KOPFGELD (Extreme 3) - Chris Ryan - E-Book

KOPFGELD (Extreme 3) E-Book

Chris Ryan

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Beschreibung

Chris Ryans Extreme – extreme Action, extremes Tempo, extreme Sprache. Seiner Vergangenheit kann niemand entkommen. Keiner weiß das besser als Ex-SAS-Soldat John Bald. Als die Firma ihn in Kasachstan aufgreift und ihm verspricht, noch einmal von vorn anfangen zu können, willigt er zögerlich ein, an die Frontlinie zurückzukehren. Seine Mission: einen flüchtigen russischen Oligarchen namens Viktor Klich aufspüren. Klich weiß zu viel, und Bald muss sich beeilen, damit der russische Geheimdienst ihn nicht zuerst erwischt. Was als einfacher Coup beginnt, verwandelt sich in einen brutalen Kampf ums überleben. Bald folgt Klichs Spuren von den gewalttätigen Straßen in Caracas über die Glamourwelt Dubais bis in die französischen Alpen, und wird schnell vom Jäger zum Gejagten … ★★★★★ »Niemand versetzt Sie besser mitten in die Action als Ryan.« - EVENING STANDARD Chris Ryan, ehemaliger SAS-Elitesoldat und Erfinder der erfolgreichen TV-Serie »Strike Back«, befördert Sie mit seiner Extreme-Reihe direkt ins explosive Geschehen. Seine Bücher sind atemlose Actionkost – schonungslos, realistisch und knallhart.

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EXTREME: KOPFGELD

Band 3

Chris Ryan

 This Translation is published by arrangement with Chris Ryan Title: EXTREME: MOST WANTED. All rights reserved. Copyright © Chris Ryan 2014

Diese Geschichte ist frei erfunden. Sämtliche Namen, Charaktere, Firmen, Einrichtungen, Orte, Ereignisse und Begebenheiten sind entweder das Produkt der Fantasie des Autors oder wurden fiktiv verwendet. Jede Ähnlichkeit mit tatsächlichen Personen, lebend oder tot, Ereignissen oder Schauplätzen ist rein zufällig.

Impressum

Deutsche Erstausgabe Originaltitel: MOST WANTED Copyright Gesamtausgabe © 2022 LUZIFER Verlag Cyprus Ltd. Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Cover: Michael Schubert Übersetzung: Peter Mehler Lektorat: Manfred Enderle

Dieses Buch wurde nach Dudenempfehlung (Stand 2022) lektoriert.

ISBN E-Book: 978-3-95835-726-6

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über

Inhaltsverzeichnis

EXTREME: KOPFGELD
Impressum
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
Kapitel 41
Kapitel 42
Kapitel 43
Kapitel 44
Kapitel 45
Kapitel 46
Kapitel 47
Kapitel 48
Kapitel 49
Über den Autor

Kapitel 1

Almaty, Kasachstan, 19:01 Uhr

John Bald beobachtete Memphis Hay vom Steuer eines VW-Wohnmobils aus. Die Scheinwerfer hatte er ausgeschaltet, und der Motor knackte immer noch sein Todesröcheln. Das Wohnmobil parkte mitten in dem Durcheinander eines Schrotthändlers, vierzig Meter südlich von Hay und dessen Lada Niva, im Schatten unter einer Autobahnbrücke am Stadtrand von Almaty.

Bald sah zu, wie Hay den Kofferraum des Niva öffnete und von einem Typen aus einer der örtlichen Tengir-Drogenbanden beiseite gedrängt wurde, der daraufhin mit den Händen über den Inhalt fuhr. Der Tengir-Schläger trug eine knallenge Jeans, ein weißes T-Shirt mit V-Ausschnitt und sah wie ein geschwollener Testikel aus. Er war zu der Drogenübergabe vor einer Minute in einem heruntergekommenen Mazda 6 getuckert, der nun acht Meter von dem Niva entfernt am Straßenrand stand. Testikels Kumpel lehnte an der Motorhaube des Mazdas. Der Kerl steckte in einem Trainingsanzug einer brasilianischen Fußballmannschaft. Ein knapp zwei Meter großer gelbgrüner Vollidiot.

Bald beobachtete, wie Hay einen braunen Koffer aus dem Kofferraum des Niva nahm und ihn vor Testikel auf den Boden abstellte. Der Kerl nickte und winkte dem Brasilianer zu, der daraufhin eine schwarze Sporttasche von Rücksitz des Mazdas holte. Bald wusste zwei wichtige Dinge über dieses Treffen. Der braune Koffer, der Hay gehörte, enthielt dreißig Kilo Rohopium, genau der Dreck, aus dem Heroin für die Crackheads auf den Straßen hergestellt wurde. Und er wusste außerdem, dass die schwarze Sporttasche Geld enthielt: 120 Riesen in sauberen US-Dollarnoten. In etwa dreißig Sekunden würden das Opium und das Geld die Besitzer wechseln, und dann würde Bald zuschlagen.

Brasilien trug die Sporttasche zu dem Niva. Poster verzierten die Wände eines verfallenen Lagerhauses zwischen den zwei Fahrzeugen, die einzigen Farbtupfer in einer ansonsten monochromen Umgebung. Poster des kasachischen und russischen Präsidenten, die einander die Hände schüttelten. Der Kasache trug eine dümmlich aussehende Pelzmütze auf dem Kopf und grinste kumpelhaft in die Kamera.

Brasilien warf Hay die Tasche zu. Der Hippie fing sie auf, als würde er ein Baby retten. Für einen Moment wog er sie in der Hand. Dann stopfte er die Tasche auf den Beifahrersitz, und Bald setzte sich auf. Dem verdammten Zahltag ein Stück näher. Jetzt musste er nur noch darauf warten, dass sich Testikel und sein Kumpel verpissten. Dann würde Bald Hay überfallen und ihm ein Angebot machen, das er nicht ablehnen konnte. Eines von der Sorte, die man in diesem Business am besten vom sicheren Ende einer Halbautomatik aus unterbreitete.

»Glaubst du, es gibt in Panama Tierheime, Baby?«

Die Stimme gehörte einer holländischen blonden Hippiebraut namens Saakje Wolfswinkel, die Bald in letzter Zeit pimperte. Saakje besaß einen Knackarsch und Titten so groß wie Sandsäcke, was Bald ihre Dreadlocks und ihren marxistischen Quatsch verschmerzen ließ. Sie saß im hinteren Wohnbereich des Campingwagens an einem laminierten Klapptisch und zündete sich gerade einen Joint an. Bald roch, wie das süßliche Aroma die Fahrerkabine füllte.

»Ja … nein. Woher zum Geier soll ich das wissen?«, fragte er.

»Ich hab darüber nachgedacht und würde gern ein Tierheim leiten. Tieren helfen und so, weißt du?« Saakje zog tief an ihrem Joint. »Wir werden da unten am Strand wohnen, oder, Baby? In einer Hütte, so wie du es versprochen hast.«

»Genau, wie ich es versprochen habe«, sagte Bald.

»Und wir werden gemeinsam alt, oder? Bis in alle Ewigkeit?«

»Nichts hält ewig«, murmelte er abwesend. »Aber klar, so lange es eben geht.«

Bald versuchte, den Klang ihrer Stimme auszublenden. So wie alles andere auch, wie das unablässige Dröhnen des Verkehrs auf der Straße über ihnen. Seine gesamte Energie und alle seine Sinne waren auf den Drogendeal fokussiert, der sich gerade darunter abspielte. Hay stolzierte gerade um die Fahrertür des Nissans herum, während Testikel den Koffer zurück zu dem Mazda trug. Brasilien hatte seine Hand um eine Schrotflinte gelegt, die wie eine unförmige Kalaschnikow aussah. Bald identifizierte die Waffe sofort als eine Saiga-12.

Gleich ist es soweit, dachte Bald bei sich. Seine Finger schlossen sich fester um den Griff der halbautomatischen TT in seinem Schoss. Die TT war eine Pistole, die ihre Glanzzeiten bereits hinter sich hatte, aber er mochte, wie schwer sie sich in seiner Hand anfühlte. Als wären achtzig Jahre des Tötens in ihre beweglichen Einzelteile eingraviert worden.

»Wiederhole noch einmal den Plan«, sagte er, ohne den Blick von dem Mazda abzuwenden.

»Aber das haben wir doch schon hundertmal durchgekaut, gerade eben erst«, antwortete Saakje, die sich dabei wie ein nörgelndes Kind anhörte.

»Richtig. Und jetzt gehen wir die Sache noch einmal durch. Damit auch nichts schief geht.«

Saakje zuckte mit den Schultern und antwortete: »Du wirst die Straße blockieren, damit Hay nicht über die Überführung entkommen kann. Dann wirst du aussteigen und ihm Dinge antun, von denen ich lieber nichts wissen will. Dann holst du unsere Urlaubskasse, ich übernehme das Lenkrad und trete aufs Gas.«

Sie streichelte Balds Arm so wie andere Leute eine Katze.

Bald hasste es, wenn sie das tat.

Vor ihnen riss Hay die Fahrertür des Niva auf. Er wollte gerade einsteigen, als er plötzlich stutzte. Für eine Schrecksekunde fragte sich Bald, was zum Teufel da los war. Dann hörte er ein Geräusch wie von einem Eispickel, der Eiswürfel zertrümmerte. Schritte auf Glasscherben. Bald konnte nicht sagen, woher die Schritte kamen, nicht einmal annähernd. Dann wirbelte Hay herum. Bald folgte seinem Blick, und dann sah er es auch. In dem Dämmerlicht bewegte sich etwas, etwa zwanzig Meter südlich des Niva. Und in dem Moment wurde Bald klar, dass sein verdammter Plan gründlich schiefgegangen war.

Kapitel 2

19:07 Uhr

Bald zählte zwei von ihnen.

Sie kamen auf sechs Uhr von Hay aus gesehen in Sichtweite. Tauchten aus dem Lagerhaus auf und stürmten auf den Niva zu. Auch diese beiden trugen Fußball-Trainingsanzüge. Der Kerl auf der linken Seite trug die Farben der türkischen Nationalmannschaft: rot und weiß, mit dem orientalischen Halbmond auf dem Rücken. Er besaß einen kahlrasierten Kopf, der eine faltige Kopfhaut offenbarte, und die Art von Statur, die auf ernsthaften Steroidmissbrauch hindeutete. Der Kerl auf der rechten Seite trug die deutschen Nationalfarben und hatte ein Gesicht wie ein Sack Kies. Beide waren mit PP-200-Maschinenpistolen bewaffnet, die mit Laseroptiken und taktischen Lampen an den Picatinny-Schienen ausgerüstet waren. Sie sahen wie zwei ehemalige Soldaten aus, die gerade einen Textildiscounter ausraubten.

»Wer ist das?«, fragte Saakje. Sie kauerte zwischen den beiden vorderen Sitzreihen.

»Keinen verdammten Schimmer«, antwortete Bald. »Aber ich weiß, dass Hay gerade in eine Falle getappt ist.«

Saakje runzelte die Stirn. Irgendwo hinter ihrem Marihuana-getrübten Schleier dämmerte ihr, dass das nichts Gutes bedeutete.

Hay drehte sich zu den Angreifern um, die auf sechs Uhr auf ihn zustürmten. Er warf einen Blick zu Testikel zurück. Der Kasache zuckte mit den Schultern und grinste entschuldigend, Hay aber blieb wie angewurzelt stehen und sein Hippie-Gehirn versuchte verzweifelt zu verstehen, was sich hier gerade abspielte.

Das versuchte er auch noch, als die Türkei ihre PP-2000 auf seinen Oberkörper richtete.

Dann kapierte er es.

Und versuchte, sich aus dem Staub zu machen.

Er kam keine zwei Meter weit, bis eine Flammenzunge gierig aus der PP-2000 schlug, drei heiße 9x18-mm-Parabellum-Geschosse aus dem Lauf zischten und seinen Knöchel zertrümmerten. Er stürzte zu Boden und umklammerte seinen Knöchel, aus dem das Gelenk wie ein Holzsplitter herausragte. Sein ganzer Körper zitterte. Hinter sich konnte Bald Saakje wimmern hören. Brasilien stolzierte zu Hay hinüber. Bei dem Hippie angekommen blieb er stehen und blickte mit schief gelegtem Kopf neugierig auf ihn hinab. Hays Gesicht war schmerzverzerrt. Brasilien trat Hay auf die Brust und ließ die Mündung seiner Saiga-12 von dem zertrümmerten Knöchel bis zu dem Punkt zwischen seinen Augen wandern. Dann ließ er die Saiga wieder hinabwandern, bis zu seinen Eiern.

Und drückte ab.

Die Schrotflinte bellte. Hay zuckte zusammen. Ein großer, dunkelroter Fleck erschien auf seiner Jeans. Dort, wo sich seine Männlichkeit hätte befinden sollen, war nun ein unansehnliches, wertloses Loch. Eine braune Lache breitete sich rasch unter ihm aus. Brasilien lachte, weil Hay die Kontrolle über seinen Darm verloren hatte. Er tätschelte Hays Kopf und wuschelte ihm durch die Haare. Bald sah, wie sich Deutschland ebenfalls Hay näherte und seine PP-2000 sinken ließ. Er zielte auf seinen Kopf.

Aber Deutschland schoss nicht.

Stattdessen hob er die Waffe wieder und richtete sie auf einen Punkt südlich des Niva. Türkei folgte seinem Beispiel.

Ihre PP-2000 zielten direkt auf den Wohnwagen.

»Baby, was …?«

In Panik drückte Bald Saakjes Kopf zwischen ihre Beine und duckte sich neben ihr hinter das Armaturenbrett. Zwei Kugeln donnerten durch die Luft und schlugen in die Seite des Wohnmobils ein. Das kreischende Geräusch von Metall, das Metall zerfetzte, klingelte Bald in den Ohren. Die Kugeln prallten von dem Sperrholzfurnier im hinteren Teil des Wohnwagens ab, wo Saakje keine dreißig Sekunden zuvor noch gesessen war.

Bald hörte, wie sich zwei weitere Schüsse aus den PP-2000 lösten. Die Kugeln schlugen in die Windschutzscheibe ein und ließen das Wohnmobil erzittern. Dann hörte er, wie die Scheibe zersplitterte und als Kaskade aus Glasscherben auf seinen Hinterkopf hinabregnete.

Und dann, als wäre nichts gewesen, hörten die Schüsse auf. Bald spähte über das Armaturenbrett. Durch die zersplitterte Scheibe konnte er Deutschland und Türkei erkennen. Sie riefen Testikel und Brasilien etwas zu. Testikel befand sich zehn Meter zu ihrer Rechten. Er eilte zur Fahrerseite des Mazda und winkte seinen Kumpanen verzweifelt zu, ihm zu folgen. Erst viel zu spät realisierte Bald, dass die Tengir sich das Geld und das Opium unter den Nagel reißen wollten. Sie hatten gesehen, dass Hay ganz allein bei dem Treffen aufgetaucht war, hatten eins und eins zusammengezählt und natürlich geschlussfolgert, dass sie doppelt abkassieren konnten. An ihrer Stelle hätte Bald genauso gehandelt.

Er zog den Schlitten seiner TT zurück und suchte nach dem beruhigenden goldenen Schimmern einer 7.62x25-mm-Tokarev in der Kammer. Fand es. Lächelte und ließ den Schlitten zurückschnappen. Griff nach dem Acht-Schuss-Reservemagazin in der Mittelkonsole hinter dem Schalthebel. Sagte zu Saakje: »Sobald ich Kugeln in diese Wichser pumpe, lässt du den Motor an.«

Saakje versuchte, tief aus ihrer Kehle eine Antwort hervorzupressen.

»Hay, er …«

Bald ignorierte sie. Er hatte keine Zeit für diesen Scheiß. Er stieß die Tür auf, glitt aus dem Wohnmobil, schlug die Tür Saakje vor der Nase zu und ließ sich in einer knienden Schussposition hinter das rechte Vorderrad fallen. Sein Training hatte ihm beigebracht, dass der Radstand den besten Schutz vor heranfliegenden Kugeln bot. Er rutschte einen Schritt nach links, hielt die TT mit beiden Händen für eine bessere Stabilität umklammert, fokussierte die Kimme, während er das Korn leicht außerhalb des Fokus ließ und übte leichten Druck auf den Abzug aus. Bereit, den Tengir die frohe Kunde zu überbringen.

Dann plärrte eine Sirene, und Bald erstarrte.

Das Heulen war noch etwas entfernt, aber deutlich zu hören. Bald spähte zu der Überführung hinauf. Oben war nirgendwo Blaulicht zu sehen. Es musste als von irgendwo tief in den Eingeweiden der Überführung kommen, dachte er. Aber die Sirenen genügten, um den Tengir eine Heidenangst einzujagen. Deutschland und Türkei wirbelten herum, ließen Bald zurück und rasten zu Testikel und dem Mazda. Sie sprangen in das Auto, und der Motor heulte bereits auf, als der Wagen mitten in der Straße zurücksetzte, wendete und dann nach Norden davonpreschte, genau in die entgegengesetzte Richtung von Bald, Saakje und dem Wohnmobil. Weg von den Sirenen, die durch die kasachische Nacht heulten.

Die Sporttasche hatten sie zurückgelassen.

Bald sagte sich, dass ihm nur eine Chance zum Handeln bleiben würde, bevor die Cops eintrudelten. Er sprang hinter der Deckung des Wohnmobils hervor und hastete die Straße hinunter. In acht großen Schritten war er bei Hay. Hinter ihm schrie Saakje: »Hilf ihm, Baby! Hilf Hay!« Bald knirschte mit den Zähnen und wünschte sich, sie würde einfach die Klappe halten.

Hay war ziemlich im Arsch. Er lag auf dem Rücken. Seine Brust hob und senkte sich in flachen Atemzügen. Ein leises, flatterndes Geräusch drang aus seiner Lunge. Seine Leistengegend war nur noch ein roter Brei. Immer wieder verlor er das Bewusstsein. Hays Augen rollten nach oben und starrten Bald an. Sie waren blutunterlaufen und der Mann so gut wie hinüber. Aber dann tat er etwas Seltsames. Er grinste Bald an. Ein breites, albernes, von rotgefärbten Zähnen geschmücktes Grinsen.

Blödmann.

Bald umrundete Hay. Bahnte sich einen Weg zu dem Niva. Dann erreichte er den Beifahrersitz. Er schnappte sich die Tasche. Sie war überraschend leicht. Andererseits wog Geld auch nicht viel. Selbst eine Million Dollar konnte ziemlich leicht sein. Bald wusste so etwas, denn er dachte oft an Geld. Als er auf dem Rückweg an Hay vorbeirannte, war der beschissene Hippie schon so gut wie auf der dunklen Seite angekommen. Er ließ sich Zeit damit, aber das war Bald egal. Er sprintete zu dem Wohnwagen zurück. Sprang hinter das Lenkrad. Warf die Tasche in Saakjes Schoß. Drehte den Zündschlüssel herum. Der Motor heulte auf.

»Was ist mit Hay?«, fragte Saakje. »Wir können ihn nicht einfach zurücklassen.«

Bald schwieg und trat stattdessen aufs Gas. Die Sirenen waren näher gekommen. Sie mussten unbedingt etwas Abstand zwischen sich und dem Blutbad bringen, bevor die Cops auf der Party auftauchten.

»Wir müssen etwas tun.« Saakjes Augen klebten an Hay.

Drauf geschissen, dachte Bald. Ich werde nicht meine Zeit damit verschwenden, mir ihr Gesülze anzuhören. Seiner Meinung nach hatte Hay genau das bekommen, was er verdient hatte. Er wollte mit den großen Jungs spielen, das war seine Entscheidung gewesen. Aber wenn man ganz allein zu einem Drogendeal fuhr, unbewaffnet, um sich dort mit ein paar Typen zu treffen, die anderen Leuten nur zum Spaß auch schon mal die Zähne herausrissen, dann hatte man es verdammt noch mal nicht anders gewollt.

Sie rasten von der Straße weg. Bald trieb den VW so weit an, wie es sein Motor und sein Alter erlaubten. Als sie auf die Verkehrsadern der Hauptstraßen abbogen, die sich durch Almaty wanden, flackerten Blaulichter an der Überführung auf. Bald fuhr schweigend weiter. Saakje hatte sich mit von dem Schock leeren Augen in die von Kugeln durchsiebte Dunkelheit des Wohnbereichs zurückgezogen. Im Rückspiegel beobachtete Bald, wie sie sich einen weiteren Joint rollte. Dieses Mal schichtete sie das Gras großzügiger auf, sprenkelte ein paar Tabakblätter darüber, rollte den Joint zusammen, zündete ihn an und nahm einen langen Zug. Ein Schild am Straßenrand informierte Bald darüber, dass er drei Kilometer von der Überführung entfernt war. Hay und die Tengir waren längst Geschichte.

»Was ist da passiert?« Saakje rauchte den Joint hastig auf. »Rede mit mir, Baby.«

Bald biss die Zähne zusammen.

»Sie warteten darauf, Hay in einen Hinterhalt zu locken. Sie müssen noch vor unserer Ankunft in Position gegangen sein. Hatten die Idee, den Wichser umzulegen und die Drogen und das Geld für sich zu behalten. Wahrscheinlich warteten sie dort schon seit Stunden und sahen uns kommen.«

Ein weiteres Straßenschild verkündete, dass sie sich nun zehn Kilometer nördlich der Überführung befanden. Die Straße wurde zu einem rauen, unbefestigten Stück Erde. Hier draußen gab es keine Straßenlaternen. Nichts als Ungeziefer als Gesellschaft. Sie fuhren nach Osten, in Richtung Scharyn-Tal. Ihre Aussicht beschränkte sich auf karge Wüstenlandschaft und jeder Menge Himmel. Als sie sicher waren, dass ihnen niemand gefolgt war, fuhr Bald an den Straßenrand. Schaltete den Motor aus, kletterte nach hinten und hob die Sporttasche an. Ein breites Grinsen huschte über sein Gesicht.

Einhundertzwanzig Riesen. Das war schon besser.

Bald zog den Reißverschluss auf. Mehrere Bündel aus Fünfzig-Dollar-Scheinen lagen darin. Er fischte eines davon heraus. Zählte achtzig Scheine pro Bündel, was viertausend Dollar ergab. Aber dann kramte er etwas tiefer in der Tasche. Irgendetwas stimmte nicht. Fieberhaft wühlte er in der Tasche herum. Papier fiel in seinen Schoß.

Er hielt zwanzigtausend in seiner Hand.

Der Rest des Geldes fehlte.

Kapitel 3

19:18 Uhr

Bald überprüfte es noch einmal, nur um sicherzugehen, dass seine Augen ihm keinen Streich spielten. Aber das taten sie nicht. Fünf lausige Bündel mit Fünfzig-Dollar-Scheinen starrten ihn aus der Tasche an. Läppische zwanzigtausend Dollar. Der Rest der Tasche war mit Bällen aus zusammengeknüllter Zeitung gefüllt. Und jeder dieser Bälle schien ihn auszulachen.

»Was ist los, Baby?«

Bald sah zu Saakje. Sie saß vorn in der Fahrerkabine und sah benommen aus.

»Du hast mir erzählt, dass Harry dreißig Kilo Rohopium in dem Koffer hatte. Der Scheiß hat einen Verkaufswert von viertausend Dollar pro Kilo. Also sollten in dieser Tasche verdammte einhundertzwanzig Riesen sein.«

Saakje biss sich auf die Unterlippe. Bald spürte, dass sie etwas vor ihm verbarg. »Was ist?«

»Nichts, Baby.«

»Spuck’s aus, oder die Sache mit uns ist Geschichte.«

Saakje schwieg einen Augenblick lang. Wog in Gedanken ihre Möglichkeiten ab. Dann sagte sie: »Als Memphis das erste Mal mit den Tengir dealte, hielten ihn die Cops auf dem Rückweg zur Farm an. Sie durchsuchten den Wagen und fanden das Geld. Sie haben es mitgenommen. Alles. Seitdem lässt sich Memphis nur noch kleinere Mengen von den Tengir geben. Falls die Cops ihn beobachten sollten.«

»Was ist mit dem Rest?«

»Den holt er woanders ab.«

»Wo?«

»Der Übergabeort wechselt ständig. Es funktioniert so – die Tengir sagen ihm, wo er es abholen soll, und er fährt am selben Abend noch dahin. Manchmal ist es in einem Mülleimer, manchmal in einem Wagen am anderen Ende der Stadt.«

»Und wo ist es dieses Mal?«

Saakje sah Bald verlegen an.

»Das weiß ich nicht, Baby. Ich schwör’s.«

Bald musste an Hay denken. Wie er sterbend auf dem glitschigen Asphalt lag. Blut war aus seinen zerschossenen Eiern gesprudelt, während er Bald dieses seltsame Grinsen zuwarf. Er hatte sich gefragt, was dieses Grinsen zu bedeuten hatte. Jetzt wusste er, was Hay so verdammt glücklich gemacht hatte. Er wusste, wo die restlichen einhundert Riesen steckten, aber Bald nicht. Und nun hatte er nichts außer einer Beute, die nicht einmal für anständige Karre reichte, und Kopfschmerzen, die sich langsam in seinem Hinterkopf zusammenbrauten.

Bald hatte sich auf der Farm erholt, nachdem Joe Gardner ihn zum Sterben in der kasachischen Wüste zurückgelassen hatte. Es war Saakje gewesen, die ihn gefunden hatte. Sie hatte ihn die Kommune gebracht. Ihn die ganze Zeit über gesundgepflegt. In der Kommune hatte es keinen Alkohol gegeben – aber auch keine schlechten Erinnerungen. Bald hatte Gewicht verloren, und der Sex mit Saakje war legendär gewesen. Genug, um ihn für ein paar Monate abzulenken.

Auf der Farm hatte Bald aber noch etwas anderes herausgefunden. Das Gras aus eigenem Anbau hielt seine Migräne im Zaum. In sechs Monaten hatte er nicht einen Anfall gehabt. Aber die ständige Tofu-Diät und der ganze pazifistische Käse ließen ihn nach einem Tapetenwechsel sehnen. Bald stand auf der Shit-List der CIA, also war es am wichtigsten, den Kopf unten zu halten. Aber dann teilte er sich ein Bett und einen Joint mit Saakje und musste sich ihren endlosen Tiraden über ihren Ex, Memphis Hay, anhören, wie scheinheilig er doch war, weil er auf der einen Seite Frieden und Liebe predigte und auf der anderen aber heimlich Heroin vertickte, und von da an formte sich so etwas wie ein Plan in Balds Kopf.

Sein einziges Problem bestand nur darin, wohin er mit der Kohle und seiner Braut fliehen sollte. England kam nicht infrage. Er konnte nirgendwohin, wo die Firma präsent war, und die Firma hatte bekanntlich einen sehr langen Arm. Die Liste der Länder, in denen er leben konnte, schrumpfte daher auf ein knappes Dutzend zusammen. Er entschied sich für Panama, ein Land so korrupt wie seine eigene Seele. Sein Plan sah vor, mit dem gestohlenen Opium in das örtliche Kokaingeschäft einzusteigen. Sich nach oben zu arbeiten. Außerdem gehörte es zu seinem Plan, Saakje sofort loszuwerden, sobald sie in Panama City angekommen waren.

Bald wischte den Griff seiner TT an seinem Hemd ab, leerte das Magazin und die Kammer und warf die Pistole aus dem Fenster. Nach einem Kilometer übergab er auch das Magazin und die Kugel, die in der Kammer steckte, der kargen Wüste. Sie hielten sich vorerst an ihren ursprünglichen Plan und fuhren zum Almaty International Airport. Selbst mit wesentlich weniger Geld blieb Bald keine Zeit, einen neuen Plan auszuhecken. Und zur Farm konnten sie ganz sicher nicht mehr zurückkehren. Nicht ohne Hay. Das würde zu viele Fragen aufwerfen. Die Nachricht über seinen Tod würde die Hippies früh genug erreichen, und egal, wie high sie auch sein mochten, würde es nicht lange dauern, bis sie auf den Trichter kamen, dass an der Sache etwas faul war.

Achtzehn Kilometer und achtundzwanzig Minuten später lenkte Bald den Wohnwagen auf den Kurzzeitparkplatz am Flughafen von Almaty. Er parkte ihn so weit von dem Terminal entfernt wie möglich. Dann schloss er sich Saakje im Wohnbereich an. Sie saß an dem Tisch, die Beine an die Brust gezogen und niedergeschlagen ihr Kinn auf die Knie abgelegt. Das Sperrholzfurnier in Birkenoptik über ihr war mit pockennarbigen Einschusslöchern übersät.

»Ich habe noch nie zuvor jemanden sterben sehen«, sagte sie zu der Wand.

»Willkommen in meiner Welt« war alles, was Bald darauf antwortete.

Er kippte die fünf Geldscheinbündel aus der Tasche auf den Boden. Schnappte sich eine Rolle silbernes Klebeband und sagte: »Zieh' deine Sachen aus.« Er sah zu, wie Saakje sich auszog. Bekam einen halben Ständer beim Anblick ihres nackten Körpers. Er brauchte einige Minuten, um das Bargeld an ihren Armen und an ihrer schlanken Taille zu befestigen. Auf diese Weise staffierte er Saakje mit achtzehntausend Dollar aus und stopfte sich die restlichen zwei Riesen in seine Tasche. Dann stiegen sie auf den Asphalt hinaus, und er schloss das Wohnmobil ab.

»Bist du sicher, dass sie mich nicht durchsuchen werden, Baby?«, fragte Saakje.

»Dir wird nichts passieren.«

»Aber was ist, wenn sie mich anhalten?«

»Du bist ein nettes Mädchen. Dir wird nichts passieren.« Bald lächelte. »Vertrau' mir.«

»Ich weiß nicht. Vielleicht ist das keine so gute Idee.«

Bald hielt sie auf. Sah ihr tief in die Augen.

»Ich habe es dir bereits erklärt«, sagte er und senkte die Stimme. »Das Personal hier besteht ausschließlich aus Kerlen. Wenn sie versuchen, dich zu filzen, verlangst du einfach, dass eine Frau das macht. Problem gelöst.«

Saakje nickte, noch nicht vollends überzeugt, aber bereit, mit dem Plan fortzufahren. Die Höchstmenge an Bargeld, die eine Person unbehelligt durch die Zollabfertigung mitnehmen durfte, lag bei 9999 Dollar. Bald war daher sehr glücklich darüber, dass Saakje das ganze Risiko auf sich nahm. Falls die Zollbeamten sie herauszogen, würde er einfach sein unschuldigstes Gesicht aufsetzen und behaupten, sie nicht zu kennen.

Sie erreichten das Terminal. Das Einzige auf dem Almaty-Flughafen. Es war weiß gekachelt und verglast, mit einem geschwungenen Keramikdach, das wie ein Schnurrbart aussah. Bald warf einen letzten Blick zu dem VW zurück und sah auf seine Aquaracer. 19:44 Uhr. In süßen neunzig Minuten würde er eine Lufthansa-Maschine nach Astana besteigen. Von dort aus mit einer weiteren Lufthansa-Maschine nach Frankfurt. Dann mit einem KLM-Flug nach Amsterdam, mit einem dreistündigen Aufenthalt, und dann wiederum mit einer KLM zu ihrem letzten Ziel, dem Tocumen International Airport in Panama City. Eine Gesamtflugzeit von dreißig Stunden und fünf Minuten.

In etwas mehr als einem Tag würde Bald einen Neuanfang starten. Zwanzigtausend Dollar waren sehr viel weniger, als er gehofft hatte. Aber es würde trotzdem genügen, um einen Fuß ins Kokaingeschäft zu bekommen. Er hatte seine Kontakte. Konnte einen oder zwei Gefallen einfordern. Fuß fassen und sich nach oben arbeiten.

Sie bahnten sich ihren Weg durch einen Fluss aus Autovermietungen und Geldwechselstuben. Am Check-in-Schalter der Lufthansa zeigte Bald der Schlampe mittleren Alters seinen brandneuen Ausweis. Er hatte ihn vor zwei Wochen bei einem Besuch des britischen Konsulats in Almaty bekommen. Seine Visage dort zu zeigen war riskant, aber notwendig gewesen, weil er auf andere Weise nicht an einen echt wirkenden Pass gelangt wäre.

Die Lufthansa-Schnepfe warf einen desinteressierten Blick hinein und gab ihm den Pass zurück. Sie wünschte ihm einen angenehmen Flug, auch wenn sie sich so anhörte, als würde sie das genaue Gegenteil meinen. Dann hasteten Bald und Saakje zur Sicherheitszone. Dort angekommen ließ er Saakje den Vortritt. Jetzt hatten sie es so gut wie geschafft. Saakje hatte sich wieder beruhigt. Das Dope zeigte Wirkung. Sie atmete tief durch, schüttelte die Anspannung aus ihrem Genick und ihren Schultern und stellte sich in die Schlange. Bald sah zu, wie sie freundlich lächelnd durch den Scanner rauschte, ohne dass jemand Fragen stellte.

Bald war als Nächstes an der Reihe. Er warf seine Schlüssel und etwas Kleingeld in die Plastikschale. Band die Schnürsenkel seiner Corcoran-Springerstiefel auf und stellte sie auf das Förderband. Zog seine lederne Belstaff-Jacke aus und legte sie neben die Stiefel. Passierte den Scanner. Ganz unauffällig, ohne großes Getue. Klaubte seine Habseligkeiten wieder aus der Schale, verschnürte seine Stiefel und schlüpfte in seine Jacke. Erspähte Saakje vor sich, die zu den Duty-free-Shops flanierte.

Machte sich daran, zu ihr aufzuschließen.

Dann sah er sie. Zwei Typen. Graue Anzüge, wie Zigarettenasche. Gesichter wie Milchkannen, mit Augen wie Bohrlöcher. Schlägertypen, die etwa fünf Meter vor Bald herumlungerten. Er wirbelte herum. Ein drittes Schwergewicht war bereits hinter ihm und streckte die Hände nach ihm aus. Nun stürmten auch die zwei Kerle vor ihm auf ihn zu, packten seine Arme und zerrten ihn weg. Bald wehrte sich nicht. Drei gegen einen auf einem geschäftigen Flughafen-Terminal – da hatte er keine verdammte Chance. Der zweite Typ legte ihm die Silbermanschetten an. Bald sah, wie Saakje in den Duty-free-Shop spazierte, ohne zu bemerken, was mit ihm passierte.

Die drei Weisen aus dem Morgenland zerrten Bald unsanft durch eine Reihe spärlich beleuchteter Korridore, in denen es nach Desinfektionsmittel stank. Sie gelangten an eine Feuerschutztür mit einem kleinen, mit Maschendraht verstärkten Glasfenster darin. Einer der drei Weisen zerrte an dem Türgriff und schob Bald in einen kleinen Raum. Die schwere Tür fiel hinter ihm ins Schloss. Bald sah sich in seinem Zuhause um. Cremefarbene Wände und ein Linoleumboden, der sich bereits wie ein alter Lederputzlappen wölbte. In der Mitte ein kleiner Holztisch. Ein paar Leuchtstoffröhren warfen ihr Licht auf einen Stuhl hinter dem Tisch. Und auf einen Mann, der mit übereinandergeschlagenen Beinen auf dem Stuhl saß.

Leo Land lächelte Bald an und sagte: »Sie sind ein sehr ungezogener Junge gewesen, John.«

Kapitel 4

20:58 Uhr

Zwei Gedanken schossen Bald durch den Kopf, als er den Mann anstarrte, der ihn reingelegt hatte. Der erste Gedanke war gar kein richtiger Gedanke, sondern eher ein Instinkt, der aus dem reptilischen Teil seines Gehirns an die Oberfläche schoss und ihn dazu ermutigte, Land die Lichter auszuschlagen.

Aber Gedanke Nummer zwei verriet Bald, dass Land schlecht aussah. Das Leben hatte es nicht gut mit dem MI6-Agenten gemeint, der wie ein Sack Scheiße auf seinem Stuhl hing. Sein Haar war fettig. Seine Augenringe hingen ihm fast bis ans Kinn. Der Savile-Row-Maßanzug war verschwunden und durch einen billigen Nylonanzug ersetzt worden, der an den Ärmeln zu lang und an den Aufschlägen bereits ausgefranst war. Er sah aus, als hätte er sich seit einer Woche nicht mehr gewaschen.

»Sie haben es mir nicht gerade schwer gemacht, John«, sagte Land.

Bald schwieg, stand einfach nur da und fühlte sich wie ein Schlappschwanz.

»Ich muss Ihnen wahrscheinlich nicht verraten, wie ich Sie gefunden habe, oder? Selbst Sie sind nicht so schwer von Begriff.«

»Der Pass«, antwortete Bald.

Land klatschte in die Hände.

»Auf den Punkt, John. Sie hätten besser den Kopf einziehen sollen, alter Junge. Verraten Sie mir, was haben Sie die ganze Zeit über getrieben?«

»Hab versucht, einen großen Bogen um Wichser wie Sie zu machen.«

Land grinste Bald an und deutete auf den leeren Stuhl im gegenüber.

»Setzen Sie sich«, sagte er. »Wir haben einiges aufzuholen.«

Bald rührte sich nicht. Er betrachtete den Stuhl, als hätte er Aids. Land nickte dem Schwergewicht an der Tür zu. Der Mann schritt auf Bald zu. Baute sich vor ihm auf. Grinste. Dann ließ er die Schultern sinken und hieb eine geballte Faust in Balds Magen. Bald hatte den Schlag nicht kommen sehen. Der Kerl hatte kaum ausgeholt. Der Schlag schob seine Innereien gegen seine Bauchmuskeln und trieb ihm die Luft aus den Lungen. Bald sackte auf den Stuhl.

Land lächelte Bald an, aber nur mit den Lippen. Hass loderte in seinen Augen. Er war von solcher Intensität, dass er fast unnatürlich schien, als würde er nicht in ein reserviertes Gesicht wie dieses passen.

»Falls ich damit noch nicht Ihre volle und ungeteilte Aufmerksamkeit haben sollte, sollten Sie eines bedenken«, sagte er.

»Lassen Sie mich raten«, sagte Bald. »Sie sind schwul. Damit habe ich kein Problem.«

»Sehr witzig, John. Aber nein. Die Kasachen haben, wie Sie sicherlich wissen, ein großes Problem mit dem Drogenschmuggel in ihrem Land. Da draußen wartet ein Sergeant namens Sukharov auf Sie, der Sie nur zu gern festnehmen würde. Wie ich hörte, sollen die kasachischen Gefängnisse nicht gerade die angenehmsten Orte auf der Welt sein. Tatsächlich haben die Jungs im Vauxhall bereits Wetten darauf abgeschlossen, was sie zuerst umbringt … die täglichen Arschfickereien oder Tuberkulose.«

Land machte eine abwägende Geste. »Zum Glück gibt es für Sie eine Alternative.«

»Ich bin nicht interessiert«, sagte Bald.

»Ich bin froh, dass Sie fragen. Ich habe einen Job, der Ihrer besonderen Fähigkeiten bedarf.«

»Haben Sie dafür denn keinen anderen armen Trottel auf Schnellwahltaste?«

Land trommelte mit seinen Fingern auf den Tisch und sah Bald an.

»Ich will ganz offen sein. Ich brauche Sie als Agenten für den MI6.«

Bald brach in Gelächter aus, unfreiwillig, wie ein Krampf. »In dem Geschäft bin ich nicht mehr. Das ist nicht mehr mein Ding.«

Land legte auf dem Tisch die Fingerspitzen aneinander.

»Und was genau ist denn jetzt Ihr Ding, John? Gras rauchen? Kasachische Drogendealer ausnehmen?« Er starrte Bald an. »Sie scheinen Ihre Lage nicht ganz zu erfassen. Wenn Sie mir nicht helfen wollen, mein Problem zu lösen, werde ich Sie nicht vor dem Knast bewahren können.«

»Darauf lasse ich es ankommen.«

»Dabei wissen Sie noch nicht einmal, was für ein Job es ist.«

»Ich müsste für Sie arbeiten. Mehr muss ich nicht wissen.«

»Erledigen Sie noch diesen einen Job für mich, und Sie sind ein unbeschriebenes Blatt.«

Bald schwieg. Misstrauisch beäugte er Land und spürte, wie sich in ihm ein Druckgefühl aufbaute.

»Ich meine es ernst. Sie müssen nie mehr vor Ihrer Vergangenheit davonlaufen.«

Bald sagte immer noch nichts.

Land beugte sich über den Tisch. »Ich biete Ihnen hier eine einmalige Gelegenheit, alter Freund. Eine letzte Mission für ein neues Leben. Neuer Name, neues Land. Sie könnten ein neuer Mann sein. Verdammt, John, wir legen sogar noch ein schickes Häuschen drauf. Ein absolutes Schnäppchen.«

Bald dachte an den rosafarbenen, gummiartigen Streifen Haut an seiner linken Schläfe. Die Narbe einer Kugel, die vor zwei Jahren in der Wildnis Serbiens seinen Schädel durchbohrt und ihn beinahe getötet hatte. Die Narbe erinnerte Bald daran, dass man Land nicht trauen konnte. Dass er Land sagen sollte, dass er ihn am Arsch lecken könne. Aber der logische Teil seines Gehirns sah die Dinge ein wenig anders. Er saß in der Klemme. Leo Land hatte ihn in der Hand, und er wusste es.

»Madeira«, sagte Bald.

Land pfiff.

»Ein wenig exotisch für Ihren Geschmack, finden Sie nicht?«

»Irgendwo am Strand.«

Land verzog das Gesicht.

»Und etwas Startkapital.«

Land runzelte die Stirn. »Über wie viel reden wir da?«

»Zweihundertfünfzigtausend. Um neu anfangen zu können.«

»Das ist ›ne Menge, wenn man bedenkt, dass Sie …«

»Pfund«, ergänzte Bald. »Nicht in lumpigen Euros.«

»Zweihundert. Mehr darf ich Ihnen nicht anbieten.«

»Zweihundertfünfzig, oder ich bin raus.«

Land seufzte, dann sah er zu dem Schlägertypen und deutete mit dem Kopf in Richtung Tür. Der Mann trat hinter Bald, nestelte mit einem Schlüsselbund herum und nahm ihm die Handschellen ab. Dann drehte er sich behäbig wie ein Öltanker um und verließ den Raum. Jetzt waren sie allein, nur sie beide.

Bald rieb sich die geschwollenen Handgelenke und fragte: »Worum geht es bei dem Jo?«

Land tippte auf den Tisch und lenkte Balds Aufmerksamkeit auf einen DIN-A5-Umschlag. Bald bemerkte ihn erst jetzt. BITTE NICHT KNICKEN war in ausgeblichener roter Tinte aufgestempelt, die Bald an billigen Lippenstift erinnerte. Land öffnete den Umschlag und schüttelte eine Fotografie heraus. Er legte sie flach auf den Tisch und drehte sie so, dass Bald sie sehen konnte.

Es war das Porträt eines Mannes. Ende vierzig, Anfang fünfzig. Etwa im gleichen Alter wie Land. Auf den ersten Blick sah er wie ein Versager aus. Aber seine Augen waren seltsam. Grau und gespenstisch. Zuerst schienen sie trüb zu sein. Aber bei genauerem Hinsehen lauerte ein intensives Schimmern unter der Oberfläche. Wie rohe Diamanten. Sie schienen einem Mann zu gehören, der über viel Geld verfügte, aber in ständiger Angst lebte, es zu verlieren.

»Sein Name ist Viktor Klich«, erklärte Land. »Er ist ein russischer Oligarch.«

Erneut musterte Bald das Foto. Es war in Eile aufgenommen worden. Klich marschierte entschlossen an der Spitze einer Entourage aus Geschäftsleuten in dunklen Anzügen.

»Das wurde vor drei Wochen aufgenommen, vor dem königlichen Gerichtshof. Gestern floh Viktor Klich mit einem Flugzeug aus London nach Venezuela. Ich will, dass Sie ihn aufspüren und zurückbringen. Aber ich brauche ihn lebend.«

»Was hat er ausgefressen?«, erkundige sich Bald.

Land sah ihn an. »Klich tötete eine Parlamentsmitarbeiterin.«

Kapitel 5

21:18 Uhr

»Sie nennen ihn den ›unsichtbaren Milliardär‹«, fuhr Land fort. »Viktor Klich ist die Sorte von Oligarch, von der Sie noch nie gehört oder gelesen haben. Es gab mal eine Zeit, und das ist noch gar nicht so lange her, da gehörte er zu den reichsten Männern der Welt. Jetzt ist er nicht einmal mehr der reichste Mann in Russland. Unser Freund ist bis auf ein paar hundert Millionen abgebrannt.«

»Mir blutet das Herz«, antwortete Bald.

Land schnaubte verächtlich. »›Reich‹ ist ein relativer Begriff. Wenn man einmal milliardenschwer war und nun nur noch zig Millionen besitzt, ist man dann immer doch reich?«

Das Geräusch von Holz, das über Metall kratzte, war zu hören, als Land von seinem Stuhl glitt. Er war voller nervöser Energie, konnte nicht stillsitzen. Bald war überrascht, ihn derart aus der Rolle fallen zu sehen. Der Kerl war normalerweise so aalglatt, dass man ihn auf eine Scheibe Toast schmieren konnte. Irgendetwas brachte ihn aus der Fassung.

»Klich hat ein Vermögen während der sogenannten Aluminiumkriege verdient. Gut möglich, dass Sie noch nie davon gehört haben. Ich schätze, dass russische Geopolitik nicht unbedingt Ihre Stärke ist.«

Bald warf Land einen Blick zu.

»Sie meinen den irren Scheiß, der dort zwischen einer Handvoll Oligarchen ablief?«

Land schien amüsiert. Bald spürte ein leichtes Kribbeln im Nacken. Er schloss die Augen. Er konnte hören, wie Land im Kreis herumlief und seine Schritte dabei ein beinahe feierliches Echo erzeugten, wie von einem Detektiv, der die Spuren eines Mörders an einem Tatort abschritt.

»Als die Sowjetunion zusammenbrach, war Klich dreißig Jahre alt und einige hundert Millionen schwer. Er war der richtige Mann zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Aus zweihundert Millionen machte er beinahe über Nacht eine Milliarde.«

»Damit sollte er bei Die Höhle der Löwen auftreten«, sagte Bald.

Land lachte aus Höflichkeit.

»Während der Aluminiumkriege waren Morde praktisch an der Tagesordnung. Schmelzhüttenbetreiber wurden enthauptet. Metallhändler bei lebendigem Leib verbrannt. Journalisten mit Autobomben aus dem Weg geräumt. Klich heuerte ehemalige Spetsnaz-Soldaten an, um seine Interessen zu schützen. Nicht lange, und er etablierte seine Vormachtstellung. Dann hörten die Morde auf. Es hieß, als reicher und mächtiger Mensch schlief man in Russland nirgendwo sicherer als neben einer von Klichs Schmelzhütten. Plötzlich war er der mächtigste Mann Russlands. Er zwang andere Oligarchen dazu, ihm Schutzgeld zu bezahlen. Klich ließ sich hauptsächlich in Anleihen auszahlen. Auf die Art verwandelte er eine Milliarde in zehn. Können Sie noch folgen?«

»Kommen Sie einfach zum Punkt«, antwortete Bald.

»Klich hatte eine Meinungsverschiedenheit mit einem alten Freund. Ein Mann namens Valery Favorsky. Ich nehme an, dass selbst Sie schon einmal von Favorsky gehört haben?«

Bald nickte. »Das ist der Typ, dem die Fußballmannschaft gehört.«

Land nickte ebenfalls.

»Favorsky gehört außerdem ein U-Boot, die größte private Jacht der Welt, eine Insel auf den Malediven und eine Villa in einer exklusiven und bewachten Wohngegend in Moskau, die den Kensington Palace Gardens nachempfunden ist. Das alles hat er dem Erwerb einer sehr kleinen Gasfirma im östlichen Teil Russlands zu verdanken. Danach kaufte er andere, sehr viel größere Gasfirmen.«

»Ich schätze, dass er dafür nicht bei einer Bank um einen Kredit bettelte.«

Land schüttelte den Kopf. »Das Geld war ein Geschenk des Kremls an ihn. Vom Präsidenten persönlich. Um Klichs Macht zu untergraben. Klich hatte den Zorn des Präsidenten auf sich gezogen, müssen Sie wissen. Er pumpte Millionen in die kommunistische Partei und die russischchristliche Bewegung. Er bezichtigte die Regierung der Korruption und Vetternwirtschaft. Er deckte Korruptionsfälle innerhalb des Kremls auf, die bis zum Präsidenten reichten. Weshalb der Präsident Klich zum Schweigen bringen musste. Um das zu erreichen, benutzte er Favorsky.«

Der MI6-Agent lockerte seinen Kragen, so als würde er keine Luft mehr bekommen.

»Der Präsident stellte die Geldmittel zur Verfügung, damit Favorsky eine feindliche Übernahme von Klichs Aluminiumimperium starten konnte. Klich protestierte. Die russische Gerichtsbarkeit beschloss den Verkauf zu einem Schleuderpreis. Mit einem Schlag war Favorsky der reichste Mann auf dem Planeten geworden und Klich in den Arsch gefickt.«

Land tippte mit einem Finger auf das Foto. »Deshalb zog Klich vor den obersten Gerichtshof. Wo alle Oligarchen ihre Fälle verhandeln lassen, auch wenn sie nichts mit britischem Recht zu tun haben. Sie trauen den Gerichten in ihrem Land nicht, verstehen Sie? Und sie lieben alles, was mit England zu tun hat. Das war Klichs letzte Hoffnung. Seine letzte Chance, die Milliarden zurückzubekommen, die er bei Favorksys Coup verloren hatte.«

»Was ist passiert?«

»Er hat den Fall verloren.«

Bald zuckte mit den Schultern, als wäre ihm das ziemlich egal.

»Am selben Tag, als Klich den Gerichtssaal verließ, rief ihn sein Finanzberater aus Moskau an. Das GCHQ fing das Gespräch ab. Offenbar spionierten ihn drei Männer vor seinem Haus aus. Tags darauf fand die Polizei seine Leiche in einem Grab in Ramenskoje, vierzig Kilometer außerhalb von Moskau. Klich flog daraufhin nicht mehr nach Russland zurück.«

Bald kratzte sich am Ellenbogen. »Wieso sich überhaupt die Mühe machen, vor Gericht zu ziehen? Wenn er wusste, dass der Präsident und seine Leute hinter ihm her waren, hätte er untertauchen müssen, selbst wenn er den Prozess gewonnen hätte.«

Land wand sich wie ein Aal. Die kleinen Fältchen in seinem Gesicht schienen plötzlich hervorzutreten. Er sah Bald auf die gleiche Weise an, wie es die Unteroffiziere im Regiment immer getan hatten. Verachtung gemischt mit Neugier waren ihm ins Gesicht gemeißelt.

»Nicht zwingend, alter Freund. Wenn Klich gewonnen hätte, wäre er imstande gewesen, eine kleine Armee zu seinem Schutz zu bezahlen. Oder sich ebenfalls einen Fußballklub zu kaufen, um zu einer Person des öffentlichen Lebens zu werden. Auf die Weise hätten ihm die Russen nichts anhaben können. Aber als er verlor, wurden die Samthandschuhe ausgezogen. Das wusste er. Und wir ebenfalls. Weshalb wir beschlossen, ihm ein Angebot zu machen.«

»Was für ein Angebot?«

»Schutz, John. Im Austausch gegen Informationen. Insiderwissen aus dem Kreml.«

Land hatte soeben die neunte Runde durch den Raum beendet. Er blieb hinter seinem Stuhl stehen, legte seine manikürten Finger um die Stuhllehne und starrte daraufhin Bald lange und eindringlich an. Er versuchte, wie sein übliches schmieriges Ich zu wirken. Aber seine Mundwinkel zuckten, und die Augenlider ebenfalls. Land war ein Nervenbündel, und er hatte Mühe, es zu verbergen.

»Also, Klich war ein guter Kumpel von Putin und wurde steinreich«, sagte Bald, »aber jetzt, wo er nur noch ein lumpiger Millionär ist, versuchen Sie, ihn um den Finger zu wickeln. Aber was zum Teufel hat das mit dem Mord an einem Parlamentsassistenten zu tun?«

Land räusperte sich laut und kehrte Bald den Rücken zu. Er stürmte zu der Tür und spähte durch das vergitterte Fenster, während er seine Antwort murmelte. »Zara Axline, die Parlamentsmitarbeiterin, arbeitete für ein liberales Parlamentsmitglied namens William White.« Er wartete, ob der Name Bald etwas sagte. Was er nicht tat. Bald machte sich nichts aus Politik. Der MI6-Agent blickte stirnrunzelnd zu Boden und sagte: »William White sitzt im Verteidigungsausschuss.«

Bald blinzelte ihn an.

»Axline schlief mit William White. Gleichzeitig schlief Axline aber auch mit Viktor Klich.«

Bald schwieg. Land zappelte nervös herum und verzog gequält das Gesicht, als würde er versuchen, sich einen Cricketschläger rektal einzuführen.

»Wir haben ihre Leiche gestern im Schlafzimmer von Klichs Haus gefunden. Sie lag schon ein paar Tage dort. Fortgeschrittener Fäulniszustand, das Gesicht bereits unkenntlich.« Land war wieder zu dem Tisch zurückgekehrt und las von dem Bericht ab, den er aus dem Umschlag genommen hatte. »Sie hatte, ich zitiere, schwere Prellungen und Brandflecken auf Gesicht und Hals, die von Zigaretten herrühren. Dem Opfer wurden die Haare ausgerissen. Außerdem fanden sich bei dem Opfer Verletzungen im Analbereich. Die Obduktion legt den Schluss nahe, dass das Opfer die meiste Zeit der Folter noch bei Bewusstsein war. Zitat Ende.«

Land schob den Bericht von sich, als wäre er schmutzig. Er untersuchte seine Fingernägel und runzelte beim Anblick seines Zeigefingers die Stirn. Dann klaubte er etwas Dreck unter dem Fingernagel hervor.

»Wie auch immer, kommen wir zum Wesentlichen«, sagte er. »Kurz vor ihrem bedauernswerten Ableben weihte White sie in einige Staatsgeheimnisse ein.«

»Welche Art von Staatsgeheimnissen?«

»Die Art, von der Sie lieber nichts wissen wollen«, bellte Land. »Gott allein weiß, was White sich dabei gedacht hat. Wahrscheinlich der verzweifelte Versuch, sie zu beeindrucken. Dieser Narr hat ihr alles erzählt. Offenbar wusste er sogar Dinge, die nicht einmal mir bekannt waren.« Lands Stimme klang überheblich. Die Augenbrauen hatte er hochgezogen.

»Und weil diese Axline-Schlampe nebenbei noch Klich fickte, glauben Sie nun, dass sie die Informationen den Russen steckte?«

Land rutschte unruhig herum und versuchte, den Rest des Cricketschlägers unterzubringen. »Ehrlich gesagt ist mir Axline egal«, sagte er. »Das ist nur ein Name. Aber ein russischer Oligarch, der durch die Welt jettet und jedes dunkle Geheimnis kennt, welches es über unseren Geheimdienst zu wissen gibt, könnte möglicherweise das größte Sicherheitsleck bedeuten, welches wir je erleiden mussten.«

Stille. Land ließ seine Worte wie Staub sinken. Bald grinste ihn an. »Jetzt verstehe ich, was hier los ist«, sagte er. »Man hat Sie mit runtergelassenen Hosen erwischt. Und jetzt wollen Sie, dass ich das Chaos beseitige.«

»Ein sauberer Neuanfang, John. Kommen Sie schon. Das ist ein guter Deal, und das wissen Sie.«

»Wo ist Klich jetzt?«

»Er bestieg gestern am späten Morgen einen Iberia-Flug von Heathrow nach Madrid. Von Madrid aus nahm er einen Anschlussflug nach Venezuela, nach Caracas. Er löst dort einen Gefallen ein.«

»Was für einen Gefallen?«

»Klick ist persönlicher Freund von Präsident Chávez. Irgendein dubioser Waffenhandel, den er mit den Iranern abzuschließen half. Chávez schuldet ihm was. Eine Menge. Er würde ihn niemals ausliefern lassen, und das weiß Klich verdammt gut.«

»Also wollen Sie, dass ich da runterfliege und diesen Mistkerl für Sie schnappe«, sagte Bald.

Land nickte. »Bevor er von der Bildfläche verschwunden ist.«

»Was ist mit Interpol?«

Land warf Bald einen Blick zu, als hätte dieser ihm gerade einen Dreier vorgeschlagen. »Klich ist für uns immer noch sehr nützlich. Aber wenn Interpol ihn in die Hände bekommt, wird die Sache an die Öffentlichkeit gelangen. Sie wird Richter, Geschworene und der ganze Rest sein. Und unsere Chance, Informationen aus ihm herauszubekommen, wird sich in Luft auflösen.«

Von seinem Stuhl aufspringend, sagte Land: »Jetzt kommen Sie schon, Ihr Flugzeug wartet.«

Sie verließen den Raum und durchquerten ein Labyrinth aus Korridoren. Land an der Spitze, Bald zwischen den beiden Schlägertypen eingezwängt.

»Es gibt da aber noch ein kleines Problem«, sagte Land an die Leere vor ihm gewandt, ohne Bald überhaupt anzusehen. »Das GCHQ hat Datenverkehr aus Moskau aufgeschnappt. Wir wissen, dass die russischen Geheimdienste über Klichs Flucht informiert wurden.«

»FSB?«

Land nickte. »Sie glauben, dass sie Informationen aus Klich herausbekommen und gegen uns verwenden können. Es ist zwingend erforderlich, dass die Klich finden, bevor es die Russen tun.« Land blieb stehen. Sie standen unter einer flackernden Leuchtstofflampe, die dabei ein summendes Geräusch von sich gab. »Klich hält sich in einer Villa im Country Club am nördlichen Stadtrand auf.«

»Hat er viele Leibwächter um sich?«

»Drei. Frauen, um genau zu sein. Klich hat eine besondere Schwäche für schwarze Frauen. Sie sind bestens ausgebildet. Jiu-Jitsu, Krav Maga, Kickboxen, Schusswaffen.« Ein Lächeln kroch in Lands Mundwinkel. »Sie haben doch kein Problem damit, Frauen zu schlagen, oder, John?«

Bald sah ihn an. »Ich denke nicht.«

»Gut.«

Land eilte weiter. Bald folgte ihm. Nach sieben Abzweigen erreichten sie einen Notausgang. Land drückte den Handgriff hinunter und Licht fiel durch den Türspalt herein. Der Geruch von Flugzeugbenzin und verbranntem Gummi begrüßte Bald. Sie traten auf eine kleine Startbahn, die an die Hauptlandebahnen angrenzte, auf denen dröhnend die kommerziellen Flüge starteten und landeten. Ganz in Balds Nähe stand ein mittelgroßer Business-Jet, den er als eine Falcon 50 erkannte. Französisches Fabrikat. Land marschierte zielstrebig voraus. Sein Schritt hatte an Vitalität gewonnen.

Nachdem Bald noch ein wenig über die Ausgangslage nachgegrübelt hatte, machte es bei ihm Klick. Er schloss zu Land auf und fragte: »Wie sieht Ihr Plan eigentlich aus? Soll ich einfach in die Villa reinschneien, den Wichser mit der Waffe bedrohen und mit ihm abhauen?«

Land blieb stehen. »Ich gebe zu, dass es etwas … äh … dünn ist.«

»Das ist genau gar nichts.«

»Zeit ist ein Luxus, den wir bei dieser Sache nicht haben, John.«

»Und was ist mit den Leibwächterinnen? Das sind vier gegen einen.«

Land grinste.

»Eher vier gegen zwei.«

Bald spürte, wie sich sein Magen zusammenzog.

»Wovon zum Teufel reden Sie da?«

Land senkte den Kopf, gegen den Wind. Zog sein Jackett vor seiner Brust zusammen.

»Hören Sie, ich kann Ihnen diese Mission nicht allein anvertrauen. Nicht nach dem, was in Florida passierte. Klich ist für das Königreich von strategischer Wichtigkeit. Also werden Sie einen Partner haben.«

Bald spürte, wie sich die Sehnen in seinem Kopf verspannten.

»Wer ist es?«, fragte er.

Land zögerte, bevor er antwortete: »Ihr alter Kumpel Joe Gardner.«

Er neigte den Kopf zur Seite und warf Bald einen nervösen Blick zu.

»Ist das ein Problem?«

»Nein«, sagte Bald. »Alles bestens.«

»Gut. Ich weiß, dass Sie und Joe eine bewegte Vergangenheit haben. Aber Klich zurück nach London zu bringen, ist für die nationale Sicherheit absolut entscheidend. Das ist kein Job für nur einen Mann. Deshalb muss ich mich darauf verlassen können, dass zwischen ihnen kein böses Blut herrscht.«

Bald zuckte mit den Schultern.

»Über den Joghurt, den ich in meinem Kühlschrank vergessen habe, mache ich mir mehr Sorgen.«

Land musterte Bald ausgiebig. Dann nickte er.

»Ihr Flug wir ungefähr 15 Uhr Ortszeit am Ziel eintreffen. Zwei meiner besten Leute warten auf Sie in dem Flugzeug. Sie werden Sie nach Caracas begleiten und Sie mit den nötigen Papieren und einem Handy ausstatten. Dann treffen Sie sich mit Gardner. Sobald Sie Klich in Ihre Gewalt gebracht haben, werden Sie vor Ort ein Snatch-Team kontaktieren und sich mit ihnen treffen. Sie werden Klich zu einem sicheren Flugplatz und danach sofort außer Landes bringen.«

»Was ist mit den Russen?«, fragte Bald.

»Wir schätzen, dass sie etwa drei Stunden hinter Ihnen herhinken werden. Sie werden sicher vorhaben, Klich in die Enge zu treiben und einen Deal mit ihm zu machen. Sein Leben im Austausch für alles, was er weiß.«

Jetzt hob Land den Blick. Seine Augen waren perlweiß und riesig. Und Bald sah etwas in ihnen, was er bei diesem Mann noch nie gesehen hatte. Er sah Angst, in ihrer reinsten Form. Land sah aus, als würde er sich jeden Moment übergeben. Bald erwiderte den Blick nur und fühlte sich einigermaßen unwohl.

Dann gewann Land seine Fassung wieder und sagte: »Wenn wir damit scheitern, Viktor Klich nach Hause zu holen, bin ich geliefert. Dann wird man die Messer wetzen. Aber merken Sie sich eines: Sollte ich untergehen, werde ich Sie mitnehmen.«

Kapitel 6

Caracas, Venezuela, 15:48 Uhr

Die Beifahrertür flog auf, und als Bald sich aufsetzte, wehte ihm ein gnadenloser Schwall aus der Klimaanlage ins Gesicht. Er hatte während der Fahrt vom Maiquieta Flughafen ins dreißig Kilometer südlich gelegene Caracas auf dem Rücken eines Ford Explorers gelegen. Während der Fahrt waren ihm immer wieder Schockwellen des Schmerzes durch seinen Kiefer gefahren. Nun arbeiteten sie sich in sein Gesicht vor und ließen bunte Flecken wie Poolbillardkugeln vor seinen Augen tanzen. Er spähte aus der Beifahrertür. Sah hunderte von Lehmziegelhütten, die auf einem Hügel übereinandergestapelt waren. Er hörte die Stimmen spielender Kinder, Mopeds, die wie Fliegen umhersurrten und Latino-Rap, der aus verdammt großen Lautsprechersystemen dröhnte. Dann kam Wellfoot in Sicht und hielt einen dünnen Arm zur Beifahrertür hinein.

»Guten Morgen. Wir sind da.«

Bald quälte sich hinaus, Wellfoot ließ die Hand sinken und trat zur Seite, um ihm Platz zu machen. Der Geruch von frittiertem Mais und würzigem Fleisch schlug Bald entgegen. Plötzlich war er sehr hungrig. Auf der Straße angekommen streckte er sich, versuchte, den Jetlag aus den Knochen zu bekommen, und blinzelte in die Sonne. Es war das erste Mal, dass er die Sonne wieder sah, seit er vor sechzehn langen Stunden die Falcon in Almaty bestiegen hatte. Sie glich einer grellen, blendenden Platzwunde.

»Ich dachte, Joe sollte sich hier mit mir treffen?«, fragte er.

»Er wird jede Minute da sein«, antwortete Wellfoot nach einem Blick auf seine Citizen Eco-Drive. Er trug eine beige Hose, spitze braune Lederschuhe und ein zerknittertes weißes Hemd. Er sah aus, als würde er die kolumbianische Version von The Apprentice moderieren. Aus den Schatten musterten sie neugierige Augenpaare. Ein paar Kinder in Shorts und weiten T-Shirts hatten mit ihren Fahrrädern auf der anderen Straßenseite angehalten und beobachteten die beiden Männer. Dann radelten sie in das Labyrinth der Hütten und riefen nach unsichtbaren Freunden. Wellfoot schien nicht zu merken, dass er sich in einer bettelarmen Gegend befand und kaum auffälliger hätte sein können. Ein Weißer mit einer hübschen Uhr und einem iPhone zog Straßenräuber förmlich an.

Bald sah den Kids hinterher, dann fragte er: »Wo zum Teufel sind wir?«

»Das verdammte GPS funktioniert nicht richtig«, sagte Wellfoot und blickte stirnrunzelnd und hochkonzentriert auf sein iPhone. »Was sagten Sie eben?«

Bald wollte die Antwort gerade wiederholen, aber da hatte das iPhone bereits wieder Wellfoots ganze Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Wade, der zweite Agent, saß noch immer hinter dem Lenkrad des Explorers, den Arm aus dem Fenster hängend und mit einer Marlboro Light zwischen Daumen und Zeigefinger.

»Wir sollten auf der Avenida Cinque de Mayo sein. Aber ich bin nicht sicher, ob wir richtig sind. Sieht mir alles ein wenig rustikal aus, meinen Sie nicht?« Wellfoot blinzelte zu dem Meer aus Hütten hinüber, als hätte er noch nie zuvor arme Menschen gesehen. »Aber man hat von hier oben eine nette Aussicht«, ergänzte er und ließ seinen Blick über den Abhang schweifen.

Bald folgte seinem Blick und erblickte einen Talkessel, vielleicht fünfzehn Kilometer lang und genauso breit. Er lag etwa dreihundert Meter unter ihnen und einen Kilometer von dem Punkt entfernt, den Bald und Wellfoot einnahmen. Der Talkessel glich einem braunen und grauen Diagramm aus Wolkenkratzern, Appartementhäusern und verfallenden Betonbauten. Die Stadt war in einen leichten Smogschleier gehüllt. Der Anblick erinnerte an eine Großstadtaufnahme aus den Nachrichten in den Siebzigern. Auf drei Uhr ragte das Ávila-Massiv auf. Auf der Karte in Balds Kopf hatte der Berg im Norden der Stadt gelegen, was bedeutete, dass sie sich derzeit irgendwo im östlichen Stadtteil von Caracas befinden mussten.

»Oh, und bevor ich es vergesse: Alles Gute zum Geburtstag.«

Wellfoot hielt Bald einen Umschlag entgegen. Er war braun und nur leicht gepolstert. Wog kaum etwas. Ein paar hundert Gramm vielleicht. Bald öffnete den Umschlag. Ein Blackberry fiel heraus. Ein prähistorisches Modell, eines von der Art, auf der ein Immobilientycoon vor fünf Jahren herumgetippt hätte. Oder mit dem ein Teenager mit Kapuzenpulli vor einem Jahr Krawalle organisiert hätte. Das Display war zerkratzt, und das Gehäuse schien locker zu sein.

»Manchmal spielt das Signal verrückt«, sagte Wellfoot. »Aber es sollte seinen Zweck erfüllen.«

Unbeholfen versuchte Bald, das Gehäuse des Blackberrys wieder festzudrücken. »Der Drecksack schickt uns mit einem Privatjet einmal um die halbe Welt, ist sich aber zu fein für ein anständiges Telefon.«

»Das Blackberry sendet auf einer verschlüsselten Frequenz«, erklärte Wellfoot. »Nun, sobald sie unseren russischen Freund geschnappt haben, wählen Sie die Nummer, die auf der SD-Karte gespeichert ist. Wir werden Sie über das eingebaute GPS des Blackberrys orten und zu Ihnen kommen. Noch Fragen? Nein? Gut.«

Wellfoot lief zu dem Explorer, blieb stehen und inspizierte die Kappen seiner Schuhe. »Oh, eines noch. Der Chef lässt ausrichten, dass Sie es vergessen können, jemals wieder einen Fuß auf englischen Boden zu setzen, falls Sie diese Mission vermasseln sollten. Nur, dass Sie Bescheid wissen. Viel Glück.«

Dann stieg er in den Explorer, schlug die Tür zu, und der Motor erwachte knurrend zu wütendem Leben und lockte neugierige Gesichter aus den Schatten. Sie sahen zu, wie der Explorer beschleunigte und in die Stadt im Tal hinunterraste, wobei er Staub und Kies aufwirbelte.

Dann traten sie aus den Schatten.

Neun zornige junge Männer. Sie gehörten scheinbar zu einer Gang. Acht von ihnen hatten die Statur von Kerlen, die den ganzen Tag lang im Fitnessstudio abhingen. Riesige Brust- und Bauchmuskeln, Arme, die am Bizeps überquollen, am Trizeps aber schlank waren. Körper, die nach zu viel Gewichtheben, aber zu wenig Kardio aussahen. Einer von ihnen war jünger als die anderen. Mittleres Teenageralter und verdammt dürr, ein menschlicher Schokoriegel mit schlechten Zähnen. Sie alle starrten Bald finster an. Jeder von ihnen trug Basketball-Shirts, zerlumpte Jeans und abgewetzte weiße Sneakers.

Bald verspannte sich instinktiv. Von einem Bekannten, der Entführungs- und Lösegeldfälle in Lateinamerika bearbeitete, hatte er genug über die Elendsviertel von Caracas gehört. Die Leute, die hier lebten, hatten keine Arbeit. Kein Geld. Keinen Ausweg. Kinder im Grundschulalter wurden erschossen, wenn sie jemanden auf der anderen Straßenseite falsch ansahen. Cops ließen sich von Bandenführern schmieren und erledigten als Todesschwadrone die Drecksarbeit für die örtlichen Drogendealer.

Die neun Kerle bildeten einen losen Kreis um Bald. Drei Meter und weniger. Vier von ihnen waren bewaffnet. Zwei von ihnen trugen Schnappmesser. Ein Junge, vielleicht zwölf, besaß einen Schlagring. Der vierte Kerl trug einen Baseballschläger bei sich. Das vordere Ende war bereits blutverschmiert. Dieser Typ war älter als seine Kumpel. Ende zwanzig vielleicht. Etwas größer als Bald, und doppelt so breit. Sein Schädel war mit Tätowierungen verziert und seine Haut hatte die Farbe gerösteter Erdnüsse. Der Kerl ließ das schwere Ende des Baseballschlägers immer wieder in seine flache Hand klatschen. Dann trat er einen Schritt näher an Bald heran.

»Hast du Freunde hier in der Gegend?«, fragte Erdnuss. Sein Akzent ließ jedes einzelne Wort so klingen, als würde er dabei mordsmäßig einen abseilen.

»Nein«, sagte Bald.

»Tja, jetzt schon.«

Bald schwieg. Er musste an Gardner denken. Hoffte, dass er sich verdammt noch mal beeilte.

»Wo kommst du her?«, fragte Erdnuss.

»Schottland«, antwortete Bald.

Erdnuss verzog das Gesicht.

»Wo ist das denn?«

»Ziemlich weit von hier entfernt.«

»Wieso kommst du dann hier in mein Revier, Bruder? Das hier ist nicht das Hilton. Das hier ist Rancho-Gebiet.«

»Was bin ich doch für ein verdammter Glückspilz«, sagte Bald. »Da reise ich einmal um die halbe Welt und laufe trotzdem nur Wichsern wie dir über den Weg.«

Im nächsten Augenblick stürzte sich Erdnuss bereits auf Bald, den Baseballschläger hoch über dem Kopf wie ein wild gewordener Holzfäller.

Bald hatte damit gerechnet. Selbst ein Blinder am anderen Ende der Stadt hätte es kommen sehen. Erdnuss war mit über hundert Kilo Muskelmasse beladen, und Muskeln wogen mehr als Fett. Er bewegte sich auf plumpe und übertriebene Weise. Bald wog 50 Kilo weniger als er, dank der gesunden Lebensweise auf der Farm. Er war sieben Zentimeter kleiner und seine Arme bestimmt zwölf Zentimeter dünner. Aber er war beweglicher und wusste, wie man zuschlagen musste. Als der Baseballschläger also auf ihn hinunterraste, wich er ihm einfach mit einer schnellen Bewegung aus, immer noch nah genug, um den Windhauch auf seiner Haut zu spüren.