Abraham - Ismael - Isaak - Muhammad Sameer Murtaza - E-Book

Abraham - Ismael - Isaak E-Book

Muhammad Sameer Murtaza

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Beschreibung

»Die Koraninterpretationen von Herrn Dr. Muhammad Sameer Murtaza zu Abraham und Ismael sind für den notwendigen interreligiösen Dialog heute von hohem Wert und werden die kommenden Diskussionen weiter fördern und vertiefen. Das Buch kann und wird den Dialog zwischen Juden, Christen und Muslimen weiter fördern. Denn Abraham eint, scheidet und unterscheidet.« Bertold Klappert, Prof. Dr. em. an der Kirchlichen Hochschule Wuppertal-Bethel Kann die abrahamische Ökumene ein Modell für den Frieden zwischen Juden, Christen und Muslimen sein? Alle drei Weltreligionen nehmen Abraham in Anspruch. Als Ahnvater Israels steht er an der Wiege des Judentums. Von Paulus bis heute haben Christen an seinem Vorbild gelernt, was glauben heißt. Im Islam gilt er als vollkommener Muslim, der sich in Gottes Willen ergeben hat. Abraham ist somit eine Schlüsselfigur des jüdischen, christlichen und muslimischen Glaubens. Deshalb berufen sich immer mehr interreligiöse Dialoginitiativen auf Abraham. Doch eint oder scheidet der Mann aus Ur die auf ihn beruhenden Religionen? Der vorliegende Band stellt neue theologische Fragen, die das Verhältnis zwischen Juden, Christen und Muslimen betreffen. Er richtet sich an Studenten der Theologie, Religions- und Islamwissenschaften und Pädagogen ebenso wie an den interessierten Laien.

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Muhammad Sameer Murtaza

Abraham – Ismael – Isaak

Leitgestalten für Juden, Christen und Muslime

Muhammad Sameer Murtaza

Abraham – Ismael – Isaak

Leitgestalten für Juden, Christen und Muslime

Mit einem Geleitwort von

Prof. Dr. Bertold Klappert

Bibliographische Information der

Deutschen Bibliothek

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese

Publikation in der

Deutschen Nationalbibliographie;

detaillierte bibliographische Daten sind im Internet

unter http://dnb.ddb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten.

Kein Teil dieses Buches darf in irgendeiner Form (Druck, Fotokopie oder einem anderen Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet werden.

All rights reserved.

No part of this publication may be reproduced, stored in a retrieval system, transmitted or utilized in any form or by any means, electronic, mechanical, photocopying, recording or otherwise, without permission in writing from the Publishers.

© 2018 Muhammad Sameer Murtaza

1. Auflage 2018

Umschlagbild:

Herstellung und Verlag:

tredition GmbH Hamburg

ISBN: 978-3-7469-8339-4

ISBN e-Book: 978-3-7469-8340-0

Umschlagbild: Darstellung der Beinahe-Verbrennung

Abrahams. Der Engel Gabriel bietet Abraham seine Hilfe an.

Doch Abraham vertraut gänzlich auf Gottes Eingreifen.

Uigurische Miniatur 15. Jahrhundert

Im Namen Gottes,

des Allerbarmers, des Barmherzigen

Inhaltsverzeichnis

Geleitwort von Bertold Klappert

Einleitung

Abraham kann trennen

Die Abrahamerzählung im Tanach

Die Abrahamerzählung im Qurʾān

Der Weg Abrahams zu dem einen Gott

Der abrahamische Weg.

Die fünf Säulen von Abrahams Glauben.

Gott, der Erbarmer, der Barmherzige.

Gott, der Gerechte

Gott, der Liebevolle

Ismael und die Wiederherstellung des Abrahamssegen

Wie vom Vergessenen sprechen?

Ismael, der Verstoßene

Auf dem Weg zu einer Heils- und Werkgemeinschaft.

Ist Abraham ein Vorbild für die Menschheit?

Der Begriff „Vorbild“

„Siehe, Ich mache dich zu einem Imam“

Abraham – Gestalt von großer Integrationskraft für die abrahamische Gemeinschaft

Abraham und Weltethos

Gottesglaube als eine persönliche Antwort auf die Fraglichkeit der Welt

Der Begriff „Religionsgemeinschaft“ verstanden als eine Erfahrungsgemeinschaft

Die Bestimmung der qurʾānischen Bezeichnung für das Ethos

Die Religionsgemeinschaften zwischen Ideal und Verfehlung

Das Projekt Weltethos bleibt relevant

Vom Islam als abrahamische Tradition lernen?

Islam – eine Anschauung von der Welt und ein Lebensweg

Religionsgemeinschaften und politische Macht

Keine Antwort, aber Möglichkeiten

Literatur

Bildnachweis

Weise mir, Herr, deinen Weg;

ich will ihn gehen in Treue zu dir. (Psalm 86,11)

Geleitwort

Der Islamwissenschaftler Dr. Muhammad Sameer Murtaza betritt in seinem Buch Abraham – Ismael – Isaak einen neuen Weg und vollzieht neue Schritte, die bisher so in der Forschung noch nicht gegangen worden sind.

Dabei geht es ihm zunächst darum, an sein Buch Adam – Henoch – Noah – Ijob anzuknüpfen und die dort dargelegten exegetischen und inhaltlichen Ansätze zu vertiefen und auszuweiten.

Entscheidend geht es ihn nun in dem vorliegenden Buch darum, die Gestalt Abrahams in neuen Perspektiven auszulegen, die Gestalt Abrahams auch in seinen persönlichen Entscheidungen, die für ihn gefahrvoll gewesen sind, vorzustellen und so für den Leser Abraham noch mehr für eine innerliche Identifikation zu öffnen. So wird zu Beginn mit einer persischen Miniatur aus dem 16. Jahrhundert eindrücklich dokumentiert, wie Abraham von seinem Volk den Flammen übergeben wird, was auch die jüdische Tradition von den zehn Prüfungen Abrahams erzählt.

Man vergleiche dazu im II. Kapitel die eindrückliche Darstellung des Weges Abrahams zu dem einen Gott. Abraham wird nicht als eine fertige Gestalt vorgestellt, sondern auf seinem Weg zu der Erkenntnis des einen Gottes auch in seinen inneren Bewegungen und mutigen Beweggründen.

Man vergleiche dazu wiederum im Kapitel III die eindrückliche Darstellung der Gestalt Ismaels, der wiederum nicht statisch, sondern auf einem Weg und in seinem Werden vorgestellt wird: als der zunächst Verstoßene und dann doch unter dem wiederhergestellten Segen Abrahams Lebende und Wirkende.

Man kann freilich fragen, ob Ismael durch die von Murtaza übernommene traditionelle Übersetzung des berühmten Wildeselspruches von 1. Mose 16,12 eine Abwertung erfährt oder ob diese eher auf die ismaelfeindlichen Übersetzer der Hebräischen Bibel zurückgeht. Sagt der Hebräische Text doch eigentlich, dass Ismael kein domestizierter, sondern ein freier Wildesel ist, mit allen geschäftlich handelt und sie mit ihm und er mit allen seinen Brüdern in Nachbarschaft und Sichtweite lebt. Zu fragen wäre auch, ob 1. Mose 17,20 mit „nein“ statt mit „gewiss“ übersetzt werden muss, sodass es in der Hebräischen Bibel doch auch mehr um Parallelen als um Antithesen zwischen Isaak und Ismael geht.

Besonders eindrücklich ist im Kapitel IV die Neuinterpretation des Vorbildbegriffes im Blick auf Abraham. Abraham darf als Vorbild des Glaubens nicht exemplarisch eingeengt und so missverstanden werden. Abraham ist als ein Vorbild wesentlich ein schöpferisches Urbild für die ganze Menschheit und vermag so die sich auf ihn berufenden abrahamischen Gemeinschaften zu integrieren und auf den Weg der gemeinsamen Zukunft für die Menschheit zu stellen.

Man kann auch hier fragen, ob von einer Vereinnahmung Abrahams infolge der Ausblendung Ismaels in der Hebräischen Bibel und im Judentum zu sprechen ist, wodurch dann die Koraninterpretation beider Gestalten eine bestimmte negative Vorlage in der Hebräischen Bibel erhält, von der der Koran sich dann abzuheben vermag. Darüber muss weiter gesprochen werden.

Dennoch bleibt positiv hervorzuheben. Die Koraninterpretationen von Herrn Dr. Muhammad Sameer Murtaza zu Abraham und Ismael sind für den notwendigen interreligiösen Dialog heute von hohem Wert und werden die kommenden Diskussionen weiter fördern und vertiefen. Herr Dr. Muhammad Sameer Murtaza hat auf meine Einladung hin die Ansätze seines Buches in mehreren Vorlesungen an der Kirchlichen Hochschule Wuppertal-Bethel entfaltet und mit den Studierenden über die vorgetragenen Themen ausführlich und intensiv und deshalb manchmal über den vorgesehenen Zeitrahmen hinaus spannend diskutiert.

Alle Hörerinnen und Hörer waren dabei von der Klarheit sowie dem Engagement des Vortragenden beeindruckt, nicht zuletzt aber auch von der Tiefe und den neuen Dimensionen, die hier im Blick auf die Gestalt Abrahams selbst einerseits, aber auch für die Gegenwart und Zukunft von Juden, Christen und Muslimen andererseits aufgeschlossen und erschlossen werden.

Diese nunmehr in einem Buch veröffentlichten Vorlesungen werden auf diesem Wege einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Diesem Buch und seinem Weg kann eine offene Leserschaft nur lebhaft gewünscht und erhofft werden.

Das Buch kann und wird den Dialog zwischen Juden, Christen und Muslimen weiter fördern. Denn Abraham eint, scheidet und unterscheidet.

Bertold Klappert,

Prof. Dr. em. an der Kirchlichen Hochschule

Wuppertal-Bethel

Einleitung

Die Vorlesungen zu den biblischen und qurʾānischen Gestalten Abraham, Ismael und Isaak, die ich an der Kirchlichen Hochschule Wuppertal-Bethel auf Einladung von Prof. Dr. Bertold Klappert halten durfte, boten mir die willkommene Möglichkeit, meine beiden exegetischen Ansätze, die ich in dem Buch Adam – Henoch – Noah – Ijob: Die frühen Gestalten der Bibel und des Qurʾān aus jüdischer und muslimischer Betrachtung angewendet habe, nicht nur weiter zu vertiefen, sondern aufgrund der wesentlichen Konzentration auf Abraham noch zu fokkussieren.

Bei ihnen handelt es sich zum einen um eine abrahamische Exegese der qurʾānischen Prophetenerzählungen und zum anderen diesen in ihrer Summe endlichen Texten mit einem perspektivischen Blick zu begegnen, der keine finale Auslegung anstrebt, sondern ein immer wieder neu ansetzendes Gespräch ist, bei dem neue Fragen auch neue Deutungsmöglichkeiten hervorbringen.

Hier bin ich insbesondere meinem Gastgeber Prof. Dr. Klappert dankbar, da er durch seine Fragen an mich immer wieder ein neues Nachdenken meinerseits provozierte und somit diesen Ansatz unterstützte.

So scheut sich dieser vorliegende Band nicht davor, durch seine Deutungsvielfalt in sich widersprüchlich zu sein, und bietet vielleicht gerade hierdurch eine interessante Grundlage, um das Gespräch zwischen Juden, Christen und Muslimen, den Kindern Abrahams, fortzusetzen. Denn uns allen sind die Propheten Reflexionsgestalten, die uns weniger in die Vergangenheit des Menschen führen, sondern uns individuell dazu zwingen, uns mit unserem Jetzt-Zustand auseinanderzusetzen, und um ein Nachdenken anzuregen, wohin wir uns als Menschen entwickeln wollen:

Mit dem, was Wir dir von den Geschichten der Gesandten berichten, festigen Wir dein Herz. Darin ist zu dir die Wahrheit gekommen und eine Ermahnung und Erinnerung für die Gläubigen. (Qurʾān 11:120)

Abraham wird von seinem Volk den Flammen übergeben Persische Miniatur 16. Jahrhundert

Abraham kann trennen

So wohlklingend das gemeinsame Bekenntnis von Juden und Muslimen zur monotheistischen Glaubensgestalt Abraham klingt, so wenig darf ignoriert werden, dass sich der Streit zwischen Juden und Muslimen auch und gerade um Abraham dreht. Der Theologe Hans Küng schreibt:

Schon an einem so harmlos scheinenden Beispiel wie Abraham wird deutlich, dass es hier um höchst schwierige, zwischen den Religionen heftig umstrittene und auch politisch delikate Fragen geht, ja, daß hier die ureigene Identität jeder der drei [abrahamischen] Religionen auf dem Spiel steht.1

Warum dem so ist, soll nun geschildert werden.

Die Abrahamerzählung im Tanach

Der Auswanderer

Ganz unvermittelt führt der Tanach, die Hebräische Bibel, seine Leser in eine Szene des Aufbruches ein. Ein Mann namens Abram2 hat die Weisung erhalten, mit seiner Frau Sarai und seinem Neffen Lot die Heimat zu verlassen. Doch weshalb soll er dies tun? Wieso ist dies überhaupt von Bedeutung? Wer erteilt ihm diese Order?

Abram ist nicht irgendwer, sondern ein Prophet, der zu Gott aufruft (siehe Genesis 20,7). Und derjenige, der ihm aufträgt hinauszuziehen, ist auch nicht irgendeiner, sondern der eine und einzige Gott, der sich bereits Henoch und Noah offenbarte:

Der Herr sprach zu Abram: Zieh weg aus deinem Land, von deiner Verwandtschaft und aus deinem Vaterhaus in das Land, das ich dir zeigen werde. (Genesis 12,1)

Wir erfahren nicht den Hintergrund dieser Aufforderung. Aber da die Propheten zu ihren Völkern entsandt wurden, kann der Auszug nur bedeuten, dass Abram Gefahr droht oder keine Hoffnung mehr besteht, dass sein Volk dem Aufruf zu Gott folgen wird.

Es ist nicht wenig, was Gott hier von Seinem Propheten verlangt. Abram soll seine Heimat, seine Familie und seine gesicherten Verhältnisse aufgeben, um ein Fremder und Heimatloser in einem unbekannten Land zu werden. Doch Abram kommt dem Gebot Gottes nach, denn seine religiöse Grundhaltung zu Gott basiert auf einem bedingungslosen Vertrauen in die Sache Gottes. Doch was ist die Sache Gottes? Es ist das allumfassende Wohl des Menschen, und darauf vertraute Abram. Dieses Vertrauen belohnt Gott mit einem Versprechen:

Ich werde dich zu einem großen Volk machen, dich segnen und deinen Namen groß machen. Ein Segen sollst du sein. Ich will segnen, die dich segnen; wer dich verwünscht, den will ich verfluchen. Durch dich sollen alle Geschlechter der Erde Segen erlangen. (Genesis 12,2-3)

Gott hat also Großes mit Abram vor. Er soll nicht im Dunkel der menschlichen Geschichte vergessen werden, sondern ein strahlender Leuchtturm sein, dessen Lichtstrahlen das Ende der Zeit erreichen. Das Volk, das sich auf ihn berufen wird, soll kein Volk wie jedes andere sein, sondern es soll die Sache Gottes vertreten und hierdurch ein Segen für alle Menschen sein.

So zieht Abram mitsamt seinem gesamten Besitz, seinen Knechten und Mägden von seiner Heimat Ur, im heutigen Irak, in das Land Kanaan, das heutige Palästina. Doch zu seinem Erstaunen ist das Land bereits bewohnt. Abermals offenbart sich ihm Gott und verspricht:

Deinen Nachkommen gebe ich dieses Land. (Genesis 12,7)

Die Hebräer

Abram lebt in diesem Versprechen. Doch es ist kein einfaches Leben für die Fremdlinge. Die besten Weideplätze gehören bereits den Kanaanitern und so müssen sich Abram und sein Gefolge mit dem begnügen, was diese ihnen übrig lassen. Eine Hungersnot schließlich zwingt sie zeitweise zum Fortzug nach Ägypten. Doch sie kehren vermögend zurück: Schafe, Ziegen, Rinder, Esel, Kamele sowie Knechte und Mägde bringen sie mit.

Doch in Kanaan nennt man die Migranten weiterhin Hebräer (Genesis 14,13), eine verächtliche Fremdbezeichnung, die die niedrige soziale Stufe der Eingewanderten zum Ausdruck bringt.3

Der neu gewonnene Reichtum hat auch seine Schattenseite: Größere Herden verlangen größere Weidefelder. Zudem gibt es ein Wohlstandsgefälle zwischen Abram und Lot, das auch für Konflikt gesorgt haben mag. Schließlich kommt es auf den Feldern zum Streit zwischen Abrams und Lots Hirten. Das wenige Land reicht nicht für alle.

Abram kann aber Kanaan nicht verlassen, da Gott ihn an dieses Land gebunden hat, zugleich sind er und Lot Brüder im Glauben, sollen sie sich also wegen eines Fleckens Erde entzweien? In einem Akt der Nächstenliebe lotst Abram seinen Neffen zu üppigen Feldern außerhalb Kanaans und kann so den Streit beilegen:

Da sagte Abram zu Lot: Zwischen mir und dir, zwischen meinen und deinen Hirten soll es keinen Streit geben; wir sind doch Brüder. Liegt nicht das ganze Land vor dir? Trenn dich also von mir! Wenn du nach links willst, gehe ich nach rechts; wenn du nach rechts willst, gehe ich nach links.

Lot blickte auf und sah, daß die ganze Jordangegend bewässert war. Bevor der Herr Sodom und Gomorra vernichtete, war sie bis Zoar hin wie der Garten des Herrn, wie das Land Ägypten. Da wählte sich Lot die ganze Jordangegend aus. Lot brach nach Osten auf, und sie trennten sich voneinander. (Genesis 13,8-11)

Zu diesem Zeitpunkt muss sich aber der betagte und kinderlose Abram gefragt haben, wer denn einmal seine Nachkommen sein werden, denen das Land versprochen wurde. Abermals bekräftigt Gott gegenüber Seinem Propheten Sein Versprechen:

Nachdem sich Lot von Abram getrennt hatte, sprach der Herr zu Abram: Blick auf und schau von der Stelle, an der du stehst, nach Norden und Süden, nach Osten und Westen. Das ganze Land nämlich, das du siehst, will ich dir und deinen Nachkommen für immer geben. Ich mache deine Nachkommen zahlreich, wie den Staub auf der Erde. Nur wer den Staub auf der Erde zählen kann, wird auch deine Nachkommen zählen können. Mach dich auf, durchzieh das Land in seiner Länge und Breite; denn dir werde ich es geben. (Genesis 13,14-17)

Das Land und die Geburt Ismaels

Die Vaterlosigkeit mag an Abram genagt und ihn belastet haben, heißt es doch in der Thora:

Abram antwortete: Herr, mein Herr, was willst du mir schon geben? Ich gehe doch kinderlos dahin, und Erbe meines Hauses ist Eliëser aus Damaskus. Und Abram sagte: Du hast mir ja keine Nachkommen gegeben; also wird mich mein Haussklave beerben.

Da erging das Wort des Herrn an ihn: Nicht er wird dich beerben, sondern dein leiblicher Sohn wird dein Erbe sein. Er führte ihn hinaus und sprach: Sieh doch zum Himmel hinauf, und zähl die Sterne, wenn du sie zählen kannst. Und er sprach zu ihm: So zahlreich werden deine Nachkommen sein.

Abram glaubte dem Herrn, und der Herr rechnete es ihm als Gerechtigkeit an.

(Genesis 15,2-6)

Zur Bekräftigung dieser Verheißung schließt Gott nun einen Bund mit Abram:

An diesem Tag schloß der Herr mit Abram folgenden Bund: Deinen Nachkommen gebe ich dieses Land vom Grenzbach Ägyptens bis zum großen Strom, dem Eufrat, (das Land) der Keniter, der Kenasiter, der Kadmoniter, der Hetiter, der Perisiter, der Rafaïter, der Amoriter, der Kanaaniter, der Girgaschiter, der Hiwiter und der Jebusiter. (Genesis 15,18-21)

Abrams Leben ist demnach unauflöslich mit dem von Gott versprochenen Land verknüpft.

Im Einklang mit dem altorientalischen Recht bot nun Sarai ihrem Mann die ägyptische Sklavin Hagar (arab. Hāğar, dt. Fremde) an, um so doch noch zu dem erhofften Kindersegen zu gelangen. Rechtlich implizierte dies, dass die Kinder, die Hagar auf die Welt bringen würde, die legitimen Kinder Abrams wären. Sollte Sarai aber unerwartet doch noch eigene Kinder bekommen, so konnte der Vater die Kinder der Sklavin nach der Übergabe von Geschenken und der Freilassung der Mutter fortschicken.

Die Schwangerschaft Hagars löst nun aber einen unvorgesehenen Konflikt zwischen den beiden Frauen aus: Hagar hofft nämlich gegenüber Sarai den Vorzug zu erhalten, wie auch Sarai fürchtet, als kinderlose Frau die Zuneigung ihres Mannes zu verlieren. Merkwürdig passiv und unbeteiligt erscheint uns Abram, als Sarai ihn mit diesem Missstand konfrontiert:

Da sagte Sarai zu Abram: Das Unrecht, das ich erfahre, komme auf dich. Ich habe dir meine Magd überlassen. Kaum merkt sie, dass sie schwanger ist, so verliere ich schon an Achtung bei ihr. Der Herr entscheide zwischen mir und dir.

Abram entgegnete: Hier ist deine Magd; sie ist in deiner Hand. Tu mit ihr, was du willst. Da behandelte Sarai sie so hart, daß ihr Hagar davonlief. (Genesis 16,5-6)

Doch es scheint etwas Besonderes mit dem ungeborenen Kind auf sich zu haben, denn Gott entsendet einen Engel, der Hagar zur Umkehr bewegen soll:

Der Engel des Herrn fand Hagar an einer Quelle in der Wüste, an der Quelle auf dem Weg nach Schur. Er sprach: Hagar, Magd Sarais, woher kommst du, und wohin gehst du?

Sie antwortete: Ich bin meiner Herrin Sarai davongelaufen.

Da sprach der Engel des Herrn zu ihr: Geh zurück zu deiner Herrin, und ertrage ihre harte Behandlung! Der Engel des Herrn sprach zu ihr: Deine Nachkommen will ich so zahlreich machen, daß man sie nicht zählen kann. Weiter sprach der Engel des Herrn zu ihr: Du bist schwanger, du wirst einen Sohn gebären und ihn Ismael (Gott hört) nennen; denn der Herr hat auf dich gehört in deinem Leid.

(Genesis 16,7-11)

Es hat also den Anschein, dass Hagars Sohn, der seinen Namen von Gott erhält, was Sein großes Interesse an Ismael (hebr. Jischma'el, arab. Ismāʿīl, dt. Gott (er)hört) unterstreicht, der Erbe Abrams ist, dem das Land gehören soll.

Doch mit einem Male nimmt der Text eine Wendung und der soeben aufgewertete Ismael erfährt nun eine Abwertung:

Er wird ein Mensch sein wie ein Wildesel. Seine Hand gegen alle, die Hände aller gegen ihn! Allen seinen Brüdern setzt er sich vors Gesicht. (Genesis 16,12)

Der Ritus der Beschneidung

Mit der Geburt Ismaels bekräftigt und erweitert Gott seinen Bund mit Abram:

Als Abram neunundneunzig Jahre alt war, erschien ihm der Herr und sprach zu ihm: Ich bin Gott, der Allmächtige. Geh deinen Weg vor mir, und sei rechtschaffen! Ich will einen Bund stiften zwischen mir und dir und dich sehr zahlreich machen.

Abram fiel auf sein Gesicht nieder; Gott redete mit ihm und sprach: Das ist mein Bund mit dir: Du wirst Stammvater einer Menge von Völkern. Man wird dich nicht mehr Abram nennen. Abraham (Vater der Menge) wirst du heißen; denn zum Stammvater einer Menge von Völkern habe ich dich bestimmt. Ich mache dich sehr fruchtbar und lasse Völker aus dir entstehen; Könige werden von dir abstammen. Ich schließe meinen Bund zwischen mir und dir samt deinen Nachkommen, Generation um Generation, einen ewigen Bund: Dir und deinen Nachkommen werde ich Gott sein. Dir und deinen Nachkommen gebe ich ganz Kanaan, das Land, in dem du als Fremder weilst, für immer zu eigen, und ich will ihnen Gott sein.

Und Gott sprach zu Abram: Du aber halte meinen Bund, du und deine Nachkommen, Generation um Generation. Das ist mein Bund zwischen mir und euch samt deinen Nachkommen, den ihr halten sollt: Alles, was männlich ist unter euch, muß beschnitten werden. Am Fleisch eurer Vorhaut müsst ihr euch beschneiden lassen. Das soll geschehen zum Zeichen des Bundes zwischen mir und euch. Alle männlichen Kinder bei euch müssen, sobald sie acht Tage alt sind, beschnitten werden in jeder eurer Generation, seien sie im Haus geboren oder um Geld von irgendeinem Fremden erworben, der nicht von dir abstammt. Beschnitten muß sein der in deinem Haus Geborene und der um Geld Erworbene. So soll mein Bund, dessen Zeichen ihr an eurem Fleisch tragt, ein ewiger Bund sein. Ein Unbeschnittener, eine männliche Person, die am Fleisch ihrer Vorhaut nicht beschnitten ist, soll aus ihrem Stammesverband ausgemerzt werden. Er hat meinen Bund gebrochen.

Weiter sprach Gott zu Abraham: Deine Frau Sarai sollst du nicht mehr Sarai nennen, sondern Sarah4 soll sie heißen. Ich will sie segnen und dir auch von ihr einen Sohn geben. Ich segne sie, so daß Völker aus ihr hervorgehen; Könige über Völker sollen ihr entstammen.

(Genesis 17,1-16)

Doch aufgrund der langen Erfahrung der Unfruchtbarkeit Sarahs (arab. Sārā, dt. Fürstin) zweifelt Abraham (hebr. Avraham, arab. Ibrāhīm, dt. Vater der Vielen): Wie sollte Sarah – erst recht jetzt, wo sie beide ein hohes Alter erreicht haben – schwanger werden? So wenden sich seine Gedanken und Hoffnungen Ismael zu. Doch Gott weist ihn sogleich zurecht, dass Ismael aus unerklärlichen Gründen von dem Bund Gottes ausgeschlossen bleiben wird:

Gott entgegnete: Nein, deine Frau Sarah wird dir einen Sohn gebären, und du sollst ihn Isaak nennen. Ich werde meinen Bund mit ihm schließen als einen ewigen Bund für seine Nachkommen. Auch was Ismael angeht, erhöre ich dich. Ja, ich segne ihn, ich lasse ihn fruchtbar und sehr zahlreich werden. Zwölf Fürsten wird er zeugen, und ich mache ihn zu einem großen Volk. Meinen Bund aber schließe ich mit Isaak, den dir Sarah im nächsten Jahr um diese Zeit gebären wird. (Genesis 17,19-21)

Gott hatte also den Bund mit Abraham an drei Bedingungen geknüpft: Glaube an Gott, Ritus der Beschneidung und rechtschaffendes Handeln. Doch es ist unübersehbar, dass aus dem Text nicht hervorgeht, ob der Bund streng an die Abstammungslinie Abraham-Isaak gebunden ist oder als Schicksalsgemeinschaft all jener, die dem Bekenntnis Abrahams folgen, verstanden werden soll, schließlich sollen auch die Sklaven mit dem Bundeszeichen der Beschneidung versehen werden. Diese Spannung zeigt sich auch in der Verheißung, in der es heißt, dass Abraham einmal Vater vieler Völker werden wird, er dann aber auf die Abstammungslinie Abraham-Isaak beschränkt wird. Auch die gänzliche Verdrängung Ismaels bleibt ein Rätsel, impliziert sie doch, dass er nicht im Land seines Vaters verbleiben kann. Zugleich aber erfährt Ismael die Beschneidung (Genesis 17,26). Diese unübersehbare Spannung dreht sich im Grunde um die spätere Frage, ob das Judentum inklusivistisch oder exklusivistisch sein soll. Ersteres würde bedeuten, dass Abraham zum Urmodell des Gläubigen wird, an dem jeder Mensch ablesen kann, was Glauben bedeutet, nämlich vorbehaltloses Vertrauen zu Gott.5 Ein jeder, der seinem Bekenntnis folgt, wäre somit Träger des Bundes und damit Abraham ein Segen für alle Völker. Letzteres allerdings würde das Judentum einzig zu einer Volksreligion machen und sowohl die Abwertung Ismaels als auch die biblische Bevorzugung Isaaks erklären.6 Es geht hier also um das Selbstverständnis des Judentums, das anachronistisch in die Erzählung hineingeschrieben wird. Die widersprüchlichen Aussagen verdeutlichen auch: „[E]ine Abrahams-Biographie ist unmöglich. Die Patriarchengeschichten von Genesis Kapitel 11-35 – sie sind unsere einzigen Quellen. Und sie sind gerade keine Biographien, keine Geschichtsschreibung in unserem Sinne. Sie sind, was alle drei Erzväter betrifft, eine Reihe von lose verknüpften Kurzgeschichten mit Doubletten und Widersprüchen“7, so Küng.

Schließlich setzt sich der Exklusivismus der genealogischen Linie Abraham-Isaak durch und das Land Kanaan wird als Gottesgeschenk an diese Abstammungslinie verstanden.8 Küng schreibt hinsichtlich dieser Entwicklung:

Im rabbinischen Judentum dann wurde Abraham zu einer alle Zeiten überragende Heilsfigur. Nach dem Talmud hat Abraham, der ja lange vor der Offenbarung am Sinai lebte, alle Gebote nicht nur der schriftlichen, sondern auch der mündlichen Tora in seinem Leben bereits gehalten. Ja, es wird sogar kühn behauptet, die Welt und alle Menschen seien im Hinblick auf Abraham und seine Verdienste erschaffen worden. Nur weil es einmal Abraham geben werde, konnten die Geschlechter vor ihm bestehen; auch die Geschlechter nach ihm werden von ihm getragen. „Kinder Abrahams“ zu sein – dies galt jetzt faktisch als das exklusive Privileg der Israeliten: Israel ist der „Sproß oder das Geschlecht Abrahams“ und „das Volk des Gottes Abrahams“. DaßAbra ham der Inbegriff des Segens über „alle Geschlechter der Erde“ werden sollte, dieser ursprünglich universale Horizont der Abrahamsgeschichte trat hinter der Auserwählung des einen Volkes oft fast ganz zurück.9

Zugleich wird die heutige Brisanz dieser Textstellen mit einem Mal ersichtlich: „Denn das Land ist eben nicht lediglich ein politisches Gebilde, sondern für den Juden göttliche Verheißung, ein wesentlicher theologischer Grundstein im Gesamtbau des Judentums“10, so Rabbi Trepp (gest. 2010).

Die Verstoßung Hagars und Ismaels

Im Einklang mit dem altorientalischen Recht fordert Sarah nun von Abraham die Verstoßung Hagars und ihres Sohnes, denn Ismael soll keinen Anteil am Land haben. In der jüdischen Tradition wird dieser grausame Wesenszug damit begründet, dass Sarah erkannt habe, dass Ismael ein Götzendiener und Mörder würde. Im Tanach heißt es jedoch:

Eines Tages beobachtete Sarah, wie der Sohn, den die Ägypterin Hagar Abraham geboren hatte, umhertollte. Da sagte sie zu Abraham: Verstoß diese Magd und ihren Sohn! Denn der Sohn dieser Magd soll nicht zusammen mit meinem Sohn Isaak Erbe sein.

Dieses Wort verdross Abraham sehr, denn es ging doch um seinen Sohn. Gott sprach aber zu Abraham: Sei wegen des Knaben und deiner Magd nicht verdrossen! Hör auf alles, was dir Sarah sagt! Denn nach Isaak sollen deine Nachkommen benannt werden.

(Genesis 21,9-12)

Abermals wird Ismael, der von Gott genannte, der Erstgeborene und Beschnittene abgewertet. Nicht einmal mehr als Nachkomme Abrahams gilt er nun. Doch einen Augenblick später wird diese Aussage abermals relativiert:

Aber auch den Sohn der Magd will ich zu einem großen Volk machen, weil auch er dein Nachkomme ist. (Genesis 21,13)