Alexander von Humboldt - Dorothee Nolte - E-Book

Alexander von Humboldt E-Book

Dorothee Nolte

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Beschreibung

Universalgelehrter und Lästermaul – amüsante Episoden über Alexander von Humboldt Alexander von Humboldt, der preußische Adlige, der adligen Dünkel verachtete, war getrieben von unbändiger Forscher- und Entdeckerlust. Er kämpfte sich durch Bergwerkstollen in Preußen und den Dschungel des Amazonas, maß die Temperatur von Meeresströmungen und bestimmte die Bläue des Himmels, bestieg Berge und Vulkane wie den Chimborazo oder den Pichincha, nahm an gewagten Expeditionen teil und legte in den fast neun Jahrzehnten seines Lebens zehntausende Kilometer auf Schiffen, Maultieren, Pferden, in Kutsche und zu Fuß zurück. Er war ein Wissenschaftler und Autor von ungeheurem Horizont, brillanter Redner, begnadeter Netzwerker, Kritiker der Sklaverei, Vordenker der Globalisierung, einer der berühmtesten Gelehrten seiner Zeit - eine Wucht, ein Ereignis. Und: Er war ein Schalk, ein Spötter, ein Lästermaul. Angeblich verließen manche Zeitgenossen eine Abendgesellschaft nicht, solange Alexander von Humboldt anwesend war, denn sie wollten nicht riskieren, dass nach ihrem Abgang über sie hergezogen werde. "Mein Freund Humboldt", so sagte es der Physiker François Arago, "ist das beste Herz auf der Welt, aber auch das größte größte Schandmaul, das ich kenne". Das tat seiner Anerkennung keinen Abbruch, schon zu Lebzeiten wurde er als ein "zweiter Kolumbus", als "Aristoteles der Moderne" bewundert. Berlin ehrte den Naturforscher, Entdecker und ersten Vertreter einer globalisierten Wissenschaft später bekanntlich als Namensgeber (gemeinsam mit seinem Bruder) der Humboldt-Universität und des Humboldt-Forums.

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Eulenspiegel Verlag – eine Marke der Eulenspiegel Verlagsgruppe Buchverlage

ISBN E-Book: 978-3-359-50081-0

ISBN Buch: 978-3-359-01374-7

1. Auflage 2018

© Eulenspiegel Verlagsgruppe Buchverlage GmbH, Berlin

Umschlaggestaltung: Verlag, Karoline Grunske

www.eulenspiegel.com

»Es ist ein Treiben in mir, dass ich oft denke, ich verliere mein bisschen Verstand.«

Alexander von Humboldt, oder: Der Schalk aus Tegel

Als wären zehntausend Säue hinter ihm her: So empfand Alexander von Humboldt sein Leben. Der preußische Adlige, der adligen Dünkel verachtete, war getrieben von unbändiger Forscher- und Entdeckerlust, er kämpfte sich durch Bergwerkstollen und Dschungel, maß die Temperatur von Meeresströmungen und bestimmte die Bläue des Himmels, bestieg Vulkane und legte in den fast neun Jahrzehnten seines Lebens Zehntausende Kilometer auf Schiffen, Maultieren, Pferden, in Kutschen, Schlitten, der Eisenbahn und zu Fuß zurück. Er war ein Wissenschaftler und Autor von ungeheurem Horizont, brillanter Redner, begnadeter Netzwerker, Kritiker der Sklaverei, Vordenker der Globalisierung, einer der berühmtesten Gelehrten seiner Zeit – eine Wucht, ein Ereignis.

Und: Er war ein Schalk, ein Spötter, ein Lästermaul. Angeblich verließen manche Zeitgenossen eine Abendgesellschaft nicht, solange Alexander von Humboldt anwesend war, denn sie wollten nicht riskieren, dass nach ihrem Abgang über sie hergezogen werde. »Mein Freund Humboldt«, so sagte es der Physiker François Arago, »ist das beste Herz auf der Welt, aber auch das größte Schandmaul, das ich kenne.« Er könne nur einen Fehler an Alexander von Humboldt entdecken, gab der Hamburger Großkaufmann Caspar Voght zu Protokoll, nämlich »die Freude über die Entdeckung lächerlicher Seiten an den Menschen, die ihn umgeben«. Humboldt selbst, Salonlöwe und Kammerherr, der in Paris und Berlin manchmal mehrere Abendgesellschaften nacheinander besuchte, nannte seinen Hang zur Moquerie »meine oft etwas scharfen Urteile«. Die Spottlust lebte er nicht nur im Gespräch aus, sondern auch in seinen Schriften, vor allem in Briefen.

Der »an den Höfen zahm gewordene Waldmensch vom Orinoco« – so hat er sich im Alter einmal bezeichnet – hätte gewiss zugestimmt: Auch sein eigenes Leben hatte durchaus komische Momente. Oder ist es nicht merkwürdig, wenn er auf einem Einbaum den Orinoco herunterfährt und fürchten muss zu ertrinken – weil er nicht schwimmen kann? Wenn er todesmutig durch Eis und Schnee den Berg besteigt, der den Zeitgenossen als der höchste der Erde gilt, und dabei weder Handschuhe noch feste Stiefel trägt? Wenn er galvanische Experimente am eigenen Körper ausführt und sich über jede Entzündung, jeden heftigen Schmerz freut?

Und so ist das Leben des Alexander von Humboldt nicht nur abenteuerlich, draufgängerisch, einzigartig, wissenschaftlich hoch ergiebig und welthistorisch bedeutsam, nein, es ist auch amüsant. Zwei Kenner Alexanders, die langjährigen Leiter der Alexander von Humboldt Forschungsstelle der Berliner, später Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften Kurt-R. Biermann und Ingo Schwarz haben beklagt, dass in der Humboldt-Biografik der »Sinn für Schalkhaftigkeit« eher stiefmütterlich behandelt werde. Nun denn! Das lässt sich ändern

Teil I

Von Schloss Langweil in die Welt1769–1799

Wo denn nun?

Kann das wahr sein: dass man nicht weiß, wo Ale­xander von Humboldt geboren wurde? Schon da entzieht sich der Schalk der Festlegung. Am Gendarmenmarkt, wo Berlin am schönsten ist, hängen gleich zwei Gedenktafeln: Die eine behauptet in der Jägerstraße 22, genau hier sei Alexander geboren, in dem Gebäude nämlich, das 1769 hier stand, dem Elternhaus der Humboldt-Brüder. Kaum hundert Meter weiter, wo die Jägerstraße auf den Gendarmenmarkt trifft, widerspricht eine andere, neuere Infotafel: Es sei auch möglich, dass Alexander im Schloss Tegel das Licht der Welt erblickt habe, in jenem Jagdschlösschen zwei bis drei Kutschstunden von Berlin-Mitte entfernt, in dem die Familie ihre Sommer verbrachte. Immerhin ist das Datum verbürgt: der 14. September 1769. Ist Mitte September noch Sommer-Tegelzeit oder schon Herbst-Gendarmenmarktzeit? Die Wissenschaft, die doch hier ihre Heimstatt hat – in den Gebäuden residiert heute die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften –, kann es nicht sicher sagen.

Der Lottokönig

Wer ein Stadthaus und ein Schlösschen in Tegel hat, der zählt nicht zur ärmeren Bevölkerungsschicht. Die Immobilien hat Marie Elisabeth mit in die Ehe gebracht, die Mutter der beiden Brüder, selbst Tochter reicher Hugenotten und Witwe des ebenfalls sehr wohlhabenden Barons von Holwede. Ihr Geburtsname lautet »Colomb«, ein Name mit Symbolkraft: Alexander wird nach seiner Amerika-Reise als »zweiter Kolumbus«, als zweiter, wissenschaftlicher Entdecker des Kontinents gefeiert werden. Aber noch, im September 1769, ist Alexander ein Baby, und sein Bruder Wilhelm tapst als Zweijähriger übers Parkett. Der Herr Papa, Major Alexander Georg von Humboldt, hat in den Schlesischen Kriegen für Preußen gekämpft und zuletzt als Kammerherr der Gattin des Kronprinzen Friedrich Wilhelm gearbeitet. Da die Ehe zwischen dem Prinzen und seiner Frau just im Jahr von Alexanders Geburt geschieden wird, kann Vater Humboldt fortan privatisieren: Er erhält vom König das Privileg, Lottoscheine zu verkaufen, und besitzt Anteile an der staatseigenen Tabakherstellung. Bequeme Verhältnisse also und viel Zeit, um sich dem Gut in Tegel und der Ausbildung seiner Jungs zu widmen. Kronprinz Friedrich Wilhelm bleibt ihm stets gewogen und wird gar Taufpate von Alexander.

Dürftige Sandnatur

»Tegel ist kein eigentliches Dorf, sondern ein Jagdschloss, von dem Großen Kurfürsten gebaut und von meinem Vater ganz umgeschaffen«, schreibt Alexander mit Mitte zwanzig an einen Freund. »Es liegt an dem Ufer eines eineinhalb Meilen langen Sees, der von schön angebauten Inseln durchschnitten ist. Hügel mit Weinreben, die wir hier Berge nennen, große Pflanzungen von ausländischen Hölzern, Wiesen, die das Schloss umgeben, und überraschende Aussichten auf die malerischen Ufer des Sees machen diesen Ort zu dem reizendsten Aufenthalte der hiesigen Gegend.« Das ist die eine Seite: Die Landschaft ist schön. Die Kindheit und Jugend der Brüder ist es weniger. Wilhelm wird sie später als »öde und freudenlos« bezeichnen, und Alexander klagt: »Hier in Tegel habe ich den größeren Teil dieses traurigen Lebens zugebracht, unter Leuten, die mich liebten, mir wohlwollten, und mit denen ich mir doch in keiner Empfindung begegnete, in tausendfältigem Zwang, in entbehrender Einsamkeit.« Im väterlichen Hause, so schreibt er, sei er »18 Jahre lang gemisshandelt und in einer dürftigen Sandnatur eingezwängt« worden. Die »dürftige Sandnatur« um Berlin wird er im späteren Leben noch oft geißeln – und die Tropen werden ihm umso schöner erscheinen.

Papa, Mama und die Lehrer

Am Vater liegt es nicht, dass die Brüder sich unwohl fühlen: Der gilt als liebenswürdig, gesprächsfreudig, vielseitig interessiert. Aber er stirbt, als Alexander neun Jahre alt ist, und damit bleiben nur die kühle, ehrgeizige Mutter, ihre eigenartigen Verwandten und die wechselnden Hauslehrer als Ansprechpartner. Einer davon ist Joachim Heinrich Campe, der dem kleinen Alexander vielleicht schon erste Sehnsucht nach der weiten Welt eingeimpft hat – der spätere Kinderbuchverleger schreibt wenige Jahre nach seinem Dienst in Schloss Tegel einen Jugendroman »Robinson und die Entdeckung von Amerika«. Der Held des Romans strandet ausgerechnet im Mündungsgebiet des Orinoco, den Alexander mit dem Einbaum erkunden wird. Wichtiger ist allerdings Hofmeister Gottlob Johann Christian Kunth, der viele Jahre bei der Familie bleibt. Er unterrichtet die Jungen in Mathematik, Deutsch, Latein, Griechisch, Französisch und Geschichte und wählt Fachgelehrte für die anderen Fächer aus, allesamt den Idealen der Aufklärung verpflichtet. Kunth ist streng, fordernd und mit Alexander des Öfteren unzufrieden. Der erinnert sich: »Ich entwickelte mich unendlich viel später als mein Bruder Wilhelm, der von erster Kindheit an durch seine tiefe Kenntnis des Griechischen und der gesamten alten Literatur wie durch seinen Geschmack für Poesie in Erstaunen versetzte.«

Der kleine Apotheker

Griechisch, Latein, alte Poesie: Herr im Himmel, muss das sein? Alexanders Interessen sind ganz anders gelagert als Wilhelms. Er stromert gern durch die Wälder rund ums Tegeler Schloss, sammelt Blätter und Blumen, Schnecken, Muscheln, Steine – die Familie soll ihn deshalb den »kleinen Apotheker« genannt haben. Im Unterricht bei Kunth und den Fachlehrern dagegen wird »alles, was auf Naturkunde und Chemie Bezug hatte«, vernachlässigt. Einmal immerhin unternimmt der Leibarzt der Familie, Ernst Ludwig Heim, einen Versuch der naturwissenschaftlichen Unterweisung: »Er hatte eine große Sammlung von Moosen und gab sich eines Tages die Mühe, meinem älteren Bruder die Linnéischen Klassen zu erläutern. Dieser, des Griechischen schon damals kundig, lernte die Namen auswendig, ich klebte Lichen parietinus (Flechten) und Hypna (Schmetterlinge) auf Papier, und in wenigen Tagen war uns beiden alle Lust zur Botanik wieder verschwunden.«

Weltreisen auf dem Papier

Überhaupt geht Alexander ganz eigene Wege. Bis zum Alter von 16 Jahren, so schreibt er später, »hatte ich wenig Lust, mich mit der Wissenschaft zu befassen, und wollte Soldat werden«. Schon früh entdeckt er jedoch seine Liebe zu Landkarten, für die sich ja Militärs und Wissenschaftler gleichermaßen interessieren. Der Junge begeistert sich für Karten von fernen Ländern, für die kräuseligen Linien der Ufer und Flussläufe, den kühnen Schwung der Längen- und Breitengrade, er fährt mit kindlichen Fingern nach, was er als Mann bereisen wird. Seine ersten Karten zeichnet er mit 14 Jahren, eine Karte der Neuen Welt und eine der »Oostsee« sind erhalten und zeugen von einem erstaunlichen Zeichentalent. Mit 17 stellt Alexander Bilder in der ersten Kunstausstellung der Berliner Akademie aus. Wir schreiben das Jahr 1786: Friedrich der Große stirbt, Kronprinz Friedrich Wilhelm, der Gönner der Familie Humboldt, übernimmt.

Der Blitz schlägt ein

Hauslehrer Kunth hat von Naturwissenschaft und Technik wenig Ahnung, aber er weiß immerhin, wen er fragen muss. Auf dem Dach des Tegeler Schlosses soll ein Blitzableiter angebracht werden, eine neumodische und höchst umstrittene Einrichtung. Kunth fragt also den Arzt und Physiker Marcus Herz um Rat, der als erster Einwohner Berlins an seinem Haus in der Spandauer Straße einen Blitzableiter angebracht hat. Herz lädt regelmäßig Gelehrte und Interessierte zur »Mittwochsgesellschaft« in sein Haus. Die Humboldt-Söhne dürfen mitkommen und lernen in dieser »Gesellschaft der Freunde der Aufklärung« führende Vertreter des Geisteslebens kennen. An diesen Abenden schlägt gewissermaßen der Blitz in die wissbegierigen Köpfe der jungen Männer ein, hier entzünden sich Gedanken und Gespräche über experimentelle Naturwissenschaft und Philosophie. Die Temperatur steigt noch, wenn sie ins Nebenzimmer gehen: Denn Marcus Herz' Gattin Henriette unterhält dort ebenfalls einen Salon. Wilhelm und Alexander werden zu Stammgästen im Hause Herz und auch in anderen Salons der Aufklärung, und Alexander schreibt, man unterhalte sich »besser in Gesellschaft jüdischer Frauen als auf dem Schlosse der Ahnen«. Das Schloss der Ahnen ist für ihn »Schloss Langweil«, in der Spandauer Straße hingegen trifft er auf »die schönste und auch die klügste, nein! ich muss sagen, auch die weiseste unter den Frauen«. In den Salons kann Alexander ausleben, was Zeitgenossen schon früh an ihm auffällt: seine Redegewandtheit, seine Gabe, Menschen für sich einzunehmen, und seine Spottlust. Einmal legt er in einem kleinen Text Henriette folgende Worte über sich selbst in den Mund: »Humboldt, der versteht die Kunst zu lachen. Sind die Menschen unterhaltend, lacht er mit ihnen. Sind sie langweilig, so lacht er über sie. Die Moral ist nicht übel.«

Majestätischer Ball

Manchmal gibt es auch außerhalb der Salons Aufregendes zu erleben. Zum Beispiel kommt ein berühmter Franzose, Jean-Pierre Blanchard, in die eher langweilige Residenzstadt Berlin und erhebt sich vom Exerzierplatz im Tiergarten einfach in die Luft. Eine Sensation, sein Gasballon! »Vorgestern war ganz Berlin auf den Beinen«, schreibt Alexander an einen Freund. »Blanchard steigen zu sehen, verdiente wirklich die 2 Reichstaler, die es mich kostete. Der Anblick einer so großen, 26 Fuß breiten Maschine, eines Mannes, der durch seine übermenschliche Kühnheit es wagte, über den Ozean zu gehen, der majestätische Gang des Balls, und am meisten der Gedanke an die Fortschritte der menschlichen Kultur, die nun schon das dritte Element sich unterwarf, alles dies macht einen großen, herzerhebenden Eindruck.« Die Sehnsucht, »über Ozeane zu gehen«, wird Alexander bis an sein Lebensende antreiben.

Wenn man alles, alles weiß

Der preußische Staatsdienst hat sich schon für den verstorbenen Vater Humboldt als lukrativ erwiesen, eine solche Karriere strebt Mutter Humboldt auch für ihre Söhne an. Alexanders eigentlichen Wunsch, Soldat zu werden, lehnt sie ab. Beide Brüder beginnen 1787, unter der Aufsicht des gestrengen Kunth, ihr Studium an der »Academia Viadrina« in Frankfurt an der Oder. Wilhelm soll Rechtswissenschaft studieren, Alexander »Kameralistik«, Staatswirtschaftslehre, ein Fach, das Alexander so erklärt: »eine Weltregierungskunst, die man erst dann versteht, wenn man alles, alles weiß«. Oje! Wilhelm berichtet Henriette Herz: »Alexander hat zwar Langeweile hier, aber im Grunde ist er doch recht vergnügt. Er läuft viel herum, moquiert sich. Aber traurig ist er gar nicht.«

So ein schöner Reishalm

Schon nach einem Semester kehrt Alexander nach Berlin zurück und verspürt nun doch »die Notwendigkeit botanischer Kenntnisse«. Er versucht, Pflanzen zu bestimmen, und sucht den bekannten Botaniker Carl Ludwig Willdenow auf. Er notiert: »Ich sah zum ersten Mal in meinem Leben die Palmen des Botanischen Gartens, ein unendlicher Hang nach dem Anschauen fremder Produkte erwachte in mir. In drei Wochen war ich ein enthusiastischer Botanist.« Willdenow schenkt ihm einen Reishalm, den der eifrige Student in sein Herbarium aufnimmt und »mit unendlichem Wohlgefallen« betrachtet. Alexander erkennt in der Botanik eine der Wissenschaften, »von denen sich die menschliche Gesellschaft am meisten zu versprechen hat«: Denn sie biete die Chance, »Tausenden von Menschen Nahrung oder Beschäftigung zu geben«. Und während der junge Preuße verzückt die Pflanzen aus fernen Gegenden betrachtet, träumt er sich in ihre Herkunftsländer.

Gängelband ade

Bruder Wilhelm studiert schon seit einem Jahr in Göttingen, im Frühjahr 1789 immatrikuliert sich auch Alexander an der renommierten Reformuniversität, »bereit, den ersten Schritt in die Welt zu tun, ungeleitet und ein freies Wesen«. Lange genug sei er »wie ein Kind am Gängelbande geführt« worden, nun »harrt der Mensch, der eigene Schöpfer seines Glücks oder Unglücks zu werden«. Begeistert studiert er unter anderem bei dem Naturforscher Johann Friedrich Blumenbach und veröffentlicht mit 20 Jahren sein erstes Buch: »Mineralogische Beobachtungen über einige Basalte am Rhein«. Zu seinen Professoren gehört auch der Experimentalphysiker Georg Christoph Lichtenberg, von dem das Bonmot stammt: »Der Amerikaner, der den Kolumbus zuerst entdeckte, machte eine böse Entdeckung.« Die Amerikaner, die Alexander von Humboldt entdecken werden, haben von ihm nichts zu befürchten.

Niemals seekrank

Einer von Alexanders Jugendhelden ist der Naturforscher und Schriftsteller Georg Forster, der den Briten James Cook auf seiner zweiten Weltumsegelung begleitet hat – Forsters Buch »Reise um die Welt« hat Alexander als Jugendlicher verschlungen. Nun lernt er den 15