7. Bubenreuther Literaturwettbewerb - Christoph-Maria Liegener - E-Book

7. Bubenreuther Literaturwettbewerb E-Book

Christoph-Maria Liegener

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Beschreibung

Hiermit liegt die Anthologie zum siebten Bubenreuther Literaturwettbewerb vor. Wie bei den vorigen Wettbewerben wurden die besten Texte ausgewählt und mit den drei Siegertexten in einem Band präsentiert. Es ging darum, einen breiten Querschnitt der eingesandten Beiträge zu erstellen, der nicht nur eine Hauptströmung darstellt, sondern die ganze Vielfalt der hier zutage tretenden Aktivitäten widerspiegelt.

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Seitenzahl: 471

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Christoph-Maria Liegener (Hrsg.)

7. Bubenreuther

Literaturwettbewerb 2021

© 2021 Christoph-Maria Liegener

Herausgeber: Christoph-Maria Liegener

Verlag und Druck: tredition GmbH, Halenreie 42, 22359 Hamburg

Druck in Deutschland und weiteren Ländern

ISBN:

978-3-347-42750-1 (Paperback)

978-3-347-42751-8 (Hardcover)

978-3-347-42752-5 (e-Book)

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Das Copyright der einzelnen Texte liegt bei den jeweiligen Autoren. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung der Autoren und des Verlages unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Inhalt

Vorwort

Die Siegertexte

Erster Platz: Rebecca Netzel

Zweiter Platz: Kaia Rose

Dritter Platz: Heinz Strehl

Weitere ausgewählte Werke

Ralf Hilbert

Werner Siepler

Herbert Glaser

Mona Ullrich

Wolfgang Rinn

Katja Baumgärtner

Lisa Deutschmann

Carsten Stephan

Hermann Bauer (München)

Nikolaus Luttenfeldner

Irmgard Aschenbrenner

Helmut Blepp

Nadine Buch

Gad Kaynar Kissinger

Christiane Menschwärts

Karin Jessica Krause

Jochen Neuffer

Wolfgang Uster

Ronja Schrimpf

Dorothea Schug

Torsten Krippner

Volker Stahlschmidt

Angelika Lichteneber

Lutz v. Kohlenbeisser

Norbert Schäfer

Nina Felber

Ingeborg Henrichs

blume

Martina Mallon

Dyrk-Olaf Schreiber

Sonja Gruber

Sigrid Hamann

Sarah Nitsche

Rolf Blessing

Michael Vock

Annika Klempel

Laurenz Classen

Sonja Schirmer

Pascal Polosek

Inge Jung

Eusebius van den Boom

Helga Licher

Joshua Clausnitzer

Lilli Teich

Stefanie Maurer

Reinhild Paarmann

Judith Kühnert

Hannah Essing

Doreen Jaafar

Hanne Turowski

Jürgen Rösch-Brassovan

Sabine Reifenstahl

Philipp Ammon

Max Schatz

Mir-Hamid Omrani

Bernd Daschek

Lieselotte Degenhardt

Irmgard Wackerzapp

Dörte Müller

Sabine Nölke

Sabine Annabell Sauer

Carina Dubbert

Gisela Baudy

Uwe Dräger

Christian Baudy

Sarah Siebers

Sonja Dohrmann

Thedy van Goy

Claudia Dvoracek-Iby

Olga Polikevic

David Schneider

Roland Ruether

Beat Meyenhofer

Thomkrates (Thomas Klinger)

Jandra Schröder

Annemarie Aichele

Astrid Holzmann-Koppeter

Julius Stockheim

Michael Kolja Kölling

Claudio Thomás Bornstein

Cleo A. Wiertz

Saskia Bannister

Willi Volka

Jack Yuyang Ye (Pseudonym: Werner Weiss)

Hanifi Nacarli aka Murat Kamil

Andreas Kirn

Thorsten Franck

Michael Kothe

Oliver Fahn

Lisa-Katharina Hensel

Susanne Ulrike Maria Albrecht

Fritz Herbst

Claudia Kemmer

Jutta Gornik

Andreas Kircher

Christof Schäfer

Alexander Klymchuk

Ulrich Borchers

Sabine Schildgen

Monika Gröger

Angelika Leithe

Anna Mehlmann

Erwin Macher

Christiane Schwarze

Christa Issinger

Lena Geiger

Ramona Wesselow-Krystosek

Werner Haussel

Ted Mönnig

Laura Farrensteiner

Julian Funke

Mary Jane Woock

René Gröger

Erich Carl

Didi Costaire

Bernd H. Kandir

Leonie Hermann

Josef Maria Hader

Cornelia Schulz

Harald Gesterkamp

Günther Pilarz

Eva Joan

Franck Sezelli

Carolina Reichl

Stina Bartling

Andrea Schmidbauer

Jutta Schönberg

Tulio Augusto Lobo

Michael Georg Bregel

Ludmilla Pettke

Jule Viefhues

Renate Müller

Maximilian Wust

Svea Ninke

Ulli Soak

Karin Wüste-Sallouh

Sandra Ahnamai

Erich Pfefferlen

Carola Vahldiek

Vanessa Cutui

Alexander Da Re

Ramona Schüßler

Norbert Staffen

Stephan Tikatsch

Birgit Mattausch

Kristina Holler

Margit Heumann

Samira Schogofa

Heidemarie Opfinger

Luca Hilbert

Sabine Quint

Tami-Denise Sannemann

Michael Aulfinger

Burkhard Bartsch

Sandra Brückner

Diana Keppler

Pascal Oßadnik

Julia Dankers

Henning Mertens

Andreas Kleingrothe

Evelyn Langhans

Marianne

Vamekh Okujava

Karsten Ricklefs

Jürgen Artmann

Cindy Jegge

Erik Jascha Henne

Lasse Thoms

Debora Weiß

Winfried Dittrich

Werner Krotz

Lean Malin Wejwer

Heinz Kröpfl

Niklas Nissen

Harry Krumpach

Vanessa Stöter

Petra Lohan

Béatrice Sassi-Ehinger

Dania Habaal

Manuel Otto Bendrin

Thomas Wehr

Janine Lenkardt

Renate Claudia Hirschmann

Nathalie Lochner

Laura Blümel

Wolfgang Rödig

Delia Scheld

Lara Trinkl

Stephan Besner

Ben Berlin

Andrea Schatz

I.J. Melodia

Miklos Muhi

Manuela Nimmervoll

jottpeh

Lea Fedora Heiden

Anika Hoffmanns

Sabine Grützmacher

Robert Füllenbach

Sabine Brandl

Adhikari Nadine

Jimmy Brainless

Karolin Billing

Daniel Mylow

Ingrid Hägele

Heike Altpeter

Maike Hamman

Sibylle Meyer

Detlev Zesny

Steve Strix

Josephine Hischke

Bernd Kleber

Detlef Siehl

Nele Bauerfeind

Anna Jagdmann

Andreas Köllner

Hannelore Futschek

Marion Decker

Katharina Zanon

Hannah Boxleitner

Eline Menke

Brigitte Pixner

Gottfried Pixner

Christina Müller

Wolfgang ten Brink

Werner Pelzer

Ursula Wieser

Jeannette Overbeck

Oliver Guntner

Christine Roth

Ramona Pechmann

Ellis Wessel

Jens-Philipp Gründler

Maximilian Fischer

Eva Schreiber

Carolin Kretzinger

Tom Reichelt

Sandra Augsten

Kristina Baumgarten

Frederik Durczok

Steffen M. Diebold

Maria Lehner

Magdalena Freitag

Thomas Michael Keller

Stefan G. Wolf

Angéla Ciecelske

Claudia Büscher

Liane Locker

Olga Kovalenko

Johann Seidl

Tihomir Popović

Susi Menzel

Dominika Rauscher

Ingrid Reidel

Gerwin Haybäck

Lena Rupp

Ronja Cvingl

Mateusz Gawlik

Emi Amsel

Carmen Keßler

Hannah Prehsler

Olaf Rendler

Finn Lorenzen

Jasmin Maria David

André Riedl

Dagmar Dusil

Charis Haska

Philip Dingeldey

Sven Beck

Louisa Dormann

Gernot Weise

Janina Mähleke

Isabel Neumerkel

Leonid Nisnevitsch

Verena Liebers

Michael Hetzner

Martin Kobe

Barbara Guggenbichler

Helmuth Schönig

Norbert Autenrieth

Caroline Duda

Tobias Hoffmann

Anja Sofie Kleemann

Sarah Sepke

Jana Kiwus

K. Klausens

Philip Hart

Tina Ludwig

Vincent Schmidt

Victoria Pavot

Manuela Ahrens

Mücahit Türk

Sybille B. Lindt

Philip Grigoleit

Jochen Stüsser-Simpson

Barbara Braun

Karolin Schlicht

Evelyn Baier-Schmid

Philipp Zachhuber

Rüdiger Heins

Michaela Hasslacher

Jasmin Lincke

Lucie Fox

Manon Bauer

Toni Muszi

Jonas Thüringer

Martina Bracke

Heike Ludwig

Jon Jürries

Thomas Schubardt

Sarah Henneke

Marcus Prochaska

Sanja Abramovic

Michael Köhler

Volker Oslender

Monika Hürlimann

Marvin Czerlinski

Louisa Fäßler

Katharina Schaumann

Jessica Jübermann

Dorothea Lesche

Yoanna Schulz-Zhecheva

Monika Loerchner

Anita Hetzenauer

Simon Leib

Marvin Hucke

Simon Bernart

Vorwort

In den bisherigen Anthologien zum Bubenreuther Literaturwettbewerb wurden von mir zu vielen Beiträgen Kommentare abgegeben. Diese blieben nicht unumstritten. Manche Leser fanden, sie sollten weggelassen werden, andere fanden sie zu kurz, wieder andere waren enttäuscht, wenn sie als Autoren keinen erhalten hatten. Dabei die Mitte zwischen den Extremen zu treffen, dürfte nicht leicht sein. Mein Gedanke dazu ist der folgende: Wer die Kommentare nicht mag, kann sie überspringen. Schließlich sind sie deutlich als solche gekennzeichnet. Ließe ich sie aber weg, so wären diejenigen enttäuscht, die sie mögen. Ich bin schon zuweilen von Autor/innen gefragt worden, warum ihr Beitrag nicht kommentiert worden sei. Dann tut es mir schon wieder leid, nicht alle Beiträge kommentiert zu haben. Aber das würde den Rahmen sprengen. Wenn ich aber auch nur einen Kommentar wegließe, der dem entsprechenden Autor/ der entsprechenden Autorin gefallen könnte, so wäre das doch schade. So wird es für diesmal bei den Kommentaren bleiben, wobei ich aber Anzahl und Umfang merklich reduziert habe.

Auch die Heterogenität der Texte wurde beklagt. Diese liegt nun allerdings in der Natur der Sache. Wenn so viele verschiedene Schreibende ihre Texte beitragen, wird es immer Inhomogenitäten geben. Man könnte eine gewisse Homogenität durch Vorgabe eines Themas erreichen, aber dadurch würde man die Schreibenden gängeln. Letztlich will man doch in der Anthologie die besten Werke jedes Teilnehmenden auffinden. Das sollte nicht dadurch verhindert werden, dass ein Werk nicht zum Thema passt.

Leider können nach wie vor nicht alle Beiträge in die Anthologie aufgenommen werden. Immer wieder tut es mir leid, wenn ich einen Beitrag nicht zulassen kann. Andererseits wurde mir sogar schon nahegelegt, restriktiver bei der Auswahl zu sein, weniger zuzulassen. Nicht alle Beiträge wiesen eine ausreichende Qualität auf, wurde bemängelt. Auch hier musste ich einen Mittelweg finden. Insbesondere muss ich sagen, dass die Qualität der Texte nicht das einzige Kriterium für eine Aufnahme in die Anthologie darstellt. Auch die Authentizität spielt eine Rolle. Es gibt in diesen Anthologien Texte, die viel über ihre Autorinnen und Autoren aussagen, Texte, wie man sie sonst selten findet, Texte, die meist nur im Familien- oder Freundeskreis weitergegeben werden, Texte, die originell, manchmal fast vertraulich sind. Solche Texte finde ich wertvoll und ich habe einige von ihnen aufgenommen, auch wenn sie manchen literarischen Ansprüchen nicht genügen mögen.

In der Anthologie soll ein Querschnitt des Schaffens der Autoren / Autorinnen gezeigt werden. Es ging nicht darum, Beiträge zu überarbeiten, um sie gefälliger zu machen. Alle Beiträge blieben authentisch. Selbst Korrekturen wurden auf eine überschaubare Anzahl von Fällen beschränkt. So soll ein Einblick in das Werk der Beitragenden gegeben werden.

Dementsprechend verbleibt die Verantwortung für die Texte bei den Schreibenden.

Die bewährte Beschränkung der Länge der Texte auf 3000 Zeichen inklusive Leerzeichen pro Einsendung wurde beibehalten, ebenso der Aufbau der Anthologie: Mit den Siegertexten wurde begonnen. Die weiteren ausgewählten Texte erscheinen in der Reihenfolge ihres Eingangs. Wiederum konnten nicht alle eingereichten Texte aufgenommen werden. Es nicht geschafft zu haben, soll niemanden entmutigen.

Aus gegebenem Anlass möchte ich noch etwas Allgemeines zur Veröffentlichung von Texten sagen: Der erste Schritt ist getan, wenn man über seine Gedanken und Gefühle schreibt. Dieses Geschriebene dann zu veröffentlichen, ist ein weiterer Schritt, bei dem man aber bedenken muss, dass danach jeder den Text lesen kann. Hier ist es gut, einen Filter einzubauen, um zu gewährleisten, dass der Text einen nicht verletzlich macht. Ganz allgemein ist es so, dass es bei einem literarischen Text beides geben muss: Inhalt und Form. Der Inhalt ist oft eine Verarbeitung von Gedanken und Gefühlen, mit denen man sich beschäftigt. Die Form kann von verschiedenster Art sein, z.B. bei einem Gedicht eine Reimstruktur, verbunden mit einer geeigneten Metrik. Ein wichtiger Punkt ist: Die Form kann der Filter sein, der den Inhalt und damit die Autorin / den Autor vor der Welt schützt. Natürlich verleiht die Form letztlich dem Gedicht auch seine Schönheit. Insofern ist die Form nicht nur eine Schikane, sondern in mehrerer Hinsicht auch eine Hilfe.

Meiner Familie möchte ich für die anhaltende Unterstützung danken. Natürlich möchte ich auch allen Autoren und Autorinnen danken, die etwas eingesendet haben. Dadurch wurde diese Anthologie erst möglich. Die Autoren und Autorinnen tragen den Wettbewerb. Das verdient Anerkennung.

Dr. Dr. Christoph-Maria Liegener

Die Siegertexte

Erster Platz: Rebecca Netzel

Die Seele der Bäume

Wir sind das Grüne Volk,

das Volk der Stehenden Leute.

Mit erhobenen Zweigen

beten wir zur Sonne.

*

Wir wiegen uns im Wind

und flüstern mit der Brise.

Aufrecht stehen wir,

beugen uns keinem Sturm.

*

Und wenn ein Orkan uns bricht,

so bricht er nicht unsere Kraft.

Denn wieder schlagen wir aus,

nach Unwetter oder Feuer.

*

Unser Atem spendet Kraft,

aus uns Wäldern steigen Wolken.

Unsere Wurzeln hüten Wasser

und die Früchte spenden Nahrung.

*

Sieh die Pantomime der Äste!

Höre das Raunen unserer Kronen!

Lerne von der uralten Weisheit,

vom Volk der Grünen Leute!

Kommentar: Die Autorin ist mit ihrer Familie in eine Großfamilie der Kul Wikásha Lakota, eines Stammes der Native Americans, adoptiert worden und hat deren ganzheitlich-ökologische Naturverbundenheit übernommen. In diesem Gedicht spürt sie den Bäumen nach, versucht, ihre Seelen zu erfassen. Spätestens seit der Klimakrise wissen wir, dass die Bäume uns nicht nur guttun, sondern sogar lebensnotwendig für uns sind. Der Text hilft uns, die Bäume besser zu verstehen. Man kann die Bäume förmlich hören.

Zweiter Platz: Kaia Rose

BRUCHSTÜCKE

»Geh nicht«, bat er, aber er sagte es erst, als sie den Fuß schon auf die Schwelle gesetzt hatte und beide wussten, dass es zu spät war. Trotzdem tat es ihr gut, diese Worte aus seinem Mund zu hören: Geh nicht.

Sie überlegte, was sie ihm antworten sollte, doch jeder Satz, der ihr in den Sinn kam, klang zu pathetisch, um ihn auszusprechen. Ein Teil von mir wird immer bei dir bleiben, wer sagt denn so etwas im echten Leben? Obwohl es die Wahrheit war.

Für einen Sekundenbruchteil erwog sie, tatsächlich zu bleiben. Aber damit täte sie weder sich noch ihm einen Gefallen. Jetzt, wo sie den Kampf bis zum Ende geführt und ihre Niederlage angenommen hatten. Wo sie den Abschied zelebrierten und sich schon mit wohligem Schauer auf den Schmerz vorbereiteten, der danach kommen würde. Nein, Bleiben war keine Option. Jetzt nicht mehr.

Sie entschied sich dafür, nichts zu sagen. Aber sie blickte ihm in die Augen, direkt, wie sie es immer getan hatte. Sie ließ die Wärme zu, die immer noch zwischen ihnen wogte. Und lächelte ihn an. Er wirkte überrascht, ein wenig verunsichert, und wagte nicht, ihr Lächeln zu erwidern. Aber sie kannte ihn. Sie wusste, wie gut es ihm tat.

Mit einem Mal wurde ihr klar, dass sie nicht nach Worten zu ringen brauchte. Alles, was gesagt werden musste, legte sie in ihren Blick. Sie war sicher, dass die nicht in Worte zu fassende Botschaft ihn auf diese Art erreichen und in ihm fortwirken würde. Ihr Lächeln bildete den Grundstein, auf dem sie eines Tages, in ein paar Monaten oder in ferner Zukunft, vielleicht eine neue Brücke würden bauen können. In diesem Moment schwor sie sich, ihm immer mit einem Lächeln zu begegnen – wann und wo sich ihre Wege auch kreuzen sollten. Ihr Lächeln war ihm gewiss.

Seine Züge entspannten sich. Als hätte er ihre Gedanken gelesen. Jetzt begann auch er zu leuchten. Alles war gut.

Sie drehte sich um und verließ die Wohnung.

Kommentar: Analyse eines Augenblicks, der ein Leben verändern kann und doch mit nur einem Lächeln zu einer Weichenstellung führt. Was alles in diesem kurzen Lächeln liegt! Am Ende versteht man es.

Dritter Platz: Heinz Strehl

Die Falsche

Du hast falsche Wimpern.

Deine Stimme klingt so rau.

Auf dem Klavier kannst du nur klimpern.

Du bist die falsche Frau.

Die Fingernägel schwarz lackiert.

Ein Piercing ziert die Unterlippe.

Die Haare wie ein Punk frisiert.

Die Hand hält lässig eine Kippe.

Tätowiert an Bauch und Rücken.

In den Farben rot und blau.

Das kann mich nicht verzücken.

Du bist die falsche Frau.

Was ist an dir, das mir gefällt?

Was wäre, wenn ich bliebe?

Was mich an deiner Seite hält?

Die Antwort lautet: Liebe.

Kommentar: Humorvolle Lyrik, die auch noch klingt. Ein etwas anderes Liebesgedicht. Die überraschende 180-Grad-Kehrtwende am Schluss ist es, die überzeugt.

Weitere ausgewählte Werke

Ralf Hilbert

Herbst

Wozu dann noch -

wenn es nicht weitergeht,

wenn der Sommer zu Ende -

ich möchte lieber nicht.

Du spieltest Cello,

das herbe Holz,

des Jahres dunkler Bogenstrich -

der Corpus blüht.

Werner Siepler

     Was solls

Der moderne Mensch geht mit der Zeit,

hat Dinge von großer Wichtigkeit

auf einer “TO-DO-Liste“ stehen,

damit diese nicht untergehen.

Doch so manches Vorhaben dann floppt.

Das Schicksal den Plan rigoros stoppt.

Der Mensch es enttäuschend registriert

und um einen Wunsch nun ärmer wird.

Dennoch hat er sich recht schnell gefasst,

der Situation angepasst.

Seinen Misserfolg zu guter Letzt,

einfach auf die “WAS-Solls-Liste“ setzt.

Kommentar: Geradliniger Humor. Die Reime gefallen, würden aber mit metrischer Unterstützung noch besser wirken.

Herbert Glaser

Mein bester Freund

Ich habe einen Freund.

Einen guten Freund.

Einen wahren Freund, um genau zu sein.

Jemand, der immer für mich da ist.

Wer kann das schon von sich behaupten.

Wahre Freunde sind selten.

Wir lernen in unserem Leben viele Menschen kennen.

Pflegen freundschaftliche Beziehungen mit ihnen.

Und halten sie für wahre Freunde.

Bis etwas passiert, bei dem wir einen solchen Freund bräuchten.

Dann wird uns bewusst, dass wir uns getäuscht haben.

Wahre Freunde sind selten.

Ich habe einen.

Als Kind war ich ein Außenseiter.

Bis ich ihn kennen lernte.

Wir trafen uns häufig.

Er vermittelte mir das Gefühl von Geborgenheit.

Von Unbeugsamkeit und Männerfreiheit.

Ich war fünfzehn.

Pubertät im Endstadium.

Viele Bekanntschaften.

Nichts Ernstes.

Dann trat Maria in mein Leben.

Sie mochte ihn nicht besonders.

Er hätte einen schlechten Einfluss auf mich.

In ihrer Gegenwart fühlte sich seine Anwesenheit nicht

richtig an.

Die Treffen mit ihm wurden seltener.

Dann wurde Maria schwanger.

Das entfremdete mich völlig von ihm.

So trennten sich unsere Wege.

Meine neue Familie beanspruchte mich voll und ganz.

Ich war glücklich.

Bis Probleme auftauchten.

Erst in Kleinigkeiten.

Dann grundsätzlicher Art.

Mein Freund kam mir wieder ins Gedächtnis.

Könnte er mir in dieser Situation helfen?

Mir gut zureden und mich beruhigen?

Meinen Blick auf das Wesentliche richten?

Oder mich einfach nur für kurze Zeit ablenken?

Ich widerstand dem Drang, ihn zu kontaktieren.

Wollte meine Ehe retten.

Die Familie nicht verlieren.

Aber es wurde schlimmer.

Maria verließ mich und nahm die Kinder mit.

Endgültig.

Ich verlor den Halt.

Zeit für einen wahren Freund.

Wir hatten lange keinen Kontakt.

Obwohl er immer erreichbar gewesen wäre.

Heute brauche ich ihn.

Wie nie zuvor.

Ich suche ihn auf.

Ohne den geringsten Vorwurf kommt er mit zu mir.

Glücklich betrachte ich ihn.

Er hat sich nicht verändert.

Bietet mir seine Hilfe an.

Selbstlos wie immer.

Die Eiswürfel klimpern.

Ich schenke ein.

Proste ihm zu.

Ein kurzes Zögern.

Dann führe ich das volle Glas an die Lippen.

Trinke ihn in einem Zug.

Und schließe die Augen.

Er tut mir gut.

Wie sehr habe ich ihn vermisst.

Ich bin nicht mehr allein.

Werde es nie mehr sein.

Wahre Freunde sind selten.

Ich habe einen.

Mona Ullrich

Juli

Ich habe einen kleinen Laden in Berlin-Steglitz. Dort ist mein Atelier. Menschen kommen zu mir, um sich in besonderen Situationen aufnehmen zu lassen. Ich mache Bilder von Brautpaaren und Alten und Jungen. Auch Passbilder. Ich glaube, ich habe einen guten Ruf.

An freien Tagen ziehe ich mit meiner Kamera durch die Stadt und suche Orte und Szenen, die ich festhalten kann. Ich gehe überall hin, aber meistens halte ich mich in Parks und auf Bahnhöfen auf.

Ich werde den ersten Anblick der kleinen Trinkerin nie vergessen. Ich entdeckte sie letzten Sommer in einer künstlichen Grotte in einem der kleineren Parks.

Sie saß auf einem aufgerissenen Müllbeutel und ihrer Jacke und hatte Lumpen an, eine Jeans, ein loses und fleckiges blaues Hemd. Sie hielt den Kopf abgewandt und murmelte mit sich selbst. Vor ihr standen eine halbleere Weinflasche und ein Becher für Münzen, um den sie sich nicht zu kümmern schien. Sie sah uns nicht an.

„Entschuldigen Sie,“ näherte ich mich, „ich bin Fotografin. Darf ich ein Bild von Ihnen machen?“

Ich wiederholte meine Frage mehrmals, aber sie wandte sich mir nicht zu und antwortete nicht.

Der Anstand hätte verlangt, dass ich weiterging, aber ich bin Künstlerin. In der Kunst gibt es keinen Anstand.

Ich wollte diese junge Frau nicht einfach wieder vergessen. Ich hätte gerne gewusst, wie sie in diese Lage geraten war. War sie als Jugendliche von daheim ausgerissen und dann so tief gefallen? Wie sehr war sie vom Alkohol zerstört?

Ich machte einige Aufnahmen. Ich ging um sie herum. Sie beachtete mich nicht.

Am nächsten Wochenende kehrte ich dorthin zurück, und sie saß immer noch, schon wieder da. Drei leere Flaschen hatte sie vor sich stehen. Ob sie sich das Geld dafür zusammenbetteln konnte?

Es war ein heißer Tag. Ich trug eine Schirmmütze. Sie saß barhäuptig in der Sonne. An ihrer Kleidung hatte sich nichts verändert.

„Guten Tag, kann ich Ihnen irgendwie helfen?“ näherte ich mich.

Keine Antwort. Sie murmelte vor sich hin. Sie war jämmerlich dünn, eigentlich nur ein Häuflein Knochen.

Ich fotografierte sie und den ganzen Park. Ich war traurig. Daheim betrachtete ich dann meine Bilder. Ich stellte erstaunt fest, dass ich gute Arbeit geleistet hatte. Auf den Bildern waren ihr dünner Arm, ihre Lumpen, die große Nase ihres abgewandten Gesichtes deutlich festgehalten. Und der Schatten in ihrer hohlen Wange.

Ich tat die Fotografien in eine Mappe und schrieb darauf: Juli 2017. „Juli“ war doppeldeutig und konnte auch ein Name sein. Von da an hieß die Kleine für mich Juli.

Die Mappe tat ich in mein Archiv. Manchmal nehme ich an Wettbewerben teil, denn das ist gut für meinen Ruf. Ich dachte, Juli eigne sich für soziale Themen. Die Bilder klagten unsere Gleichgültigkeit im Umgang miteinander an, die solche Katastrophen nach sich zieht.

Denn Juli war das Opfer einer Katastrophe. Irgendjemand, irgendetwas hatte sie so zugerichtet.

Ich verließ die Stadt für einige Ferienwochen in Dänemark und kehrte erst im Herbst in Julis Park zurück. Ich ging stracks auf die Grotte zu. Da war niemand mehr. Da standen nur ein paar Kerzen in roten Behältern mit Stofftieren und einem Foto. Auf dem Foto war Juli zu sehen, ausnahmsweise von vorn und ganz freundlich. Das einzige Bild von ihr? Es war schlecht belichtet. Ich hätte das besser gekonnt.

Und war es ihr letztes Bild? Sie war aus der Welt gegangen, ohne dass ich es bemerkt hatte. Ich hatte ihr nicht helfen können.

Wozu machen wir Kunst?

Wolfgang Rinn

Sehnsucht

Ich weiß, du selbst bist niemals dort gewesen,

und doch hat hingezaubert deine Hand

in zarten Farben, die aus deinem Wesen

entsprungen sind, ein lichtes, helles Land.

Wie mögen dir der Sehnsucht weite Räume

von licht durchflossenen Gestalten glühn,

die aus dem Urgrund deiner Kindheitsträume

nun einem fernen Land entgegen blühn?

In weit geschwungnem Bogen fließt ins Meer

ein flacher Strand, gleich einer sanften Welle,

von weither kommend, um an solcher Stelle

sich hinzugeben, und das umso mehr,

als dieser Augenblick die Schwelle kündet,

wo Sehnsucht ihre wahre Heimat findet.

Kommentar: Von einem Meister des Sonetts eine kleine Betrachtung über den Ursprung der Sehnsucht.

Katja Baumgärtner

Für meine liebe Mutter

Mama, ich kann ganz schön mies zu dir sein

aber ich liebe dich so sehr,

dass Gletscher dahin schmelzen möchten.

Ich liebe dich so sehr,

dass für mich gerade die Zeit stehen bleibt,

weil du so weit fort bist.

Ich liebe dich so sehr,

dass ich dich ganz fest drücken möchte.

Ich liebe dich so sehr,

dass unser Kirschbaum im Frühjahr keine Knospen

mehr trägt,

weil du mir so fehlst.

Ich liebe dich so sehr,

dass ich ohne dich nicht schlafen kann und möchte.

Ich liebe dich so sehr,

dass ich ohne dich nicht mehr leben möchte.

Ich brauche dich gerade jetzt sehr.

Danke, dass du für mich besonders

in letzter Zeit da bist.

Lisa Deutschmann

Das Bett

Der Lattenrost knarzt vor Freude

über die Bewegungen.

Die Matratze genießt die Massage

und beweist Elastizität.

Das Leintuch sammelt den Schweiß

der erhitzten Körper.

Die Decke beschwert sich lautlos

über ihren Rauswurf.

Das Kissen erstickt den Lustschrei

des Höhepunktes.

Die Decke kommt zurück ins Bett

und Ruhe kehrt ein.

Carsten Stephan

Der allseitige Abgang im April, 1 Uhr nachts

Die welken Straßen, die genässten Zysten,

Das Ächzen in den Beckenrandgebieten,

Die kalten Töpfe, die verschwemmten Viten,

Das Fauchen in den grauen Baugerüsten.

Das Ächzen und das Fauchen und das Rinnen,

Das schwarze Rinnen in den Regenrinnen.

Die Wände brechen auf, die Lampen platzen,

Und etwas frisst die Imbissbude im April,

Den Damm, den Dom, den Dutt, den Dr. phil.

Sie alle gehen ab, man hört ein Schmatzen.

Im Erdgeschoss verfließt ein weicher, fetter,

Ein aufgelöster Mann vorm Fernsehwetter.

Die Kräne stürzen um, die Ritzen blitzen,

Und etwas schnappt nach den Paketzustellern:

Man hört das Kollern in den feuchten Kellern,

Das Schreien und das Schlitzen und das Spritzen.

Man sieht acht Männer an dem Blitzableiter,

Der Mond wird aufgefressen und so weiter.

Die Sterne schlagen ein, die Theken knarren,

Drei Männer ordern tapfer einen Schirm,

Den Rum, das Reck, die Ruth, den Regenschirm.

Der Wirt läuft aus, es gluckst wie: Flieht, ihr Narren!

Man hört das Knuspern, man sieht leere Kragen,

Und viel mehr ist dazu auch nicht zu sagen.

Nikolaus Luttenfeldner

MONDNACHT

Der Mond

schickt seine Silberstrahlen

durch Zweige und Geäst,

die im Sommerwind

sich sachte regen,

als wär’s ein Tanz

zu einer Melodie,

die der Nachthimmel singt.

Wer die Nacht durchstreift,

Tier oder Mensch,

kennt dieses Lied,

wie auch ich,

der ich umfangen bin

vom süßen Licht.

Kommentar: Eine schöne Beschreibung einer Stimmung.

Merkwürdig: Während die Stimmung beschaulich zu sein scheint, wird durch die Kürze der Zeilen Unruhe erzeugt. Insgesamt jedoch ein positiver Eindruck.

Irmgard Aschenbrenner

KIMOLOS

Flirrendes Wasser

im dunklen Dunst steht die Sonne,

beide wie Feuer flammend während

die schwarze Landzunge

die Scheibe von ihrem Widerschein trennt.

So getrennt ist durch die Felseninsel

der hinausfahrende Kahn

von der bewegungslosen Gestalt des Fischers,

zarte Figur am steinigen Wasserrand.

Auch die Fähre löst sich

und lässt das ruhende Archipel zurück,

das Rot ist vorher schon im Grau versunken.

Helmut Blepp

Am Strand

Die Segel sind geflickt

das Meer liegt ruhig wie damals

Nun fahr zu

Und grüß mir die da drüben

die am Strand die Segel flicken

zu kommen übers Meer

Nadine Buch

Die kleine Libelle

Der Wind so eisig, trotz eines glühenden Sommers. Die Ironie im Gesang der Vögel. Selbst unsere Worte ohne Stimme blieben. Allein die Blicke die Wahrheit sprachen. Eine Umarmung, so nah einander, wie noch nie. Eine Hand die andere hielt – ganz fest. Doch wissend, dass eine für immer entschwindet.

Tränen das Meer der Verzweiflung füllten, und Sonnenstrahlen wie Blicke einer fremden Macht entbrannten.

Alle sich zusammentaten und den Frieden in die Mitte nahmen.

Die kleine Libelle.

So schwer ihr Flug des Morgens. Auf dem rauen Asphalt sie lag – sterbend.

Der Fluss des Lebens um sie herum drängte weiter.

Nur einer den Kopf senkte.

Nur einer sie sah.

Als das letzte Tageslicht – alle Hüllen in Gold getaucht – noch einmal unsere Herzen streifte. Als alle Vögel noch einmal ihre Strophen sangen. Und als alle Kinder ein letztes Mal an diesem Tage einen Blick hinauf zum Himmel warfen, schaute sie auf uns herab.

Befreit von all den Lasten.

Endlich leicht sie des Abends.

Nun fliegt sie woanders. Inmitten einer schönen Welt, die uns verborgen.

Kommentar: Stimmungsvolle Skizze eines Naturerlebnisses. Nur die vielen Inversionen, die hier schon fast systematisch eingesetzt werden, stören den Lesefluss.

Gad Kaynar Kissinger

Deutsch: Liliane Meilinger

Schweigen

Zwischen uns stand Schweigen.

Stand da.

Wollte sich nicht setzen.

Nichts trinken.

Stand da.

Bis wir uns einander gegenüber

setzten.

Ohne uns anzusehen.

Ohne Hände zu halten.

Saßen da.

Schwiegen.

Christiane Menschwärts

Bitte – sag Ja

Kannst du die Sterne kreisen sehen

wenn du deine Augen schließt

und

kannst du dann verstehen

wieso ich sage

dass alles gar nicht schlimm ist

dass alles wunderschön ist

Und wenn du dich ausstreckst

in den Weltenraum

kannst du dann leise

in die Schwärze fallen

so sanft wie

Watte Federbetten

Kannst du dich

hin geben

und dann

ganz sachte

lernen zu schweben

Erinnerst du dich

wie es sich anfühlt

Ganz zu sein

ganz Hier und auch

ausgedehnt

in Raum und Zeit

bis deine Seelenspitzen

die Unendlichkeit kitzeln

Weißt du noch

wie es klingt zu lauschen

diesem köstlichen Klang

der Stille

wie Sternennebel

Fühlst du

wie die Galaxien

umeinander tanzen

sich einatmen

ausatmen

ausdehnen

Wie all das Sehnen

im luftleeren Raum

seine Kreise zieht

wirbelt und

neue Träume gebiert

Wie du

mit jeder Faser deines Seins

aufgehst

dich loslöst

eine Feder

an der Ewigkeit Schwingen

Und wenn du heimkehrst

in diesen Moment

wenn du deine Augen jetzt öffnest

kannst du die Sterne noch

kreisen sehen

und kannst du dann verstehen

wieso ich sage

dass alles gar nicht schlimm ist

dass alles wunderschön ist

und das Leben ein Traum

in dem du

erwachst

?

Sag Ja

Bitte

sag

   Ja !

Karin Jessica Krause

Mondlicht-Schatten

So still und so hoch erhoben

leuchtet der Mond vom Himmel zum antrazitschwarzen Boden.

Er erhellt nun die finstere Nacht,

offenbart, wovor die stockfinstere Dunkelheit zuvor einst hat bewacht.

Ein Spiegel von pechschwarzer Schönheit so elegant und doch rein,

bis das Mondeslicht auf diese traf so strahlend und fein.

Er brach das dunkle Schweigen

und brachte den Spiegel dazu, seine wahre Schönheit im Glanz des Lichtes zu zeigen.

So klar und so still mit dahinfließenden Wellen, als würde der Mond sich wollen auch dazugesellen.

So reflektiert sein Antlitz in diesem lau grauen Gewässer in deren Mitte

bis dass die Nacht vorüber zieht mit Mutter Naturs Bitte…

Jochen Neuffer

Der Versuch zu wohnen

Ich zahle Miete - und das nicht wenig. Die Miete wird berechnet pro Wohnfläche. Also versuche ich, die mir zur Verfügung stehende Fläche so effizient wie möglich zu nutzen. Schränke oder Regale hindern mich daran, mir teuer bezahlten Wohnraum sinnvoll zu erschließen. Bücher, Pullover und Geschirr wohnen nicht. Sie verbrauchen nur Platz. Sofa und Bett sind was anderes. Bei ihnen ist die Fläche zugänglich, wenn auch nicht auf dem Boden, sondern ein bisschen darüber.

Wenn ich in meinen Räumlichkeiten eine zweite Decke einzöge, könnte ich die Mieteffizienz schlagartig verdoppeln. Allerdings könnte ich dann entweder oben oder unten – oder oben und unten – nicht mehr aufrecht stehen. Ich könnte vielleicht eine Galerie oder eine Art Balkon einziehen und dann dort oben auf der Galerie oder dem Balkon meine Bücher, meine Pullover und das Geschirr unterbringen. Ich müsste dort oben nicht aufrecht stehen können, würde mir jedoch im Gegenzug unter der Galerie oder dem Balkon eine zusätzliche Fläche zur freien Nutzung verschaffen, die ich dann bewohnen könnte.

Die toten Winkel, wie sie zweifellos in jeder Wohnung vorkommen, sind mir ein Ärgernis. Der Platz zwischen Sofa und Wand oder zwischen Schreibtisch und Sessel sind Beispiele dafür. Um diese Stellen einer sinnvollen Nutzung zuzuführen, könnte ich zunächst die Zimmerpflanzen entfernen, die sich an solchen Stellen oft finden. Meine Zimmerpflanzen stehen schon seit Jahren an derselben Stelle. Sie fühlen sich wohl und mich stören sie nicht. Genaugenommen handelt es sich bei Zimmerpflanzen aber um Mietparasiten, die Fläche verbrauchen, ohne eine Gegenleistung dafür zu erbringen. Essbare Früchte tragen Zimmerpflanzen selten. Ihre Blätter sind nicht genießbar und für Salat völlig ungeeignet. Dem Einwand, dass Pflanzen für ein angenehmes Raumklima sorgten, entgegne ich, dass beherztes und regelmäßiges Lüften in meinen Räumen ebenso für ein angenehmes Raumklima sorgt. Das überhaupt angenehmste Raumklima entsteht ohnehin durch gute Musik, duftendes Essen und angenehme Gesellschaft.

An der Stelle, wo zuvor das Einblatt stand, steht also nun kein Blatt. Stattdessen sitze ich dort jetzt und trinke auf der freigewordenen Fläche meinen Tee. So steigere ich nicht nur die Mieteffizienz, sondern erweitere auch noch meinen Horizont, denn aus dieser Perspektive habe ich meine Wohnung noch nie betrachtet. Während ich so dasitze und der guten Musik zuhöre, fällt auf, dass die Lautsprecherboxen, die ich mir einst vom Konfirmationsgeld gekauft hatte, doch ziemlich groß sind. Fast schon eigenständige Möbelstücke. Wäre es nicht schön, einmal dort zu sitzen, wo jetzt diese Boxen stehen und von dort aus meinen Tee zu trinken? Ich überlege, für die Musikwiedergabe zukünftig auf Kopfhörer umzusteigen. Die Platzersparnis wäre enorm.

Meine Wohnung wurde eingerichtet, um mir jeglichen Komfort zu bieten, den ich damals glaubte, haben zu müssen. Aber nur wenig davon brauche ich wirklich. Sie muss zurückgebaut werden, denn nicht der zugestellte Wohnraum sorgt für Komfort, sondern die freie Fläche und die Möglichkeiten, die sich dort bieten. Das ist wahrer Reichtum und wahre Freiheit. Wer kann schon von sich behaupten, den Tee in seiner Wohnung an Dutzenden verschiedener Stellen zu sich nehmen zu können – ohne umzuräumen.

Kommentar: Satirischer Blick auf die gegenwärtige Wohnsituation in den Städten.

Wolfgang Uster

Heute und morgen

Es regnet in Strömen –

ein strömendes Regen,

durchweichte Gedanken

landauf und landab.

Es können die Flüsse

die Wasser nicht fassen,

die Massen stürzen

die Dämme hinab.

Zu eng die Betten,

es donnern die Schäume,

es splittern die Balken

vom Dachfirst herab,

in Schlammlawinen

auf Muren rutschen –

verhallt sind die Schreie

im lehmigen Grab.

Nun brechen die Inseln

in wütenden Fluten.

Es kann doch nicht sein,

was es gestern nicht gab!

Es drücken die Wogen

hinein in die Städte,

versalzt sind die Wälder,

schon bricht uns der Stab.

Da krachen die Brücken,

es knirschen die Masten,

verschmort unter Blitzen,

verschmort sind die Zitzen,

was sauget und zappelt,

was ruckelt und rappelt:

Das Leben, das Leben, das Leben!

Verseucht liegt die Aue,

mutiert sind die Weiden,

es trudeln Kadaver

den Globus hinab.

Ronja Schrimpf

Die siebte Tochter

Genau sieben waren es. Dorothee hatte sie immer wieder gezählt, obwohl sie ihre Anzahl besser kannte als jeder andere im Land. Sieben Stühle für sieben Zauberer im Land der sieben Monde. Und bald würde sich entscheiden, ob sie als einzige Sonne auf dem Thron mit ihnen herrschen würde.

Die Sache war nämlich die: Dorothee war als siebte Tochter des Königs geboren worden. Sieben, die magische Zahl. „Hexenkind“, nannten die einen sie. „Verflucht“, flüsterten die anderen. Denn ein Mädchen, das zaubern konnte? Undenkbar.

„Doro“, flüsterte eine Stimme in ihr Ohr, „Willst du wirklich darauf warten, dass sieben alte Männer über deine Zukunft entscheiden?“

Mit einer ungeduldigen Geste wischte Doro die Worte weg, die in der Luft vor ihr verblassten. Weitere Buchstaben erhoben sich, formten sich vor ihren Augen zu Worten und flüsterten: „Befreie uns!“

Doro schüttelte den Kopf und starrte auf die sieben leeren Stühle. Nicht mehr lange, und die Zauberer würden sich aus ihrer Beratung zurückziehen und auf ihre Stühle steigen. Dann würden sie Doro einen langen, missbilligenden Blick schenken und schließlich ihre Entscheidung verkünden. Und ihre Entscheidung würde lauten …

„Doro“, flüsterten die Worte erneut, „Du musst uns befreien!“

Dorothee wusste um die Buchstaben und ihre Bedeutung. Die Sache war nämlich die: Als die sieben Zauberer das Land der sieben Monde eroberten und den Kriegerinnen ihre Macht nahmen, stahlen sie auch das Wort. Nur wer über magische Kräfte verfügte, konnte die Buchstaben sehen und sie zu Worten zusammenfügen.

Eine Frau, die auch noch über magische Kräfte verfügte, auf den Thron der einzigen Sonne zu setzen? Undenkbar. Und doch blieb den Zauberern keine Wahl.

Doro lächelte zufrieden, denn sie würde als Sonne ihrem Land wieder zu Glanz verhelfen. Dafür musste sie nur die Worte für immer aus ihrem Leben verbannen.

„Hilf uns“, flüsterten da wieder die Buchstaben und die Verzweiflung war deutlich zu hören. Die Verbannung würde ihren Tod bedeuten, sofern Magie überhaupt sterben konnte.

Die Buchstaben formten sich vor ihren Augen erneut zu Worten: „Sie haben eine Entscheidung getroffen.“ Doro hätte sie gerne ignoriert, hätte gerne ihrem Bann widerstanden. Dieses letzte Mal jedoch war sie zu neugierig, zu aufgeregt, um sich von ihnen abzuwenden. Doch die Worte, die sie vor ihr knüpften, drückten ihr beinahe die Luft aus der Lunge.

„Sie wollen einen der ihren auf den Thron setzen?“, flüsterte Doro entgeistert; „Sie haben sich tatsächlich gegen mich entschieden, obwohl ich ihnen die Treue geschworen und den Worten abgeschworen habe?“

Langsam richtete sich Dorothee auf, bis sie in ihrer vollen Größe erstrahlte. Dann, mit leiser, aber entschiedener Stimme, sagte sie: „Ich bin Dorothee aus dem Land der sieben Monde und diese Nacht werde ich zur Sonne werden. Ich werde die Worte befreien. Denn mit Worten kann man die Welt beherrschen.“

Dorothea Schug

Gedankensturm

Sie hatte den ganzen Tag keine Sekunde für sich gehabt. Sie war von einem Termin zum nächsten gehetzt, war danach zu ihrer Mutter ins Pflegeheim gefahren und dann mit dem Auto in den Supermarkt gerast, nur um festzustellen, dass dieser schon vor einer Stunde zugemacht hatte. Nun lag sie hellwach in ihrem Bett, ihr Magen grummelte und sie starrte die große Wanduhr an. Es war 3:25 Uhr. Vor drei Stunden war sie endlich ins Bett gegangen, aber an Schlaf war seitdem nicht zu denken. Die Gedanken, die sie den ganzen Tag erfolgreich hatte zur Seite drängen können, schwirrten nun in ihrem Kopf umher und machten keine Anstalten, früher oder später zur Ruhe zu kommen. So ging das jetzt schon seit Wochen. Seitdem Ado ausgezogen war. Sie war von der Arbeit nach Hause gekommen und seine Koffer standen gepackt neben der Tür. Er hatte eine andere Frau kennengelernt. Sie hatten sich schon seit mehreren Wochen getroffen und er hatte sich in sie verliebt. Alles Betteln und Drängen hatte nichts genützt, er war gegangen. Er war ihr Ein und Alles gewesen. Wenn sie morgens zur Arbeit gegangen war, hatte sie sich auf den Moment gefreut wieder nach Hause zu kommen. Nach Hause zu ihm. Er war ihr erstes und einziges Zuhause gewesen. Sie hatte sich schon ihr ganzes Leben mit ihm ausgemalt. Haus bauen, heiraten, Kinder bekommen, zusammen alt werden und für immer glücklich sein. All das hatte er ihr innerhalb von wenigen Minuten genommen. Jetzt war sie allein in der großen Wohnung, in die sie erst vor ein paar Monaten eingezogen waren, und lag schlaflos in dem Bett, in dem normalerweise Ado neben ihr liegen müsste. Sie schaute wieder auf die Uhr. 3: 32 Uhr. Würde so nun ihr restliches Leben aussehen? Sie würde ständig auf die Uhr und in ihren Kalender sehen, und darauf warten, dass die Zeit verstreichen würde? Sie konnte sich nicht vorstellen, jemals wieder jemanden wie ihn finden zu können und bei der Vorstellung, sich auf irgendwelchen Dating-Portalen herumtreiben zu müssen, kam ihr die Galle hoch. Ab jetzt war sie die merkwürdige Single-Tante, die bei allen Familienfeiern allein auftauchen würde und über die alle hinter ihrem Rücken mitleidig tuscheln würden. Sie stand auf, ging in die Küche und goss sich ein kaltes Glas Wasser ein. Sie stellte sich vor die große Fensterwand. Es war der Hauptgrund für sie gewesen, die Wohnung zu nehmen. Im Sommer erstrahlte das ganze Wohnzimmer dadurch in hellem Glanz. Sie sah aus dem Fenster auf die leeren Straßen und die schlafende Großstadt aber alles, was sie sehen konnte, war sie selbst. Allein.

Kommentar: Passt der Titel? Die Gedanken dieser Nacht sind doch weniger stürmisch als depressiv. Dafür spricht auch das offene Ende. Den Leser mit dieser Impression zurückzulassen, wird diesen zwar nicht erfreuen, ist aber legitim.

Torsten Krippner

Tanka

Auf dem Rinnensee

Mit verschlossenem Schnabel

Gleitet weiß der Schwan.

Die Dreiecksfüße strampeln

In der Schwere des Wassers.

Kommentar: Die im Oberstollen eröffnete Naturbetrachtung wird im Anschlussstollen zu einer philosophischen Betrachtung erweitert.

Volker Stahlschmidt

LOS

Gehen Und gehen

Und gehen und gehen

Und gehen und gehen und gehen

Bis einen absolut niemand mehr kennt

Und die Erschöpfung die Erinnerung tötet

Und der Sternenhimmel seine unendliche Weite in dich trägt

Und die Dunkelheit dich in sich aufnimmt

Und das kleine das Große ist

Und das große das Kleine

Gehen und gehen

Gehen und

Gehen

Bis deine Dämonen in den nebligen Schwaden eins werden

und in völliger Klarheit vor dir steht, dass alles Neidische, Wütende, Eitle völlig nichtig ist.

Kommentar: Ein Kalligramm, das durch die hier notwendige Formatierung etwas gestört wird. Trotzdem setzt sich die Aussage durch.

Angelika Lichteneber

Das Tor

Ich traue meinen Augen nicht. Das Tor hatte ich anders in Erinnerung. Kein Leuchten mehr, kein Glanz. Es hängt schief in den Angeln, von der Mauer platzt der Putz ab, und statt der samtweichen Wiese breitet sich eine große trübe Wasserfläche aus.

Ich war lange nicht mehr hier.

Neben dem Tor sitzt ein Mann auf einem Hocker und liest Zeitung. Er scheint mich nicht zu bemerken.

„Der ist neu hier“, denke ich und tappe vorsichtig durch das Wasser auf ihn zu. Auf den Seiten der Zeitung kann ich einzelne Wörter erkennen. „Regionales“ steht auf der letzten Seite, darunter lese ich „Erde“, über drei Spalten steht „gestern“, „heute“ und „morgen“.

Ich räuspere mich vorsichtig, um mich bemerkbar zu machen.

Der Mann blickt von seiner Zeitung auf.

„Da bist du ja!“, sagt er, zieht eine dicke Taschenuhr aus seiner Hosentasche und wirft einen langen Blick darauf. „Gerade noch rechtzeitig!“

Ich erhasche einen Blick auf die Uhr und sehe Zifferblätter, die sich blitzschnell übereinander schieben, und viele Zeiger in verschiedenen Farben und Längen, die in unterschiedlichem Tempo über die Zifferblätter kreisen.

Er steckt die Uhr wieder ein, steht auf und lächelt mich an.

„So, du bist also fertig zur Abreise?“

Ich nicke.

„Du warst schon einmal dort?“, fragt er.

Ich nicke wieder.

„Ganz schön mutig, Donnerwetter!“, sagt er anerkennend und sieht mich prüfend an.

Wir stehen und schweigen eine Weile.

Dann gibt er sich einen Ruck. „Na, dann kann´s ja losgehen!“ sagt er, geht zum Tor und öffnet es weit. Quietschend fügen sich die Torflügel der Bewegung.

„Müsste man mal ölen!“, murmelt der Mann und schiebt mit dem Fuß etwas von dem Putz zur Seite, der vom Torbogen herunter rieselt. „Im Vertrauen“, raunt er mir leise zu, „die Sparmaßnahmen haben uns voll im Griff. Aber man will hier nichts mehr investieren. Auslaufmodell. Die Chancen stehen nicht gut. Zu viel Dreck. Und überhaupt, was da in der Zeitung steht…“

Er stutzt, sieht mich an. „Ach was, ich rede wieder zu viel. Alles halb so tragisch!“ Er lächelt breit. Mit einer angedeuteten Verbeugung zeigt er nun einladend in Richtung Tor.

Mein Blick richtet sich auf den Durchgang, der vor mir liegt. Langsam gehe ich darauf zu. Ich weiß, was ich tun muss.

Einen kurzen Moment halte ich an, als ich die Schwelle erreiche. Dann hole ich tief Luft und mache einen entschlossenen Schritt hindurch.

Hinter mir schließt sich das Tor.

In dem weißen Nichts vor mir erscheint das riesige Räderwerk der Universen. Gewaltige Zahnräder stehen hintereinander und übereinander, greifen ineinander, drehen sich geschmeidig um sich selbst und mit dem Ganzen. Alle Zahnräder sind voller Löcher in den verschiedensten Größen. Ich stehe und warte, warte auf den einen richtigen Moment, an dem die Räder richtig stehen, an dem genau vor mir die Löcher in derselben Größe deckend aufeinander stehen, so dass sie einen Tunnel bilden. Ich stehe und warte, und jetzt ist er da, der Moment. Ich sehe den Tunnel, nehme meinen ganzen Mut zusammen – und springe.

Kommentar: Ganz klar eine Parabel. Man versucht automatisch beim Lesen, sie zu entschlüsseln, und findet eigene Lösungen. Das macht Spaß.

Lutz v. Kohlenbeisser

Sie nannte mich rosa Vogel

In diesem Frühjahr erlebten nur meine Beine einen ordentlichen Wachstumsschub. Im Anflug pubertärer Empfindlichkeit stand ich heulend vor dem Spiegel.

Aus meiner Sicht ging es den anderen Jungs nicht besser, dennoch hänselten sie mich „Flamingo“. Wohl auch wegen meiner stets rosigen Hautfarbe.

Schon ein paar Tage später war ein liebevoller Spitzname für mich entstanden: Mingo.

Diese Ferien sollten durch schwere körperliche Arbeit ausgefüllt sein. Endlich war ich alt genug, einen Ferienjob im hiesigen Tierpark anzunehmen, was ich mir schon lange wünschte.

Am dritten Arbeitstag bemerkte ich dann, dass die meiste Zeit dafür draufging, den Viechern ihre Hinterlassenschaften aus dem Wege zu karren. Und manche fabrizierten echt Haufen; die wurden in Schubkarren abtransportiert.

Am vierten Tag traf mich ein hinreißendes Lächeln, als sie einem Fisch den Kopf abschlug. Rums.

„Willkommen im Futterhaus“, sagte sie.

Und schon musste ein nächstes Wassertier Teile seines Körpers büßen. Rums. Mit einer gekonnten Kopfbewegung pustete sie sich eine Haarsträhne aus der Stirn.

Ich stand wie erstarrt und konnte meinen Blick nicht von ihrem Gesicht abwenden. Abermals rumste es.

„Stehst du nur so rum oder hilfst du mir?“

Sie sah keck zu mir herüber.

„J-Ja“, antwortete ich und schaute zwischen ihren strahlenden Augen und den toten Fischen Hin und Her.

„Ja, stehen oder ja, helfen?“, fragte sie.

„Helfen.“ Mehr brachte ich in dem Moment nicht raus.

„Ok, Helfer. Dann schnapp dir das Hackmesser und den Eimer mit den roten Schalentieren und mach kleine Häppchen daraus.“

Ich stellte mich Valentina später als Mingo vor. Während sie meinen Namen hörte, setzte sie wieder dieses bezaubernde Lächeln auf, in das ich mich Hals über Kopf zu verlieben drohte.

Am Nachmittag warfen wir unter der Beobachtung einiger Zoobesucher die Schalentier-Häppchen in den Flamingo-Teich.

„Woher kommt dein lustiger Name?“, forschte Valentina.

„Och, den haben sich die Jungs ausgedacht.“

„Aha, die Jungs. Wie heißt du richtig?“

„Jobst.“

„Ok, Jobst - Mingo ist besser. Kannst Val zu mir sagen.“

Am fünften Arbeitstag rief der Sommer schon um neun Uhr morgens schwüle 29 Grad auf. Val empfing mich im tropisch-warmen Futterhaus in einem Camouflage-Bikinioberteil mit passender Sporthose. Ich stand mit offenem Mund im Eingang.

„Was bedeutet Mingo?“, fragte Val noch vor einem morgendlichen Willkommensgruß.

Ich überlegte, die Wahrheit zu verheimlichen, doch sie neigte den Kopf und sandte mir ihr bezwingendes Lächeln.

„Flamingo in Kurz“, antwortete ich bezwungen.

„Ok, verstehe. Dein rosiges Gesicht?“

Ich nickte.

„Es ist süß.“

Ich nahm meinen Mut zusammen.

„Du auch.“

Sie lächelte und meine Beine versagten fast ihren Dienst.

Wir warfen uns während der Futterzubereitung immer mutiger einige vielversprechende Blicke zu.

„Komm, rosa Vogel. Wir wollen deine gefiederten Freunde nicht hungern lassen.“

Sie lächelte und zog mich an der Hand hinter sich her.

Kommentar: Diese kleine Liebesgeschichte lebt von der Authentizität der Charaktere und zieht einen unweigerlich in ihren Bann. Stimmig komponiert.

Norbert Schäfer

Von einem, der auszog, die Welt zu erobern

Herr Jogi, ein Trainer vom Badenland.

Ein Auftrag auf seinem Brieflein stand:

Wenn naht die schöne Sommerszeit

Halt deine Mannen wohlbereit

Im fernen Lande der Kosaken

Den Titel grad erneut zu packen.

Flugs wählt‘ er alte Kämpen aus,

Die Jungen ließ er gleich zu Haus.

Das Lager war recht karg gelegen.

Die Römer waren nicht zugegen.

Es lockte die Aztekenmeute

Als höchstvermeintlich leichte Beute.

Nanu - was konnten diese rennen

Die Helden schienen‘s nicht zu kennen.

Und noch vor Ablauf einer Stunden

Ward Wärter Manu überwunden.

Drauf endlich wurde angerannt

Indes – mehr als ein kräft‘ger Pfostenbrand

Sprang nicht heraus – das war nicht heiter

Man fragte sich: Wie geht’s bloß weiter?

Nun warteten die wilden Horden

Der Wikinger – aus eis‘gem Norden.

Mit viel Elan und Witz begannen

Herrn Jogis motivierte Mannen.

Dann plötzlich schaute sorgenschwer

Manu der Kugel hinterher.

Ojemine – das war nicht gut,

Noch jedoch hielt der Kampfesmut.

Der Preuss versenkte mit Geschick,

Wandte sich nun das Schlachtenglück?

Die Angst vorm Aus ward riesengroß,

Da schoss der Junker Toni Kroos

Den allerletzten freien Stoß

In Gegners Netz – das war famos!

Drauf jubelte das ganze Heer

„Jetzt stoppt uns keiner nimmermehr!“

Bald galt es, den finalen Sieg zu holen

Bei den verlust-erfahrenen Mongolen.

Recht zaghaft wurde angefangen,

Die Zeit verstrich – es stieg das Bangen.

Das Ende schien schon nah zu sein

Dann kurz vor Schluss - da schlug es ein.

Doch ach - was war das für `ne Pleite:

Der Schlag fiel auf der falschen Seite!

Und niemand konnt‘ es recht verstehn,

Kurz drauf war es erneut geschehn!

Da war kein Alter und kein Neuer mehr,

Das Tor war schlicht und einfach leer.

Groß war das Leid und der Verdruss,

Die Heimat nass vor Tränenfluss.

Prinz Oliver sah die Schikane:

„An allem Schuld ist der Osmane!“

Das stimmte König Reinhard froh.

Er sagte sich: „Nur weiter so!“

Und hielt drauf schützend seine Hand

Über Jogi, den Trainer vom Badenland.

Kommentar: Die Fußballweltmeisterschaft 2018 wird besungen. Fans wird’s freuen. Der Anfang ist Fontanes Gedicht „Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland“ nachempfunden.

Nina Felber

Verantwortung

Soweit ich mich zurückerinnere, war die Beziehung zwischen uns so, wie sie eben war. Schon früh in meinem Leben spürte ich ihre Hilflosigkeit im Umgang mit mir. Meine Zartheit schien sie zu überfordern. Dass sie mir hin und wieder etwas Aufmerksamkeit schenkte, war eher ihrem Pflichtgefühl geschuldet als dem Wunsch, für mich da zu sein.

Sie arbeitete viel und genoss es, in der übrigen Zeit ihren Interessen nachzugehen.

„Geht es dir gut? Brauchst du etwas?“ Zwei Fragen, die sie regelmäßig wie die Perlen einer Kette aneinanderreihte. Nur um sie anschließend selbst zu beantworten, indem sie immerhin für Nahrung sorgte. Vermutlich redete sie sich ein, überhaupt etwas für mich zu tun, sei besser als gar nichts. Und so war ich von Anfang an eine gewisse Trostlosigkeit gewohnt. Es war in Ordnung. Ich kannte das Leben nicht anders.

Bestimmt hätte ich mich freier entwickeln können, wenn sie eine andere gewesen wäre. Wenn sie begriffen hätte, was mir fehlte oder wer ich mit ihrer Liebe hätte sein können. Darüber nachzudenken ist müßig. Man ist, was das eigene Leben, die eigenen Bedingungen aus einem machen. Wer kann schon aus seiner Haut?

Als ich älter wurde, begriff ich, wie die Dinge zusammenhingen. Sie hatte sich das Leben mit mir nicht ausgesucht. Ich war weder von ihr gewünscht noch abgelehnt worden. Geduldet ist wohl das richtige Wort. Mich zu lieben und sich zu kümmern, hatte sie nie gelernt. Auch nicht von sich aus die Begeisterung dafür entwickelt. Daher war ich jemand, zu dem sie keine Nähe aufbauen konnte oder wollte.

Schon früh lernte ich, wenig Ansprüche zu stellen und so ging es uns die meiste Zeit gut miteinander. Die wenigen Male, die man sie vorsichtig auf mein Wohlergehen ansprach, wehrte sie ab oder antwortete einsilbig. Man muss mir bisweilen angesehen haben, wie sehr ich auf mich alleingestellt war und trotzdem versuchte, das Beste daraus zu machen.

Steht es mir rückblickend zu, ihr etwas vorzuwerfen? Es ist gut, dass unsere Leben nun an verschiedenen Orten weitergehen. Für uns beide. In meinem neuen Zuhause fühle ich mich wohl und kann endlich aufblühen. Ich bekomme auch mehr Ansprache. Erst heute Morgen wurde mir ungewohnt viel Fürsorge zuteil.

„Ich glaube, du brauchst mehr Licht“, sagte man zu mir. „Das haben wir gleich. Maren hatte einfach kein Gespür für Topfpflanzen.“

Kommentar: Man wird absichtlich in die Irre geführt und erfährt erst in der Pointe, worum es wirklich ging. Es gehört zu den Regeln dieses Spiels, dass dem Leser Hinweise gegeben werden, die ihn zur Erkenntnis der Situation führen könnten, die er aber nicht richtig zu entschlüsseln vermag.

Ingeborg Henrichs

Marmor

Namen in Marmor

Unverhüllt

Darüber ein Himmel leuchtend

Blutrot

Schicksalsweisen durchdringen

Stumm

Jedes Vergessen

blume

& neben unsren nerven versandet die zeit

naehre die dynamik der wortakrobat: inn: en

mit gelenken die rostfreie scharniere bilden

liesze sich einiges sogar ein anfang anfangen

nahtod durch slackline & innen ein blutbad

zerdehnen wir graetsche achtung erfahrung

den leisen spagat zwischen subjekt & objekt

eine stille deren grenze wir nicht realisieren

beziehungsweise wir thematisieren sie doch

wirklich staendig ohne sie richtig zu spueren

fuehlen wir distanz als entfernungsmomente

unfaehig kinetik in krassen punkten zu fassen

lassen wir uns treiben zu falschen aufnahmen

von denen wir annehmen sie zeigten uns uns

Martina Mallon

Liebe auf Umwegen

In den Liebesbriefen, die er während der Pandemie geschrieben hatte, berührten ihn die darin enthaltenen Zeilen über ihrer beiden gemeinsames Leben sehr. Diese schönen Erinnerungen brachten ihn zum Weinen und er war den Tränen nahe. In seinen Träumen wurde ihre gemeinsame Zeit wieder lebendig.

Durch eine neue Beziehung hoffte Johannes, seinen inneren Frieden wieder zu finden. Die Melodie der Liebe und die Botschaft des Windes weckten durch die Frühlingsboten neue Hoffnung in Johannes. Er konnte schon einen Hoffnungsstreifen am Himmel erkennen und schöpfte Kraft durch seinen neu erweckten Frieden.

Oft verbringt Johannes mit seiner neuen Freundin die Zeit in seinem Garten. Simone und er sitzen auf der Gartenbank und genießen den Duft der Frühlingsblumen. Von überall her kommt Vogelgezwitscher. Hierdurch verspüren Simone und Johannes innere Ruhe, Wärme und Zufriedenheit. Seine Lebenseinstellung ist nun, das Leben kann so schön sein. Es ist ihm für Simone wichtig, die kleinen Dinge des Lebens zu öffnen und nicht auf die Großen zu warten.

Dyrk-Olaf Schreiber

schatten-trilogie

I. mich finden

gestern

dieser schatten

sprang ich

sprang er

landete ich

landete er

fragte ich

schwieg er

dieser schatten

von gestern

II. mich gefunden

ich bin mein schatten

springe ich

springt er

lande ich

lande ich auch

III. mich haben

ich lande

und stürze

der schatten

dicht unter mir

ich hab ihn

hab mich

sich zu haben

tut weh

Sonja Gruber

Entrinnerung

Ankunft, riech, Ankunft!

Ein Tee aus warmer Hand.

Ich setze gierig an.

Das alte Land brüht ab.

Sigrid Hamann

Abschied

Das Schwerste in ihrem noch jungen Leben war der Abschied auf immer von ihrem Geliebten Frank, der sie einst ihr weiteres Leben in Frage stellen ließ. Für sie stellte es einen schweren Schicksalsschlag dar. So dauerte es lange, bis sich bei ihr die notwendige Distanz zu dem früheren Geschehen eingestellt hatte.

Jahre waren nun schon vorübergegangen und ganz allmählich war sie in ihrem Inneren ruhiger geworden, fragte nicht so oft nach dem Warum. Jene Unerklärlichkeit entzog sich dem Begreifbaren, wollte nicht mehr unbedingt entschleiert werden. Glück hinterlässt selten Spuren. Es sind allzu oft die traurigen Ereignisse, die im Gedächtnis bleiben. Doch jene kostbaren, von einer großen Liebe geprägten Augenblicke würden für immer dort sein. Oftmals waren da Gedanken, die Frank geäußert hatte oder Teile eines Gespräches mit ihm, die in ihrer Erinnerung auftauchten. Und niemals würde sie den Tag vergessen können, als sie während eines gemeinsamen Spaziergangs für einen kurzen Halt auf einer Bank Platz nahmen, da er Anzeichen der Erschöpfung zeigte. Unversehens trat sein baldiger Tod ihr überdeutlich vor Augen. Still hatte sie begonnen zu weinen, als er ihr Gesicht in seine Hände nahm und beruhigend auf sie einsprach. Und es waren seine Worte, an die sie oft denken musste, mit denen er sie trösten wollte, als sein Leben sich unweigerlich dem Ende zuneigte:

››Gerade hat man sich in der Welt eingerichtet, so kommt schon der Zeitpunkt, diese wieder zu verlassen, für den einen sicher zu früh und für den anderen sehr spät. Du weißt, meine liebste Carla, wen die Götter lieben, den lassen sie jung sterben. Und als ein Trost gilt, dass einem im Alter die Hinfälligkeit und das Lebensüberdrüssig-Sein erspart bleiben.‹‹

Es war für sie als etwas Tröstendes gedacht. So bat er sie noch inständig in einem Gespräch mit ihr, nach vorne zu blicken, da ihr Leben weiterginge und sie sich daher nicht einer unendlichen Trauer hingäbe. Wohl wissend, dass mit seinem zu frühen Ende sein Leid vorüber war, doch das Ihre würde sich mit jedem Erinnern an ihn verstärken, als lebte sie das Leben mit ihm noch einmal. Jede frühere Geste von ihm, jeder Gedanke an ihn würden den Schmerz stets aufs Neue hervorrufen, wenn ihr der Verlust und die Gewissheit, allein zurück geblieben zu sein, vollkommen bewusst geworden waren.

Das Haus, in dem sie noch lebte, barg viele Erinnerungen an ihn. Oft saß sie zur blauen Stunde am Fenster und sah hinaus in den Garten, während der Abendhimmel langsam herabsank und wohlwollend seinen Schleier über alles breitete. Es waren ihr die liebsten Stunden - diese Stillen - zwischen Tag und Nacht, wenn der bleiche Mond sich zeigte und die Umrisse der Bäume in ein diffuses Licht tauchte. Angesichts des untergehenden Tages, dessen Unwiederbringlichkeit ihr bewusst war, stimmte sie diese Feststellung in keiner Weise traurig, nein, vielleicht nur ein wenig melancholisch. Es war ja so, dass diesem stillen Naturschauspiel sehr viel Trost innewohnte.

Sarah Nitsche

     Oh Baby

Oh Baby, diese Welt ist schön.

Und sie ist voller Liebe.

Das spüre ich an jedem Tag,

wenn ich dich ganz sanft wiege.

Oh Baby, diese Welt ist groß.

Das werde ich dir zeigen.

Wenn all das überwunden ist,

dann gehen wir auf Reisen.

Oh Baby, diese Welt ist toll.

Und sie ist voller Wunder.

Mein Körper war dir ein Zuhaus'

und stillt jetzt deinen Hunger.

Oh Baby, diese Welt ist laut.

Es klingt fast wie Musik.

Gerade ist sie eher leis',

weil es nur uns hier gibt.

Oh Baby, diese Welt ist mehr.

Und sie ist voller Glück.

Seitdem du nun zu uns gehörst,

will ich nicht mehr zurück.

Oh Baby, meine Welt bist du.

Wie auch dein großer Bruder.

Ihr seid mein Mond und Sternenglanz.

Und ich bin eure Mutter.

Kommentar: Das Thema bezaubert. Die Anaphern sind fast ein wenig zu viel, helfen aber, die Perspektive aufrechtzuerhalten. Insofern sind sie legitim.

Rolf Blessing

Der Krüppel

gemoppt und verspottet

läßt er sich

seine Betroffenheit nicht anmerken

setzt seinen Stahlhelm auf

überhört jede Anfeindung

und zieht sich

in sein unauffälliges Schneckenhaus zurück

ein Krüppel

ein buckeliger und kleinwüchsiger Kobold

ist er von Geburt an

und kennt es nicht anders

er weiß

dass ihn die Menschen

missachten

und ihre Späße mit ihm treiben

und so agiert er schüchtern

reagiert schroff

dabei wäre er doch so gerne

anders

sein Schöngeist beschränkt sich

auf ihn selbst

seine künstlerischen Fähigkeiten

bleiben unentdeckt

und daran wird sich nichts ändern

Kommentar: Orthografisch könnte man Einwände gegen „gemoppt“ haben, aber dem Autor gefiel es besser als „gemobbt“. Die dichterische Freiheit lässt es jedenfalls zu.

Michael Vock

Das System

Aus der Ferne hörte er melodische Weihnachtsmelodien. Er folgte den Klängen und stand bald vor einem kleinen Café, dessen Reklameschild im Dämmerlicht flackerte. Asmodi stieg die abgetretenen Stufen im Eingangsbereich hinauf und schob den schweren Windfang beiseite. Das Mobiliar des Cafés bestand aus einem halben Dutzend Tischen und dazugehörigen Stühlen aus dem vorherigen Jahrhundert. Die dunkel tapezierten Wände verschluckten die schummrige Beleuchtung beinahe vollends. Hinter der Bar stand eine hochgewachsene Frau, die mit schnellen Bewegungen die Gläser auswusch. Er überlegte sich, den Mantel auszuziehen entschied sich dagegen und setzte sich direkt an das Fenster. Die Heizung schien nicht zu funktionieren, denn im Lokal verzierten kleine Eiskristalle die Scheibe. Auf ein Zeichen von ihm kam die Kellnerin. Sie entschuldigte sich für die Kälte, bot ihm eine Wolldecke an und wies auf die Schwierigkeit hin in den Feiertagen an vernünftige Handwerker zu kommen. Er sah der Frau in die Augen und bestellte Irish Coffee im umgekehrten Verhältnis. Unpassend für die Tageszeit. Sie ließ sich nicht anmerken, dass sie die Bestellung überraschte. Das Angebot einer frischen Mehlspeise lehnte er dankend ab.

Wenige Minuten später kam die Frau zurück, sie brachte ihm den Kaffee, eine dicke Decke und entgegen seiner Bestellung ein Stück dampfenden Apfelkuchen. Eine angenehme Seele, die Verästelungen um ihre Augen