Schalom und Salam - Muhammad Sameer Murtaza - E-Book

Schalom und Salam E-Book

Muhammad Sameer Murtaza

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Beschreibung

Schalom und Salam – die beiden Friedensgrüße sind Programm dieses Buchs, das für Verständigung und Toleranz zwischen Judentum und Islam wirbt. Muhammad Sameer Murtaza spricht sich dabei unmissverständlich gegen jeden Versuch aus, Antisemitismus aus dem Koran heraus begründen zu wollen und fordert eine radikale Selbstkritik der Muslime. Leidenschaftlich und mit den Mitteln der wissenschaftlichen Interpretation plädiert er – immer auf der Grundlage des Koran – für eine Annäherung der Bruderreligionen von Judentum und Islam. Die Stimme eines ebenso gläubigen wie gelehrten und weltoffenen Muslims, die gerade in Zeiten eines verstärkten islamisch verbrämten Antisemitismus im deutschsprachigen Raum weite Beachtung verdient.

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Seitenzahl: 152

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Muhammad Sameer Murtaza
Wider den islamisch verbrämten Antisemitismus
Im Namen Gottes, des Erbarmers, des Barmherzigen
Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet überhttp://dnb.ddb.de abrufbar.
ISBN (E-Book) 978-3-924391-90-4
ISBN (Print) 978-3-95779-085-9
Erste Auflage 2018
(Dieses Buch ist auch als gedruckte Ausgabe erhältlich)
© 2018 Info3-Verlagsgesellschaft Brüll & Heisterkamp KG,
Frankfurt am Main
E-Book-Konvertierung: de·te·pe, Aalen
Inhaltsverzeichnis
Statt eines Vorwortes: Die Fähigkeit zur Selbstkritik
Das Verhältnis von Juden und Muslimen von der Spätantike bis zum Mittelalter
Der jüdisch-muslimische Konflikt in Medina
Das Goldene Zeitalter jüdisch-muslimischen Zusammenlebens
Der islamisch verbrämte Antisemitismus: ein Phänomen der Moderne
Die Bekanntschaft mit dem europäischen Antisemitismus
Der Zionismus und das zweimal verheißene Land
Die Islamisierung des europäischen Antisemitismus
Die Genese der HAMAS
Was können Muslime gegen Antisemitismus tun?
Das Volk Israel
Wer sind die Juden?
Hass gegen Menschengruppen ist die Tradition des Iblis
Als Muslime Juden vor den Nationalsozialisten retteten
Differenziert auf den Nahostkonflikt schauen
Sich dem Feindbilddenken verweigern
Nakba und Shoa, Muslimsein und deutsche Staatsräson: Das Andenken eines neuen Narrativs
Jeder Epilog ist ein Prolog: Eine Anregung für ein gemeinsames Zeichen
Literatur
Anmerkungen
Über den Autor
Statt eines Vorwortes: Die Fähigkeit zur Selbstkritik
Anschläge auf Synagogen, zunehmend antisemitische Äußerungen auf den Schulhöfen und die Warnung des Zentralrats der Juden, sich in bestimmten Stadtvierteln besser nicht als Juden zu erkennen zu geben, alle diese Entwicklungen in den letzten Jahren weisen auf ein wachsendes Problem hin, das sich nicht länger ausschließlich auf den Rechtsradikalismus beschränkt, sondern sich auch auf muslimische Mitbürger ausdehnt. Wie groß dieses Problem tatsächlich ist, hierzu fehlen derzeit noch aussagekräftige Studien. Die kleine Anzahl vorhandener Untersuchungen weist jedoch seit Jahren darauf hin, dass antisemitische Einstellungen bei muslimischen Mitbürgern dabei sind, eine problematische Größe zu erreichen.1
Es stellt sich daher sowohl gesellschaftsrelevant als auch innermuslimisch die Frage, ob der Islam und die Muslime an sich antisemitisch sind oder antisemitische Einstellungen ein späteres Konstrukt darstellen, das Eingang in den Islam gefunden hat. Trifft Letzteres zu, so können diese im Bereich der Bildungsarbeit theologisch und geschichtlich dekonstruiert werden. Daran anschließend stellt sich die Frage, was Muslime zukünftig tun können, um präventiv gegen antisemitische Einstellungen in der eigenen Gemeinschaft (umma) vorzugehen. Der erste Schritt jedoch, um diese Fragen zu beantworten, besteht in der Fähigkeit zur schonungslosen Selbstkritik.
Wer heutzutage die Bibliothek der prestigeträchtigen Harvard Law School betritt, dürfte überrascht sein. Ihren Eingang schmückt ein Vers aus demQurʾān:2
O ihr, die ihr glaubt!
Tretet für die Gerechtigkeit ein, wenn ihr vor Gott Zeugnis ­ablegt, und sei es gegen euch selber oder euere Eltern und Verwandten.
Handele es sich um arm oder reich, Gott steht euch näher als beide.
Und überlasst euch nicht der Leidenschaft, damit ihr nicht vom Recht abweicht. Wenn ihr (das Recht) verdreht oder euch (von ihm) abkehrt, siehe, Gott weiß, was ihr tut. (4:135)
Das Anbringen dieses Verses rechtfertigen die Initiatoren damit, dass er ein Zeugnis für die Beständigkeit der menschlichen Sehnsucht nach Gerechtigkeit und menschlicher Würde mit Hilfe des Rechts ist. Dies ehrt uns Muslime ungemein – aber wie verhält es sich mit der praktischen Umsetzung dieses Verses? Die Gerechtigkeit ist jenesqurʾānische Ideal, an dem sich auch die Muslime immer wieder selbst messen und messen lassen müssen. Dies erfordert schonungslose Selbstkritik und da, wo Muslime in Unrecht verstrickt sind, auch Läuterung.
Nicht jede Kritik am Islam und an Muslimen ist Ausdruck von Islamophobie und verfolgt destruktive Absichten. Anstatt dass Muslime in ein vorislamisches Stammesdenken zurückfallen und allesamt gegen jede noch so legitime Kritik eine Festungsmentalität entwickeln, gilt es eine Position der Souveränität und Stärke einzunehmen. Sie besteht darin, zuzuhören, unvoreingenommen die vorgebrachte Kritik einer wissenschaftlichen Untersuchung zu unterziehen und, sofern sie sich als berechtigt erweist, konstruktive Schritte einzuleiten, um Missstände in der eigenen Gemeinschaft zu beheben.
Die Befürchtungen unserer jüdischen Mitbürger herunterzuspielen und zu verharmlosen, wird keine Probleme lösen, sondern sie weiter anschwellen lassen. Mein Mentor Murad Hofmann sagte nicht umsonst einmal, wo Rauch ist, da ist auch Feuer. Insofern können Muslime dem Zentralrat der Juden und seinen Warnungen nur dankbar sein, denn er nimmt sie in die Pflicht, dort die Stimme zu erheben, wo gegen das Ethos des Islam verstoßen wird.
Die großen Reformer des Islam im 19. Jahrhundert – Jamal Al-Din Al-Afghani (gest. 1897) und Muhammad Abduh (gest. 1905) – haben ihre Glaubensgeschwister immer wieder an die Notwendigkeit von Selbstkritik, Läuterung und Reform erinnert, wenn sie nachstehenden Offenbarungsvers anführten:
(…) Gott ändert nicht den Zustand eines Volkes, bis sie das ­ändern, was in ihnen selbst ist. (…) (13:11)
DerQurʾān-Exeget Muhammad Asad (gest. 1992) erläutert, dass dieser Vers „eine Illustration des göttlichen Gesetzes von Ursache und Wirkung (sunnat Allah) [sei], das das Leben sowohl von Individuen als auch Gemeinschaften beherrscht und Aufstieg und Niedergang von Zivilisationen von den moralischen Eigenschaften und dem Wandel ihres ‚inneren Selbst‘ abhängig macht.“3
Ohne die Bereitschaft, sich als Gemeinschaft so wahrzunehmen wie man tatsächlich ist, ohne den Willen, es auszusprechen, wenn das eigene Ideal pervertiert wird, ohne den Mut, sich zu verändern, können Muslime ihre religiös begründete Aufgabe auf Erden nicht erfüllen, nämlich Barmherzigkeit für alle Menschen zu verkörpern und frei von allen Extremen zu sein, wenn es in der Offenbarung heißt:
Und damit aus euch eine Gemeinde wird, die zum Guten einlädt, das Rechte gebietet und das Unrechte verbietet. Sie sind es, denen es wohl ergehen wird. (3:104)
Und so haben Wir euch zu einer Gemeinschaft der Mitte gemacht, damit ihr Zeugen über die (anderen) Menschen seiet und damit der Gesandte über euch Zeuge sei. (…) (2:143)
Dazu müssen Muslime aber immer wieder einen kritischen Blick auf den Zustand und die Handlungen der eigenen Gemeinschaft werfen. Muslim zu sein bedeutet nicht, die eigenen Partikularinteressen zu vertreten oder einen religiösen Chauvinismus zu pflegen, sondern es erfordert gemäß Sure 4, Vers 135 eine – manchmal schmerzhafte – Tugend, nämlich das Einstehen für Gerechtigkeit, auch wenn es gegen einen selber geht:
O ihr, die ihr glaubt! Steht in Gerechtigkeit fest, wenn ihr vor Gott bezeugt.
Der Hass gegen (bestimmte) Leute verführe euch nicht zu Ungerechtigkeit.
Seid gerecht, das entspricht mehr der Gottesfurcht.
Und fürchtet Gott. Siehe, Gott kennt euer Tun. Gott hat denen, die glauben und das Rechte tun, Verzeihung und gewaltigen Lohn versprochen. (5:8-9)
Wenn die muslimische Gemeinschaft sich jeder berechtigten Kritik von außen verwehrt, beraubt sie sich der Möglichkeit zu wachsen. Jeder Muslim und jede Muslima sollte sich selbst fragen, ob er oder sie in seinem oder ihrem Umfeld bereits einmal Antisemitismus begegnet ist, wenn beispielsweise das WortJudeals Schimpfwort gebraucht wurde, oder Juden von der Kanzel (minbar) verflucht wurden, oder wir in unserer Moscheegemeinde auf Schriften gestoßen sind, die mit religiösen Argumenten eine Judenfeindlichkeit befeuerten und legitimierten. Wie haben wir Muslime darauf reagiert? Etwa mit Duldung? Aber ist nicht jede Duldung eine passive Zustimmung? Oder haben wir diesen Judenhass sogar noch befürwortet? Haben wir ihn vielleicht als richtig in unseren Herzen empfunden, als eine adäquate Antwort auf die Politik Israels gegenüber den Palästinensern? Aber ist dies nicht ein Gefühl von genugtuender Rache anstelle des Strebens nach Gerechtigkeit? Ist es nicht ein Gift, das wir uns eintröpfeln und das unsere Vernunft betäubt und unser Herz vergiftet? Wie können wir noch Islamfeindlichkeit anprangern, wenn wir uns geistig mit den Islamo­phoben dermaßen berühren? Wie können wir hinsichtlich des Islam und der Muslime Differenzierung einfordern, dies beim Judentum und den Juden selbst aber unterlassen? Wie können wir uns dagegen verwahren für die ­Politik von Staaten wie dem Iran und Saudi-Arabien ver­antwortlich gemacht zu werden, wenn wir die Handlungen des Staates Israel mit dem Judentum gleichsetzen?
Das Vorhandensein einer Judenfeindlichkeit in der islamischen Gemeinschaft, im Fühlen, Denken, Sprechen und Schreiben von Glaubensgeschwistern und ihre Legitimierung durch eine angebliche religiöse Beweisführung zwingen uns einzugestehen, dass es einen islamischen Antisemitismus in unseren Reihen gibt – ob essentiell oder konstruiert soll Gegenstand dieser Arbeit sein.
Aber wie können wir Muslime Judenfeindlichkeit mit dem universalen Horizont desQurʾānin Einklang bringen? Wie können wir davon sprechen, der Islam kenne keinen Rassismus, keine Feindseligkeit gegenüber bestimmten Menschengruppen, sondern gestehe allen Menschen die gleiche unverletzliche Würde zu, wenn es ganz offensichtlich diesen Antisemitismus unter uns gibt? Entweder ist die Judenfeindlichkeit inhärenter Bestandteil des Wesens dieser Religion oder sie ist eine Begleiterscheinung, wie sie bei jeder Realisierung von Religion in der Geschichte in ­Erscheinung getreten ist: nämlich in Gestalt des Unwesens, des pervertierten Wesens einer Religion. Sollte Letzteres zutreffen, dann haben Muslime den Arbeitsauftrag, sich von diesem Unwesen zu reinigen. Doch wie kann dies geschehen?
Billige Polemik, die postuliert, dass der Islam nicht ­antisemitisch sein könne, da auch Araber Semiten sind, ist keine Auseinandersetzung mit diesem Phänomen, sondern schiebt es zur Seite. Es ist ein Sich-eben-nicht-auseinandersetzen-wollen-und-müssen. Verse aus der Offenbarung selektiv anzuführen, ohne sich auch mit den judenkritischen Passagen zu beschäftigen, ist Apologetik, die aber keine Läuterung nach sich zieht. Es ist ein Glasperlenspiel, das auf ein endloses Vers-Ping-Pong mit jenen Muslimen hinaus­läuft, die ihre Judenfeindlichkeit mit genau der gleichen Offenbarungsschrift legitimieren. Ist denn keine wirklich aufrichtige, integere, intellektuell überzeugende und empirisch belegbare Antwort möglich?
Das vorliegende Buch will eine solche Antwort geben.
Das Verhältnis von Juden und Muslimen von der Spätantike bis zum Mittelalter
Dem Islamwissenschaftler Navid Kermani zufolge bestehen Religionen „nicht nur aus den Buchstaben, die Gott offen­bart hat, sondern auch aus denen, die der Gläubige ignoriert.“4Dies klingt etwas simplifizierend, aber Kermani weist auf etwas Entscheidendes hin. Durch die islamische Reformation in Gestalt dersalafiyyaist das Islamverständnis von Muslimen textbezogener geworden unter Ausschluss der geschichtlichen Erfahrung derumma. ImQurʾāndagegen wird ein erfahrungsbezogener Zugang zum Verständnis von Gotteswort nahegelegt:
Wie viele Zeichen gibt es in den Himmeln und auf der Erde, an denen sie vorbeigehen, wobei sie sie unbeachtet lassen! (12:105)5
Der Philosoph Jamal Al-Din Al-Afghani klagte über die Textfixierung der Gelehrten seinerzeit mit den Worten:
Warum wendet ihr eure Augen nicht von diesen blödsinnigen Büchern ab und warum werft ihr nicht einen Blick auf diese weite Welt? Warum beschäftigt ihr nicht eure Betrachtungen und euer Denken mit den Ereignissen [dieser Welt] ohne den Schleier dieser Werke? Dennoch verschwendet ihr keinen Gedanken an diese wichtigen Fragen, die sich jedem intelligenten Mann aufdrängen. Was ist die Ursache von Armut, Mittellosigkeit, Hilflosigkeit und Bedrängnis, die die Muslime erfahren? Und ob es eine Heilung für dieses bedeutende Phänomen und Unglück gibt oder nicht.6
Im gleichen Geiste plädierte der syrische Gelehrte Jawdat Saʿid, dass es nicht ausreiche, sich allein mit religiösen ­Texten zu beschäftigen, vielmehr müsse das Studium der menschlichen Geschichte herangezogen werden, da die Offen­barung sich am Leben orientiere.7
Es genügt also nicht, lediglich Verse aufzuführen, die eine Judenfeindlichkeit entweder belegen oder widerlegen. Gerade hier berühren sich derzeit in der muslimischen ­Gemeinschaft zwei Extreme, nämlich muslimische Anti­semi­ten und sogenannte „liberale“ Muslime. Als letzterer inszeniert sich augenblicklich der Islamwissenschaftler ­Abdel-­Hakim Ourghi. Ihm zufolge reicht bereits ein rascher Blick in denQurʾānaus, um einen islamischen Antijudaismus zu belegen. In der muslimischen Offenbarung würden durchgängig Ablehnung, Feindschaft und Gewalt gegen Juden theologisch legitimiert.8„Muslime“, so Ourghi, „werden dazu erzogen, die Juden zu hassen, nicht nur Israel, sondern alle Juden der Welt.“9 Folglich gehöre die Judenfeindlichkeit zur DNA des Islam und sei von diesem nicht zu lösen. Der Muslim ist nach Ourghi ein Judenfeind per se. In der Konsequenz heißt das, dass diese Form des Antisemitismus unauflösbar ist, es sei denn, man wäre kein Muslim mehr.
Auf den ersten Blick erscheint dies konsequent und folgerichtig. Übersehen wird jedoch, dass Ourghi sich der gleichen literalistischen – also wortwörtlichen – Lesart bedient, wie dies auch die Wahhabiten tun. Zudem negiert er wie diese den empirischen Maßstab der Geschichte, indem er darauf verzichtet, seine Thesen einer Überprüfung zu unterziehen. Im Geiste ist Ourghi damit nicht weniger radikal als die Wahhabiten. Eine Tatsache, die dem Islamwissenschaftler Michael Kiefer nicht entgeht:
Ourghi begründet diese These unter anderem mit der Aufzählung einiger medinensischer Suren, in denen die Juden in einem äußerst ungünstigen Licht erscheinen. Diese Suren gibt es. Jedoch ist eine eklektizistische und literalistische Lesart des Koran und folglich auch dieser Suren grundsätzlich problematisch. So verfahren die Islamisten, die behaupten, jede Aussage des Koran müsse wörtlich genommen werden und sei allzeit gültig. Die meisten muslimischen Gelehrten lehnen einen derartigen Umgang mit dem Koran ab. Dies ist durch eine reichhaltige exegetische Literatur belegt. Wer seriös argumentiert, muss dies erwähnen. Hinzu kommt – und dieser Sachverhalt findet bei Ourghi keine Berücksichtigung – es gibt auch Suren, in denen die Juden ganz anders gesehen werden. Wie z.B. in Sure 29,46. „Und setzt euch mit den Leuten der Schrift nie anders auseinander als auf eine möglichst feine Art.“ Ein positives Bild zeichnet auch die Sure 2,62: „Siehe, diejenigen, die sich zum Judentum bekennen, die Christen und die Sabier – wer an Gott glaubt und an den jüngsten Tag und rechtschaffen handelt, die haben ihren Lob beim Herren, sie brauchen keine Furcht zu haben und brauchen nicht traurig sein.“10
Nicht weniger problematisch ist Ourghis Versuch, ein einheitlich denkendes und handelndes muslimisches Kollektiv zu konstruieren. Kiefer kritisiert:
Kritisch zu erörtern wäre ferner das allgemeine Sprechen über „die“ Muslime und ihren Antisemitismus. Ourghi sagt: „Muslime werden dazu erzogen, die Juden zu hassen.“ Wer sind diese Muslime und wer erzieht sie? In nahezu zwei Deka­den Islamdebatte sollte sich die Erkenntnis durch­gesetzt haben, dass es „die“ Muslime als klar konstruierte Gruppe in Deutschland nicht gibt. Die Heterogenität ist nachweislich beträchtlich. Die Bandbreite reicht von säkular orientierten iranischen Akademikern über traditionell praktizierende Muslime bis hin zu neosalafistisch orientierten Konvertiten. Zudem sagt der Grad der Religiosität von Muslimen noch nichts über den Grad ihrer antisemitischen Haltungen aus, auch in säkularen Milieus sind sie zu finden. Differenzierung lautet hier das Zauberwort.11
Daher gilt auch für Muslime grundsätzlich die Unschuldsvermutung und nicht die Schuldvermutung.12
Der Philosoph Friedrich Nietzsche (gest. 1900) teilte die Geschichtsbetrachtung in drei Arten ein: erstens eine monumentalische, zweitens eine antiquarische und drittens eine kritische.13
Erstere ist Muslimen heute leider allzu gut vertraut und wenig hilfreich. Hierbei richtet man den Blick einzig auf die Helden der Vergangenheit und die goldenen Zeiten, um dadurch Trost zu erfahren, dass man doch einst groß war und es auch wieder sein kann, trotz der gegenwärtig empfundenen Mittelmäßigkeit.
Was aber der Tatenmensch für eine Selbstkritik und Läuterung benötigt, ist Letzteres, nämlich eine kritische Sicht auf die Historie. Der Historiker muss nach Nietzsche zum Richter werden, der ohne Gnade die vergangenen Zeiten im Hinblick auf die Gegenwart und Zukunft in ihrer Gänze beurteilt und sich von dem löst, was nicht im Dienste des Lebens steht. Für Muslime würde dies bedeuten, sich von dem zu lösen, was nicht im Einklang mit den lebensbejahenden Idealen des Islam steht. Dazu gehört, so der Philosoph Muhammad Iqbal (gest. 1938) jede Form von Rivalität, Stolz und Überlegenheit gegenüber anderen Menschengruppen. Durch diese Haltungen könne sowohl der Glaube an eine unverletzliche transzendente Würde des Menschen als auch der Gleichheitsgedanke nicht bewahrt bleiben.14
Es stellt sich daher zunächst einmal die Frage, wie das Verhältnis von Juden und Muslimen in der Geschichte aussah.
Der jüdisch-muslimische Konflikt in Medina
Rabbi Mark Cohen referierte auf der dritten Konferenz für religiösen Dialog in Doha 2005, dass die Beziehungen zwischen Juden und Muslimen in der islamischen Frühzeit in Medina von feindseliger Konfrontation geprägt wurden, deren Ursache jedoch nicht religiösen, sondern politischen Ursprungs war.15Gerade diese Konfrontation aus der Frühzeit des Islam bildet bis heute immer wieder den Stoff für grundlegende Schlussfolgerungen. Deshalb soll dieser Konflikt hier vor dem Hintergrund der immer auch von Existenzkämpfen gekennzeichneten Frühzeit der ersten muslimischen Gemeinde etwas detaillierter betrachtet werden.
Das Jesuswort:Nirgends hat ein Prophet so wenig An­sehen wie in seiner Heimat und in seiner Familie(Matthäus 13,57) traf auch auf das Wirken Muhammads (gest. 632) in Mekka zu, wo die kleine monotheistische Gemeinschaft seitens der polytheistischen Mehrheitsgesellschaft zehn Jahre lang verhöhnt, verfolgt und gequält wurde. Ein Ausweg bot sich schließlich durch eine Kontaktaufnahme von arabischen Stammesführern aus Yathrib an, dem späteren Medina. In der Oase Yathrib, einem losen Zusammenschluss von Dörfern, litten die Menschen wegen der unablässigen Fehden zwischen den arabischen und jüdischen Stämmen und untereinander. Weit über Mekka hinaus hatte man den Ruf Muhammads als Botschafter des Friedens und fairen Streitschlichters vernommen und so luden die arabischen Stämme Yathribs ihn und seine Gefährten ein, um dort als unparteiische Dritte Frieden zu schaffen.16
Aber die arabischen Stämme Yathribs hatten eigenmächtig gehandelt, als sie Muhammad als Schiedsrichter eingeladen hatten. Ein Teil der jüdischen Stämme fühlte sich übergangen und war infolgedessen den Migranten aus Mekka gegenüber feindlich eingestellt. Auch fürchteten sie, durch die Neuankömmlinge ungewollt in einen Konflikt zwischen Mekka und Yathrib hineingezogen zu werden. Zu Recht, denn die Mekkaner fühlten sich durch die Auswanderung der Muslime 622 gedemütigt und nahmen sich vor, die Exilanten notfalls mit Gewalt zurückzuholen. Dies wiederum bedrohte die wirtschaftlichen Interessen einiger jüdischer Stämme Yathribs, da diese in Handelsbeziehungen mit Mekka standen.17
In Medina ließ der Prophet 622 rasch eine Gemeinschaftsurkunde aufsetzen, die das Verhältnis der verschiedenen Stämme untereinander und miteinander neu regeln sollte. Der Text verpflichtete alle Parteien zur gegenseitigen Solidarität und Unterstützung. In den Passagen über die jüdischen Stämme heißt es:
Die Juden, die uns folgen, genießen die gleiche Hilfe und Unterstützung, solange sie die Gläubigen nicht ungerecht behandeln und andere gegen sie unterstützen. Der Friede der Gläubigen ist ein einziger. (…) Die Juden (…) bilden mit den Gläubigen eine Gemeinde. Den Juden ihre Religion und den Muslimen die ihre! (…) Sie helfen einander gegen jeden, der gegen die Leute dieser Urkunde kämpft. Zwischen ihnen herrscht echte Freundschaft und Treue ohne Verrat.18
Unklar ist jedoch, ob die jüdischen Stämme diesem Vertrag zugestimmt haben.
Als die muslimische Gemeinde durch Konvertiten wuchs und damit der Einfluss Muhammads in Medina zunahm, fühlte sich ein Teil der jüdischen Stämme durch die zahlenmäßige Überlegenheit der Muslime entscheidend ­bedroht, war doch das eingependelte Machtgefüge in der landwirtschaftlich prosperierenden Oase nun empfindlich gestört.19 Diese Entwicklung konnte nicht ohne machtpolitische Konflikte vonstatten gehen und entlud sich dann in der Konfrontation mit drei von fünf jüdischen Stämmen.