Agent 21 - Dead End - Chris Ryan - E-Book

Agent 21 - Dead End E-Book

Chris Ryan

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Beschreibung

Das spektakuläre Zusammentreffen von Agent 21 und Agent 22!

Sein persönlichster Fall verschlägt Zak ins eisige Alaska.

Nachdem Gabs und Raf entführt wurden, bittet Zak den neuen Agent 22, Ricky, um Hilfe. Zak wird als Verräter gesucht und Ricky ist der Einzige, dem er trauen kann. Ihm und dem Hacker Malcolm. Den dreien gelingt es eine Botschaft zu entschlüsseln, die Hinweise auf den Aufenthaltsort von Gabs und Raf gibt. Gemeinsam machen sie sich auf den Weg nach Alaska. Und der Feind dem sie dort gegenüberstehen ist kein Unbekannter…

"Agent 21" ist eine actiongeladene, packende Agenten-Thriller-Reihe mit exotischen Settings und hochbrisanten Einsätzen. Chris Ryan fesselt seine Leser mit technischer Detailgenauigkeit und irrwitziger Action.

Alle Bände der »Agent 21«-Reihe:
Agent 21 - Im Zeichen des Todes (Band 1)
Agent 21 - Reloaded (Band 2)
Agent 21 - Codebreaker (Band 3)
Agent 21 - Survival (Band 4)
Agent 21 - Dead End (Band 5)

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

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Seitenzahl: 362

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DER AUTOR

© Sam Barker

Chris Ryan wurde 1961 in Newcastle, England, geboren. Zehn Jahre lang war er für die SAS, die britische Eliteeinsatztruppe, tätig. Er war an verschiedenen militärischen und verdeckten Operationen beteiligt und Leiter eines Antiterrorteams. In den letzten Jahren verfasste er mehrere Actionthriller, die sofort Einzug in die Bestsellerlisten hielten.

Von Chris Ryan ist ebenfalls bei cbt erschienen:

Agent 21 – Im Zeichen des Todes (Band 1)

Agent 21 – Reloaded (Band 2)

Agent 21 – Codebreaker (Band 3)

Agent 21 – Survival (Band 4)

Agent 22 – Undercover

Mehr zu cbj / cbt auf Instagram@hey_reader.

Chris Ryan

Aus dem Englischen von Tanja Ohlsen

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.
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© 2016 by Chris RyanDie Originalausgabe erschien unter dem Titel»ENDGAME« bei Red Fox, an imprint of Random House Children’s Publishers UK.© 2016 für die deutschsprachige Ausgabe cbt Verlag in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 MünchenAlle deutschsprachigen Rechte vorbehalten.Aus dem Englischen von Tanja OhlsenLektorat: Luitgard DistelUmschlaggestaltung: init | Kommunikationsdesign, Bad Oeynhausenunter Verwendung des OriginalumschlagsCover artwork © Collaborations JSjb ∙ Herstellung: angSatz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad AiblingISBN: 978-3-641-19026-2V003
www.cbt-buecher.dewww.penguinrandomhouse.de

Dummer alter Mann

Zellenblock 3B

Handabdruck

Treffpunkt 3

Heckenschützen

Im Café

Ablenkung

Die Gondel schwankt

Alas

Superhirn

Ein grauenhaftes Video

Anchorage

Drei gewöhnliche Kids

Brandbeschleuniger

Gefroren

Der Grizzly

Tasha

Die Hütte

Der Plan

Snow

Moriarty

Start

Aufprall

Zwischen gestern und morgen

Plan B

Auf dem rechten Pfad

1H

Angriff

Jeder stirbt mal

Agent 21: Einsatzunterlagen

Agent 21

Wahrer Name: Zak Darke

Pseudonyme: Harry Gold, Jason Cole

Alter: 15

Geburtsdatum: 27. März

Eltern: Al und Janet Darke (verstorben)

Fähigkeiten: Waffenkenntnisse, Navigation, ausgezeichnete Sprachkenntnisse, ausgezeichnete technische Fähigkeiten und Computerkenntnisse.

Agent 22

Wahrer Name: Ricky Mahoney

Alter: 14

Geburtsdatum: 8. August

Eltern: Fred und Elaine Mahoney (verstorben)

Fähigkeiten: Taschendiebstahl, Einbruch, Waffenkenntnisse, Selbstverteidigung.

Agent 17

Wahrer Name: geheim

Pseudonyme: Gabriella, Gabs

Alter: 27

Fähigkeiten: Fortgeschrittene Kenntnisse in Nahkampf und Selbstverteidigung, Überwachung, Verfolgung.

Derzeit betraut mit der weiterführenden Ausbildung von Agent 21 auf der entlegenen schottischen Insel St. Peter’s Crag.

Agent 16

Wahrer Name: geheim

Pseudonyme: Raphael, Raf

Alter: 30

Fähigkeiten: Fortgeschrittene Kenntnisse in Nahkampf und Selbstverteidigung, Tauchen, Fahrzeugsteuerung.

Derzeit betraut mit der weiterführenden Ausbildung von Agent 21 auf der entlegenen schottischen Insel St. Peter’s Crag.

Michael

Wahrer Name: geheim

Pseudonyme: Mr Bartholomew

Alter: geheim

Rekrutierte Agent 21 nach dem Tod seiner Eltern. Derzeit sein Betreuer. Hat Verbindungen zum MI5, repräsentiert jedoch eine streng geheime Regierungsbehörde.

Felix

Wahrer Name: geheim

Alter: geheim

Rekrutierte Agent 22, nachdem er bei einer zufälligen Begegnung sein Talent erkannt hatte. Derzeit sein Betreuer. Vertritt dieselbe streng geheime Regierungsbehörde wie Michael.

Cruz Martinez

Alter: 17

Besondere Informationen: Nachfolger von Cesar Martinez als Kopf des größten mexikanischen Drogenkartells. Macht Agent 21 für den Tod seines Vaters verantwortlich. Hochintelligent. Rücksichtslos, möglicherweise psychopathisch.

Malcolm Mann

Alter: 14

Besondere Informationen: Autist mit Borderline-Persönlichkeitsstörung, Computerhacker. Hackte sich in die Sicherheitssysteme mehrerer Geheimdienste. Half Agent 21 in der Vergangenheit.

Nachts ist es immer dunkel. Aber an manchen Orten ist es dunkler als an anderen. St. Peter’s Crag war so ein Ort.

Es war der 3. Januar, zwei Uhr nachts. Weihnachten war längst vergessen, die Silvesterfeiern ebenso. Nicht dass hier viel gefeiert wurde. Heulend tobte der Wind um die kahle, steinige Insel in der Nordsee. Die Wellen schlugen gegen die spitzen Felsen der Küste, die es selbst bei gutem Wetter schwer machten, sich ihr von See aus zu nähern. In einer Nacht wie dieser war es vollkommen unmöglich.

Über das kahle Land kämpfte sich eine einsame Gestalt in einer schwarzen Öljacke auf das Gebäude zu, das einsam mitten auf St. Peter’s Crag stand. Der Mann hieß Stan, und er hatte schon vor langer Zeit gelernt, dass er sich in solchen Nächten besser warm und geborgen in seinem kleinen Steinhaus im Norden der Insel aufhielt. Doch in dieser besonderen Nacht gab es etwas zu tun, also trotzte er dem Sturm.

Stan betrachtete sich als eine Art Hausmeister. Als junger Mann war er Soldat gewesen, und dieser Job passte zu jemandem, der es gewohnt war, Befehle entgegenzunehmen, ohne Fragen zu stellen. Er kümmerte sich um die merkwürdigen Bewohner der Insel. Es waren drei – meistens jedenfalls. Ein Mann und eine Frau Ende zwanzig, die sich Raf und Gabs nannten, auch wenn Stan stark annahm, dass das nicht ihre richtigen Namen waren. Und ein Teenager namens Zak. Gelegentlich kam auch ein vierter Mann vorbei, der sich Michael nannte. Die anderen sahen zu ihm auf – er war offensichtlich ihr Boss. Ab und zu kam ein Hubschrauber und brachte alle bis auf Stan von der Insel fort. Manchmal blieben sie wochenlang weg, und wenn sie wiederkamen, waren sie erschöpft und müde und brauchten Essen und andere Vorräte, für die Stan stets ausreichend sorgte.

Stan war nicht dumm. Er wusste, dass Raf, Gabs und Zak einer Arbeit nachgingen, die man nur als »geheim« bezeichnen konnte – auch wenn ihm schleierhaft war, was ein Kind wie Zak zu dieser geheimnisvollen Welt beitragen konnte. Aber er sah auch ein, dass er es wohl nie erfahren würde.

Anfangs hatte es ihm nichts ausgemacht, nichts zu wissen. Sein Job war es lediglich, sich um das Haus zu kümmern. Doch im Laufe der Zeit begann es ihn zu ärgern. Er mochte es nicht, wenn man aufhörte zu reden, weil er einen Raum betrat. Er mochte nicht, dass man von ihm erwartete, dass er allein in seinem einsamen Haus blieb, während die anderen das hatten, was auf dieser verlassenen Insel die größte Mangelware war: Gesellschaft. Und es gefiel ihm nicht, dass seine Mitbewohner jedes Mal, wenn sie ihn sahen, sagten: »Ach, es ist nur Stan.«

Als daher bei einem seiner seltenen Ausflüge aufs Festland jemand an ihn herangetreten war und ihm eine bedeutende Geldsumme dafür geboten hatte, ihm einen Dienst zu erweisen, hatte er Glück gehabt. Stan wollte in den Ruhestand gehen und mit seiner mickrigen Pension würde er sich nicht viel leisten können. Und was noch schlimmer war: Einsam, wie er war, hatte er eine Vorliebe fürs Online-Pokern entwickelt. Eine teure Vorliebe. Er hatte bereits mehr Schulden, als er je würde zurückzahlen können.

Ich habe gehört, dass Sie Geldsorgen haben, Stan, hatte der Mann gesagt. Glauben Sie, dass Ihr Arbeitgeber Ihnen dabei helfen wird? Glauben Sie, die interessieren sich für Ihre Probleme? Wir schon, Stan. Wir können Ihre Probleme einfach so verschwinden lassen… Der Mann schnippte mit den Fingern. Sie müssen uns nur einen kleinen Gefallen tun…

»Dieser verdammte Sturm«, murrte Stan, während er gegen die Elemente ankämpfte. Er hatte das Gefühl, als wollten die Böen ihn vom Haus fernhalten. Er rutschte aus und stürzte. Dabei schürfte er sich das Knie auf und ließ den Aktenkoffer fallen, den er bei sich trug. Fluchend richtete er sich wieder auf und kämpfte sich weiter auf das Haus zu.

Die große Eingangstür war fest verschlossen. Daneben befand sich ein elektronisches Tastenfeld, in das er eine Nummer tippte. Aus dem Tastenfeld schoss ein roter Lichtstrahl und scannte seine Netzhaut. Sein Augapfel erlaubte ihm den Zutritt zu diesem geheimen Ort.

Es müssen Sie sein, Stan, verstehen Sie? Sie sind der Einzige, der sich auf dieser Insel aufhalten kann, ohne Verdacht zu erregen.

Mit einem Klicken entriegelte sich die Haustür und Stan trat ein.

Von seiner Öljacke tropfte Wasser auf den schachbrettgemusterten Fußboden in der düsteren Eingangshalle, als er die Tür hinter sich zuzog. Augenblicklich verstummte das Heulen des Windes. Es war ein massives altes Haus. Er zog den nassen Mantel aus, ließ ihn fallen, legte den Aktenkoffer auf den Boden und öffnete ihn. Darin lagen zwei Spritzen in Plastikhüllen und eine Taschenlampe. Stan nahm die Spritzen heraus und ging im Stockdunkeln zu der großen alten Treppe, die von der Halle nach oben führte.

Dreißig Sekunden später schritt er einen Gang im ersten Stock entlang. Ganz am Ende lag das Zimmer, das der Junge, Zak, bewohnte. Doch Zak war heute nicht da. Er war fort und tat irgendetwas »Geheimes«. Kurz nach Mittag hatte ihn ein Hubschrauber abgeholt.

Es muss passieren, wenn der Junge nicht da ist, hatte der Mann gesagt. Das ist ganz wichtig, Stan. Verstehen Sie das? Sobald Sie wissen, dass er weg ist, muss es geschehen.

Stan mochte Zak von den dreien am meisten, und er war froh, dass er in dieser Nacht nicht auf der Insel war.

Er ging weiter den Gang entlang und blieb vor der dritten Tür auf der linken Seite stehen. Mit dem Daumen berührte er den weißen Türgriff, der seinen Fingerabdruck erkannte und die Tür mit leisem Klicken entriegelte.

Doch Stan war klug genug, nicht sofort einzutreten. Es war Rafs Zimmer und er würde einen Eindringling sofort bemerken. Tatsächlich konnte Stan sehen, wie der breitschultrige Mann auf ihn zukam, sobald die Tür aufschwang.

»Ich bin’s nur«, sagte Stan.

Die Gestalt blieb zwei Meter von der Tür entfernt stehen. Stan bemerkte, dass Raf Pyjamahosen trug, aber kein Hemd anhatte.

»Um Himmels willen, Mann«, sagte Raf. »Was machen Sie denn mitten in der Nacht hier?«

»Es sind Eindringlinge auf der Insel, Sir. Ich dachte, das sollten Sie wissen.« Stan konnte Rafs blondes Haar und seine kantigen Gesichtszüge erkennen.

Raf runzelte die Stirn.

»Ich habe gar nichts anfliegen hören«, meinte er und machte ein paar Schritte vorwärts aus dem Zimmer hinaus. Stan trat zur Seite, um ihn vorbeizulassen. Doch sobald Raf ihm den Rücken zukehrte, hob er eine der Spritzen und stieß sie ihm fest in die Muskeln unter den Schulterblättern, wie man es ihm gesagt hatte.

Die Zeit schien stehen zu bleiben. Stan bekam Angst, als er sah, wie Raf sich umdrehte und wütend das Gesicht verzerrte.

Die Injektion wirkte nicht.

Doch gleich darauf verdrehte der breitschultrige Mann die Augen und brach zusammen.

Stan keuchte heftig und schwitzte. Doch er wusste, dass er dafür keine Zeit hatte, und trat stattdessen zur nächsten Tür auf der rechten Seite. Wieder hielt er den Daumen an den weißen Türknauf und wieder ging die Tür auf.

»Ich bin’s nur, Stan«, sagte er.

Dieses Mal hatte er noch weniger Zeit, denn Gabs, die der Lärm auf dem Gang sicher aufgeschreckt hatte, war bereits an der Tür. Sie trug ein enges Top und eine Pyjamahose und ihre schulterlangen blonden Haare waren verstrubbelt. Doch sie bewegte sich blitzschnell und schoss an Stan vorbei, den sie kaum zur Kenntnis nahm.

Stan hob die zweite Spritze und stieß sie ihr in die Schulter. Ihre Muskeln waren nicht so massig wie die von Raf, aber nicht weniger fest. Einen schrecklichen Moment lang befürchtete Stan schon, dass die Nadel nicht durch die Haut gedrungen war. Sie drehte sich um und hob die Hand. Mit der Handkante traf sie ihn hart im Genick. Augenblicklich gaben Stans Knie nach. Keuchend rang er nach Atem, ließ die Spritze los und ging zu Boden.

Doch Gabs ebenfalls. Die Spritze hing noch in ihrer Schulter, als sie bewusstlos zusammenbrach, genau wie zuvor Raf.

Stille.

Stan rieb sich den Nacken und rappelte sich auf. Einen Moment lang schwankte er, dann trat er Gabs, so fest er konnte. Doch sie rührte sich nicht.

Leise vor sich hin murmelnd wankte Stan den Gang entlang zurück, die Treppe hinunter und wieder in die Eingangshalle, wo seine Öljacke und der Aktenkoffer noch auf dem Boden lagen. Er zog den nassen Mantel wieder an, nahm die Taschenlampe und machte die Tür auf.

Überzeugen Sie sich davon, dass beide bewusstlos sind, bevor Sie das Zeichen geben. Das ist ganz wichtig, Stan. Können Sie sich das merken?

Wieder heulte ihm der Wind in den Ohren, sobald er nach draußen trat. Er war noch stärker geworden und über ihm rasten die Wolken nur so über den Himmel. Von der Schwelle des Hauses aus richtete er die Taschenlampe nach oben. Mit der Blinkfunktion schickte er drei kurze Lichtstrahlen in den Himmel. Das Licht konnte er nicht sehen – es war eine Infrarottaschenlampe –, doch obwohl er auch keines zu sehen erwartete, untersuchte er die Lampe doch sorgfältig, bevor er das Signal wiederholte. Er konnte nur hoffen, dass sie funktionierte, denn wenn Raf und Gabs aufwachten, bevor Verstärkung da war, dann steckte er wirklich in Schwierigkeiten. Stan hatte sie beim Training beobachtet und wusste, wie fit und stark sie waren.

Lautlos zuckte ein Blitz über den Himmel. Gleich darauf ertönte der Donner aus vielen Meilen Entfernung. Dann tauchte plötzlich aus den wirbelnden Wolken ein Hubschrauber auf.

Bei dem starken Wind hatte er offensichtlich Probleme. Stan hatte schon viele Helikopter auf St. Peter’s Crag landen sehen. Normalerweise mieden sie solches Wetter – und das aus gutem Grund. Stan hatte noch nie einen Helikopter so schaukeln und kreiseln sehen wie diesen, als er sich abmühte, auf dem Gelände vor dem Haus runterzugehen. Der Mund wurde ihm trocken.

Wenn wir die Insel wieder verlassen, kommen Sie im Hubschrauber mit uns mit, hatte der Mann gesagt. Dann geben wir Ihnen Ihr Geld und helfen Ihnen, zu verschwinden…

Eigentlich wollte Stan bei diesem Wind nicht in einen Hubschrauber steigen, doch er wusste auch, dass er nicht länger auf der Insel bleiben konnte. Er wickelte sich fester in seine Öljacke, während er zusah, wie der Hubschrauber landete und zwei Männer auftauchten. Blinzelnd versuchte er sie zu erkennen, doch sie trugen schwarze Kleidung und Skimasken. An Gurten über ihrer Brust hingen klobige Gewehre. Sie hielten die Köpfe gesenkt zum Schutz vor dem Wirbel der Rotorblätter und liefen auf das Haus zu.

Nur ein paar Sekunden später hatten sie Stan erreicht. Sie sagten nichts, nur einer von ihnen legte fragend den Kopf schief.

»Er… erster Stock«, sagte Stan nervös. »Ist alles erledigt, wie er gesagt hat.« Er deutete auf den Hubschrauber. »Soll ich …?«

»Bleiben Sie hier, Alter«, befahl einer der Männer. Er schien weit weniger freundlich als der Typ, mit dem Stan verhandelt hatte. Er hatte einen ausländischen Akzent. Spanier vielleicht. Oder Mexikaner?

Stan nickte. »Ist gut«, erwiderte er. »Alles klar.«

Doch die Männer waren bereits ins Haus gehuscht und ließen Stan, der immer noch die Infrarottaschenlampe in der Hand hielt, draußen im Sturm stehen. Ein paar Minuten trat er auf der Stelle, dann kamen die Männer zurück. Jeder von ihnen trug einen Körper über der Schulter … Raf und Gabs. Sie wirkten ganz schlaff. Hätte Stan nicht gewusst, dass sie nur bewusstlos waren, hätte er glauben können, sie seien …

»Warten Sie hier«, befahl einer der Maskierten.

»Gut«, murmelte Stan. »In Ordnung …«

Die Gestalten eilten mit ihrer Fracht zu dem Hubschrauber. Durch die Dunkelheit konnte er gerade noch erahnen, wie weitere Leute Raf und Gabs nach drinnen zerrten, und stellte fest, dass er den Atem anhielt. Er sah über die Schulter und wieder zum Hubschrauber. Ihm kam ein schrecklicher Gedanke – vielleicht wollten die ihn gar nicht mitnehmen, vielleicht wollten sie einfach davonfliegen und ihn hier zurücklassen …

Doch nein. Erleichtert erkannte er, wie die beiden Männer wieder auf ihn zuliefen. Etwa zehn Meter vor ihm wurden sie langsamer.

»Soll ich jetzt mitkommen?«, fragte Stan. »Soll ich im Hubschrauber mitflie… Was … was soll denn das?«

Sein Magen verkrampfte sich, denn die beiden Männer hoben ihre Gewehre und zielten direkt auf ihn. Der eine zog die Skimaske vom Kopf. Es war ein schlanker junger Mann – eigentlich zu jung, um eine Waffe zu tragen, dachte Stan – mit kalten, grausamen Augen. Er blieb fünf Meter von Stan entfernt stehen.

»Wer … wer sind Sie?«, stammelte Stan.

Der junge Mann neigte den Kopf. »Mein Name ist Cruz Martinez.« Sein Tonfall deutete an, dass er der Meinung war, Stan müsse den Namen kennen. Doch das tat er nicht und das sah man ihm offensichtlich auch an. »Ich bin ein wenig enttäuscht, dass ihr toller Agent einundzwanzig mich nicht erwähnt hat.«

Stan blinzelte heftig. »Nehmen Sie die Waffen runter«, forderte er.

Doch sie beachteten ihn nicht.

Stan stolperte zurück. Seine Glieder wurden ganz steif vor Furcht.

»Ich bin es doch nur«, sagte er. »Nur Stan!«

Der durchdringende, bohrende Blick des jungen Mannes machte ihm Angst.

»Sie«, sagte Cruz Martinez und senkte seine Waffe, sodass sie auf Stans Knie zeigte, und fuhr so verächtlich wie möglich fort: »… Sie sind ein dummer …«

Beim letzten Wort schoss er. Ein einzelner Schuss hallte durch die Luft und traf Stans rechtes Knie. Mit einem Schmerzensschrei brach er zusammen und Blut lief ihm übers Schienbein.

»… alter …«, fuhr Cruz mit einem zweiten Schuss in Stans linkes Knie fort.

Der Schmerz war unerträglich. Stan wollte schreien, doch seine Stimme versagte im Angesicht der plötzlichen Gewalt.

Cruz Martinez stand über ihm. Sein Gewehr zielte jetzt auf Stans Kopf, der Sturm zerrte an seinen Haaren und seine kalten Augen leuchteten stärker als zuvor.

»… Mann«, endete er.

Hätte jemand aus einer Entfernung von mehr als fünfzig Metern die Szene beobachtet, er hätte den Knall von Cruz Martinez’ Gewehr durch den heulenden Wind nicht gehört. Er hätte nur den Mündungsblitz gesehen, als die dritte Kugel Stan in den Kopf fuhr. Und gesehen, wie Cruz den Leichnam des alten Mannes grob trat.

Er hätte nicht gehört, wie er sich zu seinem Begleiter umdrehte und auf Spanisch sagte: »Phase eins abgeschlossen.« Und die Antwort hätte er auch nicht gehört: »Phase zwei läuft an, Señor Martinez.«

Er hätte nur gesehen, wie die beiden Gestalten Stans leblosem Körper den Rücken kehrten und zum Hubschrauber zurückrannten, der schwankend in die Luft stieg und rasch in der dichten Wolkenwand verschwand.

Und hätte er ein paar Stunden gewartet, bis der Wind nachließ und die Sonne aufgegangen war, hätte er beobachten können, wie ein einzelner schwarzer Vogel auf der Leiche landete und an den Verletzungen pickte, da niemand da war, der ihn wegscheuchte.

Wormwood Scrubs, Strangeways, Parkhurst. Gewöhnliche Gefängnisse haben seltsame Namen. Aber die ganz besonderen Gefängnisse, von denen kaum jemand etwas weiß, haben ganz normale Namen.

Es war der 3. Januar, zwei Uhr morgens. Zak Darke stand vor einem Gefängnis, das fast niemand kannte. Einschließlich Zak bis zu jenem Zeitpunkt vor vierzehn Stunden, als man ihn allein zum Zellenblock 3B bestellt hatte.

Von außen sah das Gebäude in der Caledonian Road in Nordlondon wie ein Lagerhaus aus. Nur einem geschulten Auge würden die Sicherheitskameras auffallen, die an den Wänden angebracht waren und jeden Quadratzentimeter des Gebäudes und des Geländes überwachten. Und nur jemand, der von Grund auf sehr misstrauisch war, würde sich fragen, warum der hohe Zaun mit rasiermesserscharfem Stacheldraht gekrönt war, der eher zu einer Militäranlage passte.

Zak hatte ein geschultes Auge und er war sehr misstrauisch. Ihm waren die Kameras und der Stacheldraht sofort aufgefallen.

Es war merkwürdig, sich in diesem Teil der Stadt aufzuhalten. Früher hatte er kaum eine halbe Meile von hier bei seinem Onkel und seiner Tante gewohnt, nachdem er zur Waise geworden war. Dieser Teil seines Lebens kam ihm wie eine ferne Erinnerung vor. Dort war er von einem merkwürdigen alten Mann abgeholt worden, der sich manchmal Mr Bartholomew nannte und manchmal schlicht und einfach »Michael«. Michael hatte ihm die Chance geboten, einer streng geheimen Regierungsbehörde beizutreten – die Zak einfach nur als die Agentur bezeichnete –, und seitdem war sein Leben … außergewöhnlich geworden.

Und genau deshalb stand er jetzt hier vor diesem streng geheimen Hochsicherheitsgefängnis, während die meisten Teenager in ihren Betten lagen und die Chance nutzten, noch einmal auszuschlafen, bevor in einigen Tagen die Schule oder das College wieder anfangen würde. Obwohl er außergewöhnliche Umstände gewohnt war, verspürte er unwillkürlich ein unangenehmes Kribbeln im Bauch. Es war immer nervenaufreibend, einen Häftling zu besuchen, den man mit hinter Gitter gebracht hatte, und Zak hatte mehr Grund als die meisten, sich vor einem der Insassen dieser Anstalt in Acht zu nehmen.

Doch Michael war der Meinung gewesen, es sei eine gute Idee.

Er hat einen Antrag gestellt, dich sehen zu dürfen, Zak, hatte sein Betreuer erklärt. Allein. Vielleicht will er reden und uns Informationen geben. Das könnte nützlich sein. Und auch für dich könnte es nützlich sein. Manchmal bekämpft man seine Dämonen am besten, wenn man sich ihnen stellt…

Zak hatte jede Menge Dämonen, die ihn verfolgten. Es konnte nicht schaden, einen von der Liste zu streichen.

Der Zaun um das Gelände wurde von einem Empfangsgebäude aus Ziegelsteinen unterbrochen. Zak drückte auf eine Klingel und einen Moment später summte die Tür. Er trat ein und sah hinter einem Schreibtisch einen uniformierten Beamten stehen. Auf der anderen Seite des Raums befand sich eine eiserne Tür, die mit Sicherheit fest verschlossen war. Rechts davon an der Wand war ein Bildschirm von der Größe eines iPads angebracht, doch er war dunkel. Hinter ihm klickte es, als sich die erste Tür wieder schloss.

Als Zak näher trat, kam der Mann um den Schreibtisch herum und musterte ihn misstrauisch. Zak taxierte ihn und registrierte sofort die leichte Wölbung an der linken Körperseite, die ihm sagte, dass der Mann eine Waffe trug. Wahrscheinlich eine Pistole, obwohl Zak davon ausging, dass er bei Bedarf auch Verstärkung rufen konnte.

Zwei Meter von dem Beamten entfernt blieb Zak stehen, denn er wollte lieber nicht in den persönlichen Bereich eines bewaffneten Mannes eindringen.

»Harry Gold«, stellte er sich mit einem seiner vielen falschen Namen vor, für die er gültige Papiere hatte und deren Lebensgeschichten er bis ins Detail kannte. »Ich werde erwartet.«

Der Wachmann musterte ihn noch misstrauischer als zuvor. »Solltest du nicht noch mit deinen Weihnachtsgeschenken spielen?«, fragte er, und als Zak die Braue hochzog: »Ein Kind habe ich nicht erwartet.«

»Ich kann nichts für Ihre Erwartungen«, gab Zak zurück. Doch als ihm auffiel, dass er wegen seiner Nervosität mürrisch klang, was ihm wohl nicht viel helfen würde, lächelte er. »Ich habe eben ein Babyface. Das war schon immer so. Ich musste mich vor meinem achtzehnten Geburtstag noch nicht einmal rasieren.«

Zaks achtzehnter Geburtstag lag noch in weiter Ferne.

»Ausweis?«, forderte der Beamte.

Zak reichte ihm den Pass auf den Namen Harry Gold, den er sich ansah und dann damit zurück auf die andere Seite des Schreibtischs ging, um ihn zu scannen, während er auf seinen Bildschirm sah. Gleich darauf nickte er und gab Zak den Ausweis zurück, der ihn in die hintere Hosentasche schob.

»Alles klar«, sagte er. »Ich rufe jemanden, der Sie reinbringt. – Also, Ern«, meldete er sich dann über ein Funkgerät, »der Kerl für den Zyklopen ist da.« Dann sah er Zak bedeutungsvoll an und fuhr fort: »Na ja, eigentlich ist es mehr ein Kerlchen …«

Er legte das Funkgerät auf den Schreibtisch zurück und forderte Zak auf: »Sie müssen Ihre Taschen leeren. Kein Handy, keine Münzen, nichts Scharfes, kein Metall.«

Zak war vorbereitet. Abgesehen von seinem iPhone, das er auf den Schreibtisch legte, hatte er nur ein paar Scheine bei sich. Immerhin sechs Fünfziger, denn in Zaks Beruf konnte man nie wissen, wann man plötzlich Bargeld brauchte. Der Beamte riss angesichts der Summe die Augen auf, bestand aber nicht darauf, dass Zak sie abgab, sodass er sie wieder einsteckte.

»Ich weiß ja nicht, was der Zyklop an Ihnen so interessant findet«, sagte er. »Seit er hier ist, hat er mit uns noch kein Wort gesprochen. Er kriegt keinen Besuch und hat noch nicht mal einen Brief geschrieben oder erhalten. Er sitzt nur in seiner Zelle und starrt die Wand an. Manchmal trainiert er. Der ist echt unheimlich.« Er sah Zak genauer an. »Wer sind Sie eigentlich?«, wollte er wissen. »Gehören Sie zur Familie oder so?«

»So in etwa«, erwiderte Zak lächelnd.

Der Wachmann bekam keine Gelegenheit, weitere Fragen zu stellen, denn mit einem zischenden Geräusch öffnete sich die Tür auf der anderen Seite des Raums, und ein Schwarzer in Uniform trat ein. Zak vermutete, dass es sich um Ern handelte. Er war etwa so groß wie Zak, aber mindestens doppelt so breit. Zak bekam den Eindruck, dass man an ihm ebenso schwer vorbeikam wie an der Metalltür selbst – die gerade wieder zufiel.

Ern musterte Zak mit dem gleichen Blick wie der andere Beamte zuvor. »Das ist also unser nächtlicher Besucher? Der uns von unserem Schönheitsschlaf abhält?« Er lächelte und entblößte dabei einige Zahnlücken. Zak ging davon aus, dass sie nicht bei einem Zahnarzt entstanden waren. »Die Arme über den Kopf, bitte!«

Zak hob die Arme und ließ sich abtasten, was nur ein paar Sekunden dauerte. Er hatte nichts zu verbergen.

»Dann kommen Sie mal mit, mein Junge, bringen wir es hinter uns.« Ern drehte sich um und legte die rechte Handfläche auf den Bildschirm neben der Tür. Wieder zischte es, als die Tür aufschwang. Zak folgte Ern hindurch und hinter ihnen verriegelte sich die Tür automatisch wieder.

Nun befanden sie sich auf einem asphaltierten Platz.

»Der Trainingsplatz«, erklärte Ern. »Nicht dass von unseren hier jemand ihn nutzen darf.« Während sie über den Platz zu dem großen lagerhausähnlichen Gebäude gingen, fragte Ern: »Wollen Sie wissen, was uns von anderen Gefängnissen unterscheidet, Junge?«

»Ein sichereres Gebäude?«

Ern lächelte. »So etwas wie ein vollkommen sicheres Gebäude gibt es nicht. Nicht, wenn man weiß, was man tut. Und was hindert einen Häftling, der weiß, dass er sonst nie wieder das Tageslicht erblicken wird, an einem Fluchtversuch?« Im Gehen machte er die Jacke auf. Zak erkannte die automatische MP5-Maschinenpistole in seinem Halfter. »Das ist die viel größere Abschreckung«, erklärte Ern. »Hier gibt es nicht eine Wache, die nicht bis an die Zähne bewaffnet ist. Und die Gefangenen wissen, dass wir nicht zögern würden, zu schießen, wenn wir so etwas wie einen Fluchtversuch auch nur vermuten.« Einen Moment lang hielt er inne, dann fügte er hinzu: »Das erzähle ich den Besuchern immer, nur für den Fall, dass sie auf dumme Gedanken kommen, verstanden?« Er warf Zak einen bedeutungsvollen Blick zu.

Zak hätte fast etwas erwidert und Ern darauf aufmerksam gemacht, dass er sich an den Falschen wandte, wenn er glaubte, dass er hier war, um jemandem zur Flucht zu verhelfen. Er war hier, um den Gefangenen zu sehen, den die Aufseher den Zyklopen nannten. Zak kannte ihn als Calaca. Er war die rechte Hand seines Erzfeindes Cruz Martinez gewesen. Calaca hatte versucht, Zak zu töten, und er hatte versucht, jemanden zu töten, der ihm sehr nahestand.

Doch dann hatte er den Fehler begangen, Zaks Schutzengeln Raf und Gabs in die Quere zu kommen. Und das war ein ziemlich großer Fehler gewesen, der zur Folge hatte, dass Calaca jetzt Gast Ihrer Majestät war – auch wenn Zak nicht ganz sicher war, ob Ihre Majestät überhaupt wusste, dass es so etwas wie den Zellenblock 3B gab.

Doch seine Ausbildung hatte ihn gelehrt, nie mehr Informationen preiszugeben, als unbedingt notwendig war.

»Ich bin froh, dass er hier nicht rauskommt«, sagte er daher nur.

Ern führte Zak durch eine weitere Tür, die sich durch seinen Handabdruck öffnen ließ, in das Gebäude. Zak bemerkte, dass Ern dieses Mal die linke Hand benutzte. Offenbar war das Sicherheitssystem so programmiert, dass es beide Handabdrücke erkannte. Von innen sah das Gebäude ebenso nach einem Lager aus wie von außen – es war ein einziger riesiger offener Raum. Doch in der Mitte befand sich eine kleine Metallkonstruktion ungefähr so groß wie ein Transporter. Der Zugang erfolgte durch eine weitere mit Handabdrucksystem zugängliche Tür. Ern öffnete sie. Dahinter lag lediglich eine Treppe, die nach unten führte.

Zak folgte seinem Begleiter die Stufen hinunter. Unten gelangten sie in einen sterilen, hell erleuchteten sechseckigen Raum. An jeder der sechs Seiten befand sich eine Tür, und vor jeder Tür standen zwei bewaffnete Männer – diese hier machten sich nicht die Mühe, ihre MPs zu verbergen. Misstrauisch starrten sie Zak an, der den Eindruck gewann, dass Besucher hier eher eine Seltenheit waren.

»Hinter diesen Türen sitzen die sechs gefährlichsten Männer dieses Landes«, erklärte Ern. »Es gibt nur einen Weg in die Zellen hinein und wieder heraus. Zwei Wachen pro Häftling. Alles, was hier runterkommt, wird gründlich durchsucht. Es ist unmöglich, einem der sechs einen unerlaubten Gegenstand hineinzuschmuggeln.«

Während Ern sprach, sah Zak zufällig einen der Aufseher an, einen Mann mit braunem Bart und buschigen Augenbrauen. Er sah zu Boden und dann schnell wieder auf.

Bei seiner Ausbildung hatte Zak gelernt, den Gesichtsausdruck eines unehrlichen Menschen zu erkennen. Hatte er hier gerade so jemanden vor sich? Seine Muskeln verkrampften sich, als Ern ihn zu einer der Türen führte, über der eine metallene Eins prangte, und die Hand hob, um sie zu öffnen. Doch bevor er seine Handfläche auf den Touchscreen legte, sagte er: »Ich weiß nicht, wer Sie sind, mein Junge. Ich weiß nicht, warum jemand wie der Zyklop einen Jungen wie Sie sehen will oder warum die Behörden diesem Besuch zugestimmt haben. Aber Sie haben fünf Minuten mit ihm, keine Sekunde länger. Ich traue dem Kerl nicht. Niemand traut ihm. Ich bin die ganze Zeit bei Ihnen. Gehen Sie nicht zu dicht an das Glas und vor allem nehmen Sie nichts von ihm an. Verstanden?«

»Verstanden«, bestätigte Zak mit einem Kopfnicken.

Ern legte die Handfläche auf den Screen und die Tür glitt auf. Zusammen traten sie ein und die Tür schloss sich hinter ihnen wieder.

Sie befanden sich nun in einem bunkerartigen Gang, der etwa zwanzig Meter lang und drei Meter breit war. Die Wände waren aus solidem Beton. An der Decke verlief eine Leiste mit Neonröhren. Links lag auf halber Länge des Gangs eine durchsichtige Scheibe, die vom Boden bis zur Decke reichte. Als sie näher kamen, sah Zak, dass es die vordere Wand einer großen Zelle war. An einigen Stellen gab es kleine Luftlöcher im Glas, und in der Mitte befand sich etwa auf Kopfhöhe ein Gitter, durch das man sprechen konnte.

Die Zelle hinter der Glaswand war spartanisch eingerichtet. Ein Einzelbett, ein Schreibtisch, auf dem sich Bücher stapelten, eine Toilette ohne Sitzbrille in einer Ecke. Ein Fernseher an der Wand. Und ein Stuhl, der ein paar Meter vor der Sprechluke stand.

Und auf diesem Stuhl saß Calaca. Der Zyklop.

Sie nannten ihn den Zyklopen, weil er nur ein Auge hatte. Die andere Augenhöhle war von blasser Haut bedeckt.

Er sah längst nicht mehr wie der Mann aus, den Zak von ihrer letzten Begegnung in Erinnerung hatte. Er hatte sich eine Decke um den Körper und über den Kopf gezogen wie ein alter Mann, der versucht, sich warm zu halten. Seine Haut, die einst dunkel gebräunt gewesen war, war jetzt fahl. Sein eines Auge war blutunterlaufen und die Lippen blass. Der Name Calaca bedeutete im Spanischen »Skelett«. Gegenwärtig sah er mehr denn je danach aus.

Mit seinem einen Auge starrte er Zak entgegen und machte nicht einmal den Versuch, seine Abneigung zu verbergen. Zak bemühte sich, möglichst gelassen zu bleiben, doch in Wirklichkeit wurde ihm beim Anblick Calacas fast schlecht, und er fühlte sich ein wenig schwach. Er wusste, dass ihn der Einäugige liebend gern töten würde, wenn er ihn in die Finger bekam. Und obwohl die Glasscheibe stabil aussah, fragte er sich unwillkürlich, ob sie stabil genug war.

Ern war an der Tür stehen geblieben und ließ Zak allein zum Sprechgitter gehen. Seine Schritte hallten auf dem Beton wieder, als er darauf zuging.

»Sie wollten mich sehen?«

Calaca blieb sitzen, ohne etwas zu sagen.

»Passen Sie auf«, fing Zak an. »Ich weiß nicht, warum ich hier bin, und es ist mir ehrlich gesagt auch egal. Ich habe fünf Minuten Zeit, und wenn ich glaube, dass Sie meine Zeit verschwenden, dann gehe ich gleich wieder. Sie sehen mich dann nie wieder.«

In der Pause, die daraufhin entstand, bemerkte Zak, dass Calaca irgendetwas in seiner rechten Faust festhielt. Er dachte daran, dass Ern behauptet hatte, es sei unmöglich, etwas Unerlaubtes in eine der Zellen zu schmuggeln, und sein Blick schweifte kurz nach links zu dem Aufseher, der an der Tür mit dem Handabdruckschloss stand.

Doch dann wandte er seine Aufmerksamkeit wieder Calaca zu, der jetzt aufstand.

Zak spürte, wie sich sein Puls beschleunigte.

Der Einäugige trat an das Gitter. Er legte seine Lippen ganz dicht daran und flüsterte etwas. Seine Stimme war so leise, dass Zak es nicht hören konnte.

Er trat näher heran. Wieder sagte Calaca etwas, doch Zak konnte ihn immer noch nicht verstehen.

Er sah Calaca an, dessen Lippen sich zu einem hässlichen Grinsen verzogen. Der dürre Mann hob den Zeigefinger und winkte Zak noch näher an das Glas heran.

Zak schluckte und bemühte sich, seine Nervosität zu verbergen. Doch er trat näher, bis sein Ohr nur noch Zentimeter vom Glas entfernt war.

Zum dritten Mal sagte Calaca etwas. Dieses Mal etwas lauter, sodass Zak jedes Wort verstand: »Wenn du überleben willst, wirf dich hin!«

Instinktiv reagierte Zak und ließ sich fallen, sodass es ihm fast den Atem raubte, als er auf den Betonboden prallte. Er nahm wahr, dass Calaca das Gleiche tat.

Und keine Sekunde zu früh.

Die Explosion war ohrenbetäubend: ein plötzlicher scharfer Knall, der aus dem Inneren der Zelle zu kommen schien. Die Momente darauf vergingen wie in Zeitlupe. Das laute Splittern von Glas und das unheilvolle Geräusch von knackendem Beton drang an Zaks Ohren. Die Druckwelle traf seinen Körper von allen Seiten, als würde er mit Fäusten geschlagen. Heißer, beißender Rauch füllte seine Lungen, während Glassplitter auf ihn herabregneten.

Dann verlor er das Bewusstsein.

Die nächsten sechzig Sekunden fühlten sich wie ein Traum an. Zak schwankte am Rand der Bewusstlosigkeit. Um ihn herum hörte er den Schutt leise fallen wie in einer verlangsamten Filmaufnahme. Er zwang sich, die Augen zu öffnen. Die Lichter in dem unterirdischen Bunker waren erloschen und Staub brannte ihm in den Augen. Er schloss die Augen wieder, um den Staub wegzublinzeln. Als er sie erneut öffnete, spürte er, wie sich jemand über ihn beugte. Es war zu dunkel, um etwas erkennen zu können, aber er wusste, dass es Calaca sein musste.

Zak spürte Panik in sich aufsteigen. Wie würde Calaca ihn umbringen? Hatte er eine Pistole oder ein Messer? Oder würde er ihm mit einer Glasscherbe die Kehle aufschlitzen? Er wusste, dass er sich wehren sollte, seinen Körper zwingen sollte, zu handeln. Doch er konnte sich nicht rühren.

Calaca beugte sich dichter zu ihm. Sein Gesicht befand sich nur Zentimeter von seinem entfernt. Er sagte etwas, doch Zak konnte ihn nicht verstehen, seine Worte klangen irgendwie fern und verzerrt. Ihm war schlecht. Der Raum um ihn begann sich zu drehen. Calaca nahm seine rechte Hand und legte etwas hinein. Dann verlor Zak wieder das Bewusstsein.

Er wusste nicht, wie lange er bewusstlos gewesen war. Vielleicht eine weitere Minute. Tief im Inneren hatte er das Gefühl, als schreie er. Es war ein angstvolles, schmerzhaftes Schreien. Plötzlich riss er die Augen auf und stellte fest, dass das Schreien real war. Es kam irgendwo aus dem Gang.

Es kostete ihn ungeheure Mühe, sich aufzurichten. Seine Knie wollten nachgeben, als er sich hochstemmte, und beinahe wäre er wieder zusammengebrochen. Völlig benommen steckte er das Objekt ein, das ihm Calaca in die Hand gedrückt hatte. Im Gang gab es jetzt wieder mehr Licht. Es kam aus dem sechseckigen Raum im Zentrum – und von dort erklangen auch die Schreie, die ihm das Blut in den Adern gefrieren ließen. Zak wandte sich um. Rauch und Staub nahmen ihm die Sicht, doch er konnte erkennen, dass die metallene Schiebetür halb offen stand und einen langen Schatten in den Gang warf.

Er tastete sich durch den Staub vorwärts. Auf dem dunklen Boden lag Schutt, über den er vorsichtig hinwegstieg, auf die Schreie zu. Nach fünf Metern konnte er sehen, woher die Schreie kamen. Quer über der Schwelle lag eine Gestalt, die die Tür daran hinderte, zuzufallen. Als Zak sich ihr näherte, erkannte er Ern.

Als er noch fünf Meter näher gekommen war, sah er auch, warum Ern schrie.

Der Aufseher hielt sich den rechten Arm. Nur war er nicht mehr vollständig. Seine rechte Hand war abgetrennt worden und eine ungeheure Menge Blut strömte aus der Wunde und durchnässte den Ärmel seiner Uniform.

Zaks Blick fiel auf das Handabdruck-Paneel neben der Tür. Es war blutverschmiert. Sofort war klar, was passiert war.

Calaca hatte einen Handabdruck gebraucht, um fliehen zu können. Also hatte er sich eine Hand besorgt.

Zak lief los. Alle Taubheit war mit einem Mal verflogen. Noch im Laufen zog er seinen Gürtel aus der Hose, kniete sich neben Ern, dessen Schreie jetzt zu einem verzweifelten Keuchen geworden waren, und fragte ihn eindringlich: »Können Sie mich hören?«

»J-ja!«

»Sie müssen Ihren verletzten Arm hochhalten. Ich werde versuchen, die Blutung zu stoppen.«

»Du … du hast ihm bei der Flucht geholfen!« Trotz der offensichtlichen Schmerzen schaffte Ern es, wütend zu klingen.

Zak hatte keine Zeit, sich mit ihm zu streiten. Er musste die Blutung stoppen, sonst würde das Erns letzte Schicht sein. Er wickelte den Gürtel knapp oberhalb des Ellbogens um Erns Arm und zog an. Ern keuchte, war aber zu schwach, um sich zu wehren. Während er weitermachte, stellte Zak fest, dass Erns MP weg war. Das war kein gutes Zeichen. Er zog den Gürtel so fest wie möglich. Mit aller Kraft stieß er mit dem Dorn ein zusätzliches Loch in den Gürtel. Es war zwar nur ein sehr provisorischer Druckverband, aber mehr konnte er nicht tun, bis richtige medizinische Hilfe eintraf.

Erst dann stand er auf und sah sich das Chaos in dem sechseckigen Raum an.

Die übrigen Türen waren alle geschlossen, aber das bedeutete nichts. Calaca konnte alle anderen Gefangenen befreit haben. Zak ging sogar davon aus, dass er es getan hatte. Dadurch würde noch mehr Chaos entstehen und das würde seine Flucht erleichtern. Überall lagen leblose Körper. Calaca konnte sie nicht alle allein überwältigt haben. Zak konnte nicht sagen, ob die Wachen noch lebten oder nicht. Aber er sah nirgendwo Blut, daher schätzte er, dass er nicht viel für sie tun konnte. Entweder wachten sie auf oder nicht. Er versuchte den Aufseher mit dem braunen Bart und den buschigen Augenbrauen ausfindig zu machen und war nicht überrascht, dass er ihn nicht entdeckte.

Ein paar der anderen Wachen hatten offensichtlich versucht, nach ihren Waffen zu greifen, bevor sie ausgeschaltet wurden. Ihre Hände lagen an den MPs. Zak ging zu dem, der ihm am nächsten war, und nahm seine Pistole.

»Das ist kein Spielzeug, Junge!«, hörte er Ern schwach rufen.

Zak drehte sich zu ihm um, löste mit einer einzigen geschickten Bewegung das Magazin und steckte es wieder zurück. »Ja«, bestätigte er ernst, »das stimmt.«

Dann dachte er an Calaca. Er musste verhindern, dass seine Flucht gelang.

Die Tür zur Treppe war geschlossen. Zak brauchte einen Handabdruck, um sie zu öffnen. Ern war trotz seines schlimmen Zustands der einzige Aufseher, der noch bei Bewusstsein war, daher wandte sich Zak an ihn.

»Glauben Sie, Sie können gehen?«, fragte er.

Ern war bleich und zitterte. Zak war sich nicht einmal sicher, ob er ihn überhaupt gehört hatte, doch er durfte keine Zeit verlieren. Also bückte er sich und packte den großen Wachmann unter beiden Armen, um ihn mit größter Anstrengung auf die Füße zu ziehen. Er warf sich Erns gesunden Arm über den Nacken und zerrte den schlotternden und zitternden Mann zur Tür. Als sie an das Bedienfeld kamen, legte Zak Erns Hand auf den Handflächenleser, und die Tür glitt auf.

»Du hast ihm nicht geholfen?«, fragte Ern.

»Ganz bestimmt nicht«, erwiderte Zak so überzeugt, dass Ern nickte.

»Ich glaube, ich kann laufen«, meinte er.

Zak ließ seinen Patienten los. Es war eine Erleichterung, das Gewicht nicht mehr tragen zu müssen. Ern war zwar wackelig auf den Beinen, schaffte es aber, hinter ihm die Treppe hinaufzusteigen. Zack löste den Sicherungshebel an seiner gestohlenen Waffe und stürmte voraus in das Lagerhaus, wobei ihm der Schweiß über die schmutzige Stirn lief.

Das Lagerhaus war leer. Calaca war nirgends zu sehen. Doch Zaks scharfes Auge entdeckte sofort eine Spur aus Blutflecken, die zum Ausgang führte. Vielleicht war Calaca bei der Explosion verwundet worden. Wenn das der Fall war, würde ihn das langsamer machen. Er sah über seine Schulter zurück. Ern folgte ihm noch, doch er sah aus wie ein Gespenst und verdrehte die Augen.

»Wir müssen uns beeilen!«, rief Zak.

Doch ihm war klar, dass Ern nirgendwo hinlaufen würde. Seine Knie gaben nach und er fiel bewusstlos zu Boden. Gleichzeitig hörte Zak in der Ferne Sirenen und fluchte leise. Die Einsatzkräfte kamen. Das Letzte, was Zak wollte, war, dass er sich mit ihnen abgeben musste. Sie würden ihm nur Fragen stellen, die er doch nicht beantworten konnte. Und sie würden ihn daran hindern, Calaca nachzujagen …

Er tastete in den Taschen nach seinem Handy und fluchte, als ihm einfiel, dass er es in dem Empfangsraum gelassen hatte. Also lief er stattdessen zu Ern und suchte in seiner Jacke. Der Gefängnisaufseher hatte sein eignes iPhone dabei. Zak schaltete es ein, und als es einen Fingerabdruck als Identifikation verlangte, drückte er den Daumen von Erns gesunder Hand darauf. Gleich darauf wählte er eine Nummer.

Seit Zak Agent 21 war, hatte er viele Dinge auswendig lernen müssen. Eines davon war die Telefonnummer gewesen, die ihn direkt mit seinem Betreuer Michael verband. Es war klar, dass er diese Nummer nur im Notfall wählen durfte. Er schätzte, dass dies so eine Situation war. Das Telefon klingelte nur einmal, bevor Michael das Gespräch annahm.

Zak wartete gar nicht erst ab, dass Michael sich meldete. »Calaca ist entkommen«, erklärte er kurz. »Die Polizei ist unterwegs. Ich stecke im Zellenblock 3B. Sie müssen meinen Handabdruck ins Sicherheitssystem laden.«

Nach einer ganz kurzen Pause sagte eine Stimme am anderen Ende: »Fertig. Geh zu Treffpunkt drei.«

»Ich muss Calaca finden!«

»Negativ! Geh zu Treffpunkt drei. Lass dich nicht von den Einsatzkräften befragen. Ich wiederhole: Lass dich nicht …«

»Sie müssen sofort Notärzte schicken«, unterbrach Zak ihn. Für Wiederholungen war die Zeit zu knapp. »Mehrere Schwerverletzte.«

Mehr gab es nicht zu sagen. Zak legte auf und warf das Handy in Erns Richtung. Er war wütend darüber, dass Michael ihn Calaca nicht verfolgen ließ. Doch er hatte gelernt, dass es besser war, den Befehlen Folge zu leisten, weil man manchmal nicht die gesamte Geschichte kannte. Und er hatte das Gefühl, dass genau das hier der Fall war …

Er rannte auf den Ausgang zu und knallte die Hand auf das Lesegerät. Die Tür glitt auf. Zak sah hinaus auf den Trainingshof und zuckte zurück. Er war von den Flutlichtern auf dem Dach des Lagerhauses hell erleuchtet. Hier war das Heulen der Sirenen noch lauter, und Zak konnte das blaue Blinklicht von mehreren Einsatzwagen sehen, die vor dem Zaun des Gefängnisses hielten.

Er warf einen Blick auf die Maschinenpistole in seiner Hand. Wenn ihn jemand damit sah, kam er womöglich auf falsche Gedanken. Er musste sie loswerden. Er entsicherte die Waffe, nahm das Magazin heraus und legte sie auf den Boden. Dann holte er tief Luft und rannte über den Trainingsplatz.

Die Flutlichter warfen sich überlagernde Schatten um ihn herum. Geblendet von dem grellen Licht rannte er zum Empfangsgebäude hinüber, das er nach kaum zehn Sekunden erreichte. Noch einmal drückte er seine Handfläche auf einen Abdruckleser. Die Tür glitt auf, er trat hindurch und blieb wie erstarrt stehen.

Der Wachmann, der ihn hereingelassen hatte, saß hinter seinem Schreibtisch. Er war auf seinem Stuhl zusammengesunken und sein Kopf hing schlaff zur Seite. Seine Kehle war aufgeschlitzt worden und Blut lief über seinen Hals. Zak schätzte, dass er erst vor wenigen Minuten getötet worden war.