Agent 21 - Codebreaker - Chris Ryan - E-Book

Agent 21 - Codebreaker E-Book

Chris Ryan

0,0
8,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Wettlauf gegen die Zeit

Zaks dritter Auftrag stellt ihn vor ungeahnte Herausforderungen. Ein unbekannter Bombenleger hat es auf London abgesehen. Nach einer Explosion in der Londoner U-Bahn ist es an Zak und seinem Team herauszufinden, wie die Terrorzelle operiert und wer dahintersteckt. Aber es gibt nur wenige Hinweise und sie haben keine Ahnung, wo oder wann der Attentäter das nächste Mal zuschlagen wird. Als dann auch noch der einzige Zeuge angeschossen wird und ins Koma fällt, bevor Zak ihn befragen kann, steht Zak wieder am Anfang. Und ihm bleibt nicht mehr viel Zeit …

"Agent 21" ist eine actiongeladene, packende Agenten-Thriller-Reihe mit exotischen Settings und hochbrisanten Einsätzen. Chris Ryan fesselt seine Leser mit technischer Detailgenauigkeit und irrwitziger Action.

Alle Bände der »Agent 21«-Reihe:
Agent 21 - Im Zeichen des Todes (Band 1)
Agent 21 - Reloaded (Band 2)
Agent 21 - Codebreaker (Band 3)
Agent 21 - Survival (Band 4)
Agent 21 - Dead End (Band 5)

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 321

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



© Sam Barker

DEr Autor

Chris Ryan wurde 1961 in Newcastle, England, geboren.

Zehn Jahre lang war er für die SAS, die britische

Eliteeinsatztruppe, tätig. Er war an verschiedenen

militärischen und verdeckten Operationen beteiligt und

Leiter eines Antiterrorteams. In den letzten Jahren

verfasste er mehrere Actionthriller, die sofort Einzug in

die Bestsellerlisten hielten. AGENT 21 ist sein erster

Jugendbuch-Thriller.

Von Chris Ryan ist bei cbt bereits erschienen:

Agent21– Im Zeichen des Todes

Agent21– Reloaded (Band 2)

Chris Ryan

Agent 21

Codebreaker

Aus dem Englischen

von Tanja Ohlsen

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.
Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.
Kinder- und Jugendbuchverlag in der Penguin Random House Verlagsgruppe
© 2013 by Chris Ryan Die englische Originalausgabe erschien unter dem Titel »Agent 21 – Codebreaker« bei Random House Children’s Publishers UK. © 2015 für die deutschsprachige Ausgabe cbt Verlag in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München. Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten Aus dem Englischen von Tanja Ohlsen Lektorat: Luitgard Distel Umschlaggestaltung: init | Kommunikationsdesign, Bad Oeynhausen unter Verwendung eines Motivs von jb ∙ Herstellung: kw Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling ISBN: 978-3-641-14256-8V003
www.cbt-buecher.de

Inhalt

Prolog

15. Juni

Zur falschen Zeit am falschen Ort

ANGRIFF –- ZURÜCK

Grünes Licht

Zimmer 7

16. Juni

Vor aller Augen verborgen

Der Rätselmeister

Die zweite Bombe

St. Oswald’s

Verluste

00:00:00

Unehrenhafte Entlassung

17. Juni

NY HERO

Flüssiger Lunch

Kippschalter

Der Erhängte

EVORGDUL

18. Junii

Die Friedhofsschicht

Der Rotmantelwürger

Chalker Mews

Blackout

Mordlust

Epilog

Agent 21: Einsatzunterlagen

Agent 21

Wahrer Name: Zak Darke

Pseudonyme: Harry Gold, Jason Cole

Alter: 15

Geburtsdatum: 27. März

Eltern: Al und Janet Darke (verstorben)

Fähigkeiten: Waffenkenntnisse, Navigation, ausgezeichnete Sprachkenntnisse, ausgezeichnete technische Fähigkeiten und Computerkenntnisse.

Bisherige Einsätze: (1) Undercover eingeschleust auf das Gelände des mexikanischen Drogenbarons Martinez Toledo. Freundete sich mit Cruz an, dem Sohn der Zielperson. Erfolgreiche Beschaffung von Beweismaterial für die illegalen Aktivitäten der Zielperson. Führte das Einsatzteam erfolgreich auf das Gelände. Zielperson eliminiert. (2) In Angola eingeschleust, um einen Sprengkörper auf einem verdächtigen Terroristenschiff, der MV Mercantile, anzubringen. Schiff zerstört, Agent 21 zurückgeholt.

Agent 17

Wahrer Name: geheim

Pseudonyme: Gabriella, Gabs

Alter: 27

Fähigkeiten: Fortgeschrittene Kenntnisse in Nahkampf und Selbstverteidigung, Überwachung, Verfolgung.

Derzeit betraut mit der weiterführenden Ausbildung von Agent 21 auf der entlegenen schottischen Insel St. Peter’s Crag.

Agent 16

Wahrer Name: geheim

Pseudonyme: Raphael, Raf

Alter: 30

Fähigkeiten: Fortgeschrittene Kenntnisse in Nahkampf und Selbstverteidigung, Tauchen, Fahrzeugsteuerung.

Derzeit betraut mit der weiterführenden Ausbildung von Agent 21 auf der entlegenen schottischen Insel St. Peter’s Crag.

Michael

Wahrer Name: geheim

Pseudonyme: Mr Bartholomew

Alter: geheim

Rekrutierte Agent 21 nach dem Tod seiner Eltern. Derzeit sein Betreuer. Hat Verbindungen zum MI5, repräsentiert jedoch eine streng geheime Regierungsbehörde.

Cruz Martinez (vermutlich tot)

Alter: 17

Besondere Informationen: Nachfolger von Cesar Martinez als Kopf des größten mexikanischen Drogenkartells. Macht Agent 21 für den Tod seines Vaters verantwortlich. Hochintelligent. Verhält sich seit seiner Machtübernahme unauffällig. Vermutlich während des Untergangs der MV Mercantile ertrunken.

Prolog

Nordirland, 18. Juni 1973

»County Armagh? Oh, da ist es absolut idyllisch!«

Das erzählte Mrs Herder ihren Söhnen, und damit hatte sie vollkommen recht. Es ist dort absolut idyllisch. Es sei denn, man gehört der britischen Armee an – dann ist es die Hölle auf Erden.

Lee Herder hat keine Augen für die Landschaft. Er ist blind für die schmalen Kopfsteinpflasterstraßen und die winzigen Cottages des verschlafenen Dörfchens Ballycork, blind für die Schäfchenwolken am blauen Himmel. Er sieht nur die Soldaten des Fallschirmregiments, zwölf an der Zahl, mit je einem L64 Sturmgewehr, die einen Fünfzigmeter-Kordon um den Dorfplatz bilden. In der Mitte des Dorfplatzes steht ein Denkmal für die Gefallenen der beiden Weltkriege sowie ein weißer Ford Capri.

Lee sieht nach rechts. Dort steht sein älterer Bruder Richard – für seine verstorbenen Eltern Sonny, für alle anderen Dick. Die beiden Brüder sind gleich gekleidet. Druckwellensicherer Panzer über dem Standard-Tarnanzug. Helm. Ein Gürtel mit den Werkzeugen, die die beiden Brüder brauchen werden, um die Autobombe unter dem Capri zu entschärfen.

Am Rand des Kordons angekommen sieht Lee, wie sich ein Vogel auf dem Außenspiegel auf der Fahrerseite niederlässt. Schwarz-weiße Flügel, grüner Bauch. Lee identifiziert ihn als Buchfink.

»Hoffentlich hopst Tweety nicht auf die Druckplatte«, sagt Dick. »Könnte sonst laut werden.«

Lee nickt und sie betreten den Platz. Es ist ihre dritte Autobombe in ebenso vielen Tagen. Bevor sie auf ihre Nordirland-Tour gingen, waren sie ganz gute Bombenentschärfer. Jetzt gehören sie zu den allerbesten. Aber vor einem neuen Job beruhigt einen das Gefühl keineswegs, der Beste zu sein. Keine zwei Geräte sind gleich und die Bombenbastler sind stolz darauf, immer neue Fallen für Leute wie Lee und Dick zu erfinden.

Clevere Arten, sie umzubringen.

Jetzt knien sie am Auto nieder und betrachten das Hinterrad. Schweiß läuft Lee über den Hals. Wer auch immer sie angerufen hat, kann von Glück sagen, dass er die winzigen Auslöser bemerkt hat, einen vor und einen hinter dem Reifen. Sie bestehen aus winzigen Bällchen Klebegummi zwischen zwei Eisennägeln. Von jedem Nagel führt ein dünner Draht weg. Wenn sich das Auto vor- oder rückwärts bewegt, zerdrückt der Reifen einen der Auslöser, die Nägel berühren sich und der Stromkreis wird geschlossen. Wumm!

Die Entschärfung wird nicht einfach werden. Die Drähte, die zu den Nägeln führen, sind straff gespannt, was bei den Brüdern die Alarmglocken schrillen lässt.

»Bewegungssensoren?«, vermutet Lee.

»Bewegungssensoren«, bestätigt sein Bruder.

Sie legen sich auf den Bauch und Dick leuchtet mit einer Taschenlampe unter den Wagen. Und dort, fünfzig Zentimeter weiter, sehen sie Metallringe – kaum größer als Eheringe –, die um die Drähte herumführen. Lee muss an ein Spiel denken, das sein Vater für sie gebaut hat, als sie noch kleiner waren: ein wackeliger Draht, verbunden mit einer Batterie und einem Summer. Man musste eine Metallschlaufe von einem Ende des Drahtes zum anderen führen. Berührte man den Draht, ertönte der Summer und man musste von vorn anfangen. Hier ist das Prinzip das gleiche, nur dass es keinen Summer gibt und man auch nicht wieder von vorn anfangen kann. Die Ringe sind mit einem Haufen Drähte an der Unterseite des Autos befestigt und diese wiederum mit genügend leuchtend orangem Semtex, um das Auto in den Himmel zu jagen. Lächelnd fragt er sich, was sein Vater wohl sagen würde, wenn er sehen könnte, wie sie ihre Geschicklichkeit heute einsetzen. Und er wünscht sich – nicht zum ersten Mal –, dass ihnen ihre Eltern nicht auf so grausame Weise geraubt worden wären: von einem betrunkenen minderjährigen Fahrer in einer regnerischen Nacht.

Die Brüder sehen einander an.

»Kontrollierte Explosion?«, fragt Lee.

Dick nickt. Die Vorrichtung ist zwar ganz primitiv und einfach, aber das können mitunter die schwierigsten sein. Die leiseste Bewegung kann den Sprengstoff zünden. Sie stehen auf und gehen zum Kordon zurück.

Dort erwartet sie ein Offizier mit angespanntem Gesichtsausdruck. Ein Blick auf seine Streifen sagt den Brüdern, dass er hier das Kommando hat.

»Nun?«, fragt er.

»Alle innerhalb eines Radius von zweihundert Metern müssen evakuiert werden«, erklärt Dick. »Es ist zu riskant, das Ding zu entschärfen, und da unten klebt ein dicker oranger Kuchen. Wir müssen kontrolliert sprengen.«

Er wendet sich bereits ab, da sagt der Offizier: »Nein!«

Die beiden Brüder sehen ihn finster an.

»Was soll das heißen?«, fragt Dick.

»Ich habe meine Befehle. Wenn das Ding explodiert, bekommt die IRA fast genauso viel Aufmerksamkeit, wie wenn jemand dabei getötet wird.«

»Seien Sie doch nicht so dämlich«, entgegnet Lee. »Das Ding hat Fallen … viel zu gefährlich …«

»Na gut.« Der Offizier sieht sich um, als suche er nach jemandem. »Wenn Sie beide nicht dazu in der Lage sind, dann holen wir uns eben jemanden, der es kann.«

Lee sieht seinen Bruder an. Er weiß, dass sie beide dasselbe denken: In der ganzen britischen Armee gibt es niemanden, der auch nur halb so qualifiziert ist wie sie. Das ist keine Arroganz, einfach nur die Wahrheit. Würde man dem Vorschlag folgen und einen anderen Bombenentschärfer holen, würde das bedeuten, ihn in den Tod zu schicken.

Dick flucht leise.

»Lass die Soldaten weiter zurückweichen«, sagt er nicht an den Fallschirmjäger gewandt, sondern an Lee.

»He …«, setzt Lee an, bricht jedoch ab, denn sein Bruder ist bereits wieder auf dem Weg zurück zum Auto. Die Schutzkleidung macht seinen Gang ein wenig steif. Lee überlegt, ob er ihn zurückrufen soll, lässt es aber. Er kennt seinen Bruder zu gut. Wenn er sich einmal entschieden hat, hat er sich entschieden. Also schreit er die Fallschirmjäger an: »Los, alle Mann zurück! Zurück! Das ist eine ganz große!«

Die Soldaten rühren sich nicht. Erst nachdem ihnen der Offizier einen Befehl zugebellt hat, weichen sie zurück.

Dick ist mittlerweile bei dem Ford Capri angelangt. Er liegt auf dem Rücken und rutscht vorsichtig, wie ein Mechaniker, unter das Auto. Lee sieht nur seine Schutzstiefel darunter hervorragen und stellt fest, dass er den Atem anhält.

Eine Wolke schiebt sich vor die Sonne. Lee verspürt einen Schauer. Er ermahnt sich, ruhig zu bleiben. Dick hat ihm alles beigebracht, was er über Bombenentschärfung weiß, und das, was sein Bruder nicht weiß, ist auch nicht wichtig.

Eine Minute vergeht.

Zwei.

Plötzlich eine Bewegung. Lee zuckt zusammen. Der Buchfink ist wieder da, nur setzt er sich dieses Mal nicht auf den Außenspiegel. Er pickt an etwas auf der Straße herum, fünfzig Meter von seinem eigenen Standort entfernt, doch nur eine Handbreit von einem der Auslöser. Lee will rufen, hält sich aber zurück. Das Letzte, was sein Bruder jetzt braucht, ist, erschreckt zu werden. Stattdessen macht er einen Schritt vor, um den kleinen Vogel zu verjagen.

Er kann seinen eigenen Herzschlag hören, als er einen weiteren Schritt macht.

Und noch einen.

Der Vogel hört auf zu picken und sieht auf. Er starrt Lee mit leicht schief geneigtem Kopf an, als wolle er aufmerksam zuhören.

»Flieg weg, Vögelchen«, sagt Lee leise.

Doch der Vogel fliegt nicht weg. Er bleibt, wo er ist, nur Zentimeter von dem Auslöser entfernt, und sieht ihn an.

Also macht Lee noch einen Schritt.

Es ist der schlimmste Fehler seines Lebens. Der Buchfink bewegt sich, aber in die falsche Richtung. Er hüpft unter die Karosserie des Autos.

Drei Dinge geschehen gleichzeitig.

Lee schreit auf. Er kann nicht anders. »NEEEIIIN!«

Der Buchfink stößt gegen den Draht am Zünder.

Und das Auto explodiert.

Der Knall der Explosion ist ohrenbetäubend. Während Lee von der Wucht der pulsierenden Detonationswelle fünf Meter nach hinten geschleudert wird, schießt ihm durch den Kopf, dass man die Bombe bestimmt noch dreißig Meilen weiter hören kann. Und als er unsanft auf dem Pflaster landet, tut es ihm merkwürdigerweise um den Buchfink leid. Doch erst als der Staub sich zu legen beginnt, trifft ihn die brutale Erkenntnis härter als jedes Schrapnell.

Sein Bruder.

Lee rappelt sich auf und stolpert durch die Staubwolke, durch die er kaum weiter als ein paar Meter sehen kann, auf das feurige Leuchten zu, das von der Stelle kommt, an der der Ford Capri gestanden hat. Je näher er kommt, desto heller wird es. Und heißer. Fünf Meter entfernt bleibt er stehen und fällt auf die Knie. Selbst unter seiner Maske verbrennt die Hitze seine Haut, doch er ignoriert es. Er betet, dass sein Bruder es auf wunderbare Weise geschafft hat, sich vor der Detonation in Sicherheit zu bringen, doch er weiß, dass er umsonst hofft. Und das liegt nicht nur daran, dass er die Explosion miterlebt hat.

Es liegt daran, dass er zwei Meter vor sich den Stumpf eines abgerissenen Beins sieht, der wie ein gut durchgetrocknetes Holzscheit in einem Kaminfeuer brennt.

Das ist alles, was von Dick »Sonny« Herder, dem besten Bombenleger in der Armee Ihrer Majestät, übrig ist …

15. Juni

Gegenwart

Zur falschen Zeit am falschen Ort

»Bist du hier, um mich zu töten?«

Die Stimme des Jungen klang nicht verängstigt, eher neugierig. Und ruhig. Bereit für alles, was kommen mochte.

Agent 21 spähte in die Dunkelheit. In seiner rechten Hand hielt er eine kurzläufige 9-mm-Pistole, und er wusste, dass seine Hand nicht zittern würde, wenn es darauf ankam.

»Denn wenn du mich töten willst, mach es bitte schnell«, fuhr der Junge fort. »Ein Kopfschuss wäre gut. Das würde ich nicht spüren.« Nach einer kleinen Pause fügte er hinzu: »Glaube ich zumindest.«

Agent 21 packte die Waffe etwas fester. Sie war entsichert und geladen.

Als er an diesem Morgen aufgewacht war, hatte er keine Ahnung gehabt, wie sich dieser Tag entwickeln würde.

Allerdings hatte niemand eine Ahnung gehabt, wie sich dieser Tag entwickeln würde. Am allerwenigsten Amelia Howard, als sie achtzehn Stunden zuvor ihr Haus in Brixton verlassen hatte, um den ersten Zug in die Londoner Innenstadt zu nehmen.

In den letzten neun Jahren hatte Amelia diese Fahrt jeden Tag gemacht. Häufig hatte sie bemerkt, dass die Gesichter der anderen Pendler auf dem Bahnsteig weit weniger zufrieden aussahen, zu so früher Stunde aufstehen zu müssen. Es waren immer dieselben Gesichter und sie sahen immer gleich drein: mürrisch, müde und wenig begeistert. Bei Amelia war es das Gegenteil. Sie liebte ihren Job in einem Kinderheim in Islington. Gut bezahlt wurde sie zwar nicht, aber sie hatte den Eindruck, als könne sie etwas bewirken, und darauf kam es an.

Bei seiner Ankunft schob der Zug einen Luftschwall vor sich her aus dem Tunnel, der Amelias Haare durcheinanderbrachte. Doch das machte ihr nichts aus. Sie war zwar hübsch, gehörte aber nicht zu den Leuten, die sich viel um ihr Aussehen kümmerten. Hielten sich andere Frauen in der U-Bahn winzige Make-up-Spiegel vor das Gesicht und trugen Lippenstift auf, so steckte Amelia ihre Nase lieber in ein Buch. So verging die Fahrt schneller.

Der Zug donnerte in die Station und die Türen öffneten sich zischend. Amelia betrat einen der mittleren Wagen und setzte sich. Rechts von ihr saß ein Mann in einem Anzug, links von ihr eine ältere Frau. Amelia nahm ihr Buch aus der Tasche, stellte die Tasche zu ihren Füßen ab und begann zu lesen.

Gewohnheitsmäßig sah sie auf, wenn der Zug abbremste. So bekam sie jede Station mit und wusste immer, wo sie war. Aus Brixton wurde Stockwell, wo sie sich erneut in ihr Buch vertiefte, dann wurde Stockwell zu Vauxhall, eine Minute später sah sie erneut auf, als der Zug vor Pimlico langsamer wurde.

Sie wusste nicht, dass sie Pimlico bereits zum letzten Mal gesehen hatte.

Eine ungeheure Explosion erschütterte den Zug. Und sie erschütterte Amelia in zweierlei Hinsicht. Zunächst war da der Lärm. Es waren mehrere Detonationen in schneller Folge, die sich anhörten, als werde direkt neben ihrem Ohr ein Feuerwerk gezündet. Dann folgte die Bewegung. Sie spürte, wie der Zug aus den Schienen sprang, und ihr Magen protestierte, als sich das vordere Ende des Wagens zwei Meter hoch in die Luft hob.

Die Lichter gingen aus. Nur im Schein der Funken, die draußen aufstoben, während der Zug an der Tunnelwand entlangschrammte, konnte Amelia etwas sehen. Im fahlgelben Licht erkannte sie die entsetzten Gesichter ihrer Mitreisenden, die sich an den Armlehnen festkrallten.

Die Wände des Waggons gaben nach und gleichzeitig begannen die Menschen zu schreien. Was zuvor so stabil und hart gewirkt hatte, zerknitterte wie Alufolie und brannte wie Papier. Die Glasfenster knackten und barsten. Noch nie hatte Amelia jemanden sterben sehen – jetzt sah sie im schwachen Licht der Funken, wie sich ein verdrehtes Stück Metall in die Brust der Frau neben ihr bohrte, und Blut spritzte ihr ins Gesicht. Amelia ließ sich auf den Boden fallen.

Die ganze Zeit hatte sich der Zug bewegt, doch jetzt kam er zum Stillstand. Einen Moment lang herrschte düstere Stille – die Passagiere hatten aufgehört zu schreien – und es war stockdunkel. Mit zitternden Händen tastete Amelia nach ihrer Handtasche. Als sie sie gefunden hatte, nahm sie ihr Handy und schaltete es ein. Der Bildschirm ging an und beleuchtete den grausigen Anblick der toten Frau, die ebenfalls auf den Boden gefallen war und sie aus leeren Augen anstarrte.

Amelia war nicht die Einzige, die ihr Handy aufleuchten ließ. Überall im Wagen erschienen Bildschirme wie kleine Leuchtfeuer. Sie beleuchteten eine Szene der totalen Verwüstung – und Amelias Sitznachbarin war nicht die einzige Tote. Ringsherum sah sie die grauen Silhouetten von Leichen.

Sie betrachtete ihren Handrücken. Ein Glassplitter von einem der Fenster hatte ihn aufgerissen und Blut tropfte auf den Ärmel ihrer leichten Jacke.

Langsam erfüllte leises Weinen den Zug. Amelia bemühte sich aufzustehen, was wegen der Neigung des Zugbodens nicht einfach war.

»Wir … wir sollten versuchen, weiter nach vorn zu kommen«, schlug sie unsicher vor.

Niemand hörte sie, denn im gleichen Moment ertönte über ihr ein ungeheures Ächzen. Kalte Angst durchzuckte sie. So ein Geräusch hatte sie noch nie gehört, und etwas sagte ihr, dass das Ende nah war.

Am ganzen Körper zitternd hob sie ihr Handy und sah nach oben. Das Dach des Waggons senkte sich. Es würde einstürzen.

»O mein Gott«, flüsterte sie. Sie sah nach links und rechts, doch die Decke senkte sich auf der ganzen Länge des Waggons.

Wieder erklang das Ächzen, dieses Mal noch lauter. Das Dach gab weiter nach.

Amelia Howard war nicht religiös. Seit ihrer Kindheit war sie nicht mehr zur Kirche gegangen. Aber jetzt fiel sie auf die Knie, senkte den Kopf und betete. Da sie wusste, dass sie sterben würde, betete sie nicht um ihr Leben, sondern einfach nur darum, dass ihr Tod nicht allzu schmerzhaft werden würde.

Sie betete immer noch, als das Dach einstürzte, doch ihr Gebet wurde nicht erhört. Unzählige Tonnen Schutt stürzten auf sie herab. Sie spürte den ungeheuren Schmerz, als die Knochen entlang ihrer Wirbelsäule brachen und ihre Arme und Beine wie trockene Zweige knickten. Ihr Kopf wurde auf den Boden gepresst. Sie schrie vor Schmerz, aber ihre Schreie wurden von ihrem Sarg aus Erde gedämpft. Sie versuchte zu atmen, doch statt Luft füllte nur Staub ihre Lungen. Ihr Mund füllte sich mit Blut und ihr Blick trübte sich.

Als das Ende endlich kam, war es eine Erlösung. Nicht nur für Amelia Howard, sondern für alle in ihrem Waggon, die einfach nur zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen waren.

Die Rettungskräfte arbeiteten schnell und effizient, aber sie konnten nicht viel tun.

Innerhalb weniger Minuten nach der Explosion war das gesamte U-Bahnnetz evakuiert und um die Station Pimlico eine Sperrzone errichtet worden. Krankenwagen, Polizei und Feuerwehr verstopften die Zufahrtsstraßen und immer noch gellten die Sirenen der Wagen, die dazukamen. Rettungskräfte mit Helmen und Gasmasken stiegen mutig die Stufen der Unterführung hinunter, die zur Station führten. Andere kamen heraus, ihre Kleidung und Haut mit Schmutz bedeckt und mit völlig entsetzten Gesichtern. Keiner von ihnen hatte so etwas je zuvor gesehen.

Es trafen noch andere Autos ein. Dunkle Geländewagen, aus denen Angehörige der Antiterroreinheit in Zivilkleidung und mit grimmigen Gesichtern stiegen. Am Himmel kreisten Helikopter. Ein Nachrichtenteam war bereits vor Ort und drängte sich durch die Zuschauer, die an der Absperrung standen und von fünfzig Polizisten angebrüllt wurden, zurückzubleiben. Doch ein Mann mit schulterlangem grauem Haar, grünen Augen und umweht von einem Geruch nach Kirschtabak hob das Absperrband über seinen Kopf und näherte sich dem Unglücksort. Sofort rannte ein Polizist auf ihn zu. Er wollte ihn gerade anschreien, hinter die Absperrung zurückzugehen, als der Mann ihm einen Ausweis unter die Nase hielt.

Der Polizist riss die Augen auf und hätte fast Haltung angenommen. »In Ordnung, Sir. Bitte gehen Sie weiter.«

Der grauhaarige Mann nickte dem Beamten vage zu und näherte sich dann dem Stationseingang. Fünf Meter davon entfernt blieb er stehen und schien fast gedankenverloren die Rettungsarbeiten zu beobachten. Als klar war, dass die Rettungskräfte auf ihren Tragen keine Lebenden herausbrachten, sondern nur Tote bargen, senkte er den Kopf, seufzte und kehrte zurück zur Absperrung.

»Kann ich Ihnen behilflich sein, Mr Bartholomew?«, fragte der Beamte, der zuvor versucht hatte, ihn aufzuhalten.

Mr Bartholomew schenkte ihm ein schwaches Lächeln. »Nein«, sagte er. »Gehen Sie zurück auf Ihren Posten.«

Als er weiterging und den Kragen seines Mantels zum Schutz gegen die Morgenkälte hochschlug, dachte er bei sich: Für die armen Teufel da unten kann niemand mehr etwas tun. Es sind die Lebenden, die jetzt unsere Hilfe brauchen.

ANGRIFF –- ZURÜCK

Auf einer trostlosen, weit abgelegenen Insel irgendwo an der Nordküste von Schottland fand gerade eine Unterrichtsstunde statt. Der Schüler war kein Kind mehr, aber auch noch kein Mann. Er trug jedoch die Verantwortung eines Erwachsenen. An manchen Tagen lastete sie schwerer auf seinen Schultern als an anderen. Heute war so ein Tag. Zak Darke tat alles weh. Während Amelia Howard ihre letzte Fahrt von Brixton aus angetreten war und die meisten Jungen seines Alters müde auf ein paar weitere Minuten Schlaf vor der Schule hofften, hatte er längst mit seinem anstrengenden täglichen Training begonnen. Nach einem derartigen Pensum hätten sich die meisten Menschen den restlichen Tag freigenommen. Aber nicht Zak. Für ihn begann der Tag erst.

Der Raum, in dem der Unterricht stattfand, befand sich im Erdgeschoss von St. Peter’s House, dem tristen Steinhaus, das der Junge mittlerweile als sein Zuhause betrachtete. Mitten im Zimmer stand ein runder Eichentisch und die bodentiefen Fenster boten einen guten Blick auf die winddurchtoste Landschaft bis zum rauen grauen Ozean.

Zak stand am Fenster und sah aufs Meer hinaus. Bei anderen Schülern bedeutete ein abwesender Blick meist, dass sie sich langweilten. Zak hingegen war tief in Gedanken versunken, während er beobachtete, wie der Regen über die entlegene Insel St. Peter’s Crag peitschte. Es war Mitte Juni, aber die Jahreszeiten spielten hier keine große Rolle. Es schien immer zu regnen.

Es gab keine weiteren Schüler in dem Klassenzimmer, nur zwei Lehrer: eine junge Frau mit schulterlangem weißblondem Haar und ein robuster, ebenfalls blonder Mann mit kantigem Gesicht und platter Nase. Seit dem Tod seiner Eltern in Afrika – als unschuldige Opfer eines gefährlichen Drogenbarons – und seiner Rekrutierung als Agent waren Zaks Schutzengel Gabs und Raf seine Lehrer, Beschützer und Familie zugleich geworden. Sie saßen beide an dem Eichentisch.

»Hübsche Haarspange«, sagte Zak zu Gabs, als er zum Tisch zurückkehrte.

Gabs tastete mit den Fingern nach der Spange in ihrem Haar. Sie war so groß wie ein Fünfzig-Pence-Stück und hatte die Form eines Sterns.

»Mit Schmeicheleien kommst du immer weiter, Kleiner«, sagte sie mit dem Anflug eines amüsierten Lächelns. »Aber wie wäre es, wenn wir uns auf unseren Unterricht konzentrierten?«

Zak senkte den Kopf. »Ich verstehe das immer noch nicht«, sagte er. »Wie konnten sie diese Menschen sterben lassen?«

»Weil man in einem Krieg manchmal schwere Entscheidungen fällen muss«, erwiderte Raf achselzuckend. »Sag mir nicht, dass dir das neu ist.«

»Ich war noch nie in einem Krieg.« Zak wusste, dass er unwirsch klang, doch er konnte nicht anders. Diese Unterrichtsstunde verursachte ihm Magenschmerzen.

Gabs lächelte ihn sanft an. »Falsch, Zak«, widersprach sie. »Du warst nur nie in der Armee. Menschen wie wir stecken immer in irgendeinem Krieg. Davon liest man zwar nichts in den Zeitungen, aber das heißt nicht, dass sie nicht stattfinden.«

Zak seufzte, stand auf und ging im Zimmer auf und ab.

»Also lasst mich das mal auf die Reihe kriegen«, meinte er. »Wir befinden uns im Zweiten Weltkrieg und die Deutschen haben eine Codierungsmaschine namens Enigma, deren Code die Briten knacken konnten. Der britische Geheimdienst fängt eine Nachricht ab, die besagt, dass die Deutschen einen Bombenangriff auf Coventry planen. Wenn sie die Stadt evakuieren, wissen die Deutschen, dass die Briten den Code geknackt haben, daher lassen sie die Bombardierung zu, bei der Hunderte von Menschen sterben.«

»Im Prinzip ja«, bestätigte Raf.

Zak schüttelte den Kopf. »Das war nicht richtig«, stellte er fest.

»Langfristig gesehen hat es Leben gerettet. Hätten die Deutschen herausgefunden, dass wir den Enigma-Code geknackt hatten, hätten wir den Krieg wahrscheinlich verloren.«

»Trotzdem war es nicht richtig.«

»Vielleicht sollten wir einfach weitermachen«, schlug Gabs vor. »Niemand weiß, ob diese Geschichte wirklich wahr ist. Raf hat sie dir nur erzählt, um dir etwas klarzumachen.«

»Was denn?«

»Dass Codes wichtig sind. Regierungen und Geheimdienste geben jährlich Millionen für Ver- und Entschlüsselungssoftware aus, die höher entwickelt ist, als es der menschliche Geist je sein könnte. Transatlantische Telefongespräche werden kontinuierlich auf Schlüsselworte überprüft. Das Gleiche gilt natürlich für E-Mails. Um dem zu entgehen, braucht man sehr fortschrittliche Codierungsmethoden. Aber wenn man im Einsatz ist, hat man höchstwahrscheinlich kaum Zugang zu derartiger Technologie. Da muss man wissen, wie man sicher Nachrichten übermitteln und im Notfall die Kommunikation des Feindes entschlüsseln kann.«

Zak nickte. Er war sauer auf seine Schutzengel, wusste aber selbst nicht recht, warum. Schließlich war die Bombardierung von Coventry vor über siebzig Jahren nicht ihre Schuld gewesen, aber er fragte sich unwillkürlich, ob sie – oder ihr Betreuer Michael, in dessen Büro sie gerade saßen, der jedoch nur auftauchte, wenn er einen Auftrag für Zak hatte – ihn ebenfalls für entbehrlich halten würden, wenn sie andere damit retten konnten. Schließlich sah Michael die Welt ein wenig anders als die meisten anderen Menschen.

Er verdrängte den Gedanken. Das war kindisch. Nicht zum ersten Mal erinnerte er sich daran, dass er sich dieses Leben selbst ausgesucht hatte. So wie die anderen jungen Agenten, von denen er bereits eine Agentin während seiner Arbeit kennengelernt hatte. Niemand hatte einen von ihnen dazu gezwungen. Auch wenn er annahm, dass es schwer war, wieder rauszukommen, wenn man erst einmal dabei war. Ganz abgesehen von allem anderen war er offiziell tot und lag auf einem Friedhof in Nord-London begraben, wo er früher gewohnt hatte.

»Bedenke all das, wenn ich dir jetzt eine perfekte Verschlüsselung zeige«, sagte Gabs. »Sie ist einfach anzuwenden und unmöglich zu knacken, selbst mit unendlicher Computerkapazität.«

Zak sah sie skeptisch an.

Sie hatten schon am Vortag an Codes gearbeitet – angefangen bei Morsecodes bis zu schriftlichen Austausch- und Zahlencodes. Warum sollte dieser hier anders sein?

»Das kommt mir nicht sehr wahrscheinlich vor«, bemerkte er, während er sich wieder setzte. Er kannte sich auch mit Computern aus und hatte großes Vertrauen in ihre Leistungsfähigkeit.

Auf dem Tisch lag ein Bleistift und ein leeres Blatt Papier. Zwinkernd begann Gabs zu schreiben.

»Vertrau mir«, sagte sie. »Man nennt diese Methode die ›Einweg-Verschlüsselung‹. Im Zweiten Weltkrieg wurde sie von Spezialeinheiten benutzt und jede sensible Militäreinheit wird auf die eine oder andere Weise darin ausgebildet. Es wurde mathematisch bewiesen, dass er nicht zu knacken ist, vorausgesetzt, er wird korrekt angewendet.«

Sie schrieb noch kurz weiter und reichte Zak dann das Blatt. Oben hatte sie das Alphabet aufgeschrieben, darunter je eine Zahl.

A

B

C

D

E

F

G

H

I

J

K

L

M

N

O

P

Q

R

S

0

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

11

12

13

14

15

16

17

18

T

U

V

W

X

Y

Z

19

20

21

22

23

24

25

Darunter hatte sie eine scheinbar beliebige Buchstabenkombination geschrieben:

J E H F Y J D

»Jede Zahl stellt einen Buchstaben dar, klar?«

Zak nickte.

»Die Buchstaben darunter – die Zeile, die mit J beginnt, ist der Schlüssel. Er muss ebenso lang sein wie die Nachricht, die du schicken willst, oder länger. Diesen Schlüssel braucht derjenige, der die Nachricht schreibt, und der, der sie entschlüsselt. Sagen wir, du willst einen Befehl zum Angriff geben. Zunächst schreibst du die Nachricht direkt unter den Code.«

J E H F Y J D

A N G R I F F

»Dann ersetzt du beide Buchstabenreihen durch die jeweiligen Ziffern und addierst die untereinander stehenden Zahlen. Wenn die Summe größer ist als fünfundzwanzig, fängst du bei null wieder an. Siehst du? Der fünfte Buchstabe besteht aus vierundzwanzig plus acht, das wäre zweiunddreißig. Das macht fünfundzwanzig plus die Null plus sechs. Die dekodierte Zahl, die man in einen Buchstaben verwandelt, wäre also eine sechs.«

J

E

H

F

Y

J

D

9

4

7

5

24

9

3

A

N

G

R

I

F

F

0

13

6

17

8

5

5

9

17

13

22

6

14

8

»Diese Zahlen überträgst du dann wieder in Buchstaben.«

Gabs schrieb die Buchstaben auf.

J

R

N

W

G

O

I

»Mit dem zufälligen Schlüsselwort JEHFYJD wird das Wort Angriff zu JRNWGOI. Um es zu entschlüsseln, muss man den Prozess nur umkehren. Du musst den Code und die verschlüsselte Nachricht in Zahlen umwandeln und die Codezahl von der Nachrichtenzahl abziehen. Vergiss nicht, die Null mit einzurechnen, wenn die obere Zahl um fünfundzwanzig erhöht werden muss. Sehen wir uns noch einmal die fünfte Zahl an. Sechs minus vierundzwanzig. Füg fünfundzwanzig und die Null hinzu – insgesamt sechsundzwanzig Ziffern – und zähle sie zu den sechs dazu, dann hast du zweiunddreißig minus vierundzwanzig, also acht: I. Verstanden?«

Zak starrte die Zahlen und Buchstaben auf dem Blatt an. Es schien viel zu einfach, um nicht zu knacken zu sein.

Gabs schien seine Gedanken zu lesen.

»Die meisten buchstabenbasierten Codes können geknackt werden, weil wir wissen, wie häufig bestimmte Buchstaben in unserer Sprache vorkommen. Das Gute an den Einmalschlüsseln ist, dass der gleiche Buchstabe bei der Verschlüsselung unterschiedlich aussehen kann. Siehst du, im Wort ANGRIFF kommen zwei Fs vor – das erste wird zu einem O, das zweite zu einem I.« Gabs Augen funkelten. »Ich habe mal einem Jungen versprochen, mit ihm auszugehen, wenn er eine Nachricht entschlüsselt, die ich mit einem Einmalcode geschrieben hatte. Er hielt sich für oberschlau, weißt du? Es war natürlich ein wenig unfair, weil es schließlich unmöglich war, aber ich mochte ihn auch nicht wirklich.«

Sie zwinkerte Zak zu.

»Also«, fuhr sie fort, »das schlagende Argument für die Einmalcodierung ist, dass jeder Buchstabe in jeden anderen verwandelt werden kann. Dadurch wird es dem Feind unmöglich, zu erraten, was du sagen willst. Versuch doch mal, unser Codewort für ANGRIFF – JRNWGOI – mit diesem Schlüssel zu entziffern.«

Gabs gab ihm ein Blatt mit den Buchstaben: KXWCCMY.

Sorgfältig entschlüsselte Zak den Originalcode mit dem neuen Schlüssel. Zu seiner Überraschung erhielt er nun eine völlig andere Meldung: ZURUECK.

Gabs musste über seine Verwunderung lächeln.

»Es ist natürlich nicht perfekt«, meinte sie. »Man kann den Schlüssel nur ein Mal benutzen, und da es eine lange, zufällige Buchstabenreihe sein muss, kann man ihn sich unmöglich merken. Deshalb müssen ihn sich beide aufschreiben. Aber solange der Schlüssel nicht in Feindeshand fällt, ist die Einmalverschlüsselung absolut sicher.«

Zak brauchte einen Moment, um das alles zu verarbeiten, dann grinste er Gabs an. »Schick.«

»Der Einmalcode ist nicht zu knacken, aber schwierig anzuwenden. Es gibt noch weitere ähnliche Methoden, die wir dir beibringen werden, bei denen ein wenig Sicherheit zugunsten der besseren Handhabung geopfert wird. Aber wichtig ist nur eines: Lass dich von der Technologie nicht so verblenden, dass du vergisst, dass es auch einfachere Methoden gibt. Manchmal sind das die besten.«

»Und es ist ernüchternd«, fügte Raf hinzu, »dass vielleicht nicht nur Coventry gefallen wäre, sondern ganz England, wenn die Deutschen statt der Enigma Einmalcodes benutzt hätten.«

»In der Tat, ernüchternd«, verkündete eine neue Stimme.

Zak sah sich erschrocken um. Die neue Stimme war körperlos und schien im Raum etwas zu hallen.

»Ich freue mich, dass Gabriella und Raphael deinen Geschichtsunterricht nicht vernachlässigen. Die Vergangenheit kann uns viel über die Zukunft lehren, Zak. Wir sind in einer privilegierten Position, wenn wir aus den Fehlern anderer lernen können. Übrigens, das ist eine hübsche Haarspange, Gabriella.«

Zak stellte fest, dass die Stimme aus den runden Lautsprechern in der Decke kam, und erkannte sie als die von Michael, dem mysteriösen alten Mann, der ihn rekrutiert hatte und der die Missionen leitete, auf die er geschickt wurde. Er merkte, wie Rafs und Gabs’ Körper sich anspannten. Gabs stand auf, ging zur Tür und legte einen Schalter an der Wand um. In der Decke klappte eine Luke herunter, die Zak noch nie aufgefallen war, und leise schob sich eine Leinwand vor die Eichenvertäfelung gegenüber der Fenster, auf der das Bild von Michael erschien. Er saß an einem nackten Glastisch vor einer kahlen beigen Wand, die keinerlei Hinweis darauf gab, wo er sich aufhielt. Zak hatte keine Ahnung, wohin sein Betreuer ging, wenn er nicht auf St. Peter’s Crag war. Doch er war sich ziemlich sicher, dass Michael das ganz recht war.

»Kommst du mit deinen Übungen gut voran?«, erkundigte sich Michael.

Zak nickte.

Wenn Michael merkte, dass er stiller war als sonst, erwähnte er es nicht. Er lächelte nur, bevor er sagte: »Dürfte ich euch bitten, den Fernseher einzuschalten?«

Es hörte sich zwar an wie eine höfliche Bitte, war aber natürlich keine.

Der Fernseher stand in einer der Zimmerecken. Er wurde fast nie benutzt, aber jetzt ging Raf hinüber, drückte auf einen Knopf an der Seite und ließ den Bildschirm aufflackern. Die nächsten paar Minuten hörte man nur den Fernseher, der sie alle verstummen ließ.

»Wir befinden uns am Ort der entsetzlichen Explosion in der U-Bahn-Station Pimlico.« Die junge Nachrichtensprecherin sah ein wenig verschreckt aus und wirkte kurzatmig. »Immer noch versuchen die Rettungskräfte, zum Bahnsteig vorzudringen, wo wohl heute Morgen kurz vor sechs Uhr bei der Einfahrt des ersten Zuges eine Explosion ausgelöst wurde. Bislang konnte man noch keinen Kontakt zum Fahrer des Zuges oder zu Passagieren herstellen, doch es ist unwahrscheinlich, dass es Überlebende gibt.«

Die Kamera schwenkte über eine chaotische Szenerie hinweg. Der ganze Bereich war abgesperrt und unzählige Rettungsfahrzeuge waren zu sehen. Finster dreinblickende Männer mit gelben Helmen verschwanden in der Unterführung zur Station. Darum herum hatte sich eine große Anzahl nervös wirkender Menschen versammelt, von denen einige weinten.

»Meine Informationen sind ein wenig genauer als die unserer reizenden Berichterstatterin«, erklärte Michael. »Ich glaube, wir haben genug gesehen, Raf.«

Raf schaltete den Fernseher aus und sie sahen alle erneut auf die Leinwand mit Michaels Gesicht.

»Meine Quellen berichten, dass die Ankunft des ersten Zuges der Victoria Line in Pimlico die Sprengung von circa fünfundzwanzig Kilo C4-Sprengstoff ausgelöst hat.«

Gabs stieß einen leisen Pfiff aus.

»Genau das dachte ich auch, Gabriella. Wenn es Überlebende geben sollte, wäre das ein Wunder.«

Der Bildschirm flackerte. Michael verschwand und sein Bild wurde durch eine grobkörnige Aufnahme ersetzt. Zak erkannte nach einem Moment die Bilder der Überwachungskamera aus der Station Pimlico. Die Zeitleiste am unteren Bildschirmrand sagte ihm, dass diese Aufnahmen von 02:31 Uhr stammten. Der Bahnsteig war leer.

Dann wackelte das Bild. Sofort bemerkte Zak, dass die Zeitangabe jetzt 01:45 Uhr zeigte.

»He, was ist da passiert?«

»Der älteste Trick der Welt«, meinte Gabs leise. »Man nimmt irgendwelche unauffälligen Überwachungsbilder auf und legt sie über die Live-Aufnahmen, wenn man selbst unsichtbar bleiben will. Die Chancen, dass es jemandem auffällt, sind minimal.« Etwas lauter wandte sie sich an Michael: »Ich gehe mal davon aus, dass der Sprengsatz in diesem Fall zwischen viertel vor zwei und halb drei gelegt wurde. Fünfundvierzig Minuten sind nicht viel für so einen Job. Wer das getan hat, kannte sich wirklich gut aus.«

»Genau, was ich auch denke«, erwiderte Michael. »Aber es gibt noch mehr. Wir haben ungefähr fünf Stunden vor der Explosion einen anonymen Hinweis bekommen, dass das passieren würde.«

»Von wem?«, fragte Raf.

Wieder wechselte das Bild auf der Leinwand und zeigte diesmal das Foto eines Jungen in etwa Zaks Alter. Er hatte ein schmales Gesicht, fettiges braunes Haar und einen hervorstehenden Adamsapfel. Die Gläser seiner braun eingefassten Brille waren so stark, dass sie seine Augen leicht verzerrten. Auf der Oberlippe trug er einen leichten Flaum – er müsste sich mal rasieren, hatte es aber offensichtlich noch nie getan. Er wirkte nicht wie jemand, mit dem man gern viel Zeit verbringen würde.

»Darf ich vorstellen: Malcolm Mann«, erklärte Michael. »Manny für seine Freunde, obwohl ich mir habe sagen lassen, dass er davon nicht viele hat. Auf jeden Fall nicht an seinem derzeitigen Aufenthaltsort – in der geschlossenen Anstalt Harrington Secure Hospital in Süd-London.«

Michael tauchte wieder auf der Leinwand auf.

»Der kleine Malcolm ist ein bemerkenswertes Individuum«, stellte er fest und hüstelte entschuldigend. »Wesentlich bemerkenswerter, als er aussieht. Vor sechs Wochen hackte er sich an einem einzigen Tag erfolgreich in die sichersten Intranet-Abteilungen der CIA, des Pentagons und des Verteidigungsministeriums. Er tat es auf diskrete Art und Weise – so diskret, dass es niemand zu ihm hätte zurückverfolgen können, hätte er in seinem persönlichen Blog nicht damit angegeben. Natürlich sind mittlerweile alle Hinweise auf seine Tat entfernt worden und fallen unter das Geheimhaltungsgesetz – also keine Presseberichte. Alles andere wäre für die Sicherheit unserer beider Nationen äußerst schädlich gewesen.«

»Warum brüstet er sich denn mit so etwas online?«, wunderte sich Zak.

»Wenn du willst, kannst du die psychiatrischen Gutachten lesen. Im Prinzip läuft es darauf hinaus, dass er anders ist als die meisten Menschen. Anders, aber brillant. Menschlich unangenehm, aber mit einem Gehirn wie ein Computer. Unglaubliche analytische Fähigkeiten – erkennt Muster, wo kein anderer welche sieht. Doch unsere amerikanischen Kollegen hätten gern seinen Kopf auf einem Tablett. Sie möchten an ihm ein Exempel statuieren und ihn für die Verletzung ihrer Sicherheit vor Gericht bringen. Das ist natürlich ziemlich dumm. Wenn ich sie wäre, würde ich ihm einen Job anbieten.« Er sah nachdenklich drein und fügte hinzu: »Eigentlich könnte ich das tatsächlich machen.«

Zak ignorierte diese Bemerkung. Er versuchte immer noch, zu verstehen, was Michael gesagt hatte.

»Ist er denn verrückt?«, wollte er wissen.

»Nein«, antwortete Michael. »Ungewöhnlich, aber nicht labil.«

»Was macht er dann in einer geschlossenen Anstalt?«

»Die britische Regierung hat ihn aufgrund des Gesetzes zum Schutz psychisch Kranker festgesetzt. Das ist eigentlich eine ganz gute Idee, wenn man bedenkt, von wem sie stammt. Solange er als geisteskrank betrachtet wird, können sie sich weigern, ihn auszuliefern. Malcom sieht das allerdings anders. Er weiß den Wert seiner Situation nicht zu schätzen und glaubt, dass die Behörden ihn tatsächlich für geisteskrank halten.«

Zak starrte seinen Betreuer an. »Das ist ja schrecklich«, fand er.

Michael zog eine Augenbraue hoch. »Wirklich? Dort, wo er jetzt ist, ist er sicher, und man hat ihn unter Kontrolle. Glaubst du wirklich, dass er in einem Bundesgefängnis besser dran wäre – wenn er die Auslieferung an die Amerikaner überhaupt überleben würde? Oder in den Händen der Chinesen?«

»Der Chinesen?«

»Sicher. Ein Computerhacker, der in der Lage ist, die größten Geheimnisse des amerikanischen Geheimdienstes zu knacken, wäre doch ein lohnendes Ziel, oder? Wir wissen mit Sicherheit, dass die Chinesen an Malcolm Mann interessiert sind. Die Iraner übrigens auch. Glaub mir, er weiß gar nicht, in welcher Gefahr er schwebt und dass Harrington im Augenblick der sicherste Ort für ihn ist. Natürlich ist das keine reine Menschenfreundlichkeit von unserer Seite. Im MI6 gibt es gewisse Abteilungen, die alles dafür geben würden, Malcolms technische Fähigkeiten zu besitzen. Dieser Junge ist verrückt nach Rätseln. Wenn er nicht an einen Computer rankommt, macht er alles andere – Sudoku, Kreuzworträtsel, Logikrätsel … Aber jetzt hat man ihm einen Computer mit Internetverbindung gegeben, weil wir hofften, seine Tastenanschläge aufzeichnen zu können. Er hat allerdings einen Weg gefunden, das zu umgehen, und wir sind, was seine Methoden angeht, genauso schlau wie zuvor.

Die Amerikaner haben rund um das Gebäude Agenten postiert. Wir wissen, dass sie da sind; sie wissen, dass wir es wissen. Bislang waren sie nicht so kühn, eine Entführung zu versuchen. Aber wenn wir ihn verlegen, werden sie davon erfahren. Das würde einen diplomatischen Zwischenfall auslösen und die Politiker auf den Plan rufen. Und das will niemand.«