Agent 21 - Im Zeichen des Todes - Chris Ryan - E-Book
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Agent 21 - Im Zeichen des Todes E-Book

Chris Ryan

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Beschreibung

Ein Auftrag, der ihn das Leben kosten kann

Als der 14-jährige Zak seine Eltern unter ungeklärten Umständen verliert, weiß er noch nicht, wie sehr das sein Leben verändern wird. Ein seltsamer Mann taucht plötzlich auf und bietet dem Jungen eine neue Existenz an: Aus Zak wird AGENT 21. Er weiß nicht, was mit Nr. 1-20 passiert ist, doch am Ende seiner Mission soll er erfahren, was es mit dem Tod seiner Eltern auf sich hat. Zaks erster hochriskanter Auftrag führt ihn nach Mexico. Er soll sich mit dem Sohn des skrupellosen Drogenbosses Martinez anfreunden – um so an Informationen über eines der mächtigsten Kokainkartelle weltweit zu kommen. Alles läuft wie geplant, bis Martinez’ Häscher Calaca Verdacht schöpft ...

"Agent 21" ist eine actiongeladene, packende Agenten-Thriller-Reihe mit exotischen Settings und hochbrisanten Einsätzen. Chris Ryan fesselt seine Leser mit technischer Detailgenauigkeit und irrwitziger Action.

Alle Bände der »Agent 21«-Reihe:
Agent 21 - Im Zeichen des Todes (Band 1)
Agent 21 - Reloaded (Band 2)
Agent 21 - Codebreaker (Band 3)
Agent 21 - Survival (Band 4)
Agent 21 - Dead End (Band 5)

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Seitenzahl: 364

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DER AUTOR

© Sam Barker

Chris Ryan wurde1961in Newcastle, England, geboren. Zehn Jahre lang war er für die SAS, die britische Eliteeinsatztruppe, tätig. Er war an verschiedenen militärischen und verdeckten Operationen beteiligt und Leiter einesAnti-Terror-Teams. In den letzten Jahren verfasste er mehrereActionthriller, die sofort Einzug in die Bestsellerlisten hielten.AGENT21ist sein erster Jugendbuch-Thriller.

Chris Ryan

Agent 21

IMZEICHENDESTODES

Aus dem Englischen von Tanja Ohlsen

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen. Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

© Chris Ryan 2011

Die englische Originalausgabe erschien 2011 unter dem Titel »AGENT 21« bei Doubleday, an imprint of Random House Children’s Books. London.

© 2012 der deutschsprachigen Ausgabe bei cbt/ cbj Verlag, München

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,Neumarkter Str. 28, 81673 München.

Übersetzung: Tanja Ohlsen

Lektorat: Luitgard Distel

Umschlaggestaltung: init.büro für gestaltung, Bielefeld, unter Verwendung des Originalumschlags

Cover illustrations © The Random House Group Ltd

im · Herstellung: kw

Satz: ∙Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

ISBN 978-3-641-08184-3 V003

www.cbj-verlag.de

Prolog

Sie brauchten nicht lange, um zu sterben. Es dauert nie lange. Nicht wenn man es richtig macht.

Al und Janet Darke hatten sich auf ihren Urlaub gefreut. Vielleicht wäre Lagos in Nigeria nicht unbedingt ihre erste Wahl gewesen, aber da die Universität, an der sie arbeiteten, ihnen die Reise zu einer internationalen Klimakonferenz bezahlte, wollten sie die Gelegenheit nutzen und sich danach noch ein wenig das Land ansehen.

Sie waren ein ruhiges Paar, das lieber für sich blieb. Als sie mit dem Taxi vom Flughafen in die geschäftige, laute, dreckige Stadt Lagos fuhren, waren sie beide etwas eingeschüchtert. Stoßstange an Stoßstange standen die Autos im Stau und vor lauter Abgasen bekamen die Darkes kaum Luft. Einige der Häuser, an denen sie vorbeikamen, sahen recht beeindruckend aus, während andere lediglich aus Wellblech zusammengezimmert waren. Und überall waren Tausende von Menschen unterwegs. Dagegen wirkte die Oxford Street zu Weihnachten wie eine einsame Insel.

Als sie in ihrem Hotel ankamen – einem noblen Hotel Intercontinental mitten in der Innenstadt –, verkrochen sie sich eine Weile auf ihrem Zimmer, um sich an die Hitze zu gewöhnen und daran, an einem fremden Ort zu sein. Sie gönnten sich eine Dusche und etwas zu essen.

»Zak würde es hier gefallen«, sagte Janet, als sie auf dem Balkon standen und auf das Chaos hinunterblickten.

»Wenn Zak hier wäre«, erwiderte Al, »dann wäre er schon da draußen unterwegs, um alles auszukundschaften. Du kennst ihn doch.«

Janet lächelte. Ja, sie kannte ihn.

Es fühlte sich seltsam an, dass sie ohne ihren Sohn gefahren waren.Aber es war der 22.April, und die Schule hatte gerade erst wieder angefangen, sodass sie kaum eine andereWahl gehabt hatten. Dabei hätten Zak ein paarWochen weniger Schule wohl kaum geschadet. Er war ein kluger Junge. Geschickt und clever. Er war ein Junge, der auf sich selbst aufpassen konnte. Und anscheinend hatte es ihm nichts ausgemacht, bei Janets Schwester und ihrer Familie zu bleiben.Vivian und Godfrey waren vielleicht etwas streng, aber mit seiner Cousine Ellie kam Zak gut aus. Seine Eltern waren überzeugt, dass er sich wohlfühlen würde.

Etwa um sieben Uhr abends ging die Sonne unter – ein blutroter Ball, der Lagos mit seiner Glut überzog, bevor es in Dunkelheit getaucht wurde. Al und Janet zogen sich zum Essen um und machten sich bereit, die anderen Konferenzteilnehmer kennenzulernen, die aus aller Herren Länder angereist waren. Sie würden niemanden kennen, auch keinen der elf weiteren Briten – daher waren sie froh, einander zu haben.

Der Speisesaal war grandios. Bei seinem Anblick hätte man niemals vermutet, dass sich weniger als zwei Kilometer entfernt einer der elendsten Slums der Welt befand, in dem die Menschen so arm waren, dass sie die Straße als Klo benutzen mussten. Hier gab es gestärkte weiße Tischdecken, Mineralwasser in Flaschen und Körbchen mit verlockend frisch gebackenen Brötchen. An fünf großen runden Tischen waren je zehn Plätze gedeckt und neben dem Eingang hing ein Sitzplan aus. Als Janet und Al ihn sich ansahen, stellten sie erleichtert fest, dass sie nebeneinandersaßen. Zu Janets rechter Seite saß ein Professor aus Helsinki, an Als linker ein amerikanischer Journalist. Sie nahmen sich ein Glas Wein von einem Tablett, das ein elegant gekleideter Kellner ihnen anbot, und gingen dann zu ihren Plätzen.

Der finnische Professor machte einen verschrobenen Eindruck. Er hatte einen Glatzkopf, aber einen weißen Rauschebart. Er saß bereits, sprang aber auf, als sie sich näherten und er Janet erblickte. »Erlauben Sie«, sagte er und zog ihr den Stuhl zurecht. »Mein Name ist Jenssen. Freut mich, Sie kennenzulernen … Dr. Darke«, fügte er nach einem Blick auf Janets Tischkarte hinzu.

»Ganz meinerseits, Professor Jenssen«, erwiderte Janet lächelnd.

Der amerikanische Journalist kam erst, als alle anderen schon saßen und die Kellner bereits begonnen hatten, die Vorspeise zu servieren. Er war unglaublich dick und der Schweiß lief ihm in Strömen übers Gesicht.

»Afrika«, stöhnte er, als er sich auf seinen Stuhl fallen ließ. »Jedes Mal schwöre ich mir, nie wieder herzukommen. Vielleicht sollte ich ein wenig mehr auf mich hören.«

Vielleicht, dachte Al Darke, doch das sagte er nicht laut. Stattdessen bedankte er sich bei dem Kellner, der gerade einen Teller vor ihm abgestellt hatte. Wie ein Fächer breiteten sich bunte Obstscheiben darauf aus und eine Art Dressing war darübergeträufelt.

»Das sieht köstlich aus«, stellte er fest.

»Ich gebe Ihnen drei Tage«, meinte der Journalist, »dann betteln Sie um einen Cheeseburger.« Dennoch langte er kräftig zu, wie Al belustigt feststellte.

Al selbst hatte seine Vorspeise zur Hälfte gegessen, als er plötzlich bemerkte, dass ihm die Nase lief. Verlegen griff er nach seiner Serviette. Als er sie sich vors Gesicht hielt, spürte er, wie seine Augen zu tränen begannen, und sein Blick trübte sich. Er drehte sich zu Janet. Auch ihre Augen waren feucht und ihre Pupillen so klein wie Stecknadelköpfe.

»Was ist …?«, begann Al, doch ein Hustenanfall schnürte ihm so den Brustkorb zu, dass er nach Luft ringen musste.

»Al …« Janet sah ihn ängstlich an.

Als Nächstes kam der Schmerz – ein schrecklicher, scharf stechender Schmerz hinter den Augen und in der Kehle. Al wurde schwindelig. Er sah sich im Saal um. Etwa die Hälfte der Gäste war aufgesprungen, und so, wie sie sich die Köpfe und Kehlen hielten, war es offensichtlich, dass sie an den gleichen Symptomen litten wie er. Am anderen Ende des Raums war jemand zusammengebrochen. Al sah die Kellner herumschwirren wie ein aufgeregter Bienenschwarm. Sie hatten genauso wenig eine Ahnung, was passierte, wie die Gäste.

Al sank auf seinem Stuhl zusammen. Er konnte nichts dagegen tun. Es war, als hätten seine Muskeln sich in Wackelpudding verwandelt, und er verlor jegliche Kontrolle über sie, selbst um zu atmen. Sein Blick fiel auf die halb gegessenen Früchte. Die leuchtenden Farben der Mangos und Papayas wirkten zehnmal kräftiger als zuvor und brannten sich in seine Netzhaut. Er wandte sich an seine Frau.

»Das Essen …«, sagte er.

Janet Darke hörte ihn nicht. Der Saal drehte sich um sie, und die Menschen darin schrien, aber sie konnte sich nur auf diese schreckliche Übelkeit konzentrieren. Sie wollte sich übergeben, aber selbst dazu fehlte ihr die Kraft.

Al und Janet waren nicht die Ersten, die starben. Der Professor aus Helsinki war bereits über dem Tisch zusammengebrochen, das Gesicht in dem halb leeren Obstteller, und der amerikanische Journalist wand sich am Boden. Doch sie wussten, dass es unvermeidlich war. Mit letzter Kraft streckten sie die Arme aus und verschränkten ihre Hände.

Als die nigerianische Polizei eine halbe Stunde später eintraf, mussten sie die Finger von Al und Janet Darke mit Gewalt voneinander lösen, bevor sie die Leichen wegbringen konnten.

Teil eins

Der Schatten

Sechs Monate später

»Darke!«

Kichern wurde im Klassenzimmer laut.

»DARKE!«

Zak sah auf. Er hatte aus dem Fenster gestarrt, wo die späte Nachmittagssonne den Sportplatz der Schule beleuchtete. Er hielt einen Stift in der Hand und drehte ihn gedankenverloren zwischen den Fingern.Auf seinem Tisch lag eine Leiterplatte mit Transistoren und Dioden, die an einen kleinen Lautsprecher angeschlossen war.

»Zachary Darke«, näselte sein Physiklehrer Mr Peters. Peters hatte unreine Haut, eine Brille mit eckigen Gläsern und einen grauenvollen Geschmack, was Kleidung anging. Er war erst seit knapp sechs Wochen Lehrer an der Camden Highschool im Norden von London, aber er hatte es in dieser Zeit geschafft, sich bei fast jedermann unbeliebt zu machen. »Du hast noch zehn Minuten, um mit deiner Aufgabe fertig zu werden. Ich denke nicht, dass es dir dabei viel helfen wird, aus dem Fenster zu starren …«

Lärm unterbrach ihn. Zak hatte einen Schalter betätigt und Lady Gagas »Just Dance« erfüllte den Raum. Schließlich hatte der Physiklehrer ihnen aufgetragen, ein Transistorradio zu bauen.

Peters war ein absoluter Albtraum. Er liebte es, seiner Klasse quasi unlösbare Aufgaben zu stellen und dann zuzusehen, wie sie sich damit abmühten und es doch nicht schafften. Alle bis auf Zak. Er war ziemlich gut in solchen Dingen, doch selbst das schien Peters nicht zu beeindrucken. Auch die Witzbolde in der letzten Reihe, die das Lied mitsangen, beeindruckten ihn nicht. Sein pockennarbiger Hals wurde ganz rot.

»Mach das aus, Junge.«

»Ja, Sir«, antwortete Zak. Dann starrte er wieder aus dem Fenster.

Mr Peters trat an Zaks Tisch. Der Junge war im letzten Jahr gewachsen. Er war mittlerweile sogar größer als einige der Lehrer. Das hieß, dass manche von ihnen – so wie Peters – meinten, sich aufplustern zu müssen, wenn sie mit ihm sprachen.

»Angeberei ist kein schöner Wesenszug, Darke«, sagte Peters.

»Ich habe nicht angegeben, Sir. Ich habe nur …«

»Ruhe! Ich will kein Wort mehr von dir hören!«

»Ja, Sir«, antwortete Zak und widmete sich wieder seinen Gedanken.

Und es gab eine Menge Gedanken, denen er nachhängen konnte.

Als die Polizei vor sechs Monaten bei seinem Onkel und seiner Tante aufgetaucht war, um ihm mitzuteilen, was mit seinen Eltern geschehen war, hatten sie gesagt, es sei eine Lebensmittelvergiftung gewesen. Ein akuter Fall, ein schrecklicher Unfall. Es hatte an diesem Abend jeden im Speisesaal getroffen. Fünfzig Menschen. Eine Zeit lang hatte Zak ihnen geglaubt. Warum auch nicht? Es war in den Nachrichten gekommen, und er war viel zu geschockt und traurig gewesen, um weiter darüber nachzudenken.

Doch als die Zeit verstrich und die nigerianischen Behörden sich weigerten, die Leichen seiner Eltern zur Bestattung freizugeben, war Zak misstrauisch geworden. Wenn es nur eine Lebensmittelvergiftung war, warum dann diese Verzögerung? Warum konnten sie seine Mutter und seinen Vater nicht einfach zurückschicken, damit sie eine anständige Beerdigung bekamen? Und welches Gift war so stark, dass es fünfzig Leute auf einmal tötete? Zak hatte im Internet recherchiert. Es gab Botulismus; E. coli vielleicht. Aber Mum und Dad waren gesund gewesen. Von diesen Bakterien wäre ihnen vielleicht furchtbar schlecht geworden, aber wären sie daran gestorben? Und alle anderen, die mit ihnen aßen, ebenfalls? Unwahrscheinlich.

Nach der Schule ging er mit seiner Cousine Ellie nach Hause. Sie war eine Klasse über ihm, aber sie verstanden sich gut. Zusammen nach Hause zu gehen, war trotzdem etwas Neues. Normalerweise fuhr Zak überall mit dem Skateboard hin, das ihm seine Eltern zu seinem dreizehnten Geburtstag geschenkt hatten. Im Augenblick war ihm jedoch nicht danach, es zu benutzen, daher ging er lieber zu Fuß.

Ellie plauderte los, wie sie es immer tat. Seine Cousine war ein hochgewachsenes hübsches Mädchen mit langen honigfarbenen Haaren und einem offenen, freundlichen Gesicht, das den meisten Menschen auf Anhieb sympathisch war. Zak hörte sie wohl, aber er hörte ihr nicht wirklich zu. Etwas anderes hatte seine Aufmerksamkeit erregt.

Seit zwei Wochen, vielleicht auch drei, hatte Zak ein ganz merkwürdiges Gefühl. Mehr als einmal hatte er geglaubt, er würde verrückt. Er wusste, dass ihm nicht wirklich jemand folgte, aber es passierte fast jeden Tag – manchmal sogar zweimal am Tag: Er ging die Straße entlang, kaufte etwas in einem Laden oder tat sonst irgendetwas und hatte dieses vertraute unangenehme Gefühl. Ein Brennen im Nacken. Ein Kribbeln.

Zuerst hatte er sich umgedreht. Aber er hatte nie jemanden gesehen. Oder er hatte jede Menge Leute gesehen, die vorbeigingen oder einfach umherliefen. Nach einer Weile gab er es auf, sich umzudrehen. Stattdessen versuchte er beim Gehen seine Umgebung aus den Augenwinkeln im Blick zu behalten. Damit hatte er mehr Erfolg. Gelegentlich hatte er es gespürt, dass jemand auf der anderen Straßenseite ging oder am Schultor stand. Doch immer, wenn er direkt hinsah, war die Person weg. Es war, als hätten sie einen sechsten Sinn … auch wenn Zak der gesunde Menschenverstand sagte, dass das unmöglich war.

Dieses vertraute Gefühl hatte er auch jetzt. Sie gingen die Camden Road entlang. Der Feierabendverkehr setzte gerade ein und auf den Gehwegen wimmelte es von Schulkindern. Doch da war noch etwas – ein dunkler Schatten am Rand seines Gesichtsfeldes, der auf der gegenüberliegenden Straßenseite in die gleiche Richtung unterwegs war.

Zak sah starr geradeaus und lauschte jetzt Ellies Worten.

»… und dann habe ich ihr gesagt, dass ich auf keinen Fall gehe, wenn …«

»Ellie, sch!«

Sie sah ihn an. »Du bist ganz schön unhöflich!«

»Tut mir leid. Aber siehst du die Abzweigung da rechts vor uns?«

Ellie blickte auf, um zu sehen, was er meinte. Etwa fünfzehn Meter vor ihnen ging es in eine schmale gepflasterte Seitenstraße. »Jasmine Mews?«

»Wenn wir dort sind, biegen wir ein, rennen wie der Teufel bis ans Ende und verstecken uns.«

»Warum?«, wollte Ellie wissen. »Was ist los, Zak?«

»Nur so zum Spaß«, sagte Zak. »Ich möchte jemandem einen Streich spielen. Machst du mit?«

Ellie zuckte mit den Achseln. »Na gut«, meinte sie.

Sie gingen normal weiter. Als sie die Abzweigung erreichten, bogen sie scharf ab, und sobald sie von der Hauptstraße nicht mehr zu sehen waren, rannten sie die Pflasterstraße entlang.

Nur wenige Autos parkten hier vor den kleinen, cottageähnlichen Häusern. Am Ende der Straße trafen sie auf eine weitere Gasse, in die sie links einbogen und außer Atem stehen blieben. Zak presste das Gesicht an die Mauer und spähte um die Ecke.

Er sah einen Mann. Aus der Entfernung konnte er ihn nicht genau erkennen, aber er war ziemlich groß, vielleicht um die sechzig, braun gebrannt und hatte zottelige schulterlange Haare. Der Mann blieb gerade so lange am anderen Ende der Gasse stehen, bis er erkannt hatte, dass sie leer war. Dann drehte er sich schnell um und ging weg.

Zak spürte, wie Ellie ihm auf die Schulter tippte. »Und, was siehst du?«, flüsterte sie.

»Ich weiß es nicht«, gab Zak zurück, und seine Stimme schien wie aus weiter Ferne zu kommen. »Ich weiß es wirklich nicht.«

Der nächste Tag war ein Samstag. Zak wachte früh auf. Das passierte ihm zurzeit immer. Seit dem Tod seiner Eltern schlief er schlecht.

Er zog sich an und ging nach unten.

Zu seiner Überraschung war seine Tante bereits auf. Sie stand mit einem Haarnetz und einer Zigarette in der Hand in der kleinen Küche und setzte Wasser auf. Sie sah über die Schulter, erkannte Zak und wandte sich wieder ihrem Tee zu. Kein »Guten Morgen«. Nichts. Achselzuckend ging er zur Treppe zurück.

Sein Onkel und seine Tante – Vivian und Godfrey Lewis – wollten ihn nicht hier haben und sie scheuten sich keineswegs, ihn das spüren zu lassen. Nachdem seine Eltern in Nigeria gestorben waren, hatten sie sich bereit erklärt, ihn aufzunehmen. Er hatte die Wahl zwischen ihnen gehabt und seinem anderen Cousin Ben, der in Macclesfield wohnte. Aber Zak wollte eigentlich nicht nach Norden ziehen, und Ben hatte die Angewohnheit, in alle möglichen Schwierigkeiten zu geraten. Also blieb er bei Vivian und Godfrey, und es verging kein Tag, an dem sie ihm nicht auf die eine oder andere Weise zeigten, dass er in dem kleinen Reihenhaus Nr. 63 im Acacia Drive nicht wirklich willkommen war.

»Zak!« Seine Tante war unten an die Treppe getreten.

Er wandte sich zu ihr um.

»Wir fahren mit Ellie heute weg. Erst zum Mittagessen und dann ins Kino. Es macht dir doch nichts aus, oder?«

Zak versuchte, nicht enttäuscht dreinzusehen. »Nee«, meinte er, »schon in Ordnung, Tante Vivian.« Dann stieg er weiter die Treppe hinauf.

Ellie stand noch im Pyjama in ihrer Zimmertür. Offensichtlich hatte sie ihre Mum gehört, denn als Zak vorbeiging, hauchte sie ihm ein »Tut mir leid!« zu.

Er lächelte ihr zu – es war schließlich nicht ihre Schuld – und ging weiter zu seinem Zimmer.

Jemand tippte ihm auf die Schulter. Ellie war ihm gefolgt, und als er sich umdrehte, umarmte sie ihn. »Ich wünschte, du könntest mitkommen«, sagte sie.

Zak lächelte. In Ellies Gegenwart fühlte er sich immer gleich besser. »Schon okay«, erwiderte er. »Amüsier dich, ja?«

Ellie und ihre Eltern gingen um halb zehn. Es wurde ruhig im Haus. Zak verbrachte einige Zeit am Familiencomputer – er hatte ein paar Plug-ins installiert, die seine Browserhistorie verbargen, nur für den Fall, dass er Ärger bekommen sollte, weil er ihn benutzte. Doch da draußen die Sonne schien und er sich eingesperrt fühlte, entschied er sich, einen Spaziergang zu machen.

Am Ende der Straße war eine Tankstelle und mit seinem letzten Kleingeld kaufte Zak sich eine Cola. Das wenige Geld, das seine Eltern besessen hatten, hatte er geerbt, aber es war in Treuhandfonds angelegt und sein Onkel und seine Tante waren nicht gerade großzügig – zumindest nicht, wenn es um Zak ging.

Er schlenderte durch den Park. Dort herrschte viel Betrieb – eine Menge jüngerer Kinder spielte Fußball oder tobte auf den Schaukeln herum. Ein paar Leute gingen mit ihren Hunden spazieren. Zak setzte sich etwas abseits im Halbschatten eines Baumes auf eine Holzbank. Langsam trank er seine Cola und sah zu, wie die Leute ihren Samstagmorgen genossen.

Zak wusste nicht, wie lange der Mann schon dort gestanden hatte, als er ihn bemerkte. Er stand etwa fünfzig Meter entfernt allein am Parkzaun und musterte Zak. Seine Haare reichten ihm bis auf die Schultern und sein sonnengebräuntes Gesicht war faltig. Es gab keinen Zweifel. Es war derselbe Mann, der ihm und Ellie am Tag zuvor gefolgt war.

Zak spürte, wie er die Coladose leicht quetschte. Zum einen wollte er am liebsten aufspringen und weglaufen, zum anderen wollte er sitzen bleiben und den Kerl niederstarren.

Zum anderen gewann.

Seine Haut begann zu kribbeln, als der Mann auf ihn zukam. Obwohl es heiß war, trug er einen dicken Mantel, in dessen Taschen er seine Hände vergraben hatte. Er sah Zak nicht direkt an, sondern blickte irgendwo anders hin, und als er sich neben ihm auf der Bank niederließ, schien er Zak kaum wahrzunehmen. Er nahm ein silbernes Etui aus der Tasche und zündete sich einen dünnen schwarzen Zigarillo an. Der süßliche Geruch von Kirschtabak erfüllte die Luft.

Zak machte auf cool. Er nahm erst einen Schluck Cola, dann sagte er: »Möchten Sie mir sagen, warum sie ›Verfolgen Sie den Jungen!‹ gespielt haben?«

»Es ist ein schöner Tag, Zak. Ein schöner Tag für einen Spaziergang.«

Zak versuchte, nicht allzu überrascht auszusehen, dass der Mann seinen Namen kannte.

»Sagen Sie mir, was sie von mir wollen, oder ich bin weg.«

Erst jetzt sah der Mann ihn direkt an. Er hatte durchdringende grüne Augen, die trotz seiner ledrigen braunen Haut und der langen grauen Haare recht jung wirkten. Und auch er sah leicht überrascht aus. »Es steht dir selbstverständlich frei, zu gehen, wann immer du willst, Zak.«

Es entstand eine Pause.

»Also? Warum?«, wollte Zak wissen.

»Warum was, Zak?«

»Warum sind Sie mir gefolgt?«

Der Mann lächelte. »Weil du mich interessierst, Zak. Das mit deinen Eltern tut mir übrigens sehr, sehr leid.«

»Sie scheinen eine Menge über mich zu wissen«, stellte Zak fest.

»Oh«, erwiderte der Mann, »das tue ich tatsächlich. Viel mehr, als du dir wohl vorstellen kannst. Übrigens herzlichen Glückwunsch zu deinem Erfolg gestern im Physikunterricht. Soweit ich weiß, warst du der Einzige, der es geschafft hat, ein Transistorradio zu basteln. In bestimmten Berufen sind gute elektrotechnische Kenntnisse sehr nützlich.«

Er zog eine Augenbraue hoch, als er das sagte, und Zak fühlte sich irgendwie unbehaglich. Er trank den Rest seiner Cola aus, zerdrückte die Dose und stand auf. »Ich gehe jetzt«, verkündete er. »Hören Sie auf, mir nachzulaufen, sonst rufe ich die Polizei und sage ihnen, ich hätte einen Stalker.«

Der alte Mann neigte den Kopf, als wollte er sagen: Das ist deine Entscheidung.

Zak erhob sich.

»Nur noch eines, Zak.« Die Stimme des Mannes ließ ihn innehalten, aber er drehte sich nicht um. »Wenn du den wahren Grund wissen möchtest, warum deine Eltern gestorben sind, dann werden wir uns wohl ein wenig länger unterhalten müssen.«

Zak sah sich nicht um. Er sagte nichts. Aber er ging auch nicht weiter.

»Ich werde morgen wieder hier sein«, fuhr der Mann fort. »Um halb zwölf. Denk darüber nach.«

Irgendwo im Park kreischten Kinder vorVergnügen. EineWolke verdeckte kurz die Sonne und zog dann weiter. Zak nahm alles wie in Zeitlupe wahr, während dieWorte des alten Mannes in seinem Kopf widerhallten.

Er drehte sich um.

Die Holzbank war leer. Und als er sich umschaute, um zu sehen, wohin der Fremde gegangen war, konnte er ihn nirgendwo entdecken.

Zwei Lektionen

Zaks Zimmer war winzig, sodass gerade ein Bett und ein Nachttisch, ein Wecker und ein gerahmtes Bild seiner Eltern hineinpasste. Er hatte keinen Schreibtisch, an dem er seine Schularbeiten machen konnte, und da er nicht am Küchentisch arbeiten durfte, musste er sie auf dem Boden liegend machen. Die Tapete war alt und geblümt – ein Muster, dass vielleicht einer Achtzigjährigen gefallen hätte.

Er schlief unruhig in dieser Nacht. Es war schwer, zu sagen, was ihn am meisten beschäftigte: dass der alte Mann ihm gefolgt war, dass er seinen Namen gekannt hatte oder dass er etwas bestätigt hatte, was Zak bereits die ganze Zeit vermutete – dass der Tod seiner Eltern nicht das war, was er schien. Mehr als einmal hatte er in den frühen Morgenstunden gedacht, dass er einfach verrückt geworden war. Er hatte mal etwas darüber gelesen: Wenn einem etwas wirklich Schlimmes passierte, begann man, sich Dinge einzubilden. Vielleicht war der alte Mann genau das – eine Fantasiegestalt. Eine Einbildung.

Aber tief in seinem Inneren wusste Zak, dass er nicht verrückt war. Er wusste, was er gesehen und gehört hatte. Er wusste aber auch, dass ihm – abgesehen von Ellie vielleicht – niemand glauben würde, und irgendetwas warnte ihn davor, sie in diese Sache mit hineinzuziehen.

Morgens, als es schon hell wurde, nickte er schließlich ein und erwachte mit einem Ruck, als es an seiner Tür klopfte. Sein Wecker zeigte 10 Uhr.

»Ja?«

Die Tür öffnete sich und Ellie erschien. »Kann ich reinkommen?«

»Klar«, erwiderte Zak und setzte sich auf.

Sie brachte ihm Toast und eine Tasse Tee. Zak wusste, dass sie wiedergutzumachen versuchte, dass ihre Eltern ihn gestern nicht mitgenommen hatten.

»Das musst du nicht machen«, sagte er.

»Weiß ich. Ich dachte nur, wir könnten heute vielleicht …?«

»Ich habe schon etwas vor«, unterbrach Zak sie.

Ellie wurde rot. »Okay«, sagte sie und stand auf.

»Ich bin aber nachmittags wieder da«, fuhr Zak fort. »Dann könnten wir ja etwas unternehmen.«

Ellies Blick wurde wärmer. Lächelnd flüsterte sie: »Gestern war es total langweilig. Ich dachte, das würde dich interessieren.« Sie verließ das Zimmer.

Zak zog sich an: Jeans, Turnschuhe und ein schwarzes Sweatshirt mit Kapuze. Normalerweise trug er einen Kapuzensweater, weil ihm der Stil gefiel. Heute war er froh, sein Gesicht verbergen zu können. Warum, wusste er selbst nicht.

Auf der Auffahrt vor dem Haus beugte sich Onkel Godfrey über die offene Motorhaube seines Ford Mondeo und inspizierte den Motor.

»Läuft er nicht?«, erkundigte sich Zak.

Sein Onkel blickte auf. »Mach dir mal keine Sorgen deswegen, Zachary. Ich kriege das schon hin.« Er schwang sich auf den Fahrersitz und drehte den Schlüssel im Zündschloss. Der Wagen hustete und spuckte und verstummte dann. Er versuchte es erneut – mit demselben Resultat.

Zak warf einen Blick auf den Motor. Er brauchte nur ein paar Sekunden, um herauszufinden, woran es lag, dass der Motor nicht ansprang – eine der Zündkerzen war locker. Hinter der aufgeklappten Motorhaube verborgen fasste Zak nach der Zündkerze und schraubte sie mit eineinhalb Drehungen wieder fest. Er zog gerade die Hand zurück, als sein Onkel erneut startete und der Motor schnurrend ansprang.

»Ich habe doch gesagt, ich kriege das hin«, stellte sein Onkel zufrieden fest, als er ausstieg. »Und du, steh hier nicht herum und glotze. Hast du denn nichts zu tun?«

Zak erlaubte sich ein kurzes Lächeln. »Doch«, sagte er und wischte sich im Weggehen die ölige Hand an der Jeans ab. »Doch, das habe ich.«

Er ging frühzeitig in den Park. Er war nicht sicher, warum, es schien ihm einfach richtig. Es war noch mehr los als am Tag zuvor – es war ein warmer, sonniger Sonntagmorgen. Er mied die Bank. Stattdessen ging er zu einer Baumgruppe etwa dreißig Meter weiter. Sie war nicht dicht, aber einer der Baumstämme war kräftig genug, sodass er sich dahinter verstecken und die Bank im Auge behalten konnte.

Er sah auf die Uhr. 11:21 Uhr. Keine Spur von dem Mann. Das Kreischen der spielenden Kinder auf den Schaukeln und Rutschen erfüllte die Luft. In den Bäumen sang ein Vogel, und er erkannte augenblicklich das Trillern eines Buchfinken, der in der Morgensonne sein Lied sang.

11:25 Uhr. Nichts. Zak wusste nicht, warum er nervös war. Der Kerl kam offensichtlich nicht. Es war dumm gewesen, überhaupt herzukommen.

Die Kinder spielten weiter.

11:30 Uhr. Auf die Bank setzten sich zwei Frauen mit Kinderwagen und unterhielten sich.

»Zak, du bist ein Idiot«, murmelte er, froh, dass er nicht direkt zu der Bank gegangen war, denn er hätte sich noch blöder gefühlt, wenn er jetzt dort ganz allein sitzen würde.

»Das würde ich nicht sagen.«

Zak wurde unbehaglich, als ihm der Geruch von Kirschtabak in die Nase stieg. Er wirbelte herum, und da stand er, etwa fünf Meter hinter ihm. Der Mann trug dieselbe Kleidung wie am Tag zuvor.

»Wie sind Sie hierhergekommen?«, fragte Zak. »Ich habe Sie nicht kommen hören.«

Der Mann schien nicht überrascht. »Das solltest du auch nicht.«

Zak wurde ärgerlich. »Warum sind Sie nicht zu der Bank gegangen, wie wir es ausgemacht hatten?«

Der Fremde hob eineAugenbraue.»Warum bist du es nicht?«, fragte er.Als Zak nicht antwortete, fuhr der Mann fort:»Du könntest das als deine erste Prüfung betrachten. Oder vielleicht auch als deine erste Lektion.Vertraue niemandem. Nach allem, was ich über dich erfahren habe, Zak, wäre ich ein wenig enttäuscht gewesen, wenn du ausgerechnet mir vertraut hättest. Jemandem, dessen Namen du nicht einmal kennst.«

»Ich gehe jetzt nach Hause«, erklärte Zak. »Ich habe genug von diesen Rätseln.«

Der Mann neigte den Kopf. »Das könntest du tun«, sagte er. »Nur dass das nicht wirklich dein Zuhause ist. Nicht wirklich.«

Zak blieb stehen. Ein kalter Schauer lief ihm bei den Worten des Mannes über den Rücken – nicht nur weil er so auch das über ihn wusste, sondern auch weil es die Wahrheit war.

»Möchtest du nicht meinen Namen wissen?«, sagte der Mann.

»Was für ein Spielchen spielen Sie?«

»Ich spiele nicht, Zak«, sagte der Fremde. »Erlaube mir, mich vorzustellen. Du kannst mich Michael nennen.«

Zak sah ihn an. »Was soll das bedeuten, ich kann Sie Michael nennen? Ist das Ihr Name oder nicht?«

Michael zog eine Augenbraue hoch. »Namen, Zak, sind wie Kleidungsstücke. Man kann sie leicht wechseln. Und nur weil jemand mehr als einen Namen hat, heißt das noch lange nicht, dass einer davon weniger echt ist. Ja, Michael ist mein richtiger Name. Zumindest einer davon.«

»Das ergibt keinen Sinn.«

»Jetzt vielleicht noch nicht. Aber wenn du für mich arbeitest, dann wird es das bald.«

Dieser verrückte alte Mann mit seinen Rätseln ging Zak allmählich auf die Nerven.

»Für Sie arbeiten?«, fragte er. »Wovon reden Sie? Ich stehe auf dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung. Sie wissen schon, ich bin erst dreizehn und so.«

Zum ersten Mal lächelte Michael. »Auf dem Arbeitsmarkt? Sehr gut. Sehr gut, Zak.« Er strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht und seine grünen Augen blitzten. Einen Augenblick lang sah er viel jünger aus. »Es wird mir ein Vergnügen sein, mit dir zu arbeiten. Mr Peters hat mir das schon prophezeit.«

»Wie bitte? Peters? Was hat der denn damit zu tun?«

»Eine ganze Menge, Zak. Mr Peters ist einer unserer fähigsten Leute und ein vorzüglicher Talentscout.« Sein Gesicht nahm einen besorgten Ausdruck an. »Du willst mich jetzt nicht auch nach seinem Namen fragen, oder?«

Zak dachte an seinen Physiklehrer – das zornige, verkniffene Gesicht, die fettige Haut, die schrecklichen Klamotten und seine nicht vorhandene Persönlichkeit. Dieser Mann war nur dazu fähig, Langeweile und Schikane zu verbreiten.

»Du scheinst überrascht, Zak. Es sollte dich lehren, dass nicht alle Menschen so sind, wie sie zu sein scheinen. Betrachte das als Lektion Nummer zwei, wenn du willst.«

»Ich habe in der Schule genug Lektionen zu lernen.«

»Natürlich«, erwiderte Michael. »Und den Berichten zufolge bist du ungewöhnlich gut darin. Aber diese Lektionen sind ziemlich beschränkt, findest du nicht auch? Deshalb haben wir Mr Peters eingeschleust. Er sollte herausfinden, wie du dich wohl machst, wenn wir dich in bestimmten Gebieten ausbilden, die Jungen in deinem Alter normalerweise nicht auf dem Stundenplan finden. Und es freut mich, sagen zu können, dass seine Berichte ausgesprochen positiv ausgefallen sind. Gehen wir ein Stück? Oder willst du wirklich verschwinden, ohne dir anzuhören, was ich dir zu sagen habe?«

Wieder trillerte der Buchfink aus den Bäumen.

»Gehen wir«, stimmte Zak zu.

Gemeinsam entfernten sie sich vom Spielplatz und spazierten durch den grünen Park.

»Ich will ganz offen zu dir sein«, begann Michael.

»Das wäre zur Abwechslung echt nett.« Bislang waren Sie so offen wie eine eingeschnappteAuster, dachte Zak.

»Ich arbeite für eine Regierungsbehörde. Für welche, brauchst du nicht zu wissen. Es würde dir auch nichts nützen, wenn ich es dir sage, weil du noch nie von ihr gehört hättest. Das hat kaum jemand. Selbst der Premierminister weiß nichts von uns. Wenn du dich also nach unserer Unterhaltung dafür entscheidest, nichts weiter mit uns zu tun haben zu wollen, rate ich dir, über alles zu schweigen, was ich dir erzählt habe. Über uns findet man nichts im Internet oder in den Zeitungen. Wenn du versuchst, die Leute davon zu überzeugen, dass es uns gibt, werden sie dich nur für verrückt halten.«

»Klingt eher, als seien Sie es, der verrückt ist.«

Michael schien ihn nicht zu hören – und wenn doch, ignorierte er Zaks Bemerkung und sprach einfach weiter.

»Bei uns bewirbt man sich nicht. Das geht nicht. Wir können ja schlecht Anzeigen in der Zeitung aufgeben. Wir müssen uns unser Personal suchen. Dafür haben wir Leute wie Mr Peters. Alle Schulen benötigen hin und wieder Aushilfslehrer, und das ist eine sehr nützliche Tarnung, um unsere Talentsucher dort hineinzubringen. Aber die Personen, die wir suchen, sind ein ganz spezieller Typ. Grob gesagt müssen sie einem ganz bestimmten Profil entsprechen.«

Michael blieb stehen und Zak ebenfalls. Sie sahen einander an.

»Du passt in dieses Profil«, erklärte der alte Mann. »Ziemlich genau sogar.«

Er ging weiter. Zak musste fast rennen, um mit ihm Schritt halten zu können.

»Wie meinen Sie das?«, fragte er.»Was für ein Profil?«

»Intelligent«, erwiderte Michael. »Oh, natürlich, du hast ziemlich gute Schulnoten, aber das meine ich nicht. Du hast eine besondere Begabung für bestimmte Fächer: Naturwissenschaft und Sprachen. Du bist körperlich fit, und wie du vor ein paar Minuten bewiesen hast, verfügst du über eine außerordentlich gute Intuition.« Er lächelte. »Du erinnerst mich ein wenig an mich selbst als jungen Mann.«

Zak spürte, wie er rot wurde, doch er sagte: »Damit könnten Sie so ziemlich jeden beschreiben.«

»Nicht ganz jeden, Zak. Aber du hast recht. Diese Eigenschaften allein reichen nicht aus, um dich sozusagen aus der Masse herausstechen zu lassen.«

»Warum führen wir dann dieses Gespräch?«, wollte Zak wissen.

Er spürte, dass Michael seine nächsten Worte sorgfältig wählte.

»Verzeih mir, Zak, aber wäre es falsch, wenn ich sage, dass es, seit deine Eltern tot sind, nur sehr wenige Menschen gibt, die dich tatsächlich … vermissen würden?«

In Zaks Innerem breitete sich plötzlich ein Gefühl der Leere aus. Schweigend gingen sie weiter. Tief drinnen wusste er, dass das stimmte. Außer Ellie und ihren Eltern hatte er keine Familie in der Nähe und keine richtigen Freunde. Zak war immer eher ein Einzelgänger gewesen. Er wusste, dass die Leute ihn so sahen und ihn deshalb in Ruhe ließen.

»Dein Onkel und deine Tante sind nicht gerade begeisterte Pflegeeltern, was?«, fuhr Michael fort.

»Ja«, antwortete Zak, »das kann man so sagen.«

»Nach den mir zur Verfügung stehenden Informationen ist das kein sehr glückliches Arrangement, oder?«, sprach Michael weiter.

»Ihnen stehen eine Menge Informationen zur Verfügung, nicht wahr?«

»Allerdings«, bestätigte Michael. »So ist es.«

Erneut schwiegen sie, während sie weitergingen.

Zak war gegen seinen Willen interessiert. Zumindest so weit, dass er ein paar eigene Fragen zu stellen begann.

»Was meinen Sie damit, dass ich ›für Sie arbeiten‹ soll?«

»Die Pflichten sind unterschiedlich«, antwortete Michael, und Zak hatte das Gefühl, als weiche er der Frage aus.

»Spionage?«, fragte er. Besser, er wusste gleich, woran er war.

Michael sah starr geradeaus, während er weiterging, und sein Gesichtsausdruck änderte sich nicht.

»Diesen Begriff verwenden wir nicht«, erklärte er. »Aber ja, Informationsbeschaffung spielt eine Rolle. Doch wenn du unser Angebot annimmst, wirst du noch viele andere Fähigkeiten erlernen.«

»Was denn zum Beispiel?«

»Fähigkeiten«, wiederholte Michael. »Weißt du, es gibt Situationen, in denen ein junger Mann wie du uns von großem Nutzen sein kann. Das ist nicht ungefährlich. Es ist wichtig, dass du in der Lage bist, mit diesen Risiken fertigzuwerden. Und dich in Situationen behaupten kannst, wenn du undercover auf dich allein gestellt bist und dir nur deine Ausbildung als Hilfsmittel zur Verfügung steht.«

Während Michael sprach, schob sich eine Wolke vor die helle Mittagssonne, wie am Tag vorher. Zak schauderte leicht, wusste aber nicht, ob das am Schatten lag oder an Michaels Worten. Sie hatten das Ende des Parks erreicht, wo der Eisenzaun mit den scharfen Spitzen auf ein Tor zulief, durch das man auf die Hauptstraße gelangte.

»Wenn du dich entschließt, dieses Angebot anzunehmen, Zak, dann musst du wissen, worauf du dich einlässt. Dein Leben wird sich verändern. Du wirst die Menschen, die du kennst, nie wiedersehen. Zak Darke wird verschwinden.«

»Ich kann nicht einfach verschwinden.«

»Darum würden wir uns kümmern. Vielleicht magst du ja dein Leben so, wie es jetzt ist. Vielleicht erscheint dir deine Zukunft rosig. Vielleicht ist der Acacia Drive 63 mit seinen geblümten Tapeten der Schlüssel zu deinem Glück. Wenn das so ist, dann bitte ich dich, alles zu vergessen, was ich heute gesagt habe. Wenn nicht, nun, dann solltest du sorgfältig darüber nachdenken. Denn wenn du dich einmal entschieden hast, diesen Weg einzuschlagen, dann gibt es kein Zurück mehr. Auf keinen Fall.«

Zak sah sich um. Sie waren ein ganzes Stück gelaufen – der Spielplatz lag ein paar Hundert Meter hinter ihnen und das Geschrei der spielenden Kinder war vom Verkehrslärm abgelöst worden.

»Ich bin nicht interessiert«, erklärte er. »Ehrlich gesagt glaube ich Ihnen nicht, was Sie mir erzählt haben. Also hören Sie auf, mir nachzulaufen, wenn Sie nicht wollen, dass ich zur Polizei gehe.«

Michael tat so, als habe er Zak nicht gehört. Zum ersten Mal nahm der alte Mann eine Hand aus der Manteltasche. Er hielt ihm eine Visitenkarte hin. Sie war ganz schlicht, nur eine Telefonnummer war mit Schwarz auf eine Seite gedruckt. Kein Name, nichts.

»Du musst deine Entscheidung nicht jetzt sofort treffen«, sagte er. »Auch nicht morgen oder nächste Woche. Triff sie dann, wenn du bereit bist, falls du es je bist.« Er hielt Zak die Karte hin, bis dieser sie schließlich ergriff. Als er sie in die Hosentasche steckte, fuhr Michael leichthin fort, als sei ihm das gerade erst eingefallen: »Natürlich hat es auch gewisse Vorteile, für uns zu arbeiten, Zak. Wir bringen Dinge über Menschen in Erfahrung. Informationen.« Er sah Zak direkt an und sein Blick schien ihn zu durchbohren. »Du könntest zum Beispiel den wahren Grund erfahren, warum deine Eltern sterben mussten.«

Zak starrte ihn an.

Der alte Mann sah zum Himmel hinauf, gerade als die Sonne wieder hervorkam.

»Was für ein schöner Tag«, stellte er plötzlich fröhlich fest. »Ich glaube, ich werde noch ein wenig spazieren gehen. Du wirst mich nicht mehr sehen oder von mir hören, es sei denn, du entschließt dich, diese Nummer anzurufen.«

Ohne ein weiteres Wort drehte Michael sich um und ging den Weg zurück, den sie gekommen waren. Zak sah ihm nach, bis er in der Menschenmenge am Spielplatz verschwunden war und er ihn nicht mehr sehen konnte.

Familienangelegenheiten

Den Rest des Tages streifte Zak unruhig im Norden von London herum. Völlig aufgewühlt erinnerte er sich an Teile seines Gesprächs mit dem Mann, der sich selbst Michael nannte.

Ich arbeite für eine Regierungsbehörde…Wenn du versuchst, die Leute davon zu überzeugen, dass es uns gibt, werden sie dich nur für verrückt halten… Es gibt Situationen, in denen ein junger Mann wie du uns von großem Nutzen sein kann… Du könntest den wahren Grund erfahren, warum deine Eltern sterben mussten…

Diese letzte Feststellung hallte am lautesten durch seinen Kopf.

Als er später am Nachmittag wieder zum Acacia Drive zurückkehrte, fiel ihm etwas auf. Seit Michael weggegangen war, hatte er zu keinem Zeitpunkt mehr das Gefühl gehabt, verfolgt zu werden. Als er mit dem Rücken zur Tür von Nummer 63 stand, war alles so, wie es sein sollte. Niemand beobachtete ihn. Er ging direkt in sein Zimmer, wo er über die Ereignisse des Tages nachgrübelte, bis es Zeit zum Schlafen war.

Am folgenden Tag schlug das Wetter um. Graue Wolken und Nieselregen. Ellie hatte eine Erkältung und ging daher nicht zur Schule. So entschloss sich Zak, mit dem Skateboard zu fahren. Er war stolzer Besitzer eines Element-Boards mit Ricta-Rädern – das letzte Geschenk, das ihm seine Eltern gekauft hatten. Seine Eltern hatten nie viel Geld gehabt, deshalb war Zak überrascht gewesen, ein cooles Board zu bekommen. Er kümmerte sich jetzt sorgsam darum und bewahrte es unter seinem Bett auf, vor allem, da Tante Vivian jedes Mal, wenn sie es sah, die Augen verdrehte und es als »dieses dreckige Ding« bezeichnete.

Vor dem Haus warf sich Zak die Schultasche über die Schulter und fuhr los. Am Ende des Acacia Drives bog er rechts ab und rollte ein paar Minuten später die Camden Road hinunter, geschickt den Fußgängern ausweichend. Doch als er gerade an der Jasmine Mews vorbei war, bremste er plötzlich. Zwei Jungen hatten ihn entdeckt und verstellten ihm den Weg. Zak rutschte das Herz in die Hose. Marcus Varley und Jason Ford waren beide in seiner Klasse und hatten die Angewohnheit, andere zu schikanieren. Zak war einer der wenigen gewesen, der sich gegen sie behauptet hatte, aber das hatte sie nicht weiter beeindruckt. Daher hielt er sich nun lieber von ihnen fern. Sie grinsten breit und das war immer ein schlechtes Zeichen.

Zak ließ das Board in seine Hand hochschnellen und reckte das Kinn vor. Wenn diese beiden Kerle glaubten, ihn einschüchtern zu können, dann waren sie auf dem Holzweg.

»Stimmt etwas nicht, Jungs?«, fragte er.

»Her mit dem Skateboard, Darke«, sagte Varley.

Zak verdrehte die Augen. Eines war sicher: Niemand würde diese beiden bitten, etwas Gefährliches oder Schwieriges zu tun. In einer Situation, in der es auf Köpfchen und Fitness ankam, waren sie so nutzlos wie ein Teekessel aus Schokolade.

»Nehmt es nicht persönlich, Jungs, aber da würde ich eher meinen Kopf ins Klo stecken.«

Jason Ford grinste hämisch. »Das würde sich machen lassen«, sagte er und zog etwas aus seiner Tasche. Es war ein Messer – etwa zehn Zentimeter lang und scharf glänzend. »Her damit!«

»Sei kein Idiot, Jason!«, stieß Zak hervor. »Das ist kein Spielzeug.«

»Was ist los, Darke? Schiss? Her mit dem Board!«

Vorsichtig stellte Zak das Skateboard wieder auf den Boden und trat zurück. Die beiden Jungen grinsten sich erneut an und Jason stieg auf das Board. Man sah sofort, dass er das noch nie gemacht hatte. Er breitete die Arme aus, um das Gleichgewicht zu halten, und wedelte dabei mit dem Messer in der Luft herum.

»Sei vorsichtig«, mahnte Zak.

»Halt’s Maul, Darke!«

Was dann geschah, war eigentlich Marcus’ Schuld. Er glaubte offenbar, es sei witzig, Jason einen kleinen Schubs zu geben. Da er vorher nicht auf die Straße sah, hatte er den Gelenkbus nicht bemerkt, der auf sie zukam.

»Nicht, Marcus!«, schrie Zak, doch es war zu spät.

Jason rollte rückwärts, und als das Skateboard den Bordstein erreichte, stürzte er und fiel auf den Rücken.

Der Bus war nur noch zehn Meter entfernt und hupte gellend. Marcus war erstarrt und der auf der Straße liegende Jason stierte nur entsetzt das Fahrzeug an.

Es war also an Zak, zu reagieren. Er sprang vom Gehweg, zerrte Jason am Kragen hoch und stieß ihn von der Straße. Wieder hupte der Bus und Zak sprang ebenfalls auf den Gehweg, gerade noch rechtzeitig, um mitanzusehen, wie die Räder des Busses sein Skateboard zu Kleinholz verarbeiteten.

»NEIN!«, schrie er und Tränen schossen ihm in die Augen. »Mein Board!« Das Board, das mir meine Eltern geschenkt haben!, fügte er im Stillen hinzu. Ihr letztes Geschenk…!

Er wirbelte herum. Marcus sah aus, als wolle er am liebsten wegrennen, während Jason kreidebleich am Boden lag. Das Messer hatte er fallen lassen und es lag ein paar Meter weiter auf dem Gehweg.

Als Zak es aufhob, begann Jason zu stammeln: »Gib es mir wieder, Kumpel … es gehört mir nicht. Es ist das von meinem Bruder, und wenn er denkt, ich hätte es geklaut …«

Zak betrachtete die Reste seines Skateboards und kämpfte mit den Tränen. Es war zwecklos, die Teile einzusammeln. Es war hinüber. Stattdessen ging er am Straßenrand in die Hocke und hielt das Messer über die Schlitze eines Gullys.

»