Alpen, Männer und andere Hindernisse - Heidi Troi - E-Book
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Alpen, Männer und andere Hindernisse E-Book

Heidi Troi

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Beschreibung

Ein Wohlfühlroman über eine Alpenüberquerung mit dem Rad – für LeserInnen von Alexandra Zöbeli, Kerstin Wiedemann und Karin Lindberg »Dann plötzlich traf wieder eine Nachricht ein. Es war nur ein Bild. Ein Glas Veneziano. Durch das durchscheinende Glas konnte sie ein verschwommenes Bild von sich selbst vor der Kulisse des Gardasees erkennen. Tina sah sich um. Da saß er.«  Ein Heiratsantrag am Gardasee bei Sonnenuntergang – das ist Tinas sehnlichster Wunsch. Doch will ihr Freund Ulrich das auch? Nachdem Tina lange genug auf seinen Antrag gewartet hat, beschließt sie, die Verlobung selbst in die Hand zu nehmen. Sie erfüllt ihm seinen lang gehegten Traum einer Alpenüberquerung mit dem Mountainbike und will am Ende der Fahrt vor passender Kulisse auf die Knie gehen.Doch dann laden sich noch drei andere Männer zu dem Abenteuer ein: Tinas Bruder Max, ihr Ex-Freund Alex und der unnahbare Vinz ... »Man kann die Aussichten auf die herrliche Bergwelt genießen, sich die bezaubernden Orte in Südtirol gut vorstellen und bekommt regelrecht Appetit auf die hervorragende Tiroler und Italienische Küche. Die Liebesgeschichte von Tina rundet das ganze perfekt ab. Ein absolut empfehlenswerter Sommerroman!«  ((Leserstimme auf Netgalley)) »Ein lustiges Lesevergnügen, das Lust auf die Alpen und Radfahren macht. Ein romantisches Cover ...«  ((Leserstimme auf Netgalley))

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© Piper Verlag GmbH, München 2022

Redaktion: Julia Feldbaum

Konvertierung auf Grundlage eines CSS-Layouts von digital publishing competence (München) mit abavo vlow (Buchloe)

Covergestaltung: Traumstoff Buchdesign traumstoff.at

Covermotiv: Bilder unter Lizenzierung von Shutterstock.com genutzt

Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzungen, wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden.

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Inhalt

Inhaltsübersicht

Cover & Impressum

Ertappt

Vinz

Vorbereitungen

Tina

Der Coachingfall

Vinz

Geburtstag

Tina

Vinz

Tina

Vinz

Mittenwald

Vinz

Tina

Vinz

Alpencross, der erste Tag

Tina

Vinz

Tina

Von Zirl nach Natters

Vinz

Tina

Vinz

Tina

Vinz

Vinz

Am Natterer See

Tina

Vinz

Tina

Brenner Grenzkamm

Vinz

Tina

Vinz

Tina

Vinz

Gewitterstimmung

Tina

Vinz

Tina

Vinz

Tina

Vinz

Tina

Vinz

Tina

Vinz

Sterzing

Vinz

Tina

Vinz

Tina

Vinz

Tina

Vinz

Brixen

Tina

Vinz

Tina

Kaltern

Tina

Vinz

Aufbruch von Kaltern

Tina

Vinz

Tina

Vinz

Tina

Vinz

Von Trient zum Gardasee

Tina

Vinz

Tina

Vinz

Tina

Vinz

Tina

Vinz

Tina

Vinz

Tina

Vinz

Tina

Epilog

Zum Schluss

Buchnavigation

Inhaltsübersicht

Cover

Textanfang

Impressum

Ertappt

Vinz

Vinz fühlte sich kaputt, als er von der Arbeit nach Hause ging. Er hatte ein Projekt abgeschlossen, war aber nicht zufrieden mit dem Ausgang der Dinge. Ein halbes Jahr hatte er mit dieser Kölner Firma gearbeitet, die Lebensmittel für Menschen mit diversen Intoleranzen herstellte. Das Ergebnis des Restrukturierungsprozesses war wieder einmal ein Outsourcing gewisser Prozesse gewesen, was einige Arbeitsplätze gekostet hatte. Wertvolle Menschen, die nun auf der Straße standen, während die Chefetage weiterhin in teuren Schlitten durch die Welt kutschierte. Eigentlich verachtete er seinen Job.

Umso mehr freute er sich auf Irén. Auf einen netten Abend zu zweit, Kuscheln vor dem Fernseher. Er würde ihr von seinen Sorgen erzählen, und sie würde ihm zuhören und ihn trösten.

Als er die fremden Männerschuhe im Flur sah, wusste er, dass aus diesem Programm nichts werden würde. Wahrscheinlich hatte Irén wieder einmal einen ihrer Arbeitskollegen zum Essen eingeladen. Statt Kuscheln stand nun wohl Small Talk auf dem Programm. Vinz fühlte einen Anflug von Ärger in sich aufsteigen. Immerhin hätte sie ihn vorwarnen können. Dann erinnerte er sich daran, dass er das Handy, das er während seiner Beratungsgespräche immer lautlos stellte, noch nicht wieder eingeschaltet hatte. Sicher hatte sie vergeblich versucht, ihn zu erreichen.

Er atmete tief durch, setzte sein Geschäftslächeln auf und betrat das Wohnzimmer. Doch Irén war nicht hier. Noch bevor er sich wundern konnte, hörte er Geräusche aus dem Schlafzimmer. Eindeutige Geräusche. Ihm war, als würde Eis durch seine Adern fließen. Bevor er einen klaren Entschluss fassen konnte, gingen seine Instinkte mit ihm durch. Mit wenigen Schritten hatte er die Schlafzimmertür erreicht. Er riss sie auf. Ein Blick war genug, um die Situation zu erfassen, doch er brachte kein Wort heraus.

Irén ging es ähnlich, denn sie sah ihn mit weit aufgerissenen Augen an, während der Kerl sie weiter mit kraftvollen Stößen bearbeitete. Sie versuchte, den Mann von sich zu schieben, doch der verstand das als Aufforderung, sie noch härter zu nehmen. Dann kam er mit einem Grunzen.

»Vinz …« Verdrossenheit lag in ihrer Stimme.

Der Typ sah sich um. »Oh, gosh … Well …« Ertappt rutschte er von ihr runter, schnappte sich seine Kleider und schob sich an Vinz vorbei aus dem Raum.

Irén zog sich die Bettdecke über ihren Körper. »Vinz, es ist nicht so, wie es aussieht.«

Er lachte höhnisch auf. »Da bin ich ja gespannt, wie es dann ist.« Er verschränkte die Arme. Auf ihre Ausrede war er wirklich gespannt. Er beobachtete ihr Gesicht. Der flehentliche Ausdruck verschwand und machte Trotz Platz.

»Es wäre eh zu Ende gewesen mit uns. Ich habe ein Angebot bekommen. In den Staaten. Fernbeziehungen sind nichts für mich.«

Wieder gefror ihm das Blut in den Adern. Sie wollte fort? Dass sie auf der Suche nach einem neuen Job gewesen war, hatte er gewusst. Er hatte sie darin unterstützt, aber es war nie die Rede von den USA gewesen.

»Ich wollte mit dir sprechen«, fuhr sie fort. »Es ist aus, Vinz.«

»Ach, tatsächlich? Und du hast keinen anderen Weg gefunden, mir das zu sagen, als mit einem anderen in die Kiste zu springen?«

»Er ist mein zukünftiger Chef.«

»Das ändert natürlich alles.« Vinz sah sie kopfschüttelnd an. Dann wies er mit dem Kinn auf ihre Kleider. »Pack deine Sachen und verschwinde. Nein … ich verschwinde. Wenn ich nächste Woche wieder hierher zurückkomme, will ich, dass nichts mehr von dir in der Wohnung ist.«

»Geht klar.«

Diese Gleichgültigkeit war es, die ihm noch mehr ins Herz schnitt … mehr als alles, was er an diesem Abend gesehen hatte. Er hatte Irén geliebt. Sie hatten schon über die Zukunft gesprochen, verdammt. Und nun das?

Bevor sie von seinem Gesicht ablesen konnte, was sich in seinem Inneren abspielte, drehte er sich um und flüchtete. Ohne Gepäck, nur mit Pass und Brieftasche, würde er in den nächsten Zug steigen – seiner Heimat entgegen. Südtirol würde seine Wunden heilen. Vielleicht.

Als der Zug den Brenner hinter sich gelassen hatte und links und rechts der Bahnstrecke hohe Berghänge aufragten, fiel die Anspannung von ihm ab. Doch als die Fahrt in Bozen ihr Ende fand, wusste er nicht, wohin mit sich. Seine Südtiroler Wohnung hatte er aufgegeben, als er mit Irén nach Köln gezogen war. Der einzige Ort, zu dem er konnte, war der Ansitz seiner Eltern, und er hatte auf nichts weniger Lust als auf die Fragen seiner Mutter, die ein erklärter Fan von Irén war.

Nein, seine Eltern sollten von der Trennung nichts wissen. Das musste er erst einmal selbst verdauen. Er brauchte einen Unterschlupf, einen Zufluchtsort, wo er seine Wunden lecken konnte. Da blieb ihm eigentlich nur eins: die Almhütte seines Großvaters.

Das Telefonat war schnell erledigt, der alte Mann war natürlich einverstanden damit, dass Vinz dort untertauchte. Er versprach sogar, niemandem etwas davon zu erzählen.

Vinz deckte sich mit Lebensmitteln ein und hoffte, auf tausendachthundert Metern über dem Meeresspiegel wieder zu sich selbst zu kommen.

Vorbereitungen

Tina

Tina saß mit ihrer Freundin Sabrina in einem Café in der Kölner Innenstadt. Zwei große Eisbecher standen vor den beiden Frauen, dazwischen war eine Landkarte ausgebreitet, über die sie jetzt ihre Köpfe beugten. Aus Tinas braunem, zu einem Pferdeschwanz zusammengebundenem Haar hatten sich ein paar Strähnen gelöst.

»Hier starten wir«, sagte sie und tippte auf einen kleinen Ort in der Nähe der Grenze zwischen Deutschland und Österreich. Schwärmerisch sah sie ihre Freundin an. »Mittenwald. Das romantischste Städtchen überhaupt. Und dann geht es am ersten Tag bis hierher.« Sie deutete auf Innsbruck. »Als Nächstes über den Brenner, das Tal hier entlang bis dorthin, und da gibt es einen Pass – aber das sind nur ein paar Höhenmeter –, und dann sind wir schon am Gardasee und …« Sie ließ ihre Augenbrauen tanzen.

Ihre Freundin stimmte lachend die ersten Takte des Hochzeitsmarsches an.

»Genau.« Plötzlich schlug Tinas Stimmung um. »Wie wird er wohl reagieren?«

»Also, wenn er da nicht Ja sagt, ist er ein Depp.«

»Vielleicht will ja er …« Sie seufzte. »Soll ich mir doch lieber was anderes ausdenken?«

»Nichts da«, sagte Sabrina. »Er hatte lang genug Zeit. Ich meine: Ihr seid seit zehn Jahren zusammen. Wenn er hätte fragen wollen, hätte er das schon getan, oder?«

Traurigkeit stahl sich in Tinas Miene. »Eben. Warum hat er noch nicht gefragt?«

»Weil Männer nicht zwingend ans Heiraten denken, Süße.« Sabrina legte ihre Hand auf den Arm ihrer Freundin. »Glaub mir. Das liegt einfach nicht in ihrem Fokus.«

»Ich hoffe, du hast recht.« Tina seufzte noch einmal. »Stell dir vor, ich mache die ganze Strecke bis zum Gardasee mit ihm und dann sagt er Nein …«

»Das wird er ja wohl nicht tun …« Sabrina sah ihre Freundin eindringlich an. »Und wenn, dann weißt du wenigstens Bescheid.«

Tina zog eine schmerzliche Grimasse. »Will ich das wirklich? Ich meine … Bescheid wissen?«

»Willst du. Dann kannst du dich nämlich anders orientieren. Immerhin gehst du auf die vierzig zu. Deine biologische Uhr tickt …«

»Danke, dass du mich daran erinnerst.«

»Du musst positiv denken. Und das üben wir jetzt. Du stellst dir die Situation vor. Na los!«

Tina hatte sofort das Bild vor Augen, das ihr schon seit Monaten vorschwebte. Der Gardasee, zwei Gläser mit Veneziano auf dem Tisch, im Licht der untergehenden Sonne funkelte das orangefarbene Getränk verführerisch. Ulrich saß ihr gegenüber, sah sie erwartungsvoll an.

»Und was tust du?«, fragte Sabrina.

»Ich öffne das Etui mit den Ringen.« Die Ringe, der kleinere für sie und der größere für Ulrich, steckten in dem Futter, schimmerten sanft.

»Und was sagst du?«

»Willst du mich heiraten?«

»Und er sagt …«

»Ja!«, hauchte Tina verträumt und sah Ulrich lächeln, wie er den kleineren Ring aus dem Etui nahm und ihr ansteckte … wie sie nach dem größeren Ring griff und diesen über seinen Finger schob. Tinas Mundwinkel hoben sich unwillkürlich.

Dann fiel neben ihr klirrend ein Löffel zu Boden und holte sie aus ihrem Tagtraum.

Sie öffnete die Augen und fing den Blick ihres Tischnachbarn auf. Tiefschwarze Augen, die ihr bis auf den Grund ihres Herzens zu starren schienen. Eine Unruhe ergriff sie, die sie sich nicht erklären konnte.

Ein Waldschrat, war das Erste, was ihr in den Sinn kam. Er war um die vierzig, also etwa gleich alt wie Ulrich, aber ansonsten das komplette Gegenteil. Seine Frisur, wenn man das so nennen wollte, hatte er sich vermutlich mit einem stumpfen Küchenmesser selbst beigebracht, das Gestrüpp in seinem Gesicht konnte weder als Dreitagebart noch als Vollbart durchgehen. Selbst seine Kleidung wirkte verwahrlost.

Der Blick aus seinen dunklen Augen ging ihr dennoch durch und durch. »Was will der Kerl?«, raunte sie ihrer Freundin zu, die sich sofort umdrehte und den Fremden selbst in Augenschein nahm.

»Geld?«, schlug Sabrina vor. »Du gehst nachher auf keinen Fall allein nach Hause. Der raubt dich noch aus.« Dann klopfte sie ungeduldig auf den Tisch. »Also. Wo waren wir stehen geblieben? Ach ja, in deiner Vorstellung hat Ulrich Ja gesagt, und genau das wird er dann am Ende eurer Wahnsinnstour auch tun.«

»Dein Wort in Gottes Ohr«, sagte Tina. Dann tauchte sie den Löffel in das geschmolzene Eis und schleckte ihn ab. Ohne dass sie es beabsichtigte, wanderte ihr Blick noch einmal zu dem schwarzäugigen Fremden. Doch dessen Platz war leer.

Der Coachingfall

Vinz

»Danke für Ihre Aufmerksamkeit.« Vinz beendete die Präsentation und klappte seinen Laptop zu. »Wenn Sie Fragen haben, dann nur zu.«

Es hatte ihn viel Überwindung gekostet, heute zu dem vereinbarten Präsentationstermin in der Firma von Ulrich Wechsler zu erscheinen und damit zur Tagesordnung überzugehen. Alles in seiner Wohnung hatte ihn schmerzlich an Irén erinnert. Einen Augenblick lang war er versucht gewesen, seine Sachen zu packen und wieder auf den Berg zu verschwinden, sich weiterhin dem Eremitendasein hinzugeben, das er in den letzten Wochen geführt hatte, doch dann hatte da diese junge Frau in dem Café gesessen, deren Blick ihm deutlich vor Augen geführt hatte, wie es um ihn stand – wie fertig er wirken musste.

Er war aus der Starre erwacht, umgehend nach Hause gefahren, hatte Iréns leeren Kleiderschrank ignoriert, sich geduscht und rasiert, und jetzt stand er in Hemd und Anzughose da und erklärte dem Führungsteam des Kleinunternehmens, woran die Firma grundlegend krankte.

»Nur zu. Trauen Sie sich, fragen Sie!«, wiederholte er.

»Oh, ich habe viele Fragen«, raunte Max seinen beiden Kumpels zu. »Die meisten davon drehen sich darum, wann wir endlich Feierabend machen und uns ein Bierchen genehmigen können.«

»Und genau hier liegt das Problem.« Vinz, der die Worte gehört hatte, musterte den Vierzigjährigen mit dem Gesicht eines Kindes kühl. »Der Chef einer Firma kommt morgens als Erster und geht abends als Letzter. In Ihrem Fall gilt das für alle drei Chefs.«

»Ich hab’s verstanden.« Max hob abwehrend die Hände. »Keine Fragen mehr.«

Peter streckte sich und gähnte. »Ich muss das erst einmal sacken lassen. Es ist doch so einiges, was wir jetzt ändern müssen.«

»Es ist der einzige Weg, um die Firma zu retten«, sagte Vinz.

»Sie haben recht. Und wir sind froh, wenn Sie uns auf diesem Weg begleiten.« Ulrich erhob sich. »Aber nicht mehr heute. Kommen Sie mit uns auf einen Absacker, Vinz. Und nachdem wir jetzt für längere Zeit zusammenarbeiten werden: Wir sind in der Firma alle per Du, und das möchten wir gern auch bei dir so halten.«

Vinz zuckte leicht zusammen. Er schätzte solche Vertraulichkeiten nicht, da vermischte sich gern Persönliches mit Beruflichem, und das war oft hinderlich. Aber er musste sich der Unternehmenskultur anpassen, wollte er diese Firma hier vor der Insolvenz bewahren. Da der Laden zudem von diesem Trio an Freunden geführt wurde, konnte es nicht schaden, die Dynamik etwas genauer kennenzulernen. Wahrscheinlich musste er dieses Beziehungsgeflecht aufbrechen, um der Firma mehr Effizienz zu verleihen. Dieser Ulrich schien ja recht kompetent zu sein. Er wirkte einsichtig und effizient, konnte die Firma auch gut nach außen hin präsentieren. Der geborene Leader – wahrscheinlich musste auch privat alles nach seiner Pfeife tanzen. Peter schien der Zuarbeiter zu sein, kompromissbereit, ruhig, bedacht, aber unkreativ und von langsamer Denkart, und dieser Max war vor allem eines: faul. Sollte der Restrukturierungsprozess wirklich greifen, musste sich die Firma wahrscheinlich zuerst von ihm verabschieden. Er betrachtete das Unternehmen als seine persönliche Spielwiese, war mit wenig Ernst bei der Sache, und das Einzige, was man eventuell als positiv bewerten konnte, war seine Fähigkeit, mit einem Witz die Stimmung aufzulockern und so eine gewisse Leichtigkeit ins Spiel zu bringen.

Der Prozess würde nicht leicht werden, und Vinz wusste jetzt schon, dass ihm dramatische Szenen bevorstanden, an denen dieser Max nicht unbeteiligt sein würde.

»Also, Vinz?«, hakte Ulrich nach. »Die Arbeit ist erledigt. Bist du für ein bisschen Spaß auch zu haben?«

Vinz nickte bedächtig. »Klar.«

»Hey, nein«, meldete sich da Max zu Wort. »Du weißt doch … Tina!«

Ulrich schlug sich an die Stirn. »Stimmt! Meine Schnecke! Das hätte ich jetzt beinahe vergessen. Steht mir ein großer Zauber bevor?«

»Ein riesiger.« Max grinste. »Und wehe, du lässt ein Wort darüber fallen, dass ich dir das mit der Party verraten habe. Sie bringt mich um.«

Vinz sah verständnislos zwischen den beiden hin und her.

Ulrich erkannte seine Verwirrung. »Ich hab heute Geburtstag, und meine Freundin hat eine Überraschungsparty vorbereitet. Zum Glück hab ich einen Spion in der Familie …«, er wies auf Max, »und so weiß ich, was auf mich zukommt. Aber, hey, begleite uns doch einfach. Den Absacker gönnen wir uns dann nach der Party.«

Vinz zögerte. Mit seinen Auftraggebern auf ein Glas zusammenzusitzen war eins, mit auf eine Familienfeier zu gehen, eine ganz andere Sache. Aber er war neugierig. Hier schien es eine weitere Verstrickung zu geben, die sich möglicherweise ungünstig auf die Firmendynamik auswirken konnte. Wenn er das richtig verstanden hatte, war Max der Bruder von Ulrichs Freundin … Schnecke. Er verkniff sich ein Grinsen. Wenn er eines hasste, dann waren es Männer, die ihre Freundin Schnecke nannten. Aber es passte zu Ulrich. Schon während des Analyseprozesses hatte Vinz bemerkt, dass der Firmenchef dazu tendierte, seine Mitarbeiter mit dahingeworfenen Bemerkungen zu erniedrigen. Kleinigkeiten nur, aber mit diesen Kleinigkeiten setzte er seine Mitarbeiter im Status herab. Dasselbe machte er offensichtlich auch mit seiner Freundin. Wie so oft fragte sich Vinz, was Frauen dazu trieb, sich mit solchen Männern einzulassen. Wollten sie kleingehalten werden?

Nur aufgrund der Art, wie er über seine Freundin sprach, war ihm Ulrich ein bisschen unsympathischer geworden. Aber Professionalität war gefragt. Also nickte er sparsam. Er würde mitkommen. Schließlich musste er wissen, was dieses Unternehmen im Innersten zusammenhielt, oder besser gesagt: was dieses Unternehmen sprengen konnte.

Auf dem Weg wollte er Ulrich eine Idee unterbreiten. Neue Erfahrungen für das Führungstrio. Ein Outdoor-Trip, bei dem die drei an ihre Grenzen gehen mussten, bei dem die dünne Decke der Zivilisation aufbrechen und die wahren Charaktere der drei Firmenchefs deutlich hervortreten würden. Eine Alpenüberquerung zum Beispiel. Die Pokale in Ulrichs Büro wiesen darauf hin, dass zumindest er ein passionierter Radfahrer war.

Während sie zu den Autos gingen, legte er sich die Worte zurecht, mit denen er den drei Männern die Idee nahebringen konnte.

Geburtstag

Tina

Die Türglocke bimmelte. Tina rief aufgeregt: »Er kommt! Los!«

Alle verschwanden in irgendwelchen Verstecken, und Tina ließ ihren Blick zufrieden über das Wohnzimmer ihrer Eltern gleiten, wo traditionell alle Familienfeiern stattfanden. Normalerweise waren diese Feiern unspektakulär. Es gab Kaffee und Kuchen und natürlich Geschenke. Nichts deutete darauf hin, dass hier gleich eine etwas außergewöhnlichere Überraschungsparty stattfinden würde. Eine Überraschungsparty für Ulrich, ihren Freund und – ein verliebtes Lächeln stahl sich in ihr Gesicht – zukünftigen Ehemann.

Sie strich sich eine Haarsträhne zurück, atmete durch und ging in den Flur, um Ulrich die Tür zu öffnen. Max schob sich mit einem »Hey, Schwesterlein« an ihr vorbei, gleich nach ihm betrat Ulrich die Wohnung. Er war wie gewohnt penibel gestylt – kurzes Haar, dazu der Bart im Kanye-West-Stil, die Designerklamotten – und sah einfach gut aus, fand sie.

»Schnecke.« Zur Begrüßung küsste er sie leidenschaftlich.

Aus dem Augenwinkel sah Tina zwei weitere Gestalten. Schnell schob sie Ulrich weg. Liebesbezeugungen in der Öffentlichkeit mochte sie gar nicht, und er wusste das.

»Hallo, Tina.« Peter, Ulrichs Arbeitskollege, zwinkerte ihr zu. »Lasst euch nicht stören.«

Ihr Blick fiel auf den anderen Neuankömmling. Als sich seine schwarzen Augen kurz weiteten, wusste sie, dass auch er sie erkannte. Das war der Mann, der im Café neben ihnen gesessen hatte. Der Waldschrat … Aufmerksam ließ sie ihren Blick über sein aufpoliertes Erscheinungsbild gleiten. Der Bart war weg, der Mann steckte in frischen Klamotten … Trotzdem umgab ihn weiterhin diese leicht düstere Aura. Der Waldschrat war in das Kostüm eines Geschäftsmanns geschlüpft. Seine Miene zeigte leichte Verwirrung.

Ulrich legte ihm die Hand auf den Rücken und schob ihn in die Wohnung. »Das ist Vinz. Wir hatten heute ein Meeting.«

Als würde diese Information als Grund ausreichen, einen Fremden zu deiner Geburtstagsfeier mitzubringen, dachte Tina, aber dann rief sie sich selbst zur Ordnung. Ulrich wusste ja nichts von der Feier, die sie organisiert hatte, nur, dass sie einen Kuchen gebacken hatte.

Also streckte sie dem Fremden die Hand hin. »Ich bin Tina.«

Der Mann ergriff sie und drückte sie kurz. Es war ein warmer, fester Händedruck, begleitet von einem freundlich-distanzierten Lächeln.

»Gut. Auf zum Kuchenessen. Die Männer wollten nämlich noch was trinken gehen. Nach der Feier, die du sicher vorbereitet hast.« Ulrich zwinkerte ihr zu.

Tinas Lächeln gefror auf ihrem Gesicht. Wie hatte er das erraten? War sie so durchschaubar?

»Du hast echt was vorbereitet?« Ulrich legte den Kopf zurück und lachte schallend. »Das ist meine Schnecke.« Er legte seinen Arm besitzergreifend um ihre Schultern, grinste Vinz zu, und während er ins Haus trat, sagte er zu ihm: »Die Schuhe darfst du anbehalten.« Im Wohnzimmer angekommen, sah er sich um. »Nanu? Habe ich doch danebengelegen mit meiner Vermutung?«

Tina grinste. Dann stellte sie sich noch einmal auf die Zehenspitzen, küsste ihn auf den Mund und sagte: »Alles Gute zum Geburtstag, Schatz!«

Wie auf Kommando sprangen aus allen Ecken die Geburtstagsgäste hervor – Glückwünsche rufend, trötend und mit lachenden Gesichtern. Und so ging Tinas »Ich liebe dich« in dem allgemeinen Lärm unter. Ulrich nahm die Gratulationen grinsend entgegen, schüttelte Hände und erwiderte Umarmungen, und als ihr Bruder Max auch noch die vorbereitete Hintergrundmusik anwarf, lag sofort Partystimmung im Raum.

Alle waren zu Ulrichs vierzigstem Geburtstag gekommen. Tinas Familie natürlich, ihre Eltern, ihre Großmutter, Ulrichs Sekretärin Melanie und ein paar Kollegen von den Pedalos, dem Amateur-Radsport-Verein, dem auch Ulrich angehörte und bei dem Max, Peter und Ulrich eine Mannschaft bildeten: das Treter-Trio.

Tina gab ihrer Mutter ein Zeichen, und sie verschwanden zusammen in der Küche, wo all die Köstlichkeiten warteten, die sie vorbereitet hatten. Italienische Antipasti, edler Rotwein, Oliven, eingelegtes Gemüse – alles stand unter dem Motto Italien. Mit gutem Grund. Tinas Herz hüpfte, wenn sie an ihr Geburtstagsgeschenk für Ulrich dachte. Doch noch war es nicht so weit. Sie packte zwei Servierplatten und ging damit ins Wohnzimmer, wo sie sie auf dem Couchtisch abstellte. Ihre Mutter hatte ihre Last bereits auf dem Esszimmertisch deponiert, und Tina notierte zufrieden, dass Max sich um die Getränke gekümmert hatte, denn alle Gäste waren bereits mit Sektflöten versorgt und in ausgelassene Diskussionen vertieft. Es war alles so, wie es sein sollte.

Da fiel ihr Blick auf den Mann, den Ulrich mitgebracht hatte. Er stand als Einziger allein im Raum, hielt sich an seinem Sektglas fest und beobachtete die Gesellschaft, als würde er nicht dazugehören. Als hätte er einen Bannkreis um sich gezogen, den kein anderer betreten konnte. Weil Ulrich in ein Gespräch mit seinen Arbeitskollegen vertieft war, beschloss Tina, sich seines Begleiters anzunehmen. Sie nahm eine der Platten in die Hand, ging auf ihn zu und bot ihm die Häppchen an.

»Sie arbeiten mit Ulrich?«, fragte sie, um mit einem belanglosen Thema zu beginnen.

Er nickte. »Könnte man so sagen.«

»Und? Gefällt es Ihnen in der Firma?« Er sah sie seltsam an. Dann nickte er. »Und was machen Sie so?«

»Restrukturierung.«

»Oh, das ist sicher interessant. Was haben Sie da studiert? Denkmalpflege?«

Der Kerl sah aus, als wollte er etwas erwidern, dann runzelte er die Stirn und meinte zögernd: »Wirtschaft.«

Tina lächelte bewundernd. »Da hat Ihr Leben wohl eine ziemlich unerwartete Wendung genommen – von der Kunst zur Wirtschaft, das ist … ungewöhnlich, oder? Wissen Sie, solche Leute bewundere ich. Nicht, dass ich selbst unzufrieden wäre in meinem Job – ich bin Bibliothekarin, wissen Sie –, aber ich kann mir schon vorstellen, dass ich irgendwann einmal raus möchte aus dem immer gleichen Trott. Ich finde es fantastisch, dass Sie den Schritt gewagt haben.« Er gab ein Grunzen von sich, das genauso eine Zustimmung wie eine Ablehnung sein könnte. »Und wie haben Sie Ulrich kennengelernt?«, fragte Tina, um das Gespräch weiter in Gang zu halten.

»In der Firma«, war die Antwort.

Tina war kurz verwirrt. Musste Ulrich etwas umbauen? Davon hatte er ihr gar nichts erzählt. Doch bevor sie nachfragen konnte, wurde es um ihren Freund herum laut.

»Bescherung! Bescherung!«, riefen die Geburtstagsgäste.

Ulrich durfte auf dem Lieblingssessel von Tinas Vater Platz nehmen, und auf dem Couchtisch vor ihm türmten sich die Geschenke.

Kurz zögerte Tina. Eigentlich hatte sie Ulrich ihr Geburtstagsgeschenk später geben wollen, wenn sie allein waren. Doch plötzlich fand sie es seltsam, als Einzige kein Geschenk für ihn zu haben. Also ließ sie den Eigenbrötler stehen und rannte in ihr altes Kinderzimmer, um das Kuvert zu holen.

Vinz

Vinz hatte sie auf den ersten Blick erkannt, und sein Körper hatte gleich auf sie reagiert – wie vor ein paar Tagen in dem Café, als sie mit dieser Rothaarigen so begeistert über irgendeine Reise gesprochen hatte. Als sie die Augen geschlossen hatte mit diesem sehnsüchtigen Ausdruck im Gesicht. Ohne es zu wollen, hatte er damals das Gespräch mit angehört und den Glückspilz beneidet, dem sie einen Heiratsantrag machen wollte. Das war eine Frau, die ihren Mann wirklich liebte. Hoffentlich erwidert der Kerl diese Liebe auch, hatte er sich gedacht.

Dass es sich bei dem Glücklichen ausgerechnet um Ulrich handelte, versetzte ihn in Unbehagen. Warum das so war, konnte er sich nicht erklären. Es konnte ihm völlig egal sein, wen Ulrich heiratete oder auch nicht. Nach dem Restrukturierungsprozess würde er weder Tina noch Ulrich jemals wiedersehen. Doch es wurmte ihn. Er hatte das Bedürfnis, Tina von ihrem Beinahe-Verlobten fortzuziehen, und er wunderte sich über das Wechselbad der Gefühle, dem er unterworfen war, seit sie ihnen die Tür geöffnet hatte. Seine Verwirrung, der Stich, den es ihm versetzt hatte, als sie Ulrich geküsst hatte, sein Beschützerinstinkt, der sie hatte warnen wollen vor dem Kerl …

Dann hatte sie auch noch bemerkt, wie unwohl er sich unter all den Fremden fühlte, und sich um ihn gekümmert. Jetzt, wo sie ohne Vorwarnung aufgesprungen und aus dem Raum gestürmt war, fühlte er sich noch einsamer als zuvor. Mitten in dem Stimmengewirr von Menschen, die er kaum oder gar nicht kannte, mitten in seinen Überlegungen, ob er sie darüber aufklären sollte, dass Restrukturierung in seinem Fall nichts mit Gebäuden zu tun hatte, sondern mit maroden Firmen, zu denen MUP-Solutions eindeutig gehörte. Hätte er ihr erzählen sollen, dass es seine Aufgabe war, Firmen zu retten, die sich auf Schleuderkurs befanden?

Dieser Ulrich schien seiner Schnecke nichts von dem drohenden Konkurs erzählt zu haben. Vinz zuckte mit den Schultern. Ihm sollte es egal sein. Es war deren Beziehung. Und er würde sich nicht einmischen. Schließlich hatte er selbst genug mit dem Gefühlschaos zu tun, das die Trennung von Irén bei ihm hinterlassen hatte. Er hatte vorerst genug von der Liebe.

Dabei hatte sich beim Anblick von Tinas braunen Augen sein Herzschlag sofort beschleunigt. Ihr warmer Blick, dieses Grübchen, das sich beim Lachen in ihrer einen Wange bildete, ihre wunderschön geschwungenen Lippen … Er schüttelte verwirrt den Kopf, wunderte sich selbst darüber, welche Richtung seine Gedanken nahmen. Dann verbot er sie sich. Sie war vergeben. Nach dem heutigen Abend würde er sie nie mehr wiedersehen.

Um sich auf andere Gedanken zu bringen, sah er zu seinem Kunden hinüber, der der Familie seiner Freundin eine heile Welt vorspielte. Sich mit einem Lächeln, das genauso gestylt war wie sein affiger Bart, für Geschenke bedankte, die wahrscheinlich noch auf dem Heimweg in der Mülltonne landen würden.

Vinz’ Vorschlag, eine Teamerfahrung der anderen Art zu machen, zum Beispiel bei einer Alpenüberquerung mit dem Rad, war auf Begeisterung gestoßen. Die drei Männer hatten sich beinahe nicht mehr eingekriegt bei dem Gedanken, sich endlich ihren lang ersehnten Traum erfüllen zu können – und das auch noch mit der Ausrede, dass der Beruf genau das erforderte. Sie hatten noch im Auto begonnen, die beste Route zu entwerfen. Vinz hatte innerlich schmunzelnd beobachtet, wie Peter am Handy die einschlägigen Foren durchforstet hatte, während Max von einem Video geschwärmt hatte, das ihm kürzlich im Internet untergekommen war. Ein Alpencrosser hatte mit der GoPro einen Downhill-Trail gefilmt. Max hatte in Superlativen geschwelgt.

Ulrich hingegen hatte seine zwei Kompagnons eine Weile wild herumspinnen lassen, dann hatte er sich geräuspert. »Die beste Route ist doch die über den Brenner Grenzkamm und das Valler Jöchl«, hatte er gesagt.

Augenblicklich waren Peter und Max von dieser Route überzeugt gewesen, und Vinz hatte wieder etwas über die Abläufe in dieser Firma verstanden. Ulrich war die Nuss, die er knacken musste, wollte der Prozess Erfolg haben.

Gerade eben zog das Geburtstagskind einen wild gemusterten Pulli aus einer Tüte und strahlte seine Beinahe-Schwiegermutter, die Vinz als Rita vorgestellt worden war, an. Zumindest nahm Vinz an, dass es die Mutter von dieser Tina war.

»Danke! Woher hast du nur gewusst, dass ich so einen Pulli dringend gebraucht habe?«

Ritas Reaktion überraschte Vinz. »Du brauchst mir nichts vorzuspielen, Ulrich. Ich weiß, dass dir der Pulli nicht gefällt. Sieh ihn als Gutschein. Der Bon ist dabei, ich habe mit der Verkäuferin ausgemacht, dass du ihn umtauschen kannst.«

»Du kennst mich zu gut, Rita.« Ulrich legte den Pulli erleichtert zur Seite. »Welches packe ich jetzt aus?«, überlegte er laut. »Welches ist von dir, Schnecke?«

Schon wieder dieses Schnecke! Vinz konnte gerade noch ein Schnauben zurückhalten. Er sah zu Tina hinüber und stellte fest, dass ihr Lächeln etwas verblasst war. Auch ihr schien das Kosewort, das ihr Freund für sie ausgewählt hatte, nicht zu gefallen.

Tja, dachte er bei sich, du wirst wohl noch viele Seiten an ihm entdecken, die dir ebenso wenig gefallen werden. Sie tat ihm beinahe leid. Er kannte solche Typen wie Ulrich. Männer, die nach außen hin glänzen wollten, die ständig wie aus dem Ei gepellt auftraten, geschliffene Umgangsformen hatten, ihren Reichtum, ihr Wissen zur Schau stellten, aber innerlich oftmals weniger glänzten. Meistens fanden sie Partner, die genau wie sie gestrickt waren. Frauen, denen ihr Aussehen wichtiger war als ihre Bildung, die ihre Freunde nach dem Kontostand aussuchten und ganz schnell wieder verschwunden waren, wenn selbiger nicht mehr ihren Kriterien entsprach. Tina schätzte er nicht so ein. Eher bodenständig, warm … liebevoll. Sie würde ihren Freund womöglich auch noch unterstützen, wenn seine Firma den Bach hinunterging, und mit ihm gemeinsam stranden …

Vinz atmete durch und schüttelte seine Gedanken ab. Es ging ihn nichts an. Daher richtete er seine Aufmerksamkeit wieder auf die Szene, die sich ihm bot.

Tina streckte ihrem Freund ein Kuvert hin. Ihre Wangen glühten, und ihre Augen leuchteten in Erwartung seiner Reaktion. Sie sah zauberhaft aus.

Vinz schluckte. Nicht schon wieder, dachte er. Sie ist vergeben. Sie ist die Freundin deines Kunden. Und du lässt dich nicht mit den Frauen deiner Kundschaft ein. Außerdem hast du dich noch nicht von Irén gelöst.

Ulrich nahm das Kuvert in Empfang. »Was ist das?«

Sie zuckte die Schultern.

»Na, sexy Unterwäsche ist es schon mal nicht«, flachste ihr Bruder Max. Der Witz, der auf Kosten seiner Schwester ging, brachte den erwünschten Erfolg bei den Umstehenden.

Tinas Wangen verfärbten sich puterrot, und sie boxte ihren Bruder in den Arm.

»Schade eigentlich«, setzte Ulrich noch eins drauf.

»Vielleicht ein … Gutschein für sexy Unterwäsche?«, stichelte Max.

»Jetzt hört schon auf, Jungs.« Rita erlöste ihre Tochter aus der peinlichen Situation. »Und du, Ulrich, mach endlich das Kuvert auf.«

»Zu Befehl«, sagte Ulrich und tat, was sie gefordert hatte. Eine Karte kam zum Vorschein. Vinz konnte nur eine Unmenge an Herzen erkennen.

»Oh, ein Gutschein für einen sexy Urlaub«, krähte Max jetzt, und Tinas Gesicht, das vorher schon leicht rötlich gewesen war, wurde noch einen Ton dunkler.

»Kommt hin. Aber nur beinahe. Es fügt sich eins zum anderen.« Er steckte die Karte wieder in den Umschlag. »Tina hat irgendwie erraten, was wir vorhaben, Jungs.« Er sah sich erwartungsvoll um.

Die Gesichter seiner Freunde erinnerten Vinz an die Reaktion von Hunden, wenn ihr Herrchen das Wort »Spaziergang« fallen ließ. Es fehlte nur, dass sie mit dem Schwanz wedelten und die Zunge heraushängen ließen. Ganz anders Tina. Auf ihrem Gesicht stand Verwirrung.

Ulrich bemerkte nichts davon oder tat so, als bemerke er nichts. »Als hätte sie sich mit Vinz abgesprochen. Eine Alpenüberquerung mit dem Rad! Für mich und noch eine Person. Max? Peter? Wer bietet mehr?« Er wedelte mit dem Umschlag durch die Luft. Der Rest ging im Lärm seiner Freunde unter, die versuchten, sich gegenseitig mit Angeboten zu übertrumpfen.

Vinz sah wieder zu Tina hinüber, die kraftlos auf den nächsten Sessel gesunken war. Vinz ahnte, dass ihr Freund bei der Ankündigung den wichtigsten Teil unterschlagen hatte.

Tina

Mit mir, wollte Tina rufen, doch ihr kam kein Ton über die Lippen. Enttäuschung machte sich in ihr breit, und sie kämpfte mit den Tränen. Sie hatte wochenlang in Online-Foren recherchiert, welche Touren auch für ihre mittelmäßige Kondition machbar wären, kannte die schönsten Hotels, die besten Foto-Spots an der Strecke und hatte ihren heiß geliebten Pilateskurs gegen ein Ausdauertraining ausgetauscht. Dass Ulrich auch nur auf die Idee kommen könnte, an ihrer Stelle einen seiner zwei Kompagnons mitzunehmen, hatte sie überhaupt nicht in Betracht gezogen, und nun war es einfach passiert.

Sie konnte die kindische Freude der drei Männer nicht mit ansehen und drehte den Kopf ab. Ihr Blick fiel auf Vinz, der immer noch auf seinem Stuhl saß, als hätte ihn jemand dort festgeklebt, und sie musterte. War das Mitleid, das in seinen dunklen Augen funkelte? Tina biss die Zähne zusammen. Das konnte er sich sparen. Von diesem dahergelaufenen Kerl brauchte sie keine Unterstützung. Sie ballte die Fäuste und stand mit einem Ruck auf.

»Da hab ich wohl ins Schwarze getroffen mit meinem Geschenk«, sagte sie mit lauter Stimme und brachte damit alle anderen zum Verstummen. »Wann fahren wir denn, Ulrich? Ich möchte den Romantikhotels an der Strecke zusagen.«

Alle Köpfe wandten sich Ulrich zu, der von Tina auf den Umschlag starrte und wieder zurück. »Romantikhotels?«, fragte er irritiert.

Sie biss die Zähne zusammen. »Romantikhotels. Eine der zwei Personen bin natürlich ich.«

Eine plötzliche Stille trat ein.

Der enttäuschte Ausdruck auf Ulrichs Gesicht schmerzte Tina mehr, als jedes Wort es vermocht hätte. Der Kloß in ihrem Hals schnürte ihr unter den Blicken der Geburtstagsgäste die Luft ab, und irgendwann wusste sie, dass sie verschwinden musste, oder sie würde vor allen zu weinen beginnen. Mit einem »Die Häppchen sind alle« nahm sie die beinahe leere Platte und flüchtete in die Küche. Dort holte sie tief Luft und atmete den Schluchzer fort, der in ihrer Kehle in Startposition war, dann spritzte sie sich kaltes Wasser ins Gesicht.

Das Geburtstagsgeschenk für Ulrich war ein voller Erfolg gewesen. Aber nicht für sie. Ihr eigener Traum von einer Alpenüberquerung mit Übernachtung in Wellnessressorts und Romantikhotels war geplatzt. Der geheime Traum, den sie mit niemandem außer mit Sabrina geteilt hatte – die Verlobung bei Sonnenuntergang am Gardasee –, war gestorben.

Tina schluchzte auf, und ohne dass sie noch irgendwas dagegen tun konnte, begannen die Tränen über die Wangen zu fließen.

Vinz

Vinz unterdrückte den Impuls, ihr in die Küche zu folgen. Alles in ihm drängte danach, sie in den Arm zu nehmen und zu trösten. Sie über den gefühllosen Kerl hinwegzutrösten, der die Beziehung zu dieser Frau ebenso in den Sand setzen würde wie seine Firma. Doch er blieb sitzen. Wartete ab, wie das Schauspiel wohl weitergehen würde.

»Ich rede mit ihr«, sagte in dem Moment Max. »Wir machen die Alpenüberquerung, und sie wartet am Gardasee in einem schönen Hotel, und ihr hängt euren Sexurlaub einfach an.«

»Erwähne bloß nicht noch einmal das Wort Sexurlaub«, warnte ihn Ulrich und schüttelte den Kopf. »Und danke für das Angebot, aber ich mache das selbst mit ihr aus.«

»Das will ich hoffen.« Tinas Mutter sah gar nicht amüsiert aus. »Und ich warne dich: Lass dir nicht einfallen, das Geschenk nicht gebührend zu ehren! Du weißt gar nicht, wie viel Freude sie an der Planung hatte. Wir hatten in den letzten zwei Monaten nur ein Gesprächsthema: diese Alpenüberquerung.«

»Das hab ich mir gedacht.« Ulrich legte entnervt den Kopf zurück und atmete durch. »Was machen wir bloß? Weißt du, Rita, wir haben ebenfalls seit zwei Jahren nur ein Thema: die Alpenüberquerung! Und jetzt hat Vinz plötzlich gesagt, dass wir genau das unbedingt für uns drei brauchen. Teambuilding, weißt du?« Er sah auffordernd zu Vinz hinüber.

Der zuckte die Schulter. »Es kann natürlich auch etwas anderes sein.« Auch wenn es nicht sein Plan gewesen war, Tinas Verlobungsreise mit seinem Vorschlag in die Quere zu kommen, fand er es doch spannend, wie das Trio diese Situation jetzt wohl auflösen würde. Es half ihm, die drei besser zu verstehen.

Max wehrte seinen Kompromissvorschlag sofort ab. »Nein! Nichts wäre so effizient wie eine Alpenüberquerung. Unsere Firma … wir drei brauchen das. Verstehst du, Mum?«

Rita schob nachdenklich die Mundwinkel hin und her. »Und wenn ihr das Ganze gemeinsam macht? Es können ja doch höchstens zwei nebeneinander auf einem Radweg fahren und …«

»Radweg!? Mum!« Max schnaubte amüsiert. »Als ob wir auf Radwegen unterwegs wären! Wir wollen Cross-Strecken fahren, technisch schwierige Trails, knackige Pässe. Wir müssen an unsere Grenzen kommen. Verstehst du? Da kann Tina nie und nimmer mithalten.«

Ulrich nickte. »So leid es mir tut: Das stimmt. Dafür fehlen ihr die Kondition und die Technik. Eine Alpenüberquerung ist … eine körperliche Herausforderung … selbst für einen trainierten Kerl.«

»Sie hat trainiert«, gab Rita zu bedenken.

»Das finde ich toll.« Das aalglatte Lächeln, das auf Ulrichs Gesicht gemalt war, löste beinahe einen Würgereiz bei Vinz aus. Der Kerl legte sich nicht fest. Er vermied alles, um in der Achtung eines Kunden zu sinken – in dem Fall der Schwiegermutter in spe.

Peter war über sein Handy gebeugt. »Es gibt da auf derselben Strecke auch Varianten für ungeübte Fahrer«, sagte er. »In der Talsohle. Die könnte Tina doch nehmen, während wir über die Pässe fahren.«

Schweigen kehrte ein. Vinz hörte aus der Küche unterdrücktes Schluchzen. Tina wünschte sich diese Alpenüberquerung mit ihrem Freund offensichtlich wirklich, auch wenn er nicht kapierte, was sie an diesem aufgeblasenen Kerl fand.

Ende der Leseprobe