Abyssus - Philipp Nathanael Stubbs - E-Book

Abyssus E-Book

Philipp Nathanael Stubbs

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Beschreibung

Drei Jahre ist es her, dass Lord Hastings Miranda van Storm entführt hat. Drei Jahre, in denen Graham Rodderik wie besessen jeder Spur gefolgt ist. Drei Jahre, in denen Graham zu einer ... in Ordnung, Kampfmaschine wäre übertrieben. Aber er wurde definitiv jemand, den man lieber auf seiner Seite hat. Doch auch Lord Hastings war nicht untätig geblieben ... Nur wenige Meter unter der Oberfläche des Planeten brodelt flüssiges Gestein, welches mehr als genug Kraft hat, die Erdkruste in Stücke zu reißen und die Menschheit auszulöschen. Womit gleichzeitig die Ursache für Umweltverschmutzung, Krieg und Kriminalität beseitigt würde und genug Platz für seine Mechanoiden wäre - damit sie endlich beginnen könnte: Die Herrschaft der Maschinen. Einmal hatten die Menschen schon seinen perfekten Plan vereitelt, ein zweites Mal würde es ihnen nicht gelingen. Oder?

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EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2025

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PHILIPP NATHANAEL STUBBS

ABYSSUS

Steampunk-Roman

 

Rodderik & Storm

Band 5

 

 

Inhaltsverzeichnis

Titel

Über das Buch

Rodderik & Storm - Die Steampunk-Abenteuerserie

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Was bisher geschah

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Kapitel 47

Kapitel 48

Kapitel 49

Kapitel 50

Kapitel 51

Kapitel 52

Kapitel 53

Kapitel 54

Kapitel 55

Kapitel 56

Kapitel 57

Kapitel 58

Kapitel 59

Kapitel 60

Kapitel 61

Kapitel 62

Kapitel 63

Kapitel 64

Kapitel 65

Kapitel 66

Kapitel 67

Kapitel 68

Kapitel 69

Kapitel 70

Kapitel 71

Kapitel 72

Kapitel 73

Kapitel 74

Kapitel 75

Kapitel 76

Kapitel 77

Kapitel 78

Kapitel 79

Kapitel 80

Kapitel 81

Kapitel 82

Kapitel 83

Kapitel 84

Kapitel 85

Kapitel 86

Kapitel 87

Kapitel 88

Kapitel 89

Kapitel 90

Kapitel 91

Kapitel 92

Kapitel 93

Kapitel 94

Kapitel 95

Kapitel 96

Kapitel 97

Kapitel 98

Kapitel 99

Kapitel 100

Kapitel 101

Kapitel 102

Kapitel 103

Kapitel 104

Kapitel 105

Kapitel 106

Kapitel 107

Kapitel 108

Kapitel 109

Kapitel 110

Kapitel 111

Kapitel 112

Kapitel 113

Kapitel 114

Kapitel 115

In Machina

Danksagung

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Rodderik & Storm - Die Steampunk-Abenteuerserie

Impressum

Über das Buch

Drei Jahre ist es her, dass Lord Hastings Miranda van Storm entführt hat.

Drei Jahre, in denen Graham Rodderik wie besessen jeder Spur gefolgt ist.

Drei Jahre, in denen Graham zu einer ... in Ordnung, Kampfmaschine wäre übertrieben. Aber er wurde definitiv jemand, den man lieber auf seiner Seite hat.

Doch auch Lord Hastings war nicht untätig geblieben ...

Nur wenige Metern unter der Oberfläche des Planeten brodelt flüssiges Gestein, welches mehr als genug Kraft hat, die Erdkruste in Stücke zu reißen und die Menschheit auszulöschen. Womit gleichzeitig die Ursache für Umweltverschmutzung, Krieg und Kriminalität beseitigt würde und genug Platz für seine Mechanoiden wäre - damit sie endlich beginnen könnte: Die Herrschaft der Maschinen.

Einmal hatten die Menschen schon seinen perfekten Plan vereitelt, ein zweites Mal würde es ihnen nicht gelingen.

Oder?

 

 

 

Mehr davon? Das Gratis-eBook mit der Vorgeschichte von Rodderik & Storm gibts am Ende des Buches!

 

 

Rodderik & Storm - Die Steampunk-Abenteuerserie

Alle Bücher in der chronologischer Reihenfolge:

 

Prequel - Die mechanische Braut (exklusiv für Newsletter-Empfänger)

Band 1 - Das Imperium der Puppen

Band 2 - Die verlorene Welt

Band 3 - Die Morde von Whitechapel

Band 4 - Der stille Planet

Band 5 - Abyssus

Kurzgeschichte - Keine Ehre unter Dieben (exklusiv für Newsletter-Empfänger)

Band 6 - Ex Machina (erscheint 2025)

 

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Wenn zwei sich betrügen, dann freut sich der Dritte - falls er überlebt.

 

Auch Corelius Vanderbild hat einmal klein angefangen. Doch als der Taschendieb und Trickbetrüger den Auftrag bekommt, einem der berüchtigtsten Gangsterbosse Londons ein unbezahlbar wertvolles Gemälde zu stehlen, ist das die Gelegenheit, an der Herausforderung zu wachsen. Oder auf dem Friedhof zu enden.

 

Du bekommst das eBook “Keine Ehre unter Dieben” geschenkt, wenn du dich meinen VIP-Lesern anschließt.

 

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Was bisher geschah

 

Die einzelnen Bände der Rodderik & Storm Reihe enthalten zwar in sich abgeschlossene Geschichten, ich empfehle aber, die Bücher in der angegebenen Reihenfolge zu lesen, um die Rahmenhandlung mitzubekommen. Wer sich nicht spoilern lassen will, sollte jetzt besser die Augen zumachen und zum nächsten Kapitel blättern.

Für Quereinsteiger habe ich die hier soweit wie möglich spoilerfrei zusammengefasst:

DAS IMPERIUM DER PUPPEN

Aether ist eine wunderbare Sache: unerschöpfliche Energiequelle, vielseitig einsetzbar und umweltfreundlich. Nur einen kleinen Nachteil hat der Stoff: in großen Mengen komprimiert gelagert, bringt er das Zeit-Raum-Gefüge durcheinander.

Das bemerkt der Datenanalyst Graham, als er im heutigen London auf der Flucht vor einer Gruppe Rowdies ist. Im letzten Augenblick kann er er sich in eine enge Gasse retten, die zwei Sekunden vorher noch gar nicht da war. Um anschließend festzustellen, dass der Weg heraus schwieriger ist als hinein und dass er nicht durch ein Method-Acting-Camp stolpert, sondern tatsächlich durch das viktorianische London. Zwar schafft es Miranda – geniale Erfinderin menschenähnlicher Mechanoiden und Besitzerin besagter großen Menge komprimierten Aethers – ihn wieder in seine Zeit zurück zu katapultieren, aber die Zeitreise bleibt nicht ohne Konsequenzen.

Das mit seiner Zukunft etwas nicht stimmt bemerkt Graham, als sein bester Freund sich erstens als Mechanoid entpuppt und zweitens versucht, ihn umzubringen. Mit Hilfe einer Sonde, die Miranda durch die Zeit geschickt hat, springt Graham in die Vergangenheit zurück, um dort herauszufinden, dass Miranda und er nur Schachfiguren im Spiel eines erbarmungslosen Genies mit Weltherrschaftsgelüsten sind. Es gibt nur einen Weg, es aufzuhalten – leider zerstört er jede Möglichkeit zur Rückkehr Grahams in seine eigene Zeit.

DIE VERLORENE WELT

Gefangen in der Vergangenheit und ausgerüstet mit dem Wissen der Zukunft - auch wenn es zum größten Teil aus Fernsehserien und Kinofilmen stammt - versucht Graham sich mit der Situation zu arrangieren, ohne dabei ein Zeitparadoxon auszulösen, welches im schlimmsten Fall die Menschheit, im besten Fall nur ihn auslöschen würde. Was nichts daran ändert, dass auch ein Zeitreisender einen Job braucht, um Essen und Miete zu bezahlen. Keine einfache Aufgabe in einer Gesellschaft, in der Handwerker einen höheren Status genießen als BWLer.

Da kommt die Chance zur Teilnahme an der Expedition Professor Challengers nach Südamerika gerade recht. Miranda ist Feuer und Flamme, denn die Erforschung eines abgelegenen Plateaus und die Suche nach prähistorischen Lebewesen ist genau das, was sie braucht, nachdem Graham in einem unbedachten Moment seine Abneigung gegen die Institution Ehe bekannt gemacht hat. Graham selbst hat oft genug Jurassic Park gesehen, um der ganzen Angelegenheit skeptisch gegenüber zu stehen und da niemand auf ihn hört, muss er wohl oder übel mit auf die Reise gehen.

DIE WHITECHAPEL-MORDE

Knapp dem Tod entronnen kehrt die Expedition nach London zurück, im Gepäck das Ei eines Velociraptors, welches Challenger im Brutkasten ausbrütet. Leider entwischt ihm der junge Saurier kurz darauf, was kein Grund zur Panik ist; schließlich sollte ein wärmeliebendes, an subtropisches Klima gewöhntes Reptil im nasskalten London nicht lange überleben, gnadenloser Fleischfresser und brutaler Jäger hin oder her. Challenger wischt alle Bedenken nonchalant zur Seite, was eine Gefahr durch das Tier angeht.

Als aber in Whitechapel Frauen verstümmelt und zerfetzt aufgefunden werden, wird Graham misstrauisch. Er beginnt zu ermitteln und findet schnell heraus, dass es mehr als ein Monster gibt. Das macht sein Leben zwar aufregend und abwechslungsreich, aber möglicherweise auch sehr kurz – zu kurz, um es auch nur eine Sekunde ohne Miranda zu verbringen. Er will ihr gerade einen Antrag machen, als die Tinkerin ihm ihre neueste Erfindung präsentiert: eine Zeitmaschine, die ihn zurück in seine Zeit bringt.

 

DER STILLE PLANET

Mirandas Versuch, Graham wieder in seine Zeit zurückzubringen, endet zum richtigen Zeitpunkt - aber in der falschen Welt.

Optisch sieht alles so aus, wie Graham es kannte, inklusive Warmwasser, welches direkt aus dem Wasserhahn kommt und für Miranda den Höhepunkt der Zukunft darstellt. Aber etwas fühlt sich falsch an. Und was hat den großen Kollaps der Insektenpopulation ausgelöst, der die weltweite Lebensmittelproduktion vollständig zum Erliegen gebracht hat?

Die einzigen Nahrungsmittel kommen aus den Gewächshäusern von Wales Green, einem Konzern, der sein Monopol skrupellos ausnutzt, um ganzen Nationen seinen Willen aufzuzwingen, und der vor dem Kollaps Dünger und Pflanzenschutzmittel produziert hat. Pflanzenschutzmittel, die bei falscher Dosierung ... Nebenwirkungen haben.

 

 

Prolog

Das Londoner West End war schon immer ein Ort gewesen, der selbst mittags im Zwielicht lag, und das war in den letzten drei Jahren nicht besser geworden. Mona Zapotti ahnte davon nichts, als sie weit nach Mitternacht – oder kurz vor Morgengrauen, das kam ganz auf die Einstellung des Beobachters zum geregelten Tagesablauf an – durch eine Straße lief, die ihr leicht unbekannt vorkam. Sie lief auch nicht, sondern torkelte. Oder schwankte leicht – das hing von der individuellen Einstellung des Beobachters über die akzeptable Menge des an einem Arbeitstag zu konsumierenden Alkohols ab. Früher hatte die Gegend wie nach einem Bürgerkrieg ausgesehen1. Aber vor drei Jahren, als die Verbrechen von Wales Green aufgedeckt wurden und die Ausgangssperren, Reisebeschränkungen und Lebensmittelrationierungen2 aufgehoben oder gelockert wurden, bekam das Leben wieder Farbe. Oder in einigen Fällen zu viel Farbe, was erklärte, warum eine junge Frau wie Mona Zapotti aus dem italienischen, lebensfrohen und bunten Florenz freiwillig nach London gezogen war, um Wirtschaftsökonomie zu studieren.    Da Balance alles war, wie ihre Yoga-Instrukteurin immer predigte, brachte sie das trockene Studium mit feuchtfröhlichen Abenden wieder ins Gleichgewicht. Alkohol war nicht rationiert, wenn man über die entsprechenden Finanzen verfügte3. Sie hatte sich vor einigen Stunden mit ihrer Clique in Eves Paradies getroffen. Der Club – ein Geheimtipp, der so bekannt war, dass selbst zum Stehen kaum Platz war, lag abseits der Mainroads, aber die Cocktails sollten der Knaller sein. Eine Behauptung, die unbedingt überprüft werden musste und sich als absolut zutreffend erwies. Mona hatte jedes einzelne Getränk der Karte persönlich verkostet. Es war ein wunderbares Erlebnis, eines, in dessen Erinnerungen sie immer noch schwelgte, als ihre Füße über den dreckverkrusteten Asphalt der Straße schwebten, die direkt ins West End führte.

Es war nicht ihr üblicher Heimweg, genauso wenig wie es ihre übliche Bar war, aber Mona hatte jede Hilfe abgelehnt, als sie sich von ihren Freunden verabschiedet hatte.   »Keine Angst Leute, ich find meinen Weg immer nach Hause!«, hatte sie gesagt. Obwohl der Satz eher nach »Keine Angscht Leude ... isch fin mein Wechimmernach Hause!«, klang. Zehn Schritte später hatte Tom sie eingeholt und in die richtige Richtung gedreht und gemeint, er sollte sie doch besser begleiten. Mona hatte abgelehnt und etwas von unabhängiger, emanzipierter Frau gemurmelt und er sollte nicht so den Macho raushängen lassen. Tom hatte mit den Schultern gezuckt und war gegangen.   Das war vor einer ganzen Weile gewesen. Eine wesentlich längere Weile, als sie hätte sein dürfen, fand Mona. Vielleicht war sie doch irgendwo falsch abgebogen, denn das hier sah nicht nach Kingsbridge aus. Wobei sich schwer beurteilen ließ, wonach es aussah. Die meisten Straßenlaternen waren dunkel geblieben. Mona lauschte. Hatte sie Schritte gehört? Hinter ihr? Oder neben sich? Aus der dunklen Gasse vielleicht? Das war schwer zu sagen, vor allem, da die Welt sich unaufhörlich drehte.

Möglich war natürlich auch, dass die Schritte aus allen Richtungen kamen. Monas Hirn gab ihrer Leber den Befehl, einen Zahn zuzulegen. Mona wurde schlagartig nüchtern.

»Ist da wer?«, rief sie in die Nacht. Hämisches Lachen antwortete. »Komm raus, oder es gibt was!«, setzte sie hinterher. In ihrem Kopf klang der Satz selbstbewusst und furchtlos, aber irgendwo auf dem Weg nach draußen hatte sich das Selbstbewusst abgesetzt und Furchtlos war ihm gefolgt.   »Haste dich verlaufen, Missi?«, fragte eine leise Stimme von links. Mona wirbelte herum, aber dort war niemand zu sehen. Oder war der Schatten auf der anderen Straßenseite nicht nur das Fehlen von Licht?

Die Eingänge der Häuser waren dunkel, genauso wie die Wohnungen hinter den Fenstern. Sie konnte um Hilfe rufen, aber käme jemand? Es würde jemand kommen, sagte die Stimme in ihrem Kopf, aber ganz sicher niemand, den du in deiner Nähe haben willst. Mona schaute sich panisch um. Sie sah keinen Ort, der Sicherheit versprach – keine Oase mit warmem, freundlichem Licht und einer Tür, die man hinter sich zuknallen konnte. Sie war definitiv an ein paar Kreuzungen falsch abgebogen. Das Einzige, was es hier gab, war eine Insel aus Licht unter einer einzelnen Straßenlaterne. Wenn sie nur dorthin gelangen könnte ... dann wäre sie immer noch nicht sicher, aber sie könnte dort ihre Handtasche auskippen und das Pfefferspray finden, welches ihr ihre Eltern als Abschiedsgeschenk mitgegeben hatten. Jetzt kam es darauf an, einen kühlen Kopf zu bewahren und den Gegner zu überraschen. Mona sprintete los.

Leider waren ihre Gegner von dieser Taktik nicht überrascht. Es sah sogar so aus, als hätten sie mit solchen Situationen schon Erfahrungen gesammelt. Aus dem Nichts tauchte ein Schatten vor ihr auf, wurde solide und bewegte sich keinen Millimeter, als sie mit voller Wucht gegen ihn prallte und zu Boden stürzte.

Vier. Es waren vier. Und zum ersten Mal in dieser Nacht bekam Mona richtige Angst.

Die Männer näherten sich ihr langsam, wie ein Rudel Hyänen einem wehrlosen Opfer. Sie lachten und dieses Lachen jagte Mona kalte Schauer durch den Körper. Es war selbstbewusst, siegessicher und höhnisch.

Dieser Hohn löste in Mona etwas aus. Die Wut, von diesen Typen als Ding, als Beute betrachtet zu werden, gab ihr Kraft. Sie ballte die Fäuste, schloss die Hand um die Griffe ihre Handtasche und kam mit einer kraftvollen, fließenden Bewegung nach oben, drehte sich im Kreis und schwang die Tasche wie ein Hammerwerfer seinen Hammer zum Kopf des Angreifers. Sie sah vor ihrem geistigen Auge, wie die Tasche gegen die Seite seines Gesichts prallte, sich seine Miene verschob und Speichel und Blut und Zähne davonflogen.

Nichts davon geschah. Der Typ wog mindestens dreihundert Pfund mehr als sie und hatte keine Zähne mehr. Dafür schnellere Reflexe, als sie dem Fettsack zugetraut hatte. Und erstaunlich viele seiner überschüssigen Pfunde waren Muskeln.

Er schnappte ihren Unterarm aus dem Schwung ihrer Bewegung heraus. Es gab ein unangenehmes Knacken und wenige Millisekunden später eine Welle von Schmerz, als irgendetwas Schlimmes mit ihrer Schulter passierte. Den Riesen schien das nicht zu stören. Er packte noch ihre zweite Hand und hob sie in die Luft.   »Na, mein Täubchen?«, hechelte er und atmete Mona eine betäubende Wolke Mundgeruch entgegen. »So spät noch unterwegs? Oder hast du dich verlaufen?« Mona sagte nichts und strampelte in der Luft. Theoretisch befand sie sich in der idealen Position, um dorthin zu treten, wo es am meisten weh tat. Praktisch trug Mr Mundgeruch eine Hose aus so altem und steifem Leder, dass ihr Fuß dort keinen Eindruck hinterließ.   »Lass mich los!«, fauchte sie. Die Antwort war ein breites Grinsen. Der Typ hat Zähne, dachte Mona erstaunt. Er hat sie sich nur spitz schleifen lassen. In dem Moment wusste sie, dass sie in den Händen eines Psychos war.   »Aber klar doch. Ich bring dich nur vorher in meine Bude. Damit dir nichts passiert. Ist nicht sicher, wenn du hier so ganz allein rumläufst.« Jetzt standen noch drei weitere Gestalten um Mona herum; keine von ihnen sah vertrauenserweckender aus als Mr Mundgeruch. »Meine Freunde kommen auch mit. Um dich zu beschützen.« Und ohne ein weiteres Wort warf sich der Riese Mona über die Schulter, ohne auf ihre Gegenwehr zu achten4.

Er kam nicht weit. Mona konnte nicht sehen, was vor sich ging; ihr Blickfeld war auf das Leder und die Nieten der Jacke ihres Entführers beschränkt. Doch der blieb plötzlich stehen.

»Lass das Mädchen in Ruhe und verschwinde. Und nimm deine Freunde mit«, sagte eine Stimme, die Mona zuvor noch nicht gehört hatte. Diese Stimme passte nicht zu jemandem, der dreckig lachte. Diese Stimme gehörte zu jemandem, der genau wusste, was er wollte, und gewohnt war, dass er es bekam. Es war eine Stimme, die Mona ganz vergessen ließ, sich aufzuregen, weil jemand sie als Mädchen bezeichnete.   »Ach ja? Und wer sagt das?«   »Ich. Also lass den Mist, Drogo. Du weißt, wie es sonst endet.« Mona spürte den Ruck, der durch den Riesen ging. Etwas hatte ihn erschreckt.   »Hey Klugscheißer! Hältst dich wohl für besonders schlau, bloß weil du meinen Namen weißt? Haben dir wohl die Bullen gesteckt?«   »Du trägst eine Kette um deinen Hals. Da steht Drogo drauf. Und ich kann lesen. Jetzt verschwinde, bevor du dir weh tust.« Drogo lachte überheblich. Er verhielt sich wie ein Gorilla. Er wollte imponieren. Aber es hörte sich an, als ob sich der andere nicht beeindrucken ließ.   »Wir sind vier. Du bist einer. Ich schlage vor, du verschwindest, bevor du ein schmieriger Fleck auf dem Asphalt wirst.«   »Vier gegen einen. Das ist unfair«, stellte sein Gegenüber fest.   »Da geht dir die Muffe!«   »Wenn ihr acht wärt, oder zehn, dann wäre es ausgewogen. Aber meine Geduld ist zu Ende. Ich zähle bis drei, dann steht das Mädchen wieder auf ihren Füßen und ihr seid weg. Eins.«   »Hast du überhaupt eine Ahnung, wer ich bin? Das ist mein Kiez und hier sagt mir niemand, was ich mache! Ich bin Drogo, der ...«   »Zwei.«   »Na dann, Mr Klugscheißer. Jetzt will ich sehen, was nach Drei kommt.«

Drogo sollte es nie herausfinden. Mona hatte nicht gehört, dass der andere Mann Drei sagte. Sie hörte nur schmerzerfülltes Stöhnen und wie menschliche Körper auf den Asphalt fielen. Drogo stürzte um wie ein gefällter Baum und Mona hatte gerade noch die Geistesgegenwart, sich zur Seite zu rollen, bevor er auf den Boden knallte.

Die vier Männer, die eben noch wie Raubtiere auf sie losgegangen waren, waren in die Opferrolle gerutscht. Sie wälzten sich auf dem Boden, einer wälzte sich gar nicht, sondern war bewusstlos. Hoffentlich. Noch ganz benommen schaute Mona sich um und sah den Mann, der Drogo Paroli geboten hatte. Er war vielleicht Mitte Dreißig, ohne ein Gramm Fett zu viel am Körper. Seine Augen waren im Schummerlicht der Straßenbeleuchtung nicht zu sehen, aber das Gesicht strahlte eine Männlichkeit aus, die ihm bei der Kür zum Sexiest Man Alive einen der vorderen Plätze beschert hätte. Er stand über ihr und schaute sie an wie ein verletztes Tier. Hoffentlich glaubt er nicht, mir den Gnadenschuss geben zu müssen, ging es Mona durch den Kopf. Aber nein, das war unmöglich. Ein Mann wie dieser – er erinnerte Mona an Superman in Zivil. Schließlich hielt er ihr die Hand hin und sie griff zu.

Möglicherweise hatte sie sich von ihm ein wenig mehr aufhelfen lassen, als nötig gewesen wäre. Dann stand sie unsicher, aber allein. Sie hätte sich vielleicht sogar an seine Schulter gelehnt, aber das passte nicht zu ihren Attributen stark und unabhängig und der Tatsache, dass sie den Mann erst ein paar Sekunden vorher kennengelernt hatte. Andererseits hatte er ihr in der Zwischenzeit das Leben gerettet – das war schon mal eine gute Ausgangsbasis.   »Danke«, hauchte sie. Mit ihrer Stimme war alles in Ordnung, aber ein Mädchen musste jede Chance nutzen, die sich bot. Und darin war sie gut. »Sie sind ein Engel!« Der Mann schaute sie einen Augenblick prüfend an.   »Ich bin kein Engel. Ich bin nicht mal ein guter Mensch. Nicht mehr.« Dann drehte er sich um und ging.

Das war Mona Zappotis erste und einzige Begegnung mit Graham Rodderik.

1 Was mehr oder weniger zutreffend war.

2 Letztere gab es immer noch, aber wenigstens konnte man jetzt von den Rationen leben und manche Sachen sogar genießen.

3 Über die verfügte Mona zwar nicht, aber ihre Eltern.

4 Oder sie mitzubekommen. Auch seine Jacke war aus dickem Leder.

Kapitel 1

Corelius Vanderbild beobachtete die Morgenroutine seines Mitbewohners aus den Tiefen seines Massagesessels heraus mit einem Kaffee in der Hand und einem gewissen Gefühl von Neid in der Brust. Vor drei Jahren war Graham Rodderik an seiner Tür aufgetaucht. Ein bemerkenswerter Umstand, denn Corelius hatte alles dafür getan, dass niemand an seiner Tür auftauchen konnte aufgrund der Tatsache, dass niemand seine Tür überhaupt fand. Und bevor Corelius fragen konnte, hatte Graham eine wüste Geschichte erzählt: Dass er mit Miranda van Storm vor dem Traualtar stand, als plötzlich ihr verstorbener Gatte auftauchte. Nicht ihr verschwundener Gatte oder ihr totgeglaubter Gatte, nein, ihr verstorbener Gatte; Graham und Miranda hatten ihn persönlich in die Luft gesprengt – oder so etwas ähnliches, Corelius hatte bei den Details nicht genau zugehört, sondern sich immer noch gefragt, wie Graham sein Versteck aufspüren konnte. Zusammengefasst war der tote Alexander Hastings erstaunlich lebendig, hatte Graham k.o. geschlagen und Miranda entführt. Ersteres war zu diesem Zeitpunkt leicht gewesen; damals war Graham übergewichtig, unsportlich und nerdig. Zwei von drei dieser Attribute hatte er abgelegt.

Corelius hatte die Geschichte nicht geglaubt, sondern war davon ausgegangen, dass eine Klassefrau wie Miranda van Storm sich unmöglich an einen Typen wie Graham binden wollte und in einem Moment geistiger Klarheit die Beine in die Hand genommen hatte. Doch Graham war kein Haarbreit von seiner Geschichte abgewichen, egal wie oft er sie erzählte. Und Richter Laurie, der auf der anderen Seite des Altars gestanden hatte, bestätigte den Bericht. Irgendwann war Corelius während dieser herzzerreißenden Story der Satz: Mi casa es tu casa herausgerutscht und Graham hatte ihn beim Wort genommen.

Heute war Corelius – wie jeden Morgen – vom Zuschlagen der Wohnungstür aufgewacht. Dieses deutliche Zeichen hieß, dass Graham seine Zehn-Meilen-Morgenrunde beendet hatte und nun den Indoor-Teil seiner Fitness-Folter begann. Corelius hatte aus dem Fenster geblinzelt und festgestellt, dass die Sonne den Horizont noch nicht erreicht hatte. Doch an Schlaf war nicht zu denken, sobald Graham begann, die Gewichte zu malträtieren. Corelius schwang die Beine aus dem Bett, schlurfte zur Kaffeemaschine und goss sich die erste Tasse Flüssigenergie ein. Graham machte in der Zwischenzeit Liegestütze. Corelius zählte mit, während der Kaffee durchlief, und gab bei hundertzwanzig auf; ganz im Gegenteil zu Graham. Corelius genoss mit geschlossenen Augen den ersten Schluck des Tages.   »Zweihundertachtundvierzig, zweihundertneunundvierzig, zweihundertfünfzig.« Wenn Corelius an Grahams Stelle gewesen wäre, hätte er bei zweihundertneunundvierzig zu zählen angefangen und bei eventuellen Zuschauern eifrig Punkte gesammelt. Corelius wusste, dass Graham, obwohl er drahtig aussah, regelmäßig 290 Kilo stemmte. Corelius fand das abartig.   Graham sprang auf und begann mit Klimmzügen. Corelius stöhnte.   »Du machst das nur, damit ich ein schlechtes Gewissen bekomme.«   »Ich mache das, um in Form zu bleiben«, antwortete Graham, ohne seine Übung zu unterbrechen. Dass er unter dieser Belastung noch genug Luft zum Atmen und zum Sprechen hatte, machte es auch nicht besser. Dennoch war es nicht die Antwort, die Graham eigentlich hätte geben sollen. Graham trainierte, um bereit zu sein. Für den Tag, an dem er Hastings entgegentreten und ihm den Kopf abreißen würde – egal ob es sich bei dem Typen um eine Maschine oder einen Menschen handelte. Und Graham hatte die letzten drei Jahre genutzt, um sich zu einer Kampfmaschine zu trainieren – keine leichte Sache für einen Pazifisten. Das war Graham immer noch, soweit es sich um Menschen handelte. Aber Hastings war kein Mensch.

Mittlerweile war Graham beim Hanteltraining angekommen. Die Gewichte waren klein, aber schwer, was Corelius gemerkt hatte, als er diese aus dem Weg räumen wollte. Das Ding war genauso unverrückbar für ihn wie Thors Hammer für einen Nicht-Gott. Das Problem bekam eine einfache Lösung: Graham wurde zum Aufräumen und damit zum Wohnungsputz verdonnert – was er auch widerspruchslos und mit grimmiger Entschlossenheit erledigte.   Dabei war Corelius ansonsten in guter Form – es ist schwer, sich Übergewicht zuzulegen, wenn es auf dem ganzen Planeten Lebensmittel nur rationiert gab – seine Prioritäten lagen aber mehr auf Sprint und Ausdauerlauf. In seinem Alltag waren das die praktischeren Alternativen.    Bereits zwei Monate nach seinem Einzug war Graham ihm an Kraft und Geschwindigkeit überlegen. Erst wollte Corelius mithalten, aber als er feststellte, dass Grahams Training die Grenze zur Obsession schon weit hinter sich gelassen hatte, gab er auf.

Normalerweise gab es keinen Grund, warum Corelius Graham aufnehmen und sein angenehmes Luxusleben beziehungsweise seine Wohnung mit ihm teilen sollte. Aber es gab ein Detail in Grahams Geschichte, das Corelius Aufmerksamkeit fesselte: Der Bericht von einem geheimen Saal unter der London University, vollgestopft mit Gold und Edelsteinen. Natürlich auch mit tödlichen Fallen, aber so etwas hatte Corelius noch nie aufgehalten.

Und wie sich herausstellte, war dieser Teil der Geschichte wahr.

Natürlich hatte Corelius Graham nicht geglaubt, sondern die Beschreibung von Bergen aus Gold, edelsteinverzierten Dolchen und Äxten, Springbrunnen aus Saphiren und einem Schachspiel aus Diamanten als Folge des harten Schlags abgetan, den Graham auf den Kopf bekommen hatte. Als Graham aber am nächsten Tag verschwand und acht Stunden später mit einem Rucksack voll Gold wieder auftauchte1, hatte Corelius dem erneuten Bericht mehr Aufmerksamkeit geschenkt und Graham beim nächsten Trip in die Katakomben unter der London University begleitet. Graham hatte ihm vorher das Versprechen abgenommen, dafür jede Unterstützung bei der Suche nach Miranda zu bekommen; was auch Kost und Logis beinhaltete. Corelius hatte »Ja, ja« gesagt und stand wenige Stunden später mit offenem Mund vor dem größten Schatz, den er je in seinem Leben gesehen hatte. Und er machte auch Bekanntschaft mit den tödlichsten Fallen, über die er je in seinem Leben gestolpert war. Hätte Graham ihn nicht zurückgerissen, wäre aus Corelius ein Kebab geworden; danach hörte er auf die Stimme seines neuen Freundes.

In kürzester Zeit hatte Corelius eine ganze Ladung Boston Dynamics Roboterhunde aufgetrieben und sie durch den unterirdischen Saal gejagt. Dass dabei der größte Teil geschrottet wurde, nahm er billigend in Kauf; besser die als er. Den Rest hatten siebenundzwanzig Handgranaten erledigt. Was nach der Explosion dieser Masse Sprengstoff nicht auslöste, dürfte auch auf die Schritte zweier Männer nicht reagieren.

Zwei Wochen später war Corelius2 der reichste Mensch des Planeten. An der Sache gab es nur einen Haken: Gold konnte man nicht essen.

Dieser Umstand ist in einer Welt, in der Lebensmittel rationiert werden, ein Problem: Die Wenigsten waren bereit, etwas von ihren knapp bemessenen Portionen abzugeben.

»Zweihundertachtundvierzig, zweihundertneunundvierzig, zweihundertfünfzig.« Graham hatte sein Limit an Klimmzügen in Rekordzeit abgearbeitet. Hoffentlich ließ er heute den Boxsack in Ruhe. Das Getrommel würde Corelius heute nicht ertragen; hinter seiner Stirn kündigte sich eine Migräne an. Ausgelöst wurde sie durch etwas anderes. Jake Simmons hatte sich vor einer halben Stunde angekündigt. Graham marschierte in Richtung Boxsack.   »Lass den mal heute weg.«   »Er gehört zu meinem Training. Wenn ich jemals ...«   »Du wirst sie finden«, sagte Corelius mit mehr Überzeugung in seiner Stimme als in seinem Herzen. Sie hatten Miranda überall gesucht – nicht nur in London, sondern auf jedem Kontinent des Planeten. Das Ergebnis? Nix. Nada. Niente. Zero. Nicht die Spur einer Spur in drei Jahren. »Manchmal wünschte ich, jemand würde so verzweifelt nach mir suchen.«   »Ist das jetzt die Stelle, wo ich unerwünschten Beziehungsrat von jemandem bekomme, der noch nie eine Freundin länger als eine Nacht hatte?«   »Ich bin nicht der Beziehungstyp. Ich brauche meine Freiheit. Das gibt mir Platz, mich zu entfalten.«   »Aufzuplustern, wenn du mich fragst.«   »Deshalb frage ich dich nicht.« Corelius sinnierte einen Moment. »Ich will ja nicht sagen, dass ich mich nicht länger binden würde. Es muss nur die Richtige kommen. Eine, die mir ebenbürtig ist, über mein Charisma, meine Eloquenz, meine Intelligenz verfügt.«   »Die wenigsten Frauen dürften sich so tief sinken lassen.« Corelius sah Graham prüfend an. Sie hatten die Diskussion schon oft geführt und Graham gab ihm dabei regelmäßig das Gefühl, dass sein Mangel an weiblichen Partnern weniger mit den Frauen, sondern mit ihm zu tun hatte. Völliger Schwachsinn.   »Außerdem war jede meiner Beziehungen in den letzten drei Jahren länger als deine.« Graham sah ihn finster an. »Ich frage mich gerade ...«   »Was?«   »Ob Miranda dich noch nehmen würde. So wie du jetzt bist.«   »Wie bin ich jetzt?«, fragte Graham und baute sich vor Corelius auf.   »Ein Killer. Sie hat den Nerd gemocht. Aber der Mensch, der du jetzt bist ...«   »Ich bin immer noch der Gleiche wie vorher.«   »Hast du dich mal im Spiegel gesehen? Und was ist mit Drogo und seinen Leuten passiert? Hat sich schnell rumgesprochen, mein Freund. Jetzt dusch lieber, du stinkst wie ein Iltis.« Letzteres war gelogen, Graham war nicht einmal ins Schwitzen gekommen.   »Migräne?«, fragte er.   »Ja«, antwortete Corelius.   »Also kommt Jake.« Corelius nickte. Graham zuckte mit den Achseln, warf sich ein Handtuch über die Schulter und verschwand in Richtung Bad. Corelius sah ihm nach. Er hatte darauf verzichtet zu sagen, was ihm seit einiger Zeit im Kopf herumging. Graham mochte kein Killer sein; er wollte nur Miranda finden. Und dieses Ziel verfolgte er mit einer Besessenheit, die Corelius nie zuvor gesehen hatte. Er hatte nur davon gehört. Immer dann, wenn Graham über Alexander Hastings sprach.

1 Natürlich nicht randvoll mit Gold. Das Zeug ist schwer.

2 und irgendwie auch Graham

Kapitel 2

Jake Simmons war Corelius' älterer Halbbruder und quasi so etwas wie der Führer der Welt – was ihn nicht unbedingt sympathischer machte. Vor drei Jahren gelang es Jake, Graham, Miranda und Corelius, den Konzern Wales Green zu Fall zu bringen und dessen Monopol auf die globale Lebensmittelproduktion zu zerstören. Um anschließend die Ordnung aufrecht zu erhalten, war es notwendig, dass ein neuer, völlig uneigennütziger Mann die Leitung des Anbaus von Lebensmitteln übernehmen musste. Eine Aufgabe, die Jake widerwillig, aber energisch übernommen hatte; was ihn in kürzester Zeit zum mächtigsten Mann der Welt machte. Was immer er zu Beginn an Widerwillen empfand, wich schnell reiner Begeisterung: Als Wissenschaftler war Jake es in seinem vorherigen Leben gewohnt, um jedes Pfund seines Budgets kämpfen zu müssen. Jetzt wurden Wünsche erfüllt, die er noch nicht einmal ausgesprochen hatte.    Corelius betrachtete die Veränderungen kritisch, hütete sich aber davor, Kritik zu üben, denn im Schatten seines großen Bruders fiel die ein oder andere Vergünstigung ab. Der Rest der Welt sah Jake als Philanthropen und Heilsbringer. Nur gegenüber Corelius und Graham zeigte er sein wahres Gesicht; gezwungenermaßen, denn sie kannten ihn. Als Corelius sich an Jake wandte, um regelmäßige1 Rationen im Austausch gegen eine angemessene2 Menge Gold zu bekommen – schließlich waren sie ja Brüder und hatten außerdem einiges miteinander durchgemacht – winkte Jake ab. An Gold hatte er kein Interesse, wenn sie allerdings ... Mehr brauchte Jake nicht zu sagen; Corelius hätte es über das Knurren seines Magens sowieso nicht gehört. Corelius schlug ein und das nutzte Jake gnadenlos aus. Von da an betrachtete er Corelius und Graham als persönliche Fußboten. Zwei Typen, die er bedenkenlos in die gefährlichsten Ecken der Welt schicken konnte, damit sie dort die lebensbedrohlichsten Missionen übernahmen. Von diesem Zeitpunkt an brauchte der feine Herr sich nicht mehr in die Nähe von brodelnden Vulkanen zu begeben, um nach möglichen Bedrohungen für die globale Biosphäre zu suchen. Die Tatsache, dass Jake nicht mehr seine Angestellten losschickte, nährte in Corelius den Verdacht, dass sein Bruder ihn als leicht ersetzbar einstufte.

Im Bad plätscherte die Dusche. Graham störten Jakes Missionen und das Risiko nicht. Graham schien kaum etwas zu berühren. Nichts, bis auf seine eigene Mission: Miranda zu suchen und zu finden. Das Plätschern verstummte. Wenige Augenblicke später kam Graham vollständig angekleidet aus dem Bad.   »Gib mir Bescheid, wenn er da ist.« Graham brauchte nicht zu sagen, wo er hinging, Corelius wusste es auch so. Er hatte, kaum dass Graham sich in seiner Wohnung eingenistet hatte, Anni aus der Tiefgarage in der Nähe von Grahams alter Wohnung geholt. Anni war, wie Graham behauptete, eine Zeitmaschine, obwohl sie eher wie eine Isetta aussah. Corelius hatte das Ding nie in Betrieb gesehen und neigte dazu, Grahams Behauptung stark anzuzweifeln. Jetzt stand die Maschine in Corelius' Garage – einer seiner Garagen, schließlich konnte Corelius den Maybach nicht auf der Straße stehen lassen – und diente Graham als Schrein. Einmal war Corelius ihm gefolgt und hatte gesehen, wie er sich auf den Fahrersitz gesetzt und tief eingeatmet hatte, um noch die kleinste Spur des Geruchs seiner Verlobten in sich aufzunehmen. Corelius wusste nicht, ob das traurig, pathetisch und hoffnungslos romantisch war; persönlich hielt er es für dumm.

Jakes Anmeldung beunruhigte Corelius. Denn der große Zampano tauchte nie ohne Grund auf, sondern nur, wenn ein neuer Job wartete. In den letzten Monaten hatte Jake sie um den ganzen Globus gejagt: Mexiko, Kalifornien, Jakarta, Hawaii, Java und was sonst noch für Orte, die alle eine Gemeinsamkeit hatten: An allen gab es Vulkane und alle standen kurz vor dem Ausbruch. Keiner von ihnen brach dann auch aus, was Corelius toll fand3, aber Jake beunruhigte. Zuerst nahm Corelius an, Jake wollte sich als Menschenfreund gerieren und Graham und ihn als Frühwarnsystem einsetzen, aber das war ein Irrtum. Manchmal gehörte das zwar zur Missionsbeschreibung, aber es gab etwas anderes, was Jake mehr interessierte und – was Corelius bemerkenswert fand – nervös machte. Es waren Berichte über goldene Käfer, die urplötzlich in Massen auftauchten, über die Felder herfielen und keinen Schaden anrichteten. Dann verschwanden die Insekten, als wären sie nie dagewesen. Dass die Käfer keinen Schaden anrichteten, wunderte Corelius. Im Gegenteil: Die Tiere bestäubten die Pflanzen der Felder wesentlich effizienter, als die sich langsam erholende Insektenpopulation es schaffte. Jakes Bienen, die er mittels Gentechnik aus dem Wenigen wieder gezüchtet hatte, was nach dem Kollaps übrig geblieben war, bildeten das Kernstück von Jakes Versuchen, die Natur wieder ins Gleichgewicht zu bringen und den Nahrungsmittelkreislauf neu zu starten.

Bevor Corelius es vergaß: Jake hatte das Insektizid erfunden, welches knapp zwei Jahrzehnte zuvor die gesamte Insektenpopulation des Planeten vernichtete und damit die Menschheit an den Rand der Auslöschung brachte. Alles, was er jetzt tat, diente der Beruhigung seines schlechten Gewissens. Gewöhnlich vergaß Jake, diesen Umstand zu erwähnen, wenn er sich auf Dinnerpartys vorstellte. Aber da Corelius nicht plante, die ihn fütternde Hand zu beißen, behielt er diesen Fakt für sich, erinnerte nur seinen Halbbruder bei Gelegenheit daran.

Jake betrat die Wohnung wie üblich ohne anzuklopfen oder zu klingeln. Sein Bruder erschien lautlos, ohne seine Entourage und bediente sich schamlos an Corelius' Bar. Corelius hatte die Tür im Blick behalten – für den Fall, dass Jake sich an mehr als nur der Bar bediente.   »Nimm dir ruhig einen«, knurrte er.   »Willst du auch?«   »Es ist meine Bar!«   »Und wie viel vom Inhalt hast du ehrlich erworben?« Jake grinste Corelius an. »Wer im Glashaus sitzt ...« Corelius räkelte sich in dem riesigen Ledersessel hinter seinem Eichenholzschreibtisch4, bevor Jake den ebenfalls okkupieren konnte. Jake nahm auf dem klapprigen Gästestuhl Platz und legte seine in dreckigen Stiefeln steckenden Füße auf die glatt polierte Tischplatte. Corelius zuckte zusammen. Kratzer waren dort schwer wieder rauszubekommen. Außerdem klebte Lehm an den Sohlen.   »Musst du direkt von deinen Feldern hier reinstapfen? Wie schaffst du das überhaupt, so dreckige Schuhe zu behalten? Zwischen hier und der nächsten Farm liegen mindestens 25 Meilen asphaltierte Straße.«   »Ich bring extra einen Eimer Lehm mit, in den ich die Stiefel direkt vor deiner Tür eintunke.« Corelius hielt das tatsächlich für möglich.   »Du bist widerlich.« Jake zuckte nur mit den Schultern.   »Wo ist Graham?«   »Rate mal.« Corelius seufzte. Wenn Jake sie beide zusammen sprechen wollte, dann konnte das nur eins bedeuten: Er hatte einen neuen Auftrag für sie. Wahrscheinlich in einem gottverlassenen Winkel der Welt, wo niemand ihre Todesschreie hören konnte. Dass sie bisher überlebt hatten, war reines Glück. Und vielleicht die Tatsache, dass Graham ihn mit einer Hand festhalten konnte, wenn er über eine Felskante stürzte. »Ich klingel ihn an.«

Corelius ließ das Telefon dreimal klingeln und legte auf. Dieses Zeichen genügte. Graham war sparsam mit Worten geworden.   »Er denkt nicht ans Aufgeben, oder?« Die Wales Green Sache hatte die Vier zusammengeschweißt, aber selbst Jake hatte die Hoffnung aufgegeben, Miranda wiederzufinden.   »Er wird erst aufhören, wenn er tot ist.« Corelius warf einen abschätzenden Blick auf Jake. »Was früher der Fall sein könnte, als mir lieb ist, dank dir.«   »Ich kann euch keine Rationen umsonst geben. Ab und zu muss ich eine kleine Gegenleistung fordern. Sonst könnte man mir Vetternwirtschaft vorwerfen.«   »Ich bin dein Bruder. Apropos Ration: Die letzte bestand aus einem Übermaß an Erbsen. Um genau zu sein, sie bestand fast nur aus Erbsen. Der Rest waren Bohnen. Erstens ist das keine ausgewogene Ernährung und zweitens tat es der Atmosphäre hier gar nicht gut. Ich musste den größten Teil in einem unvorteilhaften Deal gegen etwas Genießbares eintauschen.«   »Du weißt, wie das ist. Die Erbsenernte ist in vollem Gange und das Zeug musste weg.«   »'Das muss weg' klingt nicht nach Gourmetgericht.«   »Du musst es nicht nehmen.« Corelius schaute Jake vernichtend an. In dieser Sache saß Jake am längeren Hebel und wusste das auch. Natürlich bekam jeder genug zu essen; sie hatten Wales Green nicht ausgeschaltet, um selbst in die Fußstapfen des Konzerns zu treten. Aber jeder wurde im Gegenzug zur Kolchosenarbeit verpflichtet; ein Konzept, mit dem Corelius Schwierigkeiten hatte. Nicht mit dem der Kolchose – sondern mit dem der Arbeit.   »Wohin geht es diesmal?« Corelius schrak auf. Graham stand einen halben Meter hinter ihm, ohne dass Corelius es mitbekommen hatte.   »Ich krieg nochmal einen Herzinfarkt!« Graham fixierte weiterhin Jake.   »Jakarta.«   »Da waren wir schon.«   »Vor siebzehn Monaten. Jetzt ist der Schwarm wieder da.«   »Ist?« Noch sparsamer konnte man mit Worten nicht sein. Jake nickte.   »Mein Mann dort hat mich unverzüglich benachrichtigt.«   »Der Schwarm ist noch nie zweimal an derselben Stelle aufgetaucht.«   »Interessant, nicht? Ihr brecht sofort auf.«   »Moment, Moment, Moment!«, unterbrach ihn Corelius. »Wir müssen zuerst unsere Bezahlung klären!«   »Wie?«, fragte Graham.   »Heathrow. Per Charterflug.«   »Ich gehe nirgendwo hin, solange die Sache mit der Bezahlung nicht geklärt ist!«, warf Corelius ein. Jake seufzte.   »Das Catering hat ein Schnitzel vorbereitet. Es wird an Bord serviert.«

1 und etwas großzügiger bemessene

2 eher geringe

3 Vor allem, wenn die Vulkane nicht ausbrachen, während er vor Ort war.

4 Ebenfalls ein Stück von zweifelhafter Herkunft. Wie fast alles in seiner Wohnung. Corelius' Reichtum war zwar das Ergebnis harter Arbeit, nicht aber das Ergebnis harter und ehrlicher Arbeit.

Kapitel 3

Corelius war nicht der prinzipientreueste Mensch aller Zeiten, aber manchmal hasste er sich selbst. Das Schnitzel – beziehungsweise die Hoffnung darauf – hatte jeglichen Widerstand gebrochen. Fleisch war vor Jahren von der Liste verfügbarer Lebensmittel verschwunden. Die Produktion verschlang zu viele Ressourcen, dauerte zu lange und war für das Schwein äußerst unangenehm. Jakes ursprüngliche Berechnungen waren davon ausgegangen, dass es vier Jahre dauern würde, bis das Ökosystem eine stabile Lebensmittelversorgung garantierte. Dass Jake Schweine halten ließ, bedeutete, dass die Kolchosen langsam mehr produzierten, als sie brauchten.

»Sieht gut aus, oder?«, fragte Corelius und tupfte sich mit der Serviette die Mundwinkel ab. Graham hatte das Schnitzel, die Kartoffeln und die Erbsen mit demselben Enthusiasmus gegessen, mit dem er auch ein Stück Wellpappe verspeist hätte – nämlich gar keinem. Manchmal bemitleidete Corelius ihn.

Graham hatte anschließend den leeren Teller zur Seite geschoben, eine Karte von Jakarta ausgebreitet, sein Notizbuch geöffnet und die Einträge ihres letzten Aufenthalts studiert.   »Es ist eigenartig.« Drei Worte in einem Satz. Das war ein neuer Rekord für Graham. Leider war Corelius damit nicht schlauer als vorher. »Sehr eigenartig.«   »Was genau?«   »Beim letzten Mal wurde der Schwarm hier beobachtet.« Graham tippte auf eine Stelle der Karte, die nach Fels, Gestein und steilen Klippen aussah. Die Realität sah noch schlimmer aus. Corelius erinnerte sich sehr gut an diese Expedition. Sie waren durch den stickig heißen Dschungel geirrt, in dem sich die schwüle Luft wie eine nasse Decke über Nase und Mund legte und der Schweiß in Ritzen floss, in die er lieber nicht fließen sollte. Sie wurden von blutsaugenden Moskitoschwärmen verfolgt, deren Population sich überraschend schnell vom Kollaps erholt hatte. Es war unter Strafe verboten, die Stecher zu erschlagen, denn rein theoretisch sollten Moskitos – falls nicht gerade ein warmblütiges Opfer in der Nähe war – ebenfalls Pflanzen bestäuben. Was sie niemals taten, sobald Corelius in der Nähe war. Dann stürzten sie sich in dicken, schwarzen Trauben auf ihn und saugten in Nullkommanichts mehrere Liter Blut aus seinen Adern. Da Corelius weder Kläger noch Richter in der Nähe sah, schlug er zu. Graham ließ ihn gewähren. Der musste etwas an sich haben, was Moskitos nicht leiden konnten; um ihn machten sie einen großen Bogen.

Der Dschungel, hatte ihm Graham erklärt, war kein richtiger Dschungel. Zwar gab es Bäume, die bis in den Himmel wuchsen, aber auf den zweiten Blick stellte man fest, dass die Stämme tot waren. Lianen, Kletterpflanzen, Phytoparasiten und andere Schmarotzer hatten sich, nachdem die von Wales Green als Dünger getarnten Herbizide langsam aus dem Wasserkreislauf verschwanden, schneller als alle anderen Pflanzen erholt und den Dschungel in rasender Geschwindigkeit erobert. Die Bäume würden einige Jahrzehnte mehr brauchen – falls sie es überhaupt schafften. Würgefeigen waren dafür bekannt, mit Konkurrenz nicht gerade zimperlich umzugehen. Das hier war, nach Grahams Meinung, nur eine Dschungelillusion, die aber Corelius reichte, um sie zu verabscheuen. Insekten summten und Vögel zwitscherten, aber nur auf Sparflamme. Nachdem die letzten verbliebenen Zoos und von schlechtem Gewissen motivierte Genetiker sich darangemacht hatten, die Fauna wieder auf Vordermann zu bringen, wurden Tropen und Subtropen auch von Affen, Schlangen, Fröschen und Spinnen besiedelt. Auf jede dieser Arten hätte Corelius verzichten können. Aber den Dschungel hatten sie schnell hinter sich gelassen und das Gebirge erreicht. Nicht irgendwelche Gebirge, sondern erloschene Vulkane. Nun, die meisten waren erloschen.

Hoffentlich wird es diesmal erträglicher, dachte Corelius und schaute nach draußen. Er mochte es, wenn sie über einer wie Zuckerwatte aussehenden Wolkendecke flogen, die für ihn aussah, als wollte die Welt ihm wenigstens einen Kindheitstraum erfüllen. Natürlich fehlte diese Decke heute. Keine Zuckerwatte, dafür Meer, Meer und noch mehr Meer.

»Die Algenpopulation sieht zufriedenstellend aus«, bemerkte Graham. Das Wasser war grün, übersetzte Corelius in seinen Gedanken. Jake würde später nach solchen Beobachtungen fragen; er sammelte diese Informationen und wollte den Zustand der Biosphäre so genau wie möglich kennen. Wales Green hatte ein perfektes Überwachungssystem gehabt, aber das war bei der Zerstörung der Drohnen mit draufgegangen – ein unvermeidlicher Kollateralschaden, da die meisten Drohnen mit Schusswaffen ausgerüstet waren, um kleinere Probleme gleich automatisch zu lösen. Jetzt war der Wissenschaftler auf menschliche Beobachtungen angewiesen, was eine ungenaue und unbefriedigende Datengrundlage darstellte. Das mit der Algenpopulation würde Jake beruhigen, denn auf Algen folgte Plankton, auf Plankton folgten Fische und auf Fische folgten große Fische. Den Ozeanen hatte die FOC-Vergiftung der Biosphäre weniger geschadet als dem Land und am wenigsten dort, wo der Mensch am weitesten weg war.

In den Städten merkte man kaum etwas von diesen Problemen. Dort hatte die Natur schon vor ihrem Zusammenbruch keine Rolle gespielt; die meisten Städter glaubten, dass Hähnchenbrüste in Kühltruhen wuchsen und Pizzen auf Bäumen. Und am Ende hatte es kaum noch jemanden gegeben, der echtes Getreide gesehen oder gar angebaut hatte. Bauern konnten nicht existieren, wenn auf dem Boden, den sie bestellten, nichts wuchs. Die Meisten hatten versucht, bis zum letzten Augenblick von den wenigen Erträgen ihrer Felder zu leben – und waren an der Überdosis FOC schließlich selbst gestorben.

Es hatte Jake und seine Helfer eine Menge Überzeugungsarbeit gekostet bis sie eine genügend große Gruppe Idealisten zusammenhatten, um die Felder wieder urbar zu machen. Und in manchen Gegenden hatte Jake despotisch durchgegriffen, was Corelius beunruhigte. Jake war, von kleineren Fehlern abgesehen, ein feiner Kerl. Aber er war nicht immun gegen den Einfluss von zu viel Macht und der Unterschied zwischen einem gefeierten Anführer und einem gefürchteten Despoten hing manchmal nur vom Blickwinkel ab. Natürlich konnte Corelius so etwas nicht laut sagen; Menschen, die das taten, traten kurz darauf eine lange Urlaubsreise an, für die sie kein Rückflugticket gebucht hatten. Meist nach Sibirien, welches sie als lohnenswertes Reiseziel betrachteten.

Die einzige Ausnahme war Graham. Mit ihm konnte Corelius über seine Befürchtungen sprechen, ohne die Angst, am nächsten Morgen einen Koffer mit warmen Wintersachen packen zu müssen; möglicherweise weil Corelius Graham in seinen besten und schlechtesten Zeiten erlebt und ihm geholfen hatte – nicht weil Corelius ein besonders guter Mensch war, sondern weil es sich damals einfach so ergab – und das machte sie zu einer Art Freunde. Das Einzige, wobei Corelius nicht helfen konnte, war der leere Blick, den Graham bekam, wenn er sich unbeobachtet glaubte und mit dem er gerade aus dem Fenster schaute. Es war sinnlos, seinem Freund jetzt beruhigend auf die Schulter zu klopfen und zu sagen, dass alles gut wird. Vor allem, weil Corelius sich selbst nicht mehr sicher war, dass sie Miranda finden würden.

Da es nichts gab, was er im Moment tun konnte, bereitete Corelius sich auf die harte und anstrengende Mission auf die beste ihm bekannte Weise vor: Er verschlief den Rest des Fluges.

Corelius verschlief sogar die Landung und wachte erst auf, als Graham ihn rüttelte. Corelius reckte und dehnte sich, um das Verlassen des Flugzeugs so lange wie möglich herauszuzögern.

Die Hitze traf ihn wie eine Ramme und trieb jede Schweißpore seines Körpers zu Höchstleistungen an. Am Ende der Gangway war Corelius klatschnass. Graham nicht; das machte alles noch unerträglicher. Jake hatte ihnen ein Fahrzeug besorgt, einen Jeep mit Allradantrieb, offen und ohne Klimaanlage. Damit wären sie innerhalb weniger Minuten nicht nur durchgeschwitzt, sondern auch dreckig wie Schweine nach einem Schlammbad. Andererseits schützte sie die Dreckkruste vor den Moskito-Angriffen.

»Ich sitze vorn!«, rief Corelius, bevor Graham den Beifahrersitz für sich reservieren konnte. Graham hatte schließlich die bessere Konstitution, um auf der Ladefläche einen bequemen Halt zu finden, und einen robusten Rücken.   »Hallo, meneer! Ich bin Nio«, hatte sie der einheimische Fahrer begrüßt, dessen Zähne genauso schlecht wie sein Niederländisch waren – was in beiden Fällen aber immer noch besser als nichts war.    »Jake hat Sie instruiert?« Der leere Blick verriet Corelius, dass er bei dem Mann eine etwas schlichtere Wortwahl benutzen musste.   »Wohin?«, fragte Graham. Seine Ein-Wort-Taktik zog.   »Takametulahnacotika«, sagte der Mann und zeigte auf einen Berg Richtung Norden, der nicht zu übersehen war, vor allem wegen der riesigen Rauchsäule, die vom Gipfel aus bis zum Himmel aufstieg; und selbst am helllichten Tag glühte die Lava auf den Berghängen blutrot. Natürlich war das das Ziel. Das Schicksal hielt für Corelius nie etwas anderes bereit; einen sanften, grünen Hügel vielleicht, der einen Namen wie Auenland trug oder sowas. Corelius sinnierte, warum Vulkane immer Namen hatten, die einen Knoten in die Zunge machten. Kein Wunder, dass diese Berge im internationalen Nachrichtenverkehr einfachere Namen bekamen. Leider fielen die Corelius gerade nicht ein.   »Wann ist er ausgebrochen?«   »Vor drei Monaten. Nix Gefahr, Lava fließt raus, weg von Dörfern. Bringt gutes Land.«   »Und die Käfer?«, fragte Graham.   »Vorgestern Nachmittag. Riesiger Schwarm. Macht Männern Angst.« Vorgestern Nachmittag bedeutete, dass sie ein Zeitfenster von ungefähr anderthalb Tagen hatten, um den Schwarm zu finden. Die Insekten tauchten auf, blieben im Durchschnitt drei Tage und verschwanden dann spurlos. Jakes Auftrag war eindeutig. Mindestens ein Exemplar fangen und zurückbringen. Ansonsten würden die Lebensmittelrationen so winzig werden, dass man sie nicht mal mit einem Mikroskop finden konnte.   »Angst? Warum?«, fragte Graham. Er hatte die Fähigkeit, in ganzen Sätzen zu sprechen, noch nicht ganz verlernt, er wendete sie nur selten an. Gegenüber potenziellen Auskunftsquellen konnte Graham regelrecht charmant sein. Er wusste genau, was er wann sagen musste, um sein Gegenüber zum Reden zu bringen. Nio zog nachdenklich Luft durch eine seiner vielen Zahnlücken.   »Hart wie Eisen. Scharf wie Messer. Die Dinger gefährlich, meneer! Hat Anik einen gefangen und jetzt Loch in Hand! Direkt durch! Stein passt durch Loch! Und Loch ganz glatt ausgeschnitten!« Das war neu. Bisher war es niemandem gelungen, die Tiere länger als ein paar Sekundenbruchteile zu beobachten, geschweige denn, eins in der Hand zu halten – was offensichtlich auch nicht ratsam war. Graham und Corelius sahen sich an. Käfer, die Löcher in Hände schnitten, waren in Brehms Tierleben nicht zu finden; in anderen Büchern auch nicht. Mexikanische Feuerameisen konnten Menschen gefährlich werden, aber das nur als Volk.   »Bring uns zu Anik.«   »Geht nicht.«   »Es ist wichtig.«   »Er ist tot.«   »Hat der Käfer ...?«   »Ist von Klippe gestürzt, als er Käfer erschlagen wollte.«   »Sicher, dass er gestürzt ist?« Nio baute sich vor Graham auf. Optisch bot sich das Bild von David und Goliath, aber Corelius wusste, dass dünne Streetfighter nicht zu unterschätzen waren. Und Corelius hatte keine Lust herauszufinden, ob dieses Bild nicht nur im optischen Sinne zutraf.   »Was wollen meneer damit sagen?«   »Das hat er nicht so gemeint«, schritt Corelius ein.   »Ich meinte präzise das.«   »Warum sollten seine Freunde ihn umbringen wollen?«   »Ich meine nicht die Männer.«   »Etwa die Käfer?«, fragte Nio und grinste. Graham sah Nio ausdruckslos an, was klarmachte, dass er genau das gemeint hatte und es kein Scherz war. Nios Grinsen verschwand.   »Seltsam, meneer. Es könnte sein.« Was Graham über diese Antwort dachte, war seinem Gesicht nicht anzusehen.   »Habt ihr den Käfer?«   »Nein. Wir absteigen und Anik finden. Käfer ist weg. Und Hand. Und so kleines Tier Anik in Schlucht werfen?« Das konnte sich Corelius auch nicht vorstellen, Graham aber offensichtlich schon. Nicht dass er die anderen an seinen Gedanken teilhaben ließ. Ein leichtes Nicken mit dem Kopf sagte nur, dass sie jetzt einsteigen und losfahren sollten.

Die ganze Küste war steil und felsig und vor allem hundert Meter unter ihnen. Keine sanften Strände mit Palmen, sondern harter, scharfkantiger Stein. Was Nio nicht daran hinderte, die an den Fels geklebte Piste mit halsbrecherischer Geschwindigkeit entlangzurasen. Corelius bereute seine Entscheidung, auf dem Beifahrersitz zu bestehen, denn von dort gab es den besten Blick nach unten. Seine Fingerknöchel waren weiß, während Nio fröhlich vor sich hinplapperte und Graham auf der Ladefläche saß, als würde er auf einem Sofa sitzen. Der beugte sich gerade zu Nio vor.   »Fahren Sie schneller«, befahl Graham.   »Nein!«, brüllte Corelius, aber der Fahrtwind riss ihm die Worte vom Mund weg.   »Si, Señor!«, sagte Nio und trat heftiger aufs Gaspedal. Die Landschaft und sein Leben zogen an Corelius' Augen vorbei.   »Wie weit ist es noch?«, brüllte Corelius in Nios Ohr.   »Nicht weit. Halbe Stunde.«   »Nicht das Dorf«, sagte Graham mit einer Stimme, die keinen Widerspruch zuließ. »Wir fahren direkt zum Vulkan.«   »Si, Señor!«

Die nächsten zwei Stunden fehlten in Corelius' Erinnerung. Ein Mensch kann nur eine bestimmte Anzahl von Nahtoderfahrungen ertragen, ohne verrückt zu werden. Deshalb hatte Corelius sich in Fötusstellung zusammengekauert, die Augen zugekniffen und gehofft, dass der Horror bald vorbei war. Er öffnete die Augen erst, als der Motor verstummte. Die Stille war ohrenbetäubend. Der Jeep wackelte kurz, als Graham von der Ladefläche sprang und die Beifahrertür öffnete.   »Wir sind da.«   »Leben wir noch?«   »Nein. Und das heißt, du kannst nicht mehr sterben. Jetzt komm raus. Es ist noch ein Stück.« Corelius lachte nicht – Grahams Humor war ihm in dieser Situation zu schwarz.   »Wir sind nicht da?«   »Sorry Señor, kann nicht weiter. Weg zu Ende.« Corelius sah sich um. Sie standen auf einer kleinen Lichtung am Rand der Welt, zu der die Straße hin, aber kein Weg wegführte. Nicht einmal einen Trampelpfad für Tiere konnte Corelius entdecken – und doch musste es hier etwas geben, denn die Straße hierher war ausgefahren. Wobei die Sache mit dem Rand wörtlich zu nehmen war. Zwei Fußbreit neben dem Jeep ging es hundert Meter nach unten. Kein Anblick, bei dem man seine letzte Mahlzeit behält, dabei hätte Corelius das Schnitzel gern zu Ende verdaut. Graham kümmerte das Leid seines Freundes nicht. Er hatte seinen Rucksack geschultert und marschierte geradewegs in die grüne Hölle.   »Ich warte hier!«, rief Nio ihnen nach. »Aber nur bis morgen Abend. Nichte heiratet in drei Tagen. Großes Fest!« Corelius war sich nicht sicher, ob Graham das gehört hatte. Aber Corelius würde morgen Abend wieder hier stehen. Entweder, um nach erfolgreicher Mission nach Hause zurückzukehren und Jake den Käfer unter die Nase zu halten1 oder um zur Hochzeit von Nios Nichte zu gehen und sich anständig volllaufen zu lassen2. Corelius schnappte seinen Rucksack und rannte Graham hinterher.   »Wohin genau wollen wir?«, fragte Corelius, als er Graham keuchend eingeholt hatte. Corelius konnte zwar schnell und ausdauernd rennen – eine Fähigkeit, die bei der Art der Geschäfte, die er betrieb, zu den Überlebensvoraussetzungen gehörte – aber nur auf der Straße. Mit griffigem Asphalt unter den Sohlen und einer Luft, die man atmen konnte. Hier fühlte man sich, als würde man durch eine Sauna laufen. Die Luft hier ließ sich kaum durch die Nase ziehen und brannte anschließend so in den Lungen, dass man wünschte, man hätte ersteres nicht getan, denn Corelius ahnte, woher das Brennen kam.   »Vorwärts.«

Tolle Antwort.

1 gepaart mit der Hoffnung, dass das Insekt ihn in dieselbe zwicken würde

2 Es war erstaunlich, dass sich trotz aller Restriktionen und der Lebensmittelrationierung immer noch genug Obst auftreiben ließ, um hochprozentigen Schnaps in beachtlichen Mengen zu brennen.

Kapitel 4

Die Wissenschaftler von Wales Green hatten mit FOC ein Umweltgift entwickelt, welches von Pflanzen aufgenommen und in Insekten angereichert wurde, bis es diese tötete. Das zog den Zusammenbruch der konventionellen Landwirtschaft nach sich – eine Lücke, die Wales Green mit seinen vollautomatisierten Gewächshäusern wie geplant gefüllt hatte. Später ließ Jake einen Satz fallen, den Corelius nie vergaß: Um etwas umzubringen, muss man sehr genau verstehen, warum es lebt. FOC blieb in den Zellen der Pflanzen unbemerkt, erst in den Insekten entfachte sich seine tödliche Wirkung. Um das zu erreichen, hatten die Wissenschaftler – Jakes Wissenschaftler, um das nicht zu vergessen – herausfinden müssen, wie die Zellen funktionierten. Der gleiche Mechanismus ermöglichte es ihnen jetzt, hocheffizienten Dünger herzustellen. Schwächliche Setzlinge entwickelten sich nach einer kleinen Gabe zu kräftigen Pflanzen mit enormen Früchten. Jake ließ unter dem Vorwand von Erkundungsflügen abgelegene Gegenden mit Dünger besprühen. Das Ergebnis war atemberaubend: Dieser Dschungel strotze vor Lebensenergie. Leider reicherte sich der Dünger genauso wie FOC in den Pflanzenzellen an und niemand wusste, wie das Zeug auf den menschlichen Organismus wirkte. Und niemand wollte es herausfinden. Jake achtete peinlich genau darauf, dass das Anti-FOC – AFOC, wie die offizielle Bezeichnung hieß – nicht einmal auf hundert Meilen in die Nähe seiner Felder kam. Ein Dschungel als Testgelände war okay, weil AFOC in geringen Dosen vermutlich nicht schädlich war und die schwer angeschlagene Fauna einen kleinen Wachstumsschub vertragen konnte. Optisch gesehen ging die Rechnung auf, aber es gab ein Problem: AFOC blieb nicht vollständig in den Pflanzen, sondern wurde über die Blätter in die Luft abgegeben. Corelius war nicht scharf darauf, herauszufinden, was das in Menschen anrichten konnte und atmete flacher. Er wünschte sich, er hätte seine Gasmaske mitgenommen, wie Graham es ihm gesagt hatte. Aber das Teil war schwer und man bekam damit kaum Luft.

Graham vor ihm hatte seine Gasmaske aufgesetzt und die Machete gezogen. Das Messer war ein treuer Begleiter im Dschungel. Graham hatte sich das Motto des Hannibal1 zu eigen gemacht: Entweder wir finden einen Weg oder wir machen einen. Üblicherweise hielt Graham sich gar nicht erst damit auf, nach einem Weg zu suchen. Mit der Machete hackte er sich durch das Grün, zerhieb Äste, Zweige, Lianen und als Lianen getarnte Schlangen, die das Zeichen der Zeit nicht rechtzeitig erkannt und sich in Sicherheit gebracht hatten. Graham ging stur geradeaus. Nur mehr als armdicke Bäume veranlassten ihn, ein wenig abzuweichen, der Rest wurde dem Erdboden gleichgemacht. Corelius wusste von seinen früheren Expeditionen mit Graham, dass er seine Hilfe nicht benötigte, wogegen Corelius nichts einzuwenden hatte. So konnte er weiterhin flach atmen. Trotz Grahams Anstrengungen war nach zwanzig Metern von dem eben geschlagenen Weg nichts mehr zu erkennen. Corelius kam sich vor wie in einem Märchen. Einem dieser Horrormärchen, in dem der Wald unvorsichtige Wanderer verschlang.   Die einzige Möglichkeit, in einem Dschungel wie diesem die Nacht zu überleben, war entweder ein Felsplateau zu finden, in das kein Pflänzchen seine Wurzeln schlagen konnte, oder die Astgabel eines Baumriesen, nachdem man sichergestellt hatte, dass keine Würgefeigen in der Nähe wuchsen, und dafür blieb nicht mehr viel Zeit. Nach dem Stand der Sonne und seiner Armbanduhr zu urteilen, würde es bald dunkel werden und Corelius hatte unangenehme Erinnerungen an die Dämmerung in Äquatornähe: Es gab keine. Innerhalb von Minuten war das Licht weg, als hätte es jemand ausgeschaltet. Im Licht der Taschenlampe, die Corelius beim ersten Mal unvorsichtigerweise angeschaltet hatte, leuchteten Millionen kleiner Punkte auf; die Augen von ebenso vielen Millionen kleiner und größerer Tiere, die die Eindringlinge in ihr Reich genau beobachteten. Zu welchem Zweck wollte Corelius sich nicht vorstellen.

»Wir brauchen einen Schlafplatz!«, rief Corelius. Graham hielt kurz an, schaute nach vorn und kurz zurück, dann schüttelte er den Kopf.   »Die Käfer verschwinden in fünfundzwanzig Stunden.«   »Und ich sterbe in einer!« Graham zuckte mit den Schultern.   »Dann warte hier auf mich.«

Graham wusste genau, dass Corelius das nicht tun würde. Und Corelius verfluchte sich dafür.

Der Abend kündigte sich nicht durch Dämmerung an, sondern durch fallende Temperaturen. Was nicht schlecht war, wenn man vorher nicht geschwitzt hatte wie ein Schwein. Dann klebten die nassen Klamotten am Körper und ein Windhauch fühlte sich an wie ein arktischer Sturm. Während er mit den Zähnen klapperte, wäre Corelius fast die Veränderung im Dschungel entgangen: Die Pflanzen wuchsen hier kräftiger und dichter – sie näherten sich dem Vulkan.

Lava war ein hervorragender Nährboden. Vulkanausbrüche brachten Mineralien und Spurenelemente aus dem Erdinneren, die Pflanzen jetzt nicht mehr mühsam mit ihren Wurzeln aus dem Boden saugen mussten. Und Vulkanausbrüche hatten diese Gegend in der Vergangenheit immer und immer wieder mit Lava überzogen. Im Lauf der Jahrzehnte hatte die Flora das Gestein besiegt: Die winzigen Wurzeln unverwüstlicher Pionierpflanzen hatten sich in die kleinsten Poren des porösen Gesteins gebohrt und winzige Krumen herausgesprengt. Der sintflutartige Regen des Monsuns, dessen Tropfen wie Miniaturbomben vom Himmel fielen, zermürbte den Felsen und zermahlte ihn in kleine Körner. In den aufgesprengten Spalten fanden größere Pflanzen Halt, die ersten Sträucher und die ersten Bäume mit größeren Wurzeln, größerer Zerstörungskraft und größerem Appetit auf die Mineralien, welche die Lava aus dem Erdinneren mitgebracht hatte. Die Pflanzen hier waren auch ohne AFOC kräftiger und gesünder als anderswo. Das gleiche Phänomen hatte Corelius schon oft gesehen und wusste auch, was es bedeutete: Wachstum hieß Lava, Lava hieß Vulkan. Und zwar die aktive Sorte. Leider hatte Corelius einmal zu oft erlebt2, dass aktiv in dem Zusammenhang hieß, dass von einem Moment auf den anderen die Erde aufreißen und Feuer speien konnte. Das Erlebnis hatte ihn seinen Mantel – wegen der Brandflecken – und eine Hose – nicht wegen Brandflecken – gekostet; von der Unversehrtheit seines Selbstbewusstseins abgesehen. Vermutlich schickte Jake sie extra für solche Aktionen immer in die Nähe von Vulkanen.

Vor ihm blieb Graham stehen und kontrollierte ihre Richtung mit einem Kompass und einer Karte.   »Wie weit noch?«, fragte Corelius.   »Eine halbe Meile Nordwest.« In dieser Richtung lag Dschungel.   »In dieser Richtung liegt Dschungel«, stellte Corelius das Offensichtliche fest. »Hier muss nichts bestäubt werden.«   »Laut Dossier fliegt der Schwarm zu den Teeplantagen im Landesinneren, fünfzehn Meilen von hier. Wüsstest du, wenn du es gelesen hättest.«   »Wozu, wenn ich mit Mister Neunmalklug unterwegs bin?«   Graham grunzte eine unverständliche Antwort. Und dann wurde es Corelius klar.   »Die Käfer schwärmen über Teeplantagen?«   »Stand da.«   »Über gut per klimatisiertem Fahrzeug zu erreichenden Teeplantagen?« Graham zuckte mit den Schultern.   »Wäre anzunehmen.«   »Warum verdammt nochmal latschen wir durch den Dschungel? Wir hätten bequem zur Plantage fahren und dort auf den verdammten Schwarm warten können!«   »Und wüssten dann immer noch nicht, wo er herkommt.«   »Das ist nicht unser Job! Wir sollen ein Exemplar fangen und Jake mitbringen. Ein einziges! Steht im Dossier!« Letzteres war ein Schuss ins Blaue. Bisher stand es in jedem Dossier, das Corelius gelesen hatte; das hieß die ersten drei oder vier. Weitere Wiederholungen hatte sich Corelius gespart, da außer einem neuen Ort nie etwas anderes drinstand. Graham reagierte auf Corelius' Ausbruch mit einer hochgezogenen Augenbraue. »Ja, okay«, gab Corelius zu. »Ich habe nicht alle gelesen. Aber ich kenne Jake und ich weiß, wie er Aufträge erteilt.«   »Du hast recht. Ich will wissen, woher die Tiere kommen.«   »Und was bringt es?«   »Eine Spur.« Eine kryptischere Antwort war kaum möglich gewesen, aber Corelius ahnte, was Graham meinte. Vor drei Monaten war ihnen ein winziger Flügelsplitter eines dieser goldenen Käfer in die Hände gefallen.

1 Des Karthagers, nicht des Kannibalen.

2 Um genau zu sein, er hatte es exakt einmal erlebt.

Kapitel 5

Drei Monate vorher, Yukatan

Der Mann sah auf den ersten Blick nicht hundertprozentig vertrauenswürdig aus. Natürlich sollte man einen Menschen nicht nach Äußerlichkeiten beurteilen, aber Corelius hatte festgestellt, dass sein Bauchgefühl beim ersten Eindruck fast nie danebenlag. Den Mann als zwielichtig zu bezeichnen, wäre geschmeichelt gewesen. Aber Graham griff nach jedem Strohhalm, der sich ihm bot.

Die Nachricht von zwei Männern, die in der Gegend aufgetaucht waren und Fragen stellten, hatte sich wie ein Lauffeuer verbreitet und zog eine Menge Glücksritter und Bauernfänger an, die sich anboten, Antworten zu liefern – gegen Vorkasse natürlich. Die Meisten zogen ihr Angebot zurück, sobald sie von Graham in die Mangel genommen wurden und klar wurde, dass es bei Enttäuschung nicht nur einem harschen Beschwerdebrief geben würde. Aber das hatte diesen Mann nicht abgehalten. Corelius erkannte einen Berufskollegen, wenn er einen sah.