Gefährliche Treue. Lorenz Lovis ermittelt - Heidi Troi - E-Book

Gefährliche Treue. Lorenz Lovis ermittelt E-Book

Heidi Troi

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Beschreibung

Verbrecherjagd statt Alm-Idylle: Krimi-Spannung in den Südtiroler Alpen Grüne Hänge, sanft geschwungene Wiesen, darüber das eindrucksvolle Panorama der Berge: Ex-Polizist Lorenz Lovis freut sich auf eine wohlverdiente Auszeit auf der Alm des Brixener Hausbergs Plose. Aber hinter der schönen Fassade der Südtiroler Bergwelt tut sich so mancher Abgrund auf: Ein Pilzräuber treibt im Wald sein Unwesen. Doch damit nicht genug! Als eine Bäuerin mit einer Axt erschlagen aufgefunden wird, ist endgültig Schluss mit der Beschaulichkeit. Der Verdacht fällt sofort auf den Ehemann der Toten. Doch Lovis ist von der Unschuld des Bauern überzeugt – ganz anders als sein Freund und ehemaliger Kollege von der italienischen Staatspolizei Scatolin. Nun muss Lovis wohl oder übel auf eigene Faust ermitteln und stolpert von einer brenzligen Situation in die andere. Wer steckt hinter dem mysteriösen Mordfall? - Einsatz für den »Südtiroler Columbo« (ORF): Band 3 der Krimireihe rund um Lorenz Lovis - Sympathischer Anti-Held mit bodenständigem Charme und einer guten Portion Spürsinn - Spannender Alpenkrimi mit viel Lokalkolorit und Südtirol-Flair – die perfekte Urlaubslektüre! Blutroter Almrausch: Privatdetektiv Lorenz Lovis ermittelt in seinem dritten Fall Nach seiner Kündigung bei der italienischen Staatspolizei hält sich Lovis als Bauer und Privatdetektiv über Wasser. Er hat den Auftrag, einem Pilzräuber das Handwerk zu legen, doch dann ereignet sich der Mord an der Bäuerin. Schon bald werfen seine Nachforschungen auf der Alm jede Menge Fragen auf und Lovis' Ermittlungen konzentrieren sich darauf, die Polizei von der Unschuld des Ehemanns zu überzeugen: Ist der Pilzräuber der Mörder? Was weiß der alte Senner Jörgl? Und was hat es mit dem Italiener auf sich, der an seiner Hütte die Trikolore hisst? Die Autorin Heidi Troi ist geborene Südtirolerin und lebt in Brixen. Sie kennt die Schauplätze ihrer Kriminalromane und die Eigenheiten der Einheimischen genau. Durch diese Ortskenntnis werden ihre Geschichten besonders lebendig und anschaulich – eine absolute Krimi-Empfehlung für alle Südtirol-Fans!

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Seitenzahl: 350

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Heidi Troi

GEFÄHRLICHE TREUE

Lorenz Lovis ermittelt Ein Brixen-Krimi

Diese Geschichte ist frei erfunden. Tatsächlich existierende Personen und Firmen wurden verändert und/oder von der Autorin ausgedacht, Geschehnisse anderen und/oder fiktiven Personen zugeordnet.

Verbleibende Übereinstimmungen mit etwaigen realen Personen wären somit rein zufällig und sind nicht gewollt.

Sämtliche Angaben in diesem Werk erfolgen trotz sorgfältiger

Bearbeitung ohne Gewähr. Eine Haftung der Autoren bzw.

Herausgeber und des Verlages ist ausgeschlossen.

1. Auflage 2022

Copyright © 2022 by Heidi Troi

Copyright © Deutsche Erstausgabe 2022 Servus Verlag bei Benevento Publishing Salzburg – München, eine Marke der Red Bull Media House GmbH, Wals bei Salzburg.

Dieses Werk wurde vermittelt durch die agentur literatur gudrun hebel, Berlin.

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das des öffentlichen Vortrags, der Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen sowie der Übersetzung, auch einzelner Teile. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Medieninhaber, Verleger und Herausgeber:

Red Bull Media House GmbH

Oberst-Lepperdinger-Straße 11–15

5071 Wals bei Salzburg, Österreich

Satz: MEDIA DESIGN: RIZNER.AT

Gesetzt aus der Palatino, Courier, Bauer Bodoni

Umschlaggestaltung: b3K design, Andrea Schneider, diceindustries

Umschlagmotiv: Hütte: patjo/shutterstock.com; Fahne: Girodiboa/shutterstock.com;

Berge: Heidi Troi

Autorenillustration: Claudia Meitert/carolineseidler.com

ISBN 978-3-7104-0281-4eISBN 978-3-7104-5055-6

Inhalt

FREITAG: ENDLICH RUHE

SAMSTAG: GROSSREINEMACHEN

SONNTAG: HERZ-JESU-FEUER

MONTAG: GOASLSCHNÖLLN

DIENSTAG: EINE FOLGENREICHE BESCHATTUNG

MITTWOCH: AUF DER PIRSCH

DONNERSTAG: DIE OFFENBARUNG

FREITAG: DER NÄCHSTE FALL

SAMSTAG: KRIMIDINNER

SONNTAG: KATERSTIMMUNG

MONTAG: WER IST DER MÖRDER?

DANKE

REZEPTE

MELCHERMUAS/MELKERMUS

MINGGILAN/NIGILAN

GERSTENSUPPE

FREITAG

ENDLICH RUHE

Lovis’ Herz hüpfte vor Freude, als er an diesem warmen Junitag mit seinem alten Wagen den Wald hinter sich ließ und sich der Blick über die Almlandschaft eröffnete. Grüne Matten, von Alpenrosenbüschen und Latschen durchsetzt, dahinter die überwältigenden Felsmassive der Aferer Geisler und des Peitler Kofls, die nordwestlichen Ausläufer der Dolomiten, die sich strahlend vor dem tiefblauen Sommerhimmel abhoben. Hier durfte Lovis die nächsten Wochen verbringen, und er freute sich darauf, wie ein kleiner Junge. Sein Knecht Paul hatte seine wachsende Verzweiflung über die temperamentvollen Gäste auf dem Messner Hof nicht mehr mitansehen können und ihn in die »Sommerfrische« geschickt.

Wahrscheinlich wissen sie nicht einmal, was sie mir für ein Geschenk machen mit dieser Sommerfrische, dachte Lovis und musste an sich halten, um nicht mit einem lautstarken Juchiza seiner Freude Ausdruck zu verleihen. Noch war er nicht an Ort und Stelle.

Der Almweg war jetzt holprig, immer wieder zwangen ihn tiefe Schlaglöcher dazu, seine Fahrt zu verlangsamen und mehr als einmal knallte die Ölwanne seines vollbepackten VW Golf, Baujahr ’77, und damit gleich alt wie er selbst, auf einen hervorstehenden Stein. Er manövrierte den Wagen an Wanderern vorbei, die entrüstet hustend auf die von ihm im Vorüberfahren aufgewirbelten Staubwolken reagierten, wich blöde glotzenden Kühen aus und erreichte endlich die kleine Almhütte, die sich in eine schattige Mulde schmiegte und in den nächsten Wochen sein Zuhause sein würde.

Er stellte den Motor ab und horchte. Es war … still. Der überhitzte Motor gab ein leises Ticken von sich, aber sonst war außer dem Summen einiger Insekten nichts zu hören. Stille. Lovis atmete tief durch, ließ die würzige Luft in seine Lungen strömen und schickte ein stilles Dankeschön an Paul, der die fantastische Idee für diese Auszeit gehabt hatte. Zusammen mit den trächtigen Kühen und den Kalbinnen, die es allerdings bis jetzt auch ohne Lovis da oben überlebt hatten. Die Burgi, eine Bäuerin des nahe gelegenen, ganzjährig bewirtschafteten Hofes, trieb sie jeden Morgen zusammen mit ihren eigenen Kühen hoch zu einer Almwiese. Abends brachte sie Lovis’ Kühe dann wieder zu seiner Almhütte, neben der sie in einem kleinen umzäunten Grundstück einen Unterstand für die Nacht fanden. Pauls Vorschlag war natürlich nicht ganz uneigennützig gewesen, denn er hatte Lovis gleichzeitig gebeten, einen Ermittlungsauftrag für seinen Freund, den Förster Waldner zu übernehmen, der einem Waldvandalen auf die Spur kommen wollte.

»Und die hier nimmst du auch mit«, hatte Angelika gesagt und auf die Kiste mit Hannes Krimis gezeigt. Hanne Wiedenhof, eine deutsche Urlauberin, war vor ein paar Wochen überstürzt abgereist und hatte ihre gesamte Bibliothek – eine Kiste voller Alpenkrimis – auf dem Messner Hof gelassen. Jetzt freute sich Lovis auf ein paar Wochen ungestörte Lesezeit, auch wenn er Angelika vermissen würde. Seit sie ihn vor zwei Wochen endlich geküsst hatte, war er ihr noch mehr verfallen als zuvor.

Er stieg aus, öffnete den Kofferraum seines Wagens und hievte die Bücherkiste heraus.

»So, so. Eine Leseratte ist der Nachfolger vom Waschtl«, hörte er da eine Stimme hinter sich. Er fuhr herum. Ein etwa Fünfzigjähriger stand grinsend hinter ihm. Der ungepflegte Dreitagebart und das schulterlange, strähnige Haar bildeten einen seltsamen Kontrast zu seiner Bekleidung. Seine Jacke stammte von einer teuren Marke, seine Hose ebenso. Auch die Sonnenbrille, die er sich nachlässig nach oben geschoben hatte, war von einem bekannten Label. »Ich bin der Sandro. Bergführer im Sommer, Pistenwart im Winter. Hab grad wieder eine Gruppe Touris ins Tal gebracht und jetzt geht’s hinauf zum Schorsch. Hüttenzauber. Kommst mit?«

Lovis wusste, dass Schorsch, sein Freund aus Jugendtagen und der Wirt der Dorfkneipe, sein Tätigkeitsfeld für den Sommer immer auf die Alm verlegte, und hatte einen Besuch bei ihm schon fest eingeplant. Trotzdem deutete er auf seinen Wagen, der bis obenhin mit allem möglichen Kram beladen war. »Ich muss erst ausladen.«

»Ich helf dir. Hab eh nix zu tun und auf der Alm, da hilft ma zamm.« Der Bergführer packte gleich die nächste Kiste und stemmte sie hoch. Lebensmittel für drei Wochen. »Wo soll das hin?«

Beinahe überrumpelt von der Hilfsbereitschaft des Kerls ging Lovis voraus, kramte in seiner Hosentasche nach dem handgeschmiedeten Schlüssel und öffnete die Tür.

»Da muss wohl zuerst einmal gründlich geputzt werden«, stellte Sandro amüsiert fest. Er hatte recht. In dem Sonnenstrahl, der durch das halbblinde Fenster hereinfiel, tanzten Millionen von Staubkörnchen, feine Spinnweben hatten sich an den Deckenbalken festgenistet und auf dem Esstisch waren Mäuseköttel. Die Almhütte bestand aus einem einzigen Raum und war mit der obligatorischen, hölzernen Eckbank und einem alten Bauernherd, über dem eine Eisenpfanne hing, eingerichtet. Daneben war ein Waschbecken und die Kredenz, auf der ein ausgetrockneter Knoblauch lag. Hier war ein Grundputz bitter notwendig. Aber nicht jetzt. »Hüttenzauber hast du gesagt?«

»Ja, wenn die Touris alle im Tal sind, geht’s beim Schorsch hoch her. Also? Kommst mit?«

»Na, der Carabiniere! Hat’s dich jetzt auch vom Tal auf den Berg versprengt?« Schorsch lachte dröhnend und schlug Lovis kräftig auf die Schulter. »Bist im Rückwärtsgang heraufgefahren?«

»Wieso das?«, wunderte sich Sandro.

»Weil er ja nicht wissen hat können, ob er auf dem Berg einen Platz zum Wenden findet und als Carabiniere dann bestimmt lieber gleich im Rückwärtsgang raufgefahren ist.« Sandro fiel in das Gelächter des Hüttenwirts mit ein und die anderen in der Hütte versammelten Männer sahen neugierig zu ihnen herüber.

Erstens bin ich kein Carabiniere und zweitens nie einer gewesen, lag es Lovis auf der Zunge, aber dann ließ er es bleiben. Schorsch wusste genau, dass er bei der italienischen Staatspolizei gewesen war, was ein kleiner, aber feiner Unterschied zu den Carabinieri war. Während die einen dem Innenministerium unterstanden, waren die Carabinieri ursprünglich Teil des italienischen Heeres und dem Verteidigungsministerium zugeordnet. Erst vor etwa zwanzig Jahren waren sie ebenfalls dem Innenministerium unterstellt worden, was das Chaos im italienischen Polizeiwesen aber nicht verringert hatte.

Lovis seufzte. Das alles lag zum Glück hinter ihm. Vor ein paar Monaten hatte er seinen Dienst bei der italienischen Staatspolizei gekündigt und den Hof seines Onkels Sebastian übernommen, um dann festzustellen, dass dieser hoch verschuldet war. Die Kreditraten würden ihn noch lange Zeit begleiten oder ihm früher oder später den Hals brechen. Weiterhin flatterten neue Schuldscheine oder Mahnungen ins Haus. Noch einmal entfuhr Lovis ein tiefer Seufzer, der von Schorsch mit einem Glucksen quittiert wurde.

»So ernst, Lovis?«, fragte er.

Lovis nickte. »Weißt eh.«

»Ein Enzian gegen den Weltschmerz?« Ohne Lovis’ Zustimmung abzuwarten, griff Schorsch nach einer Glasflasche, die mit einer gelblichen Flüssigkeit gefüllt war. »Hat die Moidl letztes Jahr angesetzt.«

»Jetzt weiß ich, warum keine Enzian mehr wachsen …«, sagte Lovis, nahm das Stamperle, das Schnapsglas jedoch gern an. »… wenn ihr für euren Enzian alle Wurzeln ausgrabt.«

Schorsch schüttelte den Kopf. »Da nimmt man eh nicht den blauen Enzian dafür, sondern den gelben, und die Wurzeln holt die Moidl aus der Apotheke. Außerdem kriegen nur meine Spezialgäste den selbst angesetzten.«

Er sah zu, wie Lovis den Hochprozentigen hinunterstürzte, anerkennend das Gesicht verzog und füllte das Stamperle noch einmal nach.

»Und was machst du da heroben? Kommst den Kartenspielern ihr Spiel verderben?«

»He, so schlecht spiel ich nicht«, begehrte Lovis auf und erntete ein Kichern von einem Tisch, an dem vier Männer das typische Südtiroler Kartenspiel Watten spielten. Zwei davon kannte er aus dem Dorf, und zwar den Karl, Leiter der Dorfkapelle, und den Gunsch, einen Bauern, dessen Apfelfeld im Tal an Lovis’ Galawiese grenzte. Sie verbrachten alle das Wochenende auf der Alm, weil beinahe zu jedem Hof auch ein Stück vom Berg gehörte.

»Man könnt sagen, du hast inzwischen was dazugelernt«, feixte Gunsch.

Zeit zu grüßen, dachte Lovis und ging zu den Männern hin. »Sagt einmal, ist überhaupt noch irgendwer im Dorf?«

Karl zuckte mit den Schultern. »Ist eh nur heiß da unten.«

»Schorsch hat seine Kneipe auch dichtgemacht. Was willst also in dem Hexenkessel?«, fügte Goggo hinzu. »Lust auf einen Karter? Uns fehlt der vierte Mann. Das da ist …«

Doch Lovis erkannte ihn selbst. »Michl?«, fragte er erstaunt und ein Lächeln breitete sich über sein Gesicht aus. Den Wieser Michael kannte er aus der Mittelschule. Damals hatten sie sich nicht nur eine Bank geteilt, sondern auch die Hänseleien, die sie als Bauernbuben über sich ergehen lassen mussten. Als Sohn eines Bergbauern hatte der Michl vor Antritt seiner beinahe zweistündigen Fahrt in die Schule im Stall helfen müssen und das hatte man natürlich in der Schule gerochen.

Auch auf Michls Gesicht erschien ein Lächeln. »Inzwischen nennen sie mich nicht mehr Wieser Michl, sondern Stoaner Much«, sagte er, stand auf und klopfte Lovis auf die Schulter. »Ich hab die Steiner Thres geheiratet und den Hof übernommen, als der Vater gestorben ist. Ewig nicht gesehen, Lovis, alter Knabe.«

»Ewig, ja«, stimmte Lovis ihm zu und er hoffte, dass er in den nächsten Tagen und Wochen Gelegenheit haben würde, mit seinem ehemaligen Freund Kindheitserinnerungen auszutauschen.

Er wollte sich gerade zu der Watter-Runde setzen, doch zum Kartenspielen kam er nicht.

»Lovis?«, fragte ein älterer Mann mit silbergrauem Bart, der zusammen mit Sandro am Nebentisch saß. An seiner Uniform erkannte er ihn als Förster.

»Und du musst der Waldner sein …«, meinte Lovis, zwinkerte Much entschuldigend zu und reichte dem Förster die Hand. »… der einen Ermittlungsauftrag für mich hat.«

»Und der froh ist, dass dem Paul sein Boss ein Privatdetektiv ist. Ich hätt sonst wirklich nicht gewusst, wen ich mir für den Fall zur Hilfe hol«, erwiderte der.

Lovis lächelte. Sein Knecht Paul war ein entfernter Verwandter von Waldner. Er hatte Lovis bereits gesagt, dass ein Vandale auf der Plose sein Unwesen trieb. Die Förster waren unterbesetzt und hatten keine Zeit, sich auf die Lauer zu legen. Da kam Lovis als Privatdetektiv gerade recht. »Du bist meine Ausrede dafür, dass ich hier auf der Alm sein darf«, sagte Lovis. »Und so nebenher einem Waldvandalen auf die Spur zu kommen, passt mir auch nicht schlecht.«

»Pass halt auf, dass dich der Räuber Hotzenplotz nicht fängt, wenn du den Fall übernimmst.« Der Wirt lachte.

»Solang du hinter deinem Pudl bleibst, hab ich zumindest keine Angst, dass ich im Wald jemanden mit dem Räuber Hotzenplotz verwechseln könnte.« Er sah bedeutungsvoll auf Schorschs Wampe, die unter seinem T-Shirt hervorblitzte. Dann wandte er sich wieder an Waldner. »Also ein Pilzräuber, sagt Paul. Und was genau stört dich dran?«

»Dass er ausgerechnet seine Pilzplatzln abgrast«, meldete sich Goggo zu Wort. Jeder Pilzsammler hatte sogenannte Geheimplätze, die reiche Ernte versprachen und die er deshalb mit niemandem teilte.

Die versammelten Männer lachten. Der Förster lachte mit, dann aber meinte er: »Er fladert nicht nur meine Schwammln – auch an ungeraden Tagen übrigens – und ja, ihr könnt jetzt alle in die Luft schauen und so tun, als ob ihr selber nur an geraden Tagen in die Schwämme geht – ich kenne meine Pappenheimer. Aber der Kerl schmeißt auch alles um, was nicht essbar ist. Und das stößt mir sauer auf.«

Laut Südtiroler Landesgesetz durfte man nur an Tagen mit geradem Datum Pilze sammeln und auch nicht mehr als ein Kilo, außer man hatte einen Wohnsitz in der Gemeinde, dann durften es auch zwei sein. Trotzdem war das noch lange kein Grund, einen Privatdetektiv zu engagieren, dachte Lovis bei sich.

»Außerdem macht er die Ameisenhaufen kaputt, reißt Äste ab, zerstört Wanderschilder …«, fuhr der Förster fort.

Und Karl ergänzte: »… durchschneidet den Draht der Weidezäune. Mir sind meine ganzen Rinder ausgebrochen, weil der den Zaun durchgeschnitten hat.«

»Ein Walscher halt …«, schimpfte der Förster. Das Wort »Walscher« kam von der Bezeichnung »Welschtiroler« für die Bewohner der heutigen Provinz Trient. Mittlerweile hatte es sich zu einem abfälligen Sammelbegriff für alle Italiener entwickelt, die dafür mit dem Schimpfwort Crucco, Krautkopf, für die deutschsprachigen Südtiroler konterten. Man blieb sich eben nichts schuldig.

Lovis war dieser ganze faule Patriotismus zuwider. Inzwischen sollte es doch der letzte Hinterwäldler verstanden haben, dass in diesem wunderschönen Flecken Land nicht nur Deutsche und Italiener friedlich miteinander leben konnten, sondern auch noch eine weitere Sprachgruppe, die Ladiner, deren Hoheitsgebiet gleich hinter dem Würzjoch begann. Noch dazu hatte auch in Südtirol die Globalisierung Einzug gehalten und es gab wohl kaum eine Sprache, die nicht irgendwie vertreten war.

Inzwischen versuchte Schorsch, den Förster wieder auf den Boden zu holen. »Geh, Waldner, du weißt doch gar nicht, ob das alles ein Walscher ist. Da sind ja noch jede Menge anderer Leute im Wald unterwegs.«

»Eben«, brummte Waldner. »Ich weiß ja nicht, ob ich mich da nicht in was verrenn, weil mir der Kerl so zwider ist.«

»Das bedeutet, du hast einen Verdacht?«, fragte Lovis interessiert.

»Hab ich. Da ist einer, der sich eine der Almhütten Richtung Würzjoch gemietet hat. Ein W…«

»Italiener«, korrigierte ihn Lovis, noch bevor er das Wort zu Ende sprechen konnte. »Das hab ich verstanden. Und warum verdächtigst du gerade ihn?«

Jetzt druckste Waldner verlegen herum. »Weil …«

»Weil der Walsche ihm die Schneid abgekauft hat«, mischte sich Schorsch ins Gespräch. »Ganz klein ist er geworden, unser Waldi und …«

»Das tut hier nix zur Sache«, schnitt ihm der Förster das Wort ab. »Ich hab schon meine Gründe, warum du genau den beschatten sollst. Also. Ich hab mir gedacht, du versteckst dich drüben bei der Fichtenschonung. Da legst du dich auf die Lauer und …« Waldner beugte sich vor und erklärte Lovis ausführlich, wie er sich dessen Ermittlungen vorstellte.

Der war jedoch abgelenkt, denn an dem Tisch, wo sich ein paar jüngere Männer versammelt hatten, entstand plötzlich Unruhe. Einer von ihnen, den Lovis als Goggos jüngsten Sohn Felix erkannte, rief: »Sie kommt«, und deutete aus dem Fenster. Der Förster hielt inne und folgte seinem Blick. Draußen stapfte eine junge blonde Frau mit geröteten Wangen und resoluten Schritten den Abhang vom Wald herauf. Mit beiden Händen winkte sie zu der Almhütte, in der die Männer ihre Nasen an die Fensterscheiben drückten. Auf ihrem Gesicht, das in der Abendsonne ganz rosig schien, lag ein Lächeln.

»Dann ist’s für mich besser, ich geh«, meinte Felix’ Nachbar, ein großgewachsener Bauernbursche mit grobschlächtigen Gesichtszügen. »Die Stoaner Frauen pack ich nicht.«

»Geh Samuel, wegen der Geschichte mit der Thres musst doch nicht auch der Burgi bös sein«, beschwichtigte ihn Much vom Tisch der Kartenspieler herüber.

»Die zwei stecken doch unter einer Decke!«, knurrte der Angesprochene. »Ich lass mir doch nicht den Hund auf den Hals hetzen, als wär ich ein dahergelaufener Dieb.«

»Gehst halt auf dem Wanderweg durch unsere Wiese und nicht querfeldein, dann passiert dir so was nicht. Die Thres wird halt gemeint haben, du bist der Walsche.«

»Entschuldig sie ruhig, deine Weiber. Ich pack mich.« Und damit war Samuel fort. Lovis beobachtete, wie er ohne ein Wort des Grußes an der jungen Frau vorbeiging, die Schorschs Hütte nun erreicht hatte.

Er fragte sich, was da wohl passiert war, kam aber nicht mehr dazu, sich weiter Gedanken zu machen, denn Schorsch wies die jungen Männer, die um den Kartentisch herumsaßen, an: »Packt die Steirische herunter. Jetzt wird aufgspielt.«

Der Befehl wurde unverzüglich befolgt und kaum stand die schwere Ziehharmonika auf dem Tisch, sprang die Tür auf und die junge Frau war in der Almhütte. »Hoi Mander!«, rief sie. In ihrer lauten Stimme lag ein Lachen. »Habt ihr schon ohne mich angefangen?«

Allgemeines Abwehrgebrummel, demonstrativ schob Felix ihr die Ziehharmonika zu. Mit einem »Brav, Biabl!« bedankte sie sich und schnallte sich die Steirische um. Da bemerkte sie Lovis. »Hollawind, ein neues Gesicht. Ich bin die Burgi. Oder die Stoanergitsch, wies’d lieber willst.« Mit ausgestreckter Hand, die Ziehharmonika vor dem Bauch, ging sie auf Lovis zu und wechselte einen kräftigen Händedruck mit ihm. »Lass mich raten. Der Neffe vom Waschtl? Auf dem seine Kühe ich jetzt aufpass?«

Lovis nickte verdattert. Das Temperament der Frau nahm ihm den Atem. »Kannst gleich gut singen wie er?«

»Kann er«, sagte Schorsch an seiner Stelle. »Allerdings musst du Kirchenlieder anstimmen, wenn er mitsingen soll. Er ist nämlich im Brixner Domchor.«

Die Männer lachten wieder.

Burgi zuckte mit den Schultern. Dann betätigte sie den Balg und stimmte »Oh Haupt voll Blut und Wunden« an. Die Männer johlten.

Lovis verstand erst warum, als die junge Frau mit ihrer volltönenden Stimme darüber sang: »Oh, hast den Schwamm gefunden, was willst dafür zum Lohn? Den Steinpilz da den runden, an Pfiffer hab ich schon.«

Sie zwinkerte Lovis zu, verwandelte die schönen Moll-Harmonien in Dur und die ganze Almhütte stimmte aus voller Kehle in ein schlüpfriges Volkslied ein, das so begann: »Mein Schotz hot mar aufg’sogt mit Herz und mit Mund und i hon nen vergessen in a Dreiviertelstund.«

Als die letzten Takte unter dem Gelächter der Männer verklungen waren, sah die junge Frau Lovis unschuldig an. »Kirchlich genug?«

»Na ja«, meinte er, »der Pfarrer sollt’s besser nicht hören.« Dann grinste er. »Was hast denn noch im Kasten?«

»Mal schau’n, was du aufm Kasten hast«, meinte sie und schnallte die Ziehharmonika ab. »Kennst den?« Und dann sang sie einen Jodler.

Lovis schüttelte den Kopf.

»Dann lernst ihn jetzt.« Ihr Ton ließ keine Widerrede zu. Sie sang die kurze Melodie noch mal vor und Lovis versuchte, ihr zu folgen. Schwieriger war es für ihn, den Text richtig unterzulegen, als sich die Melodie zu merken. Nach kurzer Zeit war Burgi zufrieden. »Gut!«, sagte sie. »Jetzt zusammen.«

Und als Lovis mit seiner Stimme begann, legte sie eine zweite Stimme drüber und Lovis fühlte, wie die Harmonien sein Herz zum Hüpfen brachten.

SAMSTAG

GROSSREINEMACHEN

Am nächsten Morgen trieben Lovis gehörige Kopfschmerzen in aller Herrgottsfrühe aus dem Bett. Er hatte Schorschs Enzian wohl ein paar Mal zu oft zugesprochen oder dem Bier oder es war die Höhenluft, die er nicht mehr gewöhnt war. Vielleicht waren die Schmerzen auch nur dem Umstand zu verdanken, dass er die ganze Nacht über das Gefühl gehabt hatte, das Bett sei voller Insekten. Ständig hatte es irgendwo gejuckt oder gestochen und als er nun seine Arme und Beine ansah, bestätigten viele rote Schwellungen seine Vermutung, dass dieses Bett voller Ungeziefer war – so wie die ganze Hütte.

Also war heute zuallererst Großreinemachen angesagt. Gleich nach dem Frühstück wollte er damit anfangen. Das war zumindest sein Plan, bis beim Kaffeemachen plötzlich dicker, gelblicher Rauch aus allen Ritzen und Fugen des Holzherds quoll. Zuerst musste der Kamin geputzt werden. So stieg er also auf das Dach und ließ die Stahlbürste durch den Kamin hinuntergleiten. Die Geisler färbten sich gerade im Morgenlicht rosa und die Sonne streckte ihre Finger Richtung Tal aus. Auf dem harten Almgras hatten Spinnen ihre Netze ausgebreitet, die nun im ersten Morgenlicht wie ein silbernes Meer funkelten. Ein atemberaubender Anblick.

Vom Wald her näherte sich das Gebimmel vieler Kuhglocken.

Bist nicht einmal der Erste auf den Beinen, dachte er und kniff die Augen zusammen, um zu sehen, wer sich da näherte. Er war nicht überrascht, als er Burgis Gesicht zwischen den Stämmen der Kiefern aufleuchten sah, genauso fröhlich wie am Abend zuvor. Es wirkte beinahe, als leuchteten nicht nur ihre Augen, sondern auch ihre Wangen auf, als sie Lovis erblickte.

»Was tust denn da auf dem Dach, Waschtl-Neffe?«, fragte sie.

»Weihnachtsmanntraining?«

»Der Kamin zieht nicht«, gab Lovis zur Antwort. »Ich hätte mich beim Kaffeemachen fast selber geselcht.«

Sie kicherte. »Ja, das passiert schon mal, wenn eine Hütte so lang leer steht. Kannst froh sein, wenn nicht ein Siebenschläfer sein Nest im Rohr gebaut hat. Hast ein nasses Tuch über die Platte gelegt?«

Lovis verneinte.

»Dann mach ich das besser noch schnell. Sonst hast den ganzen Ruß in der Hütte.«

Daran hatte er natürlich nicht gedacht. Als ihr Ruf »Erledigt! Jetzt kannst du loslegen!« erscholl, ließ er die Bürste ein paar Mal auf- und abgleiten. Irgendwann kam von unten: »Da ist was gekommen. Wart mal.«

Er hielt inne. »Ein Vogelnest. Kein Wunder, dass dich beinahe ausgeräuchert hättst!« Sie lachte. »Jetzt kannst runterkommen vom Dach, glaub ich.«

Er tat, was sie vorgeschlagen hatte, und stieg vorsichtig von dem Schindeldach herunter. Kaum war er am Fuß der Leiter angekommen, stand sie schon vor ihm. »Du hast davor was von einem Kaffee gesagt?«

Lovis erwiderte ihr Grinsen. »Hab ich, ja. Magst auch einen Schluck?«

»Würd ich sonst fragen?« Die Burgi ließ sich auf die grob gezimmerte Bank vor dem Haus fallen und hielt ihr Gesicht in die Sonne. »Soll ich dann deine Kühe auch mitnehmen? War mit dem Paul so ausgemacht, aber da hat er vielleicht noch nicht gewusst, dass sein Bauer auf Sommerfrische geht, wie ein Stadtler.« Sie zwinkerte Lovis zu.

Lovis trieb es die Wärme in die Wangen. Er war noch nicht auf der Alm angekommen und die Leute hatten ihn schon in die Schublade »Kriegt allein gar nichts auf die Reihe« gesteckt. Aber er nickte. Wenn er die Hütte bezugsfertig kriegen wollte, musste er sich dahinterklemmen. »Gern.«

Burgi nickte zufrieden und schlürfte an ihrem Kaffee. Gemeinsam genossen sie die Stille, die nur von dem Gebimmel der Kuhglocken unterbrochen wurde. Da störte ein neues Geräusch die Ruhe. Ein Wagen näherte sich vom Tal her. Das metallische Klackern, das das Motorengeräusch begleitete, verriet, dass es sich um ein Fahrzeug mit Anhänger handelte.

»Bringt wer noch mehr Viech auf die Alm?«, fragte Burgi, ohne die Augen zu öffnen. Lovis spähte dorthin, wo die Forststraße vom Wald auf die Alm mündete, und erkannte den Traktor des Messner Hofs, den Paul liebevoll Jonny getauft hatte. Paul thronte in seinem blauen Overall hoch oben auf dem Fahrersitz, neben ihm eine winkende Angelika und – Lovis traute seinen Augen nicht – irgendwie auf alle möglichen Trittbretter und Sitze gequetscht die drei Jungs, die ihn bei seinen letzten Fällen unterstützt hatten: Iwan, Erik und Matthias. Hinter dem Traktor schaukelte ein Pferdeanhänger über den unebenen Weg. Noch vorsichtiger bog Paul in den Almweg ein, der von der Almstraße zu Lovis’ Hütte führte, dann verstummte der Motor und Angelika sprang vom Traktor, die Jungs folgten johlend.

»Lollo, du bist schon auf? So früh? Es geschehen noch Zeichen und Wunder!«, meinte sie. Sie taxierte Burgi mit einem flüchtigen Blick, dann schüttelte sie ihr die Hand. »Angelika«, sagte sie. »Die Freundin vom Lollo, die ihm täglich ein neues graues Haar beschert mit ihren verrückten Ideen für den Hof.« Sie warf Lovis einen Luftkuss zu.

Lovis’ Herz schlug höher. Sie hatte sich als seine Freundin bezeichnet!

»Burgi. Vom Stoanerhof«, stellte er Angelika seinen unerwarteten Frauenbesuch vor.

Angelika nickte gleichgültig, schloss die Augen und atmete tief durch. Der Spruch des Tages

WAS SAGT DEIN PFERD BEIM PSYCHIATER? ALLE REITEN AUF MIR HERUM!

spannte auf ihrem T-Shirt und Lovis konnte wieder mal den Blick nicht davon abwenden. »Weißt du überhaupt, wie fein du’s hier oben hast, Lollo?«, fragte sie ihn.

Er nickte nur. Angelika hatte seinem Onkel Sebastian den Haushalt geführt im Tausch gegen Kost und Logis für ihren Friesenwallach Diablo. Nach Sebastians Tod hatten sie das Arrangement beibehalten, auch wenn es Lovis nicht um Angelikas haushälterische Fähigkeiten ging. Denn er war schon seit seiner Jugend bis über beide Ohren in sie verliebt. Sie war sich dessen wohl bewusst, aber das bedeutete nicht, dass sie es ihm irgendwie leichter machte. Lovis träumte sich zu dem Augenblick vor zwei Wochen, als Angelika ihn zum ersten Mal geküsst hatte, da boxte ihn jemand unsanft in den Arm.

Es war die Frau seiner Träume. Meilenweit von irgendwelchen romantischen Gefühlen entfernt, fragte sie mit einem spöttischen Unterton in der Stimme: »Frühstück gefällig, Senner Lollo?«

Lovis konnte nur nicken. Ihre grün-braunen Augen leuchteten so wunderschön in der Morgensonne, dass er sie am liebsten in die Arme genommen und den Kuss wiederholt hätte.

Der Blick, den Angelika Burgi zuschoss, sagte deutlich, dass sie diese nicht in ihre Einladung einschloss.

Doch die Stoanergitsch störte sich nicht dran. »Paul, alter Knabe, bringst mir noch ein paar Rindviecher mehr?« Dabei ruhte ihr Blick gar nicht auf Paul, sondern Angelika.

Paul fühlte sich trotzdem angesprochen. »Nein. Wir bringen zwei Rösser.«

Angelika fügte gleich hinzu: »Diablo und Shanty. Irgendwann die nächsten Tage bringen wir auch noch die Semira rauf. Der Liam überlegt noch, ob er auch den Gonzo auf die Alm bringt. Glaubst du, du schaffst das mit vier Pferden?«

Lovis nickte. »Sonst seid ihr ja nicht aus der Welt.«

»Und ich bin ja auch noch da«, ergänzte Burgi freundlich lächelnd.

Angelika musterte sie. »Du bist die, die unsere Kühe mit auf die Weide nimmt?«

»Erst einmal wollt ich einen Kaffee trinken. Der Lorenz hat mich ganz lieb eingeladen.« Die Burgi schmiegte sich vertraulich an Lovis. »Nachdem ich ihm geholfen hab. Ist ein bisschen heiß hergegangen heut.«

Unbehaglich rückte Lovis von ihr weg. Was sollte dieses Benehmen?

»Der Kamin war verstopft und ich hab die Bude geräuchert. Und mich mit. Die Burgi ist zufällig dazugekommen und hat ein nasses Tuch auf die Herdplatte gelegt. Daran hab ich nämlich nicht gedacht«, erklärte er schnell, um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen.

»Ach so.« Angelika zuckte mit den Schultern. »Dann bist eh noch nicht zum Frühstücken gekommen, oder? Die Jungs und ich haben uns nämlich gedacht …«

»Können wir endlich aufhören zu reden und mit dem Frühstück anfangen? Mir knurrt der Magen schon, seit wir im Tal aufgebrochen sind«, maulte Matthias, ein zwölfjähriger Rotschopf, dessen Gesicht von Sommersprossen übersät war.

»Ach, du warst das«, stichelte Iwan. »Ich hab schon gedacht, ein Wolf läuft neben uns her.« Der Junge trug wie immer seine überdimensionale Brille auf der Nase und steckte in seiner Trainingsausrüstung der Brixner Fußballmannschaft. Erik, der dritte im Bunde, sah neben den beiden wie ein Bankangestellter aus. Seine Frisur saß perfekt, statt eines T-Shirts mit Werbeaufdruck trug er ein Polo-Shirt. Auch die Shorts sahen aus, als wären sie noch nie mit Dreck in Berührung gekommen.

Matthias boxte Iwan in den Arm und wenige Augenblicke später balgten sich alle drei Jungs in der taufrischen Wiese. Die Erwachsenen lachten. Am liebsten hätte Lovis mitgemacht, aber er kannte seine Pflichten als Gastgeber und bat alle, Platz zu nehmen, während er neues Kaffeewasser aufsetzte und den aus einem halben Baumstamm gefertigten Tisch deckte. Angelika packte inzwischen ihre Köstlichkeiten aus, stellte Butter, Milch »aus der Tüte für unseren Bauern, der keine frische Kuhmilch trinkt« und duftendes Brot daneben und bald waren alle mit Kauen und Schmatzen beschäftigt.

»Wenn ich die Pferde jetzt raushol, wär es gut, die Kühe wären weg«, erklärte Angelika irgendwann. Sie schaute niemanden Bestimmtes an, aber Burgi fühlte sich doch angesprochen.

»Dann werd ich die Rindviecher jetzt wohl weitertreiben«, sagte sie. »Danke fürn Kaffee, Waschtl-Neffe, und wir sehen uns wieder beim Hüttenzauber.« Sie zwinkerte ihm zu, packte ihren Hüterstecken und ging zu den Kühen. Ihr »Ho – ho – ho« wurde zu einem Jodler und jodelnd trieb sie die Kühe den Berg hinauf.

Kaum war sie außer Hörweite, blitzte Angelika die beiden Männer an: »Was war denn das für eine?«

Paul schmunzelte. »Die Burgi halt. Entweder du magst sie oder du hasst sie. Wobei … hassen tun sie eigentlich nur Frauen.« Er duckte sich lachend unter Angelikas Kopfnuss weg.

»Das muss ich irgendwie im Gespür gehabt haben und deswegen hab ich dir die drei Jungs als Aufpasser mitgebracht.«

»Aufpasser?«

»Meiner Mama ist der Kragen geplatzt, weil ich mein Zimmer wieder einmal nicht aufgeräumt hab und überhaupt nur daheim herumgehockt bin bei der Hitze, und da hat sie Angelika gefragt, ob’s nicht auf dem Messner Hof was zu tun gäb für mich«, beichtete Iwan schuldbewusst.

»Und ich hab natürlich Ja gesagt«, ergänzte Angelika.

»Und das hat auch meine Mutter spitzgekriegt und gefragt, ob es nicht noch ein bisschen mehr zu tun gäbe und …«, sagte Erik, wurde aber von Matthias unterbrochen, der kichernd seinen Satz beendete: »Da hat die Angelika natürlich wieder Ja gesagt. Und als ich das mitbekommen hab, wollt ich auch nicht mehr in dem Backofen da unten sein und deswegen hab ich meine Mama belagert und …«

»… da hat sie dich erst einmal erstaunt angeschaut und dich gefragt, wer du bist …«, warf Iwan ein. Matthias lachte laut und nickte. »Und als ich ihr dann die Geburtsurkunde vor die Nase gehalten habe, war sie doch ganz glücklich, dass ich auch verschwinde. Und da sind wir nun.«

»Ausdrücklich, um zu helfen«, meldete sich jetzt Paul zu Wort. »Sie kriegen nämlich ein kleines Taschengeld. Also spann sie ein.«

»Bei was denn?«, fragte Lovis. Wenn der Großputz beendet war, sollte selbst er sich langweilen. Doch weit gefehlt. Während nämlich Angelika die Pferde aus dem Transporter holte, führte ihn Paul um die Hütte und auf dem Grundstück herum und zählte eine lange Liste an Dingen auf, die unbedingt endlich erledigt werden mussten.

Erschrocken sahen Lovis und die Jungs einander an. Mit der Sommerfrische war’s aus und vorbei.

Es ging auf Abend zu. Angelika und Paul waren längst wieder Richtung Tal gefahren und Lovis und die Jungs saßen abgekämpft auf der Bank vor dem Haus, zu müde, um auch nur noch einen Finger zu rühren. Sie hatten den ganzen Tag mit dem jahrealten Mief in der Almhütte zugebracht, alle Möbel ins Freie gestellt und darunter Unerwartetes gefunden: Spannendes wie einen Löffel mit einer Gravur, die darauf hinwies, dass er aus einem US-amerikanischen Kriegsgefangenenlager stammte – Lovis hatte vage in Erinnerung, dass Sebastians Vater im Zweiten Weltkrieg in Kriegsgefangenschaft geraten war. Geheimnisvolles wie eine Postkarte mit einem kitschigen Motiv, auf der nur vier Worte standen – »In ewiger Liebe, Marlén«, die Lovis ins Grübeln brachten. Bisher war er immer der Auffassung gewesen, dass sein Onkel ein eingefleischter Junggeselle gewesen war – aus Überzeugung. Aber vielleicht war auch er nicht von der großen Liebe verschont geblieben. Was war passiert, dass Sebastian am Ende doch allein geblieben war?

Einige Entdeckungen waren wunderlich, wie die fein säuberlich zu Rechtecken geschnittenen Zeitungsblätter im Klohäuschen, das etwas abseits der Hütte unter einer Kiefer stand. Die meisten waren jedoch einfach nur eklig, wie die Stockflecken auf den uralten Rosshaarmatratzen, die im Bettenlager unter dem Dach übereinandergestapelt waren.

»Ich hab Hunger«, raunte Matthias seinen Freunden zu.

»Lutscht am Daumen«, sagte Lovis, der das natürlich gehört hatte. Aber auch sein Magen knurrte vernehmlich. »Wie wär’s mit einem Melchermuas?«

Melchermuas, zu Deutsch Melkermus, war ein Tiroler Traditionsgericht, das in seinen Augen auf die Alm gehörte. Die Jungs jubelten begeistert.

»Mit Zimt und Zucker«, verlangte Matthias.

Iwan widersprach: »Nein, mit Grantenmarmelade«, und meinte damit Preiselbeermarmelade.

Erik hielt sich theatralisch den Bauch: »Hauptsache bald. Ich vergeh vor Hunger.«

Lovis gab ihm eine Kopfnuss und stand auf. »Dann seht ihr zu, dass der Tisch gedeckt ist. Ich mach mich ans Kochen.«

In etwas geschmolzener Butter rührte er Mehl ein, dann gab er Milch dazu, bis er einen Teig hatte, der so dickflüssig war, dass der Rührlöffel stecken blieb. Dann schürte er das Feuer neu auf, erhitzte die Eisenpfanne und briet die Masse in Butter an, wie einen dicken Pfannkuchen. Danach wendete er das Ganze einmal, streute – wie Matthias es gefordert hatte – Zucker und Zimt darüber, gab noch etwas zerlassene Butter darauf und servierte das Melchermuas mit einer kleinen Verbeugung.

Die Jungs tauchten ihre Löffel hinein und schoben sich das Mus in den Mund.

»Mmmh. Du kannst ja kochen«, sagte Matthias und grinste ihn frech an. »Morgen wünsch ich mir Brathühnchen.«

»Und wie kommen die Brathühnchen auf die Alm?«, fragte Lovis und war ganz froh, dass er nicht in Verlegenheit kommen würde, so ein Hühnchen zu braten, ganz einfach deshalb, weil er hier oben über kein Backrohr verfügte. Matthias erwartete wohl auch nicht wirklich ein Brathühnchen, sondern schoppte hingebungsvoll eine Löffelladung nach der anderen in seinen Mund und Lovis musste zusehen, dass er überhaupt noch etwas abbekam, bei dem Esstempo, das die Jungs vorlegten. Da sah er aus dem Augenwinkel eine Bewegung am Waldrand. Es war Burgi. Auf dem Weg zum Hüttenzauber bei Schorsch.

»Darf man mitessen?«, fragte sie, als sie Lovis’ Hütte erreicht hatte.

Die Jungs sahen hoch. An ihren Blicken konnte man deutlich erkennen, dass sie um ihren Anteil besorgt waren.

»Wenn du riskieren willst, dass die Meute über dich herfällt …« Lovis schmunzelte.

»Na, lieber nicht.« Burgi wies mit dem Kinn hoch in die Richtung von Schorschs Buschenschank. »Kommst mit rauf? Oder …« Sie musterte die Jungs. »Die brauchen eh keinen Babysitter mehr«, stellte sie fest.

»Eh nicht«, sagte Lovis. »Aber ich werd heut passen. Uns tun alle Knochen weh.«

»Wir haben heut gearbeitet«, verkündete Matthias stolz. »Die ganze Hütte haben wir auf Vordermann gebracht.«

Iwan ergänzte: »Und morgen kommt der Zaun dran.«

»Na dann«, meinte Burgi enttäuscht. »Schad. Aber morgen tut ihr ein bissl weniger. Da ist Herz Jesu und wir machen ein ordentliches Feuer am Gipfel vom Gabler. Seid’s dabei?«

»Logo«, sagten die drei Jungs einstimmig und Lovis stimmte ihnen zu.

Am Herz-Jesu-Sonntag, der am zweiten Sonntag nach Fronleichnam gefeiert wurde, entzündeten die traditions- und bergbegeisterten Südtiroler auf allen Gipfeln die Herz-Jesu-Feuer. Im Jahr 1796 hatten die Tiroler vom heiligsten Herz Jesu Beistand für ihr Land gegen die französischen Truppen unter dem Feldherrn Napoleon erbeten und dieses Gelöbnis wurde alljährlich feierlich in der Kirche und in den Bergen erneuert. Auch wenn Lovis weder dem Lager der patriotischen Schützen noch dem der streng Religiösen angehörte – obwohl er im Kirchenchor sang, war er nicht unbedingt fromm –, übermannte ihn doch immer ein andächtiges Gefühl, wenn die Feuer eins nach dem anderen auf den Bergen aufflackerten. Das letzte Mal war er in seiner Jugend oben auf dem Gipfel beim Entzünden eines dieser Feuer dabei gewesen. Deshalb freute er sich umso mehr über die Einladung von Burgi.

Die durchwachte Nacht und der Arbeitseinsatz forderten jedoch Tribut von ihm und er wünschte sich nichts sehnlicher, als später einfach auf sein hoffentlich ungezieferfreies Lager zu sinken und zu schlafen. Burgi verstand und setzte ihren Weg allein fort.

»Heut sieht man sicher einen tollen Sonnenuntergang«, sagte Erik neben ihm. »Das ist das Schönste auf dem Berg. Die Sonnenauf- und -untergänge.«

»Für den Sonnenaufgang musst aber früh aufstehen«, stichelte Lovis.

»Mach ich.« Erik nickte. »Aber nicht morgen. Morgen muss ich lang ausschlafen. Sonst schaffen wir ja das Herz-Jesu-Feuer nicht.«

»Morgen schlaft ihr auf keinen Fall lang aus. Der Zaun macht sich nicht von allein und ich füttere euch nicht fürs Nichtstun durch«, stichelte Lovis, nahm sich aber selbst vor, so lang auszuschlafen wie möglich.

Noch einige Zeit hingen sie ihren Gedanken nach, beobachteten, wie die Schatten länger wurden und die Geräusche auf der Alm erstarben.

Dann gähnte Matthias, sah auf die Uhr, erhob sich und murmelte: »Ich pack’s nicht mehr«, bevor er über die Hennentrittleiter durch die Luke ins Bettenlager verschwand.

»Baby«, sagte Iwan verächtlich, konnte aber selbst ein Gähnen nur mit Mühe unterdrücken.

»Jungs, geht ihr ruhig vor. Ich bleib hier noch ein Weilchen sitzen. Es ist zu schön.« Lovis scheuchte sie mit einer Handbewegung in die Hütte. Daran, dass sie ohne zu murren seinem Befehl Folge leisteten, erkannte er, wie müde sie waren. Auch wenn sicher zum Großteil die Höhenluft schuld daran war, nahm er sich doch vor, sie am folgenden Tag ein bisschen weniger schuften zu lassen.

Meine Assistenten … Er schmunzelte beim Gedanken an die Abenteuer, die sie schon gemeinsam überstanden hatten. Wenn er die drei Jungs bei der Auflösung seiner letzten Fälle nicht gehabt hätte, wäre wohl weder der Mord am Dorfbaron noch der an der Reiterin aufgeklärt worden. Er wusste, wie viel er ihnen zu verdanken hatte. Von ihm aus konnten sie auch zwei Wochen lang eine ruhige Kugel schieben, ohne auch nur einen Finger krumm zu machen. Dass sie sich so in die Arbeit stürzten, rechnete er ihnen hoch an.

Leise Schritte im Gras ließen ihn hochsehen. Es war der Michl, oder besser gesagt der Much, wie er sich jetzt nannte.

»Bist doch noch nicht im Bett«, sagte der zur Begrüßung.

»Ich bin hundemüde. Aber zu dieser Zeit kann ich noch nicht schlafen. Selbst wenn ich wollte«, erklärte Lovis.

»Dann setz ich mich noch ein bisschen zu dir?«

»Gern.«

Much ließ sich auf die Bank neben Lovis fallen, klopfte sich auf die Taschen seiner Hose und Jacke und zog schließlich eine Pfeife und ein Päckchen Tabak heraus. »Stört’s dich?«

Lovis schüttelte stumm den Kopf. Obwohl er sofort ein nostalgisches Gefühl gehabt hatte, als er den Fuß aus dem Auto und auf das borstige Almgras gesetzt hatte, hatte ihm doch etwas gefehlt. Er hatte es nicht mit Worten greifen können. Erst jetzt, als Much seine Pfeife herauszog und der würzige Geruch des Tabaks Lovis in die Nase stieg, wusste er was: Hier, genau an dieser Stelle, war Onkel Sebastian abends immer mit seinem Pfeifchen gesessen, hatte zufrieden daran gezogen und Rauchwölkchen in die Luft aufsteigen lassen. »Des moch i lei, dass ins die Staggen net auffressen.« Das mache er nur, um die Mücken zu vertreiben, hatte er sich gegen den besserwisserischen Lorenz verteidigt, der ihm Vorträge darüber gehalten hatte, wie schädlich das Rauchen sei.

Nun ließ Much solche Rauchwölkchen aufsteigen und Lovis kämpfte mit seinen Gefühlen.

»Dann geht’s dir gut?«, fragte Much zwischen einem Zug und dem anderen.

Lovis nickte.

»Privatdetektiv bist, haben die anderen gesagt?«

»Der Buschfunk funktioniert auch auf der Alm, sehe ich.« Lovis verzog das Gesicht. War ja klar, dass er sofort wieder Gegenstand der Almgespräche sein würde. Schließlich hatten die Leute sonst nichts zu tun hier oben …

»Und lebt man gut als Privatdetektiv?«, fragte Much.

Lovis schnaubte. »Kannst ja mal ausprobieren.«

»Die einzigen Kriminellen hier heroben sind die Schwammlsucher. Da würd ich nicht reich«, wehrte der Stoaner Bauer ab.

»Und als Bergbauer wirst reich?«

Diesmal war es Much, der schnaubte. »Das glaubst du wohl selber nicht.«

»Warum machst du das dann?« Lovis war wirklich neugierig. Er kannte den Stoaner Hof gut, der nur etwa fünfzehn Gehminuten entfernt lag, und konnte sich nicht vorstellen, dass er genug abwarf, um eine Familie zu ernähren.

»Mei, ich weiß auch nicht. Es ist halt der Hof von der Thres ihrer Familie. Es tät ihr leid, wenn er vor die Hunde ginge.« Er schnitt eine Grimasse. »Und wenn ich mich nicht abrackere, hab ich sofort der Thres ihre Schwestern im Nacken. Kaum stimmt was nicht, rennt die Burgi zu ihrer anderen Schwester, der Nandl, und dann kommt die angeflogen und sie hacken zu dritt auf mir herum wie die aufgescheuchten Hühner.«

»Da hab ich’s leichter. Die Eltern von der Thres sind gestorben?«

»Ja, die Mutter schon länger, der Vater voriges Jahr.« Der Much seufzte. »Wir haben eigentlich schon länger die ganze Arbeit allein gemacht. Die Thres, die Burgi und ich, weil die Nandl lebt und arbeitet ja schon eine Weile mit ihrem Mann in Villnöß.« Das war das Tal hinter den Aferer Geislern.

»Und seit wann bist du dann hier heroben?«

»Ich hab erst einen Winter mitgemacht. Vorher waren wir nur im Sommer oben, aber als dann auch noch der Vater von der Thres gestorben ist, sind wir ganz auf den Hof gezogen.«

Das hieß alles, fand Lovis. Der Winter war oben auf dem Berg um einiges härter als im Tal. Wenn Schnee fiel, war die Verbindung zur Zivilisation getrennt, Strom, Telefon, Heizung – das alles war ein brüchiges System für die Bergbauern. Er dachte an die letzten großen Schneefälle, die sogar das Leben in Brixen lahmgelegt hatten. Manche Dörfer waren tagelang, andere über eine Woche ohne Strom und Telefon gewesen. So eine Situation war für den Stoaner Bauern nichts Ungewöhnliches, vermutete Lovis und er fragte sich insgeheim, ob Muchs Entscheidung, den Hof seiner Frau zu führen, nicht möglicherweise noch unüberlegter und folgenschwerer gewesen war als seine eigene, den Messner Hof zu übernehmen und dafür den sicheren Job bei der italienischen Staatspolizei hinzuwerfen. »Und wie schaut die Zukunft aus?«, fragte er seinen alten Schulfreund.

»Wird das jetzt ein Verhör?«, fragte der und grinste frech. »Ich weiß schon, was ich getan hab, Lovis. Ich hab die Liebe meines Lebens geheiratet und wir sitzen jeden Abend zusammen auf dem Bankl vor unserem Haus und schauen auf euch hinunter. Und weißt du, was wir dann denken? Die armen Brixner! Müssen jeden Tag in so einem Mief leben, kriechen da unten im Tal herum wie die Ameisen und schuften und zermürben sich und wissen nicht warum! Wir wissen’s. Schau dich um!« Er machte eine ausladende Bewegung, die das ganze Dolomitenpanorama mit einschloss. Die Scharten, die westwärts ausgerichtet waren, wurden von der Abendsonne in oranges Licht getaucht. Das Tal lag bereits in tiefe Schatten getaucht, während hier oben der Abend noch lange nicht vorüber war.

Lovis wusste, was er meinte und konnte nicht anders, als ihm beizupflichten. »Hast ja recht«, sagte er. Dann meinte er: »Bist gar nicht beim Hüttenzauber oben?«

Much schüttelte den Kopf. »Die Thres hat mich raufgeschickt. Ich soll ihre Schwester abholen. Wegen dem Italiener, der da seit Neuestem sein Unwesen treibt.«

Lovis wurde hellhörig. »Was ist mit dem?«

Much winkte ab. »Ach, gar nix ist mit dem. Der hat es sich mit meiner Thres verscherzt, weil er die Forststraße mit seinem Auto wie ein Wilder heraufgebrettert ist. Dann hat er auch noch das Viehgatter offen gelassen und die Rinder sind ausgekommen. Wie sie ihn dann endlich zu fassen gekriegt hat, hat er sie angepflaumt – auf Italienisch natürlich, und hat von ihr verlangt, dass sie auch Italienisch spricht. »