Ab in die Küche! - Franz Keller - E-Book

Ab in die Küche! E-Book

Franz Keller

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Beschreibung

"Küchengott auf Kriegspfad", titelte Der Spiegel zum Erscheinen seines Bestsellers Vom Einfachen das Beste, in dem Franz Keller die Geschichte seines Lebens mit einer scharfen Kritik an der Landwirtschafts- und Nahrungsmittelindustrie verknüpfte. Jetzt legt er nach. Denn bei vielen Gesprächen mit seinen Lesern, mit Erzeugern und Medizinern hat er festgestellt: Die Bevölkerung ist bereit für eine Agrar- und Lebensmittelwende, doch die Politik wird in Deutschland und der EU von den starken Lobbyinteressen ausgebremst. In seinem neuen Buch erklärt er, wie man mit guten Rohstoffen und einfachen Mitteln gesund und lecker kocht. Viele Geschichten und Anekdoten aus seiner bewegten Zeit als Sternekoch würzen dieses Buch, auf das alle Fans schon warten.

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Seitenzahl: 188

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Franz Keller

Wie wir die Kontrolle überunsere Ernährung zurückgewinnen

Einfach gut kochen!Vorwort

Für mich ist die Küche Heimat

Schluss mit Fake Food – wir müssen zurück zu einer authentischen Ernährung!

Wir müssen keine Exportweltmeister für Gemüse oder Fleisch sein. Wir müssen Qualitätsweltmeister werden

Abschied von Olympus

Lasst uns doch einfach mit echtem Genuss uns selbst und unseren Planeten retten

Ich wünsche mir eine Hochschule der nachhaltigen Kochkultur

Die Küche ist kein Statussymbol, sondern eine Genusswerkstatt

Die besten Lebensmittel haben keine Zutatenliste

Mit Wasser kochen nur die Anderen. Wir nicht!

Es gibt keine Reste.Wir denken in Folgegerichten

Von der Magie der Soße

Ab in die Küche!

Quellen- und Literaturverzeichnis

Tomatensugo mit Basilikum und Pinienkernen

Gerstenrisotto mit Gemüsewürfeln und geräucherter Forelle

Leichter Graupen-Salat mit Salatherzen, Gurken, Cashewkernen, Mandelsplittern, Bananen, Leinöl, Kurkuma und Leinsamen

Kartoffelrösti mit griechischem Joghurt und Seeteufel

Warmer Endiviensalat mit Kartoffeln, Fenchelstreifen und Ei

Kartoffelgratin mit Zucchinistreifen und geröstetem Wirsing

Kartoffelsalat

Gerösteter Rosenkohl mit Alblinsen

Gratinierter Blumenkohl auf Kartoffelpüree

Knollensellerie-Gratin mit Rote-Bete-Salat

Staudensellerie-Suppe mit Safran

Leichtes Rührei mit frischem Kerbel und Kurkuma-Karottengemüse

Basmatireis-Kuchen mit integrierten Gemüsewürfeln und Joghurt

Gebackene Banane mit dunkler Schokolade

Pot au Feu

Lauch, Salzkartoffeln und Vinaigrette

Kalter Gemüsesalat

Flädlesuppe

Bratkartoffeln mit Fleischsalat

Einfach gut kochen!

Vorwort

Mit Franz Keller sind wir uns schon seit langem einig: Essen ist unsere Lebensgrundlage und Kochen eine Kulturtechnik, die jeder Mensch beherrschen sollte. Eine grundlegende Fähigkeit wie Lesen und Schreiben. Schließlich können wir ohne Nahrung nicht existieren und nur die richtige Ernährung erhält uns gesund. Eine so essenziell wichtige Sache können wir doch nicht einfach einer vollkommen in Schieflage geratenen Lebensmittelindustrie überlassen!

Dass wir gezielt unsere Sorgfalt und Aufmerksamkeit auf das verwenden können, was wir uns zubereiten und einverleiben, unterscheidet uns von allen anderen Lebewesen. Obwohl: Ein Tier, das seine Nahrung selbst suchen darf, frisst nur das, was ihm bekommt und am besten schmeckt. Doch das ist bei vielen Menschen offenbar nicht mehr die Regel. Heidelberger Geschmacksforscher haben bei einer repräsentativen Umfrage herausgefunden, dass 73 Prozent der Deutschen selbst dann weiteressen, wenn es ihnen gar nicht schmeckt – vor allem, wenn sie es nicht bezahlen müssen (zum Beispiel in der Kantine) oder bereits bezahlt haben (etwa über einen Lieferdienst bestellte Speisen). Kaum zu glauben!

Aber nur so ist zu verstehen, warum die Industrie so unfassbar erfolgreich in ihrem Bemühen ist, dem Verbraucher einzureden, dass die Zubereitung der täglichen Mahlzeiten mühsam sei, eine lästige Arbeit, die reine Zeitverschwendung. Nur um sich dann als hilfreicher Retter in der Not anzudienen. Etwa mit Fertiggerichten, deren einziger Vorzug es ist, dass sie schnell und mühelos zuzubereiten sind. Der Geschmack ist dabei meist aber nur schwer erträglich. Und selbst ein solches Ergebnis ist ohne viele Hilfsmittel nicht möglich: natürliche und im Labor erzeugte Aromen, Geschmacksverstärker, Emulgatoren, Stabilisatoren und Konservierungsmittel – im frisch zubereiteten Essen sind die alle vollkommen unnötig. Dass es tatsächlich große Freude machen kann und einen echten Gewinn an Lebensqualität bringt, Gemüse und andere frische Produkte in der Küche selbst zuzubereiten, gerät offenbar immer mehr in Vergessenheit.

Doch der Spaß am Kochen beginnt nicht erst in der Küche! Welch ein kreatives, sinnliches Vergnügen ist es, die Zutaten auszuwählen und sich dabei vorzustellen, was sich alles damit machen lässt. Der Weg ist das Ziel: die Suche nach tollen Produkten, sei es im Gemüseladen oder beim Metzger, im Delikatessengeschäft beim Bäcker oder im Supermarkt, auf dem Wochenmarkt, auf dem Bauernhof, im Garten, bei Spaziergängen auf der Wiese oder im Wald! In der Küche lassen sich dann, mit etwas Wissen und Lust zur Improvisation, aus den Zutaten köstliche Aromen und ein wunderbarer Geschmack hervorlocken. Die Farben der Gemüse, der Wohlgeruch der Kräuter und Gewürze, das Geräusch, wenn es in der Pfanne brutzelt, der appetitanregende Duft, der in die Nase steigt – alle Sinne werden gekitzelt und bewegt. Und dann das Essen genießen – am liebsten natürlich im Kreis der Familie oder mit Freunden. Wir können uns gar nicht vorstellen, dass es Menschen gibt, die dem nichts abgewinnen können.

Kalorienzufuhr in hektischer Eile und ohne Freude hassen wir ebenso wie Franz, die macht nur dick und deshalb gleich doppelt schlechte Laune. Für uns ist Essen größtes Vergnügen, denn es bietet Genuss. Das Zubereiten in der Küche, allein oder zusammen mit Gästen – das alles ist ein entscheidender Teil des Vergnügens. Es ist genau das, was wir seit vielen Jahren zu vermitteln suchen: Unseren Zuschauern, die uns wöchentlich (samstags im WDR, freitags im SWR) in die Töpfe schauen, den Lesern unserer Bücher und den Kochschülern, die bei uns gerne Kurse buchen. Franz Keller wird vom selben pädagogischen Ethos und kulinarischen Eifer getrieben. Das hat er als Bub in der Küche seiner Oma und seiner Mutter kennengelernt, es hat ihn in seiner Zeit als Gastronom beflügelt, es hat ihm die Kraft und den Mut gegeben, ein neues Dasein als Landwirt und Tierzüchter zu beginnen, und es bewegt ihn bis heute als Gastgeber, als Gast, als Autor, als Freund, als Mensch!

Wie recht hat er mit seinem Motto: Lasst uns einfach mit echtem Genuss uns selbst und unseren Planeten retten! Genuss ist keine selbstsüchtige Angelegenheit, er entsteht aus der Zuwendung und Sorgfalt, die wir unseren Lebensmitteln beimessen und angedeihen lassen. »Mittel« zum »Leben« sind sie nämlich nur, wenn sie mit Achtung und Bedacht erzeugt werden. Pflanzen, die in Böden wachsen, die nicht ausgelaugt und ausgebeutet werden. Tiere, die ein artgerechtes, glückliches Leben haben führen dürfen. Deshalb wird Franz auch nicht müde, gegen Massentierhaltung und gedoptes Billigfleisch zu wettern und über Alternativen aufzuklären. Er macht aber auch klar, dass wir deswegen nicht gleich alle zu Veganern werden müssen. Vielmehr dürfen wir nicht teilnahmslos zusehen und geschehen lassen, wie schlecht es den Tieren in der herkömmlichen Landwirtschaft geht. Dass etwa immer noch Ferkel ohne Betäubung kastriert werden. Dass die Kälber weit weg von ihren Müttern, allein in kleinen Hütten aufwachsen müssen, sie mit Ersatzprodukten gesäugt werden statt mit Muttermilch, die in diesen Mengen niemand braucht und den Erzeugern trotzdem nicht mehr genug einbringen, weshalb sie nur mit Subventionen überleben können.

Was die sogenannte konventionelle Landwirtschaft mit uns und unserer Umwelt, nein: unserer Welt anrichtet, wird nicht in die Preise der billigen und trotzdem ihren Preis nicht werten Produkte eingerechnet. Wir produzieren Billigware in Massen, strapazieren dabei unseren Planeten weit über die Grenzen hinaus, nehmen millionenfaches Tierleid einfach in Kauf, und schmeißen am Ende die Hälfte der Lebensmittel auf den Müll. Das ganze System ist doch totaler Irrsinn!

Wir Menschen sind Omnivoren und können so ziemlich alles verwerten, was die Erde uns an Nahrhaftem bietet. Mit unserer Umwelt bilden wir eine Symbiose, zu der die Tiere und deren Produkte ebenso gehören wie die Pflanzen. Alles gehört zusammen, dient und nutzt sich gegenseitig – vorausgesetzt, es geschieht mit Achtung voreinander. Dazu gehört vor allem auch, nicht den Großteil eines geschlachteten Tiers auf den Müll zu werfen, um dann nur die Filetstücke industriell weiterzuverarbeiten. Auch unter diesem Aspekt ist Franz Keller übrigens ein Meister seines Fachs: Was fällt ihm nicht alles zu Innereien ein, die er als besondere Leckerbissen auf den Teller bringt: das Lüngerl eine Delikatesse, das Herz, rosa vom Grill, ein Gustostückerl! Wenn nicht schon bei seiner Großmutter hat er das wohl spätestens bei Paul Bocuse und während seiner Zeit in Frankreich gelernt, wo man die Verwertung des gesamten Tiers aus guten (Genuss-) Gründen noch schätzt.

Die wohl wichtigste Lektion für angehende Köche lautet aber, dass nicht komplizierte, aus Unmengen von Zutaten komponierte Gerichte eine gute Küche ausmachen, sondern Produkte von guter Qualität, die mit zwei, drei Zutaten und viel Sorgfalt zubereitet werden. Überladene Kompositionen sind auch in der Gastronomie oft nur das Mittel, um Produktmängel zu verstecken. Deshalb sind ethisch korrekt, mit Verständnis für die Natur, mit Liebe und Hingabe erzeugte Lebensmittel so nötig. Wirklich gute Produkte bekommen wir nur, wenn wir faire und auskömmliche Preise für die Produzenten akzeptieren und bereit sind, diese Produkte selbst zuzubereiten und zu genießen. Auch der Geschmack will kultiviert sein.

Zusammen mit Gleichgesinnten zu kochen und zu genießen, schafft Lebensfreude. Die haben Franz und wir schon oft zusammen erlebt und gefeiert. Am Ende eines solchen Abends schiebt der Franz dann sein Handwerkszeug in die lederne Messertasche aus dem gelocktem Fell von Jackson, einem Bullenkalb, das er eigentlich zum Züchten aufzog, aber wegen eines sehr schmerzhaften Hüftleidens schlachten musste, und sagt lachend: »Natürlich macht Kochen Arbeit! Und Spaß!«

Martina Meuth & Bernd »Moritz« Neuner-Duttenhofer, Gut Neunthausen, Februar 2020

Ich bin in einer Wirtshausküche groß geworden, in der ich schon als kleiner Junge die ersten Schritte in die Kunst des Kochens von meiner Mutter und meiner Oma erlernt habe. Nicht, weil ich mich in so jungen Jahren schon fürs Kochen interessiert hätte, sondern ganz einfach, weil ich in der Küche mithelfen musste. Diese Küche im Schwarzen Adler in Oberbergen war das Zentrum unserer Familie. Hier spielte sich das familiäre Leben in allen Facetten und Schattierungen ab. Hier wurde viel gearbeitet, geschnippelt und gerührt, hier wurden die wichtigen und unwichtigen Sachen besprochen, es wurde gestritten und gelacht. Und immer lag der Duft von gutem Essen in der Luft. Für mich war das Heimat. Und ist es bis heute geblieben, denn auch auf meinem Falkenhof lade ich meine Gäste in die Küche ein. Hier genießen sie nicht nur gemeinsam am langen Tisch, sie erleben auch, wie diese Gaumenfreuden zubereitet werden.

Für mich ist die Küche ein besonderer Ort und ich denke oft, wir alle müssen diesen Ort, an dem wir unsere Lebensmittel zubereiten, auch wieder mehr zu unserem Lebensmittelpunkt machen. Das ist heute bei vielen Menschen leider verloren gegangen. Arbeit, Hektik, Stress – das alles hat dazu geführt, dass wir unsere Ernährung quasi wegrationalisiert haben und Essen heute möglichst effizient und ohne große Zeitverschwendung nebenbei erledigen wollen. Dabei bin ich überzeugt davon, dass sich moderne Zivilisationskrankheiten wie Burnout und so mancher Weg zum Seelenklempner vermeiden ließe, wenn wir der Zubereitung und der Aufnahme unserer Nahrung wieder mehr Raum, Zeit und Aufmerksamkeit in unserem Leben schenken würden. Ich halte regelmäßiges Kochen für eine echte Zufriedenheitsstrategie. Kochen entschleunigt (selbst wenn es schnell gehen soll) und hat ganz viel mit Kreativität zu tun, mit Lust und Leidenschaft. Kochen führt uns näher zu uns selbst und stellt wieder eine Verbindung zur Natur her. Mit der radikalen Industrialisierung unserer Lebensmittelproduktion ist diese Verbindung, die Nähe zu den Pflanzen und Tieren, von und mit denen wir leben, in weiten Teilen in Vergessenheit geraten. Das ist nicht gut. Gerade habe ich einen Artikel überflogen, in dem es um Orte ging, wo Menschen besonders alt werden. Und ich dachte, wie jetzt, Orte? Da wurde über alles Mögliche berichtet, die Umgebung, die gute Luft, das soziale Umfeld – aber kein Wort über die Ernährung dieser alten Menschen, die ganz sicher der Schlüssel für ihr langes Leben war. Um diesen Ort zu finden, der unser Leben verlängert, müssen wir allerdings nicht nach Japan, Italien oder auf eine griechische Insel auswandern. Wir müssen danach auch gar nicht lange suchen, denn der wichtigste Ort, an dem wir eine Menge für unsere Gesundheit und für ein langes Leben tun können, ist unsere Küche!

Je häufiger wir hier unsere Nahrung aus frischen und guten Grundprodukten selbst zubereiten, desto genauer wissen wir auch, was wir zu uns nehmen. Denn was ist wohl das Geheimnis eines langen und gesunden Lebens? Doch wohl vor allem das richtige Essen! Mehr als die Hälfte aller Deutschen über 18 Jahre gilt aktuell als übergewichtig, 16 Prozent als adipös. Und genau das ist das Problem: Wir werden immer fetter, aber unser Körper verhungert, weil wir unsere Ernährung einer Lebensmittelindustrie in die Hände gegeben haben, die ganz grundsätzlich nach einer Maxime handelt: Wir sparen am Produkt und maximieren den Profit. Mal als einfaches Beispiel: Wenn wir 15 Euro für das Essen in einem Fast-Food-Laden ausgeben, dann liegt der Warenwert für Pommes, Burger und so weiter bei allerhöchstens zwei Euro. Gibt man den gleichen Betrag für frisches Gemüse, Salat und wegen mir noch für ein paar Würschtel aus, hat man wirklich werthaltiges Futter in der Hand, und daraus lassen sich locker vier Mahlzeiten zaubern. Also, ihr Sparfüchse – dafür sind die Deutschen ja nach wie vor berühmt, wenn es ums Essen geht –, auch die Preisfrage könnte doch ein gutes Motivationsargument sein, um mal wieder häufiger den Weg in die Küche zu finden. Liest man den Artikel über die Orte mit hohem Methusalem-Faktor richtig, dann wird auch klar, dass die Menschen, dort in der Regel nicht nur ein langes, sondern auch ein sehr einfaches Leben führen, und man kann davon ausgehen, dass sie ihr Essen überwiegend selbst aus frischen Zutaten zubereiten. Deshalb, ihr Lieben: Fangt einfach an mit dem Kochen und keine faulen Ausreden. »Kann ich nicht«, gibt es nicht. »Doch, Herr Keller, selbst wenn ich genau nach Rezept koche, kriege ich das nie so hin.« Genau das ist der Grund, warum ich mich schon häufiger mit meinen Foodfotografen gestritten habe. Die arbeiten mit allen möglichen Tricks wie Lack und Haarspray, um das perfekte Menüfoto zu zaubern. Doch das hat nichts mit der Realität zu tun. Kein Mensch kriegt das zu Hause so hin und jeder, der es versucht, ist gleich zum Scheitern verurteilt. Lasst euch also nicht zu Rezeptursklaven machen. Die vielen Hochglanzkochbücher sind schöne Bilderbücher und können ja durchaus auch zur Inspiration dienen, aber gerade in der Alltagsküche sind – wie überhaupt im Leben – andere Qualitäten gefragt: Neugierde, Lust, Experimentierfreude, Improvisation.

Ich selbst habe mich ja schon vor vielen Jahren ganz bewusst aus dem Zirkus der Sterneküche zurückgezogen. Ich wollte einfach frei sein, nicht mehr irgendwelchen sinnlosen Anforderungen für die Sterneküche folgen, sondern nur noch meinen eigenen Ideen und Ansprüchen – vom Einfachen das Beste. In der Küche sehe ich mich heute selbst eher als Freestyler, der draufloskocht und keine genauen Menüs im Vorfeld abspricht. Ich folge dann einfach meiner Intuition und entscheide spontan, was genau in diesem Moment gut und richtig ist. Einfach das Beste aus dem machen, was gerade da ist. Und genau das ist die Haltung, die in der Alltagsküche gefragt ist. In der Sterneküche hast du im Idealfall auf jedem Posten einen Spezialisten, der für einen kleinen Teil des Menüs verantwortlich ist. Alle am Prozess Beteiligten sind eng getaktet und aufeinander abgestimmt, weil es nur so gelingen kann, immer wieder eine bis ins Detail gleichbleibende Qualität zu produzieren. Genau das macht den Aufwand, den Druck und den Stress in der Sterneküche aus. Zu Hause in der Heimatküche gibt es diese Arbeitsteilung nicht, da haben wir alles selbst in der Hand, deutlich weniger Hektik und es stellen sich ganz andere Fragen: Was sind meine Vorlieben? Worauf habe ich heute Lust? Und was ist überhaupt gerade im Kühlschrank? Und wenn diese Fragen geklärt sind, legen wir einfach mal los. Es kann doch höchstens schiefgehen. Wo ist das Problem?

Man muss beim ersten Versuch einer neuen Kreation ja nicht gleich alle Freunde einladen und Ihre Familie ist doch eh schon Kummer gewohnt. Nein, im Ernst: Fehler kann man beim Kochen doch gar nicht machen, man kann höchstens Erfahrungen sammeln, die oft der entscheidende Impuls für unsere Kreativität sind. Und je häufiger wir kochen, desto größer wird unser Erfahrungsschatz, von dem wir kulinarisch profitieren. Kochen ist eine Lebenseinstellung. Selbst kochen heißt, die Verantwortung für das eigene Leben in die Hand zu nehmen. Wir müssen das Kochen wieder als festes Ritual in unseren Alltag integrieren, denn Kochen ist ein Abfolgeprozess, bei dem sich eins aus dem anderen ergibt, und je häufiger wir es tun, desto einfacher wird es und umso schneller geht es dann auch von der Hand. Regelmäßigkeit beim Essen ist aber auch im Hinblick auf die Gesundheit das Beste, was wir für uns selbst tun können. Kochen und Essen, am besten auch noch gleich gemeinsam, sind also kein Zeitverlust, sondern echte genussvolle Lebenszeit. Lebensqualität, die auch unseren sozialen Beziehungen guttut und nichts anderes.

Das erlebe ich doch immer wieder auf meinem Falkenhof. Da sitzen dann irgendwann alle am Tisch und es wird bei gutem Essen und leckerem Wein kreuz und quer über Gott, die Welt und das Leben gesprochen. Und das ist etwas ganz anderes, als wenn man sich zu einem Diskussionsabend trifft. Schon der berühmte Philosoph Immanuel Kant hat sich Gedanken über den ganz besonderen Charakter des Tischgesprächs gemacht:

»Bei einer vollen Tafel, wo die Vielheit der Gerichte nur auf das lange Zusammenhalten der Gäste abgezweckt ist, geht die Unterredung gewöhnlich durch drei Stufen:

1. Erzählen: Die Neuigkeiten des Tages, zuerst einheimische, dann auch auswärtige, durch Privatbriefe und Zeitungen eingelaufene.

2. Räsonnieren: Wenn dieser erste Appetit befriedigt ist, so wird die Gesellschaft schon lebhafter; denn weil beim Vernünfteln Verschiedenheit der Beurtheilung über ein und dasselbe auf die Bahn gebrachte Object schwerlich zu vermeiden ist, und jeder doch von der seinigen eben nicht die geringste Meinung hat, so erhebt sich ein Streit, der den Appetit für Schüssel und Bouteille rege und nach dem Maße der Lebhaftigkeit dieses Streits und der Theilnahme an demselben auch gedeihlich macht.

3. Scherzen: Weil aber das Vernünfteln immer eine Art von Arbeit und Kraftanstrengung ist, diese aber durch einen während desselben ziemlich reichlichen Genuß endlich beschwerlich wird: so fällt die Unterredung natürlicherweise auf das bloße Spiel des Witzes, zum Teil auch dem anwesenden Frauenzimmer zu gefallen, auf welches die kleinen muthwilligen, aber nicht beschämenden Angriffe auf ihr Geschlecht die Wirkung thun, sich in ihrem Witz selbst vortheilhaft zu zeigen, und so endigt die Mahlzeit mit Lachen; welches, wenn es laut und gutmüthig ist, die Natur durch Bewegung des Zwergfells und der Eingeweide ganz eigentlich für den Magen zur Verdauung als zum körperlichen Wohlbefinden bestimmt hat.«

Das kann ich nur bestätigen. Selbst ernste oder wichtige Themen kann man beim Genuss eines guten Essens leichter besprechen. Was vielleicht auch daran liegt, dass Tischgespräche selten synchron verlaufen. Da wird viel durcheinandergeredet und gekaut, aber vielleicht kommt man ja gerade deshalb beim Essen – und den Weingenuss sollte man natürlich in wohldosierten Mengen nicht vergessen – oft zu erstaunlichen Erkenntnissen. Und wie am Ende eines guten Essens oft ein feines Dessert den Schlusspunkt setzt, wandern die Gespräche bei Tisch in der Regel zu den heiteren Themen, je länger der Abend dauert.

Ich kann mich an eine schöne Szene erinnern, als sich vor einigen Jahren mal Angela Merkel und Wladimir Putin bei mir in der Adler Wirtschaft in Hattenheim zum Essen verabredet hatten. Das politische Klima zwischen Deutschland und Russland war zu dieser Zeit auch eher frostig und die Kanzlerin schon schlecht gelaunt, weil sich der russische Präsident fast drei Stunden verspätet hatte. Das kann ich sogar verstehen. Der Terminkalender einer Bundeskanzlerin ist schließlich voll und ziemlich eng getaktet. Als es dann hieß, dass Herr Putin im Anmarsch sei, stand Angela Merkel neben mir, zupfte ihr Jackett zurecht und sagte zu mir: »Also Herr Keller, wenn der mich jetzt auf Russisch anspricht, möchte ich in zwei Stunden zu Hause sein.«

Dann betrat Wladimir Putin den Raum, die Tür ging hinter ihm zu, alle Journalisten waren ausgeschlossen, der russische Präsident nahm charmant lächelnd neben der Bundeskanzlerin Platz und sagte in perfektem Deutsch zu ihr: »Liebe Angela, das tut mir wirklich leid, aber es gab einige Umstände, die einfach nicht vorhersehbar waren …«

Statt zwei Stunden waren sie dann fast fünf Stunden bei mir in der Adler Wirtschaft und haben sehr lebhaft und zuweilen durchaus heftig miteinander diskutiert. Von Angela Merkel wussten wir schon im Vorhinein, dass sie für den Nachtisch nur eine kleine Käseauswahl wünschte. Wladimir Putin entschied sich für eine Dessertauswahl, zu der auch eine Crème brûlée gereicht wurde. Als Putin sein Dessert verspeist hatte, winkte mich Angela Merkel noch einmal an den Tisch und sagte: »Bringen Sie Wladimir doch bitte noch ein Dessert.« Der russische Präsident winkte zwar ab und meinte, es sei genug, aber Angela Merkel sagte nur: »Doch, doch, Herr Keller, bringen sie noch eins.« Das habe ich dann auch geliefert und die Bundeskanzlerin forderte Wladimir Putin grinsend auf, noch einen Löffel zu nehmen. Kaum hatte er das getan, nahm Angela Merkel ihren Löffel und kostete lustvoll von allem. Da dachte ich, wie schön. Die politische Stimmung mag in diesen Tagen nicht besser gewesen sein als aktuell, aber in diesem Moment und bei diesem Essen haben sich die beiden als Menschen verstanden. Für den Augenblick einer Mahlzeit waren sie weniger Politiker, vielmehr zwei Menschen, die gemeinsam aus einem Teller ihr Dessert gegessen haben.

Mich braucht man von der positiven Wirkung guten Essens auf die zwischenmenschlichen Beziehungen nicht zu überzeugen und man muss dafür auch weder Präsident noch Kanzlerin sein, obwohl die beiden gerne noch mal wiederkommen können, wenn es hilft, ein paar Probleme aus der Welt zu schaffen. Das ist doch das ganze Geheimnis: Nicht nur die Liebe geht durch den Magen, wir sind beim gemeinsamen Kochen und Genießen mit Familie oder Freunden mit allen Sinnen unterwegs und das verbindet. Was ich damit sagen will, ist: Denkt nicht an die Arbeit, die selbst kochen ohne Zweifel macht, denkt an die Freude und Zufriedenheit, die ihr euch bereiten könnt.

In der Küche, beim Kochen, geht es immer um das Wesentlichste, das Wichtigste überhaupt: Es geht um unser Leben. Denn ganz egal, was wir tun und auf welche Weise wir versuchen, das Beste aus unserem Leben zu machen – das Essen an sich ist niemals wegzudenken, es spielt in unserem Leben die zentrale Rolle. Ein Auto ohne Benzin oder Strom oder Wasserstoff fährt keinen Meter weit. Und nur wirklich gute Ernährung führt unserem Körper die Energie zu, die er braucht, um lange leistungsfähig zu bleiben.

Allerdings – und das sollten wir dringend ändern – spielt gutes Essen bei sehr vielen Zeitgenossen in unserem heutigen Leben eine so erschreckend kleine Nebenrolle, dass ich manchmal denke, meine Rinder, Schweine und Kaninchen sind da doch schon wesentlich weiter. Die ernähren sich einfach viel besser. Ich mache mir da zuweilen große Sorgen. Die Fast-Food-, To-go- und Fertigfutter-Seuche grassiert weiter. Und wie die Esskultur scheint auch der humanistische Geist in unserer Gesellschaft zu verkümmern. Ich finde das äußerst bedenklich. Macht uns die bequeme Sattheit unseres Wohlstandslebens so träge? Wir wären ja nicht die erste sogenannte Hochkultur in der Geschichte der Menschheit, die gekippt und verschwunden ist. Vielleicht wiederholt sich Geschichte doch. Fremdenfeindlichkeit, die zunehmende Abschottung vor Neuem und Unbekanntem, egal mit welchen Konsequenzen und egal zu welchem Preis – das kennen wir doch alles schon und es war auch damals schon der falsche Weg. Statt rückwärts zu denken, sollten wir nach vorne handeln. Immer so weiter – das geht nur auf Kosten anderer und nicht zuletzt unseres Planeten. Im Prinzip wissen wir das alles und wir wissen auch, dass wir um größere Veränderungen in unserer Einstellung zum Leben nicht herumkommen.