Agent 22 - Undercover - Chris Ryan - E-Book
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Agent 22 - Undercover E-Book

Chris Ryan

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Beschreibung

Ein neuer Agent – und neue, atemlose Spannung!

Der 14-jährige Ricky lebt auf der Straße. Ein hartes Leben, aber Ricky ist auch hart im Nehmen – bis er sein Diebesglück bei den falschen Leuten versucht … In letzter Sekunde rettet ihn ein mysteriöser Fremder und macht ihm ein erstaunliches Angebot: Ricky bekommt eine Wohnung und 100 £ pro Woche, wenn er sich von dem Typ namens Felix unterrichten lässt. Wozu er professionelles Kampftraining und Beschattungstechniken braucht, ist Ricky zwar ein Rätsel, aber er willigt ein – und findet sich plötzlich inmitten einer gefährlichen Mission wieder …

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Seitenzahl: 315

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DER AUTOR

© Sam Barker

Chris Ryan wurde 1961 in Newcastle, England, geboren. Zehn Jahre lang war er für die SAS, die britische Eliteeinsatztruppe, tätig. Er war an verschiedenen militärischen und verdeckten Operationen beteiligt und Leiter eines Antiterrorteams. In den letzten Jahren verfasste er mehrere Actionthriller, die sofort Einzug in die Bestsellerlisten hielten.

Von Chris Ryan ist bei cbt bereits erschienen:

Agent 21 – Im Zeichen des Todes (Band 1)

Agent 21 – Reloaded (Band 2)

Agent 21 – Codebreaker (Band 3)

Agent 21 – Survival (Band 4)

Chris Ryan

Agent 22

Undercover

Aus dem Englischen von Tanja Ohlsen

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Der Verlag weist ausdrücklich darauf hin, dass im Text enthaltene externe Links vom Verlag nur bis zum Zeitpunkt der Buchveröffentlichung eingesehen werden konnten. Auf spätere Veränderungen hat der Verlag keinerlei Einfluss. Eine Haftung des Verlags ist daher ausgeschlossen.

1. Auflage

Deutsche Erstausgabe Juli 2016

© 2015 by Chris Ryan

Die englische Originalausgabe erschien unter dem Titel »Under Cover« bei Red Fox, an imprint of Random House Children’s Publishers UK.

© 2016 für die deutschsprachige Ausgabe cbt Verlag

in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München

Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten

Aus dem Englischen von Tanja Ohlsen

Lektorat: Luitgard Distel

Umschlaggestaltung: init | Kommunikationsdesign, Bad Oeynhausen

unter Verwendung des Originalumschlags

Cover artwork © Stephen Mulcahey, Photography © Jonny Ring

jb ∙ Herstellung: AnG

Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

ISBN: 9783-641-17438-5

www.cbt-buecher.de

V001

Inhalt

Teil I

Trash-Kids

Die Chuckle-Brothers

Fütterungszeit

Der Deal

Hausaufgaben

Kims Spiel

Teil II

Waffen

Überwachung

Trostlose Winterzeit

Das Bild

Keeper’s House

Zaubertricks

Trident

Teil III

Izzys Flucht

Der tote Winkel

Ein Dieb in der Nacht

NI

Happy Valley

Allerseelen

Aufgespürt

Blendgranate

Wieder allein

Etwas Gutes und Intelligentes

Teil I

Trash-Kids

Trafalgar Square, LondonDonnerstag, 11:30 Uhr

Polizisten!

Wie viele?

Zwei im Norden, drei im Süden.

Sind die ein Problem?

Hoffentlich nicht. Wir werden sie im Auge behalten. Wenn es aussieht, als würden sie Ärger machen, gehen wir woandershin.

Doch Ricky Mahoney wollte nirgendwo anders hin. Für das, was er vorhatte, war das hier der beste Platz in London.

Ricky war nicht wie andere vierzehnjährige Jungen. Er unterschied sich von ihnen nicht nur durch seine schäbige Kleidung und die Secondhand-Turnschuhe mit den Löchern. Es war auch nicht die Tatsache, dass er die letzten eineinhalb Jahre ohne Erwachsene allein in einem schäbigen Zimmer in einem überfüllten, verfallenen, alten viktorianischen Haus im Nordosten von London gelebt hatte. Auch nicht, dass er nach seiner eigenen Aussage ein Taschendieb und geschickter Einbrecher war.

Es war die Art, wie er mit sich selbst redete, die ihn zu der Ansicht brachte, dass er tatsächlich etwas sonderbar war. Den ganzen Tag besprach er alles mit einem imaginären Komplizen namens Ziggy. Völlig verrückt, aber Ricky war das egal. Denn wenn man keine wirklichen Freunde hatte, dann taten es manchmal auch die imaginären.

Ziggy widersprach gern. Im Augenblick kritisierte er eine von Rickys kleinen Lektionen über die Feinheiten der Kleinkriminalität.

Mann, diese Leute mit den Handys…, meinte Ricky. Er sprach nie laut mit Ziggy, ihre Gespräche fanden immer nur in seinem Kopf statt.

Wieso? Was ist denn mit denen?

Ricky hatte nie ein Handy dabei. Er brauchte keins. Doch wenn er es schaffte, ein vernünftiges Teil zu stehlen, dann kannte er einen Ort im East End, wo er es für bis zu fünfzig Pfund verkaufen konnte. Es kam ihm immer etwas seltsam vor, dass alle so davon besessen waren.

Na ja, wie viele Leute sehen wir hier? Fünfhundert? Und die Hälfte davon starrt auf ihren Bildschirm oder macht Selfies. Im Ernst, ich könnte jeden davon beklauen– das reinste Kinderspiel.

Und warum machst du es dann nicht? Morgen ist die Miete fällig und wir haben seit zwei Tagen nichts gegessen.

Das stimmte. Ricky knurrte der Magen. Er brauchte etwas zu essen.

Er lehnte an einem der steinernen Löwen auf dem Trafalgar Square. Schon vor Ewigkeiten hatte er herausgefunden, dass man dort praktisch unsichtbar war. Und genauso mochte er es. Unsichtbar war gut für einen Taschendieb.

Es waren viele andere junge Leute da. Einige planschten im Springbrunnen herum, andere jagten Tauben über den Platz. Wieder andere latschten hinter ihren Eltern her, als wäre es der langweiligste Tag der Welt. Niemand achtete auf einen weiteren Jungen, der sich bei den Löwen herumtrieb.

Außerdem hatte der Trafalgar Square noch einen weiteren Vorteil. Es gab dort immer Touristen. In Massen starrten sie die Nelsonsäule an und achteten kaum auf ihre Umgebung. Bei ihnen war Taschendiebstahl einfach. Sie waren wie Geldautomaten, an denen man nicht einmal eine Karte brauchte, um Geld abzuheben.

Moment mal! Wer ist das?

Wo?

Da drüben. Nordseite des Platzes. Ein paar Trash-Kids.

Trash-Kids nannte Ricky die obdachlosen Kinder, die sich auf den Straßen Londons herumtrieben. Sie waren überall, wenn man nur die Augen aufmachte und hinsah – was die meisten Menschen natürlich nicht taten. Nachts trafen sie sich an den schäbigeren Ecken von King’s Cross oder unter den Themsebrücken. Die Trash-Kids waren ein gemeiner Haufen, die sich zuweilen zu aggressiven, gewalttätigen Gangs zusammentaten. Ricky hielt sich von ihnen lieber fern. Er war nur ein einziges Mal wirklich mit ihnen aneinandergeraten. Er sah auf sein linkes Handgelenk hinunter, von dem sich eine blasse weiße Narbe über seinen Arm zog und davon zeugte, wie schlecht diese Begegnung für ihn ausgegangen war.

Blinzelnd sah er über den Platz. Ein Mädchen in seinem Alter stand hinter einem Japaner, der seine Freundin fotografierte. Ein Junge kam rasch auf sie zu. In fünf Sekunden würde er sie erreicht haben. Sie sahen sich kurz an.

Pass auf. Der älteste Trick der Welt.

Das Mädchen streckte die linke Hand aus, schob sie in die Seitentasche des Leinenjacketts des Japaners, zog sie wieder heraus und hielt etwas fest. Eine Brieftasche. Sie war so schnell gewesen wie eine hervorschnellende Geckozunge.

Der Junge war jetzt direkt hinter ihr und ging weiter. Selbst Ricky konnte den Moment, in dem die Brieftasche weitergereicht wurde, nicht erkennen. Schon war der Junge wieder in der Menge verschwunden. Möglicherweise hatte er die Brieftasche bereits einem dritten Komplizen weitergegeben. Ein paar Sekunden später bat der Japaner das Mädchen, ein Foto von sich und seiner Freundin zu machen.

Ziemlich gut, gab Ricky widerwillig zu.

Du könntest bei den Trash-Kids mitmachen, wenn du wolltest. Du könntest mit einem Partner arbeiten. Das wäre sicherer.

Nein, das will ich nicht. Wenn wir einen Partner hätten, würde er uns verraten, sobald es schwierig wird. Und bevor wir’s uns versehen, haben uns die Gutmenschen in den Krallen.

Und außerdem, dachte Ricky, war er kein Trash-Kid. Er war von zu Hause – wenn man das so nennen wollte – aus freien Stücken weggegangen. Und er war auch genau genommen nicht obdachlos. Er wohnte nicht in einem Hauseingang, in einer Pappschachtel oder unter einer Brücke, nicht einmal in einem Wohnheim. Er hatte eine Bleibe. In seiner Lage war das ein feiner Unterschied. Es war eine Frage des Stolzes – selbst wenn es bedeutete, jemanden wie Baxter als Vermieter zu haben.

Er beobachtete weiter die Menge und ignorierte das bohrende Hungergefühl in seinem Bauch. Ziggy hatte recht. Heute war Donnerstag. Er hatte seit Dienstagmittag nichts mehr gegessen. Es war nicht so, dass er untätig gewesen wäre. Ganz im Gegenteil. Er hatte seitdem drei Brieftaschen gestohlen. In der ersten waren vierzig Pfund gewesen, in der zweiten zwanzig und in der dritten fünfzig. Ein gutes Ergebnis, aber es reichte noch nicht, um die Monatsmiete an den alten Baxter zu zahlen. Rickys bösartiger Vermieter würde morgen Abend seine Miete eintreiben. Und das bedeutete, dass Ricky noch einen letzten guten Griff tun musste. Vor allem, wenn er auch noch etwas essen wollte.

Er hielt nach möglichen Opfern Ausschau. Dort schob eine Mutter ihr Kind in einem Buggy vor sich her. Junge Mütter bestahl Ricky nie. Es kam ihm irgendwie nicht fair vor. Dann fiel sein Blick auf einen gestressten Lehrer mit einem Haufen Schulkinder. Auf keinen Fall. Der Lehrer war nicht das Problem, aber Ricky wusste, dass Kinder viel aufmerksamer waren als Erwachsene. Sie sahen alles.

Dann greif dir einen von den Idioten mit den Handys, schlug Ziggy vor, wenn das bei denen so leicht ist.

Nee. Das ist ja wie Fische im Aquarium angeln! Man muss seine Fähigkeiten trainieren…

Oh, komm schon, Ricky. Du musst doch schon mindestens zweihundert Brieftaschen gestohlen haben. Und du wurdest noch nie erwischt.

Weil ich meine Fähigkeiten trainiere.

Er beobachtete weiterhin die Menge. Ein paar Sekunden später heftete er seinen Blick auf einen Mann, der von der Nordwestecke des Platzes zur Nelsonsäule kam. Es war ein großer Schwarzer mit kahlem, glänzendem Schädel und einer blauen Regenjacke, obwohl keine Spur von Regen zu bemerken war. Er schien heftig zu schwitzen, denn beim Laufen tupfte er sich den kahlen Kopf mit einem Taschentuch ab. Und was noch wichtiger war, seine Regenjacke stand offen und die Reißverschlüsse der Außentaschen auch. In seiner Hosentasche konnte er einen U-Bahn-Fahrplan sehen.

Ein Tourist, dachte Ricky. Er bückte sich und zog seinen rechten Schnürsenkel auf. Dann sprang er vom Sockel des steinernen Löwen und lief schnell zwanzig Schritte nach Norden. Dann wandte er sich um neunzig Grad nach links. Nach schätzungsweise zehn Schritten würde er den Weg seines Opfers kreuzen. Aus dem Augenwinkel beobachtete er den Mann und konnte selbst aus dieser Entfernung erkennen, wo die Brieftasche war – die rechte Jackentasche hing leicht herunter, so als befinde sich etwas Schweres darin. Und was Ricky anging, so waren schwere Brieftaschen die besten. Außerdem sah er etwas, was er vom Sockel aus nicht bemerkt hatte. Der Mann trug einen kräftigen Gehstock in der rechten Hand und hinkte leicht.

Fünf Schritte.

»Los geht’s!«

Etwa einen Meter vor dem Mann »stolperte« Ricky über seinen offenen Schnürsenkel. Es war, fand er, ein sehr gelungener Sturz – einer, den er hundert Mal geübt hatte, bis er ihn beherrschte, ohne sich selbst zu verletzen. Doch jetzt verzog er das Gesicht vor Schmerz und begann zu zittern, als er direkt vor den Füßen des Mannes auf dem Asphalt landete.

Der Mann blieb stehen und starrte den Jungen vor sich an. »Was soll das denn?«, fragte er. »Willst du dich für die Rolle von Coco dem Clown bewerben?«

Er klang, als habe er etwas im Mund, und Ricky sah, dass er ein Bonbon lutschte.

»Auuh!« Er wischte sich mit dem Handrücken eine imaginäre Träne aus dem Augenwinkel. Dann streckte er die Hand aus, damit ihm der andere aufhelfen konnte. Ein wenig amüsiert sah der Mann ihn an.

Tu es nicht, warnte Ziggy. Beklau ihn nicht. Der ist nicht so blöd, wie er aussieht.

Das geht schon gut.

Eine schwere Brieftasche war ein gewisses Risiko wert.

Ricky kam taumelnd auf die Füße und schob dabei die rechte Hand in die Regenjackentasche des Mannes. Tatsächlich lag darin eine fette Brieftasche.

Siehst du. Das reinste Kinder…

»Du solltest dir die Schuhe zubinden, Coco«, sagte der Mann.

»Ja«, erwiderte Ricky und sah ihm fest in die Augen, damit die nicht irgendwo anders hinwanderten.

Der Mann erwiderte seinen Blick mit einem merkwürdigen leisen Lächeln.

»Ist wohl besser.« Jetzt hatte er die Brieftasche in der Hand. Sie fühlte sich gut und schwer an. Schnell ließ er sie in seinen rechten Ärmel gleiten, wo er eine kleine Tasche eingenäht hatte.

Erledigt.

»Es sei denn, du hast vor, demnächst noch eine Bauchlandung zu machen.«

Ricky zögerte einen kurzen Moment.

Er weiß, dass du geschauspielert hast!

Nein, weiß er nicht. Er ist nur ein schräger Vogel, der ein bisschen plaudern möchte.

Doch ihm war ein wenig unbehaglich, als er sich bückte, um sich den Schnürsenkel zu binden.

Der Mann stand über ihm.

»Möchtest du ein Bonbon?«, fragte er. »Ich habe hier irgendwo welche.«

Mit der freien Hand klopfte er die Regenjacke ab.

»Nein, wirklich«, sagte Ricky, als die Hand des Mannes der Tasche, in der die Brieftasche gewesen war, gefährlich nahe kam. »Ich … ich esse keine Süßigkeiten.«

Der Mann blinzelte überrascht. »Seltsam«, murmelte er. »Na, wenn du dir sicher bist.«

»Ja, ganz sicher. Danke.«

»Okay, kein Bonbon. Da ist nur noch eine Sache.«

»Was?«

»Du solltest mir wohl meine Brieftasche wiedergeben.«

Ricky erstarrte. Sein Schnürsenkel war noch immer offen, als er aufstand. »Ich weiß nicht, was Sie …«

»Sie ist in deinem rechten Ärmel, für den Fall, dass du es vergessen haben solltest.« Als der Mann grinste, erblickte Ricky gelbe, faulige Zähne. »Passiert den Besten von uns.«

Ricky sah ihn abschätzend an. Er war groß und sah kräftig aus, doch er hatte diesen Krückstock, vom Humpeln ganz zu schweigen. Ricky andererseits war mager und schlaksig. Eigentlich eher ein Schwächling. Ein miserabler Kämpfer.

Aber schnell.

Und er wusste, dass man sich manchmal auf seine Stärken verlassen musste.

Sein Mund war trocken, sein Herz klopfte heftig.

Renn!, riet Ziggy ihm.

Ricky rannte los.

Die Chuckle-Brothers

Ricky war aufgefallen, dass Menschenmengen immer dichter zu werden schienen, wenn man versuchte, ihnen zu entkommen. Er spürte, wie ihm die losen Schnürsenkel um die Knöchel flogen, als er in Höchstgeschwindigkeit die Touristen umkurvte. Mit hämmerndem Puls erreichte er die Straße um den Trafalgar Square.

Pass auf, die Autos!, schrie Ziggy.

Die Straße war voller Busse, Taxen und anderer Fahrzeuge. Ein paar von ihnen hupten wütend, als er über die Straße in Richtung Strand Street rannte und dabei den fahrenden Wagen auswich.

Als er sicher auf der anderen Seite angekommen war, schwitzte er stark. Erst da erlaubte er sich einen Blick über die Schulter zurück.

Der Mann stand am Rand des Trafalgar Square. Er sah nicht aufgeregt aus, sondern lächelte immer noch leicht amüsiert, während er Ricky nachsah.

Der macht mich nervös.

Mich auch.

Du hast ihn nicht reinlegen können.

Danke, dass du mich daran erinnerst.

Vielleicht sind deine Fähigkeiten doch nicht so atemberaubend.

Halt die Klappe, Ziggy.

Ricky sah nach vorn und rannte weiter in östlicher Richtung die Strand entlang.

Er schätzte, ein möglicher Verfolger würde erwarten, dass er nach Norden lief und versuchte, in den Nebenstraßen von Covent Garden zu verschwinden. Doch es gab eine kleine Abkürzung – ein paar Stufen, die von der Strand hinunter zum Fluss führten. Oben blieb er stehen und sah sich noch einmal um. Von dem Mann war nichts zu sehen. Mit seinem Humpeln und dem Stock war er wahrscheinlich nicht so schnell – es sei denn, er konnte gut hüpfen. Ricky nahm immer zwei Stufen auf einmal. Unten blieb er erneut stehen und band seinen Schuh zu, den Rücken an eine Mauer gelehnt.

Entspann dich!

Ich versuch es ja…

Seine Hände zitterten. Beinahe wäre er geschnappt worden, und er wusste genau, was das bedeutete. Ab zur Polizei, und bevor er sich’s versah, würde er wieder in einem Pflegeheim sitzen. Die Gutmenschen hätten ihn fest in ihren Klauen.

Was ist in der Brieftasche?

Immer noch in der Hocke zog Ricky die Brieftasche aus dem Ärmel und schlug sie auf. Er grinste. Sie war voller Geldscheine. Schätzungsweise mehrere Hundert Pfund, außerdem neun oder zehn Kreditkarten. Ricky nahm ein paar Karten heraus und bemerkte sofort, dass verschiedene Namen darauf standen. R. F. Martin und Mr Jim Daniels. Er sah sich weitere Karten an. Dr. H. Newland. Mr Godfrey S. Davies. Außerdem fand er einen Führerschein und einen Bibliotheksausweis, beide mit dem Foto des Mannes mit dem kahl rasierten Schädel, aber mit unterschiedlichen Namen.

Wer war das? Eine Art Krimineller? Ein Trickbetrüger?

Du hast dich mit dem Falschen angelegt.

Ricky steckte die Karten wieder in die Brieftasche. Er würde keine davon benutzen. Wenn die Polizei hinter dem Mann her war, würden sie seine Karten überwachen und dann hätten sie eine Spur, die direkt zu Ricky führte. Aber mit dem Bargeld sah die Sache anders aus. Das konnte man nicht zurückverfolgen. Er steckte die Brieftasche ein und stellte sich vor, was er sich davon kaufen würde. Vielleicht einen Burger. Mit extra viel Pommes. Einen großen Milchshake …

»Bist du sicher, dass du kein Bonbon willst, Coco?«

Rick erstarrte, als ein Schatten über ihn fiel. Einen Meter entfernt bemerkte er zwei Füße und das untere Ende eines Krückstocks. Er sah auf.

Der Mann lächelte immer noch leise, doch in seinen Augen blitzte es hart.

Der Typ bringt Ärger. Diese ganzen falschen Ausweise, möglicherweise organisiertes Verbrechen. Damit willst du nichts zu tun haben. Gib ihm einfach die Brieftasche wieder und verschwinde!

Ricky stand vorsichtig auf. Dann nahm er die Brieftasche und gab sie dem Mann.

»Vielen Dank«, sagte der mit tiefer Stimme. »Ich frage mich, ob du vielleicht einen Blick hineingeworfen hast?«

Ricky schüttelte den Kopf.

»Namen«, fuhr der Mann fort, der ihm offensichtlich nicht glaubte. »Bei manchen Gelegenheiten ist einer besser als der andere. Wie ist übrigens deiner?«

»Billy«, log Ricky instinktiv.

Der Mann sah ihn erfreut an. »Siehst du, wie einfach das ist? Jetzt hast du drei Namen – Billy, Coco und deinen richtigen Namen.«

»Stimmt«, sagte Ricky. Dieser Tag wurde immer merkwürdiger. Genau wie dieser Kerl. »Äh, werden Sie mich anzeigen?«

»Bei der Polizei? Du lieber Himmel, nein! Die können gelegentlich ganz schön nerven.« Er nahm zwanzig Pfund aus der Brieftasche und fragte: »Hast du Hunger?«

Unwillkürlich nickte Ricky.

»Ich auch. Also, wie wäre es, wenn ich dir etwas zu essen kaufe und dir erzähle, was du falsch gemacht hast?«

Etwas zu Essen. Schon beim Gedanken daran lief Ricky das Wasser im Mund zusammen.

Sei nicht albern!, forderte Ziggy. Der Kerl bedeutet Ärger. Lächle freundlich und verschwinde von hier!

Ricky drückte sich an der Mauer entlang zur Treppe. Der Mann zuckte mit den Schultern und hielt ihm den Geldschein hin. Unsicher nahm Ricky ihn. Doch in dem Augenblick, als der Mann das Geld losließ, packte er Rickys Handgelenk. Es war ein fester Griff, unter dem Ricky zusammenzuckte.

»Jede Lüge braucht ein Körnchen Wahrheit, Coco«, erklärte der Mann. »Wenn du das nächste Mal die Bauchlandung machst, sorg dafür, dass man etwas Blut sieht. Am Knie, Ellbogen oder sonst wo. Nimm künstliches Blut, wenn du so etwas hast. Das ist ziemlich gut. Hätte ich das gesehen, hätte ich dir die Nummer vielleicht sogar abgekauft.«

»Lassen Sie mich los!«

»Und wenn du weißt, dass du schneller bist als jemand anders, dann renn in gerader Linie davon. Sonst trickst derjenige dich vielleicht aus, genau wie ich. Und du musst zugeben, dass es schon etwas peinlich ist, von jemandem mit nur einem Bein geschnappt zu werden.«

»Was?«

Der Mann ließ Ricky los und er taumelte zu den Stufen.

»Ich fürchte, so ist es«, sagte der Mann und klopfte mit dem Krückstock gegen seinen Unterschenkel, wobei ein dumpfes Geräusch erklang.

Tolle Fähigkeiten, meinte Ziggy sarkastisch. Eingeholt von einem Einbeinigen…

Halt die Klappe, Ziggy.

Jetzt wollte Ricky wirklich nur noch weg.

»Sag mir eines, Coco …«

»Was?«

Der Mann lächelte und zeigte dabei wieder die Zähne von jemandem, der mehr Süßigkeiten aß, als gut für ihn war.

»Willst du einen Job?«

Einen Job? Was für eine Art Job wird dir so jemand schon anbieten?

»Nein«, antwortete Ricky.

»Oh. Schade. Aber ich sag dir was. Steck den Zwanziger in deinen Schuh, das ist bei Weitem der sicherste Platz dafür.«

»Okay.«

Der Mann wandte sich zur Treppe.

»Ach, und … Coco?«

Ricky hielt inne und sah zu ihm auf. »Was?«

»Du kannst mich Felix nennen«, sagte der Mann. »Ein Name ist so gut wie der andere und vielleicht sehen wir uns ja mal wieder.«

Das hättest du wohl gern, dachte Ricky und eilte die Treppe hinauf, nur fort von dem Verrückten, der zwar keine Haare, aber dafür viele Namen hatte. Träum weiter!

Sein Zuhause, das war für Ricky ein Zimmer in einem heruntergekommenen Haus am Rand von Hackney. Die anderen Bewohner wechselten im Wochenrhythmus, doch Ricky hatte sich angewöhnt, sowieso nicht mit ihnen zu reden. Kein normaler Mensch blieb dort. Das ganze Haus stank nach verrottetem Holz und Schimmel, und Tag und Nacht ertönte das Rascheln von Nagetieren in der Decke. Im Zimmer selbst gab es nichts außer einem Bett und einem Waschbecken in einer Ecke, dessen Wasserhahn unaufhörlich tropfte. Die Toilette, die er sich mit mehreren anderen teilte, machte nie jemand sauber, daher war sie unbeschreiblich ekelhaft.

Es kostete ihn 150 Pfund pro Monat, dort zu wohnen. An jedem Ersten kam sein Vermieter, um die Miete zu kassieren. Baxter war ein furchterregender Mann – er hatte ein hageres Gesicht und fast keine Lippen. Wenn Ricky ihm sein Geld gab, zählte Baxter sorgfältig jeden einzelnen Schein. Er hatte ihn nie nach seinem Alter gefragt, und wenn es ihn kümmerte, dass ein Minderjähriger in einem derartigen Drecksloch hauste, dann zeigte er es jedenfalls nicht.

Ricky hatte gesehen, was passierte, wenn man nicht zahlen konnte. Baxter hatte ein paar Schläger, die am Zahltag immer im Auto warteten. Wenn jemand auch nur fünfzig Pence zu wenig zahlte, warfen ihn die Schläger aus dem Haus. Das ging nie ohne blaue Flecken ab und gelegentlich gab es auch aufgeplatzte Lippen.

Zumindest haben wir noch vierundzwanzig Stunden bis zum Zahltag, dachte Ricky, als er müde nach Hause trottete.

Und wieso steht dann Baxters Mercedes da?

Ricky blieb stehen und blinzelte. Der Mercedes stand fünfundzwanzig Meter von ihnen entfernt direkt vor dem Haus. Es gab keinen Zweifel, dass es Baxters Wagen war. In dieser Gegend fiel ein silberner Mercedes auf.

Was will der denn?

Ricky ging an dem Wagen vorbei. Er war leer. Das bedeutete, dass Baxters Schläger im Haus waren. Und das wiederum bedeutete Ärger.

Drinnen herrschte Aufruhr. Irgendetwas ging im ersten Stock vor sich, wo Rickys Zimmer lag. Nervös stieg er die Treppe hinauf. Und tatsächlich standen Baxter und zwei untersetzte Männer – kantige Kiefer, platte Nasen, vernarbte Gesichter – auf dem Treppenabsatz. Ricky nannte sie die Chuckle-Brothers. Es war nur ein Scherz, denn eigentlich waren sie nicht wirklich zum Lachen.

Was machen denn die Chuckle-Brothers vor unserem Zimmer?, wunderte sich Ziggy.

Die Schläger hatten sich neben seiner Zimmertür postiert, während Baxter ein paar Schritte weiter weg stand.

»Ah, da bist du ja, Junge«, sagte Baxter mit einer Stimme, die nach tausend Zigaretten klang. »Wir haben schon auf dich gewartet.«

»Aber Zahltag ist doch erst morgen, nicht heute«, protestierte Ricky. Er bemühte sich nicht, seinen Abscheu zu verbergen. Sein Vermieter war ein Mistkerl.

»Nicht für dich, Junge. Du bist hier raus.«

Ricky blieb oben an der Treppe stehen. »Was soll das heißen?«

»Bist du etwa so dämlich, wie du hässlich bist?«, fragte Baxter.

Die Chuckle-Brothers lachten fies, als eine Frau in der Tür zu Rickys Zimmer auftauchte. Sie hatte drei Kinder bei sich – hungrige, blasse Geschöpfe. Sofort verstand Ricky. Baxter hatte es geschafft, aus dieser Frau mehr Geld herauszupressen als aus Ricky.

»Ich kann aber nirgendwo anders hin«, sagte er matt.

»Oh, ich heul gleich!«, grinste Baxter und nickte Chuckle 1 zu, der eine Tasche aufhob und sie Ricky zuwarf.

»Deine Sachen«, erklärte Baxter. »Und du schuldest mir noch Geld.«

»Wofür?«

»Für die Schäden, die du im Zimmer angerichtet hast, du kleiner Dieb. Abgerissene Tapete, Zigarettenlöcher …«

»Die waren schon da, als ich eingezogen bin – ich rauche nicht mal. Und außerdem habe ich kein Geld.«

ENDE DER LESEPROBE