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Nach Ende des Zweiten Weltkrieges unterzeichnen knapp zwei Dutzend Staaten das von den USA vorgeschlagene «Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen» (GATT). Die damalige Neuordnung des Welthandels ist im Abbau der hohen Nachkriegs-Zölle sowie der vielfältigen nichttarifären Handelshemmnisse sehr erfolgreich. Ende des vorigen Jahrhunderts geht das GATT – das damals 110 Partner zählte – zusammen mit den neu ausgehandelten Abkommen über die grenzüberschreitenden Dienstleistungen (GATS) und die geistigen Eigentumsrechte (TRIPS) in die neu geschaffene Welthandelsorganisation (WTO) ein. Die WTO zählt heute 166 Mitglieder. Die vorliegende Arbeit zeigt in einem ersten Abschnitt, wie die während Jahrzehnten aufgebaute Welthandelsordnung zurzeit in vielen Sachbereichen an Bedeutung verliert. Eine seit Jahren ansteigende Anzahl von WTO-Mitgliedern schliessen unter sich Freihandelsabkommen ab und gewähren sich im Rahmen dieser Vereinbarungen Handelsvorteile, die sie an die übrigen WTO-Mitglieder nicht weitergeben. Zudem sind viele WTO-Mitglieder nicht bereit, ihre Dienstleistungsmärkte gegenüber allen WTO-Partnern zu öffnen. Auch können sich die WTO-Partner nicht auf eine gemeinsame Entwicklungspolitik einigen. Die USA und die EU schliessen eigenständige Handelsabkommen mit den Entwicklungsländern ab. Das GATT und die WTO haben es im Verlauf der Jahre verpasst, eine internationale Investitionsordnung und eine gemeinsame Agrarmarktordnung zu schaffen. Der zweite Abschnitt weist – in Ergänzung zu den Problemen der Welthandelsordnung – auf einige «offene Baustellen» der WTO-Administration hin. Zur Diskussion stehen die Tätigkeit des WTO-Sekretariats, die Funktion der alle zwei Jahre einberufenen WTO-Ministerkonferenz, die Kooperation und Transparenz in der WTO, die anhaltende Schaffung von Integrationsräumen sowie der WTO-Streit um die WTO-Streitschlichtung. Zurzeit besteht die Gefahr, dass neu gewählte Regierungen die von früheren Regierungen gewährten Zugeständnisse zurücknehmen und neue Handelshemmnisse beschliessen, in der Absicht, ihre eigene Position zu stärken.
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Seitenzahl: 42
Veröffentlichungsjahr: 2025
Aktuelle Probleme der WTO Copyright © by Richard Senti is licensed under a Creative Commons Namensnennung-Nicht kommerziell-Keine Bearbeitung 4.0 International, except where otherwise noted.
© 2025 – CC BY-NC-ND
Verlag: EIZ Publishing (eizpublishing.ch), Hirschengraben 56, 8001 Zürich, [email protected]: Richard SentiISBN:978-3-03805-800-7 (Print – Softcover)978-3-03805-801-4 (PDF)978-3-03805-802-1 (ePub)DOI: https://doi.org/10.36862/eiz-800Version: 1.01 – 20250422
Dieses Werk ist als gedrucktes Buch sowie als E-Book (open access) in verschiedenen Formaten verfügbar. Weitere Informationen finden Sie unter der URL: https://eizpublishing.ch/publikationen/aktuelle-probleme-der-wto/.
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Das von Ferdinand K. Lieblich im Jahr 1971 veröffentlichte GATT-Lehrbuch trägt den Titel «Das GATT als Zentrum der internationalen Handelspolitik». Mit Respekt und Genugtuung schauen die damaligen GATT-Partner auf das nach dem Zweiten Weltkrieg von der US-Regierung vorgeschlagene und von 23 Staaten unterzeichnete «Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen» (GATT) zurück. Die Partner des GATT verfolgen das Ziel, über einen möglichst zollfreien zwischenstaatlichen Güterhandel einen Beitrag zum Wiederaufbau der vom Zweiten Weltkrieg zerstörten Weltwirtschaft zu leisten. In den 1990er Jahren geht das GATT, zusammen mit dem neu geschaffenen Allgemeinen Dienstleistungsabkommen (GATS) und dem Abkommen über handelsrelevante Aspekte der geistigen Eigentumsrechte (TRIPS), in die neu geschaffene Welthandelsorganisation (WTO) ein. Heute zählt die WTO 166 Mitglieder.
Das GATT und die WTO sind in den ersten Jahrzehnten ihres Bestehens sehr erfolgreich, beim Abbau der Zölle und nichttarifären Handelshemmnisse, bei der Errichtung einer zwischenstaatlichen Streitschlichtung, im Gewähren von zeitlich unbefristeten Präferenzen zu Gunsten der Entwicklungsländer und der Schaffung einer international aufeinander abgestimmten Dumping- und Subventionspolitik.
Der erste Abschnitt der folgenden Ausführungen weist auf die Bedeutungsverluste hin, welche die Welthandelsorganisation zurzeit erleidet, infolge der immer zahlreicheren regionalen Freihandelsabkommen, des Beibehaltens von Ausnahmen im grenzüberschreitenden Dienstleistungsverkehr, der von Land zu Land unterschiedlichen Agrarpolitik und der Schwierigkeiten im Bereich der zwischenstaatlichen Streitschlichtung. Existenzbedrohend für die WTO ist die Tatsache, dass gegenwärtig wichtige Handelspartner zum Schutz der eigenen Wirtschaft ihre Zölle wieder anheben und die davon betroffenen Länder mit Retorsionsmassnahmen antworten. Hält diese Entwicklung während Jahren an, wird die Welthandelsordnung letztlich dort ankommen, wo sie nach dem Zweiten Weltkrieg war, in einer Ordnung, in der einige wenige grosse Welthandelspartner auf Kosten der restlichen Partner Form und Inhalt des grenzüberschreitenden Handels bestimmen.
Der zweite Abschnitt handelt – in Ergänzung zu den Problemen der Welthandelsordnung – von «offenen Baustellen» der WTO-Administration. Zur Diskussion stehen die Tätigkeit des WTO-Sekretariats, die Funktion der WTO-Ministerkonferenz, die Kooperation und Transparenz in der WTO, die anhaltende Schaffung von Integrationsräumen sowie der WTO-Streit um die WTO-Streitschlichtung.
Zürich, Frühjahr 2025
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Abkürzungsverzeichnis
Strukturelle Schwächen der WTODas Problem der regionalen IntegrationDas GATS, die Kunst des MöglichenDie «zahnlose» WTO-EntwicklungspolitikDie internationale Investitionsordnung, eine verpasste ChanceDie Doha-Runde, eine «unendliche Geschichte»Der unvollendete WTO-Agrarmarkt«Offene Baustellen» der WTODie WTO, eine HandelsorganisationDie WTO-MinisterkonferenzFehlende Kooperation und Transparenz in der WTODie anhaltende Gefahr der «Termiten»Der Streit um die StreitschlichtungSchlusswort
Literaturverzeichnis
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Das in der Nachkriegszeit von den Landesregierungen mit grossem Einsatz geschaffene und am 1. Januar 1948 provisorisch in Kraft getretene Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen (GATT) ist während mehrerer Jahrzehnte sehr erfolgreich. Die Nachkriegs-Zölle in der Höhe von bis zu 50 Prozent des Warenwerts werden im Rahmen des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens stark abgebaut. Zudem entstehen zusätzliche GATT-Vereinbarungen zum Handel mit Agrarprodukten sowie Abkommen über sanitarische und phytosanitarische Massnahmen, handelsbezogene Investitionen, technische Handelshemmnisse, Antidumping, Versandkontrolle, Ursprungsregeln, Einfuhrlizenzverfahren und die Grenzabfertigung. Gleichzeitig schaffen die GATT-Partner eine gemeinsame Streitschlichtungsstelle, die im Verlauf der Jahre mehrere hundert zwischenstaatliche Handelsdifferenzen im gemeinsamen Einvernehmen beilegt. Aber trotz all dieser Anstrengungen aufseiten der WTO-Partner und des WTO-Sekretariats büsst die anfänglich erfolgreiche Welthandelsordnung in den letzten Jahren an Effizienz und internationaler Wertschätzung ein. Die WTO-Partner schliessen unter sich Freihandelsabkommen ab und gewähren sich gegenseitig Handelsvorteile, die sie, in Abweichung von der GATT-Meistbegünstigungspflicht, an die übrigen WTO-Partner nicht weitergeben. Ins Stocken geraten ist im Verlauf der Zeit auch die Liberalisierung des zwischenstaatlichen Dienstleistungshandels. Und ungelöst sind nach wie vor viele Probleme im Handel mit den Entwicklungsländern, im Bereich der internationalen Investitionen und im grenzüberschreitenden Handel mit Agrarprodukten und Nahrungsmitteln.
Die folgenden Ausführungen handeln im ersten Teil von strukturellen Schwächen der aktuellen Welthandelsordnung und im zweiten Abschnitt von «offenen Baustellen» in der Verwaltung der WTO.
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