Alles Liebe vom Tod - Ruth Rendell - E-Book

Alles Liebe vom Tod E-Book

Ruth Rendell

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Beschreibung

Sofort ein Klassiker: Das erste Buch der britischen Spannungsautorin, die eine ganze Generation von Krimis prägte Inspektor Wexford steht vor einem Rätsel: Warum musste Margaret Parsons sterben? Die unscheinbare junge Hausfrau hatte keine Feinde – und doch wurde sie brutal erwürgt, ihre Leiche in einem abgelegenen Waldstück zurückgelassen. Als Polizeichef der kleinen Gemeinde Kingsmarkham ist Wexford eisern entschlossen, die Wahrheit herauszufinden – und stößt schließlich auf eine Sammlung seltener Bücher in Margarets Besitz, jedes einzelne davon mit der leidenschaftlichen Widmung eines unbekannten Liebhabers versehen. Je tiefer Wexford in die Vergangenheit von Margaret Parsons eintaucht, desto mehr erkennt er, dass die Antworten in der schweigsamen Dorfgemeinschaft zu finden sind, die sich wie Wölfe um Margarets Erinnerungen schart … »Ruth Rendell ist die brillanteste Kriminalautorin unserer Zeit.« Bestsellerautorin Patricia Cornwell Der fesselnde Auftakt der Bestseller-Serie um Inspektor Wexford – preisgekrönte und feingezeichnete psychologische Spannung für die Leserinnen und Leser von Val McDermid und Elly Griffiths. Als Hörbuch bei AUDIOBUCH erhältlich sowie als eBook bei dotbooks. In Band 2 muss Inspector Wexford sich die Frage stellen, ob ihm bei seinem allerersten Mordfall ein furchtbarer Fehler unterlaufen ist …

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Seitenzahl: 253

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Über dieses Buch:

 

Inspektor Wexford steht vor einem Rätsel: Warum musste Margaret Parsons sterben? Die unscheinbare junge Hausfrau hatte keine Feinde – und doch wurde sie brutal erwürgt, ihre Leiche in einem abgelegenen Waldstück zurückgelassen. Als Polizeichef der kleinen Gemeinde Kingsmarkham ist Wexford eisern entschlossen, die Wahrheit herauszufinden – und stößt schließlich auf eine Sammlung seltener Bücher in Margarets Besitz, jedes einzelne davon mit der leidenschaftlichen Widmung eines unbekannten Liebhabers versehen. Je tiefer Wexford in die Vergangenheit von Margaret Parsons eintaucht, desto mehr erkennt er, dass die Antworten in der schweigsamen Dorfgemeinschaft zu finden sind, die sich wie Wölfe um Margarets Erinnerungen schart …

eBook-Neuausgabe November 2025

Die englische Originalausgabe erschien erstmals 1964 unter dem Originaltitel »From Doon With Death« bei John Long, London.

Copyright © der englischen Originalausgabe 1964 by Kingsmarkham Enterprises Ltd

Copyright © der deutschen Erstausgabe 1985 bei Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg

Copyright © der Neuausgabe 2025 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von AdobeStock/duyina1990 und shutterstock/WeerasakWooth, Marko Aparisto, Melanie Hobson, mycamerastoragewastoofull

eBook-Herstellung: dotbooks GmbH unter Verwendung von IGP (fb)

 

ISBN 978-3-69076-823-8

 

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Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit gemäß § 31 des Urheberrechtsgesetzes ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected] . Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

 

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Ruth Rendell

Alles Liebe vom Tod

Kriminalroman

Aus dem Englischen von Edith Walter

 

dotbooks.

Für Don

Du hast mir das Herz gebrochen. Jetzt habe ich es endlich geschrieben. Doch Du wirst es nie lesen, Minna, denn dieser Brief wird nie abgeschickt werden. Dein Lachen soll nicht verletzen und auch nicht töten, was ich empfinde. Dieses gläserne Lachen, das Deine kleinen, prüden Lippen kräuselt...

Soll ich Dir von der Muse erzählen, die mich erwartete! Hand in Hand mit Dir wollte ich ihren Tempel betreten, die Quellen suchen, die auf dem Helikon entspringen. Ich hätte Deine Seele mit dem Brot der Prosa und dem Wein der Poesie gespeist. Ah, der Wein, Minna! Er ist das rosenfarbene Blut des Troubadours ...

Nun werde ich nie zu dieser Reise aufbrechen, Minna, denn als ich Dir den Wein brachte, reichtest Du mir dafür das Wasser der Gleichgültigkeit. Ich gab Dir das Brot auf einem goldenen Teller, doch Du hast es im irdenen Topf der Verachtung verborgen.

Du hast mir wahrhaft das Herz gebrochen und den Kelch mit Wein an der Wand zerschmettert...

Kapitel 1

 

Ruf einmal noch

mit einer Stimme, die ihr vertraut:

»Margaret, Margaret!«

Matthew Arnold, The Forsaken Merman

 

»Also jetzt übertreiben Sie aber ein bißchen, Mr. Parsons«, sagte Burden. Er war müde und wollte mit seiner Frau ins Kino gehen. Außerdem waren ihm in dem Zimmer, in das Parsons ihn geführt hatte, sofort die Titel auf den Rücken der Bücher ins Auge gefallen, die in dem Regal neben dem Kamin standen. Sie genügten, um auch dem vernünftigsten Mann Angst einzujagen, auch wenn sie völlig unbegründet war. Der Giftmörder Palmer, Der Prozeß der Madeleine Smith, Drei ertränkte Bräute, Berühmte Strafprozesse, Bedeutende britische Strafprozesse. »Glauben Sie nicht, daß Ihre Lektüre ein bißchen auf Sie abgefärbt hat?«

»Ich interessiere mich für Verbrechen«, antwortete Parsons. »Kriminalistik ist mein Hobby.«

»Das ist nicht zu übersehen.« Burden wollte sich nicht setzen, wenn es nicht unbedingt sein mußte. »Aber man kann jetzt wirklich noch nicht sagen, Ihre Frau sei verschwunden. Sie sind seit anderthalb Stunden zu Hause, und sie ist nicht hier. Das ist alles. Wahrscheinlich ist sie ins Kino gegangen. Meine Frau und ich wollen heute Abend auch hin. Wahrscheinlich treffen wir Ihre Frau, wenn sie herauskommt.«

»Das würde Margaret nie tun, Mr. Burden. Ich kenne sie – Sie nicht. Wir sind jetzt fast sechs Jahre verheiratet, und bisher war sie immer da, wenn ich nach Hause gekommen bin.«

»Ich mache Ihnen einen Vorschlag, Mr. Parsons. Nach dem Kino schau ich noch einmal bei Ihnen herein, aber ich bin ganz sicher, daß Ihre Frau dann längst wieder da ist. Gehen Sie ruhig aufs Revier, wenn Sie wollen«, fügte Burden, schon auf dem Weg zur Tür, noch hinzu. »Es kann nichts schaden, und Sie beruhigt es vielleicht.«

»Nein, nein, das möchte ich nicht. Ich dachte ja nur, weil Sie in der Nähe wohnen und Polizeibeamter sind ...«

... und außerdem dienstfrei, dachte Burden. Wäre ich Arzt und nicht Polizist, hätte ich meine Privatpatienten. Ob Parsons auf meine Hilfe auch so erpicht wäre, wenn er eine saftige Honorarrechnung zu erwarten hätte?

Als er im halbleeren, dunklen Kino saß, spann er seine Gedanken weiter. Das war schon eine seltsame Geschichte. Normale Durchschnittsehefrauen, die so konventionell waren wie Mrs. Parsons, Frauen, die immer Punkt sechs das Essen für ihren Mann fertig hatten – solche Frauen gingen nicht einfach weg, ohne eine Nachricht zu hinterlassen.

»Hast du nicht gesagt, das sei ein guter Film?« flüsterte er seiner Frau zu.

»Die Kritik hat ihn gelobt.«

»Die Kritik – ach so!«

Ein anderer Mann, das war natürlich möglich. Aber bei Mrs. Parsons? Vielleicht hatte sie einen Unfall gehabt? Es war wirklich nicht richtig gewesen, daß er Parsons nicht sofort aufs Revier geschickt hatte.

»Hör zu, Schatz«, sagte er leise, »ich kann mir diesen Mist wirklich nicht länger ansehen. Bleib ruhig bis zum Ende. Ich muß noch einmal zu Parsons.«

»Hätte ich bloß den Reporter geheiratet, der so hinter mir her war!«

»Machst du Witze?« fragte Burden. »Der wäre die ganze Nacht weggeblieben, um seinen Artikeln den letzten Schliff zu geben – oder der Sekretärin des Redakteurs.«

Eilig trabte er die Tabard Road hinauf und zwang sich dann, langsamer zu gehen, als er sich dem viktorianischen Haus näherte, in dem die Parsons wohnten. Die Fenster waren dunkel, die Vorhänge in dem großen Erker im Erdgeschoß waren nicht vorgezogen. Die Stufe, die zur Haustür führte, war weißgescheuert, der Klopfer aus Messing poliert. Mrs. Parsons mußte eine ordentliche Hausfrau gewesen sein. Mußte gewesen sein? Wieso war sie es denn nicht mehr?

Parsons öffnete, bevor er klopfen konnte. Er sah noch immer adrett aus. Sein Anzug war zwar ein bißchen altmodisch, seine Krawatte peinlich korrekt gebunden. Aber sein Gesicht hatte eine graugrüne Färbung und erinnerte Burden an das eines Ertrunkenen, den er einmal im Leichenschauhaus gesehen hatte. Sie hatten ihm die Brille auf die aufgequollene Nase gesetzt, damit ihn das Mädchen, das ihn identifizieren sollte, leichter erkannte.

»Sie ist noch nicht zurück«, sagte Parsons. Seine Stimme klang, als habe er sich erkältet. Doch wahrscheinlich hatte er nur Angst.

»Trinken wir erst mal eine Tasse Tee zusammen«, sagte Burden. »Dabei läßt es sich leichter darüber reden.«

»Ich denke ununterbrochen darüber nach, was ihr zugestoßen sein könnte. Die Gegend ist ja ziemlich einsam. Aber wir sind eben auf dem Land, wie sollte es da anders sein?«

»Das kommt nur von den Büchern, die Sie lesen«, entgegnete Burden. «Sie sind wirklich eine ungesunde Lektüre.« Wieder betrachtete er die glänzenden Schutzumschläge. Auf einem Buchrücken sah man auf blutrotem Hintergrund eine ganze Sammlung Messer und Pistolen. »Jedenfalls für einen Laien«, fügte er hinzu. »Darf ich telefonieren?«

»Der Apparat ist im Wohnzimmer.«

»Ich will im Revier anrufen. Vielleicht ist dort eine Meldung aus einem Krankenhaus eingegangen.«

Das Wohnzimmer sah aus, als werde es nie benutzt. Burden stellte verblüfft fest, daß es trotz reichlich aufgetragener Möbelpolitur schäbig wirkte. Bisher hatte er noch kein einziges Möbelstück entdeckt, das nicht mindestens fünfzig Jahre alt war. Burden kam in alle möglichen Häuser und kannte sich ein bißchen mit echten alten Möbeln aus. Diese Möbel waren jedoch keine Antiquitäten, und niemand konnte sie gekauft haben, weil sie schön oder selten waren. Sie waren einfach nur alt und billig, aber nicht alt genug, um wertvoll zu sein. Der Wasserkessel pfiff, und Burden hörte Parsons in der Küche hantieren. Ein Stück Porzellan fiel klirrend auf den Boden, und es klang, als hätten sie noch die alten Steinfußböden. Man kann schon Gänsehaut kriegen, dachte er, wenn man in diesen hohen Räumen sitzt, von der Treppe oder aus dem Schrank seltsame und unerklärliche Geräusche hört und dabei von Giftmorden, Erhängten und Blutbädern liest.

»Ich habe Ihre Frau als vermißt gemeldet«, sagte er zu Parsons. »Aus den Krankenhäusern liegt keine Meldung vor.«

Parsons schaltete im Hinterzimmer das Licht ein, und Burden folgte ihm. Die Glühbirne unter dem Pergamentschirm, der in der Mitte des Zimmers von der Decke hing, war schwach – höchstens sechzig Watt. Der Lampenschirm lenkte alles Licht nach unten, so daß die Decke mit ihren Stukkaturen aus Früchten und Blumen völlig im Dunkeln lag. In den Ecken hingen noch tiefere Schatten. Parsons stellte die Tassen auf die Anrichte, ein Mahagoni-Monstrum, das mit seinen Verzierungen, Galerien und vorstehenden Borden mehr wie ein verrücktes Holzhaus als ein Möbelstück aussah. Burden setzte sich in einen Sessel mit hölzernen Armlehnen und einer Sitzfläche aus braunem Cordsamt. Das Linoleum fühlte sich sogar durch seine dicken Sohlen kalt an.

»Haben Sie irgendeine Vermutung, wo Ihre Frau sein könnte?«

»Ich habe schon hin und her überlegt, hab mir den Kopf zerbrochen, aber mir fällt nichts ein.«

»Was ist mit ihren Freundinnen? Ihrer Mutter?«

»Ihre Mutter ist tot, und Freunde haben wir hier nicht. Wir sind ja erst vor sechs Monaten hergezogen.«

Burden rührte in seiner Teetasse. Draußen war es feucht-schwül gewesen. In diesem Haus mit den dicken Mauern blieb es vermutlich immer winterlich kühl.

»Hören Sie«, sagte Burden schließlich, »ich stelle diese Frage höchst ungern, aber früher oder später wird es jemand tun, also können wir’s auch gleich hinter uns bringen. Könnte Ihre Frau vielleicht mit einem Mann ausgegangen sein? Tut mir leid, aber ich muß das fragen.«

»Selbstverständlich müssen Sie das. Ich weiß Bescheid, steht alles hier drin.« Er tippte auf das Bücherregal. »Es sind reine Routinefragen, nicht wahr? Aber Sie irren sich. Margaret würde so etwas nie tun. Das ist einfach lachhaft.« Er brach ab, lachte jedoch nicht. »Margaret ist eine anständige Frau. Sie ist Laienpredigerin bei der Methodistengemeinde.«

Da nachzuhaken hat keinen Sinn, dachte Burden. Andere würden es tun, würden in seinem Privatleben herumschnüffeln, ob es ihm nun gefiel oder nicht – falls sie noch nicht zu Hause war, wenn der letzte Zug einlief und der letzte Bus ins Depot von Kingsmarkham rollte.

»Das Haus haben Sie ja bestimmt schon durchsucht?« fragte er. Seit einem Jahr fuhr er zweimal täglich die Straße entlang, aber ob dieses Haus ein oder zwei Stockwerke hatte, konnte er nicht sagen. Sein auf genaue Beobachtung trainiertes Polizistengehirn versuchte sich die Fassade des Gebäudes ins Gedächtnis zu rufen. Ein Erkerfenster im Erdgeschoß, darüber zwei Schiebefenster und – ja, dicht unter den Dachschiefern noch einmal zwei kleinere Fenster. Ein häßliches Haus, dachte Burden. Häßlich und unheimlich.

»Ich habe in den Schlafzimmern nachgesehen«, antwortete Parsons. Er unterbrach sein rastloses Hin und Her, und das Blut schoß ihm in die Wangen. Doch im nächsten Moment wurde er wieder totenblaß. »Sie denken, sie könnte auf dem Boden sein?« fragte er angstvoll. »Ohnmächtig – oder so?«

Wenn sie nur ohnmächtig geworden wäre, wäre sie kaum mehr dort oben, dachte Burden. Eine Gehirnblutung oder – ja, ein Unfall vielleicht. »Wir sollten lieber mal nachsehen«, sagte er. »Ich habe es für selbstverständlich gehalten, daß Sie schon oben waren.«

»Ich habe gerufen. Wir gehen nur äußerst selten dort hinauf. Die Räume stehen leer.«

»Kommen Sie«, sagte Burden.

Das Licht im Flur war noch schwächer als das im Speisezimmer. Die kleine Glühbirne warf ihren kränklichen Schimmer auf einen gewebten blaßroten Läufer und auf das Linoleum mit Parkettmuster. Parsons ging voraus, und Burden folgte ihm die steile Treppe hinauf. Das Haus war ziemlich groß, aber das Baumaterial billig, die Arbeit wenig fachmännisch. Im ersten Stock gab es vier Türen, die ein bißchen schief in den Angeln hingen und nicht sehr stabil aussahen. Die Türfüllung bestand jeweils aus vier Rechtecken, und es sah so aus, als habe man die Fenster eines zum Abbruch bestimmten Hauses mit Brettern verschlagen.

»In die Schlafzimmer habe ich hineingeschaut«, wiederholte Parsons. »Du lieber Himmel, und dabei kann sie hilflos dort oben liegen!«

Er zeigte auf eine schmale Treppe. Burden war aufgefallen, daß er »du lieber Himmel!« gesagt hatte und nicht »Gott!« oder »mein Gott!«, wie vielleicht so mancher andere Mann.

»Mir ist eben eingefallen, daß oben keine Glühbirnen sind.« Parsons ging in das große Schlafzimmer, das nach vorn hinaus lag, und schraubte die Birne aus der Deckenlampe. »Passen Sie auf, damit Sie nicht ausrutschen«, sagte er zu Burden.

Auf der Treppe war es stockdunkel. Burden öffnete die Tür ihm gegenüber. Er war jetzt fest überzeugt, daß sie sie hier oben finden würden, zusammengebrochen und bewußtlos auf dem Boden liegend, und er wollte die Sache so schnell wie möglich hinter sich bringen. Als er die Treppe hinaufging, hatte er sich vorgestellt, wie Wexford ihn ansehen würde, wenn er ihm sagte, die Frau habe die ganze Zeit hier oben gelegen.

Feuchte Kälte schlug ihm entgegen, und es roch nach Kampfer. Das Zimmer war nur zum Teil möbliert. Undeutlich sah Burden die Umrisse eines Bettes. Parsons stolperte darauf zu und stieg auf den Schonbezug, um die Glühbirne einzuschrauben. Wie die anderen im Erdgeschoß verbreitete auch sie nur ein trübes Licht, das durch einen mit Löchern durchsiebten Lampenschirm sickerte und ein gelbliches Pünktchenmuster auf die Decke und die mit Wasserfarbe gestrichenen Wände malte. Das Fenster hatte keine Vorhänge. In seinem schwarzen Rechteck schwamm glänzend und kühl der Mond, verschwand dann aber wieder hinter einem vorbeiziehenden Wolkenfetzen.

»Sie ist nicht hier«, sagte Parsons. Seine Schuhe hatten auf dem Schonbezug staubige Abdrücke hinterlassen. Burden hob einen Zipfel des weißen Materials und schaute unter das Bett, das einzige Möbelstück im Raum.

»Sehen Sie in dem anderen Zimmer nach«, sagte er.

Parsons stieg wieder auf das Bett und schraubte langsam und umständlich die Birne heraus. Jetzt waren sie auf den kühlen Schein angewiesen, der durch das Fenster fiel und ihnen auf dem Weg in die zweite Bodenkammer leuchtete. Sie war kleiner und mit altem Kram vollgestopft. Burden machte einen Schrank auf und hob die Deckel von zwei Truhen. Er merkte, daß Parsons ihn anstarrte, während er vermutlich an das dachte, was er sein Hobby nannte. Möglicherweise unterstellte er auch, daß Burden allerlei Vermutungen über Dinge hegte, die man in alten Truhen verstecken konnte. Diese Truhen enthielten aber nur Bücher, wie man sie auf den Wühltischen vor Trödelläden findet.

Der Schrank war leer, und von der Rückwand blätterte die Tapete ab. Spinnweben waren jedoch keine zu sehen. Mrs. Parsons war eine sehr ordentliche Hausfrau.

»Es ist halb elf«, sagte Burden und blickte aus zusammengekniffenen Augen auf seine Armbanduhr. »Der letzte Zug ist um ein Uhr hier. Vielleicht kommt sie mit dem.«

»Sie würde nicht mit dem Zug wegfahren«, entgegnete Parsons eigensinnig.

Sie stiegen die Treppe wieder hinunter, und Burden mußte warten, bis Parsons die Glühbirne im vorderen Schlafzimmer eingeschraubt hatte, wohin sie gehörte. Das Treppenhaus hatte etwas Düsteres und Unheimliches. Aber weiße Farbe und helleres Licht könnten Wunder wirken, dachte Burden. Im Weitergehen dachte er über die Vermißte und das Leben nach, das sie hier führte – tagein, tagaus ihrer Hausarbeit nachgehend und immer bemüht, die Räume mit den graubraunen Möbeln und dem tristen Bodenbelag ein bißchen freundlicher zu gestalten.

»Ich weiß nicht, was ich tun soll«, sagte Parsons.

Burden hatte keine Lust, sich noch einmal in das kleine Speisezimmer mit den großen Möbeln zu dem inzwischen kalt gewordenen Tee zu setzen. Außerdem war Jean wahrscheinlich längst aus dem Kino zurück.

»Sie könnten ihre Freundinnen von der Methodistengemeinde anrufen«, schlug er vor und wandte sich zur Haustür. Wenn Parsons nur wüßte, wie viele Frauen uns als vermißt gemeldet werden, dachte er, und wie klein der Prozentsatz ist, den wir erschlagen auf einem Feld oder zerhackt in einer Truhe finden ...

»So spät noch?« Parsons sah fast schockiert aus, als dürfe man die eiserne Regel, nach neun Uhr abends niemanden mehr anzurufen, auch bei einer Krise nicht brechen.

»Nehmen Sie ein paar Aspirin, und versuchen Sie zu schlafen«, sagte Burden. »Wenn etwas passiert, rufen Sie mich an. Das Revier ist verständigt. Mehr können wir jetzt nicht tun. Wenn meine Kollegen etwas erfahren, werden wir sofort benachrichtigt.«

»Und was ist morgen früh? «

Wäre er eine Frau, würde er mich jetzt bitten, bei ihm zu bleiben, dachte Burden. Er würde sich an mich klammern und sagen: Lassen Sie mich nicht allein!

»Ich schaue auf dem Weg zum Dienst bei Ihnen herein«, sagte er.

Parsons blieb noch lange in der offenen Haustür stehen. Als Burden ein Stück die Straße hinaufgegangen war, drehte er sich einmal um und sah im schwachen Licht, das aus der Halle auf die Stufe fiel, Parsons’ blasses, verstörtes Gesicht. Er hatte das Gefühl, dem Mann etwas schuldig geblieben zu sein, weil er ihm weder helfen noch ihn trösten konnte. Langsam hob er die Hand zu einem halbherzigen Winken.

Die Straßen waren leer, die Stille, die nachts auf dem Land herrschte, fast greifbar. Vielleicht war sie jetzt auf dem Bahnhof, huschte schuldbewußt über den Bahnsteig und die hölzernen Stufen hinunter, während sie sich noch einmal in allen Einzelheiten die Entschuldigung überlegte, die sie sich ausgedacht hatte. Es mußte eine sehr gute und überzeugende Entschuldigung sein, sagte sich Burden, als ihm der Mann einfiel, der zwischen Hoffnung und Panik balancierte wie auf einem Hochseil.

Es war zwar ein Umweg für ihn, aber er ging bis zur Ecke der Tabard Road und blickte die Hauptstraße hinauf. Von hier aus konnte er bis zum Anfang der Stowerton Road sehen, wo eben die letzten Wagen den Vorplatz des The Olive and Dove verließen. Der Marktplatz war menschenleer, nur auf der Kingsbrook Bridge stand eng umschlungen ein Liebespaar. Weit hinten zwischen den schottischen Kiefern tauchte der Bus nach Stowerton auf und verschwand wieder in der Senke jenseits der Brücke. Hand in Hand liefen die beiden Verliebten zur Bushaltestelle auf dem Marktplatz und stiegen ein. Der Bus fuhr weiter. Ausgestiegen war niemand. Burden seufzte und ging nach Hause.

»Sie ist noch nicht aufgetaucht«, sagte er zu seiner Frau.

»Das ist wirklich komisch, Mike. Ich kann mir nicht vorstellen, daß sie mit einem Mann durchgebrannt ist. Sie wäre die Letzte, von der ich das denken würde.«

»Sie ist wohl recht unscheinbar?«

»Das möchte ich eigentlich nicht sagen«, antwortete Jean. »Sie sieht nur so – respektabel aus. Flache Absätze, kein Make-up, ordentlich dauergewellt mit Haarklammern über den Ohren. Ach, du weißt schon, was ich meine. Du mußt sie ja auch schon gesehen haben.«

»Schon möglich«, antwortete Burden, »aber nicht bewußt.«

»Ich würde sie jedenfalls nicht unscheinbar nennen. Sie hat ein merkwürdig altmodisches Gesicht – ein Gesicht, wie man es in Familienalben findet. Du würdest sie vielleicht nicht bewundern, Mike, aber ebensowenig würdest du ihr Gesicht vergessen.«

»Nun, ich habe es vergessen«, sagte Burden, verdrängte jeden Gedanken an Mrs. Parsons in den Hintergrund seines Bewußtseins, und sie begannen über den Film zu sprechen.

Kapitel 2

 

Eines Vormittags hockte das Vogelweibchen nicht im Nest, kehrte an diesem Nachmittag nicht wieder und auch am nächsten nicht und erschien nie mehr.

Walt Whitman, The Brown Bird

 

An Krisen gewöhnt, schlief Burden schnell ein. Nachdem er so lange in Brighton gewesen war, hatte er geglaubt, er würde sich in dieser Kleinstadt langweilen, doch auch hier gab es für die Kriminalabteilung immer etwas zu tun.

Das Telefon klingelte um sieben.

»Burden«, meldete er sich.

»Hier spricht Ronald Parsons. Sie ist nicht nach Hause gekommen. Und, Mr. Burden, sie hat keinen Mantel mitgenommen.«

Es war Ende Mai, aber der Monat war kalt und windig gewesen. Auch jetzt blähte eine scharfe Brise die Schlafzimmervorhänge. Burden setzte sich im Bett auf.

»Sind Sie sicher?« fragte er.

»Ich konnte nicht schlafen und habe ihre Sachen durchgesehen. Ich bin sicher, daß sie ohne Mantel gegangen ist. Sie hat nur drei: einen Regenmantel, einen Wintermantel und einen alten, den sie bei der Gartenarbeit anzieht.«

»Und wie steht es mit Kostümen?«

»Sie hat nur eins, und das hängt im Schrank. Ich glaube, sie trägt ein Baumwollkleid, ein neues ...« Er verstummte und räusperte sich. »Sie hat es sich eben erst genäht«, fügte er hinzu.

»Ich ziehe mir rasch etwas an und hole Sie in einer halben Stunde ab«, sagte Burden. »Dann fahren wir zusammen aufs Revier.«

Parsons war frisch rasiert. Seine kleinen Augen wirkten viel größer vor Angst. Die Teetassen, aus denen sie am Abend getrunken hatten, waren eben erst gespült worden und standen auf einem selbstgemachten Abtropfbrett. Burden staunte über die in diesem Mann so tief verwurzelte Macht der Gewohnheit, die ihn auch in einer Zeit stärkster seelischer Anspannung dazu trieb, auf seine äußere Erscheinung zu achten und sein Haus in Ordnung zu halten. Burden gab sich größte Mühe, sich nicht allzu neugierig in der finsteren, kleinen Küche umzusehen. Doch seine Blicke schienen von der kupfernen Spüle in der Ecke, dem alten, hochbeinigen Gasherd und dem Tisch mit der grünen Wachstuchdecke geradezu magnetisch angezogen zu werden. Es gab keine Waschmaschine, keinen Kühlschrank. Weil die Farbe abblätterte und der Rost an den alten Geräten fraß, wirkte der Raum ungepflegt. Erst als Burden, sobald er sich von Parsons unbeobachtet wußte, genauer hinsah, merkte er, daß hier eine fanatische, ja, geradezu rührende Sauberkeit herrschte.

»Geht es Ihnen gut?« wandte er sich an Parsons, der eben mit einem Riesenschlüssel die Hintertür abschloß. Seine Hände zitterten. »Haben Sie das Foto?«

»In der Tasche.«

Als sie durch das Speisezimmer gingen, fiel Burdens Blick wieder auf die Bücher. Die Titel schienen ihm von den roten, gelben und schwarzen Schutzumschlägen förmlich in die Augen zu springen. Ein neuer Tag war angebrochen und die Vermißte noch nicht aufgetaucht. Burden begann sich zu fragen, ob die Tabard Road in Zukunft ebenso wie Hilldrop Crescent und der Rillington Place in der Chronik der unheimlichen Straßen einen festen Platz einnehmen würde.

Würde es eines Tages über das Verschwinden von Margaret Parsons zwischen grellbunten Buchdeckeln einen ebensolchen Bericht geben, und würde ihm vom Schutzumschlag Parsons’ Gesicht entgegenstarren? Das Gesicht eines Mörders sieht ganz durchschnittlich aus. Es würde viel von seinem Schrecken verlieren, wenn es, sichtbar für alle Welt, das Kainsmal auf der Stirn trüge. Aber Parsons? Er konnte sie getötet haben, er besaß in dieser Beziehung zweifellos ein solides Wissen. Seine Bücher legten davon beredtes Zeugnis ab. Doch Burden war sich auch über den Unterschied zwischen Theorie und Praxis klar. Er schüttelte seine phantasievollen Gedanken ab und ging hinter Parsons her zur Haustür.

Kingsmarkham war erwacht, und es herrschte ein geschäftiges Treiben. Die Läden waren noch geschlossen, aber die Busse fuhren schon seit zwei Stunden. Hin und wieder blitzten helle Sonnenstrahlen durch die Wolken, die weiß und dick oder grau und regenschwer am Himmel hingen. Die Schlange an der Bushaltestelle reichte fast bis zur Brücke, und Männer, mit steifen Hüten und Regenschirmen bewaffnet, eilten allein oder zu zweit zum Bahnhof. Durch jahrelange Gewohnheit hatte die eine Stunde dauernde Fahrt nach London für sie ihre Schrecken verloren.

Burden hielt an der Kreuzung und wartete, bis ein orangefarbener Traktor auf der Hauptstraße vorübergerattert war.

»Es geht alles ganz normal weiter, als sei nichts geschehen«, sagte Parsons.

»Das ist nicht das Schlechteste, glauben Sie mir«, erwiderte Burden und bog nach links ab. »Man verliert sonst den richtigen Maßstab.«

Das Polizeigebäude stand, ganz wie es sich gehörte, an der Zufahrtstraße – eine schützende Bastion oder eine Warnung. Es war neu, weiß und viereckig wie eine Seifenschachtel und war – überflüssigerweise, wie Burden fand – hier und dort mit den einer Seifenschachtel angemessenen Farben verziert. Vor dem Hintergrund hoher alter Ulmen und nur ein paar Schritte vom letzten Regency-Haus in der Straße entfernt, prahlte es mit seinen weißen Mauern und wirkte so billig wie bunter Flitter im Grün einer Lichtung.

Zufällig war Burden nach Kingsmarkham versetzt worden, als man den Neubau gerade fertiggestellt hatte, doch manchmal schockierte ihn der Anblick noch heute. Er beobachtete Parsons scharf, als sie über die Schwelle traten. Wie würde er sich verhalten? Zeigte er Angst, oder reagierte er mit der üblichen vorsichtigen Zurückhaltung des Durchschnittsbürgers? Tatsächlich schien er ganz einfach ehrfürchtig zu sein.

Burden fand das ganze Gebäude irgendwie irritierend – und das nicht zum ersten Mal. Die Leute erwarteten billige Möbel aus hellem Holz, Linoleumböden, grüne Vorhänge und hallende Flure. Eine solche Ausstattung machte Gauner nervös und beruhigte die Unschuldigen. Der Marmor und die Fliesen mit dem unregelmäßigen Muster, das aussah, als habe man in Öl herumgerührt, das schwarze Brett und der großzügig geschwungene, schwarze Empfangstresen, der sich durch die halbe Eingangshalle erstreckte, erweckten den Eindruck, daß hier Ordnung und Harmonie der Dinge das allerwichtigste waren. Als ob das Schicksal der Männer und Frauen, die durch die Flügeltür traten, bedeutungsloser wäre als Chief Inspector Wexfords makellos geführte Akten.

Burden ließ den leicht benommenen Parsons zwischen einem Gummibaum und einem Stuhl stehen, der wie ein Löffel ohne Stiel aussah und die Farbe roter Hustentropfen hatte. Es ist absurd, mitten unter die stilvollen Häuser der High Street ein solches Betonungeheuer zu setzen, dachte Burden, als er bei Wexford klopfte. Der Chief Inspector rief »Herein!«, und Burden stieß die Tür auf. »Mr. Parsons ist draußen, Sir.«

»Na schön.« Wexford sah auf die Uhr. »Bringen Sie ihn gleich herein.«

Er war größer als Burden, untersetzt und kräftig, aber nicht dick, zweiundfünfzig Jahre alt, der Prototyp eines Komödianten in der Rolle eines hohen Polizeibeamten. Ein Stück weiter oben an der Straße – in Pomfret – geboren, hatte er den größten Teil seines Lebens in dieser Gegend von Sussex verbracht, kannte die meisten Leute und den Bezirk so genau, daß die Landkarte an der dottergelben Wand als reines Dekorationsstück anzusehen war.

Parsons war nervös, als er hereinkam. Sein Blick war unstet und vorsichtig, und er war voller Abwehr, als wisse er, daß man hier seinen Stolz verletzen würde und er sich dagegen wappnen müsse.

»Die Sache macht Ihnen große Sorgen, nicht wahr?« sagte Wexford, ohne ein Wort besonders hervorzuheben, mit ruhiger Stimme. »Inspector Burden hat mir gesagt, Sie hätten Ihre Frau seit gestern Morgen nicht mehr gesehen.«

»Das stimmt, Sir.« Parsons nahm das Foto seiner Frau aus der Brieftasche und legte es vor Wexford auf den Schreibtisch. »Das ist sie, das ist Margaret.« Er wies mit einer raschen Kopfbewegung auf Burden. »Er hat gemeint, Sie würden ein Bild von ihr sehen wollen.«

Das Foto zeigte eine jüngere Frau in Baumwollbluse und Dirndlrock. Die Arme in die Seiten gestützt, stand sie steif im Parsonschen Garten und lächelte unnatürlich strahlend. Außerdem wirkte sie irgendwie abgehetzt und kurzatmig, als sei sie von der Hausarbeit – dem Geschirrspülen vielleicht – weggerufen worden, habe schnell die Schürze weggeworfen, sich die Hände abgetrocknet und sei in den Garten gerannt, wo ihr Mann mit dem billigen Fotoapparat wartete.

Sie kniff die Augen zusammen, und ihr Mund zeigte ein erstarrtes Grinsen. Burden konnte sich gut vorstellen, daß sie tatsächlich cheese gesagt hatte. Vergeblich suchte er in diesem Gesicht nach den gemmenhaft feinen Zügen, von denen Jean gesprochen hatte.

Wexford betrachtete das Foto und sagte: »Haben Sie kein besseres?«

Parsons legte die Hand auf das Foto, als sei es entweiht worden. Er schien kurz vor einem Wutausbruch zu stehen, sagte jedoch nur: »Wir pflegen keine Studioporträts von uns machen zu lassen.«

»Hat Ihre Frau keinen Paß?«

»Ich kann mir keine Auslandsreisen leisten.«

Das hatte verbittert geklungen. Parsons warf einen raschen Blick auf die eleganten Jalousien, den kostspieligen kleinen Teppich und Wexfords Sessel mit dem malvenfarbenen Tweedüberzug, als seien sie ein Zeichen persönlichen Wohlstands und keine Einrichtungsgegenstände, die eine übergeordnete Behörde beigesteuert hatte.

»Ich hätte gern eine Beschreibung von Ihrer Frau«, sagte Wexford. »Setzen Sie sich doch, Mr. Parsons.«

Burden rief den jungen Gates herein, der im Einfingersystem die kleine graue Schreibmaschine zu bearbeiten begann.

Parsons setzte sich. Er begann langsam, verschämt, als habe man ihn aufgefordert, seine Frau nackt auszuziehen. »Sie hat blondes Haar – blondes, lockiges Haar und sehr helle blaue Augen. Sie ist hübsch.« Er sah Wexford herausfordernd an, und Burden fragte sich, ob ihm klar war, was für einen hausbackenen Eindruck sie auf dem Foto machte. »Ich finde sie hübsch. Sie hat eine ziemlich hohe Stirn.« Er faßte sich an die eigene breite und niedrige und fuhr fort: »Sie ist nicht sehr groß, eins vierundfünfzig oder -sechsundfünfzig.«

Wexford betrachtete noch immer das Bild.

»Schlank? Gute Figur?«

Parsons rutschte unruhig auf dem Stuhl hin und her.

»Gute Figur, würde ich sagen.« Er wurde vor Verlegenheit rot. »Sie ist dreißig – das heißt, sie wurde es vor ein paar Monaten, im März.«

»Was hatte sie an?«

»Ein grün-weiß gemustertes Kleid. Also – eigentlich ist es weiß mit grünen Blumen drauf. Und eine gelbe Strickjacke. Ach ja, und Sandalen. Sie trägt im Sommer keine Strümpfe.«

»Handtasche?«

»Sie mag keine Handtaschen. Sie raucht nicht und benutzt auch kein Make-up. Sie braucht keine Handtasche, nimmt immer nur Schlüssel und Geldbörse mit.«

»Unveränderliche Kennzeichen?«

»Eine Blinddarmnarbe«, antwortete Parsons und wurde wieder rot.

Gates riß das Blatt aus der Schreibmaschine und reichte es Wexford.

»Erzählen Sie mir mal etwas über den gestrigen Morgen, Mr. Parsons«, sagte Wexford. »War Ihre Frau anders als sonst? Aufgeregt? Niedergeschlagen?«

Parsons, der breitbeinig dasaß, schlug sich mit beiden Händen auf die Knie. Es war eine Geste der Verzweiflung – der Verzweiflung und der gereizten Ungeduld.

»Sie war so wie immer«, antwortete er. »Jedenfalls ist mir nichts Ungewöhnliches aufgefallen. Sie ist kein gefühlvoller Mensch, keine Frau, die ihr Herz auf den Lippen trägt, wie man so sagt.« Er betrachtete seine Schuhspitzen und wiederholte: »Sie war so wie immer.«

»Worüber haben Sie gesprochen?«

»Das weiß ich nicht mehr. Über das Wetter. Wir haben nicht viel geredet. Ich muß um halb neun zur Arbeit, ich arbeite beim Wasserwerk Süd in Stowerton. Ich sagte, es sei ein schöner Tag, und sie antwortete, ja, aber es sei zu klar. Es werde bestimmt regnen, so schön bleibe es nicht. Und sie behielt Recht. Es fing an zu regnen und hat den ganzen Vormittag gegossen.«