernimmst du bitte. Steffen, kannst du dir schon mal das Unfallwrack ansehen. Ich spreche in der Zwischenzeit mit Stegemann. Wo finde ich ihn?«

»Dort drüben.« König deutete auf den Mann, der sich angeregt mit einem der Feuerwehrleute unterhielt und mit erhobenen Armen in der Luft gestikulierte. Stegemann hatte in etwa ihre Größe, schien jedoch körperlich nicht in allerbester Verfassung zu sein, wie sein hochroter Kopf verriet. Er war stark übergewichtig und hatte garantiert mit hohem Blutdruck zu kämpfen. Auf seinem Hemd zeichneten sich große Schweißflecken im Achselbereich ab.

»Wäre schön, wenn du ihn nicht gleich mit Haut und Haaren frisst. Er mag seine Kompetenzen überschritten haben, aber er hat auch nur auf Anweisung gehandelt.«

»Danke, Horst«, erwiderte Jana, ohne auf Königs Bitte einzugehen. Dann steuerte sie geradewegs auf den LKA-Mann zu. Auch ihre beiden Kollegen machten sich umgehend an die Arbeit. Kruse zückte sein Handy, und Hempel passierte das Absperrband und ging auf das ausgebrannte Autowrack zu.

Kurz bevor Jana den LKA-Beamten erreicht hatte, hörte sie, dass er dem Einsatzleiter der Feuerwehr das Okay zum Abrücken gab.

»Tag, Herr Stegemann. Jana Brinkhorst, Mordkommission Hamburg.«

»Hallo, Frau Kollegin. Schön, Sie persönlich kennenzulernen. Ihr Ruf eilt Ihnen voraus. Vor allem seit der Geschichte mit dem Serienmörder damals.«

»Danke für die Lorbeeren. Kollege König hat mir erzählt, dass Sie eindeutige Hinweise darauf gefunden haben, dass das Feuer keine Folge des Unfalls war, sondern vorsätzlich gelegt wurde. Also haben wir es mit einem sauberen Mord zu tun.«

»Der Unterton suggeriert mir, dass das keine Frage war, sondern eine Feststellung.« Stegemann lächelte.

Wider Erwarten war der LKA-Mann Jana auf Anhieb sympathisch. Dank seiner gewinnbringenden Art flaute ihr Ärger schnell wieder ab.

»Im Grunde haben Sie’s perfekt auf den Punkt gebracht.«, fuhr er fort. »Das Feuer ist definitiv gelegt worden. Es hat sich von außen nach innen, also zum Porsche hin, ausgebreitet. Damit kann ich nahezu hundertprozentig ausschließen, dass sich das Benzin selbst entzündet hat. Wenn das der Fall gewesen wäre, hätte sich das Feuer zum Beispiel im Motorraum des Fahrzeuges durch austretendes Benzin entzünden müssen. Es ist ohnehin ein Irrglaube, dass sich auslaufender Kraftstoff automatisch nach einem Unfall entzündet, wenn der Tank beschädigt wird. Die Wahrscheinlichkeit liegt statistisch gesehen bei unter einem Prozent, das können Sie sogar nachlesen. Von explodierenden Autos einmal ganz abgesehen – ein Mythos, den Hollywood erschaffen hat. Kommt vor, ist aber noch unwahrscheinlicher als ein Fahrzeugbrand.« Er verzog verächtlich die Mundwinkel. »Und dann wäre da noch die Möglichkeit, dass es bei dem Unfall zum Einsatz von Plastiksprengstoff gekommen ist. Das spricht eindeutig dafür, dass jemand nachgeholfen hat, um den Fahrer ins Jenseits zu befördern.«

»Sicherlich ein guter Ansatz für unsere Ermittlungen. Aber mehr auch nicht«, schnitt ihm Jana das Wort ab.

»Ich werde Ihnen schnellstmöglich einen ausführlichen Bericht zukommen lassen, Frau Brinkhorst. Wenn Sie mich dann jetzt entschuldigen würden, ich würde gern heimfahren. Es gibt hier ohnehin nichts mehr für mich zu tun.«

»Dann will ich Sie nicht länger aufhalten. Danke, dass Sie sich die Zeit genommen haben«, verabschiedete sich Jana von dem LKA-Mann und hielt nach Kruse Ausschau. Ob er schon herausgefunden hatte, wer den Unfall bei der Leitstelle gemeldet hatte?

»Was Neues?«, fragte sie kurz darauf, als sie auf den Kollegen zuging.

»Wir versuchen, den Anrufer zurückzuverfolgen«, meinte Kruse.

»Dann bin ich ja mal gespannt, was dabei herauskommt.«

»Und, was konnte dieser Brandursachenermittler berichten?«

»Dass er keine Zweifel daran hat, dass das Feuer mutwillig herbeigeführt wurde. Also nichts Neues. Ich schlage vor, dass wir Steffen einsammeln, und dann bring ich euch zurück ins Präsidium. Ihr könnt Feierabend machen. Ich werd’ noch Wellenbrinks Witwe aufsuchen, wobei wir davon ausgehen können, dass nicht ich ihr die traurige Nachricht vom Tod ihres Mannes überbringen muss. Das hat mit Sicherheit schon der Schwiegervater übernommen.«

 

3. Kapitel

 

Als sie Kruse am Präsidium abgesetzt hatte, erklärte sich Steffen Hempel spontan bereit, sie zu begleiten. Die Wellenbrinks bewohnten eine luxuriöse Landhausstil-Villa mit pastellgelber Putzfassade. Vor den Sprossenfenstern waren grüne hölzerne Jalousien angebracht. Der Grotiusweg lag in einer der teuersten Gegenden Hamburgs, im Stadtteil Blankenese. Das gusseiserne Tor zur Auffahrt des Anwesens war geöffnet, als ob ihre Ankunft bereits erwartet wurde.

»Imposant«, murmelte Hempel, als sie im BMW den Weg zur Villa hinaufsteuerten.

»Schätze, mit drei Millionen wärst du dabei«, scherzte Jana.

»Ich werd’ Stöver Bescheid geben, dass eine Gehaltserhöhung überfällig ist«, konterte Hempel trocken.

Jana parkte direkt hinter einem Rolls Royce, der dem Kennzeichen nach vermutlich Ferdinand Wellenbrink gehörte, dem Familienoberhaupt und Inhaber der Anwaltskanzlei Wellenbrink & Partner. Der Name war seit mehr als hundertdreißig Jahren fester Bestandteil der gehobenen Hamburger Gesellschaft. Entsprechend groß war mittlerweile auch der Einfluss, den die Familie in gewissen Kreisen ausübte, wovon sich die Hauptkommissarin heute selbst hatte überzeugen können.

»Dann wollen wir mal«, meinte sie kurz darauf, als sie auf den Klingelknopf drückte.

Es dauerte nicht lange, bis geöffnet wurde. Die Hausdame der Wellenbrinks begrüßte die beiden Ermittler freundlich und führte sie ins Wohnzimmer, wo sie bereits erwartet wurden. Bei der zierlichen Person mit den weichen Gesichtszügen und dem pechschwarzen schulterlangen Haar handelte es sich ganz offensichtlich um Valerie Wellenbrink. Die Ehefrau des Toten hatte dem Aussehen nach in den letzten Stunden viele Tränen vergossen – trotz ihres angeschlagenen Zustands war sie unübersehbar hübsch.

Ferdinand Wellenbrink machte rein äußerlich einen gefassten Eindruck. Jana kannte den Mann bisher nur aus den Medien, sie war ihm noch nie persönlich begegnet. Er verstand es immer wieder, sich selbst und seine Prozesse medienwirksam zu vermarkten. Im Fernsehen hatte er wesentlich größer ausgesehen, dachte sie, als sie sich gegenüberstanden. In Wahrheit musste er sogar einige Zentimeter kleiner als sie sein. Sein Haar war komplett ergraut, die Gesichtszüge wirkten hart, und sein Blick drückte eiserne Entschlossenheit aus. Aus blaugrauen Augen taxierte er sie. Doch der perfekt sitzende Maßanzug konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass Ferdinand Wellenbrink ein Wolf im Schafspelz war. Sein Ruf eilte ihm voraus, und allem Anschein nach wurde er diesem allein schon durch sein Auftreten durchaus gerecht.

»Setzen Sie sich doch bitte«, forderte das Familienoberhaupt die beiden Beamten nach einer kurzen Begrüßung auf und deutete auf das kaffeebraune Ledersofa. Dass er sofort die Gesprächsinitiative übernahm, schien Valerie Wellenbrink offensichtlich nichts auszumachen.

»Dürfen wir Ihnen etwas zu trinken anbieten?«

Die beiden Beamten lehnten dankend ab, woraufhin Wellenbrink die Hausdame aus dem Wohnzimmer schickte.

Jana ließ kurz den Blick durchs Zimmer schweifen, das gut und gerne die Größe ihrer kompletten Mietwohnung hatte. Die Einrichtung wirkte elegant, teuer und dennoch nicht protzig. »Zunächst einmal möchten wir Ihnen unser aufrichtiges Beileid aussprechen, Frau Wellenbrink«, wandte sie sich zuerst an die Ehefrau des verstorbenen Rechtsanwaltes.

»Danke, das wissen wir zu schätzen«, erwiderte Ferdinand Wellenbrink und unterstrich somit, wie die weitere Befragung ablaufen würde. Genau das hatte Jana befürchtet. »Gibt es mittlerweile irgendwelche Erkenntnisse, die darauf hindeuten, dass der Unfall meines Sohnes vorsätzlich herbeigeführt wurde?«, kam er sogleich zur Sache.

»Aufgrund der uns vorliegenden Informationen gehen wir im Moment davon aus«, bestätigte sie.

»So etwas habe ich mir schon gedacht.«

»Weswegen? Gab es einen konkreten Anlass?«

»Nein, das nicht. Aber ich brauche Ihnen vermutlich nicht zu erklären, dass mein Sohn als Anwalt nicht nur Freunde hatte.« Kaum dass Wellenbrink senior zu Ende gesprochen hatte, war ein lautes Schluchzen von seiner Schwiegertochter zu vernehmen. »Valerie, so reiß dich doch vor den Ermittlern zusammen«, forderte er die Trauernde harsch auf.

Keine Spur von Mitleid, wie Jana mit Bedauern feststellen musste. »Sie spielen auf die Prozesse an, die Ihr Sohn in den letzten Jahren geführt und zu großen Teilen gewonnen hat«, erwiderte sie, ohne eine Antwort zu erwarten, die auch nicht kam.

Der Tote, Julius Wellenbrink, war ein international anerkannter Strafverteidiger gewesen, der in den letzten Jahren mehrere spektakuläre Prozesse geführt und gewonnen hatte, selbst wenn seine Mandanten zu Beginn einer Verhandlung kaum Aussicht auf einen Freispruch gehabt hatten. Der Gedanke lag nahe, dass er sich hierbei einige Feinde gemacht hatte. »Lag eine konkrete Bedrohung gegen Ihren Sohn vor?«

»Eine?« Der Patriarch ließ ein höhnisches Lachen ertönen. »Ich lasse Ihnen die Drohbriefe und E-Mails morgen zustellen. Dann können Sie sich Ihr eigenes Bild machen. Wobei die Erfahrung zeigt, dass Sie Julius’ Mörder höchstwahrscheinlich nicht darunter finden werden. Die wahren Gefahren lauern da, wo man sie am wenigsten erwartet.«

»Haben Sie einen bestimmten Verdacht?«, hakte Jana nach.

»Bedauerlicherweise nein.«

»Hat sich Ihr Mann in den letzten Tagen auffällig verhalten? War er zum Beispiel nervös?«, unternahm sie einen weiteren Versuch, mit der Witwe ins Gespräch zu kommen.

Valerie Wellenbrink warf ihrem Schwiegervater einen verunsicherten Blick zu, als ob sie ihn um Erlaubnis bitten wollte, die Frage zu beantworten. Und tatsächlich deutete er ihr durch ein kurzes Kopfnicken an, dass sie antworten dürfe. »Nein, alles war wie immer. Er wirkte zwar etwas angespannt, weil der Prozess gegen diesen Ben Luger bald beginnen sollte. Aber das war nicht ungewöhnlich. Larissa und mir gegenüber hat er sich ganz normal verhalten.«

»Larissa ist Ihre Tochter, nehme ich an.«

»Richtig. Sie ist völlig fertig mit den Nerven. Die Kleine ist … war Julius’ ganzer Stolz. Sie ist erst letzte Woche elf geworden. Und«, die Witwe schniefte, »jetzt muss ich ihr erklären, dass ihr Papa nicht mehr nach Hause kommt.«

»Wissen Sie, wohin Ihr Mann unterwegs war, als sich der Unfall ereignete?«

»Das ist eine seltsame Geschichte«, war es wieder Ferdinand Wellenbrink, der das Wort ergriff.

Offenbar hatte es heute keinen Zweck, die Befragung mit der Witwe zu führen. Das würde sie später nachholen, beschloss Jana.

»Seine Sekretärin hat mir erzählt, dass er plötzlich aus dem Büro gestürmt ist und sie angewiesen hat, alle Termine für heute abzusagen. Ohne jegliche Erklärung, das sieht ihm eigentlich gar nicht ähnlich.« Der alte Wellenbrink runzelte die Stirn.

»Das ist interessant«, befand Jana.

»Sie sollten die Telefongespräche meines Sohnes zurückverfolgen lassen. Die Sekretärin glaubt, dass Julius unmittelbar vor seinem Aufbruch telefoniert hat.«

»Das hätten wir ohnehin getan, wie Sie sich denken können, Herr Wellenbrink«, ergriff nun Hempel zum ersten Mal das Wort. »Das verstehen wir unter polizeilicher Routinearbeit.«

Jana konnte sich ein leichtes Grinsen nicht verkneifen. Sie ahnte, dass es in ihrem Kollegen brodelte, da er mit Menschen vom Schlage Ferdinand Wellenbrinks noch weniger anfangen konnte als sie selbst. Und sie war schon mächtig genervt. Da spielte es auch keine Rolle, dass dieser Wichtigtuer gerade erst seinen Sohn verloren hatte. »Sie glauben also, dass Ihr Sohn einen Anruf erhalten hat, der ihn dazu veranlasste, alles stehen und liegen zu lassen, um wohin auch immer zu fahren?«, griff sie Wellenbrinks Gedanken auf.

»Genau.«

»Danke für diese Information, wir werden sehen, ob sie uns weiterbringt.

---ENDE DER LESEPROBE---