Abitur und Bachelor für alle – wie ein Land seine Zukunft verspielt - Hans Peter Klein - E-Book

Abitur und Bachelor für alle – wie ein Land seine Zukunft verspielt E-Book

Hans Peter Klein

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Beschreibung

Jahr für Jahr drängen mehr Abiturienten ins Studium, ohne dafür die notwendigen Voraussetzungen mitzubringen. Demgegenüber verliert die praxisorientierte duale Ausbildung zunehmend an Ansehen und Attraktivität. Unter dem Vorwand, damit Chancengleichheit zu schaffen, treiben Bildungspolitiker diese Entwicklung zügig voran. Vielerorts gerät das Studium zur verschulten Ausbildung. 19.000 Studiengänge sind es mittlerweile, die auf das Erwerbsleben vorbereiten sollen. Der personelle Mangel an den Universitäten und Hochschulen hat im Zuge dieser »Bildungsexpansion« dramatische Ausmaße angenommen. Drittmittel sollen Entlastung schaffen. Unter dem Druck, sie einzuwerben, können Professoren ihren Lehr- und Forschungsverpflichtungen allerdings nicht mehr angemessen nachkommen. Während die fachlichen Ansprüche an vielen Hochschulen bereits drastisch heruntergeschraubt wurden, um die Zahl der Absolventen in die Höhe zu treiben, haben Begabtere oft das Nachsehen: Begabtenförderung gilt in Deutschland als unsozial. Doch dafür wird langfristig nicht nur im Bildungswesen ein hoher Preis zu zahlen sein.

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Hans Peter Klein

Abitur und Bachelor für alle –  wie ein Land seine Zukunft verspielt

Hans Peter Klein unterrichtete lange Jahre als Gymnasiallehrer. 2001 wurde er auf den Lehrstuhl für Didaktik der Biowissenschaften an der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität in Frankfurt berufen. Er ist Präsident der Gesellschaft für Didaktik der Biowissenschaften, Mitbegründer der Gesellschaft für Bildung und Wissen und Mitglied der Bildungskommission der Gesellschaft deutscher Naturforscher. Bundesweit ist er ein gefragter Kommentator zum Thema Bildung. Zuletzt ist bei zu Klampen von ihm erschienen: »Vom Streifenhörnchen zum Nadelstreifen. Das deutsche Bildungswesen im Kompetenztaumel« (2016).

Inhalt

Cover

Titel

Impressum

Vorwort

Auf den Spuren der Streifenhörnchen

Vom allmählichen Verschwinden des Faches aus der Fachdidaktik und dem Fachunterricht

Die babylonischen Gefangenschaften des Bundesministeriums für Bildung und Forschung

Die epidemische Ausbreitung von Plagiaten

Der Siegeszug der Ghostwriting-Agenturen

Die wundersame Vermehrung von Dissertationen und Bestnoten

Wissenschaft, die sich selbst abschafft

Die wundersame Vermehrung von wissenschaftlichen Journalen

Die wundersame Vermehrung der Studiengänge – wie Mickymäuse die duale Ausbildung pulverisieren

Bologna-Teaching – wie man sinnvolles Lernen garantiert verhindert

Für eine Handvoll Euro – die Folgen der drastischen Unterfinanzierung deutscher Universitäten

Uni Bolognese

Ausblick

Anmerkungen

Vorwort

Der erste Band dieser Bestandsaufnahme, »Vom Streifenhörnchen zum Nadelstreifen – das deutsche Bildungswesen im Kompetenztaumel«, beschäftigte sich vornehmlich mit dem seit PISA und Bologna grassierenden Reformeifer und seinen Auswirkungen auf unsere Schulen. Sowohl die fortschreitende Ökonomisierung des Bildungswesens als auch die politisch intendierte Bildungsexpansion haben inzwischen zu einer Nivellierung der Ansprüche geführt, die sich längst auch an den Hochschulen bemerkbar macht. Im vorliegenden Band sollen die zuweilen grotesken Auswüchse dieser Entwicklung an den Schnittstellen von Schule und Hochschule wie auch an den Universitäten an Hand konkreter Beispiele aus der Praxis beschrieben werden.

Spätestens seit der Grenzöffnung im Jahre 2015, in deren Folge ein hoher Anteil von Migranten ohne Schul- oder Berufsabschluss in die Bundesrepublik gekommen ist, scheinen sich Politik und Öffentlichkeit mit dem Abwärtstrend im deutschen Bildungswesen arrangiert zu haben. Angesichts der Mammutaufgabe, die mit Blick auf den Integrationsprozess hierzulande anstehe, müsse die Absenkung der akademischen Standards billigend in Kauf genommen werden. Als der damalige Innenminister Thomas de Maizière 2016 dies öffentlich zu Protokoll gab, war die mediale Erregung groß, man forderte gar seinen Rücktritt. Drei Jahre später erinnert sich kaum noch jemand daran. Viele der politisch ungelösten Themen reicht man nach unten in die Schulen und Hochschulen weiter, in der Hoffnung, das Lehrpersonal werde sich diesen Anforderungen schon irgendwie gewachsen zeigen.

Darüber hinaus scheint in unserer Gesellschaft ein breiter Konsens darüber zu bestehen, dass nicht mehr Chancengleichheit, sondern Ergebnisgleichheit als anzustrebendes Ziel aller Bemühungen um Bildungserfolge zu gelten habe. Die beständig wachsende Heterogenität mit Blick auf das Leistungsniveau der Studierenden wird an den Hochschulen kaum noch erwähnt. Hohe Durchfaller- und Abbrecherquoten an den Hochschulen, die Ergebnis dieser Entwicklung sind, können nicht darüber hinwegtäuschen, dass vielerorts ein Notendumping eingesetzt hat. Seitens der Politik fordert man neuerdings Hochschulabschlüsse für alle unter Berücksichtigung des individuellen Leistungsvermögens – und dies bei den miserablen Betreuungsverhältnissen, die weltweit ihresgleichen suchen!

Rastlose Reformer suchen hierzulande die Bildungseinrichtungen mit ständig neuen und teilweise diametral entgegengesetzten Konzepten und Richtlinien heim. Als völlig sinnfrei hat sich etwa das seit der Jahrtausendwende inflationär betriebene sogenannte Qualitätsmanagement herausgestellt, das Lehrer und Hochschullehrer von ihren eigentlichen Aufgaben abhält. Immer mehr Praktiker sehen darin eine der wesentlichen Ursachen des Übels.

Der seit der Jahrtausendwende vor allem seitens der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) geforderte Akademisierungstrend zwingt die Hochschulen zu einem Spagat: Einerseits drängen immer mehr Schulabgänger ins Studium, ohne die dafür notwendigen Voraussetzungen mitzubringen, andererseits sollen Spitzenleistungen in Forschung und Lehre erzielt werden – und dies bei dramatischer Unterfinanzierung. Der Bund startet Exzellenzinitiativen, um nicht den Anschluss an die internationale Spitzenforschung zu verlieren. Denn selbst dem deutschen Doktortitel droht aufgrund der stetig wachsenden Anzahl von Promovenden die Entwertung. An den Universitäten wird diese Entwicklung gern geleugnet, man gibt sich entsetzt, wenn dem Wissenschaftsbetrieb Qualitätsverluste bescheinigt und die Glaubwürdigkeit wissenschaftlicher Veröffentlichungen zu Recht in Zweifel gezogen wird.

Im folgenden geht es um wundersame Vermehrungen – mit Blick auf die Zahl der Abiturienten, Studierenden, Dissertationen, wissenschaftlichen Publikationen, Studiengänge, Zertifizierungen, Plagiate u.v.m., die an Hand von Beispielen aus der Praxis einer näheren Betrachtung unterzogen werden. Realität und Satire dürften dabei oftmals nahe beieinanderliegen. Auch das allmähliche Verschwinden des eigentlichen Faches aus der Fachdidaktik, der Lehrerbildung und dem Fachunterricht sowie die seit Bologna immer weiter um sich greifenden fragwürdigen Formen des digitalen Lehrens und Lernens werden in diesem Zusammenhang einer kritischen Betrachtung unterzogen.

Bedanken möchte ich mich an dieser Stelle bei allen, die mir mit ihren Beiträgen und den daraus entstandenen Diskussionen eine wesentliche Grundlage für dieses Buch geliefert haben. Mein besonderer Dank gilt einem nun schon seit mehr als fünf Jahren aktiven Mathematikerkreis von rund 30 Professoren, Schulleitern und Lehrern, die in ehrenamtlicher Arbeit die wachsenden Defizite des schulischen Mathematikunterrichts registrieren und analysieren und sich mit deren praktischen Folgen für die Hochschulbildung auseinandersetzen. Namentlich bedanken möchte ich mich hier für die fachliche Unterstützung und die konkreten Beispiele in Kapitel zwei vor allem bei Hans-Jürgen Bandelt, Wolfgang Kühnel, Astrid Baumann, Franz Lemmermeyer, Dieter Remus, Markus Spindler und Sebastian Walcher. Bei Andreas Gruschka möchte ich mich dafür bedanken, den mit ihm für die Oktoberausgabe 2014 von »Profil« erstellten Artikel »Die babylonische Gefangenschaft des Ministeriums für Bildung und Forschung« als Einleitung von Kapitel drei unter nunmehr erweiterter Thematik verwenden zu dürfen.

Auf den Spuren der Streifenhörnchen

Die im vorherigen Band erwähnten Streifenhörnchen konnten nichts dafür, dass sie für eine Leistungskursklausur im Fach Biologie im Zentralabitur herhalten mussten, deren Aufgabenstellung selbst Neuntklässlern keine großen Probleme bereitet zu haben schien.1

Die Zentralabiturarbeiten der einzelnen Bundesländer sind seitdem nicht nur im Fach Biologie aufgrund der gesunkenen fachlichen Ansprüche und mangelnden Vergleichbarkeit in die Kritik geraten. Dennoch behaupten ihre Befürworter, es gebe für diese Sicht keinerlei Belege. Eine seit mehreren Jahren durchgeführte vergleichende Untersuchung von über hundert Zentralabituraufgaben im Fach Biologie in Hamburg, Nordrhein-Westfalen, Thüringen, Hessen und Mecklenburg-Vorpommern weist allerdings die deutliche Absenkung grundlegender fachlicher Ansprüche nach und zudem ein enormes Gefälle zwischen den untersuchten Bundesländern. Darüber hinaus bestätigt sie die Ergebnisse der Analysen ausgewählter Aufgaben.2

Im Vergleich zwischen den Bundesländern Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern treten diese Unterschiede besonders krass zutage: Beim Bearbeiten der Hamburger Abituraufgaben reicht Lese- und Grafikinterpretationskompetenz weitgehend aus, um die Fragen entsprechend den Erwartungshorizonten erfolgreich beantworten zu können. Dagegen werden den Schülern in Mecklenburg-Vorpommern fachlich anspruchsvolle Aufgaben gestellt, deren erfolgreiche Bearbeitung durch bloße Lesekompetenz nicht zu bewältigen ist.3 Neuntklässler wären keinesfalls dazu in der Lage, die Abituraufgaben aus Mecklenburg-Vorpommern auch nur ansatzweise lösen zu können. Die Hansestadt steht mit dieser Diagnose aber keinesfalls isoliert da.4 Im weiteren soll an Hand einiger charakteristischer Beispiele aus neueren Untersuchungen der aktuelle Trend kurz beleuchtet werden.

Schon die von den jeweiligen Behörden ausgewählten Themenbereiche im Zentralabitur unterscheiden sich fundamental. Mecklenburg-Vorpommern verlangt von seinen Schülern Kenntnisse aus sechs Teilgebieten der Biologie, in Hamburg sind es lediglich drei. Weitere formale Vorgaben lassen die fachliche Abwärtsbewegung in Hamburg über einen Zeitraum von 2005 bis 2016 deutlich erkennen. In den Jahren 2005–2007 mussten die Schüler drei Aufgabenstellungen aus drei Teilgebieten bearbeiten, die der Lehrer aus sechs ihm zur Verfügung gestellten Vorschlägen auswählte. Von 2008 bis 2010 wurden dann aus nunmehr drei Vorschlägen nur noch zwei zur Bearbeitung vorgelegt. 2011 bis 2013 war die Abiturprüfung in Hamburg im Fach Biologie dezentral. Seit 2014 nun dürfen die Schüler selbst zwei aus drei Vorschlägen auswählen. Es genügt also, sich auf zwei Themengebiete vorzubereiten. Damit sind die Hamburger auf die Anforderungen im Bundesland Bremen zurückgefallen, wo den Schülern von vornherein lediglich die Beherrschung der beiden Teilgebiete Ökologie und Genetik abverlangt wird.5

Auch die neueren Zentralabituraufgaben im Fach Biologie aus den Jahren 2017 und 2018 in Mecklenburg-Vorpommern genügen den fachlichen Anforderungen. »Cytologie und Stoffwechsel« war eines der Themen.6 Nach einer schülerfreundlichen ersten Frage zu den Organen einer Pflanze muss der Prüfling in der zweiten Aufgabe den Calvin-Zyklus mit einer von ihm selbst zu erstellenden Zeichnung erklären. Zu dieser Aufgabe erhält der Schüler keinerlei grafik- oder textbasiertes Informationsmaterial, aus dem die Antwort zu entnehmen wäre. Wissen und Verstehen von grundlegenden Sachverhalten werden hier abgefragt. In einem Aufgabenteil müssen die Schüler ein Experiment durchführen und beschreiben, etwa »Weisen Sie ein Produkt der Fotosynthese in einer Kartoffel oder einer Tomate experimentell nach«.7 Das ist in der Tat Biologie, wie sie auch an der Universität betrieben wird. Zu berücksichtigen ist, dass diese drei Fragen sowohl von Grundkurs- als auch von Leistungskursschülern zu beantworten sind.

Das zweite zu bearbeitende Teilgebiet ist dann die Neurobiologie. Der Schüler muss ein Aktionspotential beschreiben und eine chemische Synapse zeichnen, beschriften und daran die Erregungsleitung erläutern. Auch dafür werden keine zusätzlichen Arbeitsmaterialien bereitgestellt.8 Die richtige Anwendung des Wissens ist in den folgenden Aufgabenstellungen allerdings durchaus gefragt. So muss etwa die Wirkungsweise des Giftes Sopanin erklärt werden. Die dazu beigefügte Grafik enthält keinerlei Text. Leistungskursschüler haben zusätzlich eine Aufgabe aus dem B-Teil zu bearbeiten, in dem sie eingangs die Aufrechterhaltung des Ruhepotentials an einem präparierten Riesenaxon eines Tintenfischs beschreiben sollen.9 In der zweiten Aufgabe dieses Teils werden die Versuchsbedingungen geändert, und der Schüler muss die Auswirkungen a) bei Abwesenheit von Sauerstoff, b) bei Abkühlung der Umgebungstemperatur von 25 auf 5 Grad Celsius und c) bei Ersatz des Außenmediums durch destilliertes Wasser erklären.10 Jedem Nicht-Biologen wird sofort klar, dass es sich hierbei um Wissensbestände handelt, die nicht einfach den beigefügten Materialien zu entnehmen sind.

Bei der Analyse der Hamburger Zentralabiturarbeiten im Längsschnitt von 2005 bis 2017 fällt auf, dass in den Jahren 2005 bis 2007 zumindest einleitende Fragen zu grundlegenden Sachverhalten kein Informations- oder Grafikmaterial enthielten, aus dem man die Antworten hätte ableiten können. Für die nachfolgenden Jahre jedoch sind Aufgaben wie die zu den »See-Elefanten« (2010) charakteristisch, in denen die zu erwartenden Lösungen ausnahmslos aus den beigestellten Texten und Grafiken herauszulesen waren.11

Die verwendeten Texte in den einzelnen Bundesländern unterscheiden sich in ihrem fachlichen Niveau gravierend voneinander. In Mecklenburg-Vorpommern sind sie wie selbstverständlich mit dem entsprechenden Fachvokabular angereichert und mit einer für Naturwissenschaftler typischen Sachlichkeit geschrieben. Spätestens seit 2013 tritt hingegen in den Hamburger Abiturarbeiten mitunter eine bildhafte Prosa auf, die eher an seichte Wohlfühlliteratur erinnert. Das beste Beispiel ist der als Informationsmaterial zur Leistungskurs-Arbeit »Nakuru-See« von 2009 hinzugestellte Zeitungsartikel.12 Von einer »Flamingo-Show« ist hier die Rede, von einem »rosafarbenen Vogel-Blizzard«, und schließlich wird der Flamingobestand am Nakuru-See mit dem Hollywoodfilm »Jenseits von Afrika« verglichen. Eines muss man Texten dieser Art lassen: Die dabei bemühten stilistischen Mittel bringen biologische Sachverhalte wahrscheinlich auch jenen Lesern nahe, deren Lektüre sich ansonsten auf einschlägige Boulevardzeitungen beschränkt.

Ein Blick auf die in den Zentralabiturarbeiten verwendete Literatur führt den dramatischen Abstieg der fachlichen Anforderungen klar vor Augen. Während das Material der Abiturprüfungen in Mecklenburg-Vorpommern meist aus Lehrbüchern oder fachwissenschaftlicher Literatur stammt, beinhalten die Quellenangaben zum Hamburger Begleitmaterial zunehmend Links und Verweise auf Internetseiten, man gibt sich digital und internetaffin. In der Leistungskursarbeit »Die Bedeutung des Wolfes im Yellowstone-Nationalpark« aus dem Jahr 2015 stammt das Material gar von einer privaten Internetseite.13 Neben einem Sammelsurium von Blondinen- und Beamtenwitzen sowie Recherchen zur Heilwirkung von Mineralsteinen im Mittelalter teilt der Verfasser ein Urlaubstagebuch mit seiner Leserschaft. Dass sein privater Reisebericht zum Yellowstone-Nationalpark einmal die Grundlage einer Abiturarbeit auf erhöhtem Anforderungsniveau bilden würde, hätte er sicherlich nicht einmal in seinen kühnsten Träumen in Erwägung gezogen.

Es geht aber auch anders. Interessanterweise verwendet Berlin eine ähnliche Aufgabe im Grundkurs von 2016: »Wölfe im Yellowstone-Nationalpark – eine Gefahr für die Bisons?« Zwei der zur Verfügung gestellten Quellen stammen aus »Spektrum der Wissenschaft«, die dritte ist ein Internetbeitrag des Zoos in Basel.14 Berlin folgt weitgehend dem Beispiel von Hamburg, verlangt allerdings von seinen Schülern zusätzliche Kenntnisse im durchaus anspruchsvollen Themenbereich der Physiologie. Die Aufgabe »Ökosystem Hochmoor« im Leistungskurs 2017 enthält dann auch ausführliche Beschreibungen und einfache Grafiken zum Thema Stickstoffkreislauf, Hochmoor, insektenfangende Pflanzen und Stickstoffbelastung von Hochmooren, die in den Lösungsskizzen des Stark Verlages als »Erinnerungshilfen« sicherlich zu Recht beschrieben werden.15 Die gibt es in Mecklenburg-Vorpommern bei keiner einzigen Aufgabe. In der zweiten Aufgabe zur Physiologie, »Stofftransport an Synapsen«, lautet die Aufgabe: »Erklären Sie den Stofftransport bei der Erregungsübertragung an Synapsen mit Hilfe von M1 und Ihren Kenntnissen der neurobiologischen Vorgänge.«16 Hört sich großartig an, ist aber bei näherem Hinsehen nicht viel mehr als heiße Luft, da Material 1 neben ablenkenden Texten vertiefende Informationen über die Vorgänge an einer Synapse enthält. Eine Zeichnung ist nicht verlangt, da diese in Material 2 bereits vorgegeben ist.17 Das Material hilft daher nur leistungsschwachen Schülern, da es die Antworten bereits weitgehend enthält.

Aus den Teilgebieten B und C der Ökologie und Evolution muss der Schüler eine weitere Aufgabe zur Artbildung von Buntbarschen bearbeiten, die nach dem gleichen Muster gestrickt ist. Für deren konvergente Entwicklung »muss Material drei und fünf aufmerksam studiert werden, hier finden sich alle entscheidenden Informationen«18, so die Lösungsvorschläge im Stark Verlag. Die Aufgabenformate entsprechen denen aus Hamburg oder Nordrhein-Westfalen. Eine genaue Analyse lässt sich aber aufgrund des fehlenden Erwartungshorizonts aus den Lehrerhandreichungen der Behörde nicht durchführen. Berlin war nicht bereit, diese zu wissenschaftlichen Zwecken zur Verfügung zu stellen.

Die Untersuchungen aktueller Zentralabituraufgaben seit 2015 in Nordrhein-Westfalen, Hessen und Thüringen zeigen keine gravierenden neuen Entwicklungen.19

Bayern hat gegenüber seinen noch um die Jahrtausendwende fachlich anspruchsvollen Aufgaben inzwischen bemerkt, dass sich mit Lesekompetenzaufgaben die Abiturientenquote hochfahren lässt, und wendet sie zumindest in Teilfragen schon seit 2007 an.20 Jeder Aufgabe ist – anders als in Mecklenburg-Vorpommern – erst einmal ein längerer Text vorangestellt, beispielsweise zur Gifteinwirkung des Kugelfischs und der einer marinen Kegelschnecke.21 Kurze Informationen sollen unbedingt den Anwendungsbezug der nachfolgenden Fragen gewährleisten. Die erste Frage lautet dann: »Erklären Sie den Verlauf eines normalen Aktionspotentials auf der Basis der Ionentheorie. Verwenden Sie dafür Zahlen, die aus der Abbildung ableitbar sind.«22 Aha, eine reine Wissensabfrage wie in Mecklenburg-Vorpommern traut man den bayerischen Schülern nicht mehr wirklich zu und gibt ihnen zusätzlich unterstützende Informationen durch eine Abbildung an die Hand, die eben die Entstehung eines Aktionspotentials mit den dazugehörigen Zahlenwerten als Beispiel vorgibt. Allerdings tauchen zumindest 2007 auch Fragen auf, deren Beantwortung nicht den vorangegangenen Texten zu entnehmen ist. Im Anschluss an die Information, dass das Gift Conotoxin beim Menschen zum Atemstillstand führen kann, lautet die Frage: »Geben Sie dazu die physiologische Erklärung unter Einbeziehung der Vorgänge an neuromuskulären Synapsen.« Das muss der bayerische Schüler wissen und kann es nicht aus dem Text herauslesen.

Seit 2012 verwendet Bayern nur noch ein Aufgabenformat für alle Schüler, es wird also nicht mehr in Grund- und Leistungskurse unterschieden. Was direkt ins Auge fällt, ist die deutliche Zunahme des nunmehr ebenfalls ausführlichen Text- und Grafikmaterials. Die Aufgabe zu den Präriehunden und Erdmännchen von 2015 enthält drei Seiten engbeschriebenes und ausführliches Textmaterial mit drei Grafiken.23 In diesem Punkt will man Nordrhein-Westfalen, Berlin oder Hamburg anscheinend in nichts nachstehen. In der letzten Teilaufgabe erhalten die Schüler beispielsweise zuerst die kurze Information, dass bei den in Gruppen lebenden Erdmännchen säugende Weibchen die Jungen von anderen Müttern töten. Die Aufgabenstellung lautet anschließend: »Leiten Sie aus den Angaben im Text und dem Diagramm drei Vorteile ab, die die tötenden Weibchen durch den Infantizid erlangen.«24 Dazu muss man kein Biologe sein, es steht alles im begleitenden Material.

Allerdings sind die bayerischen Aufgaben in ihrem tatsächlichen Schwierigkeitsgrad nicht umfassend zu beurteilen, da auch die bayerische Landesregierung die Lehrerhandreichungen und die Erwartungshorizonte nicht zu wissenschaftlichen Zwecken zur Verfügung stellen wollte. Immerhin scheint Bayern die abnehmende Qualität der Aufgabenstellungen durch Quantität ausgleichen zu wollen. Allein im A-Teil müssen bis zu acht Fragen mehr oder weniger ausführlich bearbeitet werden. Hinzu kommen zwei weitere Aufgabenteile B und C aus anderen Bereichen der Biologie mit jeweils mindestens sechs weiteren Fragestellungen. Es sind also mindestens zwanzig Fragen aus drei Teilgebieten der Biologie in 180 Minuten zu bearbeiten. Hier sollen die Schüler anscheinend wie Börsenmakler blitzschnell und ohne lange zu überlegen Informationen verarbeiten. In den meisten anderen Bundesländern gibt es hingegen nur zwei Teilgebiete, die gefordert werden, und die meist nur rund zehn zu bearbeitenden Fragen sind allgemeiner formuliert. Die Bearbeitungszeit beträgt bis zu 270 Minuten, zumindest in Leistungskursen oder dem, was von ihnen noch übriggeblieben ist.

Legte man den Schwierigkeitsgrad einer Aufgabe von 1999 im bayerischen Leistungskurs Biologie landesweit zugrunde, würde dies die Abiturientenquote binnen eines Jahres wieder auf die damaligen Werte von durchschnittlich deutlich unter 30 % eines Jahrgangs halbieren. So müssen in einer der Aufgaben die Themengebiete Stoffwechselphysiologie, Molekulargenetik, Ökologie und Evolution bearbeitet werden. Jedes Aufgabengebiet beinhaltet drei Fragen, davon jeweils die dritte mit einer kurzen Versuchsbeschreibung eines Experiments, das in der Folge auszuwerten ist. Zusätzliche Textmaterialien oder Grafiken werden nicht zur Verfügung gestellt. Hier wäre für mindestens 50 % aller heutigen Abiturienten das Ende der Fahnenstange erreicht. Einige Fragen lauten: »Fertigen Sie eine beschriftete Skizze einer neuromuskulären Synapse an und beschriften Sie die dort ablaufenden Vorgänge bei der Erregungsübertragung.«25

Ähnliche einleitende Teilfragen ohne Materialien und Grafiken gab es zu jener Zeit auch in Nordrhein-Westfalen, und nicht nur dort. Auch die Fragen zur Ökologie des Bodensees sind kurz und prägnant gestellt: »Im Sommer 1975 war in sonnigen Bereichen der Uferregion der Sauerstoffgehalt am Seegrund auf null gesunken. Erörtern Sie diesen Befund.«26 Kein Material, keine Grafiken. Eine solche Aufgabenstellung beleuchtet den wissenschaftsorientierten Hintergrund des Unterrichts in der damaligen Oberstufe, um die Abiturienten bestmöglich auf ein Studium vorzubereiten. Die folgende Frage zur Zellbiologie/Physiologie würde heute in nahezu sämtlichen Bundesländern bei fast allen angehenden Abiturienten Schnappatmung auslösen: »Formulieren Sie den Oxidationsschritt der Glykolyse unter Verwendung von Strukturformeln und benennen Sie die Stoffe.«27 Mit Sicherheit lässt sich sogar behaupten, dass eine derartige Aufgabe von mindesten 80 % der heutigen angehenden Gymnasiallehrer im Fach Biologie in den Staatsexamens- oder Master-Prüfungen nicht mehr beantwortet werden kann, es sei denn, sie belegten als Zweitfach Chemie. Im Rahmen der Entfachlichung der Lehrerausbildung zugunsten bildungswissenschaftlicher Themen hat man an zahlreichen Universitäten sukzessive die chemischen und physikalischen Grundlagen der Biologie auf dem Friedhof des Faktenwissens entsorgt.

Man kann sich leicht vorstellen, welchen Schock viele Abiturienten dann in ihren ersten Prüfungen an den Hochschulen erleben, in denen nahezu während des gesamten Grundstudiums Fakten abgefragt werden, teils im Multiple-Choice-Verfahren, und zwar quer durch alle Fachbereiche. Gerade in den Bachelor-Studiengängen steht nicht nur in den Naturwissenschaften die Vermittlung von Grundlagenwissen zusammen mit praktischen Anwendungen ganz oben auf der Agenda. Ganz im Gegensatz zu den textlastigen Zentralabituraufgaben werden in schriftlichen Prüfungen, beispielsweise den fünfstündigen Examensprüfungen im Lehramt für Gymnasien, häufig nur Themengebiete angegeben, wie beispielsweise das der Photosynthese. Die Kandidaten dürfen dann in fünf Stunden über dieses Thema mit selbst anzufertigenden Zeichnungen und ohne jegliche Materialzugabe zeigen, dass sie diesen Bereich weitgehend beherrschen. Hier spielen Fakten und deren tiefes Verständnis die Hauptrolle im Prüfungsverfahren, denn dass jemand fünf Stunden lang Auswendiggelerntes zu physiologischen und zellbiologischen Themen niederschreibt, ohne es verstanden zu haben, ist ausgeschlossen und würde dem Bewerter der Klausur sofort auffallen.

Interessant in diesem Zusammenhang ist ein Vergleich der Abiturientenquoten von heute mit denen von Mitte der neunziger Jahre. »Auf dem Weg zum Abitur light?« warnte 1998 der langjährige Vorsitzende der deutschen Lehrerverbände, Josef Kraus, in »Spektrum der Wissenschaft« und machte damals schon die Absenkung der Ansprüche für die Erhöhung der Abiturientenquoten verantwortlich: »So ist es kein Wunder, wenn die sogenannten Abiturienten-Quoten landesspezifisch weit auseinanderliegen. Die Bandbreite ist erheblich. Im Jahr 1994 etwa betrug der Anteil eines Altersjahrganges, der die Allgemeine Hochschulreife erreichte, in Bayern 17,5 und Baden-Württemberg 20,0 Prozent, aber in Hessen 27,2, in Nordrhein-Westfalen 27,8, in Brandenburg 28,0, in Berlin 32,1 und in Hamburg 32,1 Prozent.«28 Großzügigkeiten und Beliebigkeiten breiteten sich zunehmend in den Ländern aus. Abiturienten könnten sich in einigen Bundesländern ein »Abitur à la carte« zusammenstellen.29

Rund zwanzig Jahre später sind diese Zahlen geradezu lächerlich klein. Einige Länder haben es ohne große Probleme geschafft, die Quoten einfach zu verdoppeln. Und das sogar in den meisten Bundesländern bei einem Pflichtkanon mit Mathematik, Deutsch und zwei Fremdsprachen. Schaut man sich die Zahlen von 2017 an, erreicht Berlin den Spitzenwert mit 54,1 %, knapp gefolgt von Hamburg mit 53,9 %. Brandenburg folgt mit 48,4 %, Schleswig-Holstein mit 44,6 %, Nordrhein-Westfalen mit 44,2 %, Baden-Württemberg mit 42,2 %. Im breiten Mittelfeld liegen Mecklenburg-Vorpommern mit 40,1 %, Rheinland-Pfalz mit 40,0 %, Sachsen mit 39,9 %, Bremen mit 39,9 %, Thüringen mit 38,8 %, Hessen mit 37,7 %, Niedersachsen mit 36,4 % und das Saarland mit 35,3 %. Bayern und Sachsen-Anhalt bilden die Schlusslichter mit jeweils 32,1 %.30

Die Politik feiert diese Entwicklung als Erfolg, und dies trotz angeblich deutlich gestiegener Anforderungen und zusätzlich erschwerter Rahmenbedingungen durch Inklusion und Integration. Heute bestreitet allerdings kaum noch jemand, dass die Anforderungen sich zumindest in den Kernfächern im freien Fall befinden.

Vom allmählichen Verschwinden des Faches aus der Fachdidaktik und dem Fachunterricht

Seit einigen Jahren herrscht ein mittlerweile erbittert geführter Streit zwischen den Vertretern der universitär betriebenen Mathematik an den Hochschulen und den Befürwortern der kompetenzorientierten Schulmathematik. Grund hierfür sind die beständig abnehmenden fachlichen Kenntnisse der Abiturienten vor allem im Fach Mathematik. Der Niedergang ist nicht nur an Hand zahlreicher Beispiele aus Zentralabiturarbeiten der einzelnen Bundesländer dokumentiert worden, sondern auch durch das Vergleichen der heutigen Anforderungen des Mittleren Schulabschlusses mit denen von vor vierzig Jahren.1

Um die hohen Durchfaller- und Abbrecherquoten an deutschen Hochschulen halbwegs in den Griff zu bekommen, müssen die betreffenden Fachbereiche Studienanfängern vermehrt Brückenkurse vor allem mit Blick auf die mangelnden Mathematikkenntnisse anbieten. Beginnend mit der Mathematik der unteren Mittelstufe bis hin zur Analysis und Integralrechnung der Sekundarstufe II soll nun Versäumtes nachgeholt werden. Den Hochschulen wird damit seitens der Politik eine Aufgabe zugewiesen, die nicht in ihren Zuständigkeitsbereich fällt. Mittlerweile beschränken sich solche Maßnahmen übrigens längst nicht nur auf den Mathematikunterricht.

Durch einen Artikel im »Berliner Tagesspiegel« von März 2017 ist die schon lange schwelende Auseinandersetzung über den schulischen Mathematikunterricht öffentlich geworden.2 Mehr als 130 Lehrer, Dozenten und Hochschullehrer der Mathematik oder Ingenieurwissenschaften, Mathematikdidaktiker und Eltern wandten sich in einem Offenen Brief (»Brandbrief«) an die politisch Verantwortlichen, um über die katastrophale Lage im Unterrichtsfach Mathematik zu berichten. Eklatante Defizite gebe es, so die Verfasser, insbesondere bei der Bruchrechnung, der Potenz- und Wurzelrechnung, bei den binomischen Formeln, Logarithmen, Termumformungen und auf dem Gebiet der Elementargeometrie und Trigonometrie. Auf diesen Brandbrief hin haben mehr als 50 Mathematikdidaktiker in einer darauffolgenden Ausgabe des »Tagesspiegels« unter der Überschrift »Mathematiker widersprechen sich« eine Replik geschrieben, um diese Vorwürfe als unberechtigt hinzustellen.3 Unter ihnen befinden sich diejenigen, die die Bildungsstandards für das Fach Mathematik mitzuverantworten haben und die maßgeblich an der Umstellung des Unterrichts seit PISA hin zur Kompetenzorientierung beteiligt waren. Letztere wurde in dem Brandbrief als eine der wesentlichen Ursachen für den fachlichen Niedergang benannt.

Die Überschrift »Mathematiker widersprechen sich« ist schon insofern falsch gewählt, da sie implizit voraussetzt, dass es sich bei Mathematikdidaktikern immer auch um Fachmathematiker handelt. Um diesen Irrtum aufzuklären, lohnt ein Blick auf die Entwicklung der Fachdidaktik seit den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Mit der seinerzeit auf den Weg gebrachten deutlichen Ausweitung fachdidaktischer Inhalte wollte man im Rahmen der Lehrerausbildung ursprünglich die Lücke zwischen dem universitär betriebenen Fach selbst und dem Fachunterricht in den Schulen schließen. Die Fachdidaktik sollte insbesondere den Praxisbezug gewährleisten. Dementsprechend waren Fachdidaktiker früherer Generationen meist im Fach ausgewiesen und hatten dort ihre Promotion und vielfach auch zumindest Teile ihrer forschungsrelevanten Publikationen angesiedelt. Meist handelte es sich also um besonders qualifizierte Praktiker mit wissenschaftlicher Lehrtätigkeit an Universitäten oder aber auch an Schule und Unterricht interessierte und engagierte Habilitierte im Fach. Darüber hinaus war für die neu geschaffenen Professorenstellen der Nachweis eines zweiten Staatsexamens und einer darauffolgenden mindestens dreijährigen Berufspraxis an einer Schule verbindlich vorgeschrieben, wie dies auch heute noch in Baden-Württemberg der Fall ist. Denn man versprach sich ausschließlich von Fachdidaktikern mit langjähriger Praxiserfahrung konkrete Verbesserungen für den Unterricht.

Schon Mitte der neunziger Jahre wurde diese Form der Fachdidaktik zunehmend als »Stoffdidaktik« oder »Abbilddidaktik« diskreditiert, da sie ihr Hauptaufgabenfeld in der Auswahl fachwissenschaftlicher Inhalte und deren adressatenspezifische Aufarbeitung im Rahmen der didaktischen Reduktion sah. Hinzu kamen Aufgaben in der Erstellung und Begründung von Curricula, die Analyse, Reflexion und Evaluation fachlicher Lernprozesse und unterrichtsmethodischer Konzepte. Im Zuge einer Entwicklungsforschung wurden beispielsweise gemeinsam mit Fachwissenschaftlern Lernkoffer für den praktischen Einsatz in Schulen entwickelt und im Unterricht evaluiert, etwa der »Hominids for Schools«-Lernkoffer, der in jahrelanger Zusammenarbeit mit dem Naturmuseum und Forschungsinstitut Senckenberg erstellt wurde.4 Seit PISA 2000 verabschiedete man sich zusehends von diesem Konzept. Die »moderne« Fachdidaktik sollte nunmehr eigenständig und »drittmittelstark« gemacht werden und ihren Beitrag an der mit üppigen Geldern ausgestatteten Vermessung des Bildungswesens leisten. Entwicklungsforschung habe schließlich keine Existenzberechtigung an einer Universität. Und in der Tat können weder bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) noch bei sonstigen Drittmittelgebern Gelder für Entwicklungsforschung oder begleitende Evaluationen eingeworben werden. Auch hier sei die Frage erlaubt, wieso in Wirtschaft und Industrie gerade der Entwicklungsforschung höchste Priorität beigemessen wird, sie an den Hochschulen aber nicht finanziell unterstützt wird. Da auch die DFG oder das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) über keine eigenen fachdidaktischen Geldtöpfe verfügt, sind viele Fachdidaktiker heute als bloße Zulieferer der empirischen Bildungsforschung unterwegs und kommen weder aus dem betreffenden Fach noch aus der Unterrichtspraxis.

Dementsprechend versucht die »moderne« Fachdidaktik, sich nun als eine mit empirisch-soziologischen Methoden forschende Wissenschaftsdisziplin zu etablieren. In »Forschung und Lehre« forderte kürzlich die Vorsitzende des Deutschen Philologenverbandes, Frau Lin-Klitzing, »die schulpraktische Expertise von Schulpädagogen und Fachdidaktikern als eine für den Lehrerberuf notwendige Bereicherung« zu bewerten, »auf die auf keinen Fall verzichtet werden darf«5. Im Gegenzug wurde von Kollegen aus der Erziehungswissenschaft und Schulpädagogik eingewandt, dass »Praxisbezug und Utilitarismus keine Kriterien wissenschaftlicher Forschung und Lehre« seien und dass der Praxisbezug angehender fachdidaktischer Professoren für die akademische Lehre unerheblich sei. 6

Selbst bei der Besetzung von Lehrstühlen im Bereich der Fachdidaktik spielen inzwischen nicht nur der Praxisbezug, sondern auch die fachlichen Kompetenzen der Kandidaten lediglich eine untergeordnete Rolle. An Universitäten, die ausschließlich für das gymnasiale Lehramt ausbilden, kommen Bewerber zum Zuge, die im Fach nur auf ein Lehramt für Haupt- und Realschulen zurückblicken können. Jeder Insider weiß, dass mit Blick auf die akademischen Voraussetzungen erhebliche Unterschiede zwischen diesen Lehrämtern bestehen. Für Haupt- oder Realschullehrer mag das vergleichsweise niedrigere fachliche Anforderungsniveau für ihre