Aber die Liebe - Hans Leip - E-Book

Aber die Liebe E-Book

Hans Leip

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Beschreibung

Auf der Atlantiküberfahrt an Bord eines Containerschiffes berichtet ein Passagier aus seinem Leben. Es handelt sich bei ihm um den Exportkaufmann Bojer Toppendrall, der in Hamburg als Schnitzer von Galionsfiguren begonnen hatte. Er erzählt von seiner Kindheit, seinen Eltern, seiner Schwester, von der Werkstatt nahe dem alten Hamburger Hafen, von Gesellen und Galionsfiguren, von ersten Freunden und erster Liebschaft, von der Begegnung mit bekannten norddeutschen Künstlern wie Alfred Lichtwark und dem jungen Ernst Barlach. Und von seiner nie endenden Liebe zu Rischa Möller. Und mit seinen Beobachtungen und Weisheiten verzaubert Herr Toppendrall alias Hans Leip wieder einmal seine Leser.-

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Hans Leip

Aber die Liebe

Aus der Westwindkartei des Herrn Toppendrall

Roman

Saga

Dat du min Leevsten büstdat du woll weest ...

Friesisches Volkslied

L’amour, l’amour, belle oiseauchante, chante toujours!

Yvette Guilbert

Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei.Am größten aber unter diesen ist die Liebe.

Paulus,Erster Korintherbrief

Bis auf die bekannten Ereignisse,Personen und Schauplätzeist alles in diesem Roman erfunden.

Erstes Kapitel

Als die beiden einige Tage aneinander vorbei geschwiegen, begann Herr Toppendrall unversehens zu reden. Ob nur für sich, das mag er selber wissen, er, ein wohlhabend angesehener Exportkaufmann, über die Höhe des Lebens hinaus an jenem Abhang, den die Neigungen der erfüllten Jahre hinuntergepurzelt sind bis auf die eine, behaglich einmal Bilanz zu ziehen in der Gewißheit, trotzdem noch eine Weile liquide zu bleiben.

Auf diesem Schiff, sagte er, auf diesem soliden Untersatz die einzigen Fahrgäste zu sein, das sollte uns nicht langweilen, Mister Bit. Wie ich eben höre, haben Sie sich die gleiche Marke Rotspon bestellt, die beste, die sich aus Bordmitteln beschaffen läßt. Wenn Sie erlauben, enttanken wir erst mal meine Flasche. Zum Wohl denn! Auf das, was hinter und vor uns liegt. Was wird schon sein? Wir gleiten mitten dazwischen voran oder davon. Sind beide von der Küste, London Sie, Hamburg ich. Das Wasser lag zwischen uns. Jetzt kreist es uns ein. Der reichliche Wind hat uns früh die Hand auf den Mund gelegt. Außerdem wurde uns klar, Gesagtes ist keine Ware, die man zurücknehmen kann, und nichts ist leichter verderblich. Wir haben gelernt, entgegenzunehmen und anzuweisen ohne Geschrei. Das unterscheidet uns vom Orient. Sich darauf etwas einzubilden, hat wenig Sinn. Wir schlucken hinunter, indes andre sich erleichtern. Werden wir deswegen fett? Oder besser? Es liegt nicht daran, Mister Bit. Es liegt am Umsatz und an der Verwertung. Ja, zum Wohl denn!

Zum Wohl, das sagt man wohl,

doch meistens klingt es hohl.

Das Glas ist bald geleert,

das Gute bald verzehrt.

So denn gehen wir unsern Gedanken nach, denn hier an Deck ist nichts, dem man sonst mit Gewinn nachgehen könnte. Den Betrieb kennen wir. Und die See? Sie ist uns vertraut seit mancher Begegnung, ohne daß wir uns getrauen, ihr zu trauen. Wir lassen sie kühl, wir sind ihr weniger als nichts, wir sind Entstiegene und haben die Flossen verloren, und machen wir sie uns künstlich und Kiemen dazu, um dem mütterlichen Urschoße wieder ein bißchen näher zu rücken, so mag das dem Vergnügen dienen und der Forschung und dem Fisch-, Perlen-, Muschel- und Algenhandel und der Öl- und Erzgewinnung und der Marine und der Polizei. Mir genügt die Oberfläche; diese zu betrachten und nicht nur zu nutzen, ihre bewegten malerischen Reize, ihre Himmelsspiegelungen, ihre Spannungen, Erstarrungen und Erschütterungen, ihre Stimme, ihre Düfte, ihre Einsamkeit und ihre Gewalt zu erfahren, das war immer ein Teil meines Daseins und mehr als ein bloßer Genuß.

Schon darum hab’ ich diesen Container-Frachter gewählt. Die Musik- und Luxusdampfer sind etwas für mittlere Jahrgänge, wo man zu Anbändeleien neigt und man dem Obersteward nicht dreinredet, mit wem er einen an den Tisch setzt. Sind Sie etwa neugierig auf die wahrscheinlich letzte der Passagegigantinnen, die Queen Elizabeth II, Mister Bit? Wie jeder Verein wird sie schon als Abkürzung geführt, als Qu E two, was den üblichen Schandmäulchen wie eine halbwegs vollzogene Vergewaltigung klingt und nicht nur, weil die Docker sie ihres Inventars schon vor der Jungfernfahrt ziemlich entkleidet hatten. Und dann streikten die Turbinen, und sie lag hilflos da, dem Westwind preisgegeben, diese neueste Königin der Meere.

Das müht sich hin auf schwankem Kiel,

so schön und groß ein Wellenspiel,

so weit auf See, so fern von Land,

kaum mehr als eine Unze Sand.

Mag sein, Mister Bit, wir haben unsere neue »Hamburg«, obschon kleiner, noch solider und eleganter gebaut, ein berechtigter Ausweis und ein hübscher Schöpflöffel in der weithin duftenden Suppe westlichen Wohlstandes und üppiger Touristik.

Sehen nicht alle Seeleute aus wie ewige Hochzeiter, die nie ans Ziel gelangen? Käptn Schratt, mir gut bekannt, meinte, je älter er wurde, desto unwahrscheinlicher dünkte ihm, jemals über den Ozean gelangt zu sein. Und er war, weiß Neptun, ein Navigator von Rang. Würde es mit der Fliegerei sicherer sein? Mir liegt es nicht. Es ist mir zu eingepreßt und zu entfremdet der menschlichen Natur. Lassen Sie mir den unverbauten Horizont aus erdnaher Sicht! Gern zitiere ich etwas Nietzsche vom Bug aus, was auf Unendlichkeit endet, und falle doch alsbald gnadenlos auf mich selbst zurück. Aber es belastet mich nicht. Was denn wiegt es schon? Es ist die einzige verläßliche Heimkehr. Bei sich selber zu Haus. Wer das sagen kann, ist gefeit gegen jede Rempelei und vermag Tür und Fenster zu schließen ohne Bedauern. Und wo immer es sei. Knistert und lauert doch ein Irgendwas aus Irgendwoher, das lieber draußen zu bleiben hat. Wie behäbig doch, wie gutmütig poltert draußen der Wind, und wir sitzen gemütlich da und sprechen ihm zu: zum Wohl denn! Western Wind. Unser alter Liebling, so Themse als Elbe, und unser alter Verdruß, als wir noch unter Segel gingen outward bound und auf ein bißchen Schwenkung gen Ost warteten. Aber heimwärts war’s gut, so weidlich es blies und uns von oben und unten durchnäßte, daß wir meinten, die ganze Welt sei ein vollgesogener Schwamm, und wir blind von Salz und Nebel ins kaum noch Kompaßgewisse taumelten. Aber wir kamen voran, homeward bound. Hafenzu nach Haus. Dahin, wo wir meinten, es sei alles Ruhe, Glück und Stetigkeit, der Unendlichkeit entflohn, im Endlichen geborgen. Und war doch selten. Warum nur, Mister Bit, warum?

Das tut des Meeres Nichtunendlichkeit dir kund.

Dringst du nur tief genug,

verbirgt sich dir kein Grund.

Westwind, so ungeheuerlich er sich manchmal betrug, nur er war unter allen Winden mir zuträglich. Wie oft schon als Kind lag ich wach unter den bestürmten Dachziegeln, wenn es fauchte und röhrte wie hundert Riesenbestien und dann donnernd polterte, als rase ein Schnellzug drüber hin. Da spürte ich keine Angst, da war mir’s wohl ums Herz, sosehr ich mitschwang im Reigen der geplagten Schiffe auf See und auch ahnte, was ihnen zugemutet war. Westwind, das war die gute Luft von See, die atlantische Narrenpritsche und der sanfte Fächer, Hieb und Streicheln zugleich und ein Füllhorn voller Fernwehseufzer. Wir kennen unsere hohen Breitengrade, Mister Bit, wir haben gesiedelt, wo von Rechts wegen statt der Rosen der duftlose Farbenschiller urzeitlicher Bruchsteine wie auf der Paulsinsel vor Labrador blühen müßte. Oder wie auf der andern Seite des Nordpols zu Petropavolovs auf Kamtschatka die Mairübchen höchstens unter Glas gedeihen und die Mädchen wohl kaum je Appetit auf Minirock und Bikini bekommen. O ja, wir wissen die Gnade zu schätzen, den Golfstromatem, west hergehaucht, der uns aus Dauereis und Tundra erlöst hat, und wissen wohl, Mister Bit, daß wir hier Geborenen alle ein bißchen wie Treibhauspflanzen sind, üppig und anfällig wie die gesamte westwindbestrichene europäische Kultur.

Dieser Westwind, pendelnd zwischen Nord und Süd wie ein erregter Katerschweif. Immer war er das richtige Gebläse für Hamburgs Arbeitsturbinen, er fegte das Hirn klar und machte die Hände rege, da bewegte Hein Tüt die Sackkarre, den Kran oder Stapler ohne Gebrumm, da flutschten die Hieven wie selbstverständlich aus den Ladeluken oder hinunter in Schiffsbäuche; kein Tallymann verzählte sich. Auf den Werften packte Nieter Fiedje Kohrs muskelfroh zu, ohne von Lohnerhöhung zu träumen, und die Bürostifte lümmelten nicht herum, sondern waren auf Laufbahn bedacht. In den Kontoren floß das Diktat emsig und fehlerfrei, die Tippmädchen saßen gereckt und nicht wie welkende Vergißmeinnicht, die man besser hätte im Garten gelassen. Und bei Chef und Direktor funkte die Kalkulation, die Berechnungen und Rechnungen stimmten. Die Maschinen der Industrie rasselten und surrten wie im Tänzertakt, und in den Apotheken und Labors und Kliniken geschah kein Mißgriff, soviel ich gehört, oder aber es geschah zu dienlicher Warnung. Selbst auf den Kasernenhöfen Bundesstraße, Lockstedter Lager und zu Wandsbek erschollen trotz aufgeweichtem Gelände und Dreck und Quälkram die Kommandos zahmer und die Flüche erfrischender als bei trockenem und eisigem Ost. Ich behaupte, alle bedeutenden Ereignisse in dieser Hansestadt – und möchte Bremen gleich einbeziehen und fast auch Lübeck – geschahen bei Westwind; die Einweihung des Freihafens und die des Steubenhöfts zu Cuxhaven, der Stapellauf der Ozeaner und der Besuch der britischen Königin. Und auch das Schlimme Hochwasser anno 64, das klarmachte, wo man zu sparsam gewesen war. Und die Kinder kommen leichter zur Welt.

Western Wind, der Wecker und Mahner zu Einsicht und Anstrengung, Versäumtes nachzuholen, Zustände zu bessern und Großartiges zu planen. Bei Ostwind schrumpfen die Nerven, da sickert Blei in die Arterien, da dunsten die Fabriken, da trübt sich das Gemüt unversehens bei heiterstem Himmel, und die Beine wandeln schwer selbst durch die Blankeneser Parks. Bei solch dürrem und in sich frostigem Gewehe gingen vormals die Segler ankerauf und nahmen die Trossen von den Duckdalben und prangten unter vollgeblähten Lappen elbab, gefolgt von Liebchentränen und von der Dumpfheit keimender Ungeborener. Bei allzu starkem Westwind runksten die Seegefäße träge an Kai und Pfählen und wären lieber weit weg gewesen, draußen, wo Raum genug war, den Pustern von See gegenan zu kreuzen. War es nicht törichte Ungeduld? War doch nur barmherziger Aufschub ungeahnter Strapazen, vergängliche Bewahrung vor Orkan oder Flaute, vor Skorbut, Strandung, Kapseisen, Kap Hoorn und den Hyänen der fremden Häfen und Lues und Gelbfieber und weiß der Teufel, der gar nichts weiß.

Ist heute alles harmloser? Als wenn’s damals trotzdem keine Lockung gewesen wäre für den Unverstand junger Leute und die Unruhe, die hier den Empfindsamen heimsucht und unverschämte Versprechungen säuselt und, bevor er sich auf Näheres einläßt, lächelnd davonpirscht zur Ostsee hin und ins russische Tief und Nirgendwo. Da wachsen denn bei uns die Abenteurer, die unausrottbaren westwindgesäugten Wikinger, die schnuppern begehrlich ins Wo-kommst-du-her und knurren: Na denn will ich mal hin! So erging es mir oft mit dem großen Verführer und Ihnen, Mister Bit, genauso.

Wind von Osten

schlecht auf dem Posten.

Wind von Süden

rasch zum Ermüden.

Wind von Norden –

nichts gut geworden.

Wind von Westen –

immer am besten.

Von Westwind trunken, da brauchte es kaum des Grogs und des beschwichtigenden Behagens in den Tavernen hafenlängs.

Und immer war Westwind, wenn ich mich verliebte, sanfter feuchter West, der den Augen wohltat und den Knospen an den Büschen und in den Blusen und dem Saftstrom der Bäume, der die Siele spülte und die Ströme des Daseins förderte. Aber man frage an der Küste keinen danach! Nach der versponnenen behenden Klarsicht in Niesel und Dunst. Da versagen die Worte, alles ist nur Gefühl, und darüber läßt sich bei uns schwer etwas vernehmen. Viel eher redet man über nasse Füße, übergeklappten Schirm, weggewehten Hut und drohende Mandelentzündung. Und auf See? O Mann, o Meter, auf See im Atlantik! Die südwest grau heranschwellenden Einschnürungen, firmamenthohe Rotunden aus rasenden Lassos oder die schwarze Zerstörungswut nordwestlicher Zyklone. Und wir sitzen hier soweit geborgen über den ruhsam surrenden Turbo-Aggregaten, erträglich gewiegt, kaum daß unser Glas zu entrutschen wagt.

Gischt

zischelt

bedrohlich

am Bug, peitscht über

entwetzt, melusinisch spielend.

Melusinisch wie die Mädchenaugen küstenlängs, in Southampton wie in Cuxhaven, Passataugen, im Passat gaukelnd, in der Verhaltenheit des Südost und Nordost, heitere Beständigkeit, Zuversicht, Zutraulichkeit, Gelassenheit, Janmaats freundlicher Seesalon, wo die federnde Anspannung sich lockert und die mißtrauische Wachsamkeit sich ein inneres Nickerchen gönnt, auch Zeit hat, dem gelinden Heimweh ausgeliefert zu sein nach Haus und Gärten und den blaßblauen Augen und dem verführerischen unaufdringlichen Liebchenlachen zwischen Amsterdam und Kopenhagen und Stockholm, Kap Landsend und Nordkap. Aber seien wir nicht engherzig, Mister Bit! Das Melusinische taucht an allen Küsten aus der See und schweift weit in die Lande. Und wie die Farbe der See nur in den Schnulzen festgelegt ist, sind in Wahrheit auch die Melusinenaugen an keine Farbskala gebunden. Da wird jeder das Seine erlebt haben. Ich für meinen Teil bin’s dankbar zufrieden.

Doch noch waren wir beim Wind. Bringt nicht der Ost oft gutes Wetter? Aber Joseph Conrad, der große Schriftsteller der See, der Pole, der auf französischen Seglern lernte und britischer Kapitän wurde und wissend und willens zum Engländer, der sagte: »Ostwind, das ist ein Eindringling in unsere Breiten, kalt, verschlagen und undurchschaubar.« Dieser euer östlicher Wahllandsmann, Mister Bit, hat sowieso alles gesagt, was über Wind und See zu sagen ist. Er sprach aus, was schon damals galt und wohl immer gelten wird und nicht nur für »Wolken, Luft und Winde«: »Der Gegensatz heißt nicht Nord und Süd, sondern vielmehr West und Ost.« Nahost, Nahwest, Fernost, Fernwest in zügigem Wechsel. Noch war des zwielichtig ungeschickt gottgnadenbetonten letzten Hohenzollern verlachtes und doch so merkwürdig prophetisches Panier gegen die gelbe Gefahr nicht gehißt. Noch bauschte sich kein vergänglich Ludendorffscher Germanenkult, da sah jener Ukrainer Theodor Joseph Conrad Korczeniowski den Ostwind als schwarzäugigen Fremdling, der lächelnd, den Dolch hinterm Rücken, darauf aus ist, mörderisch zuzustoßen.

Den Westwind aber sah er als einen wikingschen König blauäugig und blondbärtig thronen, das blanke Schwert der Gerechtigkeit auf den Knien.

Nun gut! Wir halten nicht mehr viel von thronenden Monarchen und blanken Schwertern, Mister Bit. Aber horchen Sie, was da draußen braust, klingt nicht heimtückisch, sondern offen und ehrlich, so, wie es zu sein hätte zumindest in Europa. Und hier war wahres Heldentum, hier auf See, als es noch durch Want und Rahen pfiff, West zu Süd dreiviertel West oder so, und gegenan geknüppelt wurde, auf Gedeih und Verderb um jeden Preis ein paar Seemeilen voraus zu tun. Da ging’s mit zerfetztem Shanty ans Brassenreißen und über Stag auf den anderen Bug, da schwappten die Brecher um die Knie, möbelwagengroß preschten die Seen herein, gezackt von den verblichenen Kronen aller Zeiten, weiß von wirbelnden Leichentüchern. Holl di fast, Jung! Und wenn es steifer wurde als zehn hanseatische Senatoren vor der Bewilligung eines Kulturetats, dann drückte sich noch eben vernehmlich ein Gebrüll durch den Lärm der Natur: Mok de Royals fast! Oder: Dohl mit de Oberbrams! oder so.

Ist lange her, daß ich’s gehört. Und dann klommen sie hinauf, hin und her geschwungen, die glitschigen Wanten hoch und über die Saling, als sollten sie, den Rücken nach unten, eben an der Kante zur nächsten Strickleiter noch abgeschnippt werden. Aber wann wurde es nicht geschafft mit heraustretenden Sehnen und krallenden Gelenken, links und rechts nichts als sausende Luft, die an ihnen zerrt mit Untierhauern. Sie haben Fäuste wie Stahlklammern, diese wunderlichen Überwinder, sie ließen nicht nach, und ihre Füße ertasten die Peerllien unter der ihnen zugewiesenen Rah durch die dicksten Seestiefelsohlen selbst in stockdusterster Nacht, ihre Körper schmiegen sich über das glatte trommeldicke Rundholz, ihre Bauchmuskeln werden zu Saugnäpfen oder möchten es wohl, sie schieben sich an ihren Platz, die starren Finger in das triefnasse brettige Segeltuch ...

Eine elende Schinderei, jahrhundertelang fluchend und begeistert erduldet, heute in ein paar Ausbildungsfahrzeugen der Marinen dieser Erde nachhallend und verhallend, dieserweise »eiserne Männer« zu erziehen, wie sie auf den Windjammern erzogen waren, als es anders nicht ging. Heute wird der körperliche Einsatz von erstaunlichen Mechanismen menschenfreundlich zurückgedrängt. Es ist heute leichter, Seemann zu sein.

Mit Romantik hat der Beruf sowieso weniger zu tun, als wir uns eingebildet haben, da unsere Windeln eben trocken waren. Wir haben sogar die Marine gepriesen und haben Seeschlachten gespielt, und Körbe und Schemel waren Panzerkreuzer und erfochten glorreiche Siege.

Saß ich später mal bei einer Senatsmahlzeit, die zu Matthäi oder Mathias dem Datum gemäß, ich hab’s vergessen, seit alters honorige Leute an den Tisch bringt, gegenüber Kapitän Wiehr von der Hapag. Neben ihm saß ein Konteradmiral. Gleich nach der Suppe, die von einem Glas Portwein vorgewürzt war, warf der Mariner einen Blick auf den Ärmel seines Nachbarn, den über den vier Goldlitzen kein pentagrammatischer Stern zierte, und sagte, so gewinnend es bei dem nicht ganz unterdrückbaren schnarrenden Kasinoton möglich war: Kapitän, Sie haben nicht gedient?

Doch, Exzellenz! entgegnete Wiehr in seiner unwiderlegbar sachten Art, aber nicht in Ihrem Kriegerverein, sondern runde 45 Jahre bei der Handelsflotte. Und das ist nu mal so, Ihre Leute und Sie kosten nur was, und es muß das mit unsern Steuern bezahlt werden. Wir indes haben immer nur was eingebracht. Sie arbeiten auf Vernichtung hin, wir auf Versorgung, das steht allerdings unter einem unsichtbaren Stern.

Der Admiral war mächtig verdutzt über soviel Offenheit und lief rot an. Er besann sich aber, wie es einem an Disziplin Gewöhnten zusteht, und schnarrte nur: Na, na! Das ham Se woll aus’m Simplicissimus!

Hob dann aber das Glas eben eingeschenkten Mosels über den aufgetragenen Steinbutt: Prösterchen, Käptn! Und neigte sich zu ihm und stieß mit ihm an und sagte unter zuckender Braue smart undurchsichtig: Auf das Bessere denn, Kollege von der Seefahrt!

Und wir sagen das gleiche, Mister Bit. Ganz recht, unser Kapitän trägt diesen kleinen goldenen Drudenfuß auf dem Unterärmel. Er hat sogar ein Unterseebot gehabt und ist davongekommen und möchte nicht noch einmal und sagte mir kurz angebunden: Herr Toppendrall, alles Schweinerei!

Sie glaubten hoch an Ehr und Zier,

an Ruhm und Majestät.

Das Gold der Litzen kündet dir,

um was es wirklich geht.

Diese Poesie hätte ich ihm kaum und so entlarvend keineswegs zugetraut. Ihre Ansichten, Mister Bit, ergeben sicherlich ganz andere Perspektiven. Den wackeren Bekenner aber zur Rede zu stellen, wollen wir uns verkneifen. Er hat anderes zu tun, um mehr als ein höfliches Wort im Vorbeigehn an uns zu verlieren. Nehmen wir es flüchtig auf, bewahren es im Safe unserer Eigenbrötelei und präsentieren es den Ereignissen nach Bedarf. Und die Besatzung ist beschäftigt wie er. Für sie ist das Wetter weniger Promenadenkonzert als für uns. Der Wind frischt auf auf striktem Gegenkurs, und der Fahrplan muß eingehalten werden.

Ah! Ein Schmollis dem Reeder? Sehr gut, Mister Bit, Sie können soweit Deutsch. Haben in Heidelberg studiert wie der alte Globetrotter Somerset Maugham. Er wußte einiges sehr abseitig Ungetümliche an den Markt zu liefern, an den der Literatur, dem wir nicht viel zu bieten haben außer unserer Geneigtheit in einsamen Stunden. Of human bondage, von des Menschen Abhängigkeit hat er seinen Teil Erfahrung mitgeteilt, hat den brutal bunten Schleier ein wenig gehoben, der uns von Brot und Wein und Kuß und der allereigensten Erkenntnis aller Dinge trennt und vom Zittern eines Ahornblattes und vom Stiefel, der es in den Dreck tritt. Im übrigen war er ein praktischer Lebemeister.

Ich begegnete ihm, als er im Gepäck eine Tür mitführte, wie man sie in den Tropen kunstlos zimmert, wenn man europäische Vorstellungen von Privatbesitz mitschleift und unterm Feldbett ein paar Flaschen versteckt hält, die man keinem ungebetenen Schlunde gönnt. Auf eine solche Scheidewand hatte Paul Gauguin etwas hinterlassen, so flüchtig als deutbar, eine Scène érotique im genußreichen Aufbau zweier brauner Gestalten, eine grobe und dennoch delikate Malerei vielleicht zur Begleichung einer Bananenschuld oder eines Beischlafs, wer weiß das noch.

Maugham erwarb diesen schon leicht verrottenden Kunstmarktwert im Tausch gegen ein paar Dosen Exportbier und eine Pyjamahose, hörte ich. Legenden sind nicht kleinlich im Erfinden. Der Brauchbarkeit nach mochte es ein annehmbarer Preis sein in Gefilden, wo weder ein echter Gauguin noch eine Tür so begehrt waren wie die genannten Artikel. Die Nachfrage macht’s, nicht das Angebot. Maugham, der geborene Pariser, ehemaliger Arzt und erfolgreicher englischer Schriftsteller, äußerte damals am Kapitänstisch den Grundsatz seiner Daseinsbewältigung: Ärger frißt mehr, als wir Gutes zu uns nehmen können.

Später hat er es publiker gefaßt: Jede Minute Ärger raubt sechzig Sekunden die Möglichkeit, dich glücklich zu stimmen. Er scheint sich trotz aller späten Brummigkeit diesem Rezept mit Wirkung verschrieben zu haben. Er wurde sehr alt. Und alt zu werden ist gut, wenn der Verstand durchhält.

Ziehen wir unsere Lehre daraus. Nehmen wir die Sachlagen in gelassener Einschätzung. Wie dieses Containerschiff, das uns die Weile beherbergt. Wir sitzen auf geronnenem Transportwillen, auf geschickter Nutzung. Hier ist die Fracht ökonomisch gepackt wie eine Schachtel Würfelzucker, eine wohltuende Vorstellung von genormter Handlichkeit. Auch Sie, Mister Bit, haben etwas darunter, unter unseren wachsamen Füßen, jedes Kolli ein Würfel, groß wie ein Wochenendhaus, wasserdicht und stabil wie eine Munitionskiste, verladegünstig, unmittelbar für Bahn und Schwergutlaster passend ab Hafenrampe und umgekehrt. Vier Kolli Sie, sechs ich, Sie Elektrogeräte, ich Schaufensterpuppen.

Unsere Vertreter haben drüben ein paar Abschlüsse gemeldet, die erquicklich genug scheinen, die Abnehmer Auge in Auge zu begutachten. Geschäft ist Geschäft, sagte Emil Jannings, der seinerzeit in einem Stück dieses Titels sich selber spielte und gerade im Deutschen Schauspielhaus zu Hamburg des Beifalls sicher sein durfte. Und er schenkte einer jungen Dame, die aus purer Verehrung ihn zu einer Tasse Tee bat und ihm überdies zu Gefallen zu sein nicht zögerte, zehn Mark. Und sie wies es nicht ab.

Sind wir ebenso? Wir an der Küste sind so. Wer weiß, wann die Springflut oder ein Devisensturz uns die Existenz unterwühlen. Jede Einnahme eine Dämpfung gegen unvorhergesehenen Anprall. Das Woher und Warum schweigt, wenn die Kasse sich füllt. Und wir sind im Umgang wählerisch nur mit Rücksicht auf unsern Bestand.

Er prüfte in der Runde

jedes Gesicht.

Konkurrent oder Kunde,

andres gilt hier nicht.

Ja, ein Schmollis dem Reeder! Er hat dem Trakt der Offizierskammern zwei Sonderkabinen mit Bad und Zubehör anfügen lassen, weil er gelegentlich mitzureisen gedenkt nebst Sekretärin. Darum auch der winzige Sonderraum für Mahlzeit, Geplausche und Diktat. Uns kommt es zugute.

Sein und nun unser Steward ist dreifarbig gemischt, dreeklörig wie die besten Hamburger Katzen, und versteht nicht viel mehr als unsere Tafelwünsche. Wir sind auf unser eignes Geschwätz angewiesen und brauchen uns keine Zurückhaltung aufzuerlegen. Das Angestaute darf überkämmen und ins Leere fließen. Die Zeit hat uns gehabt. Jetzt haben wir Zeit. Der Stopper ist los, das Kabel rollt ab, die Kette rauscht aus. Es stäubt ein bißchen Rost, es sprühen ein paar Funken. Es quietscht, rasselt, poltert, knirscht, zischt ein wenig, beruhigt sich, der Anker ist zu Grund, faßt oder faßt nicht, hält seine Weile oder nicht, wir stehn bei uns selber, als stünden wir auf sicherer Mole. Und betrachten das Unsere, als sei es ein Film zu Bangkok.

Zweites Kapitel

Wann gliche das Unsere jemals etwas anderem? Sie hatten viele Schwestern, Mister Bit, und haben diese alle geliebt und fragen mich, ob ich meine einzige Schwester auch geliebt habe. Sie war fünf Jahre älter als ich. Ich liebte sie nicht wie euer Lord Byron die seine, Mister Bit. Ich vermochte nicht einmal, aus einer Tasse zu trinken, die sie benutzt, mit keinem Löffel zu essen, mit dem sie gegessen, geschweige denn von anderen.

Ich muß sehr benommen gewesen sein, als ich eines Tages, der ich sonst ablehnte, in den Familien meiner Freunde je etwas zu mir zu nehmen, zögernd beflissen in ein Butterbrot biß, das mir ein Mädchen hinhielt, das mir bis dahin unbekannt gewesen. Ich war zur Geburtstagsfeier bei meinem Schulfreund Muggi Wimp eingeladen. Er hatte zwei hübsche Schwestern, hübscher als meine, glaube ich, aber dieses Mädchen mit der dicken Stulle war mir fremd, und ich biß hinein, obwohl keine Butter, sondern Margarine drauf war und dazu rohes Beefsteakhack mit Zwiebeln, was ich bislang nicht kannte und zu Hause auch schaudernd abgelehnt hätte.

Aber hier überwältigte mich etwas, ohne daß sich ein Widerstand in mir regte. Ich war verwandelt unter den aufmerksam mich musternden grauen Augen dieses Mädchens, das Telke hieß und aus Altona zu Besuch war.

Eine Kusine, sagte mein Schulfreund.

Sie sah überdies einem Engelpaar ähnlich; mein Vater hatte es für eine Kirchenorgel geschnitzt, für irgendwo in Holstein, wo man keinen richtigen Bildhauer bezahlen konnte, ich weiß den kleinen Ort nicht mehr, und der Pastor lehnte dann ab; die Engel, behauptete er, seien zu weltlich geraten im Gesichtsausdruck und ohne Flügel. Die Flügel waren aber auf dem Transport abhanden gekommen, und so gelangten die beiden flügellos an uns zurück. Sie zierten bald darauf eine der damals noch gängigen Karussellorgeln.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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