Admiral Nelson - M. El Attar - E-Book

Admiral Nelson E-Book

M. El-Attar

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Beschreibung

War Admiral Nelson ein Held der Meere? Haben die Engländer "L´Orient" nicht versenkt? Am 1./2. August wird die napoleonische Flotte in Abukir vernichtet, deren Wrackteile in den Jahren 1998/1999 von dem Franzosen Franck Goddio geortet werden. Zahlreiche Tauchgänge brachten neue Erkenntnisse über die Schlacht zu Tage, insbesondere was das legendäre Flaggschiff "L´Orient" angeht. Dennoch blieben die Arbeiten des Franzosen ungekrönt, weil sie letztlich in ein spektakuläres Resultat hätten münden müssen: Die alles vernichtende 2. Mega-Explosion fand jenseits alle Kampfhandlungen unter der Wasserlinie tief in den untersten Bereichen des Schiffes statt! Wer hat die Detonation ausgelöst? Im 1. Buch werden Goddios´ Arbeiten aus dieser Sicht zu einer sich ergänzenden Einheit gebündelt, die letztlich in ein unerwartetes Resultat münden. Im 2. Buch wird die napoleonische Ägypten-Expedition aufgrund der gewonnenen Erkenntnisse historisch neu bewertet.

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Seitenzahl: 304

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Im Gedenken an Admiral François-Paul Brueys D'Aigalliers (1753-1798)

Inhaltsverzeichnis

Das erste Buch

Ausgangspunkt

Einstimmung

1. Kapitel: Abukir - Die ominöse Schlacht

2. Kapitel: Ägypten - Das offene Geheimnis

3. Kapitel: Die Schlacht - Die französischen Zeugen

4. Kapitel: L´Orient - Die ominöse 2. Explosion

Das Zweite Buch

1. Kapitel: Der Kairoer al-Gabarti - Chronist und Augenzeuge

2. Kapitel: Ägypten - Das offene Geheimnis

3. Kapitel: Al Agami - Landung auf Umwegen

4. Kapitel: Alexandria - Napoleons Verordnung

5. Kapitel: Murad Bek - Der zwielichtige Verbündete

6. Kapitel: Rahmaniya - Die verkannte Schlacht

7. Kapitel: Charles Desaix - Der Schächter von Gizeh

8. Kapitel: Kairo - Nacht des Grauens

9. Kapitel: Die verratene Revolution - Anatomie einer Expedition

Nachbetrachtung

Anhang

Das napoleonische Dekret

Übersetzung

Das napoleonische Sendschreiben

Übersetzung

Literaturnachweis

Das erste Buch

Admiral Nelson

Die versunkene Wahrheit in Abukir

„L´Orient“ Die 2. Explosion aus Sicht der Unterwasserarchäologie

Ausgangspunkt

Kurz nach Feuerausbruch auf dem Führungsschiff L´Orient, gelang es dem Stabschef Admiral Ganteaume kurz nach 21.15 Uhr des 1. August 1798 sich in ein Boot zu retten. An einem Ort in Alexandria verfasste er an den Marineminister Étienne E. Bruix ein Statement über die verlorene Schlacht von Abukir. U. a. berichtete er davon, dass 12 Tage vor Ausbruch der Seeschlacht eine Formation der englischen Marine vor Abukir erschienen war und die napoleonische Flotte ausspionierte.

E. Poußielgue, der Kontrolleur der Ausgaben der französischen Armee des Orients und General-Verwalter der Finanzen, schildert seinerseits in einem umfassenden Bericht, dass ab den 25 Juli 1798, also wenige Tage vor der Seeschlacht, acht Tage in Folge immer wieder englische Kriegsschiffe vor Abukir erschienen waren und die Stellung der Flotte ausspioniert haben.

Die Geschichte belehrt uns jedoch, dass Admiral Nelson die französische Flotte im Mittelmeer beharrlich gesucht hat, um sie erst am 1. August 1789 schließlich aufzuspüren und sogleich ungestüm anzugreifen.

Welche Bedeutung haben diese eklatant widersprüchlichen Aussagen für die in Abukir versunkene historische Wahrheit?

Die Antwort darauf dürfte wohl in Zusammenhang mit dem ominösen Untergang des Flaggschiffs L´ Orient gesucht werden.

Von allen versenkten Schiffen der Franzosen wartete nur L´Orient etwa gegen 22.00 Uhr mit einer Mega-Explosion auf, die das Monsterschiff in Stücke zerfetzte.

In den Jahren 1998/1999 ortet der französische Unterwasser-Archäologe Franck Goddio die auf dem Meeresboden seit 220 Jahren zerstreut liegenden Wrackteile, Kanonen und menschliche Knochen.

Im Mittelpunkt der Nachforschungen stand eben das legendäre Flaggschiff L´ Orient.

Mit jedem Artefakt, das bei den zahlreichen Tauchgängen gehoben wurde, konnte dem Meeresboden ein Teil seiner gehüteten Geheimnisse entrissen werden.

Die Forschungsergebnisse des Franzosen zusammen gebündelt hätten allerdings zu einem völlig unerwarteten Resultat führen müssen:

Die alles vernichtende 2. Mega-Explosion fand tief unter der Wasserlinie des Schiffes jenseits aller Kampfhandlungen statt!

Wurde „L´Orient“ nicht von den Engländern versenkt?

Die Beantwortung dieser Frage führt als dann zu einer weiteren: War Admiral Nelson der unerschrockene Held der Meere?

Inhalt

Einstimmung

1. Kapitel Abukir

Die ominöse Schlacht

2. Kapitel Ägypten

Das offene Geheimnis

3. Kapitel Die Schlacht

Die französischen Zeugen

4. Kapitel L´Orient

Die ominöse 2. Explosion

Einstimmung

Als der siegreiche junge General Bonaparte aus dem Italienfeldzug nach Frankreich zurückkehrt, wird er in Paris mit frenetischem Jubel empfangen. Dank seiner militärischen Fähigkeiten gelang es dem Franzosen in den Jahren 1796 und 1797 nach 13 Monaten andauerndem Feldzug die bis dahin in Italien aussichtslos geführten Kämpfe in eindrucksvolle Siege umzuwandeln.

Von nun an haftet an ihm der Nimbus der Unbesiegbarkeit.

Bald darauf wird er vom Direktorium beauftragt, sich nunmehr dem Erzfeind England zu widmen. Zu dem Zeitpunkt war England das einzige Land, mit dem sich Frankreich noch offiziell im Kriegszustand befand.

Im Februar 1798 reist Napoleon in das nordwestliche Frankreich und inspizierte bei stürmischem Wetter die Truppen und Schiffe in den Kanalhäfen.

Zwei Monate zuvor war es General Lazare Hoche nicht gelungen, mit einer Expeditionsarmee in Irland zu landen.

Vom 8. bis 20. Februar ist Napoleon dann intensiv damit befasst, die Front an der Küste des Ärmelkanals zu kontrollieren und Pläne für die Invasionsarmee zu schmieden, während französische Pioniere an diversen Projekten tüftelten, mit denen Kriegsrüstungen und Armeen über den Kanal übergesetzt werden können.

Für die geplante Landung an der englischen Küste von Essex wird nach und nach eine gewaltige Armee zusammengezogen, die nun unter dem erfolgsverwöhnten Napoleon das zu Ende vollbringen soll, was Hoche wenige Monate zuvor misslang.

Der scheinbar unbesiegbare Napoleon, der wie ein Halbgott die Soldaten begeistern und mitreißen konnte, dessen Name wie eine Zauberformel auf die Menschen wirkte, steht nun an der französischen Küste und avisiert geringschätzig die jenseits des Kanals befindlichen Inseln.

Nach und nach beginnen die Engländer seinen bedrohlichen Atem im Nacken zu spüren.

Dennoch kommt es vier Monate später zu einem völlig unerwarteten Verlauf des Geschehens und die Franzosen verlagern ihre militärischen Aktivitäten gänzlich auf den Mittelmeerraum und avisieren nunmehr das einstige Land der Pharaonen, welches unter der Herrschaft der Mameluken stand.

Warum die Franzosen nun mitten in der fortgeschrittenen Vorbereitungsphase für die Invasion Englands davon Abstand nahmen und sich mit einer derartigen gigantischen Armee auf eine waghalsige Militärexpedition ausgerechnet auf dem von den Engländern beherrschten Meere begaben, blieb ungeachtet unzähligen mitunter halbherzigen und wenig überzeugenden Erklärungsversuchen stets ein ungelöstes Rätsel der Geschichte.

Am 30. Juni 1798 und nach sechs Wochen auf See wird die lang ersehnte ägyptische Küste gesichtet - „Soldats, voila l´Egypte!“

Dann überschlugen sich die Ereignisse.

Am 1. Juli 1798 wird die Hafenstadt Alexandria im Handstreich eingenommen. 12 Tage später findet auf dem Weg nach Kairo am 13. Juli eine wenig bekannte Schlacht bei Rahmaniya statt, am 21. Juli dann die berühmte Schlacht auf dem Westufer des Nils bei Giseh, wo schließlich Napoleon die staunenden Soldaten mit seinem berühmten Spruch über die Pyramiden beglückte.

Am 23. bzw. 24 Juni findet die Übersetzung über dem Nil zu dem Ostufer und der feierliche Einzug in Kairo statt.

Zwischenzeitlich hatte die französische Flotte in der Bucht von Abukir Position bezogen.

Dann der 1. August 1798!

Ein Monat nach der Landung in Alexandria und 11 Tage nach dem Sieg bei den Pyramiden erspähen die Engländer am Nachmittag die in der Bucht wohlgeordnet in Schlachtstellung ankernde französische Flotte und vernichten sie.

Nur der Nachhut der Flotte bestehend aus vier Schiffen konnte unversehrt das Schlachtfeld verlassen.

Wie die mächtige napoleonische Mittelmeerflotte mit ihrem furchteinflößenden Führungsschiff L´Orient dermaßen vernichtend geschlagen wurde, wodurch der Verlauf der Geschichte nachhaltig beeinflusst wird, blieb bis heute ungeklärt.

I. Kapitel

Abukir

Die ominöse Schlacht

Am 19. Mai 1798 verlässt die größte Armada, die Frankreich je aufgeboten hat, unter der Führung des legendären Schlachtschiff L´Orient den Hafen von Toulon: 30.000 Soldaten, 300 Transportschiffe, 13 Linienschiffe und sieben Fregatten.

Dazu stießen später noch weitere Fregatten und Korvetten aus italienischen Häfen zu.

Zum Schluss betrug das auf die Schiffe verladene Aufgebot 55.000 Mann mit über 1000 Feldartillerie-Geschützen und 700 Pferden.

Die geballte Seeexpedition der Franzosen von über 300 Schiffen stand unter dem Befehl des jungen General Napoleon Bonaparte, dessen Kommandozentrale sich auf dem Führungsschiff befand, das damals größte Schlachtschiff der Welt und Stolz der jungen Nation.

Verantwortlich für die französische Marine und dem Schutz der Expedition war Admiral Brueys d'Aigalliers.

Aus Furcht vor der englischen Marine, wurde das Ziel der Expedition geheim gehalten.

Während die Franzosen nun mühsam Seemeile für Seemeile Richtung Niltal segelten, durchkreuzte zur selben Zeit Admiral Horatio Nelson das Mittelmeer auf der Suche der feindlichen Armada. Was auch immer er versuchte, stets verfehlte der englische Admiral die gigantische Armada der Franzosen.

Nach der Eroberung Alexandria am 1. Juli 1798 ließen die Franzosen die Flotte in der Bucht von Abukir Position beziehen.

17 der französischen Kriegsschiffe, darunter „L´Orient“ in der Mitte der Reihe platziert, stehen nun kampfbereit in einer Linie formiert parallel zur Küste und demonstrieren unverhüllt jeden Betrachter zu Land und zu Wasser die geballte Seemacht der Franzosen.

Schon damals stellten die Kriegsschiffe der Franzosen wohl das Beste dar, was die Werften zu jener Zeit von Stapel ließen.

Neben insgesamt nicht weniger als 1.196 Kanonen, bedient von über 10.000 Matrosen, platzierten die Franzosen zudem auf die vor der Meerzunge vorgelagerte Abukir-Insel zusätzlich leistungsstarke Batteriegeschütze als Flankenschutz.

Auf die in Folge der englischen Bedrohung sich in ständiger Bereitschaft befindliche französische Flotte fiel die wichtige Aufgabe zu, in erster Linie die ägyptischen Gewässer um Alexandria herum zu sichern, und somit die auf dem Festland operierende Armee den Rücken frei zu halten und Nachschubwege zu sichern.

Dann der 1. August 1798!

An diesem Tag erspähen die Engländer am Nachmittag die in der Bucht wohlgeordnet in Schlachtstellung ankernde französische Flotte. Unmittelbar danach ließ Nelson an den Flaggleinen das Signal „Angriff sofort“ auswehen.

Und das, was dann in der kleinen Bucht in wenigen Stunden geschah, ließ sich bis heute weder militärisch noch rational erklären.

Mit überlegener Feuerkraft hatte Admiral Brueys den Gegner erwartet. Er verfügte über mehr Kanonen, mehr Matrosen, die, im Gegensatz zu dem wohl seit Wochen im ständigen Einsatz und Stress nachjagenden Engländer, die idyllische Ruhe an den nordafrikanischen Strand genossen.

Und nicht zuletzt standen die abschirmenden Batterien auf der Abukir-Insel schussbereit.

Doch dessen völlig ungeachtet stürmen die englischen Schiffe mit dem an diesem Tag tobenden Nordwestwind im Rücken mit einer kaum zu überbietenden Unerschrockenheit in zwei Reihenformationen und belegen die französische Flotte Schiff für Schiff, Breitseite auf Breitseite von beiden Seiten mit einem Kanonen Hagel.

Wenige Stunden später gegen 22.00 Uhr erfolgte dann eine apokalyptische Explosion, die das Flaggschiff „L´Orient“ in ihre Einzelteile in alle Windrichtungen zerriss.

Das Symbol französischer Überlegenheit und Macht versinkt zerstreut auf einem Riesenfeld Stück für Stück auf dem Meeresboden.

Nach diesem beispiellosen Gemetzel war die französische Flotte hoffnungslos vernichtet, während die angreifenden Engländer zur Verblüffung der Nachwelt kein einziges Schiff verloren haben.

Mit diesem Sieg sicherten sich die Engländer ihre Seeherrschaft im Mittelmeer, die im Laufe der 1790er Jahre scheinbar verloren gegangen war und von nun an war auch Napoleons Ägypten-Armee praktisch ohne Nachschub, sein grandioser Orient-Feldzug auf dem Weg nach Indien, aller Landsiege zum Trotz, kläglich gescheitert.

Die Schmach und die Wunden, die Abukir so tief in dem noch jungen Fleisch der Grand-Nation aufreißen wird, werden nie verheilen und der Traum von der Weltherrschaft zerplatzt eben an dieser einst verschlafenen Bucht wie eine Seifenblase.

Wie lässt sich diese niederschmetternde Niederlage überhaupt erklären?

Zahlreiche Marinehistoriker und Autoren der unterschiedlichsten Richtungen und Interessen, Voreingenommene wie Neutrale, haben die einzelnen Etappen der Kämpfe von allen vorstellbaren Perspektiven betrachtet, analysierten jeden Zug, verfolgten jeden Kanonenschuss, und schlachteten jedes erdenkliche Detail in endlosen Varianten aus.

Doch am Ende blieb das Desaster der Franzosen bei „The Battle of the Nile“, wie die Schlacht im Englischen heißt, einfach unerklärbar.

Gewichtige Fakten um das damalige Geschehen scheinen in den Wirren der Gefechte der Nachwelt verborgen geblieben zu sein, nicht zuletzt, weil kein zeitgenössischer Berichterstatter oder Augenzeugen für sich reklamieren kann, die genauen Abläufe der Schlacht auf dem stürmischen Meer hinreichend beobachtet zu haben.

Als Forscher Anfang 1980 die Wrackteile der „Orient“ in 11 Meter Tiefe entdeckten, erhoffte man von der Bergung der Überreste Rückschlüsse auf den Verlauf der berühmten Schlacht ziehen zu können, und vor allem womöglich daraus endlich ein Aufschluss für das militärische Desaster zu finden.

Doch diese Arbeiten, an der Napoleons Urgroßneffe Louis Prinz Napoleon beteiligt war, brachten letztlich keine greifbaren Ergebnisse.

Erst als sich der französische Unterwasser Archäologe Franck Goddio in den Jahren 1998/1999 der Angelegenheit annahm, begannen die seit mehr als zweihundert Jahren auf dem Meeresboden zerstreut liegenden Überreste allmählich einen Teil ihres Schweigens aufzugeben und recht erstaunliche Details preiszugeben.

Goddios´ Team gelang es zudem neben einem Teil der 600.000 Franc des erbeuteten Malteserschatzes, auch weitere Schätze zu bergen, unter denen eine große Menge französisches Gold-, Silber und Kupfermünzen, manche sogar aus der Zeit Ludwig XIV., Ludwigs XV. und manche mit Bildnis von Ludwigs XVI waren. Weitere Goldmünzen stammen aus dem Osmanischen Reich, aus Venedig, Spanien und Portugal.

Diese Funde rechtfertigen die oft geäußerte Behauptung, dass das Flaggschiff der Franzosen als eine Art schwimmender Tresor galt.

Was das Team im Verlauf der Expedition letztlich über den Untergang des Führungsschiffes zu Tage brachte, rief Erstaunen hervor und die Erkenntnis, dass von allen an dieser Schlacht beteiligten französischen Schiffe, nur die „Orient“ mit diversen charakteristischen Anomalien eng verflochten war.

Zunächst einmal wird Goddio vergeblich nach größeren Teilen des legendären Schiffes suchen.

Die verheerende Explosion hatte das unter der Wasserlinie mit Kupfer gepanzertes Monsterschiff in unzählige Teile gesprengt.

In einem gleißenden Feuerball flogen Planken, Geschütze und menschliche Körper wie Spielzeug durch die Luft. Dabei bedeckten die Trümmer ein Areal so groß wie 10 Fußballfelder.

Bug und Heck des Schiffes waren abgerissen und nur ein großer Stumpf vom Mittelteil lag am Meeresgrund. Zudem wurden zwei Kanonen 275 Meter vom Schiffsrumpf entfernt entdeckt. Völlig zerborsten lagen sie im Schlick- ein Hinweis auf die enorme wie ungewöhnliche Stärke und Hitzeentwicklung der Detonation. Auch das 10 Meter lange und fast 15 Tonnen schwere Steuerruder gab weitere Rätsel auf. Dieses flog gut 50 Meter weit weg, ehe es im Wasser versank.

Auch weitere Rätsel gaben die entdeckten Überreste der Schiffsbesatzung auf.

Immer und immer wieder wurden Skelettreste gefunden. Das gesamte Fundfeld war mit zersplitterten menschlichen Knochen übersät. Bei ihren zahlreichen Tauchgängen stießen die Taucher auf Unterkiefer, Arm- und Beinknochen, Wirbel und Rippen, als sei die Mannschaft durch einen Reißwolf gezogen worden. Von der 1.010 Mannbesatzung kamen keine 100 mit dem Leben davon.

Ungewöhnliche FundeDas gesamte Feld war mit zersplitterten menschlichen Knochen übersät, als sei die Mannschaft „geschreddert“ worden.

Dann machen die Taucher eine eigentümliche Entdeckung.

Sie entdeckten im Umfeld der Orient insgesamt sieben gekappte Anker, womit der Beweis dafür erbracht wurde, dass die in einer Linie umliegenden Schlachtschiffe infolge der Explosion auf dem Flaggschiff Reißaus nahmen. Ebenso war dies ein Beleg dafür, dass die betreffenden Schiffe einschließlich „L´Orient“ während der mörderischen Schlacht die Anker nicht gelichtet hatten!

Schließlich konnte Goddio anhand der Funde belegen, dass die Orient erst nach zwei Explosionen gesunken war, und nicht nach einer, wie bis dahin Historiker glaubten.

Die zweite und entscheidende Detonation muss demnach eine gewaltige, bis dahin nicht gekannte Dimension an Zerstörung entfaltet haben.

Unter den vielen Funden gab es auch so manche vermeintlich irrelevant erscheinenden Entdeckungen, die zwar das Team um Goddio zunächst einige Kopfzerbrechen bereiteten, um doch am Ende vernachlässigt wurden.

Die Froschmänner spürten unter anderen Pretiosen und einige Kristall-Flakons auf, die die Zeit in ihrem nassen Untergrundbett fast schadlos überstanden hatten.

Die Forscher fanden keine plausible Erklärung dafür, wie diese zerbrechlichen Gebilde derartige Explosion heil überstanden, eine Explosion, die immerhin tonnenschwere Gefechtskanonen gut 275 Meter in die Luft katapultierten.

Eine der Flaschen lag sogar zum Erstaunen der Taucher direkt neben einer der zertrümmerten Kanonen.

Trotz der bemerkenswerten Ergebnisse konnten Goddio und sein Team dennoch auf die eigentliche Kardinalfrage keine Antwort finden, nämlich wie und unter welchen Umständen das französische Desaster von statten ging.

Und ebenso blieben die Forscher die Antwort schuldig, wie die zweite und alles zerstörende Explosion zustande kam.

Die undurchdringlichen Nebelschwaden, die seit über 200 Jahren das historische Geschehen über die ägyptische Bucht des Grauens und des Todes so beharrlich umhüllen, lichteten sich trotz aller beachtlichen archäologischen Erkenntnisse kaum auf.

Dennoch bedeuten Goddios´ Resultate zweifellos einen durchschlagenden Schritt zur Lösung des Rätsels.

Sie liefern uns die bedrückende und zugleich unverfälschte Momentaufnahme auf dem abukirischen Meeresboden unmittelbar nach der Mega-Explosion als Daktylogramm der letzten Kampfszene.

Was hierzu erforderlich wäre, ist die nötige analytische „Tiefenschärfe“, mit denen die eingefrorene Szene auf der Oberfläche des Wassers zu den auslösenden Anfängen des Untergangs zurück projiziert wird.

II. Kapitel

Ägypten

Das offene Geheimnis

Die Schilderungen im I. Kapitel geben in etwa die heute im allgemein gültige Historie über die „Battle of the Nile“ wieder, genauer gesagt die Geschichte des Siegers.

Aber entsprechen diese Angaben der geschichtlichen Wahrheit?

War Admiral Nelson tatsächlich der unerschrockene Jäger, der bis zur Erschöpfung die französische Armada suchte, heldenhaft nach deren Entdeckung keine Sekunde zögerte, die damals stärkste Kriegsflotte mit aller Wucht anzugreifen?

Ja, in Anbetracht der überraschenden Forschungsergebnisse des Franzosen Goddio über das Flaggschiff L´Orient kann aber auch eine der Fragen ohne weiteres lauten: Haben die Engländer das legendäre Schiff tatsächlich selber versenkt, oder schlummert in Anbetracht der vielen markanten Spuren auf dem Meeresboden eine andere, überraschende Wahrheit?

In diesem Teil des Buches wird es u.a. um die Klärung der Frage, ob die Ägypten-Expedition so ein gehütetes Geheimnis und inwieweit Admiral Nelson ein „Jäger“ war.

Diese beiden Themen werden ausführlich im zweiten Buch behandelt, deshalb wird nachfolgend nur auf das Notwendigste beschränkt.

Der ägyptische Chronist und Zeitzeuge al- Gabarti hat die ersten Anzeichen eine bevorstehende Invasion wie folgt festgehalten:

«Am Sonntag, dem 10. Muharram jenes Jahres (24. Juni 1798) kamen Briefe an, die Läufer aus der Hafenstadt Alexandria überbrachten. Darin hieß es:

Am Freitag, den 8. Muharram (22. Juni) seien zehn englische Schiffe vor der Hafenstadt angelangt und hätten in einiger Distanz angehalten, so dass die Bewohner der Stadt sie sehen konnten.»

Zu der fraglichen Zeit am 22. Juni war Admiral Nelson nach englischen Angaben vehement damit beschäftigt, die französische Flotte aufzuspüren.

Demnach würden die Aussagen des Chronisten bedeuten, dass bereits acht Tage vor Ankunft Napoleons am 30. Juni vor der ägyptischen Küste eine englische Marineformation bestehend aus 10 Kriegsschiffen vor Alexandria auftauchte.

Das Auftauchen der englischen Schiffe war kein Eizellfall, denn kurz danach erschien eine weitere Formation der englischen Marine:

«Etwas später seien 15 weitere Schiffe dazu gekommen, und die Leute in der Stadt hätten abgewartet, um zu sehen, was sie begehrten.»

Kurz darauf lassen die Engländer ein kleines Boot zu Wasser, in dem eine Delegation von zehn Personen zur Küste ruderten.

Nach der Landung verhandelten die Engländer mit dem Befehlshaber der Stadt, einen gewissen Muhammad Kurajjim.

Die Engländer beteuerten während der Unterredung mit dem Stadthalter, dass sie auf der Suche nach einer großen französischen Flotte seien, von der sie nicht wissen, wohin sie segeln wollten. Dann versuchte die englische Delegation Angst zu streuen, in dem sie die Besorgnis äußerten, dass die Franzosen womöglich Ägypten überfallen wollen, und dass sich für diesen Fall wohl die Einheimischen nicht verteidigen können:

«Ein kleines Boot sei von ihnen gekommen, das zehn Personen enthielt; sie seien an Land gestiegen und hätten sich mit den Notabeln der Stadt getroffen, besonders mit ihrem damaligenBefehlshaber Sajjid Muhammad Kurajjim. Sie besprachen sich mit ihnen und fragten sie über ihre Absichten. Die Fremden erzählten ihnen, sie seien Engländer, die gekommen seien, um nach den Franzosen zu forschen, denn jene seien mit einer großen Flotte ausgefahren, die irgendwohin ziele, „doch wir wissen nicht, welches ihr Ziel ist. Es ist möglich, dass sie euch überfallen. Dann könnt ihr euch nicht verteidigen und sie abwehren.“»

Wenn beide Flottenverbände unabhängig voneinander kurz nacheinander vor Alexandria erscheinen, dürfte dies ein Hinweis darauf sein, dass sie zumindest dort eine Mission zu erfüllen hatten.

Dann begeht der englische Wortführer einen fatalen Fehler:

«Die Boten der Engländer sagten: „Wir wollen mit unseren Schiffen im Meer liegen bleiben, um eure Festungswerke und Städte zu bewachen; wir brauchen von euch nur Wasser und Proviant, den wir gebührend bezahlen werden.“»

Obwohl die Engländer zu Beginn der Unterredung beteuerten, dass sie nicht wussten, wohin die Franzosen segeln wollten, bekunden sie nunmehr mit dieser Aussage ihre wahren Absichten: Sie begehren, im alexandrinischen Gewässer zu ankern.

Ihr Erscheinen vor der Küste würde zwar den Verdacht nahelegen, dass sie womöglich das Ziel der Franzosen nicht mit letzter Sicherheit kannten und bis dato nur Mutmaßungen anstellten.

Doch mit dem nunmehr vorgetragenen Wunsch, mit „ihren Schiffen in Alexandria bleiben zu wollen, um Festungswerke und Städte zu bewachen“, haben wir gewiss eine ganz andere Aussage-Qualität, die wohl nur eine einzige Schlussfolgerung zulässt.

Am 22. Juni 1798 und acht Tage vor der Ankunft der Franzosen erscheinen in kurzen Abständen zwei Einheiten der englischen Marine von insgesamt 25 Schiffen vor Alexandria mit der Absicht, in der Hafenstadt vor Anker zu gehen und unter anderen Verteidigungsaufgaben übernehmen zu wollen.

Dies wird ohne jeden Zweifel bedeuten, dass die englische Flotte jenen Ort erreicht hatte, wo man definitiv davon ausging, dass die Franzosen auch dort in absehbarer Zeit ankommen werden.

Der alexandrinische Oberbefehlshaber Kurajjim blieb dieser eklatante Widerspruch nicht verborgen, beschimpfte daraufhin die Engländer und forderte sie ultimativ auf, die ägyptischen Gewässer zu verlassen, eine Aufforderung, der die Engländer nachkamen.

Dennoch, was Alexandria angeht, bleiben die Engländer hartnäckig.

Einige Tage später (27. Juni) werden sie abermals vor der alexandrinischen Küste von Augenzeugen gesichtet:

«Am dritten Tag nach der Ankunft der ersten Briefe, kamen weitere, die besagten, die Schiffe, die zu der Hafenstadt gelangt waren, seien nun wieder umgekehrt und fortgesegelt.»

Die Wiederkehr der englischen Flotte untermauert die Annahme, dass die Engländer definitiv davon wussten, dass Alexandria das Endziel der napoleonischen Expedition war.

Al-Gabarti steht keineswegs allein mit seinen Schilderungen da. Die Engländer bestätigen seine Aussagen und liefern uns darüber hinaus einen wichtigen Hinweis:

„Am 28. Juni erreichte die britische Flotte den Hafen von Alexandria, ohne dort die französische Flotte zu finden. Thomas Hardy legte mit der HMS Mutine im Hafen an, um Kontakt mit dem britischen Konsul aufzunehmen. Dieser hatte Alexandria jedoch verlassen. Thomas Hardy traf aber mit dem Kommandanten der osmanischen Festung zusammen, der ihm erklärte, dass er bisher keine französische Flotte gesehen habe und dass sich Frankreich nicht im Krieg mit dem Osmanischen Reich befinde. Entsprechend dem damaligen Gewohnheitsrecht gestattete der Kommandeur der britischen Flotte, sich mit Trinkwasser zu versorgen. Er forderte sie jedoch auch auf, den Hafen binnen 24 Stunden wieder zu verlassen.“

Hier finden wir ergänzende Angaben zu denen von al-Gabarti.

Von der englischen Seite erfahren wir nunmehr den Grund, warum die Engländer eine Delegation ans Land entsandt haben: sie hatten ein Rendez-Vous mit dem britischen Konsul.

Demnach verweilte dieser in der Hafenstadt in Erwartung der Ankunft der britischen Flotte.

Mit anderen Worten, als Napoleon zu See stach, wusste der britische Konsul im fernen Ägypten nicht nur, dass Napoleon Alexandria ansteuerte, sondern auch, wann mit der Ankunft Nelsons vor den ägyptischen Gewässern zu rechnen war, hatte mit ihm eine Verabredung!

Während man damals glaubte, dass die Engländer der französischen Armada nachjagten, bereitete in Wirklichkeit der englische Konsul in Ägypten zur selben Zeit diverse Maßnahmen vor, die später im Rahmen eines Zusammentreffens mit Vertreter des Admiral Nelson in Alexandria vor Eintreffen Napoleon abgestimmt und koordiniert werden sollten.

Und da nach al-Gabartis´ Aussagen die englischen Gesandten gegenüber dem alexandrinischen Stadthalter den Wunsch vortrugen, sich in „den Festungswerken und Städten“ niederlassen wollten, kann es nur darum gegangen sein, dort militärische Vorkehrungen zu treffen, um die französische Flotte gleich bei ihrer Ankunft aus dem Hinterhalt zu überfallen.

Als die englische Abordnung die Küste betreten, werden sie allerdings vergebens nach der englischen Delegation um den britischen Konsul Ausschau halten, die ihnen mit Vertretern der Stadtführung offiziell den Weg geebnet hätten, in den Hafen einzulaufen, später ans Land gehen zu dürfen und die entsprechenden militärischen Vorkehrungen zu treffen.

Irgendetwas Unerwartetes hat wohl dazu geführt, dass das seit Monaten geplante Treffen nicht zustande kam.

Nach der Abfuhr standen die Engländer nun vor zwei Alternativen:

Die ägyptischen Gewässer, wenn auch widerwillig, zu verlassen oder sich mit Gewalt Zugang zum Hafen zu verschaffen.

In diesem Falle wäre dies aber eine offene Kriegserklärung gegenüber der Schutzmacht Türkei und die Folgen für die britischen politischen Interessen und Ziele im Osten wären unabsehbar.

Kurz vor der Ankunft Thomas Hardy in Alexandria hatte sich bereits ein bemerkenswerter Vorfall ereignet.

„in den Logbüchern der britischen Flotte wurde vermerkt, dass am Horizont die Masten von vier Schiffen gesichtet wurden, die der Beobachtungsposten der HMS Leander wenig später als vier Fregatten identifizierte. Von der HMS Orion wurde dies wenig später bestätigt. Obwohl einige der britischen Kommandeure die entdeckten vier Fregatten als eindeutiges Anzeichen einer in der Nähe segelnden großen Armada deuteten, gab Nelson die Anweisung, diese nicht weiter zu verfolgen, sondern mit größtmöglicher Geschwindigkeit weiter in Richtung Alexandria zu segeln. Diese Entscheidung Nelsons, die auf Unverständnis bei seinen Kommandeuren traf, ist aus heutiger Sicht schwer nachvollziehbar.“

Endlich nach wochenlanger zermürbender Verfolgung sichteten zwei Schiffe der englischen Marine unabhängig voneinander etwas am Horizont, das sie eindeutig als Anzeichen für eine in unmittelbarer Nähe segelnde große Armada erkannten, womit der lang ersehnte Augenblick gekommen wäre, worauf alle so ungeduldig gewartet hatten.

Und was tat der nachjagende Nelson?

Er befahl, von einer Verfolgung der Franzosen abzusehen und mit voller Geschwindigkeit weiter Richtung Alexandria zu segeln, wo schließlich die englischen Schiffsformationen vor der Küste von Einheimischen gesichtet werden und der Beginn der Berichterstattung bei al-Gabarti ins Rollen gebracht wurde.

Dass Admiral Nelson gezielt Richtung Alexandria zu segeln befahl, jegliche Verfolgung der Franzosen nunmehr untersagte, bedeutet letztendlich, dass er genau wusste, wohin die Franzosen segeln wollten.

Andererseits, wenn der Admiral seit Beginn seiner Seemission mit der festen Absicht zur See stach, um in Alexandria auf Napoleons´ Ankunft lauernd zu warten, dann belegt dies, dass er zu keiner Zeit die Absicht hatte, den Franzosen auf hoher See nachzujagen und in einem Ehrenkampf zu stellen.

Die soeben erwähnten Eintragungen in den englischen Logbüchern lassen allerdings weitere bemerkenswerte Schlussfolgerungen zu.

Denn dort wird ausdrücklich betont, dass die englischen Kommandeure von Nelsons´ Anordnung recht irritiert waren.

Keiner konnte nachvollziehen, wieso ausgerechnet jetzt Alexandria ansteuern, statt den gerade zum Greifen nahe segelnden französischen Feind zu verfolgen und im günstigen Moment anzugreifen.

Schließlich lag hier ja überhaupt der Sinn, weswegen seit Wochen die Verfolgung auf See erfolgte.

Dieser Widerspruch lässt eine einzige Folgerung zu:

Admiral Nelson war von Allen an dieser militärischen Operation Beteiligten der Einzige, der die wahren und geheimen Absichten der Seeoperation kannte. Alle anderen Akteure, die täglich mühselig die Aussichtsmasten bestiegen und verzweifelt am Horizont nach der verfeindeten Armada Ausschau hielten, waren tatsächlich im festen Glauben, dass sie den Franzosen nachjagten.

Allein diese Tatsache verdeutlicht die sensible politische Tragweite der englischen Seemission.

Es ist davon auszugehen, dass selbst in der britischen Führung in London nur eine Handvoll Personen von der strenggeheimen Mission des Admirals wussten.

Zugleich wäre in Anbetracht der gesamten Operation die Annahme schwerlich zu widerlegen, dass Admiral Nelson die beabsichtigte Seeroute des Feindes genau kannte, was letztlich bedeuten würde, dass ihm Abschriften von Seekarten vorlagen, worauf die napoleonische Seeroute verzeichnet war.

Und wenn dem so wäre, dann hat es in der Exekutive der französischen Führung einen Maulwurf gegeben, der obendrein Napoleons´ Vertrauen genoss und aktiv an der Gestaltung der französischen Politik mitgewirkt hat.

Demnach münden alle bisherigen Fakten in einer einzigen historischen Wahrheit: Admiral Nelson war vielmehr der Garant dafür, dass sich die Wege der beiden verfeindeten Flotten bis Alexandria nicht kreuzten!

Nur er als Oberbefehlshaber konnte dafür sorgen, dass die französische Flotte vor Erreichen der alexandrinischen Gewässer stets ausgewichen und gemieden wird.

Und nur er und sonst niemand konnte letztlich den Befehl zum Angreifen erteilen oder verweigern, so wie an jenen bewussten Tag der Sichtung.

Seit verlassen der englischen Häfen hatte Admiral Nelson demnach nur ein einziges Ziel ins Auge gefasst: Einige Tage vor den Franzosen in Alexandria anzukommen, um dort auflauernd auf deren Ankunft zu verharren. Zugleich wird dies letztlich auch bedeuten, dass der Engländer von Beginn an kein direkten See Kampf mit den Franzosen geplant hatte, sondern in Alexandria aus dem Hinterhalt den Gegner nach Piratenart überfallen wollte.

Nach diesem kurz aufeinander folgenden Erscheinen der Engländer vor der Küste geschieht dann in den darauffolgenden Tagen etwas Seltsames.

Am 30. Juni 1798 erschien die mächtige französische Armada vor der Küste, also genau 3 Tage nach der letzten Sichtung englischer Kriegsschiffe.

Von diesem Tag an stellen wir anhand von Augenzeugenberichten nunmehr etwas seltsames fest, das in krassen Widerspruch zur Kühnheit und Verfolgung steht: Auf einmal wurde kein englisches Schiff mehr vor der Küste gesichtet, noch kehrte Admiral Nelson zurück, um nach dem Rechten im alexandrinischen Hafen zu sehen.

Die englische Flotte verschwand einfach spurlos, ließ sich nicht mehr am Ort des Geschehens blicken.

Ein weiteres Indiz also dafür, dass Admiral Nelson um jeden Preis eine direkte Seeschlacht mit den Franzosen aus dem Weg gehen, nicht wagen konnte.

Von nun an sind es die Franzosen, die das Geschehen in ägyptischen Gewässern ganz allein nach Belieben bestimmen.

Nach Augenzeugenberichten stoßen sie in wenigen Tagen weit nach Osten bis Damiette vor und werden sogar im Landesinneren bei Damanhur gesichtet.

Unmittelbar danach ankern sie wohlgeordnet in der Bucht von Abukir in einer Reihe und demonstrieren jeden Betrachter unverhohlen ihrer militärischen Schlagkraft und Größe.

Spätestens jetzt hätte sich diese militärische Präsentation sogar bis zum fernen Sultan in Istanbul herumgesprochen.

Bis zum 25. Juli, also gut 26 Tage nach Napoleons´ Ankunft, fehlte von den Engländern weiterhin jede Spur.

Wäre Admiral Nelson tatsächlich der unerschrockene Jäger, hätte er längst kurz nach Ankunft der Franzosen Anfang Juli in Abukir angegriffen.

Warum er dies nicht tat, und warum er dennoch ausgerechnet an einem stürmischen Tag, den 1. August 1798, am späten Nachmittag angreift, ist noch ominöser als die Verfolgungsjagd selber.

III. Kapitel

Die Schlacht

Die französischen Zeugen

Der Kontrolleur der Ausgaben der französischen Armee des Orients und General-Verwalter der Finanzen, E. Poußielgue, war Zeuge der Seeschlacht.

Von ihm stammte ein ausführlicher Bericht über die Ereignisse vom 1./2. August 1798.

Gut eine Woche vor der Schlacht macht er eine sonderbare Beobachtung:

«Seit 8 Tagen zeigten sich häufig englische Schiffe und Fregatten, welche die Stellung unserer Flotte nachspionierten, so dass diese jeden Augenblick einen Angriff erwartete.»

Die Engländer griffen bekanntlich am 1. August 1798 etwa kurz nach 17 Uhr an.

Die Zeugenaussage würde dann bedeuten, dass die Engländer bereits seit dem 25 Juli 1798 vor der ägyptischen Küste nahe von Abukir im ständigen Einsatz waren und die militärische Lage und vor allem die ankernde Flotte der Franzosen ausspionierten.

Auch der französische Admiral Ganteaume hat von Bord der „Orient“ aus ähnliches beobachtet.

Nach der Vernichtung der Flotte schreibt er an General Bruix, Minister der Marine und der Colonien u.a.:

«Am 2ten Thermidor waren jedoch zwei feindliche Fregatten gekommen um uns zu beobachten, und den 14ten um 2 Uhr nachmittags war die feindliche Flotte im Angesicht der unsrigen.»

Zwölf Tage also vor dem Angriff hatte Ganteaume ebenfalls englische Schiffe vor Abukir gesichtet, die die napoleonische Flotte ausspionierten.

Die Geschichte belehrt uns jedoch, dass Admiral Nelson zu der fraglichen Zeit unverdrossen auf der Suche nach der französischen Flotte war, um sie dann endlich erst am 1. August zu sichten.

Zugleich bekundet Poußielgue in seinem Bericht, dass das häufige Auftauchen der Engländer zur erhöhten Alarmbereitschaft führte.

Dann dieser ominöse 1. August 1798!

Nach mehrtätigem Ausspionieren waren offensichtlich an diesem Tag alle Voraussetzungen für einen Überfall gegeben, wozu vor allem ein starker Nordwestwind aus der richtigen Richtung blies.

«Admiral Brueys soll überrascht gewesen sein, als etwa gegen 14.00 Uhr von der Heureux (5. Schiff in der Reihe von unten) aus die Masten der englischen Flotte an diesem Tag gesichtet wurden. Eine große Menge Seeleute von allen vor Anker liegenden Schiffen waren noch an Land, suchten dort nach Verpflegung, bohrten Brunnen oder mussten Aufgaben für das französische Expeditionsheer erfüllen. Der Weg von Land zu den Meilen vor der Küste ankernde Flotte war weit. Es waren rund 4 Stunden bis zum Sonnenuntergang, als der französische Oberbefehlshaber dann befahl, die Hängematten zu verstauen, was ein sicheres Zeichen dafür war, dass er doch mit einem kurz bevorstehenden Gefecht rechnete.»

Über dieses Geschehen schreibt Ganteaume weiterhin an Bruix:

«……..und den 14ten um 2 Uhr nachmittags war die feindliche Flotte im Angesicht der unsrigen. Sie bestand aus 14 Linienschiffen und 2 Brigs. Sie hatte guten starken Nordwind. Sie kommt mit vollem Segel auf den Ankerplatz der Flotte zu und zeigt die Absicht uns anzugreifen.»

Bekanntlich griff Admiral Nelson gegen 17.30 Uhr an.

Demnach hat es an diesem Nachmittag viele Stunden vor dem Angriff Sichtkontakt zwischen beiden Kontrahenten gegeben und längst hatte sich die Flotte der Engländer in der Nähe von Abukir drohend in Schlachtpose formiert, versetzte die Franzosen durch diverse Anzeichen fest in den Glauben über einen unmittelbar bevorstehenden Angriff.

Doch der Angriff erfolgt erst gegen 17.30 Uhr, also 3 ½ Stunden später.

Damit ergeben sich gleich die ersten Ungereimtheiten!

Hätte der englische Admiral nicht sofort nach dem ersten Sichtkontakt um 14.00 Uhr unbedingt angreifen müssen und zwar aus militärischem Kalkül?

Aus den vorliegenden Berichten wird ja bekundet, dass die Franzosen ein Angriff um diese Zeit nicht erwartet hatten.

Gleichzeitig erfahren wir, dass Admiral Brueys nach der ersten Sichtung von derartiger Präsenz und Verhalten der Engländer recht überrascht gewesen sein soll und von einem unmittelbar bevorstehenden Gefecht ausging.

Dementsprechend hat er feststellen müssen, dass es erheblichen Nachholbedarf an Material, Ausrüstung und Matrosen gegeben hat, die er in aller Hektik auszugleichen suchte.

Zugleich wird bekundet, dass die Hängematten auf den Schiffen noch aufgespannt waren, und noch war die anwesende Besatzung meilenweit davon entfernt, sich sogleich in einen alles entscheidenden Kampf zu stürzen.

Summa summarum, keine Frage, militärisch gesehen döst die französische Flotte auf halber Flamme friedlich vor sich hin, ist alles andere, als Gefechtsbereit.

Alles in allem also die bestmöglichen Bedingungen, um den unvorbereiteten Gegner militärisch auf dem falschen Fuß kalt zu erwischen und ihn mit einem Blitzangriff den Todesstoß zu versetzen.

Folglich hätte es für die Engländer nur eins geben müssen: Sofort gegen 14.00 Uhr mit allem was ihnen zur Verfügung steht anzugreifen.

Doch Admiral Nelson greift einmal mehr nicht an!

Er lässt sich gut 3 ½ Stunden Zeit, ehe er endlich zum Angriff übergeht. Was hat sich während dieser Zeitspanne abgespielt, worauf hat er solange warten müssen?

Um die Antworten auf all diese Fragen zu finden, müssen wir ein Zeitfenster gerade zu diesen ominösen 3 ½ Stunden öffnen.

Nicht unser Augenmerk soll auf das spätere Getümmel der Schlacht voll fixiert bleiben, sondern eben auch auf das noch Verborgene, das Sekundäre, was in den wenigen Stunden davor geschah.

Wenn die Engländer unter diesen militärisch aussichtsreichen Bedingungen nicht sofort, sondern dessen ungeachtet fast vier Stunden später angreifen, dabei auch noch billigend in Kauf nehmen, dass die Franzosen die wertvollen Stunden dazu ausnutzen, um sich auf den Kampf vorzubereiten; Defizite an Mannschaft, Material und Vorräte auszugleichen, also freiwillig dem Gegner Gelegenheit zu geben, sich zu stärken und somit die eigenen militärischen Aussichten auf Erfolg zu schmälern, dann verrät ihr Verhalten genau das, was sie in Wirklichkeit zunächst mit dem provokativen Erscheinen um 14.00

Uhr bezwecken wollten:

Nämlich eben und gerade, dass sie zunächst mit Berechnung nicht im Sinn hatten, angreifen zu wollen!

Ausgerechnet dieses, was zunächst als schleierhaft erscheinendes Verhalten des englischen Admirals, war der Schlüssel zu all dem, was später geschieht.

Alles an Ungereimtheiten, worüber man bisher stolperte, alles, was mit dieser legendären Seeschlacht stets unerklärlich erschien, rational nicht nachvollziehbar ist; all das beginnt allmählich zu Gunsten der Wahrheit zu verkümmern.

Mit eiskaltem Kalkül ließen sich die Engländer von den Franzosen um 14.00 Uhr demonstrativ vollzählig sichten und erweckten dabei wie Admiral Ganteaume glaubte unmissverständlich den Eindruck eines unmittelbar bevorstehenden Angriffes.

Doch dies war in Wahrheit zunächst nichts weiteres, als ein dosierter Nadelstich im Wespennest und zugleich die erste Phase in einem wohl seit gut einem Monat sorgfältig geplante Angriffsstrategie.

Kaltblütig und anteillos duldet Nelson, dass sich vor seinen Augen die Franzosen aufrüsten, die Schiffe für die bevorstehende Schlacht klarmachen und vor allem fehlende Seeleute auf die Schiffe zurückkehren.

Doch nicht aus englischem Fairplay gönnte er den Franzosen mehrere Stunden Zeit, sich auf den Kampf vorzubereiten, sondern diente dieser Vorgang etwas Arglistiges.

Durch die Sichtung der englischen Kriegsschiffe um Nelson an diesem stürmischen Nachmittag gingen die Franzosen nach Abwägung alle an diesem Tag gemachten Beobachtungen davon aus, dass die lang erwartete Seeschlacht nunmehr unmittelbar bevorsteht.

Somit waren die Franzosen im wahrsten Sinne des Wortes von einer Sekunde auf die Andere in Zugzwang geraten und mussten schleunigst handeln, alles daran tun, die Flotte auf die alles entscheidende Schlacht hoch zu fahren, von der das Schicksal der gesamten napoleonischen Expedition und die Unterwerfung des Ostens überhaupt abhing.

Admiral Brueys hatte keine andere Wahl, als die sich in einer militärisch inaktiven Phase befindliche Flotte unverzüglich und in aller Hast in Kampfbereitschaft zu versetzen.

Doch mit seinem unumgänglichen Befehl, ahnte der französische Admiral nicht, dass er damit weniger seine militärische Situation aufwertete, sondern vielmehr bereits den Untergang der eigenen Flotte einleitete.

Nichts ahnend tappte er notgedrungen in die arglistige Falle des englischen Admirals hinein!

Sofort forderte er Ersatzmannschaften von den Fregatten an und beorderte die an Land befindlichen Seeleute zurück, ebenso Verpflegung und Kriegsrüstung sollen schleunigst an Bord geschafft werden.

Eine unvorstellbare Hektik und Gedränge setzte sich ein und ein unkontrollierbarer Exodus vom Festland aus Menschen und Material zu den Kriegsschiffen findet statt.

In kürzester Zeit rudern unzählige Kleinboote wie auf einer Ameisenstraße zu den einzelnen Schiffen.

Und einige davon steuern auf die Abukir-Insel zu.